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AUSGABE 9
WINTER
2004
E
s war eine eigenartige Entdeckung, die die
Chinesen gemacht hatten: Wenn sie mit
bestimmten Steinen einige Male über eine
gelangen dem späteren Leibarzt der engli-
schen Königin Elisabeth I., William Gilbert.
Seine 1600 in London veröffentlichte Schrift
Eisennadel strichen und diese dann frei be- „Über den Magneten“ ist ein Meilenstein der
weglich aufhängten, richtete sich die Nadel wissenschaftlichen Weltliteratur. Das Werk
immer in Nord-Süd-Richtung aus. Schnell gab zum ersten Mal eine rationale Erklärung
erkannten sie, dass sich auf diese Weise ein für die mysteriöse Eigenschaft der Kompass-
nützliches Navigationsinstrument bauen ließ nadel, sich in Nord-Süd-Richtung auszurich-
– der magnetische Kompass war erfun- ten: die Erde selbst ist magnetisch. In seinen
den. Allerdings streiten sich die Historiker, Experimenten benutzte Gilbert einen kugel-
ob die Chinesen dieses Instrument tatsäch- förmigen Magneten als Modell. Indem er eine
lich schon 2500 v. Chr. einsetzten oder erst kleine Kompassnadel über dessen Oberfläche
271 n. Chr.. Die älteste schriftliche Überlie- bewegte, reproduzierte er das Richtungsver-
ferung über die Benutzung eines Kompasses halten des Kompass auf der Erde. Knapp
sich das Magnetfeld der Erde in der Ver-
gangenheit mehrfach umgepolt hat (Phasen
normaler/heutiger Polarität sind schwarz,
umgekehrte Polaritäten weiß gekenn-
zeichnet). Die Intervalle zwischen Polari-
tätswechseln variieren in weiten Grenzen,
von nur wenigen zehntausend bis zu zehn
Millionen Jahren. Längere Zeiträume sind
durch häufige, andere durch relativ wenige a
Umpolungen charakterisiert.
einer Umpolung per Computersimulation
nachvollzogen: Der „magnetische Fluss“ (in
die Erde hinein rot und aus der Erde her-
aus blau dargestellt) nimmt zunächst über
mehrere Jahrhunderte hinweg ab (a). Dann
löst sich die normale, dipolare Struktur des
Magnetfelds auf. Auf dem Höhepunkt der b
Umpolung liegt ein schwaches, aber geo-
metrisch kompliziertes Muster mit mehr als
zwei Magnetpolen vor (b). Schließlich bilden
sich neue Pole mit umgekehrten Vorzeichen
elektrisch kurzgeschlossen sind. Wie kommt könnten.“ Christensen und seine Kollegen Bedingungen für ihren virtuellen Dynamo
es, dass ein solch homogener Dynamo beschränkten sich auf einfache Modelle, festzulegen, unter denen er ohne äußeres
trotzdem funktioniert? Eine Antwort auf die- die sie auf einer kleinen Workstation rea- Magnetfeld arbeitete. Mit weit weniger
se Frage fanden die Wissenschaftler mittels lisierten: „Wir stellten uns den Erdkern als Rechnerleistung als andere Gruppen hatten
Computersimulationen: Während es bei virtuelle Kugel aus flüssigem Eisen vor und die Forscher ein Modell für den Geodynamo
einem technischen Dynamo entscheidend ist, ließen diese in einem Magnetfeld rotieren.“ geschaffen. „Und weil dieses Modell ver-
wie die Stromleiter geführt werden, muss im Die Wissenschaftler wollten damit grund- gleichsweise einfach war, haben wir damit
Erdkern die Strömung des Eisens bestimm- legende Mechanismen der Entstehung des sehr viel über die Mechanismen erfahren,
te, relativ komplizierte Formen aufweisen. Erdmagnetfeldes untersuchen. „Große Hoff- die für die Erzeugung des Erdmagnetfelds
Besonders leicht entsteht ein Magnetfeld nung, dass wir damit ein Modell für einen verantwortlich sind“, sagt Christensen.
