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3. STRALSUNDER ARBEITSRECHTSTAGE MAI 2011
Verweisen statt
selber regeln
Chancen, Risiken und Nebenwirkungen der
Bezugnahme auf Tarifverträge im Arbeitsvertrag
Vortrag von Tilman Anuschek
Vorsitzender Richter am Landesarbeitsgericht Mecklenburg- 1
Vorpommern
Verweisen statt selber regeln – Bezugnahme auf Tarifvertrag im Arbeitsvertrag

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Problem Klausel-Typen Auslegung Rechtsfolgen Formulierungskünste

Über dieses Dokument


Das Dokument ist in Zusammenhang mit einem Vortrag im Rahmen

3. STRALSUNDER ARBEITSRECHTSTAGE MAI 2011


der 3. STRALSUNDER ARBEITSRECHTSTAGE MAI 2011, veranstaltet
vom Anwaltverein Stralsund, entstanden.
Der Autor unterstellt das Dokument der creative-commons-Lizenz
„Attribution-ShareAlike 3.0 Unported (CC BY-SA 3.0),” deren
Einzelheiten hier nachzulesen sind:
http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/deed.de.

Wegen der vielen ausführlichen Zitate aus der Rechtsprechung des


BAG in den Notizen wird ergänzend vorsorglich darauf
hingewiesen, dass das Bundesarbeitsgericht die freie Nutzung 2
seiner Texte nur für nichtgewerbliche Zwecke erlaubt (vgl:
http://goo.gl/cEjhr).
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Der Gang der Darstellung

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• Die praktische Bedeutung der
Bezugnahmeklauseln
• Systematisierung der Phänomene (Klausel-
Typen)
• Auslegungsregeln
• Rechtsfolgen
• Die Kunst der richtigen Formulierung 3
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Die praktische Bedeutung von Bezugnahmeklauseln

In Deutschland unterliegen rund 80 % der

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Arbeitsverträge einem Tarifvertrag. Aber nur bei
rund 20 % der Arbeitsverträge liegt eine direkte
Tarifbindung vor.
so Schliemann, ZTR 2004, 502

„Die Auslegung und Wirkung von


Bezugnahmeklauseln dürfte aktuell die für die
Praxis wichtigste und strittigste Frage des
Tarifrechts überhaupt sein.“ 4
Prof. Dr. Henssler in: FS Wissmann 2005, 133 (134).
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Wieso sind die Bezugnahmeklauseln so beliebt?


(1) Der tarifgebundene Arbeitgeber kann durch eine
Gleichstellungsabrede verhindern, dass alle Arbeitnehmer in die

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Gewerkschaft eintreten.
(2) Der nicht tarifgebundene Arbeitgeber kann durch die
„dynamische Bezugnahme“ auf den Branchentarifvertrag
Arbeitsbedingungen bieten wie in den tarifgebunden Betrieben.
(3) Der kleine Arbeitgeber ohne große Personalverwaltung kann
sich die riskante Ausformulierung eigener Arbeitsverträge
ersparen (Vermeidung lückenhafter Arbeitsverträge).
(4) Alle Arbeitgeber können durch die umfassende Anwendung von
Bezugnahmeklauseln auf einfache Weise die
Arbeitsbedingungen vereinheitlichen.
(5) Die Bezugnahme auf Entgelttarifverträge bürgt für eine gewisse 5
Einkommensdynamik und kann daher die in Deutschland
verbotenen Lohnindexvereinbarungen ersetzen.
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Bezugnahmeklauseln und Rechtsquellenlehre

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Bezugnahmeklauseln und Rechtsquellenlehre


Es gehört zum Alltag des Arbeitslebens, dass sich unterschiedliche
aber themengleiche Regelungen auf verschiedenen Ebenen finden.

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Dazu gibt es Konfliktlösungsregeln.
Vertikale Konfliktlösungsregeln
(1) Die höher stehende Rechtsquelle ist stärker als die darunter
stehende Rechtsquelle (Rangprinzip – „Ober schlägt Unter“)
(2) Ausnahme: Eine für den Arbeitnehmer günstigere Regelung
setzt sich stets durch (Günstigkeitsprinzip).
Horizontale Konfliktlösungsregeln
(1) Bei mehreren in Betracht kommenden Tarifverträgen, gilt der
Tarifvertrag, der am besten auf die konkreten betrieblichen
Verhältnisse zugeschnitten ist (insb. FirmenTV geht vor
7
BranchenTV)
(2) Die jüngere Regelung geht der älteren vor (Ablöseprinzip).
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Praktische Vielfalt – Einheitliche Rechtsprechung

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Die Vertragsgestaltung in der betrieblichen Praxis ist vielfältig
und unübersichtlich. Die Ordnung im dem Chaos wird von der
Rechtsprechung durch drei Maßnahmen hergestellt:
(1) Die in der Realität vorkommenden Bezugnahmeklauseln
werden zu einigen wenigen Klausel-Typen
zusammengefasst.
(2) Durch „Auslegungs-Regeln“ wird dafür gesorgt, dass sich
die vielfältigen Formulierungen der Praxis relativ einfach
einem der anerkannten Typen zuordnen lassen.
(3) Jeder Klausel-Typ wird mit einem bestimmten Sinn 8
verbunden; man könnte auch sagen, jeder Klausel-Typ
hat seine eigenen Rechtsfolgen.
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Die Klausel-Typen – Die Vier-Schubladen-Welt

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Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts gibt es
nur vier verschiedene Klausel-Typen
(1) Die statische Verweisung auf einen bestimmten
Tarifvertrag;
(2) Die ernst gemeinte („konstitutive“ bzw. „unbedingte“)
dynamische Verweisung auf ein Tarifwerk / Tarifvertrag;
(3) Die Gleichstellungsabrede;
(4) Die Tarifwechselklausel („große dynamische 9
Verweisung“).
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Statische Verweisung

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Die statische Verweisung auf einen bestimmten Tarifvertrag wirft
wenig Probleme auf. Mit ihr binden sich die Parteien des
Arbeitsvertrages statisch an einen bestimmten schon vorhandenen
nach Datum bestimmten Tarifvertrag.

Beispiel:
„Die Vergütung richtet sich nach dem Entgelttarifvertrag für
den Einzelhandel Mecklenburg-Vorpommern für das Jahr
2010.“
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Kleine dynamische Verweisung im Sinne einer


Gleichstellungsabrede
Am häufigsten kommt in der Praxis die sog. „kleine dynamische

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Verweisung“ vor. Sie wirft wegen ihres unklaren Aussagegehalts
auch die meisten Probleme auf.
Wenn sie als Gleichstellungsabrede gemeint ist, wollen die
Parteien des Arbeitsvertrages damit den Arbeitnehmer so stellen,
wie wenn er Mitglied der Gewerkschaft wäre.

