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Marihuana Mythen, Marihuana Fakten

15-teilige Serie über die Eigenschaften von Marihuana.


Erschienen im HanfBlatt Oktober 1996 bis Januar 1998.

Die Behauptungen über die gesundheitschädigende Wirkung der Cannabis-Pflanze werden


anhand der Fakten aus Wissenschaft und Forschung überprüft.
Ein umfassender Einblick in das aktuelle Wissen um den Hanf.

Mythos 1
"Der Konsum von Cannabis unter Jugendlichen hat sich stetig erhöht"

Mythos 2
"Die Potenz von Marihuana ist über die Jahrzehnte wesentlich angestiegen"

Mythos 3
"Marihuana ist eine Droge ohne therapeutischen Nutzen"

Mythos 4
"Marihuana schädigt die Lunge"

Mythos 5
"Marihuana schwächt das Immunsystem"

Mythos 6
"Marihuana beeinflußt den sexuellen Reifeprozeß und die Fähigkeit zur Fortpflanzung"

Mythos 7
"Marihuana-Konsum während der Schwangerschaft schadet dem Fötus"

Mythos 8
"Marihuana verursacht Hirnschäden"

Mythos 9
"Marihuana macht süchtig"

Mythos 10
"Immer mehr Menschen werden wegen Marihuana-Konsum ins Krankenhaus eingeliefert"

Mythos 11
"Marihuana verursacht das Amotivationssyndrom"

Mythos 12
"Marihuana ist eine der Hauptursachen für Unfälle im Straßenverkehr"

Mythos 13
"Marihuana ist eine Einstiegsdroge"

Mythos 14
"Die Cannabispolitik der Niederlande ist gescheitert"

Mythos 15
"Mythen kommen und gehen: Die Zusammenfassung"

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Marihuana Mythen, Marihuana Fakten

Mythos 1
"Der Konsum von Cannabis unter Jugendli- tiv oder negativ- von anderen Experten bestritten. Be-
chen hat sich stetig erhöht" sonders seit den 80er Jahren, als in den USA wie auf
internationaler Ebene der "war on cannabis" erneut
verschäft wurde, politisierte sich die finanzielle Unter-
Der Cannabispflanze wird viel nachgesagt. Behaupten stützung der Marihuana-Forschung ebenso wie die
die Einen, sie sei verantwortlich für Gedächnisstörun- Verbreitung ihrer Schlußfolgerungen. Gerade die NIDA
gen, fehlende Motivation und spätere Drogenkarrieren, wuchs so in eine nur als unglücklich zu bezeichnende
sprechen ihr Andere Heilungskräfte bei Krebs, unge- Rolle hinein. In ihren Archiven schlummern tausende
fährliche Räusche oder gar bewußtseinserweiternde von Analysen, welche die Gefährlichkeit von Hanf "be-
Eigenschaften zu. Wie sieht es tatsächlich aus: Wel- weisen", dagegen werden Studie, die das Gegenteil
chen Nutzen und welche Schäden kann der Konsument "beweisen", völlig ignoriert.
von Cannabis aus den pflanzlichen Wirkstoffen ziehen?
Wo liegen Gefahren für Körper und Geist, wo Chancen Diese Vorbemerkungen sollen darauf hinweisen, daß
für ihre Genesung? Eine mehrteilige Serie gibt Auf- auch die Wissenschaft keine von politischen und mo -
schluß über die wichtigsten Fragen. ralischen Einflüssen freie Institution ist, die wertfreie
Resultate garantiert. Auch sie ist in einen sozialen Kon-
Seit den 20er Jahren dieses Jahrhunderts weisen die text eingebunden, der Ergebnisse vorherbestimmen
Befürworter der Cannabis -Prohibition auf Gefahren hin, kann. Und um es deutlich zu sagen: Der Autor selbst
die der Konsum der Pflanzenteile des Hanfs in sich sähe es lieber, wenn sich herausstellt, daß die Chance
birgt. In den folgenden Jahrzehnten erlangten unter- des Schadens durch Cannabis gering ist. Trotz dieses
schiedlichste Vorwürfe Prominenz, nur weniger dieser Vorurteils wird die folgende Reihe versuchen, unter-
wurden später wieder relativiert oder gar von offizieller schiedlichste wissenschaftliche Ergebnisse fair darzu-
Seite zurückgenommen. Tatsächlich zog vor allem die stellen, so daß der zentralen Frage näher gerückt wird:
us-amerikanische Regierung viele der "reefer madness" Ist es ein Mythos, oder ist es Wahrheit?
Märchen heran, um ihre Gesetzgebung zu gestalten.
Das damals gepflanzte Unkraut des Unwis sens gedeiht Behauptung 1: Der Konsum von Cannabis UNTER
noch heute in manchen Stellungnahmen und den Be- JUGENDLICHEN hat sich stetig erhöht
richten der Medien. Um auf die Gefahr und das Suchtpotential von Canna-
In den 70er schien es für eine Zeit, als daß neue wis - bis hinzuweisen und damit die Mobilisierung humaner
senschaftliche Erkenntnisse die Drogenpolitik beein- und finanzieller Ressourcen für die Anti-Cannabis
flusst, einige Staaten spielten mit der Idee einer De- Kampagnen zu rechtfertigen, wird immer wieder auf den
kriminalisierung von Pot. Drei große Feldstudien in Anstieg der Marihuana- und Haschisch Konsumenten
Griechenland, Costa Rica und Jamaica erforschten Wir- verwiesen. Nur eine restriktive Drogenpolitik kann, so
kung und Auswirkungen von Marihuana auf die Kon- die herrschende Meinung in den meisten Ländern die-
sumenten in ihrem natürlichen Umfeld. Effekte auf Ge- ser Welt, eine epidemische Ausbreitung der Sucht ver-
hirn, Lungen, Immunsystem, Persönlichkeit und Moti- hindern.
vation nahm man genauso unter die Forscherlupe wie
das Suchtpotential. Nicht alle Fragen konnten beant-
wortet werden, übereinstimmend stuften die Wissen- DIE FAKTEN
schaftler Marihuana aber als eine relativ sichere Droge
ein - nicht völlig frei von potentiellen Risiken, aber meist Das als konservativ geltende "Institut für Therapiefor-
unfähig, ernsthafte Schäden für Konsumenten oder die schung" in München führte 1990 im Auftrag der Bun-
Gesellschaft zu verursachen. In den USA setzte das neu desregierung eine Befragung unter Jugendliche und
gegründete "National Intitute on Drug Abuse" (NIDA) Erwachsenen durch. Danach hatten 16,3 Prozent der
und andere Forschungseinrichtungen an diese Unter- Befragten im Alter zwischen 12 und 39 Jahren schon
suchungen an und suchten mit neuen Methoden dem einmal Erfahrungen mit Drogen gemacht, von diesen
Wesen von Marihuana näher zu kommen. Seit dieser über 89 Prozent mit Cannabis. In den neuen Bundes-
Zeit besteht ein Problem, welches sich durch die Hanf- ländern waren dies 1990 1,4 Prozent, 1992 bereits 3,4
forschung zieht: In fast allen Fällen war das Untersu- Prozent. Diese Ergebnisse werden in einer anderen
chungsdesign oder die Durchführung fehlerhaft, somit Umfrage bestätigt: Als das "Institut für Jugendfor-
konnte die Ergebnisse von anderen Wissenschaftlern schung" 1993 die Gruppe der 12-25jährigen befragte,
nicht bestätigt werden. Da Verifikation als eine der gaben 21 Prozent an, überhaupt schon einmal (illegale)
Grundvoraussetzungen für ein ordentlichen Wissen- Drogen konsumiert zu haben. Auch hier lag der Anteil
schaftsbetrieb gilt, wurden die Resultate -egal ob posi- der Kiffer hoch: 96 Prozent der jemals Droguierten hat-

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Marihuana Mythen, Marihuana Fakten

ten dabei Kontakt mit Marihuana oder Haschisch. Re- menten sollen so überzeugt werden, daß Kiffen heute
gelmäßig greifen nur aber nur 4 Prozent zu psychoakti- riskanter und unheilschwanger ist.
ven Substanzen. "Angst vor gesundheit lichen Schä-
den", war das Hauptargument, warum sich dem Rausch DIE FAKTEN
nicht öfter hingegeben wird. Interessant: Die Angst vor Schön, daß in diesem Fall auf Zahlen von offizieller
der harten Hand der Gesetzeshüter spielt kaum eine Seite zugegriffen werden kann. Das von der Universität
Rolle bei der Vermeidung regelmäßiger Ekstase, die Mississippi seit über 20 Jahren durchgeführte "Potency
Strafgesetzgebung erfüllt demnach ihren Abschre- Monitoring Project" (PMP) genießt finanzielle Unter-
ckungsauftrag nicht oder nur ungenügend. stützung von Seiten des Staates. Die Abstinenzapostel
In Deutschland ist damit der Anteil der kiffenden Bürger erhofften sich einen Beweis für ihre Vermutung, daß die
über die letzten zwanzig Jahre relativ stabil geblieben, illegalen Bauern immer stärkeren Hanf züchten. Die
nachdem er in den 70er Jahren kurzzeitig angestiegen Forscher untersuchten von der Polizei beschlagnahmtes
war. Marihuana, welches gerade Anfang der 70er Jahre nicht
dem auf dem Markt normalen Standard entsprochen
Dies gilt für andere Länder ebenso: In den USA ge- haben kann, denn sie fanden nur THC-Werte (Tetra-
nossen 1992 8.0 Prozent der 12-17jährigen Marihuana, hydrocannabiol, dem mächtigsten Wirkstoff des
im Jahre 1979 waren dies noch 24.1 Prozent. In der Rauschhanfs) von unter einem Prozent, 1974 sogar nur
Gruppe der 18-25 Jahre alten Einwohner konsumierten 0.4 Prozent. Ganz klar, daß die Generation der Spät-
23 Prozent Kiff, im Gegensatz zu 1979, dort waren es Hippies sich mit solchen Weichspülern nicht zufrieden
noch 46.6 Prozent. Glaubt man diesen Zahlen, verringer- gegeben hat, zumal im Gras mit einem THC-Gehalt von
te sich im Clinton-Land der Anteil der Hanf-Liebhaber unter 0.5 Prozent so gut wie keine psychoaktive Wir-
erheblich. Schaut man auf die Gewohnheiten ältere kung mehr wohnt. Erst als den Sheriffs ein Licht aufging
Mitmenschen, fällt auf, daß diese kaum zur Pfeife grei- und sie nicht mehr nur die Stengel der Pflanze im Labor
fen. Cannabiskonsum beschränkt sich somit meist nur ablieferten, sondern auch die Buds (Blütenköpfe), nä-
auf eine Phase, einen Lebensabschnitt. Die Zeit der herten sich die Ergebnisse der Realität des Schwarz-
Jugend ist noch immer die Zeit der Experimente - mit markts an.
Drogen und anderen Aktivitäten. Der weitaus größte
Teil der jugendlichen "Hascher" beendet der Konsum Jede andere Analyse kam zunächst aber zu anderen
nach einigen Jahren. In den 70er Jahren avancierte Can- Ergebnissen. Zum Beispiel enthielten die 59 Proben,
nabis zur Droge der Aussteiger aus der "Normal- welche die "PharmChem Laboratories" 1973 unter die
Gesellschaft" (die dies oft auch mit politischem Enga- Lupe nahmen, einen durchschnittlichen THC-Wert von
gement verbanden), heute spielen eher genußorientierte 1.62 Prozent, nur 16 Einheiten des konfiszierten Materi-
und gruppenkohäsive Gründe eine Rolle, wenn der Joint als lagen unter einem, mehr als die Hälfte lag über zwei,
kreist. Damals wie heute folgen viele einer Modeer- mehr als ein fünftel über vier Prozent. Eine Analyse von
scheinung, die auch wieder abklingt. Insgesamt läßt 1975 bestätigte die Forscher. PharmChem überprüfte
sich sagen: Weniger das Potential von Cannabis, als wiederum Marihuana, dieses mal lag der Gehalt des
vielmehr die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen Wirkstoffes zwischen zwei und fünf Prozent, eine Ein-
beeinflussen Einstieg in den Konsum und dessen Re- heit trumpfte mit satten 14 Prozent auf.
gelmäßigkeit. Seit 1980 stieg die Zahl der Beschlagnahmungen dras-
tisch an. Noch immer griff das PMP aber wahllos auf die
Ware zu, repräsentativ waren die untersuchten Gräser
und damit auch die Ergebnisse nicht. Wie aus der Ta-
Mythos 2 belle zu entnehmen ist, stieg der THC-Wert über die
Jahre hinweg leicht an:
"Die Potenz von Marihuana ist über die Jahr-
zehnte wesentlich angestiegen" TCH-Wert (in Prozent) von in den USA beschlagnahm-
ten Marihuana, 1981-1993, Mississippi Monitoring
Project
Ein klassisches Argument der Gegner der Legalisierung.
Seit den 70er Jahren sei die Potenz von Gras um das 10-, 1981 1982 1983 1984 1985 1986 1987
20- oder gar 30-fache angestiegen, so wird behauptet. 2.28 3.05 3.23 2.39 2.82 2.30 2.93
Damit reagieren die Prohibitionisten auf frühe Studien,
die die relative Harmlosigkeit der Droge herausgestellt 1988 1989 1990 1991 1992 1993
haben. Die Gefahr, von einem konzentrierten Rauschmit- 3.29 3.06 3.36 3.36 3.00 3.32
tel übermannt zu werden, sei erheblich höher. Konsu-

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Marihuana Mythen, Marihuana Fakten

