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Public Debt and Austerity Policies in Europe

Athen, 10 – 12 March 2011


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Michael Schlecht, MP, Chief economist of the
Parliament Group of DIE LINKE in the German
“Bundestag”

Europa retten – Profiteure zur


Kasse

1. Europaweite Austerität – Haupttäter ist deutsche Regierung

Im Frühjahr 2010 wurde über Nacht für Griechenland ein Rettungspaket von 110
Milliarden Euro geschnürt, dann für zukünftige Fälle ein gigantischer europäischer
Rettungsschirm von 750 Milliarden Euro aufgespannt. Darunter stellte sich im Herbst
2010 Irland als erstes Land. Weitere Länder sind bedroht: Portugal, Spanien, Belgien
und Italien. Selbst für Deutschland sind die Kreditausfallversicherungen um 50
Prozent teurer geworden.

Die Probleme vor allem Griechenlands wurden im Herbst 2009 offensichtlich. Um die
Jahreswende spitzte sich die Entwicklung zu. Schnelle Hilfe wurde innerhalb der EU
im Januar angemahnt. Bundeskanzlerin Merkel hat diese Griechenland und Europa
verweigert. Das war die Munition für die Spekulanten. Aber „Madame NO“ hat die
Zocker gewähren lassen. Die Rettungsaktionen sind deshalb um ein vielfaches teurer
geworden.

Merkels Ziel: Sie wollte den Druck auf Griechenland massiv steigern, damit am Ende,
also Ende April ein scharfes Austeritätsprogramm durchsetzbar war. Merkel hat sich
im Deutschen Bundestag damit gebrüstet, dass nur so die griechische Regierung
hinreichend unter Druck gesetzt werden konnte. Auch die Einbeziehung des IWF hat
vor allem den Zweck, diejenigen, die jahrzehntelange Erfahrung mit der
Durchsetzung von Austeritätsprogrammen in aller Welt haben, zu nutzen.
Die Hilfszahlungen der EU sowie des IWF sind an eine entscheidende Vorbedingung
geknüpft: Die Länder müssen sich zu rigorosen Kürzungen, zu einem brutalen
Austeritätskurs verpflichten. Die irische Bevölkerung soll für die Bankenkrise in
Haftung genommen werden. Bei den Kindern, beim Arbeitslosengeld, bei den Renten
soll zusätzlich „gespart“ werden. Die Gehälter im öffentlichen Dienst wurden bereits
um 15 Prozent gekürzt. Der Mindestlohn um einen Euro abgesenkt werden.

Diese Hilfe ist wie ein Rettungsring aus Blei. So drückt die Länder erst richtig nach
unten. Die einen in die Ägäis, die anderen in die Irish Sea. Nachdem tief in die
Ausgaben geschnitten und soziale Standards verschlechtert wurden bricht die
Wirtschaft massiv ein.

DIE LINKE steht solidarisch an der Seite derjenigen, die sich gegen diese
Verschlechterungen wehren.

Allein schon weil die „Rettungsaktionen“ vom Frühjahr 2010 an einen massive Lohn-
und Sozialabbau gebunden waren hat die Bundestagsfraktion DIE LINKE dieser
Politik stets eine Absage erteilt hat.

2. Wirtschaftsregierung – Instrument zur Hegemonie Deutschlands über


Europa

In der gegenwärtigen Debatte um eine europäische Wirtschaftsregierung verfolgt


Merkel und die deutsche Bundesregierung einen Kurs, der auf den Ausbau der
wirtschaftlichen Hegemonie des deutschen Kapitals über ganz Europa zielt. Nach
langer Verweigerung hat sie in den Vorschlag von Sarkozy zu einer
Wirtschaftsregierung eingewilligt. Es sollen die nationalen Wirtschaften miteinander
abgestimmt und die außenwirtschaftlichen Ungleichgewichte abgebaut werden.
Eigentlich ein richtiges Vorhaben. Nur: Merkel will die europäische
Wirtschaftsregierung nutzen, um den anderen Ländern den „deutschen Weg“, die
deutsche Hegemonie aufzuzwingen. Sie will die Agenda 2010 exportieren! Sie will
Löhne und Sozialleistungen in Griechenland, Portugal und anderen Ländern weiter
absenken. Mit dem Instrument der Wirtschaftsregierung soll Europa deutscher
werden.

Länder, die die Lohnentwicklung automatisch an die Inflationsentwicklung gekoppelt


haben, sollen diesen sozialen Schutzmechanismus aufgeben. Die Rente mit 67 soll
überall in Europa eingeführt werden. Und schließlich will Merkel die deutsche
Schuldenbremse europaweit exportieren.

Alles nach dem Motto: Am deutschen Wesen soll die Welt genesen!

