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Sozialisierung durch Sin-

gen I
Das hessische Primacan-
ta-Programm
Referent: Thomas Rietschel, Präsi-
dent der Hochschule für Musik und
Darstellende Kunst in Frankfurt am
Main

Primacanta „Primacanta – Jedem Kind


seine Stimme“ ist eine Koooperation der Das Programm ist langfristig und nach-
HfMDK Frankfurt und der Crespo Foun- haltig gedacht. Mit einem vorläufigen
dation, die Schirmherrschaft haben die a Projektzeitraum von 2008 bis 2012 und
cappella Gruppe Wise Guys sowie Frank- Projektgeldern von einer Million Euro
furts Oberbürgermeisterin Petra Roth. richtet es sich nach derzeitigem Stand an
ungefähr 120 Lehrer und Lehrerinnen
Anliegen des Programms ist es, das Sin- von zunächst dritten und vierten Klassen
gen als zentralen Ausgangspunkt für eine in 52 von 56 Frankfurter Grundschulen.
musikalische Bildung zu nehmen. Die Eine professionelle Evaluation ist in Ar-
Hochschulen sollten sich für musikalische beit. Erwartet werden Ergebnisse, die
Bildung stark machen, so Thomas Riet- zeigen, wie sich etwa die soziale Interak-
schel, da diese gewissermaßen der Ast tion innerhalb der beteiligten Klassen
ist, auf dem sie sitzen. verbessert hat.

Musikland Niedersachsen – Jahreskonferenz 2010 – „Singen“ – Protokoll „Sozialisierung durch Singen“ – S.1/3
Ziele von Primacanta sind zum einen der Gesungen wird Liedgut aus verschiede-
Versuch einer nachhaltigen Veränderung nen Kulturkreisen, wobei anzumerken
wie auch die Ermöglichung von Erfah- ist, dass die Stadt Frankfurt einen Anteil
rungen, die über Wissensvermittlung hi- von 60% an Schülern mit Migrationshin-
nausgeht. tergrund hat.

Das Programm setzt auf das Prinzip des In Form von öffentlichen Auftritten wäh-
aufbauenden Musikunterrichts, welches rend des Projektzeitraums sowie einem
ein didaktisches Stufenmodell zur nach- Abschluss beim Deutschen Chorfest in
haltigen Entwicklung der musikalischen Frankfurt 2012 präsentieren die beteilig-
Kompetenz der Kinder ist. ten Klassen, was sie gelernt haben.

In der Praxis beinhaltet Primacanta eine Um Nachhaltigkeit zu schaffen, sprach


zweijährige Fortbildungs- und Bera- Thomas Rietschel von der Notwendigkeit,
tungsphase für LehrerInnen während der die Lehrer zu qualifizieren und nicht in
Unterrichtszeit durch Coaches, qualifi- Form eines Events Schülern kurzfristig
zierte Schulmusiker und Hochschullehrer das Singen beizubringen.
sowie teilweise durch gut qualifizierte
Grundschulmusiklehrer. Für Schulen oh- Bisher gab es viele positive Rückmeldun-
ne Fachlehrer gibt es die „Tandem“- gen und Bewertungen des Programms.
Lösung, eine Kooperation mit Musikschu- Nachhaltigkeit zeigte sich auch darin,
len. (Ein Hinweis auf die Situation in dass sich als Folge des Programms
Hessen erklärt, dass dort wenig ausge- Stadtteilchöre in Frankfurt gebildet ha-
bildete Grundschulmusiklehrer unterrich- ben.
ten, oft werde das Fach fachfremd ge-
lehrt. Bestrebungen, einen Fächerver-
bund mit dem Übertitel „Ästhetische Bil-
dung“ zu schaffen würde Musik weiter Weiterführende Informationen gibt es
schwächen.) unter www.primacanta.de.

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Sozialisierung durch Sin-


gen II
KiSINGa im Landkreis
Northeim
Referent: Prof. Dr. Gerhard Ropeter

Beim zweiten vorgestellten Modellprojekt


handelt es sich um „KiSINGa – Kinder
singen im Kindergarten“, vorgestellt von
Projektleiter Prof. Dr. Gerhard Ropeter.

