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Die dritte Generation des frühesten Christentums

Einführung in die Probleme und Literatur der dritten christlichen Generation

1. Einführung in die Probleme der dritten Generation des


Urchristentums

1.1. Quellen
1.2. Leitende Personen
1.3. Orte und Landschaften
1.4. Gemeinden

Literatur
Art. Christenverfolgungen, I. Urchristentum und Alte Kirche, RGG 4. Auflage, 1999,
246-248 (P. Barcelo)
W. Bauer, Rechtgläubigkeit und Ketzerei im ältesten Christentum, 2. Auflage 1964

J. Becker u.a., Die Anfänge des Christentums 1987

J. Becker, Das Urchristentum als gegliederte Epoche, SBS 155, 1993

H. Conzelmann, Geschichte des Urchristentums NTD Ergänzungsreihe 5,

3. Auflage 1976

H. Conzelmann/A. Lindemann, Arbeitsbuch zum NT, UTB 52, 13. Auflage 2000,

511-580

A. Harnack, Die Mission und die Ausbreitung des Christentums in den ersten drei

Jahrhunderten, 2 Bd., 3. Auflage 1924

R. Heiligenthal/F. Vouga, Urchristentum, ZNT 3, 2000, 40-53

E.W. und W. Stegemann, Urchristliche Sozialgeschichte, 1995

F. Vouga, Geschichte des frühen Christentums, UTB 1733, 1994


2

1.1. Quellen

Vorbemerkung

Während für die erste Generation des Urchristentums in den Paulusbriefen authentische

Zeugen vorliegen, die datiert und lokalisiert werden können, fehlen solche Quellen für

die zweite und dritte Generation. Vor allem sind die Datierungen und Ortszuweisungen,

aber auch die Verfasserschaften großenteils nicht zu klären. Trotzdem soll der Versuch

gemacht werden, ein Bild der dritten Generation zu entwerfen, das aber eine

Rekonstruktion bleibt und nur einige Punkte beleuchten kann. Vieles bleibt unbekannt.

Wenn man über die sogenannte dritte Generation des Urchristentums sprechen will, muß

man mit der Frage nach den Quellen beginnen. Was weiß man über diese Zeitspanne?

Die Quellen sind:

(a) Literarische Quellen der dritten Generation (deren Datierung im einzelnen aber

ungewiß ist)

- lukanisches Geschichtswerk

- Matthäusevangelium

- Johannesevangelium

- Tritopaulinen

- Katholische Briefe

- Apostolische Väter1.

(b) Die Kirchengeschichte Eusebs2 von Caesarea. Die ersten drei Bücher dieses

grundlegenden Werkes beschreiben die apostolische Zeit.

1
Zweisprachige Ausgabe: Die Apostolischen Väter (Hrsg. v. A. Lindemann und H. Paulsen),
1992.
3

Die kritische Würdigung dieser Quellen ergibt folgendes Bild: Die literarischen Quellen

sind indirekte Zeitzeugen und nicht historische Quellen im Sinne der

Geschichtsschreibung. Das lukanische Geschichtswerk berichtet über die Zeit von ca. 0,

d.h. von der Zeitenwende, bis zur Ankunft des Paulus in Rom Anfang der sechziger Jahre

– also über einen Zeitraum von 60 Jahren, die Lebenszeit Jesu und die erste christliche

Generation. Der Verfasser ist ein unbekannter Christ der 3. Generation, der in der

altkirchlichen Überlieferung mit dem Arzt Lukas identifiziert wurde, der in Kol 4,14 als

Arzt Lukas begegnet. Auch der Mitarbeiter des Paulus mit Namen Lukas aus Phlm 24

und der gleichnamige Mitarbeiter aus 2 Tim 4,11 werden mit dem Arzt Lukas

identifiziert. So erhält die altkirchliche Tradition eine breite Bezeugung für den „Arzt

Lukas“ als Mitarbeiter des Paulus und als Verfasser des Lukasevangeliums und der

Apostelgeschichte. Wer auch immer der Verfasser des lukanischen Doppelwerkes war, er

kannte nicht nur das Markusevangelium, die Quelle Q, und umfangreiche

Sonderüberlieferungen über Jesus, sondern auch Leben und Wirken des Paulus genau.

