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Dasein und Leben der Technik steht, dieses eigentümliche Grundmotiv des
ihr Grundproblem sieht: so ist es vor Platonismus sich auch in der
über 2000 Jahren von dem modernen Reflexion über Sinn und
eigentlichen Entdecker der »Idee« Wesen der Technik immer stärker
und der »Ideenwelt« gesehen geltend macht? »Es sinkt aus einer
worden. Wenn Platon das Verhältnis höheren Sphäre von Macht und
von »Idee« und »Erscheinung« Wirklichkeit«, so heißt es z. B. bei
entwickelt und wenn er es Dessauer, »durch Geist und Hände
systematisch zu begründen sucht: so des Technikers und des Arbeiters ein
greift er für diese Begründung nicht ungeheurer Strom von Erfahrung und
in erster Linie auf die Gestalten der Macht in das irdische Dasein. Ein
Natur, sondern auf die Werke und Geistesstrom rinnt in die chaotische
Gebilde der técðnh zurück. Die Kunst materielle Welt, und alle haben daran
des »Werkbildners«, des teil, die Schaffenden bis zum letzten
»Demiurgen«, liefert ihm eines der Arbeiter als Vollstrecker, alle als
großen Leit- und Musterbilder, an Empfänger.« »Technik ist alles«, so
denen er Sinn und Bedeutung der sagt im gleichen Sinne Max Eyth,
Idee darstellt. Denn diese Kunst ist »was dem menschlichen Wollen eine
nach Platon keine bloße Nachbildung körperliche Form gibt. Und da das
eines Vorhandenen und Daseienden, menschliche Wollen mit dem
sondern sie ist nur auf Grund eines menschlichen Geist fast
Vorbildes und Urbildes möglich, auf zusammenfällt, und dieser eine
das der Künstler in seinem Schaffen Unendlichkeit von Lebensäußerungen
hinblickt. Der Künstler, der zuerst die und Lebensmöglichkeiten einschließt,
Weberlade erfand, hat sie nicht als so hat auch die Technik, trotz ihres
ein in der Sinnenwelt zuvor Gebundenseins an die stoffliche Welt,
Gegebenes aufgefunden, sondern er etwas von der Grenzenlosigkeit des
hat sie in die Sinnenwelt eingeführt, reinen Geisteslebens
indem er auf die Form und die überkommen.«[6] Deutlich tritt in
Bestimmung, auf das Eidos und Telos solchen Äußerungen zutage, daß die
des Werkzeugs hinsah. Und so blickt moderne Besinnung auf Grund und
auch noch heute der Bildner der Wesen der Technik nicht länger
Weberlade, wenn sie ihm etwa bei damit zufrieden ist, sie lediglich als
der Arbeit zerbricht und er daran eine »angewandte
geht, eine neue zu schaffen, nicht auf Naturwissenschaft« zu betrachten
das zerbrochene Gerät als Modell und sie demgemäß irgendwie in die
und Muster hin, sondern was seiner Begriffe und Kategorien des
Arbeit die Richtung gibt, ist wieder naturwissenschaftlichen Denkens
der Blick auf jene ursprüngliche einzuspannen und einzufangen. Was
Form, wie sie im Geist des ersten man sucht, ist ihre Beziehung auf die
Erfinders sich darstellte. Diese Allheit des Geisteslebens, auf seine
Ernst Cassirer, Form und Technik 6
Totalität und Universalität. Diese von ihr aus zur eigentlichen Lösung
Beziehung aber läßt sich nur dadurch bringen zu können. In dieser
finden und feststellen, daß man, statt Gleichsetzung von »Sinn« und
des Seinsbegriffs der »Wert« hat bereits eine Verschiebung
Naturwissenschaft, vielmehr den des Problems stattgefunden. Dieser
Formbegriff in den Mittelpunkt stellt logische Mangel pflegt freilich um so
und sich auf seinen Grund und eher unbemerkt zu bleiben, als er
Ursprung, seinen Gehalt und Sinn keineswegs allein dem Problem, das
zurückbesinnt. Denn er ist es, in dem hier in Frage steht, angehört,
sich uns die Weite des Geistigen erst sondern sich vielmehr auf die ganze
eigentlich erschließt und in dem sich Weite der »Philosophie der Kultur«
uns sein Umfang und sein Horizont und auf die Gesamtheit ihrer
bestimmt.[7] Geht man statt vom Aufgaben erstreckt. So oft bisher
Dasein der technischen Werke auch in der Geschichte des Denkens
vielmehr von der Form des die »transzendentale« Frage nach
technischen Wirkens aus, blickt man der »Möglichkeit« der Kultur, nach
vom bloßen Produkt auf den Modus, ihren Bedingungen und Prinzipien
auf die Art des Produzierens zurück gestellt worden ist, so selten ist sie in
und auf die Gesetzlichkeit, die sich in wirklicher Schärfe nach ihrem reinen
ihr offenbart, so verliert damit die Ansich festgehalten und durchgeführt
Technik jenes Enggebundene, jenes worden. Immer wieder glitt sie in
Beschränkte und Bruchstückhafte, zwei verschiedene Richtungen ab:
das ihr sonst anzuhaften scheint. Sie Der Frage nach dem Kulturgehalt
ordnet sich, wenn nicht unmittelbar schob sich die nach ihrer Leistung
in und mit ihrem Ergebnis, so doch unter. Das Maß dieser Leistung
mit ihrer Aufgabe und ihrer mochte man ganz verschiedenen
Problematik einem wahrhaft geistigen Dimensionen entnehmen;
umfassenden Fragekreis ein, man mochte es noch so hoch oder
innerhalb dessen erst ihr spezifischer noch so niedrig ansetzen – dies
Sinn und ihre eigentümliche geistige änderte jetzt nichts mehr an dem
Tendenz sich bestimmen läßt. Fehlgriff, der schon im ersten Ansatz
Um in diesen Kreis einzudringen des Problems begangen war.
und um seinen Mittelpunkt wahrhaft Deutlich tritt dieser Sachverhalt
zu erfassen, bedarf es freilich zuvor bereits bei dem ersten eigentlichen
noch einer grundsätzlichen, rein »Kritiker« der modernen Kultur, bei
methodischen Besinnung. Das Rousseau, hervor. Als Rousseau das
Eigentümliche der Sinnfrage, die uns Ganze der intellektuellen und der
hier entgegentritt, droht immer geistigen Bildung seiner Zeit vor die
wieder verdunkelt, ihre Grenzen eigentliche Gewissens- und
drohen immer wieder verwischt zu Schicksalsfrage stellte – da war ihm
werden, indem sich dieser Frage die Fassung dieser Frage durch einen
andere Motive nicht nur zugesellen, äußeren Anlaß, durch die
sondern sich ihr allmählich und Preisaufgabe der Akademie von Dijon
unvermerkt unterschieben. Eine vom Jahre 1750 vorgeschrieben. Die
solche Unterschiebung ist es schon, Frage lautete, ob und wieviel die
wenn man glaubt, die Sinnfrage mit Wiedergeburt der Künste und
der Wertfrage gleichsetzen und sie Wissenschaften zur ethischen
Ernst Cassirer, Form und Technik 7
Vervollkommnung der Menschheit fluchen – man mag sie als eines der
beigetragen habe (»Si le höchsten Besitztümer des Zeitalters
rétablissement des sciences et des verehren oder sie als dessen Not und
arts a contribué a épurer les Verderbnis beklagen – immer pflegt
mœurs«).[8] Und ihr gesellt sich, in diesen Urteilen ein Maß an sie
gemäß der Grundrichtung der Ethik angelegt zu werden, das ihr nicht
des Aufklärungszeitalters, im Geiste selbst entstammt; immer werden ihr,
Rousseaus alsbald die andere nach bewußt oder unbewußt, Zwecke
dem Lustertrag – nach dem Maße der unterschoben, die sie in ihrem reinen
»Glückseligkeit«, die die Menschheit Gestaltungswillen und in ihrer reinen
durch ihren Übergang aus dem Gestaltungskraft nicht kennt. Und
Stande der »Natur« in den der Kultur doch kann das eigentliche Urteil über
gewonnen hat. »Glückseligkeit« und sie nur aus ihr selbst, nur aus der
»Vollkommenheit«: Das sind somit Einsicht in das ihr innewohnende
die beiden Dimensionen, innerhalb immanente Gesetz gewonnen
deren er die Antwort auf sein werden. Die Philosophie der Technik
Problem sucht – und sie liefern ihm zum mindesten ist an diese
die Maßstäbe, denen er es unterwirft. Forderung gebunden. Auch die
Erst die Philosophie des deutschen Philosophie steht freilich den Inhalten
Idealismus hat hier eine der geistigen Kultur nicht nur
entscheidende Wendung gebracht; betrachtend und prüfend, sondern
erst sie hat die »Wesensfrage« in richtend gegenüber. Sie will nicht
wirklicher Schärfe und Reinheit lediglich erkennen, sondern sie darf
gestellt und sie von dem Beiwerk der und muß anerkennen und verwerfen,
Glücksfrage wie der Frage nach der beurteilen und werten, entscheiden
moralischen »Vervollkommnung« und richten. Aber ihr intellektuelles
gelöst. So wird etwa in der »Kritik Gewissen verwehrt ihr, einen
der Urteilskraft« das Reich der Richterspruch zu fällen, ehe sie in
Schönheit erst dadurch philosophisch das Wesen dessen, worüber sie
begründet, daß die Autonomie, die richtet, eingedrungen ist und es aus
Selbst-Gesetzlichkeit und Selbst- seinem eigenen Prinzip heraus
Bedeutsamkeit des Schönen begriffen hat. Diese Freiheit des
gegenüber dem Gefühl der Lust und philosophischen Blicks ist in den
Unlust und gegenüber den Normen modernen Apologien der Technik,
und Regeln des ethischen Sollens sowenig wie in den Angriffen und
entdeckt und sichergestellt wird. Anklagen, die wider sie gerichtet
Blickt man von hier aus auf das Reich werden, kaum jemals zu finden.