Beispiel (traditionelle Formulierung):


„Die Vergütung richtet sich nach dem Entgelttarifvertrag für
den Einzelhandel Mecklenburg-Vorpommern in seiner jeweils
geltenden Fassung.“
11
Achtung: So darf heute nicht mehr formuliert werden (siehe
unten)!!
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Kleine dynamische Verweisung im Sinne einer


ernsthaften Bindung an das Tarifwerk

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Am häufigsten kommt in der Praxis die sog. „kleine dynamische
Verweisung“ vor. Sie wirft wegen ihres unklaren Aussagegehalts
auch die meisten Probleme auf.
Wenn sie als echte („konstitutive“ bzw. „unbedingte“) dynamische
Bezugnahme gemeint ist, wollen die Parteien des Arbeitsvertrages
damit das Arbeitsverhältnis dauerhaft mit dem Tarifwerk
verknüpfen.

Beispiel:
„Die Vergütung richtet sich nach dem Entgelttarifvertrag für
den Einzelhandel Mecklenburg-Vorpommern in seiner jeweils 12
geltenden Fassung.“
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Große dynamische Verweisung im Sinne einer


Tarifwechselklausel

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Wenn immer nur die Tarifverträge gelten sollen, an die der
Arbeitgeber gerade gebunden ist einschließlich möglicher ganz
anderer Tarifwerke in Folge Branchenwechsel oder in Folge des
Wechsels des Arbeitgeberverbandes etc., spricht man von einer
„großen dynamischen Verweisung“ oder etwas genauer von einer
„Tarifwechselklausel“.

Beispiel:
„Die Vergütung richtet sich nach dem Entgelttarifvertrag für
den Einzelhandel Mecklenburg-Vorpommern oder nach
anderen Entgelttarifverträgen, an die der Arbeitgeber 13
zukünftig gebunden sein wird.“
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Was kommt in welche Schublade?

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Die Einordnung der bunten Realität in die beschränkte Welt
der 4 Schubladen erfolgt durch das Erkenntnismittel der
Auslegung. Es gelten die allgemeinen Grundsätze der
Vertragsauslegung.

Das Bundesarbeitsgericht versucht uns das Leben durch ein


paar Auslegungsregeln einfacher zu machen.

Beachte: Diese Auslegungsregeln haben sich in den 14

letzten 10 Jahren signifikant verändert.


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Der allgemeine Auslegungsmaßstab


Die Bezugnahmeklausel „ist als Allgemeine Geschäftsbedingung

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nach ihrem objektiven Inhalt und typischen Sinn so auszulegen,
wie sie von verständigen und redlichen Vertragspartnern unter
Abwägung der Interessen der normalerweise beteiligten
Verkehrskreise verstanden wird, wobei die
Verständnismöglichkeiten des durchschnittlichen Vertragspartners
des Verwenders zu Grunde zu legen sind.

Ansatzpunkt für die Auslegung allgemeiner Geschäftsbedingungen


ist in erster Linie der Vertragswortlaut. Von Bedeutung für das
Auslegungsergebnis können ferner der von den Vertragsparteien
verfolgte Regelungszweck sowie die der jeweils anderen Seite
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erkennbare Interessenlage der Beteiligten sein ...“
BAG 22.09.2010 – 4 AZR 98/09 – nv
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Die „alten“ Auslegungsregeln

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Früher (also ungefähr bis zum Ende des letzten Jahrhunderts) gab es drei
Auslegungsregeln:

(1) Bezugnahmen auf den Tarifvertrag sind im Regelfall als


dynamische Bezugnahmen zu verstehen;
(2) Dynamische Bezugnahmen sind im Regelfall als
Gleichstellungsabrede zu verstehen.
(3) Bezugnahmeklauseln in Arbeitsverträgen tarifgebundener
Arbeitnehmer haben nur „deklaratorische“ Bedeutung (= nicht
sinntragendes nutzloses Beiwerk im Vertragstext)

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Die „neuen“ Auslegungsregeln


In den letzten 10 Jahren sind daraus fünf Auslegungsregeln geworden:

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(1) Bezugnahmen auf den Tarifvertrag sind im Regelfall als
dynamische Bezugnahmen zu verstehen (wie bisher);
(2) Dynamische Bezugnahmen sind im Regelfall nicht als
Gleichstellungsabrede zu verstehen (völlig verändert);
(3) Dynamische Bezugnahmen sind nur noch dann
Gleichstellungsabreden, wenn sie in Altverträgen (Abschluss
vor 2002) vorkommen (Übergangsregelung);
(4) Dynamische Bezugnahmen sind im Zweifel nicht als
Tarifwechselklauseln zu verstehen (ganz neue Regel).
(5) Dynamische Bezugnahmeklauseln sind auch dann ernst zu 17
nehmen, wenn sie im Arbeitsvertrag tarifgebundener
Arbeitnehmer vorkommen (völlig verändert).
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Die Haupteffekte der neuen Auslegungsregeln


Die neuen Auslegungsregeln haben drei Haupteffekte:

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(1) Die dynamische Bezugnahmeklausel wird heute im
Regelfall als eine echte ernst gemeinte „unbedingte“
Anbindung an den Tarifvertrag verstanden, die
unabhängig von der eigenen Tarifbindung des
Arbeitgebers ist und die Potential für eine
„Ewigkeitsgarantie“ (Henssler) hat;
(2) Diese Grundregel gilt auch für Arbeitsverträge von
tarifgebundenen Arbeitnehmern;
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(3) Die aus der Sicht der Arbeitnehmer häufig völlig
unkalkulierbare Tarifwechselklausel wird klein geredet.
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Der Problemfall: Die unsauber formulierte


kleine dynamische Bezugnahmeklausel

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„Nicht verbandlich organisierte Arbeitgeber sollten die
Verwendung kleiner dynamischer Klauseln daher unbedingt
vermeiden. Sie entziehen dem Arbeitgeber nahezu jede
Möglichkeit, sich von der Tarifentwicklung abzukoppeln und
wirken damit rigider als die Verbandsmitgliedschaft selbst.
Aus anwaltlicher Sicht wäre eine entsprechende Gestaltung
der Bezugnahmeklausel regelmäßig ein grober
Beratungungsfehler gegenüber dem Arbeitgeber.“
Prof. Dr. Henssler in: FS Wissmann 2005, 133 (134).
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Alles ist Gleichstellungsabrede (alte Sicht)


BAG 26.09.2001 – 4 AZR 544/00
Sachverhalt: Die Arbeitnehmerin ist Angestellte in der

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Wohnungswirtschaft. Ihre Arbeitgeberin war lange Jahre tarifgebunden.
Im Arbeitsvertrag heißt es demnach auch: „Soweit nicht abweichend
geregelt, gelten … die tarifvertraglichen Bestimmungen für die
Angestellten in der Wohnungswirtschaft … in der jeweils geltenden
Fassung …“ – Arbeitgeber tritt zu Ende 1998 aus dem Arbeitgeberverband
aus und gibt die Tariferhöhung 1999 daher nicht mehr weiter. –
Arbeitnehmerin klagt diese ein und verliert vor dem BAG.
Kernsatz: „*26+ Eine dynamische Bezugnahmeklausel auf die
einschlägigen Tarifverträge in einem vom tarifgebundenen Arbeitgeber
vorformulierten Vertrag ist typischerweise als Gleichstellungsabrede zu
verstehen. Eine abweichende Auslegung der Klausel als "feste"
Bezugnahme in dem Sinne, daß die Anwendbarkeit der Tarifverträge in der
jeweiligen Fassung unabhängig von für deren normative Geltung
relevanten Veränderungen erfolgen soll, ist nur gerechtfertigt, wenn das
in der Vereinbarung seinen Ausdruck gefunden hat oder sonstige 20
Umstände dafür sprechen.“
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Alles ist Gleichstellungsabrede (alte Sicht)