Verarbeitete frau früher gerne auch mal Stengel und


Blätter oder gar die männliche Pflanze, so fordert der Warum sollte man auf den Hanf als Medikament zugrei-
Markt heute nur die weiblichen Dolden. So sei die höhe- fen, wenn es effektivere Drogen gibt, die zugleich auch
re Potenz nach Meinung einiger "Insider" zu erklären. noch sicherer sind? Dies fragen die Gegner eine Legali-
Selbst der leichte Anstieg des THC-Gehalts ist nach sierung der Pflanze und sie weisen auf den reich gefüll-
Ansicht vieler Experten aber kein Grund zur Beunruhi- ten Medikamtenkorb hin, der für jede Krankheit sein
gung. Ihr Argument: Die Alkohol-Logik greift zu kurz, Mittel birgt. Cannabis dagegen sei eine Droge, deren
denn eine potentere Droge erlaubt es dem Konsumen- Nebenwirkungen beachtlich sind: Herzrasen, Angstzu-
ten, geringere Dosen zu nehmen. Bei der weit verbreite- stände, Schwindel, Kopfschmerzen. Aus diesem Grunde
ten Inhalationstechnik habe dies den Vorteil, daß weni- steht es in den meisten Ländern auf der schwarzen
ger geraucht werden müsse, um den gewünschten Ef- Liste, die sich in Deutschland Betäubungsmittelgesetz
fekt zu erreichen. Dies setzt natürlich den verantwor- nennt. Wenn überhaupt, will dieser Standpunkt nur das
tungsvollen Nutzer voraus. Eben dieser ist auch ge- synthetisch hergestellte THC zulassen.
fragt, wenn die "automatische Titration" Erfolg haben
soll. Was das ist? Nun, der erfahrene Kiffer raucht nur
solange, bis er seinen persönlich erwünschten Effekt DIE FAKTEN
erreicht hat - und nicht mehr. Zudem weiß er, daß Sorten
unterschiedlichster Stärke auf dem Markt treiben. Neues Seit Urzeiten benutzen Menschen auf dem gesamten
Dope wird demnach vorsichtig probiert, denn wer ein- Globus Cannabis als Medizin. Diese gewachsene Erfah-
mal "zu stoned" war, möchte dies nicht wieder erleben. rung bleibt in der heutigen wissenschaftlichen Diskus-
Bringen wir es auf den Punkt: Hanf ist zunächst einmal sion oft unterbelichtet, dabei dürfte der Zugriff auf das
eine uralte Pflanze, deren Wirkstoffgehalt nicht inner- medizinische Wissen alter Kulturen hilfreich sein. Ob in
halb von Jahren extrem nach oben oder unter fällt. Die Indien, Persien, Asien, dem afrikanischen wie dem ame-
Errungenschaften des technischen Zeitalters stoppen rikanischen Kontinent - überall war (und ist) Marihuana
allerdings auch nicht vor dem Hanfanbau. Eifrige Züch- als Mittel im Krankheitsfall oder als vorsorgende Maß-
ter bewegen viel (auch die Gene?), um einen maximalen nahme beliebt. Bereits 2300 Jahre bevor ein Wesen
Ertrag bei hoher Potenz zu gewährleisten. "Super Namens "Gott" seinen Sohn auf die Erde schickte, emp-
Skunk", zum Beispiel, ist bei maßloser Dosierung ein fahl der chinesische Kaiser Shen Nung den weiblichen
Garant für einen relativ undifferenzierten, breiten Hanf zur Behandlung von Ve rstopfung, Gicht, Malaria
Rausch - in Deutschland sehr beliebt. Es steht zu ver- und Menstruationsproblemen. Auch die indische Ay-
muten, daß in der germanischen Republik und Europa urveda-Medizin (Bhang gegen Epilepsie, Asthma,
ebenfalls der THC-Gehalt in den Blüten teilweise zuge- Rheumatismus) und arabische Scholaren nutzten die
nommen hat, denn die holländische Maschinerie arbei- heilende Wirkung des heiligen Krauts. Im Mittelalter
tet effektiv. Hier und überhaupt kann nur der verantwor- heilte Kräutertantchen Hildegard von Bingen sowie
tungsvolle Konsument das durch eine potente Droge Nicholas Culpepper mit Hanf.
erhöhte Risiko abfangen.
Aber die Zeitreise braucht gar nicht so weit zu gehen,
es reicht der Flug zurück ins Amerika des 19. Jahrhun-
derts. Die großen pharmazeutischen Unternehmen wie
Mythos 3 Eli Lilly, Squibb, Parke-Davis und Tildens erzielten mit
dem Extrakt der Pflanze riesige Umsätze; zum Wohl des
Weiter geht es in der erbarmungslosen Serie, die mit Volkes. In dieser Zeit war Cannabis eines der drei am
den Marihuana-Mythen aufräumt. Politiker und Bürger meisten verschriebenen Medikamente in den Vereinig-
reden über eine Pflanze, vielen von ihnen fehlt es am ten Staaten.
grundlegenden Wissen, um sich überhaupt ein Urteil
erlauben zu können. Wie sieht es tatsächlich aus: Wel- Die Liste der Anwendungen ist lang. Einige Beispiele?
chen Nutzen und welche Schäden kann der Konsument Der grüne Star (eine Augenerkrankung, welche den
von Cannabis aus den pflanzlichen Wirkstoffen ziehen? Augeninnendruck erhöht und zur totalen Erblindung
Wo liegen Gefahren für Körper und Geist, wo Chancen führen kann) kann erfolgreich mit Cannabis behandelt
für ihre Genesung? Im dritten Teil der Serie geht es um werden. Die pflanzlichen Substanzen erniedrigen näm-
die Behauptung: lich den Druck des inneren Auges. Zwar bildet sich
nach gewisser Zeit eine Toleranz, aufgrund der gering-
fügigen Giftigkeit von Cannabis kann die Dosis aber
"Marihuana ist eine Droge ohne therapeuti- durchaus gesteigert werden, ohne daß es zu Schäden
schen Nutzen" am Auge oder am sonstigen Patienten kommt. Bei grö-
ßeren Toleranzproblemen kann für einen kurzen Zeit-
raum auch auf andere Medikamente ausgewichen wer-

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Marihuana Mythen, Marihuana Fakten

den und nach längstens acht Wochen Pause wieder daß eine Behandlung mit ihnen schnell zum Alptraum
Hanf konsumiert werden. werden kann. Schlafstörungen, Durchfall, Reizbarkeit
bis zu Anzeichen einer Psychose sind die gewaltigen
Jede(r) kennt ihn, den Fressflash. Die appetitanregende Nebenwirkungen des Präparats. Es bleibt unverständ-
Wirkung des Cannabis´ wird in unterschiedlichen Kul- lich, warum ständig auf chemische Neuerungen zuge-
turen schon lange genutzt. In neuerer Zeit ist diese griffen werden muß, wenn die natürliche Substanz er-
Eigenschaft gerade für AIDS- und Krebs-Patienten in heblich effektiver und zugleich ungefährlicher ist. Viel-
chemotherapeutische Behandlung entdeckt worden. Im leicht ist es gerade das Zusammenspiel der einzelnen
Vergleich zu anderen Medikamenten bekommt der oder Inhaltsstoffe des Grases, welches es für verschiedene
die Kranke wieder Hunger und die mit der Chemothera- Anwendungen so interessant macht. Eine Gewinn aus
pie enhergehende ständige Übelkeit löst sich nahezu Marinol erzeilt in erster Linie nur wieder die pharmazeu-
auf. "Das einst als Einstiegdroge verteufelte Cannabis tische Industrie.
bringt Hilfe und Linderung für unheilbar Kranke", sagt
Robert W. Gorter, 49, Leiter des Instituts für immunolo- In aller Kürze: Die Klassifikation von Cannabis als Dro-
gische Forschung im Berliner Krankenhaus Moabit, der ge ohne therapeutischen Nutzen steht im schärfsten
120 Aidskranken den Hanf verschreiben will. Ein Blick Gegensatz zur Realität, ist durch Erfahrungen in der
in die Praxis: Bei einer in den USA 1990 durchgeführten Historie wie der Gegenwart widerlegt, steht auf wissen-
Umfrage unter 1035 Ärzten für Geschwulstkrankheiten schaftlich tönernen Füßen und beruht heute nur noch
gaben 44 Prozent an, daß sie ihren Krebs-Patienten auf politisch-moralischen Gründen.
Marihuana empfehlen und ein Großteil von ihnen würde
es empfehlen, wenn es legal wäre.

Cannabis wirkt über das zentrale Nervensystem mu skel-


entspannend, Spas tik, Schmerz und Steifheit nehmen
bei Querschnittserkrankten ab. Unter Experten gilt der Mythos 4
Hanf als einer der besten Anti-Epileptika überhaupt,
zudem harmonisiert es den Bewegungsablauf. Depres-
Langsam, aber stetig geht es voran in der Serie des
siven Menschen kann Marihuana ebenfalls teilweise
HanfBlatts, welche die Mythen rund um die Marihuana-
helfen, ebenso wie unter chronischen Schmerzen lei-
Pflanze analysiert. Wie sieht es tatsächlich aus: Wel-
denden Personen. Nicht nur die englische Königin
chen Nutzen und welche Schäden kann der Konsument
Victoria rauchte Gras, um ihre Mestruationsschmerzen
von Cannabis aus den pflanzlichen Wirkstoffen ziehen?
zu lindern, Frauen in Südafrika berauschen sich noch
Wo liegen Gefahren für Körper und Geist, wo Chancen
heute mit "dagga", um die Geburt zu erleichtern. Bei
für ihre Genesung? Wissenschaft soll auch hier die
allen Anwendungen muß zusätzlich positiv bewertet
wichtigen Fragen beantworten; schauen wir, was die
werden, daß Cannabis eine sehr sicheres Medikament
Halbgötter in ihren weißen Kitteln wissen, was wir nicht
ist. Das Verhältnis von wirksamer zu tödlicher Dosis ist
schon geahnt haben. Im vierten Teil der Serie geht es
mit 1 zu 20 Tausend so günstig wie bei fast keinem
um die Behauptung:
anderen Mittel.

Forschungsinstitute in den USA haben vor allem zwi-


schen 1970 und 1980 diverse Studien über die Wirksam- "Marihuana schädigt die Lunge"
keit von THC und den Cannabinoiden durchgeführt.
Zumeist wurde von Erfolgen bei der Behandlung der "Räusper, Hust. Alles Lüge. Hüstel." So könnte auf
oben aufgeführten und einer Reihe weiterer Krankheiten diesen Vorwurf reagiert werden, doch hier wird ja be-
berichtet. Die staatliche DEA (Drug Enforcement Agen- kanntlich der Stier ernsthaft bei den Hörner gepackt. Ein
cy) und andere Legalisierungsgegner versuchten dar- Argument gegen Marihuana ist seine Schädlichkeit für
aufhin am Medical College of Virginia nach Nachweis zu den Atemapparat, wenn es geraucht wird. Der Vorwurf:
führen, daß der Konsum von Marihuana gesundheitli- Gras enthält so hohe Konzentrationen von Schadstof-
che Schäden nach sich zieht. Aber entgegen ihrer Hoff- fen, daß Konsumenten das Risiko eingehen, sich dau-
nung kam es zu einem wissenschaftlichen Durchbruch erhafte Lungenkrankheiten zuzuziehen. Der Mythos
als erkannt wurde, daß Cannabiskonsum starke Anti- besagt, daß "ein Joint zehn Zigaretten gleicht". Starker
Tumor Aktivitäten auslöst. Wie Jack Herer in seinem Tobak, und hier kommen
Buch "The Emperor Wears No Cloths" eindrucksvoll
nachweist, sucht die DEA seither jedwede Canna- DIE FAKTEN
bis/Tumor Foschung zu unterbinden.
Um gleich am Beginn für Klarheit in den Nebelschwa-
Dem synthetischen THC, (Marinol) seien auch noch den zu sorgen: Das Rauchen jeglicher Pflanze ist schäd-
einige Sätze gewidmet. Diese Pillen sind so konzentriert, lich. Beim Verbrennungsprozeß entstehen Substanzen,

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Marihuana Mythen, Marihuana Fakten

welche die Entstehung von Krebs begünstigen. Dies THC und die Cannabiole, greifen in die Körperfunktio-
gilt für Cannabis ebenso wie für Tabak. So weit, so nen ein, das geltende Verbot der Heilpflanze zeigt eben-
schlecht, aber wie schädlich ist der Hanfrau(s)ch? Was falls Auswirkungen auf die Gesundheit des Konsumen-
wäre die Wissenschaft, ja, was wäre das Leben ohne ten. In einigen Staaten der Erde sind aufklärende Litera-
den Vergleich? Um zu einer relativen Einschätzung der tur und auch Wasserpfeifen verboten, obwohl diese
Schädlichkeit des Rauschhanfs zu kommen, greifen Schadstoffe aus dem Rauch herausfiltern. Die Forde-
desses Befürworter deshalb auf Daten zu, die das nega- rungen der Legalisierungsbefürworter sind aus diesen
tive Potential ihres heiligen Grases mit dem Tabak ver- Gründen eindeutig: Erst wenn Wasserpfeifen und Vapo-
gleichen. Bis auf die psychoaktiven Wirkstoffe ist der rizer zum Massenprodukt werden, kann von einer wirk-
Tabakqualm dem Marihuanaqualm recht ähnlich. Kiffer samen Vorsorge im Gesundheitssektor gesprochen
atmen allerdings zumeist tiefer ein und behalten den werden. Wer viel Cannabis raucht, sollte auf Produkte
Rauch länger in den Lungen - auf diese Weise gelangen mit hoher Potenz zugreifen, weil dann weniger inhaliert
auch mehr Schadstoffe in den Blutkreislauf. werden muß. Die orale Zufuhr von Cannabis sei auch
deshalb unbeliebt, weil der Rauschhanf zu teuer für
Die bisherigen Studien zum Thema zeigen: Regelmäßige diese kostenintensive Konsumform ist. Eine Legalisie-
Marihuana-Konsumenten leiden öfter als Nichtraucher rung, so die Hoffnung der Anti-Prohibitionisten, würde
an chronischem Husten und chronischer Schleiment- das ändern. Legales Marihuana wäre zudem eher frei
wicklung. Ab hier scheiden sich aber die Geister, denn von Zusatzstoffen, die dem Käufer ein frisches Ausse-
während manche Wissenschaftlern behaupten, daß hen oder eine harzige Konsistenz suggerieren möchten.
Grasrauchen zur Bronchitis führen kann, sehen andere Vollzieht man diesen Gedanken bis zum Ende, wäre die
keinen Nachweis dafür, daß kiffen die Entzündung der Legalisierung der Pflanze der einzige Weg, um die Ge-
Luftröhrenäste verursacht. Seit 1982 führt ein regie- sundheit der Cannabis -Liebhaber zu schützen.
rungsnahes Intitut in den USA Forschungen an "reinen
Kiffern", "reinen Tabakrauchern", "Konsumenten von Solange bleibt für den Konsumenten -wie bisher- nur
beiden" und "Nichtrauchern" durch. Hierbei wurden der Zugriff auf andere, mildere Formen des Gebrauchs,
durchaus Veränderungen in den Lungen von "reinen will er oder sie sich nicht den Gefahren einer Lungener-
Kiffern" analysiert, diese waren aber weit weniger aus- krankung aussetzen.
geprägt wie bei den "reinen Tabakrauchern". Und noch
etwas viel den Forschern auf: Die Beeinträchtigung
beschränkte sich bei den Kiffern in erster Linie auf die
großen Kanäle der menschlichen Atemmaschine, kleine- Mythos 5
re Luftröhren waren kaum geschädigt. Dies sah bei den
Tabakkonsumenten dunkler aus, bei ihnen mutierten Weihnachten ist längst vorbei und trotzdem noch spu-
gerade die peripheren Äste. Das ist nach den Aussagen ken Märchen durch die Köpfe der Hanf-Experten. Die
der Wissenschaftler auch der Grund dafür, daß Tabak- Mythen rund um den Hanf richten nachhaltigen Scha-
raucher schneller und öfter an Bronchitis erkranken. den an, fast undurchdringbar scheint das Gewirr der
Behauptungen, die den Labors und Forscherstübchen
Ein Grund zur Entwarnung für die "reinen Kiffer"? Zu- entweichen. Wie sieht es tatsächlich aus: Welchen
mindest gibt es bislang keine gesicherten Erkenntnisse Nutzen und welche Schäden kann der Konsument von
darüber, daß das Pur-Rauchen zu Lungenkrebs führt. Cannabis aus den pflanzlichen Wirkstoffen ziehen? Wo
Gleichwohl fand man bei den Fans des reinen Grases liegen Gefahren für Körper und Geist, wo Chancen für
Bronchien vor, die sich im Vorstadium der tödlichen ihre Genesung? Der fünfte Teil einer Serie überprüft die
Krankheit befanden. Wer zudem meint, sein Gras oder Behauptung:
Haschisch mit Tabak zu vermengen, setzt sich garantiert
einer erhöhten Krebsgefahr aus.