Aber seiner Darstellung unterlaufen trotzdem wesentliche historische Ungenauigkeiten,

die als Rückprojektionen aus seiner Zeit in die Zeit der ersten und zweiten Generation zu

lesen sind. Bestes Beispiel ist die historische Erzählung aus Ephesus in Apg 19,23-40.

Die ephesischen Silberschmiede protestieren gegen die Paulusmission, weil sich die

Heiden von der Artemisverehrung ab- und der Christusverehrung in solchem Maße

zuwenden, daß die Schmiede ihre wirtschaftliche Existenz bedroht sehen. Eine solche

2
Deutsche Ausgabe: Eusebius von Caesarea, Kirchengeschichte, 1997 WBG Darmstadt (wichtig
bes. Bücher 1-3) [Euseb von Caesarea, vor 265-339/40, Bischof in Caesarea in Palästina, hist.
eccl. die erste Kirchengeschichte bis Konstantin, Ausgabe in GCS = Griechische christliche
Schriftsteller].
4

Vorstellung ist aber erst für die Zeit der Jahrhundertwende realistisch. So können den

Schriften der dritten Generation wesentliche Informationen über das zeitgenössische

Christentum entnommen werden.

Auch in den Pastoralbriefen lassen sich Hinweise auf die Gemeinden ihrer Zeit finden.

Sowohl ihre Polemik als auch ihre Normgebung sind ein Spiegel der zeitgenössischen

Gemeinden. Auch die sieben Sendschreiben der Johoffenbarung sind ein

(hochpolemischer) Spiegel dieser Gemeinden.

Die historische Quelle ist Eusebs Kirchengeschichte, deren drei erste Bücher
unverzichtbare Dokumente der nachapostolischen Zeit enthalten: Traditionen von Papias
von Hierapolis, Polykarp von Smyrna und Melito von Sardes u.a. Diese Traditionen
betreffen in besonderer Weise die Apostel und die Autorenschaft der Evangelien und
damit die Authentizität des Zeugnisses von Jesus, aber auch die Geschichte der
Ausbreitung des Christentums und die Begründung lokaler christlicher Traditionen in
großen Städten und Regionen. Die Datierungen von Euseb sind oft sehr früh und werden
in der kritischen Geschichtsforschung der Alten Kirchengeschichte diskutiert.

Die genannten indirekten und direkten Quellen ermöglichen Aussagen über die
christlichen Gemeinden, ihre Gründer und Leiter, ihre Ausbreitung sowie über die
geographischen Aspekte.

1.2. Leitende Personen

Für den Aufbau und Ausbau der christlichen Gemeinden waren zunächst Gemeindeleiter
zuständig. Leitende Personen der ersten Generation waren:

- Petrus und die sog. 12 (darunter: Jakobus der Zebedaide und Johannes der Zebedaide)
→ Petrusbriefe, Judasbrief, Johannesevangelium, Johannesbriefe

- die „Säulen“ (Petrus, Jakobus der Herrenbruder und Johannes der Zebedaide)
5

→ Jakobusbrief

- die „Sieben“ (darunter: Stephanus und Philippus)

- Pauluskreis der 1. und 2. Generation:


- Barnabas → Barnabasbrief
- PAULUS (allein von ihm sind authentische Briefe überliefert)
- Apollos
- Silvanus/Silas (1. Thess 1,1)
- Titus (Gal 2,3) → Titusbrief
- Timotheus (1 Kor 4,17) → 1./2. Tim
- Priska und Aquila
- zahlreiche weitere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter (bes. Röm 16).