der Technik hin und auf den Kampf, Immer wieder fühlt man sich
der in immer steigender Heftigkeit versucht, dem Verteidiger wie dem
um dieses Reich, um die Erfassung Kläger die Maxime
seines spezifischen Sinns und entgegenzuhalten, die Spinoza für
Gehalts geführt wird, so findet man, die Philosophie der Politik geprägt
daß dieser Kampf sich zumeist noch hat: »[N]on ridere, non lugere, neque
in einem Vorstadium bewegt, das detestari; sed intelligere«.[9] Die
in anderen Gebieten der geistigen Bestimmung des »Seins« und
Kultur seit langem überschritten ist. »Soseins«, die Anschauung dessen,
Man mag die Technik segnen oder ihr was die Technik ist, muß dem Urteil
Ernst Cassirer, Form und Technik 8
gegenüber, in der er, körperlich Urkraft, die das Tier ›homo‹ zum
hilfloser, schwächer, weniger Menschen ›homo sapiens‹ gemacht
widerstandsfähig als die meisten hat, wie ihn die Gelehrten nennen,
Tiere, zweifellos in kurzer Zeit hätte die natürlich auch hier wieder allein
untergehen müssen. Was ihn rettete auf sein Wissen anspielen und sein
[…] war im Bereich des Wissens die Können, das all dieses Wissen
Sprache, im Bereich des Könnens das ermöglichte, vergessen.«[10]
Werkzeug […] Auf Wissen und Ich hebe diese Sätze eines
Können, auf Wort und Werkzeug Technikers und eines Denkers über
beruht die Macht, die den nackten, die Technik heraus, weil in dem
wehrlosen Menschen zum Herrscher Parallelismus, der hier zwischen
über alles Lebende auf Erden Sprache und Werkzeug behauptet
gemacht hat […] In Urzeiten bis weit wird, ein echtes philosophisches
hinein in die Anfänge der Kultur Problem sich birgt. Es ist kein bloßes
spielte zweifellos das Werkzeug die Spiel des Witzes, keine bloß
erste Rolle in der Gestaltung des äußerliche Analogie, wenn man
menschlichen Daseins […] Später Sprache und Werkzeug
[…] trat eine eigentümliche zusammennimmt und beide aus
Änderung in dem Verhältnis zwischen einem geistigen Prinzip zu verstehen
Wort und Werkzeug ein. Die Sprache, sucht. Schon den ersten
eben weil sie sprechen konnte, wußte »Sprachphilosophen« im Kreise
sich eine überragende, man wird unseres europäischen Denkens war
wohl sagen dürfen, eine der Gedanke an eine solche
ungebührliche Bedeutung zu Wesensverwandtschaft nicht fremd.
verschaffen. Das stumme Werkzeug Sie faßten das Wort und die Sprache
wurde im Empfinden der Menschheit nicht in erster Linie als bloßes
immer mehr in den Hintergrund Darstellungsmittel, als Mittel der
gedrängt. Das Wissen herrschte, das Beschreibung der äußeren
Können diente; und dieses Verhältnis Wirklichkeit auf, sondern sie sahen in
steigerte sich […] mehr und mehr ihm ein Mittel zur Bemächtigung der
und ist bis in die Gegenwart Wirklichkeit. Die Sprache wurde
allgemein anerkannt geblieben. ihnen zur Waffe und zum Werkzeug,
Heute stehen wir inmitten eines dessen sich der Mensch bedient, um
heftigen Kampfes, der bestrebt ist, sich im Kampf mit der Natur und im
das Verhältnis der beiden, wenn nicht Kampf mit seinesgleichen, im
umzugestalten, so doch auf seine sozialen und politischen Wettstreit,
richtigen Grundlagen zu behaupten.[11] Der »Logos« selbst,
zurückzuführen. Die Sprache hat […] als Ausdruck der eigentümlichen
in den Tagen ihres wachsenden Geistigkeit des Menschen, erscheint
Triumphs den ungebührlichen somit hier nicht lediglich in
Anspruch erhoben, das einzige »theoretischer«, sondern in
Werkzeug des Geistes zu sein […] Sie »instrumentaler« Bedeutung. Und
glaubt es im allgemeinen heute noch. darin liegt zugleich implizit die
Sie vergißt über dem Werkzeug des Gegenthese beschlossen, daß auch in
Geistes den Geist des Werkzeuges. jedem bloß stofflichen Werkzeug, in
Aber beide, Wort und Werkzeug, sind jedem Gebrauch eines materiellen
ein Erzeugnis derselben geistigen Dinges im Dienste des menschlichen
Ernst Cassirer, Form und Technik 10
ihr dem Geiste immer nur neuer Vollbringens steht der Typus des
Weltstoff erschlösse und magischen Wollens und Vollbringens
entgegendrängte. Der eigentliche, gegenüber. Man hat versucht, von
der tiefere Ertrag liegt auch hier im diesem Urgegensatz aus die
Gewinn der »Form«: in der Tatsache, Gesamtheit der Unterschiede
daß die Ausdehnung des Wirkens abzuleiten, die zwischen der Welt der
zugleich seinen qualitativen Sinn Kulturvölker und der der Naturvölker
verändert und daß sie damit die bestehen. Der Mensch der Frühzeit
Möglichkeit eines neuen Weltaspekts und der der späteren Stufe scheiden
erschafft. Das Wirken müßte sich sich, wie sich die Magie von der
gerade in seiner ständigen Mehrung, Technik unterscheidet: Jener läßt sich
in seiner Erweiterung und als Homo divinans, dieser als Homo
Steigerung, zuletzt als ohnmächtig, faber bezeichnen. Der gesamte
als innerlich ziellos und kraftlos Entwicklungsgang der Menschheit
erkennen, wenn sich in ihm nicht stellt sich alsdann als ein in zahllosen
gleichzeitig eine innere Umbildung, Zwischenformen sich vollziehender
eine ideelle Sinnwendung Verlauf dar, kraft dessen der Mensch
vorbereitete und ständig und stetig von der Anfangsstufe des Homo
vollzöge. In der Aufweisung dieser divinans in die des Homo faber
Sinnwendung liegt das, was die übergeht. Nehmen wir diese
Philosophie für die Technik, für ihr Unterscheidung – wie sie Danzel in
Verständnis und gleichsam für ihre seiner Schrift über »Kultur und
geistige Legitimierung zu leisten Religion des primitiven Menschen«
vermag. Aber sie muß hierfür weit aufgestellt und durchgeführt hat[15] –
zurückgreifen; sie muß bis zu den an, so haben wir damit freilich keine
ersten Anfängen zurückzudringen Lösung des Problems, sondern erst
suchen, in denen sich das Geheimnis eine Aufstellung, eine Formulierung
der »Form« für den Menschen zuerst des Problems erreicht. Denn es ist
erschließt, in denen es ihm, im nur eine scheinbare Erklärung und
Denken und Vollbringen, aufzugehen Weiterführung, wenn die Ethnologie,
beginnt, um sich ihm freilich der diese Unterscheidung
zunächst eher zu verhüllen als zu entstammt, sie dadurch zu erläutern
offenbaren, um sich ihm nur wie in strebt, daß sie das Verhalten des
einem rätselhaften Zwielicht, in der »magischen« Menschen im
Dämmerung des magisch- wesentlichen auf das Überwiegen der
mythischen Weltbildes darzustellen. »subjektiven« Bestimmungen und
Stellt man das Weltbild der Beweggründe über die rein
Kulturvölker dem der Naturvölker »objektiven« zurückführt. Das
gegenüber, so zeigt sich der tiefe Weltbild des »Homo divinans« soll
Gegensatz, der zwischen beiden dadurch zustande kommen, daß er
besteht, vielleicht in keinem andern seine eigenen Zustände in die
Zuge so scharf und so klar als in der Wirklichkeit projiziert, daß er das,
Richtung, die der menschliche Wille was in ihm selbst vorgeht, in die
einschlägt, um Herr über die Natur zu Außenwelt hineinsieht.