Das Programm KiSINGa ist im Landkreis lage als das Frankfurter Primacanta-
Northeim in Niedersachsen (Hardeg- Programm.
sen/Moringen/Nörten-Hardenberg) ange- Mit dem Untertitel Interkommunales Mo-
siedelt. Projektträger ist der gemeinnüt- dellprojekt zur Förderung lebendigen
zige Verein Sing-Akademie Hardegsen, Singens von Kindern im Kindergarten ist
dessen Vorstand Prof. Ropeter ist. Das beschrieben, was das Programm be-
ländliche Gebiet hat geschätzte drei Pro- zweckt. Im Zentrum steht die Schulung
zent Kinder mit Migrationshintergrund von Erzieherinnen der zwölf Kindergärten
und somit eine völlig andere Ausgangs- des Landkreises. Ziel ist die Schaffung

Musikland Niedersachsen – Jahreskonferenz 2010 – „Singen“ – Protokoll „Sozialisierung durch Singen“ – S.2/3
einer Singumgebung, in der Singen lang- Evaluiert wird das Projekt mit standardi-
fristig regelmäßig und angeleitet durch- sierten Bögen, bei denen ErzieherInnen
geführt wird. In zwei Projektphasen von und Eltern die selben Fragen zur Selbst-
jeweils 18 Monaten wird das Programm und Fremdeinschätzung des Kindes be-
durchgeführt und anschließend evaluiert. antworten. Ropeter bemerkte, dass für
eine umfassende wissenschaftliche Eva-
Anders als bei Primacanta finden die luation Kontrollgruppen ohne verstärktes
Weiterbildungstreffen in der Freizeit der Singen zum Vergleich eingesetzt werden
Erzieherinnen statt. Die Anmeldung er- müssten, dafür stünden jedoch die finan-
folgt freiwillig von Seiten der Kindergär- ziellen Mittel nicht zur Verfügung.
ten. Das KiSINGa-Projekt wird vom
Deutschen Institut für Internationale Das Projekt wird ausführlich vorgestellt
Pädagogische Forschung (DIPF) evalu- auf der Homepage der Singakademie
iert. Projektzeitraum ist vom 1. Septem- Hardegsen:
ber 2009 bis 31. August 2012. http://www.kantorei-hardegsen.de/129.html

Das Projekt basiert auf drei Prinzipien: In der offenen Gesprächsrunde gab es
Grundlegend ist der Montag als Singtag den Anstoß einer Teilnehmerin, die mu-
festgelegt. Anfangs wird ein Modellunter- sikalische Bildung und Stimmerziehung
richt von Fachkräften der Singakademie der ErzieherInnen schon in deren Be-
an den Kindergärten abgehalten. Daran rufsausbildung zu fördern. Dies traf den
anschließend bekommen die ErzieherIn- Kernpunkt einer Idee von musikalischer
nen eine regelmäßige Weiterbildung, die Bildung, welche langfristig, flächendec-
die Bereiche musikalisches Basiswissen, kend und grundständig wäre. Bemerkt
Stimmbildung und Methodik der Lieder- wurde hierzu, dass Modellprojekte wie
arbeitung umfasst. Zeitnah findet ein Primacanta und KiSINGa nötig sind, um
Transfer in die Praxis statt: Die Erziehe- in den Medien und durch die wissen-
rInnen üben im dritten Schritt mit ihren schaftliche Evaluierung Aufmerksamkeit
Kindergartengruppen Lieder ein. Motiva- zu erregen und langfristig das Singen
tion und eigenes Engagement sind und eine musikalische Grundausbildung
Grundvoraussetzung für das Projekt. in Kindergärten und Schulen wieder zur
Norm werden zu lassen. Ein Teilnehmer
Nachdem die Anfangsskepsis überwun- ergänzte, dass Projekte wie diese eigent-
den worden war, stellte sich die Motiva- lich die Reparaturarbeit dessen seien,
tion bei den KindergärtnernInnen von was jahrelang versäumt worden war. Die
selbst ein. Die Erkenntnis aus den bishe- Aufforderung an die Politik, die musikali-
rigen Praxiserfahrungen ist, dass das sche Bildung von Anfang an, und auch in
verstärkte Singen auch den Kindern gro- der Ausbildung von LehrernInnen und
ßen Spaß macht und es zu assoziativem ErzieherInnen zu fördern, stand ab-
spontanen Singen der Kinder auch un- schließend im Raum. Eine solche Institu-
terhalb der Woche und zu Hause kommt, tionalisierung müsse allerdings auch mit
welches es zuvor nicht gab. Dabei fällt Leben gefüllt werden. Musik eröffnet
kein Unterschied zwischen Mädchen und durch sich selbst die Chance, zu begei-
Jungen auf. stern, so die Meinung der Arbeitsgrup-
pen-TeilnehmerInnen.
Ergänzende Maßnahmen von Seiten der
Singakademie sind die Erweiterung des
Liedcurriculums; die ErzieherInnen be-
kommen dabei Liedsammlungen und -
blätter zur Verfügung gestellt. Außerdem
gibt es ein KiSINGa-Singfest. Wertbil-
dende Faktoren des Projektes sind neben
einem kompetenten Fachpersonal, das
Vorbild für die ErzieherInnen im Modell-
unterricht sein sollte, eine kontinuierliche
Intervention, wie Nachbesprechungen,
sowie eine stabile Projektorganisation.
Das Protokoll führte Mechthild Schlumberger.

Musikland Niedersachsen – Jahreskonferenz 2010 – „Singen“ – Protokoll „Sozialisierung durch Singen“ – S.3/3

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