Die Mehrzahl dieser Männer wirkte in den pseudepigraphischen Schriften der zweiten
und dritten Christengeneration weiter. Priska und anderen Mitarbeiterinnen des Paulus
(z.B. die Apostolin Junia Röm 16,7; die Diakonin Phöbe aus Kenchreä Röm 16,1) zeigen,
daß auch Frauen der 1. Generation mitwirkten. Ihnen wurden aber keine
pseudepigraphischen Schriften zugeordnet.

Die großen Gestalten der Gründungszeit wurden nach 60 n. Chr. hingerichtet: Petrus und
Paulus wohl in Rom während der Verfolgungen unter Nero im Jahr 64, Jakobus der
Herrenbruder schon im Jahr 62 (durch den Hohenpriester Hannas II). Bereits im Jahr 43
war Jakobus der Zebedaide hingerichtet worden (Apg 12,2: durch Herodes Agrippa).

Eine große Gestalt aus der Anfangszeit hat unter Umständen mindestens die zweite,
vielleicht aber auch die dritte urchristliche Generation miterlebt und hier gewirkt:
Johannes der Zebedaide, der Bruder des früh hingerichteten Jakobus. Dieser Apostel
Johannes ist nun auch als der Evangelist Johannes bekannt. Diese Identifikation ist aber
ein Produkt der altkirchlichen Traditionsbildung. Sie wollte, daß wie schon die Briefe die
Evangelien möglichst mit Aposteln in Verbindung gebracht würden, um die apostolische
6

Überlieferung zu garantieren. Wieweit diese Identifikation historisch ist, ist umstritten


und läßt sich nicht zufriedenstellend aufhellen. Das Johannesevangelium selbst nimmt
diese Identifizierung nicht vor. Denn der sogenannte Lieblingsjünger (Joh 13,23; 20,1ff;
21,20-24) wird nirgends Johannes genannt. Johannes der Zebedaide wird nur im
Nachtragskapitel Joh 21,2 miterwähnt. Allerdings spricht das Wort Jesu in Mk 10,39, das
beiden Zebedaiden den Märtyrertod voraussagt, für ein Martyrium auch des Johannes.
Dieses ist in der Apostelgeschichte aber nicht überliefert. Die Frage muß offen bleiben3.
Auch wenn der Zebedaide bis zum Ende des Jahrhunderts gelebt haben sollte, ist er nicht
als Verfasser des Johannesevangeliums anzunehmen. Diese Zuschreibung scheint
vielmehr eine Konstruktion des 2. Jhd. (Papias, Polykarp, Irenäus) zu sein.

Aus der zweiten und dritten Generation sind kaum einzelne Christinnen und Christen
bekannt. Wie lange die großen Mitarbeiter des Paulus: Timotheus, Titus und Silvanus
gewirkt haben, wissen wir nicht. Ihre Bedeutung belegen die Tritopaulinen, die aber den
Tod dieser Missionare in der 2. Generation voraussetzen. Aus der 3. Generation ist nur
eine Person und diese auch nur literarisch im Sinne der Autorenschaft bekannt: der
Verfasser der Offenbarung des Johannes, der sich selbst seinen Adressaten als „euer
Bruder und Mitgenosse an der Bedrängnis und am Reich und an der Geduld in Jesus“
vorstellt. Er nennt sich selbst Johannes und schreibt zur Zeit Domitians (ca. 96 n. Chr.)
an die bekannten kleinasiatischen Gemeinden, wohl von der Insel Patmos aus, einer
kleinen Kykladeninsel vor Milet (Off 1,9). Johannes versteht sich als Prophet, ist aber
mit seinen Briefen zugleich regionaler Gemeindeleiter.