Diese Ergebnisse müssen vor dem Hintergrund einer "Marihuana schwächt das Immunsystem"
Jahrtausende alten medizinschen Anwendnung des Mehrere wissenschaftliche Untersuchungen behaupten
Hanfs und der modernen Drogengesetzgebung gesehen den Zusammenhang zwischen Marihuana-Gebrauch
werden. Seit mindestens 3000 Jahren verschafft Canna- und einer Schwächung des Immunsystems. Das Ris iko,
bis Asthmatikern Erleichterung, denn das Inhalieren des durch Erkältungen und anderen Infektionskrankheiten
Rauches führt zu einer Erweiterung der Bronchien, die ins Bett geschickt zu werden, sei, so diese Meinung, bei
bis zu einer Stunde anhält. Zudem kann Cannabisrauch Konsumenten von Rauschhanf erheblich höher, als bei
Husten unterdrücken und wurde auch schon bei der Abstinenzlern. Bereits in den 70er Jahren entstanden,
Behandlung von Keuchhusten erfolgreich eingesetzt. erhielten diese Behauptungen in den 80er neue Bedeu-
Ein Paradoxon stört im Kifferhimmel: Die heilige Pflanze tung, als vermehrt über den Gebrauch von Marihuana
schädigt und heilt zugleich - unabhängig von der Dosis. unter AIDS-Kranken berichtet wurde. Sollte man den
Aber nicht nur die pflanzlichen Inhaltsstoffe, wie das

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Marihuana Mythen, Marihuana Fakten

Kiffer auf der Straße an seiner chronisch roten Nase In den drei großen Marihuana-Feldstudien in den 70er
erkennen? Jahren (Jamaica, Costa Rica, Griechenland) fanden die
Forscher bei den Grasrauchern keinen Unterschied in
der Empfänglichkeit für Krankheiten gegenüber Nicht-
DIE FAKTEN rauchern. Einschränkend sei aber hier angeführt, daß
neuere Forschungen THC-Metaboliten in der Lunge
sprechen eine relativierende Sprache. Um in diesem Fall gefunden haben, und dies noch sieben Monate nach-
für Aufklärung zu sorgen, muß zunächst ein Rückblick dem mit dem Rauchen des Hanfs aufgehört wurde. Die-
in die Historie gewagt werden. Die Ausgangstudie, die se Metaboliten sind durchaus imstande, daß Immunsys-
die ursprüngliche Beeinträchtigung des Immunsystems tem anzugreifen. Die Gefahr einer Bronchitis ist unter
durch Gras behauptete, ging folgendermaßen vor: Man Marihuana-Raucher höher als unter Nichtrauchern
entnahm von Kiffern und einer Kontrollgruppe Blut und (siehe HANFBLATT 1/97).
isolierte die weißen Blutkörperchen. Die Hälfte der wei-
ßen Zellen sind Lymphozyten, wiederum etwa 70 Pro- Neue Nahrung erhielt der Mythos von der Schwächung
zent dieser werden T-Lymphozyten genannt. Diese des Immunsystems durch die Krankheit AIDS. Der
stürzen sich im Bedarfsfall auf Eindringlinge im Körper, ehemalige oberste Drogenwächter Nord-Amerikas,
sie bilden einen Bestandteil der Immunabwehr des Kör- Carlton Turner, behauptete in den 80er Jahren, daß
pers. Wittern sie Ge fahr, vermehren sie sich um dem Marihuana den Ausbruch von AIDS begünstige. Alle
Feind in großer Zahl entgegentreten zu können. Der ernstzunehmenden Studie widerlegten seine Annahme,
französische Wissenschaftler G.G. Nahas zeigte nun in trotzdem ließ er sich nicht überzeugen. Er krönte sein
der Studie, daß sich die T-Lymphozyten bei den Fans unwissendes Haupt zudem mit dem verbürgten Aus-
des Marihuanas nicht nur langsamer vermehrten, 44 spruch, daß Hanf-Konsum zur Homosexualität führe.
Prozent der kleinen Kämpfer waren sogar außer Kraft Ende gut, Alles gut: Turner trat später auch aufgrund
gesetzt. Bei Krebspatienten sind das meist "nur" bis 40 dieser Fehltritte zurück.
Prozent. Aber: Keine Untersuchung konnte die Zahlen Es steht fest: Weder begünstigt Marihuana den Aus-
von Nahas und seinen Kollegen je wieder nachweisen, bruch von AIDS, noch führt es zur Verstärkung der
sie wurde vielfach widerlegt. Zu spät, ein Mythos war Symptome unter AIDS-Patienten. Im Gegenteil, heute
geboren. nutzen viele AIDS-Kranke die Wirkung des Hanfs, um
An dieser Stelle sei, daß Nahas noch heute als einer der ihren Appetit anzuregen und ihre Übelkeit zu bekämp-
angesehensten Wissenschaftler in seinem Heimatland fen. Mittlerweile gehen manche Wissenschaftler sogar
gilt und mitverantwortlich ist für die unsäglich rigide davon aus, daß THC stimulierende Effekte auf das
Cannabis -Politik im Lande des berauschenden Weines. menschliche Immunsystem hat.
Aber schütten wir keinen Zorn und keine Häme aus, Völlig unberücksichtig bei der schulmedizinischen Be-
sondern wenden uns wieder dem Thema zu. 1988 zeigte trachtung bleibt der psychische Aspekt, der im folgen-
eine andere Untersuchung das Gegenteil: Hanfraucher den kurz angerissen wird. Man weiß seit längerem, daß
und Raucherinnen erfreuen sich bester Gesundheit, ihr der Ausbruch vieler Krankheiten auch immer eine psy-
Immunsystem sei sogar intakter als das von vergleich- chologische Komponente besitzt. Kurz: Wer sich wohl
baren Kontrollgruppen. Andere Wissenschaftler woll- fühlt, wer sich an seinem Leben erfreut, wer gesund
ten 1979 nachgewiesen haben, daß einer der psychoak- lebt, bleibt auch gesund. Marihuana besitzt nun wahr-
tiven Wirkstoffe im Hanf, das THC, die Widerstandsfä- scheinlich das Potential, sowohl positiv wie negativ zu
higkeit gegen das Herpes simplex-Virus senkt. Auch wirken. Zuviel Pot, zum falschen Zeitpunkt, am falschen
diese These wurde später (1991) überpüft und verwor- Ort dürfte den Körper des Kiffers zur Rebellion verfüh-
fen. THC bindet sich an das Herpes-Virus und inakti- ren; der wohldosierte, in Ruhe genossene Konsum
viert es somit. Die äußerliche Anwendung eines Alko- dagegen durchaus zur Stabilität des körperlichen und
holextrakts aus Cannabis sorgte dafür, daß vorhandene seelischen Gleichgewichts beitragen.
Bläschen innerhalb eines Tages verschwanden.

Nun greift leider auch die Marihuana-Forschung auf


Tiere als Versuchssubjekte zu. Das Immunsytem von
Nagetieren wurde in Mitleidenschaft gezogen, als sie Mythos 6
THC in hohen Dosen verabreicht bekamen. Die Aussa-
gekraft dieser Ergebnisse sind stark angezweifelt wor- Das Messer der Erkenntnis muß scharf sein, welches
den, weil die Tagesdosis bei 100mg pro Kilogramm lag, eine Schneise in die wild wuchernde Mythen rund um
etwa 1000 mal so hoch, als benötigt wird, um beim Men- den Hanf schlagen will. Der Erfolg der Arbeit lohnt die
schen eine psychoaktive Wirkung zu erzielen. Mühe, denn der wahre Hanf kommt zum Vo rschein,
entkleidet aller bewußt oder unbewußt gesäten und
gewachsenen Behauptungen. Wie sieht es tatsächlich

7
Marihuana Mythen, Marihuana Fakten

aus: Welchen Nutzen und welche Schäden kann der te die Zahl der Spermien wieder in die Höhe und auch
Konsument von Cannabis aus den pflanzlichen Wirk- der Testosteronspiegel stieg wieder auf sein normales
stoffen ziehen? Wo liegen Gefahren für Körper und Maß an. Dieser Bericht löste eine Kontroverse aus, die
Geist, wo Chancen für ihre Genesung? Der sechste Teil jahrelang schwelte und bis heute anhält. Wie üblich,
der Klärung beschäftigt sich mit der These versuchten andere Wissenschaftler diese Ergebnisse zu
bestätigen, dies mißlang zumeist. Weil sie zum Teil sehr
hohe THC-Dosen verabreichten, konnte die Studie
"Marihuana beeinflußt den sexuellen später noch einmal dahingehend bestätigt werden, daß
Reifeprozeß und die Fähigkeit zur Fortpflan- man einen leichten Rückgang der Spermakonzentration
zung" beobachtete. In einigen Untersuchungen lagen die
Veränderungen aber in einem Spielraum, der nur
schwerlich die Interpretation zuließ, daß der Proband
Was für eine Horror-Vorstellung. Impotent und zeu- zeugungsunfähig ist. In anderen Untersuchungen wie-
gungsunfähig fristen unausgereifte Kiffer und Kifferin- sen die Forscher einen Rückgang der Spermien im Eja-
nen ein fruchtlosen Dasein - sexuell frustiert fällt den kulat um 40 Prozent nach, die Beweglichkeit der poten-
Paaren nichts anderes ein, als den nächsten Bong blub- tiellen Babys war um 20 Prozent herabgesetzt. Auch hier
bern zu lassen. Es gibt tatsächlich einen Mythos, der normalisierte sich die Lage aber nach dem Ende des
die Schädlichkeit von Cannabis für die Fortpflanzung Versuchs.
und den sexuellen Reifeprozeß behauptet. Dem Hanf
wird zugeschrieben, in die Produktion von Hormonen Lange Zeit kursierten die Bilder einer Forschungsarbeit
einzugreifen, welche die geschlechtliche Ve rmehrung in Wissenschaftskreisen, welche die deformierten
der Spezies "Mensch" steuern. So sei es möglich, nebu- Spermien von Männern zeigten, die als "Dauerkiffer"
liert dieser Mythos um die Wirklichkeit, daß heran- bezeichnet wurden. Diese griechische Studie aus dem
wachsene Humanoide sich langsamer als ursprünglich Jahre 1975 trat mit Mikroaufnahmen an die Öffentlich-
möglich zur sexuellen Reife entwicklen oder gar gänzlich keit, die stark geschädigte menschliche Spermazellen
unfruchtbar bleiben. Starker Tobak. Da hälz man sich darstellten. Später stellte sich heraus, daß die Fotos
doch lieber mit Schlabberbacke Markwort an manipuliert worden waren, und die Verfasser des Auf-
satz mußten ihre falsche Darstellung in der Zeitschrift
"Science" korrigieren.
DIE FAKTEN Ein Zwischenergebnis der Mythenaufklärung: Cannabis
Ein Pferd sollte von vorne aufgezäumt werden: Ur- hat beim Mann eine leicht unterdrückende, aber um-
sprung jeder wissenschaftlichen Untersuchung ist eine kehrbare Wirkung auf die Spermaproduktion.
Idee, eine ungefähre Vorstellung davon, wie ein Zu- Hundertausende von Mäusen und Ratten wurde mitt-
sammenhang zwischen zwei Phänomenen aussehen lerweile für Tierversuche mit Cannabis herangezogen.
könnte. Diese Idee gedeiht nicht aus dem Nichts, son- Wegen der nur bedingten Übertragbarkeit der Ergeb-
dern ist durch das Umfeld des Wissenschaftler, durch nisse auf den menschlichen Organismus und ihrer ethi-
seine Erziehung und seine Ansichten mitbestimmt, schen Unverantwortlichkeit sei hier nur kurz darauf
sogar präformiert. Die Behauptung der Schädlichkeit eingegangen: In Mäusen führt die Injektion von THC
von Cannabis für die Fortpflanzungsfähigkeit des Man- nur bei extrem hoher Konzentration zu Beeinträchtigun-
nes entstand in den Zeiten der "Reefer Madness" Kam- gen der Fruchtbarkeit. Bei männlichen Nagern nahm die
pagne im Amerika der 30er Jahre. Neben vielen anderem Spermienzahl um 20 Prozent ab.
Unsinn behauptete die staatliche Propagandamaschine
damals, Marihuana würde aus jungen Männern weiche Wie sieht es nun bei den Damen der Schöpfung aus?
Waschlappen machen. Der Staat hoffte darauf, durch Die Behauptung, daß Marihuana das Fortpflanzungs-
diese Taktik Jünglinge vom kiffen abzuhalten. Es ist system der Frau beeinträchtig, fand nie eine ernsthafte
dieser Hintergrund, der die Gelehrten in ihren Labors Unterstützung durch wissenschaftliche Studien. Die
nach einem Zusammenhang suchen ließ - und sie fan- Generierung von weiblichen Hormonen wird durch
den ihn. Anno 1974 beobachteten Forscher bei ihren Cannabis weder vermindert, noch gesteigert. Ratten
Probanden, welche sie vier Wochen lang hatten kiffen und Affen mußten für einen Versuch hinhalten, der
lassen, einen abgesenkten Testosteronspiegel. Dieses Beweisen sollte, daß THC den Eisprung behindert. Bei
Hormon ist das wichtigste männliche Geschlechtshor- beiden Tiergruppen setzte die Ovulation tatsächlich
mon und wird im Hoden gebildet. Aber nicht nur der später als gewöhnlich ein, nach dem Absetzen der Sub-
Level des sexy Hormons lag bei den 20 Männern niedri- stanz verschwanden die Symptome aber wieder. Die
ger als bei der Kontrollgruppe, auch die Spermien zeig- Ergebnisse konnten allerdings nicht auf den Menschen
ten sich bei den Rauchern in erheblich weniger großer übertragen werden, da Art der Verabreichung, das Lö-
Zahl. Nachdem das Cannabis abgesetzt wurde, schnell- sungsmittel, die Konzentration und die hohe Dosierung