Manches wird Merkel nicht verwirklichen können. Aber sie folgt der Logik: Mit
Lohn- und Sozialkostensenkungen ist die deutsche Wirtschaft international
wettbewerbsfähiger geworden. Dieses scheinbar erfolgreiche „Geschäftsmodell“
könnten doch alle europäischen Länder übernehmen. So schlicht ist im Kern die
Denke der Kanzlerin.

3. Sofortmaßnahmen

a. Konjunkturprogramme sind notwendig!

Die Länder, die am stärksten unter der Schuldenkrise leiden haben nur eine
Chance diese Krise zu überwinden, wenn die Wirtschaft massiv angekurbelt wird.
Ohne eine florierende Wirtschaft werden, ohne kräftige Steuereinnahmen werden
sie kaum eine Chance haben ihre Staatshaushalte zu sanieren. Deshalb ist das
Programm der Austerität eine Todsünde! Im Gegenteil: Den Krisenländern
müssen Hilfen gewährt werden.

Selbst ein Bankökonom einer deutschen Privatbank, Sal. Oppenheim, Norbert


Braems kritisiert: „Ohne eine expandierende Wirtschaft wird die
Haushaltssanierung zum Ding der Unmöglichkeit.“ Er fordert ein EU-
Konjunkturprogramm für Griechenland. Recht hat er!

b. Reiche besteuern – Reiche zur Kasse

Die effektive Besteuerung von Gewinnen und Vermögen betrug 2007 in der
Eurozone 30 Prozent, aber zum Beispiel nur 19 Prozent in Griechenland und 16
Prozent in Irland. Das ist europäischer Tiefststand. Die Bank of Ireland kam 2007
in einer Studie zum Ergebnis, dass das reichste Hundertstel der irischen
Bevölkerung Ende 2006 rund 100 Milliarden Euro oder ein Drittel des irischen
Vermögens besaß – private Immobilien nicht mitgerechnet. Damit sind die
reichen Iren relativ gesehen reicher als die reichsten Deutschen. Das oberste
Hundertstel in Deutschland besitzt „nur“ knapp ein Viertel des gesamten
Vermögens. In Griechenland besitzen 2000 Familien 80 Prozent des Reichtums.

Die enormen Reichtümer dem Volk wieder nutzbar zu machen und sie für die
Krisenbekämpfung einzusetzen ist eine zentrale Aufgabe. In Griechenland und
Irland sowie auch in Deutschland und den anderen europäischen Ländern.

In Irland kommt hinzu, dass seit langem mit einem Steuerdumping Hauptsitze von
Unternehmen aus anderen Ländern ins Land gelockt wurde. Diese Unternehmen
haben dann für Gewinne, die in vielen anderen Ländern – auch in Deutschland –
gemacht bzw. erarbeitet wurden, in Irland sehr niedrige Steuern gezahlt. Wir
brauchen endlich eine Harmonisierung der Steuersätze in der EU. Das
Steuerdumping in Irland muss beendet werden.

c. EZB-Direktkredite und Euro-Bonds


Euro-Staaten brauchen eine Alternative zum Kapitalmarkt. Banken dürfen nicht
länger an den hohen Zinsen bzw. der Staatsverschuldung verdienen. Sie leihen
sich zu einem Prozent bei der EZB Geld und verleihen es zu deutlich höheren
Sätzen. Diese Lizenz zum Gelddrucken muss beendet werden und direkte Kredite
der EZB an Euro-Staaten vergeben werden. Das ist in den EU-Verträgen verboten.
Es gibt aber ein Schlupfloch: Eine Bank für öffentliche Anleihen könnte sich
billiges Geld bei der EZB leihen und es an Euro-Staaten verleihen.

Darüber hinaus könnten die Euro-Staaten gemeinsame Staatsanleihen auflegen,


um Spekulation gegen einzelne Mitgliedsstaaten einzudämmen. Die EU-Verträge
müssen hierfür angepasst werden. Euro-Anleihen würden den Krisenstaaten
günstigere Zinsen verschaffen, weil auch die Staaten mit guter Bonität für diese
Anleihen bürgen.

4. Tiefere Ursachen: Außenhandelsungleichgewichte

Die Euro-Südländer haben ihre Wettbewerbsfähigkeit verloren. Seit Jahren wird


weniger exportiert, als das jeweilige Land importiert. Von 2000 bis 2009 summierte
sich das Außenhandelsdefizit in Griechenland auf 300 Milliarden Euro, in Spanien auf
650 Milliarden und in Portugal auf knapp 180 Milliarden Euro. Selbst Frankreich hat
für 280 Milliarden Euro mehr importiert als exportiert.