werden und sich ihrer fortschreitend Innenvorgänge, die sich rein in der
zu bemächtigen. Dem Typus des Seele abspielen, werden nach außen
technischen Wollens und verlegt; Triebe und Willensregungen
Ernst Cassirer, Form und Technik 12
werden als Kräfte gedeutet, die an eine feste Vorstellung von Subjekt
unmittelbar in das Geschehen und Objekt, nach welcher er sodann
eingreifen und es lenken und sein Verhalten richtet; sondern im
umgestalten können. Aber diese Ganzen dieses Verhaltens, im
Erklärung schließt, rein logisch Ganzen seiner leiblichen und seiner
betrachtet, eine Petitio principii in seelisch-geistigen Betätigungen geht
sich; sie nimmt das zu Erklärende als ihm erst das Wissen von beiden auf,
Erklärungsgrund vorweg. Wir scheidet sich ihm erst der Horizont
sprechen vom Standpunkt unserer des Ich von dem der Wirklichkeit.[16]
theoretischen Weltbetrachtung, die Zwischen beiden gibt es nicht von
auf dem Prinzip des »Grundes«, auf Anbeginn ein festes statisches
der Kategorie der Kausalität als Verhältnis, sondern gleichsam eine
Bedingung der Möglichkeit der hin- und hergehende, fluktuierende
Erfahrung und der Bewegung – und aus ihr kristallisiert
Erfahrungsgegenstände, beruht, sich erst allmählich die Form heraus,
wenn wir dem Primitiven vorhalten, in der der Mensch sein eigenes Sein
daß er Objektives und Subjektives wie das Sein der Gegenstände
»verwechselt«, daß er die Grenzen begreift.
beider Gebiete ineinanderfließen Wenden wir diese allgemeine
läßt. Denn ebendiese Grenzen sind Einsicht auf das Problem, das hier
nicht »an sich« vorhanden; sondern vorliegt, an, so sehen wir, daß der
sie müssen erst gesetzt und Mensch im magischen wie im
gesichert, erst durch die Arbeit des technischen Verhalten nicht schon
Geistes gezogen werden. Und die Art eine bestimmte Form der Welt hat,
dieser Grenzsetzung vollzieht sich sondern daß er vielmehr diese Form
verschieden, je nach der erst suchen und sie auf
Gesamthaltung, in welcher der Geist verschiedenen Wegen finden muß. In
steht, und je nach der Richtung, in welcher Art er sie findet: das hängt
der er sich bewegt. Jeder Übergang hierbei von dem dynamischen Prinzip
von der einen Haltung und Richtung ab, dem die Gesamtbewegung des
in die andere schließt immer zugleich Geistes folgt. Nimmt man an, daß
eine neue »Orientierung«, ein neues schon in der magischen Auffassung
Verhältnis von »Ich« und der Natur das Prinzip der
»Wirklichkeit« in sich. Die Beziehung »Kausalität«, die Frage nach den
zwischen beiden ist also nicht von »Gründen« des Seins und nach den
Anfang an als eine einmalige und »Ursachen« des Geschehens waltet –
eindeutige gesetzt; sondern sie so fällt damit die Scheidewand
entsteht erst auf Grund der zwischen Magie und Wissenschaft
mannigfachen ideellen Prozesse der dahin. Es ist einer der besten Kenner
»Auseinandersetzung«, wie sie sich der magischen Phänomene, der in
im Mythos und in der Religion, in der seiner Darstellung dieser Phänomene
Sprache und in der Kunst, in der diesen Schluß ausdrücklich gezogen
Wissenschaft und in den hat. Indem Frazer in seinem Werk
verschiedenen Grundformen »The Magic Art«
»theoretischen« Verhaltens den Tatsachenbereich der
überhaupt vollziehen. Für den magischen Kunst in seiner ganzen
Menschen besteht nicht von Anfang Weite vor uns auszubreiten sucht,
Ernst Cassirer, Form und Technik 13
knüpft er an die Beschreibung dieses gibt ihr das Gepräge, das sie
Tatsachenbereichs zugleich eine durchgängig zeigt. Daß sie diesen
bestimmte Theorie über Sinn und Grundsatz nicht im gleichen Sinne
Ursprung der Magie. Und sie wird ihm wie die theoretische
hierbei zu nichts anderem und zu Naturwissenschaft anzuwenden
nichts Geringerem als zum ersten vermag, beruht nach Frazer nicht auf
Anfang der »Experimentalphysik«. In einem logischen, sondern lediglich
der Magie gewinnt der Mensch die auf einem faktischen Grunde. Sie ist
erste Anschauung eines objektiven »primitiv« nicht ihrer Denk form
Seins und Geschehens, die nach nach, sondern nach dem Maß und
festen Regeln geordnet sind. Der der Sicherheit ihrer inhaltlichen
Lauf der Dinge stellt sich ihm jetzt als Kenntnisse. Der Kreis der
ein geschlossener Nexus, als eine Beobachtung ist zu eng, die Art der
Kette von »Ursachen« und Beobachtung ist zu schwankend und
»Wirkungen« dar, in die keine unsicher, als daß es zur Aufstellung
jenseitige übernatürliche Macht nach wirklich haltbarer empirischer
Willkür eingreifen kann. Hierin trennt Gesetze kommen könnte: Aber das
sich, nach Frazer, die Welt der Magie Bewußtsein der Gesetzlichkeit als
scharf und klar von der religiösen solcher ist in ihr erwacht und wird
Welt. In der religiösen Anschauung von ihr unverbrüchlich festgehalten.
