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RIJKSUNIVERSITEIT GRONINGEN

STUDIEN ZU DIONYSIOS VON ALEXANDRIA

Proefschrift

ter verkrijging van het doctoraat in de


Letteren
aan de Rijksuniversiteit Groningen
op gezag van de
Rector Magnificus, dr. F. Zwarts,
in het openbaar te verdedigen op
donderdag 16 september 2010
om 14.45 uur

door

Ekaterina Ilyushechkina
geboren op 4 februari 1978
te Moskou, Russische Foederation
Eerste promotor: Prof. dr. M. A. Harder
Tweede promotor: Prof. dr. R. R. Nauta
Copromotor: Dr. J. W. Drijvers

Beoordelingscommissie: Prof. dr. A. P. M. H. Lardinois


Prof. dr. A. V. Podossinov
Prof. dr. G. C. Wakker

ISBN: 978–90–367–4503–1 (electronische versie)


ISBN: 978–90–367–4504–8 (gedrukte versie)
Vorwort

Diese Studie zu Dionysios Periegetes haben über alle vier Jahre meines Aufenthalts an der
Rijksuniversiteit Groningen meine Doktormutter, Prof. Dr. M. Annette Harder, sowie mein
erster Betreuer, Dr. Jan Willem Drijvers, und mein zweiter Betreuer, Prof. Dr. Ruurd R.
Nauta, unermüdlich begleitet und beharrlich vorangetrieben. Für unsere unzählbaren Treffen
mit immer produktiver Besprechung meiner Zwischenergebnisse, für ihre freundliche Kritik
sowie für anregende Hinweise gilt ihnen mein allererster Dank. Annette möchte ich auch für
ihre gemütlichen Weihnachtsabende bei ihr zu Hause, Jan Willem für mehrere Gespräche, bei
denen nicht nur Dionysios besprochen wurde, und Ruurd für seine ständige Bereitschaft, mit
Rat und Tat zu helfen, danken.
Den Mitgliedern der Beurteilungskommission, Prof. Dr. Gerry Wakker (Groningen),
Prof. Dr. André Lardinois (Nijmegen) und Prof. Dr. Alexander Podossinov (Moskau) gilt
mein Dank für die Sorge, womit sie mein Manuskript gelesen und kommentiert haben.
Alexander Podossinov möchte ich extra für sein gründliches Lesen meiner früheren Texten
und nützliche Bemerkungen dazu von Herzen danken.
Den Kollegen (Gerry, Stephanie, Remco, Wytse, Bea) und Freunden (vor allem
Katrin, sowie Jetze, Jörn, Christina, André) am Groninger Instituut van Griekse en Latijnse
Taal en Cultuur danke ich für die angenehme Atmosphäre, die nicht nur die gemeinsamen
Mittagessen, sondern auch das alltägliche Arbeiten zum Vergnügen gemacht hat. Der
Niederländischen Nationalen Forschungsschule OIKOS und vor allem ihrer Direktorin Prof.
Dr. Ineke Sluiter (Leiden) verdanke ich das interdisziplinäre Forum, bei dem ich den Verlauf
meiner Forschung in diesen Jahren mehrmals vorstellen konnte. Während meiner Arbeit in
Groningen hatte ich zweimal die Möglichkeit, am Groninger Workshop für Hellenistische
Dichtung teilzunehmen: zuerst als Zuhörerin (2006) und später als Referentin (2008). Für
mannigfaltige Diskussionen und Anregungen bin ich sämtlichen Teilnehmern, vor allem aber
Prof. Dr. Adolf Köhnken (Münster), Prof. Dr. Christian Pietsch (Münster), PD Dr. Robert
Kirstein (Münster) und Dr. Martine Cuypers (Dublin) zu großem Dank verpflichtet.
Prof. Dr. Stefan Radt (Groningen), Prof. Dr. Christiana Reitz (Rostock), Prof. Dr. Piet
Schrijvers (Leiden) sowie Prof. Dr. Henk Jan de Jonge (Leiden) halfen mir mit ihrem
wissenschaftlichen Rat und wichtigen Impulsen in entgegenkommender Weise, wofür ich
ihnen meinen herzlichsten Dank schulde. Auch danke ich Prof. Dr. Martin Hose (München)
und Prof. Dr. H.-J. Gehrke (Freiburg – Berlin), mit denen ich einzelne Teile meiner Arbeit
während meiner Reisen in Deutschland besprochen habe. Die mir während meiner Arbeit an
Dionysios Periegetes zugesendeten Materialen und Hinweise von Dr. Martin L. West
(Oxford), Prof. Dr. Onofrio Vox (Bari), Dr. Stephan Heilen (Illinois), Dr. Amedeo A.
Raschieri (Torino) und Dr. Enrico Magnelli (Firenze) waren mir ebenfalls eine große Hilfe.
Mein vierjähriger Aufenthalt in Groningen wurde durch die finanzielle Unterstützung
eines Ubbo-Emmius-Stipendiums der Groninger Universität gefördert. Außerdem möchte ich
mich hier auch bei ICOG (Instituut voor Cultuurwetenschappelijk Onderzoek Groningen) und
OGWG (Onderzoekschool Geesteswetenschappen Groningen), vor allem bei Prof. Dr.
Herman W. Hoen, Drs. Marijke R. B. Wubbolts und Dr. Erica M. A. van Boven, für ihre
Hilfsbereitschaft in allen diesen Jahren sowie für die einführenden Seminare für promovendi
bedanken.
Ich möchte meinen Freunden, Frau Dr. Annemarie Ambühl (Groningen) und Frau Dr.
Anke Ritter (Amsterdam), für ihre großzügige Hilfe bei mehrfachen Korrekturen des
Manuskripts danken: Der Text wäre ohne ihre freundliche Hilfe nicht zustande gekommen.
Zwei weitere Freunde – Valerio Cugia und Maria Antonietta Loi – ermutigten mich während
meiner Promotion in Groningen und steckten mich stets mit ihrem Temperament an; dafür
und für ihre Zusage, mir als Paranymphen während der abschließenden Prüfung zur Seite zu
stehen, bin ich ihnen von Herzen dankbar.
Mein ganz besonderer Dank gilt der Familie Tielkes: Olja, René, Daniël und Taras
(Amsterdam), die mich schon seit Jahren fasziniert, unterstützt, inspiriert und begeistert – und
im letzten Jahr auch zu meiner zweiten Familie geworden ist.
Meinen allergrößten Dank schulde ich meinen Eltern, die mir ununterbrochen und
unerschöpflich zur Seite stehen.
Inhaltverzeichnis

VORWORT.................................................................................................................................5
INHALTVERZEICHNIS............................................................................................................7
VORBEMERKUNGEN............................................................................................................11

TEIL I. DIE ERDBESCHREIBUNG DES DIONYSIOS PERIEGETES: ZWISCHEN DEM


FACHTEXT UND DER DICHTUNG .....................................................................................17

Kap. 1. Das Werk: Titel, Inhalt, Autorschaft ............................................................................17


1.1 Titel...............................................................................................................................18
1.2 Inhalt.............................................................................................................................20
1.3 Zum Problem der Attributionsgeschichte des Textes...................................................30
1.3.1 Zum Gebrauch von Akrosticha in den antiken dichterischen Texten
vor Dionysios ...............................................................................................................31
1.3.2 Das erste Akrostichon in der Periegese des Dionysios .......................................33
1.3.3 Das zweite Akrostichon im Gedicht des Dionysios............................................35
1.4. Zusammenfassung .......................................................................................................43

Kap. 2. Das Weltbild des Dionysios Periegetes ........................................................................45


2.1 Der Ozean als Weltmeer...............................................................................................46
2.2 Die Form der Landmasse und ihr Aufbau ....................................................................51
2.3 Raumerfassung im Gedicht des Dionysios Periegetes .................................................55
2.3.1 Die Vogelperspektive..........................................................................................55
2.3.2 Der hodologische Raum......................................................................................57
2.3.3 Räumliche Orientierung......................................................................................61
2.4 Die Landkarte des Dionysios Periegetes? ....................................................................67
2.4.1 Imaginäre Meridiane...........................................................................................68
2.4.2 Vergleiche der Kontinentumrisse mit geometrischen Figuren ...........................70
2.5 Die Quellenfrage...........................................................................................................73
2.5.1 Eratosthenes von Kyrene ....................................................................................76
2.5.2 Poseidonios der Rhodier .....................................................................................80
2.5.3 Strabon von Amaseia ..........................................................................................87
2.6 Zusammenfassung ........................................................................................................93

Kap. 3. Gattungsaspekte............................................................................................................95
3.1 Das Gedicht des Dionysios Periegetes und die epische Tradition...............................96
3.2 Die Erdbeschreibung des Dionysios als didaktisches Werk ......................................105
3.2.1 Die Fiktion des Dialoges...................................................................................107
3.2.2 Aufbau des Werkes und Kompositionsmittel ...................................................116
3.3 Zusammenfassung ......................................................................................................125
Kap. 4. Die poetische Technik des Dionysios Periegetes .......................................................127
4.1 Hexameter...................................................................................................................127
4.2 Sprache .......................................................................................................................133
4.3 Stil und Mittel sprachlicher Darstellung.....................................................................136
4.4 Epische Elemente .......................................................................................................147
4.5 Intertextualität.............................................................................................................152
4.5.1 Arat ...................................................................................................................153
4.5.2 Kallimachos ......................................................................................................159
4.5.3 Apollonios Rhodios ..........................................................................................165
4.6 Zusammenfassung ......................................................................................................169

Kap. 5. Mythologische Vergangenheit im Werk des Dionysios Periegetes............................171


5.1 Götter ..........................................................................................................................174
5.2 Heroen ........................................................................................................................181
5.3 Historische Siedlungs- und Heiligtumsgeographie ....................................................187
5.4 Zusammenfassung ......................................................................................................196

TEIL II. DIE ANGABEN DES DIONYSIOS PERIEGETES ÜBER DAS


SCHWARZMEERGEBIET ....................................................................................................199

Einleitung ................................................................................................................................199

Kap. 6. Die Umrisse des Schwarzen Meeres und seine Charakteristika.................................205


6.1 Der Vergleich der Umrisse des Pontos Euxeinos mit einem skythischen Bogen bei
Dionysios ..........................................................................................................................205
6.2 Charakteristik des Pontos als Doppelmeer .................................................................208
6.3 Der Skythische Bogen des Dionysios.........................................................................209
6.4 Zusammenfassung ......................................................................................................213

Kap. 7. Klima und Landschaft des nördlichen Schwarzmeergebietes ...................................215


7.1 Dionysios’ Kenntnisse der Zonenlehre.......................................................................215
7.2 Einzelne Beschreibungen des Klimas im nördlichen Teil der Oikumene ..................218
7.3 Der skythische Winter in der Beschreibung des Dionysios .......................................221
7.4 Zusammenfassung ......................................................................................................225

Kap. 8. Pontische Völker und Stämme ...................................................................................227


8.0 Einführung ..................................................................................................................227
8.1 Die erste Route: Das nördliche Istros-Ufer entlang in Richtung
Maiotis-Mündung .............................................................................................................229
8.2 Die zweite Route: Um die Maiotis herum und die nordöstliche (kaukasische) Küste
des Pontos entlang ............................................................................................................238
8.3 Die dritte Route: Den Landstreifen zwischen dem Euxeinischen (Schwarzen) und dem
Hyrkanischen (Kaspischen) Meer entlang........................................................................251
8.4 Die vierte Route: Vom Phasis und den Kolchern aus, die südliche Küste des Pontos
entlang bis zum Thrakischen Bosporos ............................................................................257

Kap. 9. Pontische Gewässer und Gebirge ...............................................................................273


9.0 Einführung ..................................................................................................................273
9.1 Die Funktionen der Gewässer und Gebirge in der Periegese
des Dionysios Periegetes ..................................................................................................274
9.2 Das allgemeine Schema der Flussbeschreibung.........................................................277
9.3 Die pontischen Gewässer in der Erdbeschreibung.....................................................277
9.4 Die pontischen Gebirge im Gedicht des Dionysios....................................................293

ANHANG. Das Schicksal der Periegese in den späteren Jahrhunderten................................297


I. Die handschriftliche Tradition und die Editionen von Dionysios’ Werk......................297
II. Die Überlieferungsgeschichte der Periegese und der byzantinische Kommentar des
Eustathios..........................................................................................................................302
III. Der Einfluss der Periegese auf die spätantike und byzantinische Literatur................305