Wer schließlich der „Älteste“ ist, der 2. und 3. Johannesbrief verfaßt hat, ist ungewiß.
Jedenfalls handelt es sich um einen Gemeindeleiter der 3. Generation aus dem
johanneischen Kreis. Personal gesehen ist die nachapostolische Zeit eine Zwischenzeit:
Die großen Gestalten der Anfangszeit sind nicht mehr da. Und die großen Theologen des
2. Jhd. von Markion über Justin bis zu Irenäus und Origenes sind noch nicht geboren. Die
Zeit versteht sich als nachapostolische Zeit, nicht als Zeit der Neuerung, sondern der

3
Vgl. W.G. Kümmel, Einleitung in das Neue Testament, 21. Auflage 1989, 209f.
7

Tradition. Und sie ist zugleich, wie schon erwähnt, sehr produktiv, nämlich die Zeit, in
der die Mehrzahl der ntl. Schriften entstand: eine literarische Zeit.

1.3. Orte und Landschaften


Zudem ist es die Zeit eines starken Wachstums des Christentums. Das Urchristentum
entstand in Jerusalem und fand seine Ausbreitung in Jerusalem, in Judäa und Galiläa.
Schon bald erreichten die christlichen Gemeinden die großen syrischen Städte Damaskus
und Antiochia am Orontes.

Paulus verfolgte Christen in Damaskus am Anfang der 40er Jahre, missionierte in der
Arabia und schloß sich dann der bedeutenden Gemeinde in Antiochia an (ca. 35 n.Chr.)
und missionierte von dort aus auf Zypern und in Südkleinasien, seiner Heimat. Im
Verlauf seiner ca. 30 Jahre langen Missionstätigkeit gründete er Gemeinden in Kleinasien
und Griechenland. Wesentliche Gemeindezentren wurden Ephesus (Provinz Asia) und
Korinth. Er selbst schildert seine Missionstätigkeit als von „Jerusalem bis Illyrien“
reichend (Röm 15,19). Gleichzeitig mit seiner Mission entstehen zahlreiche andere
Gemeinden, so die wichtige Gemeinde in Rom. Er selbst will das Imperium Romanum
bis nach Spanien missionieren, wird aber in Rom hingerichtet. D.h. in der ersten
urchristlichen Generation breitet sich das Christentum in wesentlichen Teilen des
östlichen Imperium Romanum aus und dringt schon sehr früh bis nach Rom vor. Diese
Ausbreitung ist großenteils auf die planmäßige Mission des Paulus zurückzuführen,
jedenfalls was den Bereich Kleinasiens und Griechenland angeht. Er ist es auch, der das
große urchristliche imperiale Missionskonzept entwirft. Seine Mission führt von
Jerusalem, dem Ausgangspunkt des Christentums, über Rom, das Reichszentrum, bis in
den äußersten Westen, nach Spanien. Er missioniert in den Städten, besonders in den
Provinzhauptstädten Ephesus, Thessaloniki und Korinth, schließlich lehrt er in Rom.

Die zweite Generation festigt Positionen und weitet sie aus. Mk 3,7f hat Galiläa-Judäa-
Jerusalem, aber auch Idumäa und das Transjordanland sowie die Küstenstädte Tyrus und
Sidon im Blick, eine nachträgliche Ausweitung des ursprünglichen Wirkungskreises Jesu.
8

Die bleibende Bedeutung von Ephesus belegt der Epheserbrief. Der Kolosserbrief bringt
eine weitere westkleinasiatische Gemeinde ins Spiel.

Für die dritte Generation haben wir weitere Hinweise4:


- Caeserea am Meer (Apg 21) gewinnt an Bedeutung.
- Zu Zypern tritt Kreta (Titus 1,5), vielleicht auch Malta (Apg 28) und Patmos (?).
- Die kleinasiatischen Städte treten noch stärker hervor:
> Ephesus (Apg 19; Johoff 2; Ignatiusbriefe)
> Smyrna (Johoff 2; Ignatiusbriefe; Polykarp)
> Troas (Apg 20)
> Milet (Apg 20)
> Pergamon (Apk 2)
> Thyatira (Apk 2)
> Sardes (Apk 3)
> Philadelphia in Lydien (Apk 3; Ignatiusbriefe)
> Laodizea (Apk 3, Kol 4,16 Hinweis; Markion)
> Magnesia am Mäander
> Tralles am Mäander.