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Ist der Arbeitgeber tarifgebunden, wurde die dynamische
Bezugnahmeklausel früher immer als eine sog.
Gleichstellungsabrede angesehen. – Bessere Bezeichnung:
Widerspiegelungszweck der Bezugnahmeklausel.
Der Arbeitnehmer sollte also immer so gestellt werden, wie
die Arbeitnehmer, die der direkten Tarifbindung kraft
Mitgliedschaft unterliegen. Die Klausel sollte letztlich nur die
fehlende Tarifbindung des Arbeitnehmers ersetzen.
Diese Sichtweise ist durch das BAG mit der Entscheidung vom
14.12.2005 (4 AZR 536/04) aufgegeben worden und wird aus
Vertrauensschutzgesichtspunkten nur noch auf 21
Arbeitsverträge angewendet, die vor dem 1. Januar 2002
abgeschlossen wurden.
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Gleichstellungsabrede
„Eine arbeitsvertragliche Klausel, die ihrem Wortlaut nach ohne

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Einschränkung auf bestimmte Tarifverträge eines konkret bezeichneten
Gewerbes in ihrer jeweiligen Fassung verweist, ist im Regelfall
dahingehend auszulegen, dass die Tarifverträge gerade dieses Gewerbes
in der jeweiligen Fassung zur Anwendung kommen sollen und dass diese
Anwendung nicht von Faktoren abhängt, die nicht im Vertrag genannt
oder sonst für beide Parteien in vergleichbarer Weise ersichtlich zur
Voraussetzung gemacht worden sind.

Etwaige Motive der Erklärenden haben außer Betracht zu bleiben, soweit


sie nicht im Wortlaut oder in sonstiger, für die Gegenseite hinreichend
deutlich erkennbarer Weise ihren Niederschlag gefunden haben. Kommt
der Wille des Erklärenden nicht oder nicht vollständig zum Ausdruck,
gehört dies zu dessen Risikobereich.“ 22
BAG 22.09.2010 – 4 AZR 98/09 – nv
BAG 18.04.2007 – 4 AZR 652/05 – und BAG 14.12.2005 – 4 AZR 536/04
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Keine Gleichstellungsabrede bei Verweis auf


örtlich fremden Tarifvertrag

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BAG 21.10.2009 - 4 AZR 396/08
Sachverhalt: Bundesweit tätiges Unternehmen mit Sitz in Hessen
vereinbart mit einem Arbeitnehmer für einen Betrieb in NRW:
„Alle weiteren, das Arbeitsverhältnis betreffenden Punkte richten sich
nach den jeweils gültigen Bestimmungen des Tarifvertrages der
Hessischen Metallindustrie.“
Später tritt Arbeitgeber aus dem Arbeitgeberverband aus. Arbeitnehmer
klagt Tariferhöhungen ein.
BAG: Der Arbeitnehmer hat Recht bekommen. – Zitat: Eine
„Gleichstellung“ mit Arbeitnehmern, die unter tariflichen Bedingungen
beschäftigt sind, die für den Beschäftigungsbetrieb des Arbeitgebers auch
bei beiderseitiger Tarifgebundenheit keine Geltung beanspruchen, ist
keine Gleichstellung mehr, sondern eine konstitutive Verweisung auf die
tariflichen Arbeitsbedingungen in betriebsfremden Arbeitsverhältnissen, 23
die das „Privileg“ der Auslegung als Gleichstellungsabrede für sich nicht in
Anspruch nehmen kann.
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Im Zweifel ist es keine Tarifwechselklausel (1)


BAG 30.08.2000 – 4 AZR 581/99:
Sachverhalt: Alt-Arbeitgeber hat Klinik betrieben und war an TV

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Privatkrankenanstalten gebunden. Arbeitnehmerin ist Küchenhilfe. Im
Arbeitsvertrag heißt es: „Im übrigen gelten für das Arbeitsverhältnis der
Tarifvertrag für Arbeiter in Privatkrankenanstalten vom 11.12.89 und die
diesen Tarifvertrag ergänzenden, ändernden oder ersetzenden
Tarifverträge.“
Alt-Arbeitgeber gliedert die Kantine aus. Betriebserwerber ist der Neu-
Arbeitgeber, der schon immer Mitglied in der Hotel- und
Gaststätteninnung Berlin und Umgebung e.V. war. Neuarbeitgeber bezahlt
Arbeitnehmerin nur noch nach Hotel- und Gaststättentarif. Dadurch sinkt
das Einkommen der Klägerin von rund 4.000 DM auf rund 2.000 DM
brutto monatlich (!). – Die Arbeitnehmerin verlangt Fortführung der alten
Vergütung.
Gründe: Die Klage war erfolgreich.
• Keine Entgeltreduzierung durch Bezugnahmeklausel, da es keine 24
Tarifwechselklausel sei.
• Keine Entgeltreduzierung nach § 613a Absatz 1 Satz 3 BGB, da keine
kongruente Tarifbindung vorliege.
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BAG 30.08.2000 – 4 AZR 581/99


Textauszug zur Tarifwechselklausel:
„*21+ Regelmäßig erschöpft sich der Gehalt einer auf einen bestimmten

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Tarifvertrag oder ein bestimmtes Tarifvertragswerk verweisenden
Gleichstellungsvereinbarung darin, daß das Arbeitsverhältnis den
genannten Tarifverträgen in der jeweils gültigen Fassung einschließlich
etwaiger Ergänzungen unterstellt wird, soweit und solange der
Arbeitgeber daran gebunden ist.
Dagegen ist mit einer Gleichstellungsabrede als solcher nicht zwingend
die Rechtsfolge eines Tarifwechsels verbunden, wenn der Arbeitgeber
durch Änderung des Betriebszwecks, sei es mit oder ohne
rechtsgeschäftlichen Übergang eines Betriebes oder Betriebsteiles, die
zwingende und unmittelbare Geltung des bisherigen Tarifvertrages
beendet … und einem nunmehr für ihn fachlich zuständigen Verband
beitritt, der seinerseits einen "einschlägigen" Tarifvertrag abgeschlossen
hat. Denn der neue Tarifvertrag gilt in diesen Fällen auch für 25
gewerkschaftlich organisierte Arbeitnehmer nicht, wenn keine
kongruente Tarifgebundenheit besteht.“
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Im Zweifel ist es keine Tarifwechselklausel (2)


Sachverhalt: Arbeitgeber (Kindereinrichtung) war früher Mitglied im KAV.
Im Arbeitsverhältnis zur Klägerin gibt es eine dynamische Bezugnahme