8
Marihuana Mythen, Marihuana Fakten

unrealistisch waren. Die Relman-Kommission kam 1969 bis das werdende Leben, behaupten eine Reihe von
in seinem Bericht "Marihuana und Gesundheit" zu dem Forschern.
Schluß, daß es trotz des weit verbreiteten Konsums von
Cannabis unter jungen Frauen im fortpflanzungsfähigen
Alter "noch keine Beweise für igendwelche häufig oder DIE FAKTEN
beständig auftretenden mißbildenden Wirkungen im Mehrere wissenschaftliche Studien berichten von ge-
Zusammenhang mit der Droge gibt". ringen Geburtsgewicht und körperlichen Abnormalitä-
Es wird von einem Fall berichtet, in dem ein 16 Jahre ten unter Babys, die im Uterus THC ausgesetzt waren.
alter Kiffer den Sprung in die Pubertät verpaßt hat; Zog man zum Vergleich allerdings anderen Faktoren
darüber hinaus gibt es keine Anzeichen dafür, daß THC heran, die bekanntlich das Säuglingswachstum beein-
das Potential hat, den sexuellen Reifeprozeß zu bremsen flussen, wie etwa das Alter der Mutter, die soziale Her-
oder gar zu stoppen. Robert Kolodny vom Institut für kunft und -wichtig- den Konsum von Alkohol und Ta-
Fortpflanzungsbiologie in St.Louis befragte 500 Kiffer bak, schrumpfte der Zusammenhang zwischen Marihu-
und Kifferinnen und will herausgefunden haben, daß ana und widrigen Fötalentwicklungen erheblich. Diver-
mit steigendem Marihuana-Konsum "die sexuelle Akti- se Untersuchungen fanden keine negative Effekte von
vität sowie die Häufigkeit des Orgasmus nachläßt". Cannabis. Ein Sturz in die Literatur:
Andere Studien bewiesen das Gegenteil: Cannabis Jonathan Buckley ermittelte in einer vielzitierten Fall-
macht sensibler, empfänglicher für die Berührung und studie, bei der Embryos in der Gebärmutter Cannabis
den Geist des Partners. ausgesetzt waren, eine möglichen Zusammenhang zwi-
Müde ob der im wissenschaftlichen Mäntelchen herum- schen dem Genuß des Hanfs vor und während der
stolpernden Behauptungen und ihrer Gegendarstellun- Schwangerschaft und einem erhöhten Risiko einer aku-
gen kommt auch dieser Teil der Serie zu einem Ende. ten (nicht-lymphatischen) Leukämie (ANLL) bei den
Einen Schluß abseits des Gezänks der Wissenschaft zu Kindern. Er schreibt: "Obwohl die Verbindung zwischen
finden, ist nicht einfach, vielleicht am besten so, wie es Marihuana und der anschließenden Entstehung von
die Labor-Eierköpfe nicht kennen, nämlich kurz und mit ANLL bei den Kindern nicht 100prozentig hergestellt
einem Lächeln: "Noch sind die Rastafaris nicht ausge- wurde, sind die Beweise so stark, daß sie weitere Unter-
storben." suchungen rechtfertigen." Die Basis der Annahmen
Buckleys waren die Aussagen von Müttern, deren
Babys mit Leukämie zur Welt kamen. Fünf Prozent die-
ser Mütter gaben an, vor oder während ihrer trächtigen
Zeit gekifft zu haben. Eine "Kontrollgruppe" von Müt-
Mythos 7 tern mit "normalen" Kindern wurde daraufhin kreiert
Noch lange nicht am Ende ist dieses Serie, die sich mit und über das Telefon nach ihrem Drogengebrauch
der Aufklärung der Mythen rund um den Hanf befaßt. gefragt. Das von dieser Gruppe ebenfalls fünf Prozent
Schon schimmert aber das wahre Wesen der Pflanze Marihuana rauchten, gereichte dem Forscher zu der
durch die wild wuchernden Gerüchte durch, Klarheiten, Aussage, daß Marihuana-Konsumentinnen ein zehnmal
aber keine endgültigen Wahrheiten kommen zum Vo r- so hohes Risiko eingehen würden, daß ihr Kind Leukä-
schein, denn davon gibt es nur wenige. Wie schaut es mie bekommt. Geht man mit den meisten Umfragen in
tatsächlich aus: Welchen Nutzen und welche Schäden den USA davon aus, daß Cannabis bei mindestens zehn
kann der Konsument von Cannabis aus den pflanzli- Prozent der weiblichen Bevölkerung verbreitet ist, mü s-
chen Wirkstoffen ziehen? Wo liegen Gefahren für Kör- sen einige "Kontrollgruppen"-Mütter
per und Geist, wo Chancen für ihre Genesung? Froh höchstwahrscheinlich ihre Vorliebe für das Kraut
darüber, endlich einmal in erster Linie den weiblichen verschwiegen haben.
Leser anzuschreiben, beschäftigt sich das HanfBlatt Solche Verfahrensfehler sind noch die kleineren Übel,
dieses mal mit dem Vorwurf: die sich durch die Studien zur Erforschung von Föten
ziehen. Peter Fried beispielsweise, Doktor an der Carl-
ton-Universität in Ottawa, versteifte sich zu der Be-
"Marihuana-Konsum während der Schwan- hauptung, daß das "schrille, katzenähnliche Schreien"
gerschaft schadet dem Fötus" von Neugeborenen, deren Mütter Marihuana-
Konsumentinnen waren, dem Kreischen von Babys
Ein mächtiger Vorwurf schwebt im Raum: Sollte der heroinsüchtiger Mütter ähneln würde.
Hanf dafür verantwortlich sein, daß mißgebildete Kinder Laufend zitiert wird die Studie von Ralph Hingson, die
auf die Welt kommen? So wie für den Alkohol feststeht, 1982 erhebliche Schäden bei Babys nachwies, deren
daß er dem Fötus schadet, so beeinflusse auch Canna- Mütter Marihuana während der Schwangerschaft ge-

9
Marihuana Mythen, Marihuana Fakten

raucht hatten. Die Untersuchung wurde 1992 von Susan Obwohl es so scheint, daß Mißbildungen selten sind,
J. Astley wiederholt. Die Frau Doktor konnte die Ergeb- raten alle Wissenschaftler zu einer gewisse Prüderie
nisse von Hingson nicht bestätigen und dies obwohl gegenüber dem Hanf in den berühmten neun Monaten.
die ausgewählten Probandinnen heftig Gras inhalierten. Gerade in den ersten drei Monaten ist der wachsende
Fötus äußerst verwundbar und empfindlich gegenüber
Das Relman-Komitee kommt in seinem Bericht "Marihu- jedweden schädlichen Einflüssen. Die nachgewiesenen
ana and Health" zu dem Schluß, daß es trotz des weit- Auswirkungen von Tabak und Alkohol auf das Baby
verbreiteten Gebrauchs von Hanf bei jungen Frauen im lassen die Vermutung zu, daß einige Umsicht auch im
fortpflanzungsfähigen Alter, noch keine Beweise für Umgang mit Cannabis weise ist.
irgendwelche häufig oder beständig auftretenden miß-
bildenenden Wirkungen der Droge gibt.

Eine Forschergruppe (Braunstein/Buster/Soares/Gross)


veröffentlichte 1983 ihren Bericht, der stolze 12424 Da- Mythos 8
men befragte - elf Prozent davon waren Kifferinnen. Bei
ihren Nachkommen wurden ein geringeres Gewicht bei Unsere mehrteilige Serie klopft weiter auf die wild wu-
der Geburt wie eine kürzere Schwangerschaft festge- chernden Marihuana-Mythen. Die verwelkten Blätter
stellt. Ansonsten waren die Werte im Vergleich zu ab- mangelhafter wissenschaftlicher Arbeit fallen herab,
stinenten Frauen gleich. übrig bleiben nur die gesunden Triebe nachvollziehba-
rer Forschungsarbeit.
Auch Langzeitstudien konnten keine nennenswerten
Unterschiede zwischen Liebhaberinnen des berau- Wie sieht es tatsächlich aus: Welchen Nutzen und
schenden Grases und anderen Frauen feststellen. Einen welche Schäden kann der Konsument von Cannabis
kleinen Unterschied gab es doch: Im Alter von drei aus den pflanzlichen Wirkstoffen ziehen? Wo liegen
Jahren hatten die Babys von "moderaten" Kifferinnen Gefahren für Körper und Geist, wo Chancen für ihre
bessere motorische Fähigkeiten vorzuweisen. Die Genesung? Der achte Teil überprüft die Behauptung:
sprachliche Entwicklung von Kleinkindern im Alter von
vier Jahren, deren Mütter viel Hanf geraucht hatten
(etwa 18 Joints pro Woche), lag etwas tiefer als bei der "Marihuana verursacht Hirnschäden"
Kontrollgruppe. Mit sechs wurde bei denselben Kin-
dern eine Unterentwicklung der "Wachsamkeit" ermit- "Doch, ich bin Napoleon", sagte der eingelieferte Dau-
telt. Ein allen anderen getesteten Punkten (IQ) schnitten erkiffer, als man ihn eine Beruhigungsspritze verpaßte.
die Erben stark kiffender Ahnen nicht anders ab. So oder ähnlich muß man sich wohl das ausgemalte Bild
Einige Mütter nutzen den Hanf, um gegen die mo rgend- dieses Mythos vorstellen. Um die Frage, ob Marihuana
liche Übelkeit in der Schwangerschaft anzukämpfen, das Gehirn schädigt, schwelt seit Jahrzehnten die wis-
anderen bauen damit Streß ab. Gerade in nach westli- senschaftliche Kontroverse. In den siebziger Jahren
chen Maßstäben unterentwickelten Ländern ist Ganja wollten mehrere Studien nachgewiesen haben, das das
Ersatz für Medikamente: Auf Jamaika rauchen die Da- Denkorgan von Cannabis -Konsumenten schlechter
men gerne - aktuelle Studien konnten nicht nachweisen, funktioniert als das von Abstinenzlern. Das Beeinträch-
daß es ihren Babys schlechter geht. Nebenbei sei be- tigen der Hirnzellen verursache, so diese Meinung,
merkt, daß dies natürlich eine Frage ist, die auch den einen Verlust an Gedächnisleistung, kognitive Fehlleis-
Mann etwas angeht. tungen und Probleme beim Lernen. So, so. "Ladies and
Gentleman, we proudly present the hippest Boygroup in
Insgesamt verursacht Marihuana keine reversiblen town:"
Schäden am Fötus, Kifferkindern entwickeln sich so gut
oder so schlecht wie andere auch. Doch Vorsicht ist
trotzdem geboten, denn fast jede Substanz durchdringt THE FACTS
die Plazenta (Mutterkuchen) der Frau und landet damit
beim Fötus. Und annähernd jede Substanz kann, wenn Noch nie öffneten Forscher den Schädel eines Kiffers
sie nur hoch und lange dosiert wird, dem werdenen oder einer Kifferin. Wohl geschah dies aber bei Affen:
Leben schaden. Für das THC ist nachgewiesen, daß es Eine immer wieder zitierte Studie, die Hirnschwund nach
die Plazenta überwindet, welche genauen Wirkungen es dem Cannabis -Konsum feststellte, stammt aus den
im Fötus hat, ist noch nicht ausreichend erforscht. Fö- siebziger Jahren und wurde von R.C. Heath durchge-
ten bilden allerdings keine THC-Metaboliten, so wie es führt. Die Primaten durften den Rauch dreier Joints am
der Mutterkörper tut und die von der Mutter gebildeten Tag inhalieren. Heath entdeckte nach drei Monaten
Metaboliten überwinden die Plazenta nicht. abnorme elektrische Funkbotschaften. Als er den grau-
en Schmalz der Rhesus-Affen examinierte, fielen ihm
anatomische Veränderungen auf. Der synaptische Spalt

10
Marihuana Mythen, Marihuana Fakten

(hier queren Informationen über chemische Botenstoffe Der überwiegende Teil der Erhebungen und Laborexpe-
das Gehirn) war geweitet, einzelne Synapsen waren rimente, die Kiffer und Abstinenzler beäugten, fand
verklumpt. Leider bestach die Untersuchung nicht ge- keine Unterschiede in den kognitiven, intellektuellen
rade durch eine nachvollziehbare Versuchsaufbau. oder wahrnehmenden Funktionen zwischen den beiden
Gleich mehrere Verfahrensfehler kreideten andere Wis- Gruppen. Dies gilt vor allem für die moderaten Kiffer, die
senschaftler Heath in der Folgezeit an: Eine Vergleichs- nicht mehr als drei Joints pro Woche rauchen. Erst bei
gruppe fehlte, zudem litten die Pelztiere an akutem Sau- höheren Dosierungen ist es möglich, daß das heilige
erstoffmangel. Gerade dieser führt aber zu Schäden im Kraut tatsächlich bleibende Schäden hinterläßt. In den
Organ. Heath wollte bei den Affen eine panikartige meisten Fällen bleibt es aber schwierig, die Ve ränderun-
Reaktion aufgrund des Grasrauchens festgestellt haben. gen im Denkschmalz eindeutig dem Cannabis zuzuwei-
Spätere Forschungsarbeiten wiederholten der Ve r- sen. Zumeist spielen auch andere Faktoren eine gewich-
suchsaufbau und kamen zu dem Ergebnis, daß die Af- tige Rolle, wie beispielsweise soziale Schichtzugehörig-
fen weniger durch das Cannabis, als vielmehr durch die keit, Bildung und Alkoholkonsum.
Situation des Exp eriments geschockt waren. Die Ergeb-
nisse von Heath konnten auch in ihren anderen Berei- Neuere Forschungen (Varma u.a., 1988) maßen Intelli-
chen später nicht bestätigt werden. In den USA wollte genz und Erinnerungsvermögen und konnten nicht
man es genau wissen und nahm die Forschung von ergründen, daß Kiffer und Kontrollgruppe sich unter-
Heath zum Anlaß, unter dem Titel "Marihuana and schieden. Diese Ergebnisse decken sich mit zwei Stu-
Health" (1982) eine ganze Reihe von Experten zu Wort dien, die die US-amerikanische Regierung bereits 1972
kommen zu lassen. Heath´s Arbeit wurde scharf kriti- (National Institute of Mental Health) und 1980 (National
siert, ja demontiert. Institute on Drug Abuse) führte.

Eine andere Studie, die ebenfalls in den siebziger Jahren Gerade die neuen Entwicklungen auf dem Gebiet der
für Aufsehen sorgte, ist die Arbeit von A.M.G. Camp- Computertomographie liefern einen tieferen und gründ-
bell (in: Lancet 1971). Die Medien berichteten von licheren Blick in das menschliche Denkorgan. M. Her-
"Hirnschrumpfung bei Kiffern". Campell und seine kenham konnte damit 1990 die Rezeptoren im Hirn loka-
Kollegen hatten zehn starke Cannabisraucher unter die lisieren, an denen die Cannabinoide andocken. Er sagt
Lupe genommen und Zeichen von Hirnschwund ent- offen, daß es trotz der Lokalisierung der Cannabis -
deckt. Nur stammten alle Subjekte ihres Forschungsei- Rezeptoren auch weiterhin unmöglich sei, psychologi-
fers aus einen psychatrischen Krankenhaus, die Hälfte sche Reaktionen vorherzusagen. Der Hanf besitzt in
war schizophren, drei hatten Kopfverletzungen erlitten, dieser Hinsicht kein genaues Wirkungsspektrum, wie
einer oder zwei waren Epileptiker. Zudem war von allen beispielsweise Opiatderivate oder die bei der Bekämp-
bekannt, daß sie Opiate, Beruhigungsmittel und andere fung von Schizophernie eingesetzten Neuroleptika.
Medikamente konsumiert hatten. Herkenham und andere Forscher rufen aus diesem
Grund zur Vorsicht auf, denn auch die oft genannten
Fest steht: Der Zusammenhang von pharmazeutischen Einsatzgebiete des medizinischen Hanfs stehen auf den
Agenten, dem menschlichem Hirn und dem Verhalten ist tönernen Füßen der genauen Kenntnis der Auswirkun-
komplex. Schon der Nachweis einfacher Zusammenhän- gen auf das zentrale Nervensystem und das Gehirn.
ge bedarf diverser Experimente. Vereinfachungen aller
Art verbietet damit eigentlich das wissenschaftliche Die durch Computertomographie gewonnen Daten
Ethos. Aber natürlich greift der Rauschhanf, wie andere lassen keinesfalls des Schluß zu, daß das Hirn eines
Substanzen auch, in die Funktion des Hirnes ein. Nur so Kiffers schrumpft. J. Kuehnle scannte den Kopfinhalt
entsteht der Rausch, die Veränderung der subjektiv von 19 Hardcore-Kiffern und konnte keine Schäden
erlebten Wirklichkeit. Fraglich ist halt nur, ob das blei- entdecken.
bende oder gar schädliche Wirkungen hat. In der Studie von M. Fink (u.a., 1976) wurden in Grie-
Einigkeit herrscht darüber, daß das Lernen unter akutem chenland 47 chronische Haschisch-Konsumenten er-
Cannabiseinfluß weitaus ineffektiver ist. Und unbestrit- forscht. In ihren Hirnen fanden sich ebenfalls keine
ten ist auch, daß das Kurzzeitgedächnis erhebliche Abnormalitäten.
Einbußen hinnehmen muß. Dies kristallisierte sich in der Berücksichtigt man die neurochemischen Daten von
Costa-Rica Studie ebenso heraus wie in einer Arbeit Tierversuchen, klinischen Fallstudien, empirischen
von R.H. Schwarz aus dem Jahre 1989. Abseits aller Erhebungen, kontrollierten Laborstudien und Feldver-
Wissenschaft ist dies eine Erfahrung, die wohl jeder suchen kann gesagt werden, daß Beeinträchtigungen
erfahrene Kiffer bestätigen kann. Daß sich diese Beein- des Hirns zwar möglich sind, bei einem kontrollierten
trächtigung aber, wie eine andere Untersuchung be- Umgang aber äußerst unwahrscheinlich.
hauptet, bei starken Kiffern bis zu drei Monaten hinzie-
hen kann, bleibt indes umstritten.