Besondere Bedeutung haben Rom (1. Klemensbrief und Ignatiusbriefe, Schlußkapitel der
Apg) sowie Antiochia am Orontes (Sitz des Ignatius). Auch Korinth (1. Klemensbrief)
und Thessaloniki treten in der Literatur der dritten Generation weiter hervor (2 Thess und
2 Tim 4,10). Dalmatien wird in 2 Tim 4,10 erwähnt, dazu Galatien. Hier wird überall an
die paulinische Missionstätigkeit angeknüpft. Dasselbe gilt für Nikopolis in Westepirus
(Tit 3,12).

Hilfreich ist die Frage: wo war das Christentum nicht am Ende des 1. Jhd.? Und wo war
es besonders zahlreich vertreten? Nicht erwähnt sind Ägypten und Nordafrika (spätere
altkirchliche Hochburgen), Gallien und Spanien, und das trotz der Pläne des Paulus. Die

4
Vgl. Harnack, Mission, Bd. 2, 72-75 (Ortskatalog).
9

unterschiedlichen literarischen Corpora haben unterschiedliche geographisch politische


Schwerpunkte: Spanien, Kleinasien, besonders Westkleinasien, Griechenland, Rom.

Ein Missionskonzept der dritten Generation findet sich bei Matthäus: „Gehet nun und
macht zu Jüngern alle Völker: Tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und
des heiligen Geistes und lehret sie halten alles, was ich euch befohlen habe“ (Mt 28,19f ).
Die Sicht des unbekannten Verfassers des Mathäusevangeliums ist universal. Die
christliche Identität wird durch Taufe und „Halten“ der Herrenworte hergestellt. Das
lukanische Doppelwerk läßt Jesus den entsprechenden sogenannten Missionsbefehl vor
seiner Himmelfahrt geben: „Ihr werdet die Kraft des heiligen Geistes empfangen und
werdet meine Zeugen sein in Jerusalem, in ganz Judäa und in Samaria und bis an das
Ende der Erde“ (Apg 1,8). Auch diese Konzeption ist universal, aber geographisch
strukturiert. Die Apostelgeschichte berichtet dann episodenartig diese Zeugenschaft bis
zum Eintreffen des Paulus in Rom. Wie die Mission weiterging, können wir nur indirekt
erschließen. Folgende Punkte sind zu nennen:
- keine planmäßige Mission, sondern Wachstum
- Stadtmission (das „Land“ wird erst später christianisiert)
- christliche Propaganda am Ort durch christliche oi*kov-Mitglieder
- Vorbildcharakter der Gemeinden
- christliche Mission durch Reisen und durch Wandermissionare
- literarische Mission durch „christliche Literatur“.

1.4. Gemeinden
Die christlichen Gemeinden der dritten Generation sind Stadtgemeinden. Sie
differenzieren sich in wohlhabende Mitglieder und „Arme“, in Freie und Sklaven, in
Männer und in Frauen. Diese Differenzierungen führen zu Spannungen, und Regeln für
ein christliches Zusammenleben werden notwendig. So entstehen die sogenannten
Haustafeln. Grundlage ist der christlich werdende oi*kov mit seinen christlichen Pflichten
und Rollen. Daneben tritt die Ämtergliederung der christlichen Gemeinde, die als sozialer
Körper verstanden wird. Haus und Gemeinde werden patriarchal und hierarchisch
10

verwaltet. Daneben aber steht das Liebesgebot, das einen starken Ausgleich schafft. Der
Fachterminus für diese Kombination heißt „Liebespatriarchalismus“.