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auf den BAT („Das Arbeitsverhältnis bestimmt sich nach dem BAT-O … und
den diesen ergänzenden, ändernden oder ersetzenden Tarifverträgen
sowie nach den für Angestellte des Arbeitgebers im Gebiet nach Art. 3 des
Einigungsvertrages jeweils geltenden sonstigen Regelungen“). Später
wechselt der Arbeitgeber zu einem Verband (PATT), der mit einer Nicht-
DGB-Gewerkschaft Tarifverträge abschließt. Arbeitgeber rechnet jetzt
nach PATT-Tarif ab. Arbeitnehmerin klagt die Differenz ein und gewinnt
beim BAG.
BAG 22.10.2008 (4 AZR 784/07): „ Die Bezugnahme auf das Tarifwerk
einer bestimmten Branche kann über ihren Wortlaut hinaus nur dann als
große dynamische Verweisung - Bezugnahme auf den jeweils für den
26
Betrieb fachlich bzw. betrieblich geltenden Tarifvertrag - ausgelegt
werden, wenn sich dies aus besonderen Umständen ergibt“
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Weitere ergänzende Auslegungsregeln

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Zu den vorgestellten 5 Auslegungsregeln gibt es zwei weitere
Ergänzungen.
(1) Im Falle der Tarifsukzession (z.B. BAT wird durch TVöD abgelöst)
kann man, wenn in der Bezugnahmeklausel die Wendung „…
oder die diese ersetzenden Tarifverträge“ fehlt, im Wege der
ergänzenden Vertragsauslegung diesen fehlenden Klauselteil
fiktiv einbauen.
(2) Verweist die Klausel nur auf Branchentarife besteht die
Neigung, einen späteren FirmenTV mit der Gewerkschaft des
BranchenTV als davon erfasst anzusehen.
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Anwendung der dynamischen Klausel-Typen


auf typische Problemlagen

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Es geht um
• Verbandaustritt / Verbandswechsel
• Betriebsübergang
• Bezugnahme auf Branche und
(schlechterer) FirmenTV
• Mehrfache Tarifbindung des Arbeitgebers 28
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Bezugnahmeklauseln und Verbandsaustritt

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Hier kurz der Überblick
(1) Bei statischer Verweisung ändert sich nach dem
Verbandsaustritt nichts. Es bleibt bei der Verweisung auf den
TV;
(2) Bei Gleichstellungsabrede bleibt es bei dem zuletzt gültigen
Tarifwerk; die Dynamik fällt weg; das selbe gilt für die
Tarifwechselklausel;
(3) Bei „unbedingter Dynamik“ wirkt sich der Verbandsaustritt
nicht aus. Die Dynamik bleibt erhalten; 29
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Verbandsaustritt – Was gilt gegenüber


Gewerkschaftsmitgliedern?

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Wenn im Arbeitsverhältnis bisher direkte Tarifbindung
gegeben war, gilt nach dem Verbandsaustritt Folgendes:
• Der Arbeitgeber bleibt an alle Tarifverträge, die während
oder vor seiner Mitgliedschaft abgeschlossen wurden
unmittelbar und zwingend gebunden (sog. Nachgeltung
nach § Absatz 3 TVG).
• Gehen diese Tarifverträge durch Neuabschluss o.ä. unter,
gelten sie (auf ewig) im Wege der Nachwirkung (§ 4
Absatz 5 TVG) im Arbeitsverhältnis weiter.
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Verbandsaustritt bei Gleichstellungsabrede

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BAG 19.03.2003 – 4 AZR 331/02 – NZA 2003, 1207
Vorgehend ArbG Stralsund, 18.12.2001 – 4 Ca 418/01
Vorgehend Landesarbeitsgericht MV 15.04.2002 – 2 Sa 48/02
Sachverhalt: Kommunale Klinik mit eigener Rechtspersönlichkeit,
Mitglied im KAV, stellt Krankenpfleger ein mit dynamischer
Bezugnahmeklausel im Arbeitsvertrag. Später tritt Arbeitgeber aus dem
Arbeitgeberverband aus. Arbeitnehmer klagt die nächsten
Gehaltserhöhungen nach BAT ein.
Gründe: Das BAG hat dem Kläger nicht Recht gegeben (anders noch die
Vorinstanzen). Die Bezugnahme habe zwar nicht nur deklaratorische
Bedeutung, sie habe aber nur den Sinn der Gleichstellung. Da auch 31
Gewerkschaftsmitglieder nicht mehr an der Tarifentwicklung teilnehmen,
gelte das auch für Außenseiter mit Bezugnahmeklausel.
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Verbandsaustritt und „unbedingte“ dynamische Bezugnahme


BAG 18.04.2007 - 4 AZR 652/05 – NZA 2007, 965
Sachverhalt: Arbeitgeber ist ein DRK-Kreisverband, der Mitglied in der DRK-

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Tarifgemeinschaft ist. Arbeitnehmerin ist Mitglied ver.di. Ver.di und die
Tarifgemeinschaft DRK schließen regelmäßig Tarifverträge. Im Arbeitsvertrag der
Parteien – zuletzt neu aufgesetzt 2002 – werden die Tarifverträge der DRK-
Tarifgemeinschaft in Bezug genommen. Der Arbeitgeber tritt zum 31.03.2003 aus
der Tarifgemeinschaft aus. Im Herbst einigt man sich dort (mal wieder) auf die
Übernahme der Entgelterhöhungen aus dem BAT-Bereich. – Arbeitgeber will nicht
mehr erhöhen, da er ja ausgetreten sei. Klägerin klagt Differenzlohn ein und
gewinnt beim BAG.
Leitsatz: Eine einzelvertraglich vereinbarte dynamische Bezugnahme auf einen
bestimmten Tarifvertrag ist jedenfalls dann, wenn eine Tarifgebundenheit des
Arbeitgebers an den in Bezug genommenen Tarifvertrag nicht in einer für den
Arbeitnehmer erkennbaren Weise zur auflösenden Bedingung der Vereinbarung
gemacht worden ist, eine konstitutive Verweisungsklausel, die durch einen 32
Verbandsaustritt des Arbeitgebers oder einen sonstigen Wegfall seiner
Tarifgebundenheit nicht berührt wird (“unbedingte zeitdynamische Verweisung”).
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Verbandsaustritt und „unbedingte“ Bezugnahme – Beispiel 2


BAG 22.10.2008 – 4 AZR 793/07 –

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Der Fall: Der Altarbeitgeber war nicht tarifgebunden. Der
Arbeitsvertrag sieht vor: „Auf das Arbeitsverhältnis finden die
jeweils geltenden tariflichen Bestimmungen für die
metallverarbeitenden Industrie im Lande NRW Anwendung.“ – Der
Neuarbeitgeber nach Betriebsübergang war zunächst
tarifgebunden und will nach seinem Verbandsaustritt 2005 die
Bezugnahmeklausel daher für sich als bloße Gleichstellungsabrede
ansehen.
Gründe: Das BAG hat dem Arbeitnehmer Recht gegeben. Die
ursprüngliche Klausel sei – schon nach alter Rechtsprechung (!) –
als konstitutive Verweisung anzusehen, da der Vorarbeitgeber
nicht tarifgebunden gewesen sei. Daran habe sich durch die 33
Tarifbindung des Neuarbeitgebers nichts geändert.
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Bezugnahmeklausel und Verbandsaustritt – Das