unterwirft sich der Mensch fremden So sieht Frazer zuletzt in den beiden
Gewalten, denen er das Ganze des Grundformen der Magie nichts
Seins anheimgibt. Hier gibt es noch anderes als die Anwendungen und
keinen festen Naturlauf: Denn die Abwandlungen des
Welt hat noch keine eigene Gestalt »wissenschaftlichen« Grundsatzes
und keine eigene Macht, sondern sie der Kausalität, den er hierbei gemäß
ist ein Spielball in der Hand den Anschauungen des englischen
überlegener transzendenter Kräfte. Empirismus auffaßt und erläutert. Die
Ebendiese Grundauffassung aber ist »sympathetische« Magie und die
es, gegen die die magische »homöopathische oder imitative«
Weltansicht sich auflehnt. Sie faßt die Magie beruhen beide auf den
Natur als ein streng determiniertes grundlegenden Gesetzen der
Geschehen, und sie sucht in das Ideenassoziation, die auch alles
Wesen dieser Determination kausale Denken beherrschen: In dem
einzudringen. Sie kennt im Grunde einen Falle wirkt sich das Gesetz der
keinen Zufall, sondern sie erhebt sich »Ähnlichkeitsassoziation«, in dem
zur Anschauung einer strengen andern das Gesetz der
Gleichförmigkeit des Geschehens. »Berührungsassoziation« aus und
Und damit erst erreicht sie, im wird zur Richtschnur des
Gegensatz zur Religion, die Stufe theoretischen und praktischen
wissenschaftlicher Welterkenntnis. Verhaltens.[17]
Die Magie unterscheidet sich von der Der Mangel dieser Theorie
Wissenschaft zwar im Resultat, aber Frazers, der eine große Zahl
nicht in ihrem Prinzip und in ihrem ethnologischer Forscher sich
Problem. Denn der Grundsatz: angeschlossen haben, läßt sich mit
»Gleiche Ursachen, gleiche einem Wort bezeichnen: Sie spricht
Wirkungen« beherrscht auch sie und dem magischen Verhalten eine
Ernst Cassirer, Form und Technik 14
Bedeutung zu und vindiziert ihm eine sich ein eigenes Reich auf, mit dem
Leistung, die erst dem technischen er in die Zukunft hinausgreift. Aber
Verhalten vorbehalten ist. Die Magie wenn er damit im gewissen Sinne
mag sich immerhin dadurch von der von der Macht der unmittelbaren
Religion unterscheiden, daß der Empfindung frei wird, so hat er an
Mensch in ihr aus dem bloß passiven ihrer Stelle nur die Unmittelbarkeit
Verhältnis zur Natur heraustritt – daß des Begehrens eingetauscht. In ihr
er die Welt nicht länger als bloßes glaubt er die Wirklichkeit direkt
Geschenk überlegener göttlicher ergreifen und bezwingen zu können.
Macht empfangen, sondern daß er Die Gesamtheit der magischen
sie selbst in Besitz nehmen und ihr Praktiken ist gewissermaßen nur die
eine bestimmte Form aufprägen will. Auseinanderlegung, die
Aber die Art dieser Besitzergreifung fortschreitende Entfaltung des
ist eine durchaus andere als Wunschbildes, das der Geist von dem
diejenige, die sich im technischen zu erreichenden Ziele in sich trägt.
Wirken und im Die einfache, immer gesteigerte
naturwissenschaftlichen Denken Wiederholung dieses Zieles gilt schon
vollzieht. Der magische Mensch, der als der Weg, der mit Sicherheit zu
»homo divinans«, glaubt im ihm hinführen muß. Auf diese Weise
gewissen Sinne an die Allmacht des entstehen die beiden Urformen der
Ich: Aber diese Allmacht stellt sich Magie: der Wortzauber wie der
ihm lediglich in der Kraft des Bildzauber. Denn Wort und Bild sind
Wunsches dar. Dem Wunsch in seiner die beiden Weisen, in denen der
höchsten Steigerung und Mensch ein Nicht-Gegenwärtiges
Potenzierung vermag sich zuletzt die gleich einem Gegenwärtigen
Wirklichkeit nicht zu entziehen; sie behandelt; in denen er ein
wird ihm gefügig und untertan. Der Gewünschtes und Ersehntes
Erfolg eines bestimmten Tuns wird gleichsam vor sich hinstellt, um es
daran geknüpft, daß das Ziel dieses schon in diesem Akt des
Tuns in der Vorstellung aufs »Vorstellens« zu genießen und sich
genaueste vorweggenommen wird, zu eigen zu machen. Das räumlich
und daß das Bild dieses Zieles in Entlegene und das zeitlich Ferne wird
höchster Intensivierung im Wort »hervorgerufen«; oder es
herausgearbeitet und festgehalten wird »eingebildet« und
wird. Alle »realen« Handlungen »vorgebildet«. So wird schon hier das
bedürfen, wenn sie glücken sollen, regnum hominis gesucht; aber es
einer solchen magischen entgleitet dem Menschen alsbald
Vorbereitung und Vorwegnahme: Ein wieder und löst sich in ein bloßes Idol
Kriegs- oder Beutezug, ein Fischfang auf. Die Magie ist zweifellos nicht
oder eine Jagd können nur gelingen, lediglich eine Weise der
wenn jede Einzelphase von ihnen in Weltauffassung, sondern in ihr liegen
der rechten Weise magisch schon echte Keime der
antizipiert und gleichsam »vorgeübt« Weltgestaltung. Aber das Medium, in
ist.[18] Schon in der magischen dem sie sich bewegt, läßt diese
Weltansicht reißt sich somit der Keime nicht zur Entfaltung kommen.
Mensch von der unmittelbaren Denn noch wird die erfahrbare
Gegenwart der Dinge los und richtet Wirklichkeit nicht in ihren Ordnungen
Ernst Cassirer, Form und Technik 15
und Regeln gesehen, sondern sie sondern in einer das Ziel in die Ferne
wird dichter und dichter in einen zu rücken und es in dieser Ferne zu
bloßen Wunschtraum eingehüllt, der belassen, es in ihr »stehenzulassen«.
ihre eigene Form verdeckt. Auch Dieses Stehenlassen des Zieles ist es
diese Leistung der »Subjektivität« ist erst, was eine »objektive«
freilich nicht ausschließlich negativ Anschauung, eine Anschauung der
zu bewerten: Denn es ist schon ein Welt als einer Welt von
erster und im gewissen Sinne »Gegenständen« ermöglicht. Der
entscheidender Schritt, wenn der Gegenstand ist für den Willen
Mensch sich nicht lediglich dem ebensosehr die Richt- und Leitschnur,
Eindruck der Dinge, ihrer bloßen die ihm erst seine Bestimmtheit und
»Gegebenheit« überläßt und seine Festigkeit gibt, wie er die
unterwirft, sondern statt dessen dazu Schranke des Willens, sein Gegenhalt
übergeht, eine Welt aus sich und sein Widerstand, ist. An der Kraft
erstehen zu lassen – wenn er sich dieser Schranke erwächst und
nicht mehr beim bloßen Dasein erstarkt erst die Kraft des Willens.
beruhigt, sondern ein Sosein und ein Die Durchführung des Willens kann
Anderssein fordert. Aber dieser niemals in der bloßen Steigerung
ersten aktiven Richtung, in der der seiner selbst gelingen; sondern sie
Welt des Seins die Welt der Tat verlangt, daß der Wille in eine ihm
gegenübertritt, fehlt es noch an den selbst ursprünglich fremde Ordnung
echten Mitteln der Betätigung. Indem eingreift und daß er diese Ordnung
der Wille direkt auf sein Ziel als solche weiß und erkennt. Dieses
überspringt, kommt es in solcher Erkennen ist immer zugleich eine
magischen Identifizierung von Ich Weise des Anerkennens. Der Natur
und Welt zu keiner wahrhaften wird jetzt nicht, wie in der Magie,
»Auseinandersetzung« zwischen das eigene Wünschen und Wähnen
beiden. Denn jede solche bloß untergeschoben, sondern es
Auseinandersetzung fordert nicht nur wird ihr ein eigenes unabhängiges
Nähe, sondern Entfernung; nicht nur Sein zugestanden. Und in dieser
Bemächtigung, sondern auch Selbstbescheidung erst ist der
Verzicht, nicht nur die Kraft des wahrhafte Sieg des Gedankens
Erfassens, sondern auch die Kraft zur errungen. »Natura […] non nisi
Distanzierung. parendo vincitur […]«:[19] Der Sieg
Ebendieser Doppelprozeß ist es, über die Natur läßt sich nur auf dem
der sich im technischen Verhalten Wege des Gehorsams gegen sie
offenbart und der es vom magischen erreichen. Durch diesen Gehorsam,
Verhalten spezifisch unterscheidet. der die Kräfte der Natur walten läßt,
An Stelle der Macht des bloßen der sie nicht mehr magisch zu
Wunsches ist hier die Macht des bannen und zu unterjochen versucht,
Willens getreten. Dieser Wille wird nun auch im rein
offenbart sich nicht nur in der Kraft »theoretischen« Sinne eine neue
des vorwärtsstürmenden Impulses, Gestalt der Welt heraufgeführt. Der
sondern in der Art, in der dieser Mensch sucht nicht länger, sich die
Impuls geleitet und beherrscht wird; Wirklichkeit mit allen Mitteln des
er offenbart sich nicht nur in der Zaubers und der Bezauberung
Fähigkeit der Ergreifung des Zieles, gefügig zu machen; sondern er
Ernst Cassirer, Form und Technik 16
mittelbaren Handelns, die jetzt Statt wie gebannt auf dieses Ziel
gewonnen ist, gründet und festigt hinzusehen, lernt der Mensch von
sich erst jene Art von Mittelbarkeit, ihm »abzusehen« – und ebendieses
die zum Wesen des Denkens gehört. Absehen wird zum Mittel und zur
Alles Denken ist seiner reinen Bedingung seiner Erreichung. Diese
logischen Form nach mittelbar – ist Form des Sehens ist es erst, die das
auf die Entdeckung und Gewinnung »absichtliche« Tun des Menschen
von Mittelgliedern angewiesen, die von dem tierischen Instinkt scheidet.