Die Rolle der Frau wird begrenzt auf die christliche Hausfrau und Ehefrau, besonders auf
die christliche Mutter. Gebildete, alleinstehende, religiöse Frauen werden als gefährlich
angesehen (1. Tim 2,13 u. 14; 1. Tim 5,15; 2. Tim 3,7). Die Sklaven werden in die
Gemeinde aufgenommen, sollen aber gerade als Christen Sklaven bleiben. Die Reichen
werden energisch zum Almosengeben und zur sozialen Hilfe in der Gemeinde
aufgerufen. Die christlichen Gemeinden sollen inmitten der politisch-sozialen Welt ihrer
Zeit ruhig und vorbildlich leben. Konflikte mit dem Staat sieht vor allem die
Johannesoffenbarung.

Die christlichen Gemeinden verstehen sich als „Gegenwelt“ gegen „diese Welt“
(ko/smov ou"tov oder ai)w\n ou"tov). In den Gemeinden gilt die neue Ordnung Gottes, die
stets auf der Realisierung des Liebesgebots beruht – so besonders deutlich in den drei
Briefen der johanneischen Schule (1. Joh 2,7-11 u.ö.; 2. Joh 5f).

In sozialer Hinsicht handelt es sich um semi-autarke Binnen-Sozialkörper mit sorgfältig


strukturierter Selbstverwaltung und einem reichen Ethos. Die Beziehungen zur
Außenwelt des Imperiums werden sorgfältig gepflegt. Leitfaden ist die Loyalität
gegenüber dem Staatswesen. Grund ist nicht etwa Staatsverehrung und das Bestreben, im
Staat mitzuarbeiten, sondern die christlichen Gemeinden wollen einerseits ihr eigenes
internes Leben ungehindert führen und andererseits Vorbildcharakter haben und auch
durch ihr Dasein attraktiv wirken und missionieren.

Organisatorisch stellen die christlichen Gemeinden religiöse Vereine dar und gliedern
sich so in das reiche religiöse Vereinswesen der griechisch-römischen Welt ein. Sie
haben aber nicht den Status einer „religio licita“ der Juden.

Texte der Briefliteratur zum Thema „christliche Gemeinden“ sind:


11

- Männer: 1. Tim 3,8; 1. Petr 3,7; Tit 2,1 f; Tit 2,6-7a

- Frauen: 1. Kor 14,33b-35; 1. Tim 2,9-15; Tit 2,3-5; 1. Petr 3,1-6.7 (Frauen als

„schwächere Gefäße“)

- Sklaven: 1. Tim 6,1-2; 1. Petr 2,18-20; Tit 2,9f

- Reiche: 1. Tim 6,6-10.17-19

- Verhältnis zum Imperium Romanum: 1. Tim 2,1-4; 1. Petr 2,13-17; Titus 3,1-3

- Verhältnis zur Arbeit: 1. Thess 4,11f; 2. Thess 3,6-13; 1. Tim 5,13 (Frauen)

- Lebensführung: 1. Tim 2,1-4 (s.o.); 1. Petr 2,11-12; 1. Petr 4,4.

Texte zur Gemeindeleitung und einzelnen Gemeindeleitungsfunktionen sind:

- Bischof (1. Tim 3,1-7; Tit 1,7-9)

- Diakon (1. Tim 3,8-13 )

- Witwen (1. Tim 5,3-8.9-15)

- Älteste (1. Tim 5,17-22; Tit 1,5f; 1 Petr 5,1-3; 2. Joh 1; 3. Joh 1).
12

2. Spezielle Aspekte der dritten Generation des Urchristentums

Gliederung:
2.1. Verfolgungen
2.2. Christliche Gemeinden und Juden
2.3. Christliche Gemeinden und Spaltungsprozesse
2.4. Christliche Theologie

2.1. Verfolgungen

Wichtige Texte der Briefliteratur zu Verfolgungen sind:

- Hebr 11,32-40; 12,4f; 13,3 (Gefangene!)

- 1. Petr 4,12-19

- Johoff 1,9; 2,10.13 (Märtyrer Antipas); 6,9-11.