ZUSAMMENFASSUNG........................................................................................................311

LITERATURVERZEICHNIS ................................................................................................315
Liste der Abkürzungen .....................................................................................................315
Einzelne Ausgaben der Erdbeschreibung des Dionysios Periegetes und Übersetzungen in
die modernen Sprachen ....................................................................................................317
Forschungsliteratur ...........................................................................................................318
Nachschlagewerke und Lexika.........................................................................................344
Geographische Atlasse der antiken Welt..........................................................................345

SAMENVATTING .................................................................................................................347
Vorbemerkungen

Vorbemerkungen

Dionysios von Alexandria, auch Periegetes genannt, war ein älterer Zeitgenosse der
berühmten Geographen Marinos von Tyros und Klaudios Ptolemaios (2. Jh. n. Chr.), für sein
Werk wählte er aber die didaktische Richtung der deskriptiven und nicht der mathematischen
Geographie. Die Erdbeschreibung (οἰκουµένης περιήγησις) des Dionysios ist das einzige
ganz erhaltene antike geographische Lehrgedicht: In knapp zwölfhundert Hexametern gibt
seine Periegese das Bild der ganzen damals bekannten Welt wieder – der Oikumene und des
sie umfließenden Ozeans, verschiedener Länder und Meere, sowie Völker und Stämme.
Durch sein Vokabular, mit seinen zierlichen Redewendungen, seinen gewandten
Beschreibungen und Katalogen erinnert das dionyseïsche Gedicht an die hellenistische,
verfeinerte Dichtung. Dionysios kann aber als Dichter auch nicht auf Bilder aus Mythen bzw.
der Religion verzichten; er bringt in seinem Text das Mythische mit antiquarischen Themen
zusammen. Seine angeführten umfangreichen Kenntnisse gehen auf die von ihm benutzten
geographischen und poetischen Quellen zurück: Er selbst hat sich eingestandenermaßen nie
auf eine wirkliche Reise begeben. Somit ist Dionysios eher ein Schreibtischgelehrten als ein
Praktiker. Der knappe Umfang seines Textes gründet sich einerseits auf die verkürzte
Bearbeitung der von Dionysios benutzten Vorlagen, andererseits auf seine bewussten
ästhetisch-literarischen Bedürfnissen. In seinem Werk tritt Dionysios nicht nur als
geographischer Didaktiker hervor, sondern auch als Dichter, der seine künstlerischen
Ambitionen auf den ersten Platz stellt.
Trotz einer gewissen Schematisierung des Stoffes war das Werk des Dionysios sowohl
beim gebildeten Publikum als auch bei unerfahrenen Lesern beliebt und wurde bereits seit der
Spätantike und bis in die Neuzeit als Schultext benutzt. Im 4. Jh. dichtete der hohe römische
Staatsbeamte Rufus Festus Avienus den dionyseïschen Text frei in lateinischen Hexametern
unter dem Titel Descriptio Orbis Terrae nach; um 500 entstand eine neue, getreuere,
lateinische Übersetzung, die vom gelehrten Grammatiker Priscianus aus Konstantinopel
stammt. All dies weist auf ein wachsendes Interesse an Dionysios und dem Stoff seines
Werkes in den westlichen Gebieten des Römischen Reiches. Im 12. Jh. schrieb Eustathios, der
größte byzantinische Gelehrte aus der Epoche der späten Komnenen und später Bischof von
Thessaloniki, einen ausführlichen Kommentar zum Gedicht des Dionysios. Außer dem
Dionysios-Kommentar stammen von ihm umfangreiche Kommentare zur homerischen Ilias
und Odyssee sowie zu den Oden Pindars; die Gegenüberstellung solcher Autoritäten wie
Homer und Pindar mit Dionysios zeigt anschaulich, wie hoch Periegetes und sein Gedicht
vom späteren Publikum geschätzt wurden1.
Von der modernen Forschung wurde das dionyseïsche Gedicht aber lange Zeit
unverdienterweise wenig erörtert, was ein für einen sehr gut erhaltenen antiken Text (134

1
Mehr zur Überlieferungsgeschichte des Textes s. den ANHANG.

- 11 -
Vorbemerkungen

Handschriften) höchst enttäuschende Sachlage ist. Noch vor einigen Jahrzehnten war das
Werk des Dionysios quasi völlig vergessen; nach den um die Jahrhundertwende (19.-20. Jh.)
veröffentlichten Arbeiten von A. GÖTHE, E. ANHUT, U. BERNAYS und M. I. ROSTOWZEW
verlor die Forschung jegliches Interesse an Dionysios und seinem Werk. Es wurde damals nur
selten von Historikern der antiken Geographie (E. H. BUNBURY, J. O. THOMSON) kurz
erwähnt und meist negativ eingeschätzt: Sie versuchten, das dionyseïsche Weltbild von einer
modernen kartographischen Weltauffassung her zu beurteilen – dies kann natürlich dem Text
und seiner Zeit nicht gerecht werden und führt zu Widersprüchen.
Heutzutage hat sich die einst gefestigte Ansicht, dass das Gedicht gar nicht
bemerkenswert sei, radikal geändert, und die Forschung hat nunmehr einen Neubeginn mit
einer aktiven Erarbeitung des Dionysios und seines Werkes gemacht. Dieses geographische
Lehrgedicht besitzt einen Wert sowohl für Klassische Philologen als auch für Althistoriker.
Unter den wichtigsten Meilensteinen muss man die Tätigkeit von PATRIK COUNILLON nennen,
der im Jahre 1983 eine kritische – leider nicht veröffentlichte – Ausgabe der Erdbeschreibung
im Rahmen seiner Dissertation vorbereitete und im Dezember 2002 die erste internationale
Table Ronde zum Thema „La Périégèse de la terre habitée de Denys d’Alexandrie” an der
Universität von Bordeaux (Frankreich) organisierte2. Zu einem bedeutsamen Ereignis wurde
im Jahre 1990 die Erscheinung einer gründlichen Monographie über die Textgeschichte des
dionyseïschen Gedichtes von ISABELLA O. TSAVARI und der von ihr ebenfalls verwirklichten
modernen kritischen Ausgabe der Erdbeschreibung3. Für Anerkennung des dionyseïschen
Gedichts und das in den letzten Jahren steigende Interesse an ihm gibt es eine Reihe von
Gründen: Es erschienen auch neue archäologische und epigraphische Zeugnisse, die
Forschungsmethoden zur antiken Geographie wurden erweitert, und es gibt jetzt mehrere
Übersetzungen der Erdbeschreibung des Dionysios in die wichtigsten modernen Sprachen4.
Aber bis heute fehlt in der Forschung immer noch eine zusammenfassende Monographie zu
Dionysios und seiner Periegese.
Meine Forschungsarbeit möchte die konkreten historisch-geographischen Zeugnisse
des Dionysios Periegetes untersuchen, die das antike Schwarzmeergebiet kennzeichnen. Die
Beschreibung des Schwarzmeerraums habe ich nicht nur deswegen als Hauptthema
ausgewählt, weil er einer meiner Lieblingsferienorte ist: Der Pontos und die ganze
umliegende Gegend nahmen immer einen besonderen Platz in der antiken historischen und
literarischen Tradition ein. Mit der Großen Kolonisation des 8.-6. Jhs. beginnend zeigten die
Griechen seit jeher Interesse nicht nur an Italien, sondern auch am Pontosgebiet: Hier wurden
neue Poleis gegründet, wichtige Kontakte geknüpft sowie Handelsbeziehungen mit
einheimischen, meistens skythischen, Stämmen und Völkern entwickelt. Ethnonyme und
Toponyme des Schwarzmeergebietes werden in der griechischen literarischen Tradition seit
Hekataios von Milet (6. Jh. v. Chr.) erwähnt. Herodot (484–425 v. Chr.) widmete der
Beschreibung von Landschaften, Sitten und Leben der pontischen Völker und von damit

2
COUNILLON (1983); die Materialien des Runden Tisches s. in: RÉA. 2004. 106 (1). P. 177–
262.
3
TSAVARI (1990a); TSAVARI (1990b); s. auch: TSAVARI (1992).
4
S. den entsprechenden Abschnitt in der BIBLIOGRAPHIE.

- 12 -
Vorbemerkungen

verbundenen Mythen in seinem Werk den bekannten Skythischen Logos. Griechische


Tragiker, Redner, Philosophen, Schriftsteller und Dichter schilderten die mythologische und
historische Vergangenheit in ihrer Verbindung zu der Geographie des Schwarzen Meeres.
Dionysios Periegetes benutzt das reiche literarische Erbe seiner Vorgänger, so dass sein
geographischer Raum des Pontos ebenso in eine mythologisch-historische Vergangenheit
zurückgeschoben wird: Im Rahmen seiner imaginären Fahrt entlang der pontischen Küste
werden Völker und Stämme aufgelistet, die diese Gegend im fernen Altertum und nicht zur
Zeit des Dichters bewohnten. So steht im Gedicht des Dionysios Periegetes der geographische
Raum des Pontos mit seinen archaischen Toponymen und Ethnonymen kaum in Beziehung zu
dem – mit Dionysios zeitgenössischen – kaiserlichen Rom. Trotz der Betonung der
Unterschiede zwischen der zivilisierten und der barbarischen Lebensart innerhalb des ganzen
Gedichtes sieht Dionysios das Schwarzmeergebiet aber auch als Teil der gesamten Oikumene.
Das Lehrgedicht des Dionysios ist eine der wichtigsten Quellen für geographische
Kenntnisse und einer der wenigen Texte, in dem Angaben über die historische Geographie
des Pontosraums, die in anderen antiken Quellen fehlen, erhalten sind. In diesem
Zusammenhang sind die Daten des Dionysios über das antike Schwarzmeergebiet von einem
besonderen Interesse für die Rekonstruktion der ethnogeographischen Situation am Pontos
und der Navigationspraktik von der griechischen Kolonisation bis zur römischen Zeit: sie
wurden in der modernen Forschung bisher nicht in dem Maße beachtet, wie sie es sicher
verdienen. Während neue Materialien und Kommentare beispielsweise zum antiken Italien in
den neuesten zweisprachigen Ausgaben von A. A. RASCHIERI (2004) und E. AMATO (2005)
kaum eine Ergänzung bzw. Verbesserung brauchen, gibt es in den aktuellen
wissenschaftlichen Arbeiten zur Erdbeschreibung praktisch keine Anmerkungen oder
Schlussfolgerungen zur Geschichte, Ethnogeographie und Kultur des antiken
Schwarzmeergebiets. Mit dieser Arbeit über die dionyseïsche Beschreibung des
Schwarzmeergebiets möchte ich daher diese bedauerliche Lücke schließen. Außerdem gibt es
noch keine Studien, die die Erforschung der Angaben des Dionysios über den Pontos und den
Kaukasus von einem historisch-geographischen Standpunkt aus mit einer philologischen
Untersuchung kombinieren. Die oben genannten Umstände machen es notwendig, meines
Erachtens, die geographischen Angaben des Dionysios Periegetes über das
Schwarzmeergebiet sowie den Kaukasus zu sammeln und sie ausführlich in philologischer
Hinsicht, sowie als Zeugnis der reichen literarischen Tradition zu untersuchen.
Wegen des reichen Umfangs der Angaben aus der antiken Tradition, die sich im Werk
des Dionysios finden, sowie der Abhängigkeit des Autors von früheren literarischen Mustern,
umfasst der chronologische Rahmen meiner Dissertation eine Zeitperiode vom 6.-5. Jh. vor
Chr. bis zum ersten Viertel des 2. Jhs. nach Chr. In die Untersuchung werden auch die
Angaben aus den lateinischen Übersetzungen des dionyseïschen Gedichts von Avienus (4.
Jh.) und Priscianus (6. Jh.) sowie aus dem Kommentar des Eustathios (12. Jh.) einbezogen.
In meiner Arbeit werden also drei Hauptrichtungen berührt: (1) als Zielsetzung dient
eine historisch-philologische Analyse der Angaben des Dionysios über das
Schwarzmeergebiet. Eine korrekte Wahrnehmung dieser Angaben durch die heutigen Leser
ist aber kaum möglich ohne eine detaillierte Betrachtung (2) des gesamten Weltbilds des