Hochreckturnen

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BAG 22.04.2009 – 4 ABR 14/08 – NZA 2009, 1286
Der Fall: Der Betrieb ist eine Klinik, die ehemals von der LVA betrieben
wurde. 1999 ist die Klink nach § 613a BGB auf die Arbeitgeberin
übergegangen. In einem Personalüberleitungsvertrag (PÜV) dazu hat sich
die Arbeitgeberin verpflichtet, BAT (VkA) auf die Arbeitsverhältnisse
anzuwenden. Arbeitgeberin ist dann 1999 in den KAV eingetreten und
zum Ende 2004 wieder ausgetreten. Zwischen 1999 und 2004 neu
eingetretene Arbeitnehmer haben im Arbeitsvertrag eine Bezugnahme
auf BAT (VkA) und den diesen ergänzenden, ändernden oder ersetzenden
Tarifverträgen stehen.
Gegen Ende 2005 kommt der Betriebsrat und verlangt von der
Arbeitgeberin, ihn bei der anstehenden Überleitung in den TVöD (VkA) –
Stichtag ist Oktober 2005 – zu beteiligen.
Wird der Betriebsrat beim BAG Recht bekommen haben?
34
Verweisen statt selber regeln – Bezugnahme auf Tarifvertrag im Arbeitsvertrag

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Problem Klausel-Typen Auslegung Rechtsfolgen Formulierungskünste

Bezugnahmeklausel und Verbandsaustritt – Das


Hochreckturnen

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Das Hochreckturnen – Die Lösung:
Die Vorinstanzen haben den Antrag des Betriebsrats zurückgewiesen, da nicht
erkennbar sei, wie es zur Geltung des TVöD gekommen sein sollte. Das BAG
sagt, alles falsch und weist zurück.
• Für die Arbeitnehmer, die zwischen Januar 2002 und Ende 2004 neu
eingetreten sind, gelte TVöD schon aufgrund der Bezugnahmeklausel, da
der TVöD den BAT „ersetze“ („Tarifsukzession“).
• Für die vor 1999 eingestellten Arbeitnehmer müsse man erst mal prüfen,
wie deren Bezugnahmeklausel auszulegen sei, da nicht selbstverständlich
sei, dass die LVA als Vorarbeitgeber unmittelbar an Tarifverträge
gebunden sei. Die entsprechende Tarifgemeinschaft gebe es jedenfalls
erst sei 1983.
• Und auch die Arbeitnehmer, die unter den Personalüberleitungsvertrag
(PÜV) fallen, könnten sich noch Hoffnungen machen (dazu nächste Folie)
35
Verweisen statt selber regeln – Bezugnahme auf Tarifvertrag im Arbeitsvertrag

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Bezugnahmeklausel und Verbandsaustritt – Das


Hochreckturnen

3. STRALSUNDER ARBEITSRECHTSTAGE MAI 2011


Die Lösung (Fortsetzung): Was gilt für die Arbeitnehmer, die 1999 vom
PÜV begleitet übernommen wurden?
• Es sei ja richtig, dass der PÜV nicht bindend die Geltung des BAT „und
den sie ergänzenden, ändernden oder ersetzenden Tarifverträgen“
vorschreiben könne, da das ein unzulässiger Vertrag zu Lasten Dritter
sei, da ja die Tarifentwicklung auch mal zum Schlechteren ausschlagen
könne.
• Aber: Man könne den PÜV ja auch dahin verstehen, dass er dem
Arbeitnehmer nur die Option gebe, sich freiwillig an die erwähnten
Tarifverträge zu binden. Das sei zulässig und sei hier möglicherweise
auch konkludent erfolgt; daher müsse man die PÜV-Klausel näher
auslegen.
• Außerdem solle das LAG prüfen, ob nicht durch die Umgruppierungen
1999 auf den BAT (VkA) eine betriebliche Übung auf Anwendung des 36
BAT entstanden sei (diese müsse dann näher darauf untersucht
werden, ob sie im Sinne einer Gleichstellung oder im Sinne einer
echten Bindung zu verstehen sei).
Verweisen statt selber regeln – Bezugnahme auf Tarifvertrag im Arbeitsvertrag

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Bezugnahmeklausel und Betriebsübergang

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Gang der Darstellung
• Verhältnisse bei direkter Tarifbindung des Arbeitnehmers
• Verhältnisse bei Inbezugnahme des Tarifwerks

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Betriebsübergang bei kollektiver Tarifbindung


• Ist der Betriebserwerber (Neuarbeitgeber) an das selbe Tarifwerk

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gebunden wie der Betriebsveräußerer (Altarbeitgeber), ändern sich
die Arbeitsbedingungen des Arbeitnehmers mit direkter Tarifgeltung
kraft Mitgliedschaft gar nicht. – Das ergibt sich aus Tarifvertragsrecht
und hat mit § 613a Absatz 1 BGB nichts zu tun (BAG 29.08.2001 – 4
AZR 332/00).
• Ist der neue Arbeitgeber an andere Tarifverträge gebunden, die aber
auch von der Gewerkschaft des Arbeitnehmers abgeschlossen wurden
(sog. kongruente Tarifbindung), gelten die Arbeitsbedingungen aus
den neuen Tarifverträgen unmittelbar und sofort nach dem BÜ (§
613a Absatz 1 Satz 3 BGB) und zwar unabhängig davon, ob sie besser
oder schlechter sind.
• In allen andere Fällen gilt das Tarifrecht aus der Zeit beim
38
Altarbeitgebers als Vertragsrecht weiter (§ 613a Absatz 1 Satz 2 BGB).
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Betriebsübergang bei Bezugnahme auf TV

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Vorab wieder der Überblick
(1) Bei statischer Verweisung auf einen TV bleibt es bei der
Geltung dieses TV; TV-Konflikte werden nach dem
Günstigkeitsprinzip entschieden.
(2) Bei echter Gleichstellungsabrede gelten die alten Tarifrechte
weiter, eingefroren auf den Zeitpunkt des BÜ.
(3) Bei echter kleiner dynamischer Verweisung bleibt die
dynamische Bindung an das verabredete Tarifwerk bestehen.
TV-Konflikte sind nach dem Günstigkeitsprinzip aufzulösen.
(4) Bei einer Tarifwechselklausel hört die Geltung der alten TV auf
39
und es gelten nur noch die neuen Tarifverträge.
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Betriebsübergang mit Branchenwechsel


BAG 29.08.2007 – 4 AZR 767/06
Sachverhalt: Arbeitnehmerin ist als Reinigungskraft 1972 in die

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städtischen Klinik (seinerzeit tarifgebunden) eingetreten. Die
Bezugnahmeklausel lautet:
„Das Arbeitsverhältnis richtet sich nach … BMT-G II … in der
jeweils geltenden Fassung. Das gleiche gilt für die an [dessen]
Stelle tretenden Tarifverträge. Daneben finden die für den
Bereich des Arbeitgebers jeweils in Kraft befindlichen
sonstigen Tarifverträge Anwendung …”
Später tritt Arbeitnehmerin ver.di bei. Noch später wird die
Reinigungsabteilung an ein Unternehmen des Reinigungsgewerbes
im Wege eines Betriebsteilübergangs abgegeben. Dort gilt ein
(schlechterer) allgemeinverbindlicher Tarifvertrag, nachdem 40
nunmehr abgerechnet wird. Arbeitnehmerin verlangt Fortzahlung
BMT-G und bekommt beim BAG Recht.
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BAG 29.08.2007 – 4 AZR 767/06 – Lösung