Ebenso wichtig sind Texte aus der Apostelgeschichte (Protomärtyrer Stephanus Apg 7)
und Weissagungen in den Evangelien über das spätere Leiden der Apostel (z.B. Joh
21,18f über das Martyrium des Petrus). In den Schriften der „Apostolischen Väter“ stellt
das Martyrium des Polykarp von Smyrna den ältesten Märtyrerbericht dar (vgl. auch
Ignatius von Antiochien).

Die christlichen Gemeinden werden schon in der ersten Generation verfolgt: unter Nero
in Rom (64 n. Chr.), der ausdrücklich Christen, nicht Juden, verfolgt und grausam
hinrichten läßt, ohne allerdings die römische Gemeinde entscheidend zu schwächen.
Später unter Domitian (96 n. Chr.). Der Briefwechsel zwischen Plinius d. J. und Trajan
gibt Einblick in die Christenverfolgung am Anfang des 2. Jhd. in Westkleinasien. Das
Imperium Romanum war grundsätzlich multireligiös und tolerant, andererseits stets
skeptisch und wachsam gegenüber „Juden“ und anderen östlichen Religionen.
Verfolgungen waren punktuell, nichtstaatlich und unsystematisch und hatten den
13

Charakter von kurzen Pogromen gegen ungewohnte Gruppen. Die Christenverfolgung


unter Plinius zeigt allerdings, daß im 2. Jh. schon der „Name“ „Christ“ Anlaß für
Verfolgung war. Christen galten hier als grundsätzlich staatsfeindlich. Durch ein
Kaiseropfer konnten sie diesen Verdacht beseitigen. Die ntl. Schriften (außer der
Johannesoffenbarung) versuchen eine Strategie der deutlichen Loyalität dagegenzusetzen
(siehe obige Texte). Nur die Johannesoffenbarung sieht in Domitian eine gegengöttliche
Macht.

2.2. Christliche Gemeinden und Juden

Ein wichtiger Punkt für die Entstehung und das Wachstum der christlichen Gemeinden in
der dritten Generation ist ihr Verhältnis zum Judentum. Die entscheidenden
Auseinandersetzungen finden in der kleinasiatischen und griechisch-römischen Diaspora
statt. Neben die großen etablierten Synagogengemeinden der griechisch-römischen Städte
traten schnell wachsende (noch als Hausgemeinden organisierte) christliche Gemeinden.
Sie nahmen den jüdischen Gemeinden ihren Kreis heidnischer Sympathisanten (vor allem
Frauen) zu einem gewissen Teil weg. Außerdem bilden sich unklare Gruppierungen
zwischen Synagoge und Ekklesia, so jene „Synagoge des Satans“, „die sagen, sie seien
Juden, und sind`s nicht, sondern lügen“ (Apk 3,9). Die christl. Gemeinden warnen vor
Rückfall ins oder Übertritt zum Judentum. Die Juden wehren sich gegen die Attraktion
der christl. Gemeinden. Es kommt zu Denunziationen von Christen durch Juden vor den
heidnischen Behörden. Im übrigen konsolidieren sich die christlichen Gemeinden und
stärken ihre Identität trotz Vielfalt im Innern.

Die Auseinandersetzung mit „den Juden“ wird nicht in den späten Briefen des NT geführt
(I)oudai=ov nur in Johoff 2,9 und 3,9), sondern in den Evangelien (besonders Joh) und in
der Apostelgeschichte, also rückblickend. In der dritten Generation konsolidieren sich die
Gemeinden nach innen und sind offensichtlich weniger in Auseinandersetzung mit den
Juden. Eine Ausnahme stellen die Sendschreiben der Johoff dar. Erst Justin (ca. 150 n.
Chr.) greift in seinem Dialog mit dem Juden Trypho dieses Thema wieder auf.
14

Texte zur Auseinandersetzung der Gemeinden mit den Juden:


Titus 1,10ff
Sendschreiben der Johoff
Johev und Mtev.