- 13 -
Vorbemerkungen

Dionysios einerseits und (3) der von ihm gewählten didaktischen Form sowie seiner
poetischen Technik andererseits. Damit erhebe ich keine Ansprüche auf ein systematisches
Bild – im Rahmen einer Doktorarbeit wäre dies auch kaum möglich, denn das Werk des
Dionysios stellt einen Themenkreis zur Verfügung, der zu breit ist für den Rahmen dieser
Arbeit. Meine Auswahl der Themen ist daher durch die Fragestellungen geprägt, denen die
frühere Forschung wenig oder gar keine Aufmerksamkeit schenkte.
Die Arbeit will die folgenden Forschungsprobleme angehen:
1) Die Stellung des dionyseïschen Werkes in der antiken narrativen Tradition zu definieren;
2) Das Weltbild des Dionysios Periegetes und seine Raumvorstellungen zu charakterisieren;
3) Das Spezialproblem des Verhältnisses eines geographischen Textes und einer graphischen
Karte im Werk des Dionysios zu analysieren;
4) Die im Gedicht des Dionysios verwendeten antiken Quellen aus verschiedenartigen
Kategorien (historischen, geographischen und literarischen) festzustellen und den Grad
ihres Einflusses auf Dionysios zu bestimmen;
5) Das Verhältnis von literarischer und wissenschaftlicher Kenntnis im Werk des Dionysios
zu zeigen, die wahrheitsgetreuen und die erdichteten Zeugnisse voneinander abzugrenzen
und somit mögliche Kriterien für die Glaubwürdigkeit der historisch-geographischen
Angaben, unter anderem in seiner Darlegung des Schwarzmeergebiets, zu entwerfen;
6) Die Daten des Dionysios zur Ethnogeographie des antiken Schwarzmeergebiets aufgrund
der früheren Tradition sowie der geographischen und literarischen Besonderheiten der
Erdbeschreibung ausführlich zu analysieren.
Die Untersuchung des ausgewählten Textes soll absichtlich an der Nahtstelle von
verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen (der Alten Geschichte, der
Literaturwissenschaft, der Linguistik, der Textgeschichte sowie der Klassischen Archäologie),
vor allem aber im Rahmen der Klassischen Philologie geschehen. Eine wissenschaftliche
Neuerung besteht außerdem in der komplexen Benutzung von literaturwissenschaftlichen
Methoden in Kombination mit der historischen Quellenkritik sowie in der Einführung in den
wissenschaftlichen Umlauf einer Reihe von Angaben über die Landschaften und die
Bevölkerung des antiken Schwarzmeergebiets, insbesondere vor dem Hintergrund des
Problems der antiken Karten und der textuellen Landesbeschreibung im Werk des Dionysios
Periegetes.
Von den Hauptrichtungen der entworfenen Untersuchung ausgehend ist der ganze
erste Teil der Arbeit eine Art einführende Studie zur Erdbeschreibung des Dionysios
Periegetes insgesamt; dieser Teil dient dazu, eine möglichst breite Basis zur Wahrnehmung
des Dionysios als Autor und der Besonderheiten seines Gedichts zu schaffen und in einer
allgemeinen Form zu zeigen, wie gut oder getreu die geographische und didaktische Tradition
der Nützlichkeit und der Unterhaltung dient und passt. Der zweite Teil dieser Untersuchung
betrachtet dann detailliert die Art und Weise des Dionysios, das Schwarzmeergebiet zu
beschreiben, und wird damit zu einer Fallstudie: Während es sich im ersten Teil um
zusammenfassende bzw. theoretische Aspekte des ganzen Textes der Erdbeschreibung (außer
den Pontos-Passagen) handelt, werden hier konkrete Abschnitte des Dionysios zur pontischen

- 14 -
Vorbemerkungen

Gegend auf dem Hintergrund seines gesamten Weltbildes und poetischen Technik sowie der
früheren antiken geographischen Tradition ausgewertet.
Die in jedem konkreten Fall mir selbst gestellten Aufgaben sind den einzelnen
Kapiteln vorangestellt; die Kapitel enden mit Schlussfolgerungen. Für die griechischen
Passagen der Erdbeschreibung habe ich die Ausgabe von IS. O. TSAVARI (1990b) unter
Berücksichtigung von späteren Verbesserungen ihrer Kritiker benutzt; die deutsche
Übersetzung der dionyseïschen Passagen stammt von A. FRUHWIRTH (1990) – in einzelnen
Fällen mit eigenen Änderungen.

- 15 -
Teil I. Kap. 1. Das Werk: Titel, Inhalt, Autorschaft

Teil I. DIE ERDBESCHREIBUNG DES DIONYSIOS


PERIEGETES: ZWISCHEN DEM FACHTEXT UND
DER DICHTUNG

Kapitel 1. Das Werk: Titel, Inhalt, Autorschaft


1.1 Titel
1.2 Inhalt
1.3 Zum Problem der Attributionsgeschichte des Textes
1.3.1 Zum Gebrauch von Akrosticha in den antiken dichterischen Texten vor Dionysios
1.3.2 Das erste Akrostichon in der Periegese des Dionysios
1.3.3 Das zweite Akrostichon im Gedicht des Dionysios
1.4. Zusammenfassung

Dieses Kapitel vereinigt zwei Aspekte: Einerseits wird hier der Text des dionyseïschen
Gedichtes von einer formalen Seite betrachtet – es geht dabei um Titel und Inhalt,
andererseits wird die Autorschaft untersucht, die sich in zwei Akrosticha im Text der
Erdbeschreibung versteckt.
Das Kapitel beginnt mit der Betrachtung der Gedichtsbenennungen, die in zahlreichen
Handschriften des 10.-14. Jhs. mit dem Werk des Dionysios erhalten sind, und ihrer
Stichwörter „Periegese“ und „Oikumene“ (1.1). Der nächste Abschnitt besteht aus der
Darlegung des Gedichtsinhalts, die mit einigen Anmerkungen zum Verlauf des dionyseïschen
Erzählens sowie seiner Methode der Vereinigung verschiedenartiger Elemente versehen wird
(1.2). Das umfangmässig ziemlich kurzes Werk des Dionysios umfasst die Beschreibung des
ganzen Weltozeans und der darin liegenden Oikumene mit drei Kontinenten und Inseln. Der
Inhalt des Gedichtes besteht hauptsächlich aus zahlreichen Aufzählungen (bzw. Katalogen)
verschiedener Orts-, Gewässer- und Völkernamen und enthält sowohl reale als auch
mythologische Angaben, was auf einen buchwissenschaftlichen Charakter des Werkes weist.
Bis zum 19. Jh. wurde das geographische Lehrgedicht Erdbeschreibung verschiedenen
Autoren des 1.-3. Jhs. oder sogar der byzantinischen Zeitperiode zugeschrieben; um diese
früheren irrtümlichen Vorschläge der Attribution des Textes und um die Entdeckung der zwei
von GUSTAV LEUE im Text der Periegese gefundenen Akrosticha, die den Autorennamen und
die Entstehungszeit des Werkes bestimmen lassen, geht es im Abschnitt 1.3. Durch das
Verrätseln von autobiographischen Daten im Text des Gedichtes schließt sich Dionysios einer
Tradition des literarischen Spiels zwischen Autor und aufmerksamem Leser an; dem
Gebrauch von Akrosticha in den antiken dichterischen Texten vor Dionysios ist daher ein
kurzer Exkurs gewidmet (1.3.1). Im weiteren wird die Geschichte der späteren Erforschung

- 17 -
Teil I. Kap. 1. Das Werk: Titel, Inhalt, Autorschaft

der dionyseïschen Akrosticha nach LEUES Entdeckung kurz dargelegt, die Lebenszeit des
Dionysios weiter präzisiert und meine eigene Interpretation des zweiten Akrostichons
vorgeschlagen (1.3.2 und 1.3.3). Das Kapitel endet mit einigen Schlussfolgerungen (1.4).

1.1 Titel
Bereits in den anonymen Scholien zum Lehrgedicht des Dionysios von Alexandria, deren
Entstehungszeit um die Wende vom 4. zum 5. Jh. angesetzt wird1, findet sich der Beiname
des Autors „Periegetes“2, der aber nicht durch den Ruhm des Autors als Reisender oder
Führer3, sondern durch die Entlehnung vom Titel seines (wohl bekanntesten)4 Werkes zu
erklären ist: Οἰκουµένης Περιήγησις (wörtl. „Herumführung um die bewohnte Welt“)5. Dies
lässt darauf schließen, dass das Stichwort zum Gedichtstitel – Periegese – praktisch von
Anfang an in der Geschichte des Textes anwesend war. Die Überlieferungstradition dieses
Titels kann man auch in zwei frei ins Lateinische übersetzten Versionen des dionyseïschen

1
Zur Entstehungszeit der Scholien: KNAACK (1903) 922; TSAVARI (1990¹) 19 und 37–41;
(1990²) 13; FRUHWIRTH (1990) 6. Zur „Anonymität“ der Scholien: „Nur eine Handschrift, der
– von Müller so bezeichnete – Codex Q (= Cod. Paris. suppl. 36, saec. XVI), nennt als
Verfasser der Scholien einen – sonst völlig unbekannten – Demetrios von Lampsakos; A.
Diller (1936, 127–129) konnte nachweisen, daß dieser Demetrios seine „Existenz“ nur der
Eigenmächtigkeit des Kopisten besagter Handschrift, eines gewissen Constantius Palaeocappa
(gest. 1551), verdankt“ (FRUHWIRTH (1990) 6.
2
Γένος ∆ιονυσίου Ἀλεξανδρέως τοῦ περιηγητοῦ (Schol. ad Dion. Per. GGM II, 427);
Περιηγητοῦ ∆ιονυσίου [βίος] (LUDWICH 1885 = 1971, 575). Vgl. die Erwähnung des
Beinamens „Periegetes“ im Zusammenhang mit Dionysios und seinem Gedicht in antiken
Scholien zu Aeschylos (Schol. Aesch. Prom. vinc. 782, ed. Herington: ὁ περιηγητής), zu
Aristophanes (Schol. Aristoph. Plut. 586, ed. Dübner: ὁ Περιηγητής) und zu Nikandros
(Schol. Nic. Ther. 175, ed. Crugnola: ∆ιονύσιος ὁ περιηγητής).
3
Vgl. die zwei LSJ-Artikel περιήγησις und -ηγητής, in denen die erste Bedeutung der aktiven
Tätigkeit entspricht („leading round and explaining“; „one who guides strangers, cicerone“),
und die zweite – eine passive Behandlung davon darstellt („geographical description“;
„author of geographical description“); zum Periegetes als Führer s. auch den RE-Artikel von
BISCHOFF (1937).
4
Außer der Periegese werden Dionysios von den spätantiken und byzantinischen Quellen
auch andere Werke zugeschrieben (praktisch alle verloren), und zwar ∆ιοσηµείαι
(„Himmelszeichen“), Γιγαντιάς („Gigantiade“), Βασσαρικά („Über Bakchanten“), Ὀρνιθιακά
(„Über Vögel“) und Λιθιακά („Über Steine“), wovon nur das letzte Werk möglicherweise
tatsächlich von ihm stammt; mehr dazu s. z. B.: AMATO (2005) 67–74. Die ∆ιοσηµείαι sind
uns durch ihre Erwähnung in der so genannten Vita Chisiana des Dionysios Periegetes
bekannt (s. dazu: RÜHL (1874), COLONNA (1957), KASSEL (1985)), wenige Fragmente der
Λιθιακά, der Βασσαρικά und der Γιγαντιάς sind bei MÜLLER (1861, xxvi–xxviii) angeführt,
die Ὀρνιθιακά liegen uns nur in Form einer anonymen Prosaparaphrase unter dem Titel
Ἰξευτικά vor (dazu: GARZYA (1963), PAPATHOMOPOULOS (1976)) (FRUHWIRTH (1990) 20–21,
n. 70).
5
So BERNHARDY (1828, 518–521); vgl.: „Er (sc. Dionysios) ist ὁ περιγητής wie Strabon ὁ
γεωγράφος und Homer ὁ ποιητής“ (BISCHOFF (1937) 726).