den Anfang und das Ende, den Die »Ab-Sicht« begründet die
Obersatz und den Schlußsatz einer »Voraus-Sicht«; begründet die
Schlußkette miteinander verknüpfen. Möglichkeit, statt auf einen
Das Werkzeug erfüllt die gleiche unmittelbar gegebenen Sinnenreiz
Funktion, die sich hier in der Sphäre hin zu handeln, die Zielbestimmung
des Logischen darstellt, in der auf ein räumlich Abwesendes und
gegenständlichen Sphäre: Es ist zeitlich Entferntes zu richten. Nicht
gleichsam der in gegenständlicher weil das Tier an körperlicher
Anschauung, nicht im bloßen Denken Geschicklichkeit hinter den Menschen
erfaßte »terminus medius«. Es stellt zurücksteht, sondern weil ihm diese
sich zwischen den ersten Ansatz des eigentümliche Blick richtung versagt
Willens und das Ziel – und es ist, gibt es im Bereich tierischen
gestattet in dieser Zwischenstellung Daseins keinen eigentlichen
erst, beide voneinander zu sondern Werkzeuggebrauch. [20] Und diese
und in die gehörige Distanz zu Blickrichtung ist es auch, in der erst
setzen. Solange der Mensch sich zur der Gedanke der kausalen
Erreichung seiner Zwecke lediglich Verknüpfung im strengen und
seiner Gliedmaßen, seiner eigentlichen Sinne ersteht. Faßt man
körperlichen »Organe« bedient, ist freilich den Begriff der Kausalität so
solche Distanzierung noch nicht locker und lose, daß man ihn überall
erreicht. Er wirkt alsdann zwar auf anwendbar findet, wo Ähnliches oder
seine Umwelt – aber von diesem räumlich und zeitlich Benachbartes
Wirken selbst zum Wissen des durch bloße »Assoziation« verbunden
Wirkens ist noch ein weiter Abstand. wird – so muß man den Ursprung
Wo alles Tun des Menschen darin dieses Begriffs weit früher ansetzen.
aufgeht, die Welt zu ergreifen, da Es ist kein Zweifel, daß schon die
kann er sie noch nicht als solche mythische Welt und daß schon das
begreifen – da kann er sie noch nicht rein magische Wirken von derlei
als eine Welt von Gegenständen in »Assoziationen« erfüllt und durch sie
objektiver Gestalt vor sich hinstellen. beherrscht ist. Frazer verfährt daher
Das triebhafte In-Besitz-Nehmen, das konsequent, wenn er, auf Grund
unmittelbare leibliche Fassen läßt es dieser Auffassung der Kausalität,
nicht zu einem »Erfassen«, zu einem schon die Welt der Magie dem Prinzip
Aufbau in der Region des reinen der Kausalität unterstellt – wenn er in
Anschauens und in der Region des der Magie die eigentlichen Anfänge
Denkens kommen. Im Werkzeug und der »Experimentalphysik« sieht.[21]
seinem Gebrauch hingegen wird Aber ein anderes Bild und ein
gewissermaßen zum ersten Male das anderes Urteil über die geistigen
erstrebte Ziel in die Ferne gerückt. Zusammenhänge und die geistigen
Ernst Cassirer, Form und Technik 18
Darin liegt, daß es in der Welt des der Werkzeuge erscheint selbst wie
Werkzeugs niemals bloße eine Art von Pandämonium. Die
Dingbeschaffenheiten, sondern daß Sprache ist keineswegs ursprünglich
es in ihr, um einen mathematischen ein rein sachlich bestimmtes und
Ausdruck zu brauchen, nur ein sachlich orientiertes Darstellungs
Ganzes von »Vektorgrößen« gibt. mittel, kein Mittel der bloßen
Jedes Sein ist hier in sich bestimmt, Mitteilung, auf der sich das
aber es ist zugleich Ausdruck einer gegenseitige Verständnis, im
bestimmten Verrichtung, und in logischen Sinne des Wortes, erhebt.
dieser Anschauung der Verrichtung Je mehr man in den »Ursprung« der
geht dem Menschen ganz allgemein Sprache zurückzugehen sucht, um so
eine prinzipiell neue Blickrichtung, mehr schwindet der bloße
geht ihm die Auffassung einer »Sachcharakter« ihrer
»objektiven Kausalität« auf. Grundelemente. Herder sagt, daß das
Wie groß freilich die Leistung ist, älteste Wörterbuch und die älteste
die hier gefordert wird, das tritt mit Grammatik der Menschheit nichts
besonderer Deutlichkeit hervor, wenn anderes war als ein »tönendes
man sich gegenwärtig hält, daß die Pantheon« – ein Reich nicht sowohl
Kluft zwischen den beiden von Dingen und Dingnamen, als
verschiedenen Weltaspekten, die hier vielmehr von belebten, handelnden
einander gegenüberstehen, nicht mit Wesen. Und das gleiche gilt für die
einem Ansatz übersprungen werden ersten und primitivsten Werkzeuge.
kann. Der Abstand zwischen den Auch sie gelten durchaus als »Gaben
beiden Polen bleibt bestehen – und er von oben« – als Geschenke eines
kann nur Schritt für Schritt Gottes oder Heilbringers. So werden
durchmessen werden. Lange sie selbst als göttlich verehrt: Bei den
nachdem der menschliche Geist in Eweern in Süd-Togo gilt noch heute
der Sprache und im Werkzeug die der Schmiedehammer als eine
wichtigsten Mittel der Befreiung sich mächtige Gottheit, zu der gebetet
geschaffen hat, erscheinen ihm wird und der Opfer dargebracht
ebendiese Mittel selbst noch wie werden. Bis in die großen
eingehüllt in jenen Kulturreligionen hinein lassen sich
magischmythischen Dunstkreis, über die Spuren dieser Empfindung und
den sie ihn, in ihrer letzten und Anschauung verfolgen.[23] Aber diese
höchsten Entfaltung, hinausführen Scheu verliert sich, das mythische
sollen.[22] Die Welt der Sprache wie Dunkel, das das Werkzeug zunächst
die des Werkzeugs wird keineswegs noch umgibt, lichtet sich allmählich
unmittelbar als Schöpfung des in dem Maße, als der Mensch es nicht
Menschengeistes begriffen, sondern nur gebraucht, sondern als er es, in
beide wirken als fremde und ebendiesem Gebrauch selbst,
überlegene Kräfte. Der dämonische fortdauernd umbildet. Mehr und
Charakter, der der mythischen mehr wird er sich jetzt als freier
Auffassung als solcher eigen ist, Herrscher im Reich der Werkzeuge
erstreckt sich auch auf diese beiden bewußt: In der Macht des Werkzeugs
Welten und droht sie zunächst gelangt er zugleich zu einer neuen
vollständig in seinen Bann zu ziehen. Anschauung seiner selbst, als des
Das Ganze der Worte und das Ganze Verwalters und Mehrers derselben.
