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er Wutbürger kann abdanken, es gibt ja Angela Merkel. Zwar stand sie in der jährlichen Abstimmung des Parlaments
Sie kümmert sich. Sie sorgt dafür, dass einer der großen zum Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan, aber dazwischen
Wünsche unserer Zeit erfüllt wird: der nach Beteiligung war ihr daran gelegen, dass dieses Thema in Vergessenheit ge-
der Bürger an den Entscheidungen, der nach direkter Demo- riet. Die Mehrheit der Deutschen ist gegen diesen Einsatz, er
kratie also. Die Deutschen leben derzeit in der direktesten De- kann niemanden zu Volkes Liebling befördern. Aber ein Abzug
mokratie seit ungefähr 2400 Jahren, als sich städtische Griechen hätte Merkel bei den amerikanischen Verbündeten unmöglich
regelmäßig versammelten, um über die Staatsgeschäfte zu be- gemacht. Sie verfolgte die Politik der Nichterwähnung.
raten. So viel Aufwand ist für die Deutschen gar nicht nötig. Aber dann kam Libyen. Der Osten des nordafrikanischen
Ihre Kanzlerin nimmt einfach die Stimmungen des Volkes auf Landes begehrte auf gegen einen der fürchterlichsten Diktato-
und handelt danach. Bequemer ren unserer Zeit, ein Bürgerkrieg
kann man nicht regiert werden. entbrannte, bei dem die Aufstän-
Angela Merkel ist im sechsten dischen bald in die Defensive ge-
Jahr ihrer Kanzlerschaft. Allmäh- rieten. Massaker drohten.
lich ist klar, wie sie dieses Land Merkel sah die Möglichkeit, ih-
regiert, allmählich ist es Zeit für rem Volk vor den Wahlen in Ba-
eine Überschrift, für ein Motto. den-Württemberg und Rheinland-
Es liegt jetzt auf der Hand: die Pfalz eine Alternative zu sich
weiche Kanzlerschaft. Die aktu- selbst anbieten zu können, und
ellen Belege sind ihre Libyen- entschied sich nicht für eine klare
und ihre Atompolitik. Entscheidung, sondern für einen
In der vergangenen Woche hat abenteuerlichen Schlingerkurs.
sie einen interessanten Satz ge- Sie war gegen den Einsatz deut-
MARC-STEFFEN UNGER
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kommen. In einer Demokratie ergibt sich Politik aus der De- ber es muss doch etwas geben, eine Plattform, von der
batte, aus dem Austausch der Meinungen. Ein frühes „Basta“ aus Angela Merkel Politik macht. Als Christin? Nein,
würgt diesen Prozess ab, genauso das Wort „alternativlos“. Mit spielt keine große Rolle, in Lebensfragen hat sie eher
„basta“ rumpelte Gerhard Schröder durch die deutsche Politik, ein biologistisches Weltbild. Als Frau? Hin und wieder, aber
„alternativlos“ stammt ironischerweise von Angela Merkel. In eine Frauenquote geht ihr zu weit. Als Konservative, immerhin
einer Demokratie sollte es immer eine Alternative geben, was ist sie Vorsitzende der CDU, die einen konservativen Kern hat?
niemand so gut weiß wie die Kanzlerin. Die Alternative zu Nein, spielt gar keine Rolle. Als Ostdeutsche? Für sie kaum ein
Merkels Politik kommt meistens von Merkel. Sie ist die Frau Thema. Bleibt noch eins: Wissenschaftlerin. Das galt lange als
ohne Fundament, ein Wunder der Beweglichkeit. ihr Kern, die Physikerin, die mit wissenschaftlichem Auge Po-
Eine kurze Geschichte ihres Regierens zeigt sie zu Beginn litik macht.
als eine Frau, die sich nicht traut, ihre Vorstellungen von Sozi- In der ersten Jahreshälfte 2007 hat sie bewiesen, dass das
alreformen durchzusetzen. Volkes Stimmung war nicht danach, stimmt. Gerade hatten Wissenschaftler alarmierende Zahlen
in Umfragen und Studien sorgte es sich um Gerechtigkeit im über den Klimawandel vorgelegt. Merkel sprang sofort darauf
Lande. Oskar Lafontaine trieb Merkel mit linken Sprüchen vor an – Wissenschaftler, Zahlen, Diagramme, Unabweisbarkeit.