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Teil I. Kap. 1. Das Werk: Titel, Inhalt, Autorschaft

Gedichtes von Avienus (Descriptio orbis terrae, 4. Jh.)6 und von Priscianus (Periegesis, 6.
Jh.)7 verfolgen.
Unter den 44 Haupthandschriften des 10.-14. Jhs. mit dem Text der Erdbeschreibung,
die der letzten kritischen Ausgabe des dionyseïschen Gedichts von IS. O. TSAVARI zugrunde
gelegt wurden8, findet sich in den vier ältesten Handschriften des 10.-13. Jhs. ebenso der
Titel, der dem Original anscheinend am nächsten steht oder sogar mit ihm identisch ist:
∆ιονυσίου Οἰκουµένης Περιήγησις9 (der Titel wiederholt sich auch in neun Handschriften des
13.-14. Jhs.); später tritt dieser Titel in einigen Variationen mit Wortumstellung oder mit
Präzisierung der Herkunft des Autors auf: ∆ιονυσίου Περιήγησις Οἰκουµένης (1280),
∆ιονυσίου Ἀλεξανδρέως Οἰκουµένης Περιήγησις (13. / 14. Jh.), ∆ιονυσίου Ἀλεξανδρέως
Περιήγησις Οἰκουµένης (13.-14. Jh.). In den jüngeren Handschriften wurden auch andere
Titelvarianten fixiert10, woraus hervorgeht, dass der Beiname des Autors „Periegetes“
ungefähr im 13. Jh. das Wort Periegese aus der Benennung seines Werkes verdrängt hat.
Ἡ περιήγησις bedeutet traditionell eine Art geographischer Beschreibung, die „mit
dem Gestus des Fremdenführers bestimmte Orte und ihre Geschichte“ beschreibt, d. h. die
geographische Komponente ist dabei untrennbar mit der historischen verknüpft11. Die
erhaltenen Fragmente der griechischen, meistens hellenistischen, Periegeten lassen einige
solchen Werken gemeinsame Züge bestimmen: z. B. topographische Hinweise (wie
„nordwärts/ südwärts / westwärts/ ostwärts von ...“, „rechts/ links von ...“, „an dem Fluss/
dem Berg/ der Stadt ...“ u. ä.), die Beschreibung geographischer Objekte begleitende
Erklärungen, lokale Mythen12. In Bezug auf das Gedicht des Dionysios ist aber die
Benennung Periegese breiter zu verstehen als nur die Gesamtheit der Züge einer
periegetischen Beschreibung. Im Fall des dionyseïschen Werkes schließt der Titel Periegese
auch Elemente der deskriptiven Geographie (Charakterisierung von Ländern und
Örtlichkeiten), des Periplus (Beschreibung einer Meeresküste, wie sie sich bei einer
Umsegelung darbietet) und sogar – zu einem niedrigeren Grad – der mathematischen
Erdbeschreibungen ein.
Das Lexem ἡ Οἰκουµένη (sc. γῆ) „die Oikumene, die <bewohnte> Welt“ kommt im
Text des Dionysios nie vor; es findet sich nur im Titel, was sogar eine spätere und
nichtautorisierte Erfindung des Gedichttitels vermuten lässt. Die Vermeidung des Wortes

6
Editionen des Textes: GGM II, 177–189; VAN DE WOESTIJNE (1961).
7
Editionen des Textes: GGM II, 190–199; VAN DE WOESTIJNE (1952).
8
TSAVARI (1990²).
9
Die vier Handschriften sind: A = Paris. Suppl. gr. 388 (10. Jh.), B = Paris. gr. 2771 (10.-11.
Jh.), W¹ = Guelferb. Gud. gr. 46 (11. Jh.), E = Paris. gr. 2852 (13. Jh.) (TSAVARI (1990²) 32–
33.
10
Βίβλος ∆ιονυσίου τοῦ Περιηγητοῦ (13./ 14. Jh.) und Βιβλίου ὁ Περιηγητής (13./ 14. Jh.),
∆ιονυσίου περὶ Γεωγραφίας (1300), ∆ιονυσίου Ἀλεξανδρέως Κόσµου Περιήγησις (14. Jh.),
∆ιονυσίου τοῦ Περιηγητοῦ (14. Jh.), Ἀρχὴ σὺν Θεῶ τῶν τοῦ Περιηγητοῦ ∆ιηγήσεων (14.
Jh.), ∆ιονύσιος Περιηγητὴς Γεωγράφος (14. Jh.), Ἀρχὴ ∆ιονυσίου τοῦ Περιηγητοῦ (14. Jh.).
11
KORENJAK (2003) 15.
12
S. u.a.: SCHNAYDER (1950); MARCOTTE (2002) LXII–LXIV.

- 19 -
Teil I. Kap. 1. Das Werk: Titel, Inhalt, Autorschaft

Οἰκουµένη im dionyseïschen Text kann jedoch damit erklärt werden, dass das Lexem zur
Prosa gehört13 – in einen Hexameter passt das Wort nicht. In der Erdbeschreibung benutzt
Dionysios für die Benennung der Oikumene als Erdfläche bzw. bewohnter Landmasse die
poetischen Lexeme χθών („Land, Landmasse“) und γαῖα („Land“); dies zeigt seine
Orientierung auf die epische Tradition und betont sein Hauptinteresse, das geographische
Material in eine dichterische Form zu kleiden.
Wenn die Wörter χθών/ γαῖα im Kontext des dionyseïschen Gedichts als Äquivalente
der οἰκουµένη betrachtet werden können, kann man auch sagen, dass die Lexeme χθών/ γαῖα
neben ihrer traditionellen Bedeutung „Land, Erde“ im Text der Erdbeschreibung einen
zusätzlichen Sinn bekommen, und zwar an bestimmten Stellen als „Oikumene“ zu verstehen
sind (vgl. vv. 1, 4, 41); die Wörter wurden bereits von Eustathios von Thessaloniki in seinem
Kommentar der dionyseïschen Periegese gleichgesetzt14. Wenn man die Gestalt der ganzen
Oikumene nach Dionysios’ Vorstellungen betrachtet, kann man sehen, dass sie zwei Aspekte
einschließt – einen geographischen und einen politischen. Geographisch ist die Oikumene
nach Dionysios eine Insel in der Form einer Schleuder, durch den Weltmeer-Ozean
umgekränzt und in drei Erdteile gegliedert; dabei umfasst sie sowohl bewohnte als auch
unbewohnte (vgl. vv. 39, 759) Gebiete. Politisch bedeutet Oikumene soviel wie Wohnplatz
der Menschheit; die Antithese „zivilisierte – unzivilisierte“ Welt wird von Dionysios nur im
rhetorischen Rahmen durchgeführt, nicht aber so streng betont, da er die ganze Oikumene als
Herrschaftsgebiet des Römischen Reiches beschreibt und auch barbarische Stämme dazuzählt.

1.2 Inhalt
Das Werk des Dionysios Periegetes ist das am besten erhaltene antike geographische
Lehrgedicht15. In 1186 Hexametern findet sich die Beschreibung des Ozeans, der drei
Kontinente (Libyen = Afrika, Europa, Asien) und der Inseln16. Die „Kürze“ wurde zum
Zeichen der poetischen Spitzenprodukte bereits in der Buchkultur des Hellenismus, war „das
Resultat einer stilisierten Verfeinerung“17. Der knappe Umfang des dionyseïschen Werkes

13
Nachweisbar findet es sich erstmals bei Herodot: Αἱ δ' ἐσχατιαί κως τῆς οἰκεοµένης τὰ
κάλλιστα ἔλαχον (III 106), vgl.: ἡ Αἰθιοπίη χώρη ἐσχάτη τῶν οἰκεοµένων (Herod. III 114),
als ein bewohnter Teil der Erde im Gegensatz zu einem unbewohnten. Mehr zum Begriff
„Oikumene“ in der antiken Literatur findet sich im ausführlichen RE-Artikel von GISINGER,
F. (1937²) 2123–2174.
14
S. Eust. ad Dion. Per. 1, 4, 19, 39, 45, 58, 175, 327, 384, 666, 718, 1143, wo Eustathios das
Wort οἰκουµένη in Bezug auf verschiedene Abschnitte aus dem dionyseïschen Text benutzt.
15
BRODERSEN (1994) 5; SCHINDLER (2000) 173.
16
Die Verse 118 und 917 erscheinen nicht in den lateinischen Übersetzungen des
dionyseïschen Textes von Avienus und Priscianus, so dass die beiden Verse von den meisten
Forschern als unecht betrachtet werden (LEUE (1884), MÜLLER (1861), TSAVARI (1990²),
FRUHWIRTH (1990), RASCHIERI (2004), AMATO (2005); noch dazu gibt es in Vers 919 von
unbekannten Umfang. So gehen die meisten Ausgaben der Periegese von ihrem Umfang in
1186 Versen aus (G. KNAAK hingegen spricht von 1185 (1187) Hexametern, ebenso wie P.
COUNILLON (1985); CHR. JACOB nennt 1187 Verse). Dazu s. z. B.: FRUHWIRTH (1990) 3–4.
17
HOSE (2008), hier 295.

- 20 -
Teil I. Kap. 1. Das Werk: Titel, Inhalt, Autorschaft

erklärt sich außerdem auch aus dem Regelwerk, nach dem solche didaktischen Gedichte
traditionell zusammengestellt wurden (vgl. die von Hesiod, Arat, Nikander). Die Länge eines
didaktischen Werkes war damals auch von der Länge einer Papyrusrolle abhängig, auf der nur
für ca. 1000–2000 Verse Platz war18. Außerdem ist zu vermuten, dass Dionysios sein Gedicht
nicht lang werden lässt, weil er mehrere Quellen verkürzt bearbeitet19. In diesem
Zusammenhang zieht das von Dionysios im Epilog erwähnte Verb ἐπέδραµον (aor. von
ἐπιτρέχω) „ich habe flüchtig erwähnt“ die Aufmerksamkeit auf sich, womit der Dichter die
gedrängte Kürze seines Erzählens im Rahmen des „brevity topos“20 einer dichterischen
Periegesis betont: ἤδη γὰρ πάσης µὲν ἐπέδραµον οἶδµα θαλάσσης, / ἤδη δ' ἠπείρων σκολιὸν
πόρον, „Denn schon habe ich den Wogenschwall des gesamten Meeres, schon den krummen
Verlauf der Erdteile flüchtig erwähnt“ (vv. 1184–1185).
Der Inhalt der Periegese des Dionysios kann man in einer Tabelle zusammenfassen;
der folgende Gliederungsvorschlag soll nicht mehr als eine Orientierungshilfe für den Leser
sein:

vv. 1–26: Prolog21


vv. 1–3: Ankündigung des Lehrgedichtsthemas (d. h. Geo- und Ethnographie)
vv. 3–9: Die schleuderförmige Landmasse (als Insel im Ozean), geteilt in drei Kontinente –
Libyen, Europa und Asien
vv. 10–25: Eine kurze Beschreibung der Grenzen zwischen den drei Kontinenten
v. 26: Rekapitulation

vv. 27–169: Der Ozean


vv. 27–40: Der Ozean und die Namen seiner vier Teile
vv. 41–42: Rekapitulation
vv. 43–55: Vier Ozeangolfe (d. h. innere Meere)
vv. 56–57: Rekapitulation
vv. 58–168: Das Mittelmeer als der größte Ozeansgolf und seine Teile
vv. 58–61: Ankündigung des Themas „Mittelmeer“
vv. 62–63: Der erste Musenanruf
v. 169: Rekapitulation

vv. 170–1165: Die Landmasse (d. h. die drei Kontinente und die Inseln)

18
VAN SICKLE (1980) 8.
19
Zur Periegese als didaktischem Werk, sowie zu den literarischen und historisch-
geographischen Quellen des Dionysios s. mehr unten: Teil I. Kap. 2. Das Weltbild des
Dionysios Periegetes (Die Quellenfrage); Teil I. Kap. 3. Gattungsaspekte (Die
Erdbeschreibung des Dionysios als didaktisches Werk); sowie Teil I. Kap. 4. Die poetische
Technik des Dionysios Periegetes (Intertextualität).
20
HUNTER (2004) 219.
21
Mehr zur Frage, wie viele Verse im Gedicht des Dionysios zum Prolog zu zählen sind, in
Teil I. Kap. 3. Gattungsaspekte (Die Erdbeschreibung des Dionysios als didaktisches Werk).