beispielsweise, wenn sich die Eisenströme sich selbst erhaltenden Dynamo entwickeln
wie auf Korkenzieherbahnen bewegen. könnten, hatten wir nicht“, erinnert sich der Allerdings produziert nicht einmal ein
Max-Planck-Direktor. einfacher Fahrraddynamo Licht, ohne dass
Am Max-Planck-Institut für Sonnensystem- jemand in die Pedale tritt. Es stellt sich also
forschung in Katlenburg-Lindau befasst sich ERFOLGREICHES SPIEL die Frage: Was treibt den gewaltigen Dyna-
Ulrich Christensen seit rund acht Jahren AM COMPUTER mo der Erde an? Woher stammt die Energie,
mit der Erforschung des Geodynamos. Der Doch die Forscher hatten Glück. Zufällig die dazu nötig ist? Diesem Problem widmete
Forscher war weltweit einer der ersten, dem wählten sie Bedingungen für ihr virtuelles sich der Forscher mit wesentlich leistungs-
es gelang, diesen per Computer zu modellie- Experiment – beispielsweise für die Ro- fähigeren Rechnern. Und diese lieferten
ren. Schmunzelnd erinnert sich Christensen tationsgeschwindigkeit der Kugel und die dann auch sehr viel genauere Daten über die
an einen Forschungsaufenthalt 1997 in den Zähigkeit des Eisens –, unter denen sich das Stärke und die zeitlichen Veränderungen des
USA: „Die frühen Modelle des Geodynamos Magnetfeld plötzlich verstärkte. „Bei den Erdmagnetfelds sowie dessen großräumige
benötigten monatelange Rechenzeiten auf ersten Versuchen brach das System aller- Struktur auf der Erdoberfläche. Bei allem
den besten Supercomputern. Unserer Ar- dings regelmäßig zusammen, wenn wir das Fortschritt in der Computertechnik müssen
beitsgruppe standen aber nur kleine Rechner äußere Magnetfeld abschalteten“, berich- Ulrich Christensen und seine Kollegen je-
zur Verfügung – wir haben deshalb zunächst tet Christensen. Aber die Wissenschaftler doch nach wie vor Kompromisse eingehen.
nicht geglaubt, dass wir große Beiträge gaben nicht auf und wurden schließlich für Damit die aufwändigen mathematischen
zur Erforschung des Geodynamos liefern ihre Hartnäckigkeit belohnt. Es gelang ihnen, Modelle nicht extrem lange Rechenzeiten
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termodellen sehr wohl realistische Daten für
Max-Planck-Gesellschaft, Referat für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, Hofgartenstraße 8, 80539 München | e-mail: presse@gv.mpg.de | Redaktion: Dr. Christina Beck | Text: Ute Hänsler | Gestaltung: www.haak-nakat.de
EIN GEODYNAMO IM LABOR
den Geodynamo erwarten können“.
Der Dynamo der Erde wird als homogen bezeich-
net, da alle „Bauteile“ elektrisch kurzgeschlos-
Nach diesen Berechnungen verschlingt der
sen sind. Dies lässt sich im Labor anhand des Dynamo der Erde zwischen 200.000 und
so genannten Karlsruher Dynamo-Experiments 500.000 Megawatt – das entspricht der
modellieren. Flüssiges Natrium (Schmelzpunkt Leistung einiger hundert Großkraftwerke.
= 98 ºC) wird mit zunehmender Geschwindigkeit
durch Röhren aus Edelstahl gepumpt (a + b), die
Für ein gigantisches System wie die Erde
sich gegenseitig berühren; je schneller das Na- ist dies nicht besonders viel. Die Wissen-
trium fließt, desto höher ist der Druck, den die schaftler gehen deshalb davon aus, dass der
Pumpen erzeugen müssen. Ab einer gewissen Energiebedarf durch das langsame Abkühlen
Geschwindigkeit steigt der Druck jedoch viel
des Erdkerns gedeckt wird – eine besondere
schneller, als zu Beginn des Experiments (c).
Dies ist der Moment, in dem der Dynamo an- Energiequelle im Kern, beispielsweise basie-
springt – ab jetzt wird Bewegungsenergie des rend auf radioaktivem Zerfall von Spuren-
Natriums auch in magnetische Energie verwan- elementen (etwa Kalium), halten sie nicht für
delt, die die Pumpen quasi zusätzlich erzeugen
nötig. Ein wesentlicher Teil der Energieabga-
müssen. Aus der zusätzlichen Druckzunahme
berechnen die Forscher, wie viel Energie nötig be des Kerns beruht im Übrigen darauf, dass
ist, um das Magnetfeld entstehen zu lassen. a der innere, feste Kern stetig wächst, indem
z flüssiges Eisen an ihm „ausfriert“. Dadurch
verlieren die Eisenatome Bewegungsenergie,
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die dann zum Betrieb des Geodynamos zur
y
3 Verfügung steht.
© Kernforschungszentrum Karlsruhe
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Planck-Instituten vor allem für Lehrer und
Schüler. Weitere Exemplare können unter
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