2.3. Christliche Gemeinden und Spaltungsprozesse

Ganz anders steht es mit den „Irrlehrern“. Diese stellen das eigentliche Streit-Thema der
Literatur der dritten Generation dar. Der 1. Timotheusbrief warnt vor eigener
Schriftauslegung, vor Lügenrednern (yseudolo/goi), die Askese fordern (Heiratsverzicht
und Speiseregeln), weiterhin vor falschen Lehrern, die neue Lehren vortragen, Zank
betreiben (diaparatribai/) und Frömmigkeit kommerzialisieren.
Ähnlich mahnt der 2. Timotheusbrief, wird aber konkreter. Hymenäus und Philetus
sagen, „die Auferstehung sei schon geschehen“ (2. Tim 2,18). Die Irrlehrer fangen vor
allem Frauen ein (2. Tim 3,6ff.). Der Titusbrief warnt vor jüdischen Speisevorschriften.

Der 2. Petrusbrief sagt Gericht über die Irrlehrer an (yseudoprofh=tai und


yseudodida/skaloi 2. Petr 2,1). Er wirft ihnen Habsucht und unlautere Motive aller
Art vor (2,12ff). Der Passus 2. Petr 2,12-22 ist eine maßlose Schimpfrede auf Irrlehrer,
die als Libertinisten karikiert werden (2,19). Der 2. Petrusbrief kennt noch andere
Irrlehrer, die die Wiederkunft Jesu in Frage stellen (3,4).

Die Johannesbriefe kämpfen gegen eine falsche Christologie. Es hat darüber eine
Gemeindespaltung stattgefunden. Die Gegner sagen: „Jesus ist nicht der Christus“ (1. Joh
2,22) und „Jesus ist nicht ins Fleisch gekommen“ (2. Joh 7). Der Verfasser des 1.
Johannesbriefes versteht die Gemeindespaltung als Beginn der Endzeit und verbindet die
Irrlehrer mit der Gestalt des Antichrist (1. Joh 2,18ff).

Die Briefe der Johannesoffenbarung vermitteln ein lebendiges Bild der Zustände der
einzelnen kleinasiatischen Gemeinden am Jahrhundertende.
15

Der Prophet sieht in den Gemeinden:

- Lügenapostel (Johoff 2,2)


- Die Sekte der Nikolaiten (Johoff 2,6)
- Pseudojuden (Johoff 2,9)
- Leute die gegen das Aposteldekret leben (Johoff 2,14 u.a.)
- die Sekte der sog. Isebel, einer als Libertinistin beschriebenen Prophetin (Johoff 2,20ff).

Die Irrlehrer sind unterschiedlicher Prägung. Hochpolemisch bis bösartig ist der Ton der
erhaltenen Literatur, die sich als rechtgläubig versteht. Die Auseinandersetzungen
müssen heftig gewesen sein. Die Vielfalt der christlichen Strömungen des 2.Jh. zeigt sich
schon ansatzweise:
- neue Toraobservanz
- präsentische Eschatologie
- Libertinismus
- Doketismus
- Askese
- eigene Frauenlehre
- Bestreitung wichtiger Glaubenssätze zu Christus und den Endereignissen.

Texte zu Spaltungen und Irrlehrern:


- 1. Tim 4; 6, 3-5
- 2. Tim 2,14ff
- Tit 1
- Johoff 2 und 3
- 1 Joh 2,18ff

2.4. Christliche Theologie

Folgende Themen sind wichtig:


- Verfolgungen und Leiden (besonders 2. Thess 1; 2. Tim 2; 1. Petr 3f; Johoff
16

durchgehend)
- Futurische Eschatologie (besonders 2. Thess 2; 1. Petr 4; Johoff durchgehend)
- Spaltungen und Irrlehrer (besonders 1. Tim 4; 2. Tim 2; Tit 1)
- Leben gegen die Welt (besonders 1. Petr; 1. Joh 2,15 ff)
- Apostelvorbild und Aposteltradition (besonders 2. Tim 4; 2. Petr 1; 2. Petr 3,1ff)
- die Schrift (besonders 2. Tim 3,14ff).

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