- 21 -
Teil I. Kap. 1. Das Werk: Titel, Inhalt, Autorschaft

v. 170: Ankündigung des Themas „Landmasse“


vv. 170–173: Das erste Ansprechen des Lesers
vv. 174–269: Beschreibung Libyens
vv. 174–183: Die Umrisse Libyens
vv. 184–220: Völker und Stämme Libyens
vv. 221–231: Der Nil
vv. 232–260: Ägypten
vv. 261–269: Rekapitulation

vv. 270–446: Beschreibung Europas


vv. 270–280: Die Umrisse Europas
v. 270: Ankündigung des Themas „Europa“
vv. 270–280: Das zweite Ansprechen des Lesers
vv. 281–297: Völker und Stämme West- und Nordeuropas
vv. 298–330: Der Istros
vv. 302–320: Völker und Stämme nördlich des Istros
v. 320: Rekapitulation
vv. 321–330: Völker und Stämme südlich des Istros
v. 330: Rekapitulation
vv. 331–446: Die drei Halbinseln Südeuropas (Iberien, Italien, Hellas)
v. 331: Ankündigung
vv. 331–333: Allgemeine Beschreibung
vv. 334–338: Iberien
vv. 339–382: Die Umrisse und Völker Italiens
v. 345: Ankündigung „Völker Italiens“
v. 383: Rekapitulation
vv. 384–399: Die Länder zwischen Italien und Hellas (Libyrnien, Illyrien,
Thrakien, Orikien)
vv. 400–446: Die Umrisse und Völker von Hellas (mit der Peloponnes)

vv. 447–619: Beschreibung der Inseln


vv. 447–449: Der zweite Musenanruf (Ankündigung des Themas „Inseln“)
vv. 450–553: Inseln im Mittelmeer (d. h. im inneren Meer)
v. 554: Rekapitulation
vv. 555–611: Inseln im Ozean (d. h. im äußeren Meer)
vv. 555–557: Ankündigung „Inseln im Ozean“
vv. 612–619: Rekapitulation

vv. 620–1165: Beschreibung Asiens


vv. 620–649: Die Umrisse Asiens
vv. 636–649: Der Tauros (als Grenze zwischen Nord- und Südasien)
vv. 650–651: Der dritte Musenanruf (Ankündigung des Themas „Asien“)

- 22 -
Teil I. Kap. 1. Das Werk: Titel, Inhalt, Autorschaft

vv. 652–705: Völker und Stämme an der nord-östlichen Küste des Pontos (vom
Tanais bis zum Phasis)
vv. 660–678: Der Tanais
vv. 666–678: Exkurs über den skytischen Winter
v. 679: Rekapitulation
vv. 691–694: Der Phasis
vv. 695–705: Die kaukasische Landenge (zwischen dem Pontos und dem
Kaspischen Meer)
vv. 706–725: Das Kaspische Meer
vv. 707–717: Selbstaussage des Dichters (Einführung zum Thema „Kaspisches
Meer“)
vv. 718–725: Die Umrisse des Kaspischen Meeres
vv. 726–760: Völker und Stämme rings ums Kaspische Meer und östlich
davon
v. 726: Ankündigung
v. 761: Rekapitulation
vv. 762–796: Völker und Stämme am Südpontos
vv. 762–764: Ankündigung
vv. 797–798: Rekapitulation
vv. 799–880: Beschreibung Kleinasiens
v. 799–802: Ankündigung
vv. 881–1165: Beschreibung Südasiens
vv. 881–886: Das dritte Ansprechen des Lesers (Ankündigung des Themas
„Südasien“)
vv. 887–896: Die Umrisse Südasiens
vv. 897–923: Koilesyrien, Syrien
vv. 924–926: Arabischer Golf
vv. 923–959: Arabia Felix
vv. 933–934: Ankündigung
vv. 960–961: Rekapitulation
vv. 962–969: Exkurs über die Eremben
vv. 970–975: Assyrien; Armenien
vv. 976–1013: Mesopotamien (Euphrat, Tigris, Babylon)
vv. 1014–1052: Gebiete nord-östlich von Mesopotamien; Medien; Parthien
vv. 1053–1079: Persien
vv. 1053–1055: Ankündigung
vv. 1080–1106: Gebiete und Völker westlich des Indus (von Karmanien bis
zum Indus)
v. 1080: Ankündigung
vv. 1088–1093: Der Indus
vv. 1107–1165: Indien
vv. 1128–1129: Ankündigung

vv. 1166–1186: Epilog

- 23 -
Teil I. Kap. 1. Das Werk: Titel, Inhalt, Autorschaft

In den ersten Versen seines Werkes kündigt Dionysios sein Lehrgedichtsthema an, und zwar
die Beschreibung der Erde mit ihren Flüssen, Städten, Völkern sowie des sie umfließenden
Ozeans22; so werden die Hauptobjekte seiner Beschreibung (d. h. Geo- und Ethnographie)
bereits in den ersten drei Versen aufgezählt. Dionysios teilt mit, dass das ganze Land als eine
Insel im Ozean liegt und der Form nach einer Schleuder (d. h. einem rautenförmigen oder
elliptischen Tuch) gleicht (vv. 3–7); die Landmasse wird in drei Kontinente aufgeteilt –
Libyen (= Afrika), Europa und Asien23, Dionysios markiert kurz ihre Grenzen im Wasser und
im Land (vv. 7–26)24. Dann folgt die Aufzählung des westlichen, nördlichen, östlichen und
südlichen Ozeansteils und der mit dem Ozean verbundenen Golfe, d. h. der inneren Meere25.
In diesem Abschnitt über den Ozean wird zum ersten Mal eine katalogartige Beschreibung
eingeführt, die für das Werk des Dionysios Periegetes kennzeichnend ist26.
Von der allgemeinen Beschreibung des Ozeans und seiner Meeresbusen kommt
Dionysios zur detaillierten Betrachtung des Mittelmeeres, des größten der Ozeangolfe (vv.
58–169); der Mittelmeerbeschreibung geht ein Musenanruf voran (vv. 62–63)27. Während
Dionysios sich gedanklich von den Herakles-Säulen – von West nach Ost – der
Mittelmeerküste entlang bewegt, zählt er die es bildenden Teile28 sowie die darin liegenden

22
ἀρχόµενος γαῖάν τε καὶ εὐρέα πόντον ἀείδειν / καὶ ποταµοὺς πτόλιάς τε καὶ ἀνδρῶν ἄκριτα
φῦλα, / µνήσοµαι Ὠκεανοῖο βαθυρρόου „Beginnend, das Land und das weite Meer zu
besingen und die Flüsse und Städte und unscheidbar vielen Stämme der Menschen, werde ich
den tiefströmenden Ozean erwähnen“ (Dion. Per. 1–3). Mehr zur Gestalt des Ozeans in der
Periegese unten: Teil I. Kap. 2. Das Weltbild des Dionysios Periegetes (Der Ozean als
Weltmeer).
23
µίαν δέ ἑ καίπερ ἐοῦσαν / ἄνθρωποι τρισσῇσιν ἐπ᾿ ἠπείροισι δάσαντο· / πρώτην µὲν
Λιβύην, µετὰ δ᾿ Εὐρώπην Ἀσίην τε „wiewohl sie aber eine einzige ist, teilten die Menschen
sie in drei Erdteile auf: als den ersten Libyen, hernach Europa und Asien“ (Dion. Per. 7–9).
Mehr zur Oikumene und zu den Erdteilen in der Periegese unten: Teil I. Kap. 2. Das Weltbild
des Dionysios Periegetes (Die Form der Landmasse und ihr Aufbau).
24
Die didaktische Richtung diktiert Dionysios, seinem Leser die Orientierung im Stoff mit
abschließenden Rekapitulationen (vgl. vv. 26, 41–42, 56–57, 169, 261–269, 320, 330, 383,
554, 612–619, 679, 761, 797–798, 960–961, 1166) oder Ankündigungen eines neuen Themas
(vv. 1 ff., 58, 170, 270, 331, 345, 447 ff., 555 ff., 650 f., 726, 762 ff., 799 ff., 881 ff., 933,
1053 ff., 1080, 1128 f.) zu erleichtern (EFFE (1977, 188). Mehr dazu s. unten: Teil I. Kap. 3.
Gattungsaspekte (Die Erdbeschreibung des Dionysios als didaktisches Werk).
25
In seinem Lehrgedicht führt Dionysios die Beschreibungen von ethnogeographischen
Objekten – der Ozeanteile, Meere, Völker und Stämme usw. – entlang imaginären „Routen“;
ausführlicher zum Fachwort „Route“ und seiner Rolle im Werk des Dionysios sowie zum
Ozean unten: Teil I. Kap. 2. Das Weltbild des Dionysios Periegetes (Raumerfassung).
26
Mehr zu den Katalogen im dionyseïschen Gedicht unten: Teil I. Kap. 3. Gattungsaspekte
(Das Gedicht des Dionysios Periegetes und die epische Tradition).
27
Zur Funktion der Musenanrufe in der Periegese des Dionysios unten: Teil I. Kap. 3.
Gattungsaspekte (Die Erdbeschreibung des Dionysios als didaktisches Werk).
28
Das Iberische, das Galatische, das Ligystische, das Tyrsenische, das Sardonische, das
Sikelische, das Adriatische, das Ionische, das Pharische, das Sidonische, das Issische und das
Ägäische Meer.

- 24 -
Teil I. Kap. 1. Das Werk: Titel, Inhalt, Autorschaft

Inseln29 und Kaps30 auf, die als Orientierungspunkte auftreten und dem Leser bei der
Bestimmung der Meeresgrenzen oder der Strömungsrichtungen helfen sollen. Nach Dionysios
gehören zum Mittelmeer auch die Propontis (das heutige Marmarameer), der Pontos Euxinos
(das heutige Schwarze Meer) und die Maiotis (das heutige Asowsche Meer), die er im Nord-
Osten des Mittelmeeres platziert.
Die weitere Behandlung ist den einzelnen Kontinenten und den Inseln gewidmet,
wobei Dionysios zuerst die westliche Hälfte der Oikumene (mit Libyen, Europa und den
Mittelmeersinseln) und danach die östliche Hälfte der Oikumene (mit Nord- und Südasien)
beschreibt; vor den Teil mit den Kontinenten stellt er das erste Ansprechen des Lesers (vv.
170–173)31.
Zu Beginn des „Kontinenten“-Teils mit der Beschreibung Libyens (vv. 174–269)
vergleicht Dionysios dessen Umrisse mit einem rechtwinkligen Trapez (v. 174) oder – in
einem anderen Vers – mit einem rechtwinkligen Dreieck (v. 274); die Trapezspitze bildet
Gades im Westen, die Basis ist das Arabische Meer im Osten, die Gebiete der Äthiopier und
der Eremben im Süden stellen einen weiteren Winkel dar; im Zentrum Libyens liegt der
Tritonische See.

Libyen

Abb. 1: Libyens Umrisse in Form eines Trapezes oder eines rechtwinkligen Dreiecks

Weiter werden sowohl die Stämme entlang der Mittelmeerküste Libyens32 als auch
Küstentoponyme und Hydronyme aufgezählt wie Karthago, die beiden Syrten, Neapolis und
Kyrene. Von Kyrene gedanklich weiterführend nennt Dionysios die Stämme in den inneren
Ländern Libyens33 und die Äthiopier an der süd-östlichen Spitze des Kontinents (vv. 184–
220). Zehn Verse widmet Dionysios der Beschreibung des Nils (vv. 221–231) und richtet
danach seine Aufmerksamkeit auf Ägypten: Hierüber erzählt er in einem gesonderten Exkurs
(vv. 232–260). Die Umrisse Ägyptens vergleicht Dionysios mit einem gleichseitigen Dreieck
(was von der Form des Nils und seines Delta bestimmt wird) und schreibt den Ägyptern die
allerersten Errungenschaften in Landwirtschaft, Haustierzüchtung und Astronomie zu; unter
den Städten Ägyptens nennt er seine Heimatstadt, Alexandria, mit der gegenüber liegenden

29
Kyrnos, Sizilien, Kreta, Sporaden.
30
Pachynos, Kriumetopon, Kasion.
31
Mehr zur Funktion des Ansprechen des Lesers im dionyseïschen Gedicht unten: Teil I. Kap.
3. Gattungsaspekte (Die Erdbeschreibung des Dionysios als didaktisches Werk).
32
Die Maseisylier, die Masyleer, die Lotophagen, die Nasamonen.
33
Die Asbysten, die Marmariden, die Gätuler, die Nigreten, die Pharusier, die Garamanten,
die Blemyer.