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Marihuana Mythen, Marihuana Fakten

fittich = Schwungfeder) und predigen die Abstinenz


Mythos 9 vom "Hasch spritzen", da Sucht die unausweichliche
Weiter geht es in der Serie, welche die Mythen rund um Folge ist. Das ist -gelinde gesagt- blanker Unsinn. Das
die Marihuana-Pflanze analysiert. Um die Drogen ran- Potential für eine körperliche Abhängigkeit vom Hanf
ken sich allerhand Vorurteile, Ungereimtheiten und auch ist vergleichweise gering, aber entgegen vieler Vorurtei-
bewußt gestreute Lügen. Wie sieht es nun tatsächlich le durchaus vorhanden. Nach dauerhaftem und exzessi-
aus: Welchen Nutzen und welche Schäden kann der ven Konsum können Entzugserscheinungen beispiels-
Konsument von Cannabis aus den pflanzlichen Wirk- weise als Nervosität, Reizbarkeit und Schlafstörung
stoffen ziehen? Wo liegen Gefahren für Körper und auftreten. Auch verstärktes Schwitzen und Appetitlo-
Geist, wo Chancen für ihre Genesung? Wissenschaft sigkeit wurden beobachtet. Diese Symptome ver-
soll auch hier die wichtigen Fragen beantworten; schwinden aber alle nach einigen Tagen wieder.
schauen wir, was die Halbgötter in ihren weißen Kitteln Ernster zu nehmen sind die Gefahren der psychischen
wissen, was wir nicht schon geahnt haben. Im neunten Abhängigkeit, obwohl auch diese -glaubt man den
Teil der Serie geht es um die Behauptung: Ärzten- nur selten auftritt. Cannabis verändert den inne-
ren Zustand des Menschen; er oder sie raucht, um
glücklich oder -anders ausgedrückt- gut drauf zu sein.
"Marihuana macht süchtig" Problematisch wird dieses Verhalten dann, wenn andere
Anstrengungen zur Erlangung von Zufriedenheit und
Erich Hesse schrieb 1966: "Die regelmäßige Aufnahme Glück deswegen gänzlich vernachlässigt werden und
des Gifts (Haschisch) führt zur Sucht und auf Dauer zu nur noch der Joint das Wohlsein garantiert. Dann ist
schweren psychischen Schäden. Daueraufenthalt im der Konsument psychisch abhängig. Dies wird vor
Irrenhaus ist das Ende." Noch immer hält sich der My- allem in der westlichen Gesellschaft zur Gefahr für den
thos von Cannabis als Suchtdroge. Gleichzeitig wird jungen Kiffer, weil seine Bereitschaft eine tragende und
behauptet, daß eine Verbreitung des Gebrauchs zur leistende Rolle zu spielen abnimmt. Für den noch in der
weiteren Verbreitung der Cannabis -Sucht führe. Der persönlichen Entwicklung stehenden Jugendlichen
Leiter der städtischen Drogenberatung in München, kann Cannabis -Konsum somit gänzlich andere Auswir-
Rolf Wille, schrieb noch im letzten Jahr: "Die Cannabis- kungen haben als für den Erwachsenen, der sich den
abhängigkeit entwickelt sich als ein schleichender Pro- Rauschhanf gelegentlich und bei entsprechender Le-
zeß. Über ein als angenehm erlebtes Anfangsstadium benserfahrung sowie unter geeigneten Umständen
der Pseudoharmonie kommt es zu einer Gewöhnung und zuführt.
Einengung auf die Droge und im dritten Schritt schließ- Aber so einfach wie hier dargestellt ist es auch nicht,
lich zur Abhängigkeit." Ob es tatsächlich so einfach denn die Unterscheidungsgrenze zwischen körperlicher
und unausweichlich ist, klären und psychischer Abhängigkeit bröckelt. Bei fast allem,
was man freiwillig tut, ist die Frage nach der psychsi-
chen Abhängigkeit nicht mit einem Ja oder Nein, son-
DIE FAKTEN dern nur mit einem Mehr oder Weniger zu beantworten.
Denn in gewissem Maße ist das Individuum von allem
Klare Begriffe sind notwendig, um klare Gedanken zu
abhängig, was es gerne mag, von liebgewonnen Ge-
formulieren. Sucht ist kein klarer Begriff. Wurden früher
wohnheiten bis zu geliebten Menschen. Die Neuropsy-
Sucht und Abhängigkeit gleichgesetzt, um die unkon-
chologen und Biochemiker widersprechen der Differen-
trollierte Zuwendung eines Menschen zu einem Stoff
zierung zwischen körperlich und psychisch ohnehin
oder Gefühl zu beschreiben, unterscheidet man heute
schon seit längerem. Für sie spielen die auf physischen
zwischen den Termini. Jeder ist von Nahrung und
Mechanismen beruhenden biochemischen Vorgänge im
Schlafen abhängig, aber auch von emotionaler Zuwen-
Hirn die entscheidende Rolle. Damit relativieren sich für
dung und Sinnerfüllung. Dies als negativ zu bewerten,
sie auch die Unterschiede zwischen Abhängigkeit "mit"
macht wenig Sinn. Abhängigkeit ist also untrennbar mit
und "ohne" Drogen, denn letztendlich entscheidet das
der menschlichen Existenz verbunden. Bei der Sucht
Belohnungssystem im Kopf.
liegt der Fall anders. Wie Sebastian Scheerer, Krimino-
loge an der Universität Hamburg, sagt: "Während jeder Jede Substanz kann als Suchtmittel mißbraucht werden
Menschen von vielerlei abhängig ist, ist er keineswegs und mit jeder Substanz passiert dies. Um als gefährlich
zwangsläufig auch nach vielerlei süchtig." Um die Ve r- und suchtbringend eingestuft zu werden, muß dem
wirrung zu mindern, unterscheidet die Wissenschaft Cannabis nachgewiesen werden, daß eine wesentliche
zwischen körperlicher und psychischer Abhängigkeit. Anzahl seiner Konsumenten es nicht schafft, mit dem
Gebrauch der Droge aufzuhören und zudem Konsum-
Besorgte Eltern und Großeltern packen ihre Zöglinge
muster entwickelt, die andere Aktivitäten im Leben stark
noch heute gerne am Schlafittchen (eigentlich: Schlag-
beeinträchtigen. Die bislang in den USA durchgeführ-

12
Marihuana Mythen, Marihuana Fakten

ten Studien haben erbracht, daß die Mehrheit derjeni- Institutionen aufgenommen haben und für diese eine
gen, die schon einmal Erfahrung mit Marhihuana hatten, eigene Kategorie der Abhängigkeit kreierten. Ohne
nicht regelmäßig zum Spliff greifen. 1993 befragte man diesen Damen und Herren böse Absichten nachweisen
junge AmerikanerInnen im Alter von über 12 Jahren. 34 zu wollen, sichert man so zumindest den Fortbestand
Prozent hatten schon einmal mehr oder minder kräftig der eigenen Anstalten. In den USA hat sich dieses
inhaliert, aber nur 9 Prozent hatten in den letzten 12 Problem verschärft: Immer aufwendigere technische
Monaten eine Tüte eingerollt, 4.3 Prozent im letzten Möglichkeiten des Drogen-Nachweises in Firmen und
Monat und 2.8 Prozent im der vergangenen Woche. Schulen haben dazu geführt, daß mehr und mehr Kiffer
Eine longitudinale Studie mit jungen Erwachsenen zeig- sich selbst als süchtig deklarieren um behandelt und
te ebenfalls eine hohe Rate der Diskontinuität des nicht bestraft zu werden.
Hanfgenusses. 77 Prozent hatten schon einmal das
Vergnügen, 74 Prozent dieser Menschen probierten es
aber nicht im letzten Jahr noch einmal, 84 Prozent nicht
im letzten Monat. Mythos 10
Natürlich gibt es Personen, die Hanf über mehrere Jahre Ja, ja, was nehmen wir nicht alles in Kauf für die Aufklä-
hinweg genießen, gleichwohl aber nicht süchtig sind. rung. Mittlerweile klärt das HanfBlatt in der zehnte Fol-
Viele regelmäßige (aber mäßige?), ja sogar viele tägliche ge über Mythen rund um die Cannabispflanze auf. Und
Nutzer der Droge sind durchaus in der Lage, ihren Le- noch ist kein Ende in Sicht! Der Erfolg der Arbeit lohnt
bensalltag in für sich selbst und auch sozial verträgli- die Mühe, denn der wahre Hanf kommt zum Vorschein,
cher Weise zu gestalten. Dosierung der Droge, Anfor- entkleidet aller bewußt oder unbewußt gesäten und
derungen des Berufs, soziales Umfeld und die persönli- gewachsenen Behauptungen. Wie sieht es nun tatsäch-
che Struktur des Konsumenten sind auschlaggebend lich aus: Welchen Nutzen und welche Schäden kann der
für die Wanderung auf dem Grad zwischen Gebrauch Konsument von Cannabis aus den pflanzlichen Wirk-
und Mißbrauch. Im Handbuch der Diagnostik und The- stoffen ziehen? Wo liegen Gefahren für Körper und
rapie hieß es 1993: "Cannabis kann über lange Zeit Geist, wo Chancen für ihre Genesung? Im zehnten Teil
genommen werden, ohne das nennenswerte Folgen in der Serie geht es um den Mythos:
psychischer oder sozialer Hinsicht auftreten." In der
Feldforschung konnte ebenfalls nicht festgestellt wer-
den, daß das Suchtpotential von Hanf hoch ist: "Immer mehr Menschen werden wegen Ma-
• Eine Studie in der Republik Panama, die sich rihuana-Konsum ins Krankenhaus eingelie-
mit den Auswirkungen des Pot-Konsums von fert"
amerikanischen Soldaten in den dreißiger Jah-
ren befaßte, kam zu dem Schluß, daß Cannabis
Um zu beweisen, daß Marihuana eine gefährliche Droge
keine Abhängigkeit verursache.
ist, führen die Gegner einer Legalisierung aus, daß im-
• Der 1944 von LaGuardia-Komitee (benannt mer mehr Kiffer ins Krankenhaus eingewiesen werden.
nach dem ehemaligen New Yorker Bürgermeis- Liegen tatsächlich vermehrt verwirrte Gestalten sab-
ter) veröffentlichte Bericht entkräftete viele bernd in den Betten der Hospitäler? Führt der Genuß
Vorwürfe gegen den Gebrauch und schrieb: von Hanfharz zum delirösen Zustand, der oft den Anruf
"Das Rauchen von Marihuana führt nicht zur beim Notarzt zur Folge hat? Schon aus der Polemik wird
Abhängigkeit im medizinischen Sinn." klar, welche Meinung der Autor hat, aber folgen wir
doch lieber brav
• Der Gouverneur von Pennsylvania, Raymond
Shafer, leitete eine Expertengruppe Anfang der
siebziger Jahre. Nach ausgiebiger Sichtung al-
DEN FAKTEN
ler verfügbaren Materialien konnte der Auss-
chuß sagen: "Marihuana führt nicht zu körper- Der Ursprung dieses Mythos liegt -wie so oft- in den
licher Abhängigkeit, doch kann langfristiger Vereinigten Staaten von Amerika. Hier sammelt das
Mißbrauch bei den Betroffenen zu einer psy- "Drug Abuse Warning Network" (DAWN) Daten aus
chologischen Abhängigkeit von der Droge den Krankenhäusern. DAWN behauptet nun, daß im-
führen." mer mehr junge Menschen in den neunziger Jahren ein
Spital aufsuchten, um Hilfe gegen ihren akuten Marihu-
Die am häufigsten publizierenden Verfechter der sucht-
ana-Rausch zu suchen. Das Personal der Häuser füllt
bringenden Natur von Marihuana und Haschisch sind
für jeden Patienten einen Fragebogen aus, auf welchem
oft Suchttherapeuten und Leiter von Entzugseinrich-
auch nach dem Konsum irgendwelcher Drogen gefragt
tungen, die gut versicherte Marihuana-Liebhaber in ihre
wird. Eine Auswertung dieser Bögen ergab, daß im