sich her, und die verteilte eifrig Geschenke, um die Gemüter Sie wurde Klimakanzlerin, und das war populär, weil die Aus-
zu beschwichtigen. Vor allem die Rentner, deren Wut besonders sichten auf gigantische Stürme und Hitzewellen so unheimlich
gefürchtet ist, wurden gut bedacht. wirkten. Merkel war in ihrem Element, sie machte populäre
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und gleichzeitig wissenschaftlich grundierte Politik. Die Ener- sie gesagt, dass kein Kernkraftwerk länger am Netz bleiben
giewende wurde zu ihrem Thema, weg von der Kohle, vom Öl, werde als notwendig. Nun werden die Laufzeiten älterer Meiler
hin zur Windkraft, zum Biosprit. mit einiger Sicherheit verkürzt. War notwendig gar nicht so
Aber dieser Elan hielt nicht lange. Als im Sommer 2008 der richtig notwendig? Die längeren Laufzeiten waren auch ein
Ölpreis stieg, hatte Merkel Angst, dass ihre Deutschen Angst schönes Geschenk für die Energieversorger, die mit den alten
vor noch höheren Energiekosten hätten, sollte sie die Energie- Meilern klotzig Geld verdienten.
wende entschlossen durchsetzen. Das Thema spielte bald keine
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Rolle mehr. Die Wissenschaftlerin in ihr war deutlich kleiner n der vergangenen Woche ist Merkel tatsächlich das Wort
als die Populistin. „entschieden“ über die Lippen gekommen. Sie werde die
Das zeigt sich gerade wieder. Als sie die Nachrichten aus Fu- Energiewende nun entschieden betreiben. Aber wer glaubt
kushima hörte, verabschiedete sie sich in Windeseile vom Atom- ihr das noch? Was ist, wenn der Ölpreis weiter steigt, wenn
strom, ohne das in klaren Sätzen öffentlich zu sagen. Ähnlich arabische Krise und Energiewende die Kosten für Strom und
wie im Fall Libyen war es die entschiedene Unentschiedenheit. Benzin explodieren lassen und das Volk das Murren beginnt?
Sie setzte ein Moratorium für sieben ältere Kernkraftwerke Die kurze Geschichte ihres Regierens macht einen alles andere
durch und berief eine Ethikkommission, die über den Ausstieg als zuversichtlich, dass die Bundeskanzlerin dann Beharrung
beraten und für Merkel klare Sätze absichern soll. Auch das zeigt. Wer zweifelt, folgt nicht gern.
geschah rechtzeitig vor den Wahlen in Baden-Württemberg Warum ist Merkel so, warum neigt sie zu einer weichen Kanz-
und Rheinland-Pfalz. Die Deutschen, dachte die Populistin in lerschaft, ohne starken Führungsanspruch, ohne Fundament?
ihr, können die Atomkraft nicht mehr aushalten. Vier Gründe ragen heraus.
Und was sagt die Physikerin, die Wissenschaftlerin? Aus phy- Sie hat einen strukturellen Nachteil, den man ihr nicht vor-
sikalischer Sicht hat sich nichts geändert durch die Katastrophe werfen kann. Diesen Nachteil haben Ostdeutsche, die sich in
von Fukushima. Die Gesetze der Kernspaltung sind geblieben, einer westdeutsch dominierten Welt durchsetzen wollen. Viele
von einem Restrisiko war immer die Rede. Nur hielt Merkel Westdeutsche akzeptieren die Jahre in der DDR nicht als posi-
dieses Restrisiko für zumutbar. tives Fundament, diese Jahre
Sie hielt es für zumutbar, dass sind Zweifeln und Verdächtigun-
die Menschheit mit der Aussicht gen ausgesetzt. Merkel fehlen da-
auf eine Katastrophe wie die von mit 35 Jahre, die ihr in der west-
Fukushima lebt. Das ist ein deutsch dominierten Politikwelt
Standpunkt, den man haben Sicherheit geben könnten. Kanz-
konnte. Aber man kann ihn jetzt ler wie Helmut Kohl oder Ger-
nicht einfach wegwischen, ver- hard Schröder haben ihre Politik
gessen machen, zumal wenn man oft mit ihrer Herkunft begründet
noch vor einigen Monaten die – Kriegskinder, kleine Verhält-
Verlängerung der Laufzeiten ak- nisse – und konnten damit Sym-
tiv betrieben hat und damit die pathien der Mehrheit sammeln.
Verlängerung des Restrisikos für Merkel kann das nicht.
MARC-STEFFEN UNGER