Handelsdefizite führen unter anderem zu steigender Staatsverschuldung. Wenn sich


Unternehmen und private Haushalte im Ausland immer mehr verschulden, haftet am
Ende der Staat. Kredite werden faul, sinkende Steuereinnahmen und
Wirtschaftsleistung zerrütten die Staatsfinanzen. Der Staat muss mehr für die
Konjunktur tun, da Bürgern und Unternehmen das Wasser bis zum Hals steht.

Der seit 2000 aufsummierte deutsche Außenhandelsüberschuss beläuft sich auf 1,4
Billionen Euro. Ein erheblicher Teil wurde in der Eurozone aufgehäuft. Dieser
Außenhandelsüberschuss führte spiegelbildlich in den anderen Ländern zu einer
immer größeren Verschuldung der privaten Haushalte, der Unternehmen, der Banken
und auch des jeweiligen Staates.

Für die internationale Wettbewerbsfähigkeit ist neben den Löhnen die Steigerung der
Produktivität entscheidend. Die Ökonomen fassen beides in den Lohnstückkosten
zusammen. Seit 2000 sind die Lohnstückkosten in Deutschland um sechs Prozent
gestiegen, in den anderen Ländern der Eurozone um 30 Prozent.

In den letzten zehn Jahren wurde in Deutschland ein gigantisches


Austeritätsprogramm durchgesetzt, die Agenda 2010. Ein wichtiger Bestandteil ist ein
gigantisches Lohndumping. Reale Lohnsenkungen gab es im letzten Jahrzehnt in der
EU nur in Deutschland. Wären die Löhne seit 2000 der Produktivität gefolgt lägen sie
in Deutschland preisbereinigt um zehn Prozent höher. Laut der Internationalen
Arbeitsorganisation (ILO) mit Sitz in Genf haben die Beschäftigten in Deutschland
ein verlorenes Jahrzehnt hinter sich: Die Löhne fielen gegenüber 2000 um den
Preisanstieg bereinigt um 4,5 Prozent. Die Beschäftigten verdienen im Durchschnitt
also weniger als vor zehn Jahren - trotz Anstieg der Produktivität. Deutschland ist
damit Schlusslicht unter 26 entwickelten Industrienationen.

Dies führte nach innen zu einer deutlichen Verschlechterung der Lebenslage. Nach
außen wirkt dies wie eine Streitaxt in der Hand der Unternehmer. Gleichzeitig führte
dies zur Einschnürung der binnenwirtschaftlichen Entwicklung und damit der
Absatzchancen ausländischer Unternehmen auf dem deutschen Markt.

5. Außenwirtschaftliches Gleichgewicht – Vorbedingung für Europa

Die Eurozone wird nur überleben, wenn Deutschland die einseitige


Exportorientierung durch eine Wirtschaftspolitik ersetzt, die außenwirtschaftliches
Gleichgewicht zum Ziel hat. Da Deutschland der Haupttäter ist, das Land an dem
zentral die Zukunft Europas hängt, ist die Veränderung der deutschen Politik die
Schlüsselfrage für die weitere Entwicklung unseres Kontinents.

Die Stärkung der Binnenwirtschaft geht nur durch deutlich höhere Löhne und damit
ein Ende des Lohndumpings.

Deutschland braucht den gesetzlichen Mindestlohn von 10 Euro und die Erhöhung
des Arbeitslosengelds II auf 500 Euro. Außerdem muss die Binnennachfrage durch
ein Zukunftsprogramm für Bildung, Verkehr sowie die Energiewende in Höhe von
100 Milliarden Euro jährliche gestärkt werden.

Eine stärkere makroökonomische Koordination der Eurozone im Rahmen einer


europäischen Wirtschaftsregierung könnte diese Ziele unterstützen.

6. Wie geht es weiter?

Ob und in welcher Geschwindigkeit eine andere Politik Deutschlands durchsetzbar ist


offen. Für eine solche Politik brauchen wir vor allem eine breite politische Bewegung.
Der Widerstand in den Krisenländern ist beachtlich und verdient Anerkennung und
Solidarität.

Die Brandstifter sitzen aber in Berlin. Im Herbst 2010 haben die Gewerkschaften in
Deutschland gegen die jüngste Etappe des Sozialabbaus mobilisiert. Aus einem
erhofften heißen Herbst wurde bestenfalls ein lauwarmer Protest, der die Regierung
nicht beeindruckt hat. Viele Menschen in Deutschland haben resigniert oder sind
einfach nur froh, dass ihr Arbeitsplatz nicht vernichtet wurde. Aber die
Montagsdemos gegen Hartz IV oder die Proteste gegen die Rentenkürzungen in
Frankreich zeigen: Es braucht Geduld und starke Symbole damit die Menschen ihre
Interessen verteidigen. DIE LINKE muss die berechtigte Wut der Bevölkerung daher
weiterhin auf die Verursacher und Profiteure der Krise lenken. Sonst hat Europa keine
Chance und die Bevölkerung wird weiter zur Kasse gebeten.

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