13
Marihuana Mythen, Marihuana Fakten

Jahre 1990 15.706 Menschen angaben, sie hätten Mari- len Rauscherlebnis aufnehmen. Das dürfte selbst für
huana geraucht oder gegessen. Das sind 7.1 Personen Hardcore-Kiffer aussichtslos sein. Und J.C. Garriott kam
bei einer Population von 100 Tausend. Dieser Anteil schon 1971 zu der Schätzung, daß 800 Joints inhaliert
stieg bis 1993 auf 29.166 (immerhin 12.7 per 100 Tau- werden müßten, um das Zeitliche zu segnen.
send). Auf Basis dieser Zahlen sprach DAWN von
einem Anstieg von 86 Prozent. Die Ve röffentlichung Cannabiskonsum kann in seltensten Fällen eine Psy-
sorgte für Aufruhr in den USA und wurde von den chose auslösen - wohlgemerkt nur bei denjenigen, die
Prohibitionisten ausgenutzt, um den "Krieg gegen die ohnehin psychotisch veranlagt sind. Wie Hans-Georg
Drogen" weiter zu rechtfertigen. Nimmt man jedoch 1988 Behr, Autor des Buches "Von Hanf ist die Rede", in
als Ausgangsbasis, das Jahr indem die Erfassung der seiner ihm eigenen Art sagt: "Natürlich, wenn jemand
Bögen begann, entsteht ein anderes Bild. Damals wur- schon in einer Psychose ist und glaubt, er kann sich
den 19.962 Konsumenten gezählt, somit stieg die Zahl durchs Kiffen heilen, wird das nicht funktionieren."
bis 1993 um "nur" 42 statt 86 Prozent. Verstanden? Warum, so kann man sich nun fragen, landen Men-
Und noch etwas ist wichtig: Marihuana ist nach wie vor schen nach Haschisch oder Marihuanakonsum in der
die am wenigsten genannte Drogen unter den illegalen Aufnahme eines Hospitals? Die offensichtlichste und
Substanzen. Kokain und/oder Heroin-bedingte Aufent- sofort eintretende Wirkung von Cannabis ist eine
halte sind öfter zu verzeichen, als die von Kiffern. Und schnelle Steigerung des Herzschlages. Diese läßt zwar
in der Altersgruppe zwischen 6 und 17 Jahren lag der innerhalb einer Stunde wieder nach - der sensible Nut-
Anteil derjenigen, die Schmerzmittel eingenommen hat- zer reagiert unter Umständen aber panisch auf diesen
ten, sogar erheblich höher. 6.4 Prozent gaben an, Mari- Umstand und liefert sich den Damen und Herren in den
huana genossen zu haben, bei 47 Prozent schwirrten weißen Kitteln aus.
(legale) Schmerzmittel durch die Blutbahn. Beeindruckender als die körperlichen werden im allge-
Äußerst selten gelangen Bürger und Bürgerinnen ins meinen die psychischen Veränderungen empfunden. Im
Lazarett, die nur gekifft hatten - zumeist spielten andere Marihuana-Rausch kann es unter anderem zu einer
Substanzen eine Rolle. In mehr als 80 Prozent der Fälle Depersonalisation kommen. Was das ist? Das Lexikon
spielen weitere Drogen eine Rolle und bei mehr als 40 beschreibt dies als "Zustand der Entfremdung gegen-
Prozent nannten die Berauschten sogar zwei oder mehr über dem eigenen Ich und seiner Umwelt." Die Hand-
"Rauschgifte", die sie sich zugeführt hatten. lungen und Erlebnisse des Ich werden wie aus einer
Zuschauerrolle beobachtet. Diese Auflösung des Ich
Überhaupt ist es falsch zu behaupten, daß immer mehr kann als angenehm empfunden, aber auch als uner-
verwirrte Kiffer über desinfizierten Gänge irren: 1992 wünschte Wirkung interpretiert werden. Traumartige
gaben über 430 Tausend Menschen in den USA Dro- Sequenzen nehmen bösartige Formen an, Mann oder
genkonsum bei ihrer Einlieferung ins Krankenhaus an. Frau fühlt sich unwohl, konfus, desorientiert, ja teilwei-
Nur etwa 4000 davon -also ein Prozent- hatten nur Ma- se panisch. Angst (...immer ein schlechter Berater...)
rihuana konsumiert. schleicht sich in die Psyche ein und vorbei ist es mit
den Freuden des Rausches; die Grenzen zur Paranoia
Nachdem die Zahlen interpretiert wurden, noch ein paar sind fließend. Wenn dann kein guter Freund in der
allgemeine Worte: Natürlich gibt es Menschen, die auf Nähe ist, der für eine Stimmungsaufhellung sorgt, hofft
die Inhaltsstoffe des Hanfs allergisch reagieren - dies ist man auf professionelle Hilfe. Ob die Neon-Beleuchtung
aber äußerst selten der Fall. Raucht man dem Hanf, so einer Notaufnahme allerdings das richtige Ambiente für
ist es fast unmöglich ihn dahingehend zu dosieren, daß ein "Runterkommen" bietet, wird mit Recht bezweifelt.
er einen in Lebensgefahr bringt. Ärzte und Wissen- Es wird vermutet, daß gerade Erstbenutzer des Rausch-
schaftler kenne eine recht genau Richtlinie, wie sicher hanfs mit den ungewohnten Effekten des Krauts nicht
eine Droge bzw. ein Medikament ist. Die Bezeichnung umzugehen wissen und eine eher schlechte Abfahrt
LD50 gibt an, wieviel von einer Substanz aufgenommen erleben können. Innere Einstellung (Set) und äußere
werden muß, daß sie tödlich wirkt. Der Wert von Mari- Einflüsse (Setting) müssen halt stimmen. Die momentan
huana ist dort so hoch, daß man schon ein pakistani- noch immer herrschende Illegalität der Genußsituation
sches Hanffeld abgrasen müßte, um über den Jordan zu beeinflußt Set wie Setting eher negativ.
schweben. Gras ist sehr viel sicherer zu nutzen als bei-
spielsweise Alkohol, Tabak oder Koffein. Paul Hager
von der ICLU Drug Task Force (Indiana Civil Liberties
Union), eine us-amerikanischen Reformbewegung,
nimmt an, daß der Faktor zwischen "stoned" sein und Mythos 11
tödlicher Dosis bei 40 Tausend liegt. Um ins Gras zu An was soll diese arme Pflanze eigentlich alles Schuld
beißen, anstatt es nur zu genießen, müßte ein Konsu- sein? Vielfältig sind die Vorwürfe, nebulös oft die Be-
ment also 40 Tausend mal so viel wie bei einem norma- weise. Die Mythen rund um den Hanf ranken mu nter

14
Marihuana Mythen, Marihuana Fakten

weiter, doch Rettung ist in Sicht, denn das HanfBlatt sozialen Umwelt nicht mehr gerecht wird? Seither wider-
zerreißt den Schleier des Unwissens und der Boshaftig- sprechen sich die Ergebnisse: College-Studenten waren
keit. Dahinter leuchten die prallen Harzdrüsen der Er- wiederholt Ziel von Erhebungen - während in einigen
kenntnis. Aber bleiben wir auf dem Boden. Wie sieht es Fällen ein Abnehmen der Leistungsbereitschaft und
wirklich aus: Welchen Nutzen und welche Schäden auch der Noten eruiert wurde, fanden andere Untersu-
kann der Konsument von Cannabis aus den pflanzli- chungen keine Unterschiede zu Nichtrauchern oder
chen Wirkstoffen ziehen? Wo liegen Gefahren für Kör- sogar Steigerungen der Tüchtigkeit. Interessant ist, daß
per und Geist, wo Chancen für ihre Genesung? Der elfte die großen Feldstudien in Costa Rica, Griechenland und
Teil der Serie dreht sich um den Mythos: Jamaika keine Beweise für das "Amotivationssyndrom"
fanden. In Jamaika wird Ganja auch konsumiert um zu
arbeiten. In dem Bericht heißt es, "daß Ganja als Ar-
"Marihuana verursacht das Amotivations- beitsstimulans wirkt". J. Schaeffer und seine Mitarbeiter
syndrom" schauten sich 1981 das Verhalten einer religiösen Verei-
nigung in den USA an, die im rituellen Rahmen regel-
mäßig Gras paffen. Sie fanden keine Beeinträchtigung
Der Standardwitz zum Thema: Sagt der Eine: "Hasch der kognitiven Funktionen. Vielleicht kommt Andrew
macht gleichgültig." Der Andere: "Mir egal." Die Weil dem Kern der Sache nahe, wenn er behauptet:
gleichgültig machende Eigenschaft des Rauschhanfs ist "Amotivation ist in den USA eine Ursache für starkes
nicht nur einer der ältesten Mythen, er findet auch im- Marihuanarauchen und nicht umgekehrt."
mer wieder Unterfütterung durch neue wissenschaftli-
che Untersuchungen. Sollte Haschisch tatsächlich aus Trotzdem gibt es durchaus Gründe, die Theorie der
einem normalen, arbeitswilligen Bürger einen apathi- Amotivation ernst zu nehmen. Wenn aus dem Kind die
schen und unproduktiven Versager machen? Blüte des Erwachsensein treibt, ist es an der Zeit an den
An- und Unannehmlichkeiten des Lebens teilzunehmen.
Es warten nicht nur Pickel und das andere Geschlecht,
DIE FAKTEN sondern auch erste Grenzerfahrungen mit berauschen-
den Substanzen. Der erste Suff, der erste Joint. Wer hier
Die herrschende Lehre geht davon aus, daß das Kon- dem Rausch zu heftig und regelmäßig zuspricht, dem
zept des "amotivationalen Syndrom" in einem Aufsatz fällt die Integration in das bestehende Bürgertum der
von W.H. McGlothin und L.J. West im Jahre 1968 ent- rangelnde Ellbogen schwer. Denn wie sinnlos, wie nich-
worfen wurde. Der regelmäßige Konsum von Cannabis, tig wirken die Versprechungen des materiellen Reich-
so die beiden Autoren, führe zur Entwicklung eines tums gegen dem lässigen Verweilen im "Hier und Jetzt".
passive, introvertierten und eben demotivierten Persön- Oder wie Rowan Robinson es ausdrückt: "Warum sollte
lichkeitstypus. Die hinter diesem Konzept stehende man endlose Stunden dafür aufwenden, Reichtum anzu-
Idee entstand allerdings schon sehr viel früher. Die us- sammeln, um sich das Glück und die Zufriedenheit zu
amerikanischen Regierungsbehörden setzten diesen kaufen, die bei Cannabiskonsum bereits in jedem Au-
Gedankenvirus, um einen rassistischen Stereotyp für genblick vorhanden sind?" Sinnsuchende Sekretärin-
die mexikanischen Arbeiter, den "Borracho", zu entwi- nen dürfen die Besitzer von Esoterik-Shops reich ma-
ckeln. Die Prohibitionisten sahen in der für sie unge- chen, der heranwachsende Jugendliche muß erste seine
wohnten Gelassenheit der Marihuana rauchenden Me- Leistung bringen, bevor er sich dem Gedankens des
xikaner nur Wertlosigkeit und Faulheit. Schaut man sich ewigen Fortschritts wieder abwendet. Ob es aber tat-
die Untersuchungen aus den 60er Jahren genauer an, sächlich so einfach ist, wie Robinson behauptet, daß
fällt auf, daß hier nur schwer kiffende Jugendliche aus- das "Amotivationssyndrom" nur dem "Zweifel an der
gewählt wurden, die ohnehin schon in medizinischer Weisheit des Fortschrittsdenken" entspricht, muß be-
Behandlung waren. McGlothin und West prüften die zweifelt werden. Denn natürlich ist ein Mensch anderen
Verfassung von Mittelklasse-Angehörigen, die vor dem Dingen gegenüber unmotiviert, wenn sich der Haupt-
Beginn ihres Konsums konforme und leistungsorientier- augenmerk seines Lebens einer Droge zuwendet. Hang-
te Söhne und Töchter waren, in deren Garageneinfahrt over, Lustlosigkeit, Antriebsschwäche, Ziellosigkeit
ein Basketballkorb das Grundstück zierte (Achtung: und Lethargie sind allen Kiffern bekannte Phänomene
Dies war ein Stereotyp). Das THC setzte bei Ihnen ein nach einer durchqualmten Nacht. In fernen Ländern
altes Gefühl frei: Langzeitpläne gerieten aus dem Blick, (und im Urlaub) mag dies zu einer Philosophie gehören,
die Konzentrationsfähigkeit über längere Perioden nahm in "spätkapitalistischen" Gesellschaften kann dieser
ab. Gegenwärtiges Genießen wurde erheblich wichtiger Weg aufs Abstellgleis führen, auch wenn Gleichgesinn-
als die ungewisse Zukunft. In einer Gesellschaft der te mit im selben Wagon sitzen.
westlichen Hemissphäre werden solche Auffälligkeiten
natürlich schnell zum Politikum, denn wo soll der Weg Aber runter mit dem Zeigefinger und zurück zu den
hingehen, wenn die Jugend den Anforderungen der medizinischen und sozialen Erkenntnissen. S. Cohen

15
Marihuana Mythen, Marihuana Fakten

erinnert die Wissenschaftsgemeinde 1986 daran, daß Einfluß von Cannabis mag vielleicht von manchen als
das "Syndrom" äußerst variabel in seiner Präsentation besonderes Erlebnis eingestuft werden, ist aber nicht
ist und zudem extrem durch Einflüsse vor dem Beginn nur gesetzlich verboten, sondern stellt auch eine unver-
des Cannabis -Konsums bestimmt wird, daß die Existenz antwortliche Gefährdung der Mitmenschen dar. Dies
des "Amotivationssyndrom" bezweifelt werden kann. billigt aber nicht die momentan in der Bundesrepublik zu
Bei vielen von diesem "Syndrom" Betroffenen wurde beobachtende Tendenz, auch bei nicht-akuten Canna-
zudem eine körpereigene depressive Störung diagnosti- biskonsum den Führerschein zu entziehen. Vergleiche
ziert, die durch den Cannabiskonsum an die Oberfläche zum Alkohol sollten eigentlich helfen, die verworrende
des Geistes durchbrach. J.A. Halikas und seine Kolle- Rechtslage zu Vereinheitlichen und Recht und Gerech-
gen belegten das 1978. D.J. Kupfer ging schon 1973 tigkeit wieder zusammenzuführen. Soviel vorweg - stür-
sogar soweit, das diese von Depression geplagten zen wir uns nun in das Zahlenmaterial:
Menschen den Hanf als selbstverschriebene Behand-
lung nutzen. Zum Schluß muß noch einmal in Erinne- In den USA wird der Zusammenhang von Drogen wie
rung gerufen werden, daß der große Teil der in den Alkohol und Cannabis und dem Führen von Kraftfahr-
zahlreichen Studien untersuchten Individuen in medizi- zeugen und Unfallhäufigkeiten schon länger unter-
nischer Behandlung waren und demnach nicht repäsen- sucht. In allen Studien war Alkohol in über 50 Prozent
tativ für die Allgemeinheit der Cannabis -Genießer sind. der Fälle präsent, Marihuana wurde weitaus weniger oft
Und wenn es dieses "Syndrom" wirklich geben sollte, im Blut gefunden. Eine junge Studie, gesponsort von
wie kann dann seit drei Jahren jeden Monat das Hanf- der "National Highway Traffic Safety Administration"
Blatt erscheinen? (NHTSA) analysierte annähernd 2000 schwere Unfälle
auf den Highways der Vereinigten Staaten. 6.7 Prozent
der Fahrer und Fahrerinnen waren Cannabis -Positiv. In
mehr als 2/3 dieser Fälle rauschte auch Alkohol durch
die Blutbahn und die Wissenschaftler meinten, daß
Mythos 12 hauptsächlich dieser für den fatalen Ausgang der Auto-
Einmal erdacht verbreitet sich eine Idee oft sehr schnell fahrt verantwortlich war. Die Arbeit von R. Lawrence
und nachhaltig. Immer wieder zitiert, von Buch zu Buch (1993) ist exemplarisch für die USA. Er untersuchte (nur)
weitergereicht, scheint auf einmal festzustehen, was 39 Menschen, davon waren das Blut von 15 (39 Pro-
eigentlich nur Annahme ist. Der Mythos ist geboren. zent) mit THC-Metaboliten gesegnet.
Viele der Behauptungen rund um die Hanfpflanze ste- Bislang wagte man nur einmal, Kiffer unter kontrollier-
hen auf sandigem Grund, diese Serie hat sich zur Auf- ten Bedingungen auf den alltäglichen Wahnsinn des
gabe gemacht, die Basis der Mythen zu überprüfen. Verkehrs loszulassen. In einer international Aufsehen
Wie sieht es wirklich aus: Welchen Nutzen und welche erregenden Studie schickte H.W.J. Robbe von der Uni-
Schäden kann der Konsument von Cannabis aus den versität Maastricht bekiffte Fahrer in die Stadt. Friedlich
pflanzlichen Wirkstoffen ziehen? Wo liegen Gefahren und langsam kurvten diese umher, größere Gefahren für
für Körper und Geist, wo Chancen für ihre Genesung? Mensch und Tier blieben aus. Cannabis beeinflußt die
Der zwölfte Teil unserer Reihe behandelt den Mythos: Aufmerksamkeit nicht so stark wie Alkohol und im Ge-
gensatz zu der Flüssigdroge fuhren die Teilnehmer
langsamer als im Normalzustand. Dies liegt vermutlich
"Marihuana ist eine der Hauptursachen für auch daran, daß die Leute wußten, daß sie berauscht
Unfälle im Straßenverkehr" sind - die alkoholtypische Selbstüberschätzung blieb
aus.
Gegner einer Legalisierung von Cannabis argumentieren Unfälle unter Alkohol sind zumeist Geschwindigkeits-
immer wieder, daß berau(s)chte Fahrer die Landstraßen unfälle, beim Hanf gibt es keinen prägnanten Unfalltyp.
und Autobahnen nicht nur extrem unsicher machen, Bisher scheiterte die Wissenschaft daran, eine Dosis -
sondern auch viele Unfälle verursachen. Stehen die Konzentrations-Wirkungs-Beziehung herauszufinden.
Kiffer tatsächlich wie Cheech und Chong auf dem Noch schwieriger ist dies natürlich für Dauerkiffer, die
Standstreifen und fragen sich, wann sie ankommen und nicht so schnell unter Leistungseinbußen leiden.
woher der ganze Nebel kommt?
Hans-Peter Krüger von der Universität Würzburg faßt
zusammen: "Alkohol dämpft die Aufmerksamkeit, Can-
DIE FAKTEN nabis perforiert sie." Bei Kiffer käme es, so Krüger, zu
Löcher in der Konzentration, wenn sie Cannais konsu-
Im diesem Mythos näher zu kommen ist es wichtig, miert hätten. Der Professor führte jüngst den größten
sauber zwischen den verschiedenen Ursachen und deutschen Roadside-Survey durch, das heißt, die For-
Wirkungen zu unterscheiden. Fahren unter dem akuten scher griffen zufällig Autos aus dem Straßenverkehr