BAG sagt,
(1) Bezugnahmeklausel sei keine Tarifwechselklausel (nichts

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Neues), sie verweise daher auch nach BÜ auf BMT-G
(allerdings nur noch statisch, da der neue Arbeitgeber nicht
mehr an BMT-G gebunden, es ist ja eine
Gleichstellungsabrede).
(2) Widersprüche zwischen Gebäudereiniger TV (AV) und BMT-G
müssten nach Günstigkeitsprinzip geklärt werden, da keine
Konkurrenz auf normativer Ebene;
(3) Eine analoge Anwendung von § 613a Absatz 1 Satz 3 BGB
scheide aus; diese Vorschrift könne nur für ehemals normativ
wirkende Normen gelten.
(4) An allem ändere sich nichts dadurch, dass die Klägerin kurz vor 41
dem BÜ in die Gewerkschaft ver.di eingetreten sei.
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Bezugnahme auf Branche und schlechterer


Firmentarifvertrag

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Insbesondere nicht tarifgebundene Arbeitgeber beziehen sich in
den Bezugnahmeklauseln häufig auf die Branchentarifverträge.
Heute, wo man dem Wortlaut wieder mehr Bedeutung beimisst,
stellt sich dann die Frage, ob spätere Firmentarifverträge (z.B.
Sanierungstarifverträge) von der Bezugnahmeklausel überhaupt
erfasst werden.
Auch hier hat sich der Standpunkt der Rechtsprechung geändert.

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Bezugnahme auf Branche und schlechterer FirmenTV (1)


BAG 23.03.2005 – 4 AZR 203/04 – NZA 2005, 1003

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(dazu: Bepler, FS AG Arbeitsrecht Anwaltverein 2005, S. 791)

Sachverhalt: Arbeitgeber und Arbeitnehmer sind nicht tarifgebunden. Im


Arbeitsvertrag gibt es eine dynamische Verweisung auf das
Branchentarifwerk, das auch allgemeinverbindlich ist (AV).
Arbeitgeber schließt in der Krise mit Gewerkschaft einen SanierungsTV
mit Verzicht auf Sonderzahlung (Weihnachtsgeld). Die klagt
Arbeitnehmer mit Verweis auf seine Bezugnahmeklausel und AV ein.
Gründe: Das BAG hat dem Arbeitnehmer nicht Recht gegeben. Es hat
gesagt, der (schlechtere) FirmenTV verdränge als der speziellere TV den
FlächenTV. – Aus der Bezugnahme auf den BranchenTV ergebe sich nichts
anderes. Die Bezugnahme sei so auszulegen, dass sie sich auch auf den 43
FirmenTV beziehe und die Konkurrenz der beiden in Bezug genommenen
Tarifverträge sei nach Tarifkonkurrenzregeln zu lösen (!).
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Bezugnahme auf Branche und schlechterer FirmenTV (2)


BAG 07.07.2010 - 4 AZR 1023/08 - NZA-RR 2011, 30

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Sachverhalt: AN ist ver.di Mitglied. Altarbeitgeber hatte
(billigen) FirmenTV mit ver.di (Stundenlohn 8,00 Euro). In
der Branche gilt zusätzlich ein allgemeinverbindlicher
FlächenTV von ver.di (Bewachungsgewerbe Hamburg mit
Stundenlohn 8,30 Euro). – Der Betrieb geht nach § 613a
BGB auf den Neuarbeitgeber über, der nicht tarifgebunden
ist.
Der Arbeitnehmer klagt auf Lohn nach
allgemeinverbindlichem FlächenTV. Arbeitgeber sagt,
FirmenTV gilt nach § 613a Absatz 1 Satz 2 BGB weiter und
geht als speziellerer TV vor. Er hat vor dem BAG Recht 44
bekommen.
Verweisen statt selber regeln – Bezugnahme auf Tarifvertrag im Arbeitsvertrag

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BAG 07.07.2010 - 4 AZR 1023/08 – Die Lösung


Gründe: Das BAG sagt, die Regelungen des FirmenTV gehen

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nicht nach § 613a Absatz 1 Satz 2 BGB auf Neuarbeitgeber
über, da dort anderer TV gilt und daher § 613a Satz 3 BGB
greife. – Eine eventuell gegebene Bezugnahmeklausel
ergebe nichts anderes, da diese allenfalls zur vertraglichen
Geltung des FirmenTV führe und der FlächenTV daher als
stärkere Rechtsquelle vorgehe.

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Verweisen statt selber regeln – Bezugnahme auf Tarifvertrag im Arbeitsvertrag

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Tarifpluralität und Bezugnahmeklausel


BAG 22.10.2008 – 4 AZR 784/07 – Auflösung nach

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Günstigkeitsprinzip oder nach Tarifkonkurrenzregeln? (dazu auch
schon oben)
Sachverhalt: Arbeitgeber (Kindereinrichtung) war früher Mitglied
im KAV. Im Arbeitsverhältnis zur Klägerin gibt es eine dynamische
Bezugnahme auf den BAT. Später wechselt der Arbeitgeber zu
einem Verband (PATT), der mit einer Nicht-DGB-Gewerkschaft
Tarifverträge abschließt. Im Eintrittsjahr bei PATT war der
Arbeitgeber gleichzeitig an BAT-O gebunden (Nachgeltung nach § 3
Absatz 3 TVG) und an PATT-Tarifverträge. Wie wirkt sich das auf die
Bezugnahmeklausel aus?
46
Verweisen statt selber regeln – Bezugnahme auf Tarifvertrag im Arbeitsvertrag

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BAG 22.10.2008 – 4 AZR 784/07 – Die Lösung

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Gründe: BAG sagt, Vertrag verweist nach wie vor auf BAT-O, da die
Bezugnahmeklausel keine Tarifwechselklausel sei (s.o.) – Im
Verhältnis des schuldrechtlich geltenden BAT-O und des normativ
geltenden PATT-TV wären auch nicht die Regeln der
Tarifkonkurrenz anwendbar, sondern allein das Günstigkeitsprinzip
aus § 4 Absatz 3 TVG.

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Tarifsukzession (Folie 1 von 4)

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Unter Tarifsukzession versteht man die Ablösung eines
Tarifwerkes, das Tarifvertragspartner geschaffen haben durch ein
neues Tarifwerk. Prominentestes Beispiel aus der jüngeren
Vergangenheit ist die Ablösung des BAT / BAT-O durch die
Tarifwerke TVöD und TV-L (2005 bzw. 2006).