Ernst Cassirer, Form und Technik 20
Schranke« bezeichnet hat. Was die der technischen und der sprachlichen
Instrumente der vollentwickelten Funktion: Zwischen dem »Geist des
Technik von den primitiven Werkzeugs« und dem »Werkzeug des
Werkzeugen trennt, ist ebendies, daß Geistes«. Denn auch die Sprache
sie sich von dem Vorbild, das ihnen sucht in ihren ersten Anfängen die
die Natur unmittelbar zu bieten »Nähe zur Natur« noch durchgängig
vermag, freigemacht und festzuhalten. Sie gibt sich dem
gewissermaßen losgesagt haben. direkten sinnlichen Eindruck der
Erst auf Grund dieses »Lossagens« Dinge hin und strebt danach, ihn im
tritt das, was sie selbst zu sagen und Klang, im Lautbild nach Möglichkeit
zu leisten haben, tritt ihr festzuhalten und gewissermaßen
selbständiger Sinn und ihre auszuschöpfen. Aber je weiter sie
autonome Funktion vollständig sodann auf ihrem Wege fortschreitet,
zutage. Als das Grundprinzip, das die um so mehr sagt sie sich von dieser
gesamte Entwicklung des modernen unmittelbaren Gebundenheit los. Sie
Maschinenbaus beherrscht, hat man verläßt den Weg des
den Umstand bezeichnet, daß die onomatopoetischen Ausdrucks; sie
Maschine nicht mehr die Handarbeit ringt sich von der bloßen
oder gar die Natur nachzuahmen Lautmetapher los, um zum reinen
sucht, sondern daß sie bestrebt ist, Symbol zu werden. Und damit erst
die Aufgabe mit ihren eigenen, von hat sie die ihr eigentümliche geistige
den natürlichen oft völlig Gestalt gefunden und festgestellt; ist
verschiedenen Mitteln zu lösen.[31] Mit die in ihr schlummernde Leistung
diesem Prinzip und seiner immer zum wahrhaften Durchbruch gelangt.
[33]
schärferen Durchführung hat die
Technik erst ihre eigentliche So untersteht auch hier der Gang
Mündigkeit erlangt. Jetzt richtet sie der Technik einer allgemeineren
eine neue Ordnung auf, die nicht in Norm, die die Gesamtheit der
Anlehnung an die Natur, sondern Kulturentwicklung beherrscht. Aber
nicht selten in bewußtem Gegensatz der Übergang zu dieser Norm kann
zu ihr gefunden wird. Die Entdeckung sich freilich hier sowenig wie in den
des neuen Werkzeugs stellt eine andern Gebieten ohne Kampf und
Umbildung, eine Revolution der ohne schärfsten Widerstreit
bisherigen Wirkungsart, des Modus vollziehen. Indem der Mensch das
der Arbeit selbst, dar. So wurde, wie Wagnis unternimmt, sich von der
man betont hat, mit der Vormundschaft der Natur
Nähmaschine zugleich eine neue loszusprechen und sich rein auf sich
Nähweise, mit dem Walzwerk eine selbst, auf das eigene Wollen und
neue Schmiedeweise erfunden – und Denken, zu stellen, hat er damit auch
auch das Flugproblem konnte erst all den Wohltaten, die die
endgültig gelöst werden, als das unmittelbare Nähe zur Natur in sich
technische Denken sich von dem schloß, entsagt. Und einmal
Vorbild des Vogelflugs freimachte zerschnitten kann sich das Band, das
und das Prinzip des bewegten Flügels ihn mit ihr verband, nie wieder in der
verließ.[32] Abermals zeigt sich hier alten Weise knüpfen. In dem
eine durchgängige und Augenblick, in dem sich der Mensch
überraschende Analogie zwischen dem harten Gesetz der technischen
Ernst Cassirer, Form und Technik 26
befindet. Hier geht es nicht um Lust dessen die Aufgaben des Geistes
oder Unlust, um Glück oder Leid, selber, indem sie sich immer feiner
sondern um Freiheit oder Unfreiheit. differenzieren, sich zugleich einander
Findet sich, daß das Wachstum mehr und mehr entfremden. Denn
technischen Könnens und jetzt ist es nicht allein die organische
technischer Güter notwendig und Einheit des Daseins, sondern es ist
wesentlich ein immer stärkeres Maß die Einheit der »Idee«, die Einheit der
von Gebundenheit in sich schließt, Zielrichtung und der Zielsetzung, die
daß es die Menschheit, statt ein durch diese Entfremdung bedroht
Vehikel zu ihrer Selbstbefreiung zu wird. Auch die Technik stellt sich in
sein, mehr und mehr in Zwang und ihrer Entfaltung nicht einfach neben
Sklaverei verstrickt: so ist der Stab die andern Grundrichtungen des
über die Technik gebrochen. Zeigt Geistes, noch ordnet sie sich ihnen
sich umgekehrt, daß es die Idee der friedlich und harmonisch ein. Indem
Freiheit selbst ist, die ihr die sie sich von ihnen unterscheidet,
Richtung weist und die dazu berufen scheidet sie sich zugleich von ihnen
ist, in ihr zuletzt zum Durchbruch zu ab und stellt sich ihnen entgegen. Sie
kommen, so kann die Bedeutung beharrt nicht nur auf ihrer eigenen
dieses Zieles nicht dadurch Norm, sondern sie droht diese Norm
geschmälert werden, daß man auf absolut zu setzen und sie den andern
die Leiden und Mühen des Weges Gebieten aufzuzwingen. Hier bricht
hinblickt. Denn der Weg des Geistes somit, im Kreise des geistigen Tuns
steht hier wie überall unter dem und gewissermaßen in seinem
Gesetz der Entsagung: unter dem eigenen Schoße, ein neuer Konflikt
Gebot eines heroischen Willens, der auf. Was nun verlangt wird, ist keine
weiß, daß er sein Ziel nur dadurch zu bloße Auseinandersetzung mit der
erreichen, ja daß er es nur dadurch »Natur«, sondern eine Grenzsetzung
aufzustellen vermag, daß er auf alles innerhalb des Geistes selbst – ist die
naiv-triebhafte Glücksverlangen Aufrichtung einer universellen Norm,
verzichtet. die die Einzelnormen zugleich
befriedigt und beschränkt. Am
IV einfachsten gestaltet sich diese
Der Konflikt, der zwischen dem Grenzbestimmung im Verhältnis der
Glücksverlangen des Menschen und Technik zur theoretischen
den Forderungen entsteht, unter die Naturerkenntnis. Hier scheint die
der technische Geist und der Harmonie von Anfang an gegeben
technische Wille ihn stellt, aber ist und gewährleistet; hier stellt sich
keineswegs der einzige und der kein Kampf um Über- oder
schärfste Gegensatz, der sich hier Unterordnung, sondern ein
aufrichtet. Tiefer und bedrohlicher wechselseitiges Geben und Nehmen
tritt der Widerstreit hervor, wenn er dar. Jede der beiden Grundrichtungen
sich in das Gebiet der Kulturformen steht auf sich selbst; aber ebendiese
selbst fortsetzt. Die wahre Selbständigkeit entfaltet sich,
Kampffront zeigt sich erst dort, wo ungehemmt und ungesucht, zur
nicht mehr lediglich die Mittelbarkeit reinen Dienstbarkeit an der andern
des Geistes mit der Unmittelbarkeit und mit der andern. Nirgends tritt die
des Lebens streitet, sondern wo statt Wahrheit des Goethischen Worts, daß
Ernst Cassirer, Form und Technik 29
Tun und Denken, Denken und Tun Auch der eigentliche Begründer der
die Summe aller Weisheit bilden, so theoretischen Dynamik, auch Galilei
sichtbar hervor wie hier. Denn es ist kommt von technischen Problemen
keineswegs die »abstrakte«, die rein her. Olschki hat in seiner
theoretische Erkenntnis der Monographie über Galilei mit Recht
Naturgesetze, die vorangeht, und die den stärksten Nachdruck auf dieses
erst der technischen Problemstellung Moment gelegt. »Auf diese Seite des
und der konkret-technischen galileischen Schaffens und seiner
Betätigung die Wege weist. Vielmehr wissenschaftlichen Entwicklung«, so
greifen beide Prozesse von Anfang an bemerkt er, »haben die wenigsten
ineinander ein und halten sich Biographen das Augenmerk
gewissermaßen die Waage. gerichtet. Aber gerade diese
Geschichtlich kann man sich dieses ursprünglichste und zäheste seiner
Verhältnis deutlich machen, wenn vielseitigen Veranlagungen bildet
man auf die »Entdeckung der Natur« den Schwerpunkt seines scheinbar so
hinblickt, wie sie sich im auseinanderstrebenden
europäischen Bewußtsein seit den Lebenswerkes. […] Man muß sich die
Tagen der Renaissance vollzieht. Tatsache vergegenwärtigen, daß jede
Diese Entdeckung ist keineswegs Entdeckung Galileis auf dem Gebiete
allein ein Werk der großen der Physik und der Astronomie mit
Naturforscher, sondern sie geht irgendeinem Instrument eigener
wesentlich auf Antriebe zurück, die Erfindung oder besonderer
aus der Fragestellung der großen Einrichtung aufs engste verknüpft ist.