- 25 -
Teil I. Kap. 1. Das Werk: Titel, Inhalt, Autorschaft

Insel Pharos, Siene sowie Theben. Die Beschreibung Libyens endet Dionysios mit der
Erwähnung Pelusiums („der nach Peleus benannten Stadt“), das östlich des Nil liegt (vv. 261–
269).
Auf ähnliche Weise beschreibt Dionysios Europa (vv. 270–446) und vergleicht dabei
dessen Umrisse und Größe mit Libyen (vv. 270–280); die Spitze Europas bildet eine der
Herakles-Säulen (vv. 281–282, 335–336) oder das Heilige Kap, das auch „das Kopfende
Europas“ genannt wird (s. v. 562). Die Basis Europas bildet der Fluss Tanais, der Europa von
Asien trennt (s. vv. 14–16).

Europa

Libyen

Abb. 2: Umrisse Libyens und Europas

Mit dem Erzählen über Europa beginnt Dionysios wieder mit den westlichen Grenzen der
Oikumene, wobei er sowohl die Iberer, die im Norden an die Britten und die
westgermanischen Stämme grenzen, als auch die Pyrenäen und den Fluss Eridanos erwähnt.
Danach bewegt er sich gedanklich weiter in östlicher Richtung, zu den Alpen (vv. 281–297),
und lässt die Apenninhalbinsel und Hellas für einige Zeit außen. Dionysios überquert in
seinen Gedanken den Rhein und nennt Völker und Stämme am Istros, bis an die asiatische
Grenze Europas34.
Nach diesem Abschnitt beginnt Dionysios – wieder einer „Route“ von West nach Ost
folgend – die Beschreibung der Iberischen, Apennin- und Hellenischen Halbinsel, die Europa
wie ein dreifacher Sockel von der Seite des Mittelmeers herabstützen (vv. 331–333). So wird
Iberien zweimal beschrieben; zur vorigen Gestalt der Iberischen Halbinsel fügt Dionysios den
Berg Alybe im Westen, die Stadt Tartessos im Osten und den Stamm der Kempser im Norden
hinzu und markiert dabei die äußeren Grenzpunkte des Landes (vv. 334–338). Besondere

34
Die Länder nördlich des Flusses besiedeln die östlichen Germanen, die Sarmaten, die
Geten, die Daken, die Bastarnen, die Alanen, die Tauren, die Agaven, die Hippemolgen, die
Melanchlenen, die Neuren, die Hippopoden, die Gelonen sowie die Agathyrsen (vv. 298–
320), südlich vom Istros wohnen die Gerrher, die Noriker, die Pannonier, die Mysier sowie
die Thraker (vv. 321–330). Ausführlicher zu den Stämmen und Völkern am Nordufer des
Istros unten: Teil II. Kap. 8. Pontische Stämme und Völker (Die erste Route).

- 26 -
Teil I. Kap. 1. Das Werk: Titel, Inhalt, Autorschaft

Aufmerksamkeit wird auf die Umrisse und auf die Bevölkerung der Apenninhalbinsel (44
Verse) und der Panhellenischen Halbinsel (46 Verse) gerichtet. Die Gestalt der Italischen
Halbinsel wird durch die Apenninen bestimmt, die die ganze Halbinsel von Nord nach Süd,
von den Alpen bis zur „Sikelischen Furt“ (v. 344), in der Mitte durchschneiden. Die das Land
besiedelnden Völker zählt Dionysios traditionell vom nord-westlichen Punkt her auf35. In
Hellas beschreibt Dionysios sowohl Gebiete und Völker auf der Peloponnes36, als auch
Gebiete und Bevölkerung von Binnengriechenland37; dabei erwähnt der Periegetes auf der
Peloponnes meistens Flüsse38 und im nördlichen Griechenland nennt er meistens Berge39 (vv.
400–440).
Seine Beschreibung Europas beendet Dionysios mit der periphrastischen Erwähnung
des delphischen Heiligtums des Apollo (vv. 441–446)40 und bittet dann in einem Musenanruf
um Hilfe bei der weiteren Aufzählung der Inseln (vv. 447–449). Wieder seinem Prinzip
folgend beginnt Dionysios von Westen, mit der Insel Gadeira, und bewegt sich gedanklich
zum Osten des Mittelmeeres41. Einen gesonderten Abschnitt widmet er den griechischen
Inseln42; es folgen die Inseln im Pontos (Leuka) und in der Maiotis (vv. 450–554). Weiter
wird die Erzählung mit einer Liste der äußeren Inseln fortgesetzt, die sich in verschiedenen
Ozeanteilen befinden – die Liste beginnt traditionell im Westen und kehrt im Uhrzeigersinn
wieder zurück (sozusagen eine Miniatur-Ringkomposition) (vv. 555–619)43. Es ist
bemerkenswert, dass Dionysios im ersten Teil des Gedichtes mit der Ozeanbeschreibung
beginnt und danach zum Mittelmeer kommt, während er im „Insel-Abschnitt“ andersherum
zuerst die Inseln im Mittelmeer und dann erst die Ozeaninseln aufzählt.

35
Die Tyrsener, die Pelasger, die Latiner, die Kampaner, die Peukenter, die Leukaner, die
Brentier, die Lokrer, die Metapontier, die Sauniten, die Marser, die Iapyger, die Tergesträer.
Was die Toponyme und Hydronyme Italiens betrifft, so bestehen sie außer dem Tiber, Rom,
der Parthenopeia = Neapolis, den Sirenenfelsen und dem Silarosfluss aus den Namen der
Magna Graecia: die Kaps Leukopetra und Zephyros, die Städte Lokroi, Kroton, Sybaris,
Taras, der Fluss Aisaros sowie zwei Städte im Osten – Hyria und Tegestra (vv. 339–383).
Zwischen den Italischen und Panhellenischen Halbinseln nennt Dionysios Libyrnien, die
Hylleer, die Bulimer, Illyrien, die Keraunischen Berge, Thrakien und Orikien (vv. 384–399).
36
Triphylien, Asea, die Eleier, die Amykläer, die Apidaneischen Arkader, die Argeier, die
Lakonen.
37
Attika, die Böoter, Lokris, Thessalien, Makedonien, Dodona, die Ätolier, die Kephallenier,
Phokis.
38
Den Alpheios, den Eurotas, den Melas, den Kraphis, den Iaon, den Ladon sowie den Berg
Erymanthos.
39
Den Haimos, den Arakynthos, die Thermopylen, den Parnasos sowie die Flüsse – den
Ilissos, den Acheloos und den Kephisos.
40
Zur Beschreibung des Apollo-Heiligtums s. auch Teil I. Kap. 5. Mythologische
Vergangenheit im Werk des Dionysios Periegetes (Götter).
41
Über die Gymnesischen Inseln, Busos, Sardo = Sardinien, Kyrnos, Korsis, die Aiolos-
Inseln, Trinakrien, die Inseln in beiden Syrten und im Adriatischen Meer, Kypros, Rhodos.
42
Die Kykladen, die Sporaden, die Ionischen Inseln.
43
Erytheia, die Hesperischen Inseln, die Bretanischen Inseln, Thule, Chryse, Taprobane,
Ogyris, Ikaros.

- 27 -
Teil I. Kap. 1. Das Werk: Titel, Inhalt, Autorschaft

Am Anfang des Asienabschnitts vergleicht Dionysios die Umrisse Asiens mit einem
Konus, der der Gestalt der beiden Kontinente, Libyens und Europas, entspricht, nur etwas
kleiner. Nach Dionysios läuft die Grenze zwischen Europa und Libyen durch das Mittelmeer,
während das von West nach Ost ausgedehnte Gebirge Tauros die Grenze zwischen den
nördlichen und südlichen Teilen Asiens bildet. Während sich am äußersten westlichen Punkt
der Oikumene die Herakles-Säulen befinden, stehen im äußersten Osten der bewohnten Erde
die Dionysos-Säulen. Vor die Beschreibung Asiens stellt er die gesamte Kontinentansicht aus
der Vogelperspektive (vv. 620–649).

Europa N.Asien

Tauros

Libyen
S.Asien

Abb. 3. Die Umrisse Libyens, Europas und Asiens in Form zweier gleichschenkliger Dreiecke

Die präzise Beschreibung Asiens fängt mit einem Musenanruf an (vv. 650–651). Dem
Beschreibungsprinzip „von West nach Ost“ folgend beginnt Dionysios seine Erzählung über
den nördlichen Teil Asiens mit der im Schwarzmeergebiet liegenden Maiotis und dem Tanais,
geht dann der östlichen Pontosküste entlang und zählt dabei die dort wohnenden Völker und
Stämme auf (vv. 652–705)44. Dann biegt Dionysios ostwärts ab (statt hier mit der
Beschreibung des südlichen Pontos zu beginnen, wie man erwarten würde). Er geht den
Umrissen des Kaspischen Meeres nach (vv. 718–725) und zählt die Stämme in seiner Nähe
auf (vv. 726–734)45; diesen Abschnitt ergänzt Dionysios mit einer Selbstaussage (vv. 707–
717). Weiter verfolgt Periegetes in östlicher Richtung die Flüsse Mardos, Araxos, Iaxartos
und die hier wohnenden Stämme46 und erreicht so die Ostgrenzen des nördlichen Asiens,
Siedlungsgebiet der Serer (vv. 735–761).

44
Die Maioten, die Sauromaten, die Sinder, die Kimmerier, die Kerketer, die Toreter, die
Achaier, die Heniocher, die Zyger, die Tindariden, die Kolcher, die kaukasischen Iberer sowie
die Kamariter. Ausführlicher zur dionyseïschen Beschreibung der Maiotis und der nord-
östlichen (kaukasischen) Küste des Pontos s. unten: Teil II. Kap. 8. Pontische Völker und
Stämme (Die zweite Route).
45
Die Skythen, die Thyner, die Kaspier, die Albaner, die Kadusier, die Marder, die
Hyrkanier, die Tapyrer, die Derkebier und die Baktrer.
46
Die Massageten, die Chorasmier, die Saker, die Tocharer sowie die Phrunen.

- 28 -
Teil I. Kap. 1. Das Werk: Titel, Inhalt, Autorschaft

Danach kehrt Dionysios zur vorher unterbrochenen Beschreibung des Euxinischen


Pontos zurück und benennt im Uhrzeigersinn die Völker an seiner südlichen Küste (vv. 762–
798)47. Die Beschreibung des nördlichen Teils Asiens endet mit einem ausführlichen Bericht
über Kleinasien: über die hier wohnenden Völker48, über seine Länder49, Städte50, Flüsse51
und Bergspitzen52 (vv. 799–880).
Vor dem Abschnitt über den südlichen Teil Asiens spricht er den Leser nochmals
direkt an (vv. 881–886), danach erzählt er weiter von der Mittelmeerküste – über Koilesyrien
(mit den Bergspitzen Kasion und Libanos an seinen Grenzen und einem Katalog von 12
Städten) und Arabia Felix (ihren Einwohnern stellt Dionysios die benachbarten armen
Eremben gegenüber) in die östliche Richtung, über das „andere Syrien“ (das die Kappadoken
im Binnenland und die Assyrier an der Meeresküste besiedeln), Mesopotamien53, über die
benachbarten Länder54, danach die Kaspische Pforte und das reiche Persien (mit den Flüssen
Koros und Choaspes), über die benachbarten Stämme55 sowie die Indien besiedelnden
Völker56 und ihre Flüsse57 (vv. 897–1151). Die Beschreibung des südlichen Asiens und
Indiens beendet Periegetes mit einer kurzen Geschichte vom Sieg des Dionysos-Bacchos über
die indischen Stämme, wonach an den östlichen Grenzen der Oikumene die Dionysos-Säulen
aufgestellt wurden (vv. 1152–1165).
Im Epilog des geographischen Lehrgedichts erklärt Dionysios die Vielfältigkeit der
Länder, Völker, Meere, Strömungen, Berge und ihrer Besonderheiten durch den
Schaffenswillen des großen Zeus und anderer Götter (vv. 1166–1186)58. Indem Dionysios
damit zu den im Prolog angekündeten Themen zurückkehrt, endet er sein Werk mit einer
schönen Ringkomposition.