Die verschiedenen Bezugnahmeklauseln wirken sich im Falle einer


Tarifsukzession unterschiedlich aus.
48
Verweisen statt selber regeln – Bezugnahme auf Tarifvertrag im Arbeitsvertrag

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Tarifsukzession (Folie 2 von 4)

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(1) Liegt eine statische Bezugnahme vor, hat die Tarifsukzession
keine Auswirkungen, es gilt weiter der konkret in Bezug
genommene Tarifvertrag (und zwar auch dann, wenn er
untergegangen ist).
(2) Die Gleichstellungsabrede und sogar die Tarifwechselklausel
verweisen unproblematisch auf das neue Tarifwerk
(3) Allein die „unbedingte“ dynamische Verweisung auf ein
Tarifwerk könnte Probleme bereiten, da eben BAT nicht gleich
TVöD 49
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Tarifsukzession (Folie 3 von 4)

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Im Falle der Tarifsukzession kommt aber eine ergänzende
Vertragsauslegung in Betracht, wenn es wegen des Untergangs des
alten Tarifwerks an einer weiteren lebendigen Entwicklung des
Arbeitsverhältnisses auf Basis der Bezugnahmeklausel fehlt.
So inzwischen ständige Rechtsprechung des BAG für die Ablösung
des BAT durch die Folgetarifwerke.
Grundlegend: BAG 19. Mai 2010 – 4 AZR 796/08
50
Verweisen statt selber regeln – Bezugnahme auf Tarifvertrag im Arbeitsvertrag

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Tarifsukzession (Folie 4 von 4)


Ungeklärt ist aber nach wie vor das Problem, wie ermittelt werden

3. STRALSUNDER ARBEITSRECHTSTAGE MAI 2011


soll, welches von verschiedenen neuen Tarifwerken jetzt von der
Bezugnahmeklausel erfasst werden soll. Konflikte bereiten
insbesondere die Ärzte, denn der BAT ist nicht nur durch den TV-L
und den TVöD abgelöst worden, sondern auch durch die
Tarifverträge, die der Marburger Bund für die Ärzte abgeschlossen
hat (TV Ärzte Uni-Kliniken und TV Ärzte VkA).
Das BAG hat mal beiläufig gesagt, wegen des Zwecks Bezugnahme,
die Arbeitsbedingungen zu vereinheitlichen, spreche viel dafür,
dass im Rahmen der ergänzenden Vertragsauslegung beim
umfassenden TRV-L oder TVöD lande (zweifelhaft).
BAG 25.08.2010 – 4 AZR 14/09 51
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Die Kunst der richtigen Formulierung

3. STRALSUNDER ARBEITSRECHTSTAGE MAI 2011


Da die hauptsächliche Änderung in der Rechtsprechung die
Auslegung üblicher Bezugnahme-Klauseln betrifft, besteht die
Chance, durch genaue Formulierung der Bezugnahme
sicherzustellen, dass auch nur das eintritt, was man damit gewollt
hat.
Dazu gibt es reichlich Anschaungsmaterial in der Literatur. Das
Thema kann und soll hier nicht erschöpfend behandelt werden.
Alle Formulierungsversuche haben eine Gemeinsamkeit: Die
Formulierungen werden länger und – für Nicht-Juristen – deutlich
schwerer zu verstehen.
52
Verweisen statt selber regeln – Bezugnahme auf Tarifvertrag im Arbeitsvertrag

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Hebe das Ziel und nicht das Mittel hervor

3. STRALSUNDER ARBEITSRECHTSTAGE MAI 2011


Schon bei der Begriffsbildung sollte man darauf
achten, dass das Ziel (Bindung) und das Mittel
(Bezugnahme) hervorgehoben wird.
Sofern man Einschränkungen zur Bindung
vereinbaren will, sollte man von Vorbehalten reden.
Dadurch erreicht man eine Begriffswelt, die in sich
konsistent ist und das Gewollte klar zum Ausdruck
bringt. 53
Verweisen statt selber regeln – Bezugnahme auf Tarifvertrag im Arbeitsvertrag

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Statische Bindung an einen Tarifvertrag

3. STRALSUNDER ARBEITSRECHTSTAGE MAI 2011


Am wenigsten Sorge bereiten statische Verweisungen („statische
Bindungsklausel“). Die bisherigen Standards können beibehalten
werden.
Beispiele:
• „Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet ergänzend
der Entgelttarifvertrag für den Einzelhandel in
Mecklenburg-Vorpommern in der Fassung vom [Datum]
Anwendung.“
• „Die Vergütung richtet sich nach dem Tarifvertrag
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Metallgewerbe Mecklenburg-Vorpommern mit Stand April
2011.“
Verweisen statt selber regeln – Bezugnahme auf Tarifvertrag im Arbeitsvertrag

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Bindung an bestimmte Tarifwerke

3. STRALSUNDER ARBEITSRECHTSTAGE MAI 2011


Auch der Klausel-Typ der echten („unbedingten“) dynamischen
Verweisung – ich würde ihn „Klausel zur Bindung an ein Tarifwerk“
nennen – ist nicht problematisch, es kann bei den alten eingeführten
Formulierungen verbleiben.
Beispiele:
• „Es gilt der Tarifvertrag XY in seiner jeweiligen Fassung“
• „Auf das Arbeitsverhältnis wird der TVöD in seiner jeweils
gültigen Fassung einschließlich der dazu gehörenden
Entgelttarifverträge und der sonstigen diesen Tarifvertrag
ergänzenden Tarifverträge angewendet.“
• „Im übrigen gilt das Tarifwerk, das der Arbeitgeberverband X
und die Gewerkschaft Y für die A-Branche der Tarifregion C 55
verabredet haben in der jeweils aktuellen Fassung.“
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Bindung an Tarifwerk einschließlich


„ersetzender Tarifverträge“

3. STRALSUNDER ARBEITSRECHTSTAGE MAI 2011


Bei echten dynamischen Verweisungen (Bindungen an bestimmte
Tarifwerke) besteht aus Arbeitnehmersicht gelegentlich auch noch
der Wunsch, sich für den Fall abzusichern, dass ein Tarifwerk
untergeht und durch ein neues ersetzt wird (Beispiel: Ablösung des
BAT durch den TVöD bzw. den TV-L)

„Auf das Arbeitsverhältnis wird der TVöD in seiner jeweils


gültigen Fassung einschließlich der dazu gehörenden
Entgelttarifverträge und der sonstigen diesen Tarifvertrag
ergänzenden Tarifverträge angewendet sowie die
Tarifverträge, die zukünftig einmal den TVöD und die 56
weiteren hier in Bezug genommenen Tarifverträge ersetzen
werden.“
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Bindung an Tarifwerk, solange Arbeitgeber


daran gebunden ist

3. STRALSUNDER ARBEITSRECHTSTAGE MAI 2011


Das ist das, was man landläufig als Gleichstellungsabrede
bezeichnet. Hier ist auch eine Bindung an ein bestimmtes Tarifwerk
gewollt, sie steht aber unter dem Vorbehalt der weiteren
Tarifbindung des Arbeitgebers.
Hierzu gibt es jede Menge Formulierungsvorschläge in der
Literatur. Ich greif nur mal exemplarisch ein paar wenige heraus.