16
Marihuana Mythen, Marihuana Fakten

und untersuchten den Speichel der Fahrer (mit ihrer


Einwilligung) nach Drogen. Von den 3000 Proben ent-
Mythos 13
hielten nur 0,61 Prozent Spuren von Cannabis. Natürlich besitzen Mythen einen Sinn. Sie geben uns
Es gibt noch andere überraschende Ergebnisse: Faßt Sicherheit in einer verwirrenden Welt, erklären das Un-
man verschiedene US-Studien zusammen (Hausmann, erklärbare, vereinfachen das Komplexe. Aber was nützt
Williams, Terhune, Drummrer) sinkt das Unfallrisiko all dies, wenn sie schlichtweg falsch sind? Wenn sie der
sogar, wenn Cannabis konsumiert wurde. Gegenteiliges neuen wissenschaftlichen Forschung nicht mehr Stand
behauptet Marowitz (1995) der 9957 Fälle untersuchte. halten können? Dann gilt es Abschied zu nehmen.
Danach verursachen Rauschhänflinge mehr Unfälle als Auch um die Marihuana-Pflanze ranken sich allerlei
Abstinenzler. Vorsicht ist immer dann geboten, wenn Mythen. Wie sieht es aus: Welchen Nutzen und welche
eine Untersuchung nur feststellt, daß der Fahrer "ir- Schäden kann der Konsument von Cannabis aus den
gendwann" in den letzten Monaten Hanf genossen pflanzlichen Wirkstoffen ziehen? Wo liegen Gefahren
hatte. für Körper und Geist, wo Chancen für ihre Genesung?
Diese Serie klärt auf - dieses mal mit der Behauptung:
Trotz der Arbeit von Krüger fehlt es in der Bundesre-
publik an verläßlichen Daten über die Häufigkeit der
cannabisbeeinflußten Teilnahme am Straßenverkehr. "Marihuana ist eine Einstiegsdroge"
M.R. Möller berichtete 1993, daß er im Rahmen einer
Analyse von 660 Blutproben in 54 Fällen (nicht-akuten)
Gabriel Nahas schreibt in der 1990 veröffentlichten
Cannabiskonsum nachweisen konnte. T. Daldrup stellte
fünften Ausgabe seines Werkes "Keep Off the Grass",
nach einer Überprüfung von über 200 Blutproben von
daß mittlerweile wohldokumentiert sei, daß Cannabis im
verunfallten, alkoholisierten Fahrern fest, daß ein Anteil
Gehirn biochemische Veränderungen verursache, die
von 11 Prozent THC-positiv war.
den Konsumenten dazu verleiten andere, härtere Dro-
Aber was nützen all´ die Zahlen? Die Wissenschaft tut gen auszuprobieren. Seit Jahrzehnten behaupten er und
sich momentan schwer, einen Grenzwert für die Fahrun- andere Forscher, daß Hanf eine Einstiegsdroge sei. Wer
tüchtigkeit nach Cannabiskonsum festzulegen. Und mehr oder weniger kifft, würde irgendwann automatisch
glaubt man einem Teil der Juristen, läßt sich ein "Null- mit Substanzen wie Kokain oder Heroin experimentieren.
wert" nicht ohne weiteres ohne Verletzung geltenden Legalisierungsgegner argumentieren aber nicht nur mit
Rechts festsetzen. Gleichwohl führt oft schon der Er- pharmakologischen, sondern auch mit sozial-
werb und Besitz der pflanzlichen Wirkstoffe zum Entzug psychologischen Erklärungsansätzen.
der Fahrerlaubnis und zum Anordnung einer MPU. Und
Nach Karl-Ludwig Täschner wirkt der Konsum von
dies obwohl alle verfügbaren Zahlen nicht den Schluß
Cannabis gewohnheitsbildend und verfestige abhängi-
zulassen, daß immer mehr Kiffer die Straßen unsicher
ge Verhaltensweisen. Um sich noch einen größeren
machen. Noch verfehlter ist es, den Cannabisfahrten
Kick zu verpassen, sei der Griff zur Nadeln dann nicht
sogar "unterschwellig einen höheren Stellenwert
mher fern.
beizumessen, als dies im Zusammenhang mit Alkohol
der Fall ist", wie der Bremer Rechtsanwalt Reinhard
Bieniek sagt.
DIE FAKTEN
Auch um die gängige Praxis der Verwaltungsgerichte zu
beenden, aufgrund des Fehlens eines Grenzwerts auto- Ist der Weg für den Rauschhanfliebhaber vorgezeich-
matisch auf die generelle Fahruntüchtigkeit eines Can- net? Geht er oder sie Belastungen des Alltags immer
nabis -Liebhabers zu schließen, bemühen sich jetzt die mehr aus dem Weg? Wird das Verlangen nach immer
Forscher vermehrt um die Festlegung eines Werts ver- stärkeren Manipulationen des Bewußtseins immer grö-
gleichbar der 0.8 Promille-Grenze beim Alkohol. Ein ßer? Schon mit gesundem Menschenverstand kann das
Vorschlag lautet: Wenn im Blut (zwei Stunden nach bezweifelt werden, denn Kokain oder Heroin bieten
Fahrantritt) mehr als 13 Nannogramm/Milliliter THC nicht unbedingt eine Steigerung der Cannabis -Wirkung.
aufgefunden wird, gilt der Delinquent als unerlaubt Die empirischen Fakten sprechen zudem eindeutig ge-
bekifft. Andere Wissenschaftler schlagen vor, diese gen diese Behauptung, denn nur ein winziger Teil der
Grenze bereits bei 3-7 ng festzulegen. Wie auch immer Kiffer steigt auf härtere Drogen um. Wohl haben in
entschieden wird: Die Hanffans hoffen, daß das Argu- Deutschland 95 Prozent der Heroinkonsumenten früher
ment der Fahruntauglichkeit ein (letztes?) Rückzugsge- Cannabis geraucht, 95 Prozent der Cannabiskonsumen-
fecht der Legalisierungsgegner ist. ten greifen aber nicht auf härter Drogen zu. Hans-Harald
Körner, Verfasser des Standardkommentars zum Betäu-
bungsmittelgesetz, schrieb denn auch schon vor drei
Jahren: "Stellt man die geschätzte Zahl der Cannabis-

17
Marihuana Mythen, Marihuana Fakten

konsumenten von vier Millionen in der Bundesrepublik In jüngerer Zeit wendet sich die Theorie der "Einstiegs-
der geschätzten Zahl von 100.000 Heroinkonsumenten droge" gegen ihre Verfasser: Einige Forscher behaup-
gegenüber, so erkennt man schnell, daß Cannabis nicht ten, daß erst die Prohibition, also das Verbot der Hanf-
zu Heroin führt." Für Amsterdam stellen Peter Cohen pflanze, den Kontakt zu härteren Droge fördere. Die
und Arjan Sas fest, daß 75 Prozent der Kiffer gar keine drogenpolitische und strafrechtliche Einheitsbehand-
anderen Drogen probierten. Und das bei freier Verfüg- lung von Cannabis und anderer, "härterer" Drogen,
barkeit von Hanfprodukten in Holland. führe beim Jugendlichen zu einer gefährlichen Nivellie-
rung zwischen den unterschiedlichen Substanzen. Nach
Und noch ein Beispiel: In Dänemark, einem Land mit dem Motto: "Cannabis ist verboten, aber harmlos, dann
überproportional vielen Kiffern, ist der Anteil der Kon- kann doch Heroin auch nicht so gefährlich sein." Die
sumenten harter Drogen nur durchschnittlich. Argumentation scheint schlüssig: Wenn Cannabis
In den USA stehen die Statistiken von Kokain- und gemeinsam mit anderen Drogen in die Illegalität ge-
Marihuana-User ebenfalls in keinem Zusammenhang. drängt wird, werden diese eben auch räumlich, sozial
Der Kokaingebrauch stieg Anfang der 80er Jahre an - in und psychologisch miteinander verquickt. Die Erfah-
dieser Zeit ging die Zahl der Kiffer zurück. Während der rung zeigt durchaus, daß es bei Dealern verschiedene
letzten Jahre ging die Zahl der Kokser zurück und mehr Drogen zu erstehen gibt. Ein "Umstieg" wird demnach
Leute rauchten wieder Gras. Seit 1974 wurden kiffenden nicht durch Cannabis, sondern durch die strafrechtliche
High-School Schüler befragt, ob sie neben dem Hanf Behandlung hervorgerufen.
noch Kokain nutzen. Seit 1986 nimmt die Zahl dieser
Multi-User stetig ab. Mythos 14
Für die meisten Jugendlichen stellt der Gebrauch von
Gut gelaunt durchstreifen wir das Tal der Erkenntnis,
Cannabis eine (kurze) Episode in ihrem Leben dar. Unter
denn der Blick ist frei. Nur ab und zu ranken sogenannte
Leitung des Soziologen Dieter Kleiber wurde in diesem
Mythen (ein gar "widerporstiches" Gewächs) auf unse-
Jahr eine große Studie veröffentlicht, die im Auftrag des
ren Weg. Wir zerschneiden sie mit einem Messer, wel-
Bundesministerium für Gesundheit die Konsummuster
ches da "Wissenschaft" heißt und heben sie auf, um sie
von jungen Menschen erforschte. Danach haben in den
in unserem Sammelband mit dem Titel "Struktur und
alten Bundesländern ein Viertel der 14- bis 15jährigen
Funktion von Marihuana-Mythen im 20. Jahrhundert"
Erfahrungen mit Hanf. Von diesen stellen 90 Prozent
abzulegen. Am Ende des Tals wartet die erfrischende
den Gebrauch nach einer Probierphase wieder ein. Die
Quelle des Wissens, an der wir uns gütlich laben wer-
Ergebnisse widersprechen, so Kleiber, "der Eskalations-
den, um dann den Weg zurück anzutreten. Hin und her,
these, wonach der Konsum von Cannabis mit zuneh-
hin und her: Ja, Sisyphos muß man sich als glücklichen
mender Dauer quasi substanzinduziert härtere Konsum-
Menschen vorstellen.
formen wahrscheinlich und somit einen Ausstieg un-
wahrscheinlicher macht". Wie sieht es aus: Welchen Nutzen und welche Schäden
kann der Konsument von Cannabis aus den pflanzli-
Seltsam mutet an, daß gerade Haschisch aus dem bun-
chen Wirkstoffen ziehen? Wo liegen Gefahren für Kör-
ten Drogencocktail herausgegriffen wird, den ein junger
per und Geist, wo Chancen für ihre Genesung? Eine
Menschn im Laufe seiner Sozialisation ausgesetzt ist.
Serie im HanfBlatt räumt auf - dieses mal mit der Be-
Alle Untersuchungen belegen, daß Alkohol und Nikotin
hauptung:
immer noch an erster Stelle stehen, bevor jemand Mari-
huana raucht oder Heroin nimmt. Und gänzlich ins
Straucheln gerät die Einstiegsthese, wenn man sie auf "Die Cannabispolitik der Niederlande ist
Kiffer-Kulturen wie in Jamaika oder Costa-Rica anwen-
gescheitert"
den will, denn dort ist die Zahl der Opiatabhängigen
vergleichsweise gering. Ein oft gehörtes Argument, wenn es darum geht, das
voraussehbare Scheitern einer neuen Drogenpolitik in
Inzwischen ist den meisten Autoren klar, daß der Gang
Deutschland zu untermauern. Das kleine Land an der
in die Heroinabhängigkeit natürlich nicht vom Cannabis
Nordsee steht bei konservativen Politikern als Symbol
abhängt, sondern eher durch Faktoren wie Persönlich-
für den Sündenpfuhl Europas. Hier herrsche Anarchie,
keit des Konsumenten, Umgebung und Sozialisation
auf offener Straße würde gekifft, immer mehr junge Leu-
maßgeblich bestimmt wird. Daß der Weg in eine Sucht-
te probieren Cannabis und andere Drogen und damit
karriere viel zu komplex ist, um auf die Schrittmacher-
stiege auch Zahl der Drogentoten stetig. Dieses Kern-
funktion von Haschisch reduziert zu werden, geben
argument der Hanf-Prohibitionisten bedarf einer äußerst
selbst die Verfasser eines Sonderbandes des Bundes-
sorgsamen Überprüfung – halten wir uns also an
kriminalamts zu. Es sind also eher drogenunabhängige
Einflüsse, die eine "Umsteigen" hemmen oder fördern.