47
Die Byzerer, die Becheirer, die Makronen, die Phylirer, die Mossyniker, die Tibarener, die
Chalyber, die Amazoniden, die Paphlagonen, die Mariandyner, die Bithynen. Ausführlicher
zur Beschreibung der südlichen pontischen Küste bei Dionysios unten: Teil II. Kap. 8.
Pontische Völker und Stämme (Die vierte Route).
48
Die Chalkidenser, die Bebryker, die Lykier, die Pamphylier, die Lykaonen, die Pisidier, die
Kilikier.
49
Mysien, Kleines und Grosses Phrygien, Äolien, Ionien, Mäonien, Pamphylien,
Kommagenien.
50
Ilios, Milet, Priene, Ephesos, Aspendos, Korykos, Perge, Phaselis, Telmessos, Lyrbe, Selge,
Tarsos, Lyrnessos, Mallos, Anchiale, Soloi.
51
Kios, Sangarios, Xanthos, Simoeis, Maiandros, Paktolos, Kaystros, Eurymedon, Pyramos,
Pinaros, Kydnos.
52
Ida, Tmolos, Kragos, Kassios.
53
Mit den Flüssen Euphrat, Teredon, Tigris, dem See Thonitis sowie dem berühmten
Babylon.
54
Die Länder der Armenier, der Matiener, der Kisser, der Messabaten, der Chaloniten, der
Geler, der Marder, der Atropatenier, der Meden.
55
Die Saber, die Pasargader, die Tasker, die Karmanier, die Gedroser, die Ariber, die Oreter,
die Arachonten, die Satraiden, die Ariener.
56
Die Inder, Dardanier, Toxiler, Saber, Skodrer, Peukalier, Gargariden.
57
Indos, Ganges, Hydaspes, Akesines, Kophes, Hypanis und Magarsos.
58
Mehr zur Struktur des Epilogs unten: Teil I. Kap. 3. Gattungsaspekte (Die Erdbeschreibung
des Dionysios als didaktisches Werk).

- 29 -
Teil I. Kap. 1. Das Werk: Titel, Inhalt, Autorschaft

Es wurde deutlich, dass das dionyseïsche Werk hauptsächlich aus zahlreichen Listen
verschiedener Toponyme, Hydronyme und Ethnonyme besteht, die vom Autor mit
erklärenden „Übergängen“ verbunden sind. Die realen Reisewege und Ortsnamen werden von
Dionysios in seiner Periegese mit den Routen der mythologischen Geographie der
Argonauten und des Odysseus, des Herakles und des Dionysos vereinigt59. Dies alles verweist
auf die Tatsache, dass Dionysios in seinem Werk stark buchwissenschaftlich und antiquarisch
interessiert gewesen sein muss60.

1.3 Zum Problem der Attributionsgeschichte des Textes


Das geographische Gedicht des Dionysios Periegetes Erdbeschreibung enthält weder direkte
Hinweise auf die Epoche, in der das Werk geschaffen wurde, noch den Namen seines Autors.
Die spätantiken und mittelalterlichen Vermutungen über die Herkunft des Dionysios und über
die Zeit, in der er sein Gedicht geschrieben haben könnte, sind widersprüchlich. So glaubt z.
B. ein anonymer Autor der griechischen Scholien61 sowie ein byzantinischer Biograph aus
dem Codex Chisianus (14. Jh.)62, dass Dionysios zu Zeiten des Römischen Reiches gelebt
habe. Im Lexikon von Suda finden sich die Namen von mehreren Dionysii, die zu
verschiedenen Zeiten als Autoren einer Periegese galten, und zwar eines Dionysios von
Korinth, eines Dionysios von Milet, eines Dionysios von Rhodos und – in einem einzelnen
Artikel – eines Dionysios aus dem römischen Ägypten, der mit der berühmten
alexandrinischen Bibliothek verbunden war63. Der Kirchenvater und Geograph des 12. Jhs.

59
Ausführlicher zu den indirekten Hinweisen des Dionysios auf seine Benutzung der
literarischen Quellen und zu seinen vermutlichen Quellen unten: Teil I. Kap. 2. Das Weltbild
des Dionysios (Die Quellenfrage) sowie Teil I. Kap. 4. Die poetische Technik des Dionysios
Periegetes (Intertextualität). Zu Parallelen zwischen der Erdbeschreibung des Dionysios und
der Argonautika des Apollonios Rhodios s. auch Teil II. Kap. 8. Pontische Völker und
Stämme (Die vierte Route).
60
Mehr zur buchwissenschaftlichen und antiquarischen Richtung im 2. Jh. s. z. B.: REARDON
(1971), bes. 229–231 (unter den Dichtern des 2. Jhs. erwähnt der Forscher auch den
Dionysios Periegetes, analysiert sein Werk jedoch nicht).
61
∆ιονύσιος ὁ περιηγητὴς γέγονεν υἱὸς ∆ιονυσίου (∆ίωνος et ∆ιώνου var. lect.)
Ἀλεξανδρέως (υἱὸς ∆ιώνου Ἀλεξάνδρου ἢ κατά τινας ∆ιονυσίου Codex C). Γέγονε δὲ ἐπὶ τῶν
τῶν Ῥωµαϊκῶν χρόνων µετὰ Αὔγουστον Καίσαρα ἢ ἐπ᾿ αὐτοῦ. [Οἱ δὲ κατὰ Νέρωνα τὸν
Ῥωµαίων βασιλέα φασὶ γενέσθαι. Ἄδηλον δὲ πόθεν γέγονε καὶ τίνων γονέων. Haec addit
codex Ω]. Φέρονται δὲ αὐτοῦ καὶ ἄλλα συγγράµµατα, Λιθιακά τε καὶ Ὀρνιωιακὰ καὶ
Βασσαρικά· ὧν τὰ µὲν Λιθιακὰ ἐκρίθησαν ἴδια ∆ιονυσίου καὶ αὐτὰ διὰ τὴν τοῦ χαρακτῆρος
ὁµοιότητα· τὰ δὲ Βασσαρικὰ διὰ τὴν τραχύτητα οὐκ ἄξια τούτου κριθέντα εἰς τὸν Σάµιον
ἀνηνεχθησαν ∆ιονύσιον, τὰ δὲ Ὀρνιθιακὰ εἰς ἄλλον τινὰ Φιλαδελφέα ∆ιονύσιον (Schol. ad
Dion. Per. 1–12 Müller). Τὴν δὲ Λιβύην προέταξει ὅτι Λίβυς ἦν ἢ διὰ τὸν Νεῖλον (Schol. ad
Dion. Per. 23–24 Müller).
62
∆ιονύσιος ὁ Περιηγητὴς υἱὸς µὲν ∆ιονυσίου ἦν, γένει Ἀλεξανδρεὺς ἐκ πολιτείας ἐνδόξου,
τοῖς δὲ τῶν αὐτοκρατόρων ἦν χρόνοις, ὡς αὐτὸς ἐν τούτῳ τῷ ποιήµα τί φησι Ῥώµην
τιµήεσσαν ἐµῶν µέγαν οἶκον ἀνάκτων (Codex Chisianus R IV 20, 1–5 Rühl).
63
∆ 1177: <∆ιονύσιος,> Κορίνθιος, ἐποποιός· Ὑποθήκας· Αἴτια ἐν βιβλίῳ αu (ἐν βιβλίοις γu
Eudoc.), Μετεωρολογούµενα· καὶ καταλογάδην Ὑπόµνηµα εἰς Ἡσίοδον· Οἰκουµένης

- 30 -
Teil I. Kap. 1. Das Werk: Titel, Inhalt, Autorschaft

Guido von Pisa meint, der Dichter sei „Dionysios aus Ionien, der 20 Jahre als Bibliothekar in
Rom gearbeitet habe“64. Der byzantinische Gelehrte Eustathios von Thessaloniki (12. Jh.)
nennt den Autor in seinem Kommentar zur Periegese „Libyer“ (d.h. aus Nordlibyen
stammend)65.
Erst am Ende des 19. Jahrhunderts gelang es, den Geburtsort des Dionysios und seine
Autorschaft zu attribuieren und den chronologischen Rahmen seines Gedichtes zu bestimmen.
Dies alles wurde aufgrund der zwei von GUSTAV LEUE im Text der Erdbeschreibung
entdeckten Akrosticha (vv. 112–134 und 513–532) ermöglicht: Die zwei Akrosticha ließen
den Forscher darauf schließen, dass das geographische Werk von einem Dionysios aus dem
ägyptischen Alexandria stammt, der zur Regierungszeit des römischen Kaisers Hadrian (117–
138) lebte66. LEUES Entdeckung hat jedoch zu keiner endgültigen Lösung der
Autorschaftsfragen geführt – nach seinen Veröffentlichungen erschien eine ganze Menge von
Publikationen zu diesem Thema und das bis heute noch67. Die Forscher diskutieren weiter
über die Glaubwürdigkeit und Interpretation der Daten beider Akrosticha.

1.3.1 Zum Gebrauch von Akrosticha in den antiken dichterischen Texten


Indem Dionysios die Daten über sich selbst in den Akrosticha verschlüsselt, schließt er sich
einer langen Tradition des literarischen Spiels zwischen Autor und aufmerksamen Lesern an.
Man pflegt zu glauben, die Quellen des Akrostichons lägen in der nahöstlichen Dichtung;

περιήγησιν δι᾿ ἐπῶν. ταῦτα δὲ εὗρον καὶ ἐν ∆ιονυσίῳ τῷ τὰ Λιθιακὰ γράψαντι· πότερος οὖν
αὐτῶν οὐκ οἶδα.
∆ 1180: <∆ιονύσιος,> Μιλήσιος, ἱστορικός. Τὰ µετὰ ∆αρεῖον ἐν βιβλίοις εu, Περιήγησιν
οἰκουµένης· Περσικὰ Ἰάδι διαλέκτῳ· Τρωικῶν βιβλία γu· Μυθικά· Κύκλον ἱστορικὸν ἐν
βιβλίοις ζu.
∆ 1181: <∆ιονύσιος,> Μουσωνίου, Ῥόδιος ἢ Σάµιος, ἱστορικός· ἦν δὲ καὶ ἱερεὺς τοῦ ἐκεῖσε
ἱεροῦ τοῦ ἡλίου. Ἱστορίας τοπικὰς ἐν βιβλίοις u, Οἰκουµένης περιήγησιν, Ἱστορίας
παιδευτικῆς βιβλία ιu. ὑπολαµβάνω ὅτι ∆ιονύσιος ὁ Περιηγητὴς Βυζάντιος ἦν, διὰ τὸν
ποταµὸν Ῥήβαν.
∆ 1173: <∆ιονύσιος,> Ἀλεξανδρεύς, ὁ Γλαύκου υἱός, γραµµατικός· ὅστις ἀπὸ Νέρωνος
συνῆν καὶ τοῖς µέχρι Τραϊανοῦ καὶ τῶν βιβλιοθηκῶν προὔστη καὶ ἐπὶ τῶν ἐπιστολῶν καὶ
πρεσβειῶν ἐγένετο καὶ ἀποκριµάτων. ἦν δὲ καὶ διδάσκαλος Παρθενίου τοῦ γραµµατικοῦ,
µαθητὴς δὲ Χαιρήµονος τοῦ φιλοσόφου, ὃν καὶ διεδέξατο ἐν Ἀλεξανδρείᾳ. Diesen
Grammatikos Dionysios erwähnt in einem Artikel E. L. BOWIE (1982, 41 und 57).
64
De qua Sybari refert Iuvenalis satiricus [Sat. VI 296], latius tamen Dionisius Ionicus, qui
Romae bibliothecarius per annos fuit viginti et orbem metro heroico graeco carmine
descripsit: Est, inquit, magnum latibuli aggestum seductae Sybaris, incolas gementis ruentes,
ob cultum Alphei oppressos (ed. PINDER–PARTHEY (1860) 466).
65
Ὁ δὲ ∆ιονύσιος Λίβυς µὲν ἱστορεῖται τὸ γένος, συγγράψαι δὲ καὶ ἄλλα βιβλία λέγεται,
Λιθιακά etc. ut apud scholiastam (Eust. ad Dion. Per. epist. P. 215 Müller).
66
LEUE (1884); LEUE (1925). Später wurde von P. COUNILLON (1981, 514–522) noch ein
Akrostichon in der Periegese gefunden (ΣΤΕΝΗ, vv. 307–311), das aber keine neue
Information zur Datierung des Werkes bringt.
67
S., z. B., Artikel von WACHSMUTH (1889); NAUCK (1889); KLOTZ (1909); JACOB (1984);
JACOB (1991); WHITE (2001) oder STOCK (2002), der das Werk auf ca. 300 n. Chr. datiert.