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Verweisen statt selber regeln – Bezugnahme auf Tarifvertrag im Arbeitsvertrag

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Gleichstellungsabrede (Bauer / Günther)


Jobst-Hubertus Bauer und Jens Günther schlagen vor (NZA 2008, 6, 7):

3. STRALSUNDER ARBEITSRECHTSTAGE MAI 2011


„ Im Übrigen gilt der Tarifvertrag XY, an den der Arbeitgeber
derzeit gebunden ist, in seiner jeweils gültigen Fassung.
Diese Abrede gilt, weil und solange der Arbeitgeber
tarifgebunden ist. Sie bezweckt die Gleichstellung nicht
organisierter mit organisierten Mitarbeitern.
Endet oder entfällt die Tarifbindung des Arbeitgebers, gelten
die in Bezug genommenen Tarifverträge mit dem Inhalt, den
sie bei Ende der Tarifbindung des Arbeitgebers hatten; der
Arbeitnehmer hat [dann] keinen Anspruch auf Weitergabe 58
künftiger Tarifentwicklungen *mehr+.“
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Gleichstellungsabrede (Greiner, NZA 2006, 625)

3. STRALSUNDER ARBEITSRECHTSTAGE MAI 2011


„Das Arbeitsverhältnis bestimmt sich nach den im Betrieb
oder Betriebsteil geltenden Tarifverträgen in ihrer jeweiligen
Fassung. Das sind nach Kenntnis des Arbeitgebers die
Tarifverträge XY. Kommen nach dieser Regelung
unterschiedliche Tarifverträge in Betracht, so ist die Auswahl
des anzuwendenden Tarifvertrags nach den Regeln zur
Tarifkonkurrenz zu bestimmen.
Im Fall der Beendigung der Tarifbindung des Arbeitgebers
sind für ihn nicht gültige Tarifvertragsänderungen oder
Ablösungen von Tarifverträgen nicht zu berücksichtigen.“ 59
Verweisen statt selber regeln – Bezugnahme auf Tarifvertrag im Arbeitsvertrag

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Gleichstellungsabrede (Preis / Greiner)


Preis / Greiner (NZA 2007, 1073, 1079f) schlagen vor:

3. STRALSUNDER ARBEITSRECHTSTAGE MAI 2011


„(1) Ist der Arbeitnehmer an bei dem Arbeitgeber geltende Tarifverträge
normativ gebunden (§ 3 I TVG), finden auf das Arbeitsverhältnis
ausschließlich diese Tarifverträge Anwendung. Abs. 2-5 gelten in diesem
Fall nicht.
(2) Ist keine Tarifbindung des Arbeitnehmers an einen beim Arbeitgeber
geltenden Tarifvertrag gegeben, finden auf das Arbeitsverhältnis die
jeweils für eine relative Mehrheit der im jeweiligen Beschäftigungsbetrieb
tätigen tarifgebundenen Arbeitnehmer geltenden Tarifverträge in ihrer
jeweils gültigen Fassung Anwendung. Das sind nach Kenntnis des
Arbeitgebers derzeit die Tarifverträge der XY-Branche im Tarifgebiet Z,
abgeschlossen zwischen dem Arbeitgeber/AGV X und der Gewerkschaft Y. 60
…“
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Gleichstellungsabrede (Eigener Vorschlag 1)

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„Der Arbeitgeber ist Mitglied im *Name des
Arbeitgeberverbandes], der Tarifverträge mit der
Gewerkschaft [Name der Gewerkschaft] abschließt, die ihrem
fachlichen Geltungsbereich nach auf den Betrieb Anwendung
finden. Die Parteien des Arbeitsvertrages vereinbaren, dass
der Arbeitnehmer in jeder Beziehung und zu jedem Zeitpunkt
wie die Arbeitnehmer des Betriebes behandelt wird, die
Mitlieder in der erwähnten Gewerkschaft sind
(Gleichstellungsabrede).“
61
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Gleichstellungsabrede (Eigener Vorschlag 2)


„Das Arbeitsverhältnis wird an das geltende Tarifwerk

3. STRALSUNDER ARBEITSRECHTSTAGE MAI 2011


gebunden, das der Arbeitgeberverband X und die
Gewerkschaft Y für die A-Branche der Tarifregion B
geschaffen haben. Dazu zählen auch die Tarifverträge, die der
Arbeitgeber selbst mit der erwähnten Gewerkschaft
abgeschlossen hat.
Zukünftige Tarifverträge aus diesem Tarifwerk werden von
dieser Bindung nur erfasst, wenn es sich um Tarifverträge
handelt, auf die der Arbeitgeber kraft seiner Mitgliedschaft
im Arbeitgeberverband X noch Einfluss nehmen konnte, oder
wenn er sie selbst mit der Gewerkschaft Y abgeschlossen 62
hat.“
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Bindungsklauseln mit Ausstiegsvorbehalten für


den Arbeitgeber (Tarifwechselklausel)

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Jenseits der Bindungsklauseln mit dem Vorbehalt der
fortdauernden Bindung des Arbeitgebers an das Tarifwerk (=
Gleichstellungsklauseln) gibt es noch weitreichendere
Klauseln, mit denen der Arbeitgeber umfassend das Ziel
verfolgt, seine arbeitsvertragliche Bindung unter keinen
Umständen weiter reichen zu lassen als seine
kollektivrechtlichen Bindungen (einschließlich der seiner
potentiellen Rechtsnachfolger). Das wird alles unter dem
Begriff Tarifwechselklausel erfasst.
Das ist ein weites Feld für Kautelarjuristen. Um zu ermessen,
wie weit das gehen kann, hier nur ein Beispiel mit einer 63
relativ knappen Formulierung.
Verweisen statt selber regeln – Bezugnahme auf Tarifvertrag im Arbeitsvertrag

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Bauer / Günter (NZA 2008, 6, 7) schlagen vor:
„Im Übrigen gelten unabhängig von der Gewerkschaftszugehörigkeit des
Arbeitnehmers die jeweils für den Arbeitgeber kraft eigenen Abschlusses,
kraft Mitgliedschaft im Arbeitgeberverband oder kraft
Allgemeinverbindlichkeit anwendbaren Tarifverträge in ihrer jeweils
gültigen Fassung, so als wäre der Arbeitnehmer Mitglied der

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tarifschließenden Gewerkschaft.
Derzeit sind dies die Tarifverträge der XY-Industrie. Endet die Tarifbindung
des Arbeitgebers, so finden in der Folgezeit die Bestimmungen der
Tarifverträge in ihrer zum Zeitpunkt des Endes der Tarifbindung geltenden
Fassung Anwendung; der Arbeitnehmer hat keinen Anspruch auf
Weitergabe zukünftiger Tarifänderungen.
Diese Regelung gilt jeweils solange, bis für den Arbeitgeber wieder
kraft eigenen Abschlusses, Mitgliedschaft im Arbeitgeberverband
oder Allgemeinverbindlichkeit ein Tarifvertrag gemäß Satz 1
Anwendung findet. Das bedeutet, dass insbesondere im Fall eines
Verbandswechsels des Arbeitgebers, eines Betriebsübergangs oder
eines Wechsels der Branche der dann für den Arbeitgeber kraft
eigenen Abschlusses, Mitgliedschaft im Arbeitgeberverband oder 64
Allgemeinverbindlichkeit anwendbare Tarifvertrag in seiner jeweils
gültigen Fassung Anwendung findet.”
Verweisen statt selber regeln – Bezugnahme auf Tarifvertrag im Arbeitsvertrag

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Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit

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