Erfinder stammen. In einem Geist wie Sein technisches Genie ist die
Leonardo da Vinci stellt sich das eigentliche Voraussetzung der
Ineinander dieser beiden wissenschaftlichen Versuche, durch
Grundrichtungen in klassischer welche seine theoretische Originalität
Einfachheit und in klassischer Tiefe erst Richtung und Ausdruck
dar. Was Leonardo vom bloßen erhielt.«[38] Die eigentliche Erklärung
Gelehrtentum, vom Geist der dieses Sachverhalts liegt darin, daß
»Letterati«, wie er ihn nennt, die theoretische und die technische
scheidet, ist die Tatsache, daß in ihm Betätigung sich nicht nur äußerlich
»Theorie« und »Praxis«, »Praxis« und miteinander berühren, sofern sich
»Poiesis« sich in einem ganz andern beide an dem gleichen »Material«
Maße als je zuvor miteinander der Natur auswirken, sondern daß
durchdringen. Er wird als Künstler beide im Prinzip und im Kern ihrer
zum Techniker und zum Produktivität miteinander verwandt
wissenschaftlichen Forscher, wie sich sind. Denn auch das Bild der Natur,
ihm umgekehrt alle Forschung das der Gedanke aus sich
alsbald wieder in technische herausstellt, wird nicht im bloßen
Probleme und in künstlerische untätigen Schauen gewonnen,
Aufgaben umsetzt.[37] Und es handelt sondern es erfordert den Einsatz
sich hierbei keineswegs um eine bloß einer aktiven Kraft. Je mehr man sich
einmalige Verbindung, sondern um in erkenntniskritischer Reflexion in
ein sachliches Grundverhältnis, das die Ursprünge und Bedingungen
fortan der gesamten Wissenschaft dieses Bildes versenkt, um so
der Renaissance die Richtung weist. deutlicher wird es, daß es kein bloßes
Ernst Cassirer, Form und Technik 30
Nachbild ist – daß sein Umriß nicht einfach unter der ständigen Leitung,
von der Natur einfach vorgezeichnet unter der Vorschrift und
ist, sondern daß er aus einer Vormundschaft des Wirklichen;
selbständigen Energie des Denkens sondern es verlangt, daß wir ständig
heraus gestaltet werden muß. So vom »Wirklichen« in ein Reich des
erweist sich schon hier der Verstand, »Möglichen« zurückgehen und das
um mit Kant zu sprechen, als der Wirkliche selbst unter dem Bilde des
»Urheber der Natur«. Aber diese Möglichen erblicken. Die Gewinnung
Urheberschaft nimmt eine andere dieses Blick- und Richtpunkts
Richtung an und bezeugt sich auf bedeutet, in rein theoretischer
einem neuen Wege, sobald man ins Hinsicht, vielleicht die größte und
Gebiet des technischen Schaffens denkwürdigste Leistung der Technik.
hinüberblickt. Auch das technische Mitten im Gebiet des Notwendigen
Werk teilt mit der theoretischen stehend und in der Anschauung des
Wahrheit die Grundbestimmung, daß Notwendigen verharrend, entdeckt
beide von der Forderung einer sie einen Umkreis freier
»Entsprechung« zwischen Gedanken Möglichkeiten. Diesen haftet keinerlei
und Wirklichkeit, einer »adaequatio Unbestimmtheit, keine bloß
rei et intellectus« beherrscht werden. subjektive Unsicherheit an, sondern
Aber noch deutlicher als im sie treten dem Denken als etwas
theoretischen Erkennen tritt im durchaus Objektives entgegen. Die
technischen Schaffen hervor, daß Technik fragt nicht in erster Linie
diese »Entsprechung« nicht nach dem, was ist, sondern nach
unmittelbar gegeben ist, sondern daß dem, was sein kann. Aber dieses
sie zu suchen und fortschreitend »Können« selbst bezeichnet keine
herzustellen ist. Die Technik bloße Annahme oder Mutmaßung,
unterwirft sich der Natur, indem sie sondern es drückt sich in ihm eine
ihren Gesetzen gehorcht und sie als assertorische Behauptung und eine
unverbrüchliche Voraussetzungen assertorische Gewißheit aus – eine
ihres Wirkens betrachtet; aber Gewißheit, deren letzte Beglaubigung
unbeschadet dieses Gehorsams freilich nicht in bloßen Urteilen,
gegen die Naturgesetze ist ihr die sondern im Herausstellen und
Natur niemals ein Fertiges, ein Produzieren bestimmter Gebilde zu
bloßes Gesetztes, sondern ein suchen ist. In diesem Sinne hat jede
ständig Neuzusetzendes, ein immer wahrhaft originelle technische
wieder zu Gestaltendes. Der Geist Leistung den Charakter des Ent-
mißt stets von neuem die Deckens als eines AufDeckens: Es
Gegenstände an sich und sich selbst wird damit ein an sich bestehender
an den Gegenständen, um in diesem Sachverhalt aus der Region des
zwiefachen Akt die echte adaequatio, Möglichen gewissermaßen
die eigentliche »Angemessenheit« herausgezogen und in die des
beider zu finden und sicherzustellen. Wirklichen verpflanzt. Der Techniker
Je weiter diese Bewegung greift und ist hierin ein Ebenbild jenes Wirkens,
je mehr ihre Kraft anwächst, um so das Leibniz in seiner Metaphysik dem
mehr fühlt und weiß er sich der göttlichen »Demiurgen« zuspricht,
Wirklichkeit »gewachsen«. Dieses der nicht die Wesenheiten oder
innere Wachstum erfolgt nicht Möglichkeiten der Gegenstände
Ernst Cassirer, Form und Technik 31
sondern es steht unter dem Gesetz die Leistungen der Technik können
einer reinen Vorwegnahme, einer uns freilich der Aufgabe der
vorausschauenden Sicht, die in die Bestimmung der Differenz zwischen
Zukunft vorweggreift und eine neue technischem und künstlerischem
Zukunft heraufführt. Schaffen nicht überheben. Diese
Mit dem Einblick in diesen Differenz tritt sogleich hervor, wenn
Sachverhalt aber scheint nunmehr man die Art der »Objektivierung«
der eigentliche Schwerpunkt der Welt betrachtet, die im Künstler und im
der technischen »Form« sich mehr Techniker wirksam ist.
und mehr zu verschieben und vom In der gegenwärtigen Literatur
rein theoretischen Bereich in das zur »Philosophie der Technik«
Gebiet der Kunst und des begegnet man immer wieder der
künstlerischen Schaffens Frage, ob und wieweit ein
hinüberzurücken. Wie eng sich beide technisches Werk rein ästhetischer
Bereiche ineinander verflechten, dies Wirkungen fähig ist und wieweit es
bedarf in der Tat keines besonderen rein ästhetischen Normen unterliegt.