18
Marihuana Mythen, Marihuana Fakten

DIE FAKTEN. und ist daher vor allem bei Jugendlichen beliebt. Soweit
die aktuelle Lage.
Einige politische und soziale Hintergründe müssen
zunächst geklärt werden: Wie ist es nun um die Cannabiskonsumenten bestellt?
Hat die de-facto Entkriminalisierung zu einem Anstieg
Seit dem Sommer 1994 regiert in Holland eine Koalition der kiffenden Menschen geführt? Und führte dies zum
aus nicht-konfessionellen Parteien. Die für die Canna- Umstieg auf andere, härtere Drogen? Die holländische
bis -Frage zuständigen Minister (Justiz- und Gesund- Regierung stellte 1989 und 1996 den Erfolg einer seit
heitsministerium) können als links-liberal eingestuft 1976 grundlegend veränderten Drogenpolitik dar. Ihren
werden, sie stehen allzu weitreichenden Eingriffen des Ergebnissen nach ist seit einigen Jahren der Konsum
Staates in die Gesellschaft skeptisch gegenüber. Zudem von Cannabis unter den Jugendlichen konstant. Die
wurde in den letzten Jahren die Inkonsistenz der Coffee- Zahl der Personen in den Niederlanden, die regelmäßig
Shop Politik immer deutlicher (Front-Backdoor- Cannabis nehmen, schätzt das NIAD (Nederlands Insti-
Problem): Während im Gastraum legal Haschisch und tuut voor Alkohol en Drugs) auf 675.000. In den ersten
Marihuana vertrieben werden darf, bleibt die Beschaf- Jahren nach der Änderung des Betäubungsmittelgeset-
fung der größeren Mengen für den Besitzer illegal. Im zes stabilisierte sich das Konsumniveau, nahm aber im
Modell war also ein Problem immanent angelegt, denn Zeitraum 1984-1994 wieder etwas zu. Sowohl trendmäßig
Kontakte zur kriminellen Organisationen konnten nicht als auch der Höhe nach weicht der Konsum in den Nie-
ausbleiben. Das Parlement beschloß aus diesem Grund, derlanden nicht stark von dem in anderen Ländern ab.
den Coffee-Shops einen leichteren Zugang zu den Dro- Um dem Mythos etwas näher zu kommen, vergleichen
gen zu ermöglichen. Zugleich kam es aber zu einschrän- wir doch einmal das Genußverhalten von Holländern,
kenden Maßnahmen, weil es in den letzten Jahren ver- US-Amerikanern und Franzosen.
mehrt zu Beschwerden von Teilen der Bevölkerung
gekommen war. Die Zahl der Kiffer-Läden war stetig Cannabiskonsum unter 12-18jährigen Holländern
gestiegen, 1996 existierten 2000 Stück im Ländle. Oft
Jemals Letzten Monat
wurde diese von Nicht-Holländern geführt, die hervor-
probiert genossen
ragende Kontakte in ihre Heimatländern pflegten. Groß-
1984 4.8% 2.3%
organisationen übernahmen den Handel, Holländische
1988 8.0% 3.1%
Hanf-Produkte wurden im Preis unterboten, kriminelle
1993 13.6% 6.5%
Kräfte hielten Einzug. Kritisiert wurde auch die Existenz
der Shops in der Nähe von Schulen und Jugendeinrich- (Quelle: NIAD)
tungen. Aus diesem Grund beschloß die Regierung, in
Zukunft ein wachsameres Auge auf die Shops zu wer- Cannabiskonsum unter 12-17jährigen US-
fen und die Neueröffnung stärker zu Reglementieren. Amerikanern
Heute dürfen im Einzelverkauf nicht mehr als fünf
Gramm über die Theke gehen, weiterhin ist man aber Jemals pro- Letzten Monat
berechtigt, bis zu 30 Gramm Pot bei sich zu tragen. biert genossen
1985 23.2% 11.2%
Bei der Hälfte des konsumierten Cannabis handelt es 1988 24.7% 6.4%
sich um Haschischsorten aus Asien, dem Nahen Osten 1993 11.7% 4.9%
und Nordafrika, die weitaus geringere Menge kommt
aus Südamerika (hier insbesondere Kolumbien). Marok- (Quelle: NIDA)
ko ist mit knapp 75% der größte Lieferant. Es gibt Hin-
weise darauf, daß ein erheblicher Teil des importierten
Haschischs wieder exportiert wird. Die Betriebsführung
dieser häufig von Niederländern geleiteten Exportorga- Cannabiskonsum unter Franzosen (1992)
nisationen ist sehr professionell und auf Kontinuität Alter Jemals pro-
ausgerichtet. Im Jahre 1994 wurden über 43 Tonnen biert
Haschisch und fast 195 Tonnen Marihuana beschlag- 12-17 Jahre 4%
nahmt. Die Zahl der gefundenen und vernichteten 18-24 Jahre 32%
25-34 Jahre 31%
"Nederwiet-Pflanzen", also des niederländischen Hanfs,
35-101 Jahre 14%
stieg auf 558.000. Der Marktanteil des Nederwiets an in
den Niederlanden konsumierten weichen Drogen, soll
(Quelle: Comité Français d`Education pour la Santé, 719 befrag-
inzwischen 50% betragen. Die in den Niederlanden seit te Personen)
jeher vorhandene Kenntnis von Gartenbau- und Ve r-
edelungstechniken hat zur Erreichung dieses Marktan-
teils beigetragen. Nederwiet gilt als Qualitätsprodukt Die Tabellen zeigen, daß in Ländern mit strenger Auf-

19
Marihuana Mythen, Marihuana Fakten

sicht durchaus Cannabis unter den Jugendlichen gras- später die Wissenschaft drängten diesen Komplex in
siert. In den USA wird trotz einer restriktiven Cannabis- den Bereich des Unbewußten, denn die Welt besitzt
prohibition gekifft was das Zeug hält. Der Konsum wird keine Seele, meint man. An dieser Stelle könnte ein
offenbar in erster Linie durch Moden innerhalb der philosophischer Diskurs ansetzen, aber das würde zu
internationalen Jugendkultur und durch andere Ent- weit führen. Der Ausdruck "Marihuana-Mythen" soll
wicklungen, wie der Zunahme der Langzeitarbeitslosig- indes zeigen, daß trotz eines wissenschaftlichen Män-
keit unter Jugendlichen, beeinflußt. Von der staatlichen telchens wissentlich oder unwissentlich Lügen über
Drogenpolitik und der damit zusammenhängenden Ve r- den Hanf verbreiten wurden und werden.
fügbarkeit von Drogen geht nur ein beschränkter
Einfluß aus. Wie der Bundesdrogenbeauftragte Eduard Gleich die erste Folge nahm sich einen Mythos zur
("Ede") Lintner trotz der Fakten und Zahlen auf die Idee Brust, der in vielen Köpfen herumschwirrt: Die Annah-
kommt zu behaupten, daß niederländische Coffee-Shop me, daß sich der Konsum von Cannabis unter Jugend-
Modell sei insgesamt gescheitert, weiß wohl nur er. Die lichen stetig erhöht hat. Wir mußten zeigen, daß in der
holländische Regierung jedenfalls geht weiterhin davon westlichen Hemisphäre der Gebrauch von Rauschhanf
aus, daß sie einen wertvollen Beitrag zur Trennung der über die Jahrzehnte relativ stabil geblieben ist. Er ist
Märkte zwischen harten und weichen Drogen leisten zwar gewissen Schwankungen unterworfen, diese sind
konnte. Und unter Vertretern einer progressiven Dro- aber eher durch Veränderungen in der Jugendkultur, als
genpolitik wird das holländische Konzept seit Jahren als denn durch eine liberale oder restriktive Drogenpolitik
durchaus auf Deutschland anwendbar gesehen. zu erklären (HB 23/96). Eine der nächsten Folgen wies
nach, daß Hanf durchaus als Medizin genutzt werden
Ein holländischer Experte in Cannabisfragen, Mario Lap, kann, es sogar diverse wissenschaftlich fundierte
möchte einen Schritt weiter gehen: Er schlägt ein staat- Einsatzgebiete gibt (HB 25/96).
liches Lizenzsystem für Cannabisprodukte vor. Die
Vorteile: Der Markt würde vollständig aus dem kriminel- "Marihuana schädigt die Lungen", nannte sich der
len Millieu herausgelöst werden und es würde ein lega- vierte Mythos. Klar, rauchen ist immer Gift für unser
ler Erwerbsbereich mit neuen Arbeitsplätzen entstehen. Atmungsorgan, das steht nunmal fest. Regelmäßige
Zudem würden, so Lap, Polizei und Justiz entlastet, es Kiffer leiden öfter als Nichtraucher an chronischen
könnten Qualitätskontrollen eingeführt und eine zielge- Husten und chronischer Schleimentwicklung. Mischt
richtete Prävention entwickelt werden. frau den Hanf zudem mit Tabak, erhöht sich die Ris iko
einer Krebserkrankung enorm. Die Forschungen auf
dem Gebiet laufen, die Liebhaber des Rauchens sollten
aber gewarnt sein. Ob Cannabis das Immunsystem
insgesamt angreift, bleibt umstritten. Die Ergebnisse der
Mythos 15 frühen Untersuchungen wurden in den achtziger und
neunziger Jahren wiederholt und oft verworfen. Hier
Unsere Serie ist außer Atem, ja, sogar am Ende. Wir darf –wie so oft- kein Kausalzusammenhang gezogen
haben viel gegeben, haben Zahlen und Fakten gesam- werden: Sportliche Menschen mit gesunder Ernährung
melt, Tabellen erstellt, Vergleiche gezogen und das und einen ausgeglichenem Seelenleben dürfte weitaus
Alles, um den weit verbreiteten Unwahrheiten über den weniger schnell krank werden als der faule, fette Fern-
Hanf Einhalt zu gebieten. Vorangetrieben von der Hoff- sehhänger. Die sexuelle Fortpflanzungsfähigkeit von
nung, daß in Zeiten (post)moderner Beliebigkeit die Mann und Frau wird kaum beeinträchtigt: Zwar hat
Suche nach dem wahren Cannabis überhaupt Sinn Marihuana leicht unterdrückende Auswirkungen auf die
macht. Der letzte Teil gibt sich locker, auf intellektuelle Spermaproduktion, diese ist aber reversibel. Die Damen
Weise konfus, faßt noch einmal die wichtigsten Ergeb- der Schöpfung stört der Genuß nicht in ihrer Fruchtbar-
nisse über die Wirkungen des Rauschhanf auf die Kör- keit, wohl aber in das Genießen ihrer Schwangerschaft.
per-Geist-Einheit zusammen und wagt einen Ausblick. Wissenschaftler raten zu einer gewissen Prüderie ge-
genüber Cannabis in den berühmten neun Monaten,
denn die Ergebnisse sind zu widersprüchlich. Was der
"Mythen kommen und gehen: Die Hanf im Hirn anstellt, darüber läßt sich trefflich streiten.
Zusammenfassung" Die Grenze zwischen Psyche und Physis ist gerade hier
schwer zu ziehen, somatische Veränderungen wurden
aber selten nachgewiesen. Berücksichtigt man die neu-
Die Mythe, eine altüberlieferte Erzählung, soll in bild- rochemischen Daten von Tierversuchen, klinischen
haft-anschaulicher Sprache ein vergangenes Ereignis Fallstudien, empirischen Erhebungen, kontrollierten
vergegenwärtigen. Ursprünglich ging es um Geschich- Laborstudien und Feldversuchen kann gesagt werden,
ten aus einer Zeit, in der Götter und Dämonen regierten, daß Beeinträchtigungen des Hirns zwar möglich sind,
kurz, die Welt noch beseelt war. Die Aufklärung und bei einem kontrollierten Umgang aber äußerst unwahr-

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Marihuana Mythen, Marihuana Fakten

scheinlich. Der überwiegende Teil der Erhebungen der persönlichen Hintergrund des Forschers mal ganz ab-
Kiffer und Abstinenzler beäugte, fand keine Unter- gesehen). Dies heißt nun nicht, daß die "Wahrheit" der
schiede in den kognitiven oder intellektuellen Funktio- Beliebigkeit des Forschers weichen muß, sondern nur,
nen. daß alle Ergebnisse nicht im luftleeren Raum stehen,
demnach vor ihrem Hintergrund betrachtet werden
Erich Hesse schrieb 1966: "Die regelmäßige Aufnahme müssen. Auf diese Serie selbst angewandt heißt dies,
des Gifts (Haschisch) führt zur Sucht und auf Dauer zu daß die Forderung nach der Legalisierung aller Hanf-
schweren psychischen Schäden. Daueraufenthalt im produkte Teil ihrer ideologische Basis war. Trotzdem
Irrenhaus ist das Ende." Noch immer hält sich der My- wurde versucht, nicht die Augen vor der möglichen
thos von Cannabis als Suchtdroge. Das HanfBlatt be- Schädlichkeit zu verschließen und sei es nur mit dem
zog in Ausgabe 32/97 Stellung und verwahrte sich ge- paracels ischen Gemeinplatz, daß die Dosis die Giftigkeit
gen die Sündenbockfunktion einer Substanz. Dosierung bestimmt.
der Droge, Anforderungen des Berufs, soziales Umfeld
und die persönliche Struktur des Konsumenten sind Alte Mythen werden aufgelöst, neue Mythen entste-
ausschlaggebend für die Wanderung auf dem Grad hen. Um eine so berauschende Pflanze wie den Hanf
zwischen Gebrauch und Mißbrauch. Ziellosigkeit und werden sich immer Ungereimtheiten ranken. Der Wis-
Lethargie sind allen Kiffern bekannte Phänomene nach senschaft obliegt es, ein solides Fundament für die
einer durchqualmten Nacht, daraus aber ein allgemeines Beurteilung von Cannabis zu schaffen und so damit
"Amotivationssyndrom" stricken zu wollen, ging uns beizutragen, dem einzelnen Hanfliebhaber einen der
entschieden zu weit. Interessant ist, daß die großen Gesundheit nicht abträglichen Genuß zu ermöglichen.
Feldstudien in Costa Rica, Griechenland und Jamaika Die Jugend mißachtet schon lange eine in den meisten
keine Beweise für dieses Syndrom fanden. Vor allem Ländern verfehlte Cannabispolitik. Und erst nachdem
junge Menschen sind dann gefährdet, wenn sich der Schmerzpatienten vermehrt zu Cannabis griffen, um
Hauptaugenmerk ihres Lebens einer Droge zuwendet. Linderung zu erfahren, forschte die Wissenschaft nach
Zur Theorie der "Einstiegsdroge" habe wir in Ausgabe den Ursachen für die lange ignorierten Wirkungen der
36/97 einige Worte verloren, einer Theorie, die in der Heilpflanze. Die beiden Beispiele zeigen: Die Forschung
Riege der internationalen Wissenschaftler (so wie der wird auch in Zukunft durch die Erfahrungen des Kon-
Flash-Back) keine ernst zu nehmende Unterstützung sumenten einerseits relativiert, andererseits aber auch
mehr findet. Es steht fest: Es sind eher drogenunabhän- genährt. Das HanfBlatt wird den Fortgang weiterhin
gige Einflüsse, die eine "Umsteigen" hemmen oder teilnehmend beobachten.
fördern. Von den Niederlanden kann die deutsche Re-
publik in jedem Falle lernen, dort ist eine Trennung der
Märkte in "weiche" und "harte" Drogen weitgehend
gelungen und mehr Menschen kiffen im Nachbarland -
trotz einer quasi-Legalisierung- auch nicht.

So, daß war´s. Aber weit gefehlt, denn noch immer


forscht die Wissenschaft auf der ganzen Welt nach dem
wahren Wesen der Cannabis -Pflanze und ihrer Wirk-
stoffe. Cannabis verspricht in der Zukunft Linderung
für AIDS- und Krebskranke zu bringen, aber auch als
Seelenbalsam ohne ärztliche Verschreibung nimmt es
immer mehr seinen Platz in einer gestreßten Gesellschaft
ein. Schnelllebigkeit und Informations-Overdrive zeich-
nen die gegenwärtige Epoche aus, der Genuß von Hanf
dürfte als beliebte Zeitbremse seinen Platz bei jungen
wie alten Menschen behalten beziehungsweise neu
finden. Angesichts der neuen Ergebnisse rund um die
Wirkung von Cannabis, stellt sich die Frage, was zuerst
da war: Die wissenschaftlich fundierte Erkenntnis, daß
der mäßige Konsum annähernd frei von Schäden ist,
oder eine sozial, kulturell und politisch veränderte
Stimmung gegenüber dem Hanf. Denn eines haben die
fünfzehn Folgen der "Marihuana-Mythen" gezeigt:
Voraussetzung für Wissenschaft ist eine Idee, wie ein
Zusammenhang aussehen könnte. Und diese Idee prägt
das Design jeder Forschung maßgeblich vor (von dem

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