Erweises. Wiederum genügt ein Blick Die Antworten, die auf diese Frage
auf die allgemeine gegeben werden, stehen einander
Geistesgeschichte, um uns darüber diametral gegenüber: Die
zu belehren, wie fließend hier im »Schönheit« wird bald als ein
konkreten Werden, in der Entstehung unveräußerliches Gut technischer
der technischen Formwelt und in der Erzeugnisse behauptet und
Ernst Cassirer, Form und Technik 32
gepriesen, bald wird sie als eine »Objektive« ist an keiner Stelle ein
»falsche Tendenz« abgewehrt. Dieser bloß »Äußeres«, sondern es ist die
Streit, der mit großer Schärfe Äußerung eines Inneren, das an ihm
durchgefochten zu werden pflegt, gewissermaßen seine Transparenz
schlichtet sich, sobald man erwägt, gewinnt. Die dichterische, die
daß in Thesis und Antithesis der malerische oder plastische Form sind
Begriff der Schönheit zumeist in ganz in ihrer höchsten Vollendung, in ihrer
verschiedenem Sinne genommen reinen »Ablösung« vom Ich, noch
wird. Faßt man die Norm des immer durchflutet von der reinen
»Schönen« so weit, daß man überall Ichbewegung. Der Rhythmus dieser
dort von ihr spricht, wo ein Sieg der Bewegung lebt in geheimnisvoller
»Form« über den »Stoff«, der »Idee« Weise in der Form weiter und spricht
über die »Materie« hervortritt, so uns unmittelbar in ihr an. Der Umriß
kann kein Zweifel daran sein, in der Gestalt weist hier immer wieder
welch hohem Maße gerade die zurück auf einen bestimmten Zug der
Technik an ihr Anteil hat. Aber diese Seele, die sich in ihr manifestiert;
Formschönheit schlechthin umfaßt und er ist zuletzt nur aus dem
alsdann die ganze Weite geistiger Ganzen dieser Seele, aus jener
Betätigung und geistiger Gestaltung Totalität, die in jeglicher echten
überhaupt. In diesem Sinne künstlerischen Individualität
verstanden, gibt es – wie Platon es beschlossen ist, verständlich zu
im »Symposion« ausspricht – nicht machen. Solche Ganzheit und solche
nur eine Schönheit körperlicher individuelle Besonderung bleibt dem
Bildungen, sondern auch eine technischen Werk versagt.
logische und eine ethische Betrachtet man freilich den reinen
Schönheit, eine »Schönheit der Erlebnisgehalt des technischen und
Erkenntnisse« und eine »Schönheit des künstlerischen Schaffens, so
der Sitten und Bestrebungen«.[41] Um scheint sich zwischen beiden
von diesem allumfassenden nirgends eine strenge Grenzlinie
Formbegriff die besondere Region aufweisen zu lassen. An Intensität, an
des künstlerischen Schaffens zu Fülle und leidenschaftlicher
erreichen, dazu bedarf es einer Bewegtheit steht das eine in nichts
wesentlichen Einschränkung und dem andern nach. Es ist keine
einer spezifischen Bestimmung. geringere seelisch geistige
Diese ergibt sich aus jenem Erschütterung, wenn das Werk des
eigentümlichen Verhältnis, in dem Entdeckers oder Erfinders, nachdem
alle künstlerische Schönheit zum er es Jahre und Jahrzehnte im Innern
Grund- und Urphänomen des getragen hat, zum ersten Male in die
Ausdrucks steht. Das Kunstwerk läßt Wirklichkeit durchbricht, als wenn die
in einer durchaus eigenartigen, ihm dichterische oder plastische Gestalt
allein vorbehaltenen Weise »Gestalt« sich von ihrem Urheber loslöst und
und »Ausdruck« ineinander ihm als ein Gebilde eigenen Seins
übergehen. Es ist eine Schöpfung, die und eigenen Rechts gegenübertritt.
hinausgreift in das Reich des Aber nachdem einmal diese
Objektiven und die eine streng Trennung sich vollzogen hat, waltet
objektive Gesetzlichkeit vor uns zwischen dem Schöpfer und seinem
hinstellt. Aber ebendieses Werk in der rein technischen Sphäre
Ernst Cassirer, Form und Technik 33
hineingestellt wird und in dem er, in Aufbau des Reiches des Willens und
einem niemals endenden Taumel, der Grundgesinnung, auf der alle
von Begierde zu Genuß, von Genuß sittliche Gemeinschaft ruht, kann die
zu Begierde geworfen wird. Technik immer nur Dienerin, nicht
Von dem harten Verdikt, das hier Führerin sein. Sie kann die Ziele nicht
über die Technik gefällt wird, läßt von sich aus stellen, wenngleich sie
sich, solange man im Umkreis ihrer an ihrer Verrichtung mitarbeiten
äußeren Erscheinung, ihrer Folgen kann und soll; sie versteht ihren
und Wirkungen, stehenbleibt, nichts eigenen Sinn und ihr eigenes Telos
abdingen. Nur eine Frage kann noch am besten, wenn sie sich dahin
gestellt werden, ob diese Wirkungen bescheidet, daß sie niemals
notwendig mit ihrem Wesen gesetzt, Selbstzweck sein kann, sondern sich
ob sie in dem gestaltenden Prinzip einem andern »Reich der Zwecke«,
der Technik selbst beschlossen und daß sie sich jener echten und
durch dasselbe gefordert sind. Und endgültigen Teleologie einzuordnen
sobald das Problem in diesem Sinne hat, die Kant als Ethiko-Teleologie
genommen wird, ergibt sich alsbald bezeichnet. In diesem Sinne bildet
ein durchaus anderer Aspekt der die »Entmaterialisierung«, die
Betrachtung und Beurteilung. Ethisierung der Technik eines der
Rathenau selbst läßt keinen Zweifel Zentralprobleme unserer
daran, daß all die Mängel und gegenwärtigen Kultur.[47] Sowenig die
Schäden der modernen technischen Technik, aus sich und ihrem eigenen
Kultur, die er unerbittlich aufdeckt, Kreis heraus, unmittelbar ethische
nicht sowohl aus ihr selbst, als Werte erschaffen kann, sowenig
vielmehr aus ihrer Verbindung mit besteht eine Entfremdung und ein
einer bestimmten Wirtschaftsform Widerstreit zwischen diesen Werten
und Wirtschaftsordnung zu verstehen und ihrer spezifischen Richtung und
sind – und daß demnach jeder Grundgesinnung. Denn die Technik
Versuch der Besserung an dieser steht unter der Herrschaft des
Stelle den Hebel anzusetzen hat. »Sachdienstgedankens«, unter dem
Diese Verbindung stammt nicht aus Ideal einer Solidarität der Arbeit, in
dem Geiste der Technik – sie ist ihr der zuletzt alle für einen und einer
vielmehr durch eine besondere für alle wirkt. Sie schafft, noch vor
Situation, durch eine konkrete der wahrhaft freien
geschichtliche Lage abgenötigt und Willensgemeinschaft, eine Art von
aufgedrungen.[46] Aber nachdem Schicksalsgemeinschaft zwischen all
einmal diese Verflechtung denen, die an ihrem Werke tätig sind.
eingetreten ist, läßt sie sich freilich So kann man mit Recht als den
mit den Mitteln der Technik allein impliziten Sinn technischer Arbeit
nicht lösen. Hier genügt es nicht, die und technischer Kultur den Gedanken
Kräfte der Natur oder die Kräfte des der »Freiheit durch Dienstbarkeit«
bloßen Verstandes, des technischen bezeichnen.[48] Soll dieser Gedanke
und wissenschaftlichen Intellekts, sich wahrhaft auswirken, so ist
aufzurufen; sondern hier stehen wir freilich erforderlich, daß er mehr und
an dem Punkte, an dem nur der mehr seinen impliziten Sinn in einen
Einsatz neuer Willens kräfte wahrhaft expliziten verwandelt: daß das, was
Wandel schaffen kann. In diesem im technischen Schaffen geschieht,
Ernst Cassirer, Form und Technik 36