- 31 -
Teil I. Kap. 1. Das Werk: Titel, Inhalt, Autorschaft

nachdem das Akrostichon sich aus akkadischen Zauberspruchgebeten, biblischen Klagen


Jeremias und Sprüchen Salomos entwickelt hatte, bekam es in der Antike – hauptsächlich
schon zu hellenistischer Zeit – neben wortspielerischen noch zusätzliche Funktionen68. Das
den Forschern vorliegende antike Material lässt jedoch den Schluss zu, dass sich das
Akrostichon im archaischen und klassischen Griechenland unabhängig von der nahöstlichen
Tradition ausbreitete und seine Blütezeit in dichterischer Form im Hellenismus erreichte69.
Betonung, Rhythmus, Reim und andere poetische Mittel wirken natürlich auf das Gehör ein,
während der Gebrauch eines Akrostichons vor allem auf eine visuelle Wahrnehmung zielt und
zudem an einen gebildeten Leser ganz besondere Anforderungen stellt70.
Wenn man ein – wahrscheinlich71 – zufälliges Akrostichon von Homer (ΛΕΥΚΗ: Il.
XXIV 1–5) außer Acht lässt72, dann findet sich eines der ältesten Beispiele in
Papyrusfragmenten des Chairemon (Ende des 5. Jhs. v. Chr.), in dem das Akrostichon den
Namen des Autors bildet (ΧΑΙΡΗΜ-: F 14 b Snell). Danach finden sich die Akrosticha des
Philostephanos, eines gelehrten Dichters zur Zeit des Kallimachos (3. Jh. v. Chr.)73, die des
Arat von Soloi (3. Jh. v. Chr.), der das astronomische System des Eudoxos von Knidos
dargelegt und darin Mythen über Sternzeichen verwendet (ΛΕΠΤΗ: Phaen. 783–787)74.
Überdies sind die Akrosticha eines jüngeren Zeitgenossen von Arat bekannt, des Nikander
von Kolophon (3.–2. Jh. v. Chr.), in dessen beiden Gedichten E. LOBEL den Autornamen
gefunden hat (ΝΙΚΑΝ∆ΡΟΣ: Ther. 345–353 und σΙΚκΝ∆ΡΟΣ: Alex. 266–274)75. Es gibt
auch ein Akrostichon im jambischen Proömium zu einem dem Eudoxos zugeschriebenen
astronomischen Traktat des 2. Jh. v. Chr. (ΕΥ∆ΟΞΟΥ ΤΕΧΝΗ: F 137 Lasserre)76, und
schließlich gibt noch eines im geographischen Gedicht des Dionysios, Sohnes des Kalliphon
(1. Jh. v. Chr.), in dem die Buchstaben der ersten 23 Proömiumverse den Namen des Autors
bilden (∆ΙΟΝΥΣΙΟΥ ΤΟΥ ΚΑΛΛΙΦΩΝΤΟΣ)77.
68
Zum Problem der Akrosticha in der Antike s.: GRAF (1893); VOGT (1966); COURTNEY
(1990); BRAND (1992).
69
KAZANSKI (1997) 131–145.
70
Vgl.: […] tum vero ea quae acrostichis dicitur, cum deinceps ex primis versus litteris
aliquid conectitur, ut in quibusdam Ennianis Q. ENNIUS FECIT. Id certe magis est attenti
animi quam furentis (Cic. De div. II 111).
71
S. dazu: KORENJAK (2009) 392–396, der auf dem Beispiel der dionyseïschen
Erdbeschreibung zeigt, dass Dionysios Periegetes dieses Akrostichon bei Homer gesehen und
darauf im eigenen Text gespielt hat.
72
Der zufällige Charakter dieses Akrostichons war bereits den antiken Kommentatoren des
Homer offensichtlich, s. z. B.: Gell. NA XIV 6, 4; Eust. ad Hom. Il. XXIV 1–5, p. 856 (van
der Valk). Andere Meinung hat aber DAMSCHEN (2004) 105, Anm. 55, der bezweifelt, dass es
sich bei ΛΕΥΚΗ um eine Zufälligkeit handelt.
73
LLOYD-JONES / PARSONS (1983) 335–336 (F 691–693).
74
Eigentlich stellt das literarische Akrostichon des Arat einen anderen Typus dar: Es geht
dabei nämlich nicht um eine Unterschrift des Autors, sondern um eine verschlüsselte
Bedeutung; zum arateïschen Akrostichon s.: JACQUES (1960); DANIELEWICZ (2005) mit
weiteren Beispielen und mehr Literatur zu den Akrosticha bei Arat.
75
LOBEL (1928).
76
PAGE (1950) 467–469.
77
Die neueste kritische Ausgabe des Textes s.: MARCOTTE (1990).

- 32 -
Teil I. Kap. 1. Das Werk: Titel, Inhalt, Autorschaft

1.3.2 Das erste Akrostichon in der Periegese des Dionysios

∆οιαὶ δ' ἑξείης προτέρω φρίσσουσι θάλασσαι,


Ἰσµαρικοῦ πνοιῇσιν ἐλαυνόµεναι βορέαο,
Ὀρθὸν φυσιόωντος, ἐπεὶ κατεναντία κεῖται·
Ναῦται δὲ πρώτην Φαρίην ἅλα κικλήσκουσιν,
Ὕστατον ἐς πρηῶνα τιταινοµένην Κασίοιο
Σιδονίην δ' ἑτέρην, ὅθι τείνεται ἐς µυχὰ γαίης
<Ἰσσοῦ ἄχρι πτόλιος, Κιλίκων χώρην παραµείβων,>
Ἰσσικὸς ἑλκόµενος βορέην ἔπι πόντος ἀπείρων,
Οὐ µὲν πολλὸν ἄνευθεν ἰσόδροµος· ἄγχι γὰρ ἤδη
Ὑσπληγι δνοφερῇ Κιλίκων ἀποπαύεται αἴης·
Τῆµος ἐπὶ ζέφυρον στρεπτὴν ἐπερεύγεται ἅλµην.
Ὡς δὲ δράκων βλοσυρωπὸς ἑλίσσεται, ἀγκύλος ἕρπων,
Νωθής, τῷ δ' ὑπὸ πᾶσα βαρύνεται οὔρεος ἄκρη
Ἐρχοµένῳ· τὼς κεῖνος ἑλίσσεται εἰν ἁλὶ κόλπος,
Νήχυτος, ἔνθα καὶ ἔνθα βαρυνόµενος προχοῇσιν.
Τοῦ µὲν ἐπὶ προχοῇς Παµφύλιοι ἀµφινέµονται,
Ὅσσον ἐπιπροβέβηκε Χελιδονίων ἐπὶ νήσων·
Σῆµα δ' ἔχει ζεφύρου Παταρηΐδα τηλόθεν ἄκρην.
Φράζεο δ', ἐκ κείνου τετραµµένος αὖτις ἐπ' ἄρκτοις,
Αἰγαίου πόντοιο πλατὺν ῥόον, ἔνθα τε κῦµα
Ῥησσόµενον νήσοισι περιβρέµεται Σποράδεσσιν·
Οὐ γάρ τις κείνῳ ἐναλίγκια κύµατ' ὀφέλλει,
Ὑψόθι µορµύρων, ἕτερος πόρος ἀµφιτρίτης

„Anschließend aber im Voranschreiten sind zwei Meere ruppig und rauh,


getrieben von den Böen des Ismarischen Boreas,
des geradewegs auf sie zuschnaubenden, da sie ihm gegenüber liegen:
Seeleute rufen die erste Pharische Salzflut,
die sich zum äußersten Vorsprung des Kasion spannt;
Sidonische das andere, sich erstreckend in die innersten Winkel des Landes hinein
– bis zur Stadt Issos, an der Kilikier Land entlang –
der unendliche Issische Golf, sich hinziehend nach Norden,
– nicht allerdings weit fort gleichlaufend: denn nahe schon
bremst er sich vor dem Land der Kilikier in einer dunklen Kehre;
alsdann speit er die dem Zephyros zugekehrte Salzflut hin.
Wie ein grimmig blickender Drache sich windet, gekrümmt kriechend,
träg, doch unter ihm die ganze Bergesspitze beschwerend,
wenn er einherzieht, so windet sich jener Golf in der Salzflut,
weit ausgegossen, hier und da von Flutmassen beschwert.
An dessen Flut nun siedeln ringsum die Pamphylier –
soweit, bis er an die Schlupfwinkel der Schwalbeninseln vorgerückt ist;
Grenzmal des Westens aber ist ihm die ferne Landspitze Patara.
Doch merke auf, von jenem aus wiederum zum Bärengestirn gewandt,
den breiten Pfad des Ägäischen Meeres, wo die Woge,
sich brechend, die Inseln der Sporaden rings umtost;

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Teil I. Kap. 1. Das Werk: Titel, Inhalt, Autorschaft

denn keiner türmt jenem vergleichbare Wogen empor,


hoch oben brausend, - kein anderer Pfad des Meeres!“ (Dion. Per. 112–134).

Also lautet das erste von G. LEUE in der Periegese entdeckte Akrostichon folgendermaßen:
∆ΙΟΝΥΣ[Ι]ΙΟΥ ΤΩΝ ΕΝΤΟΣ ΦΑΡΟΥ ”<ein Werk> des Dionysios <unter den> auf dieser
Seite von Pharos <wohnenden>“. Daraus kann man schließen, dass der Autor des Werkes
Dionysios hieß und sein geographisches Gedicht im ägyptischen Alexandria schrieb. Die im
ersten Akrostichon benutzte Präposition ΕΝΤΟΣ (cum gen.) ist bereits für die homerischen
und hesiodeïschen Epen üblich; in der Erdbeschreibung wird die Präposition in räumlicher
Bedeutung benutzt: d. h. „an dieser Seite, in den Grenzen, nebenan“ und soll auf das
gegenüber Pharos liegende Alexandria hinweisen. Die Insel Pharos war mit der auf dem
Festland liegenden Stadt Alexandria durch einen Damm verbunden und für die meisten
Ausländer bzw. Reisenden durch ihren weltweit berühmten Leuchtturm bekannt78. So macht
Dionysios sich durch die Erwähnung von Pharos bzw. des Leuchtturms von Pharos für alle
Nicht-Ägypter bekannt und weist auf seine Herkunft aus dieser Gegend hin79. Seine
Zugehörigkeit zu Ägypten und Alexandria möchte er ebenfalls durch die Nennung des
Pharischen Meeres (Φαρίην ἅλα, v. 115) innerhalb des ersten Akrostichons nochmals
betonen. So kann man sehen, dass Dionysios sich nicht auf die formale Seite (hätte er doch
sein erstes Akrostichon an den Anfang des Gedichtes platzieren können) sondern auf die
inhaltliche orientiert. Der Dichter hätte sich bzw. sein Werk im Akrostichon auch als
∆ΙΟΝΥΣΙΟΥ ΤΟΥ ΑΛΕΞΑΝ∆ΡΕΩΣ bezeichnen können, bevorzugt jedoch anscheinend
eine angemessene und feinere Redewendung.
Der Entdecker des Akrostichons G. LEUE ergänzte das Akrostichon mit den ersten Buchstaben der
vorangehenden drei Verse (ΕΜΗ ∆ΙΟΝΥΣ[Ι]ΙΟΥ ΤΩΝ ΕΝΤΟΣ ΦΑΡΟΥ), ἐµή („meine“, vv. 109–
111) bedeute dabei ποίησις („Schöpfung“)80. G. F. UNGER meinte, ἐµή sei als ἐµὴ πατρίς oder ἐµὴ
πόλις zu verstehen; H. DIELS möchte das Akrostichon mit ἐστὶν ἡ βίβλος oder ἐστὶν ἡ τέχνη
ergänzen81. A. NAUCK bevorzugte die Lesart ἔπη („Epos“) an dieser Stelle, wobei er in v. 110 seine
eigene Konjektur vorschlug: πολλόν statt µακρόν, die oft von den antiken Autoren ausgetauscht
wurden; er stützte sich dabei auf den Gebrauch von πολλόν bei Dionysios selbst (in vv. 147, 360,

78
Der erste und berühmteste Leuchtturm der Antike wurde in den Jahren 299–279 v. Chr. von
Sostratos von Knidos auf Pharos errichtet (Strabo XVII 1 – 6 C 791–792; Plin. nat. hist.
XXXVI 83 u.a.), am Anfang des 14. Jhs. n. Chr. zerstört; die Abbildungen des Leuchtturms
von Pharos sind vor allem durch alexandrinische Münzen bekannt (KEES (1938) 1858–1859).
79
Einige Besonderheiten des Gedichtes zeugen ebenso von der Herkunft des Dionysios aus
Alexandria: So fällt es ins Auge, dass die Beschreibung Ägyptens (des Nil-Flusses, von
Syene, Theben, des Memnon-Riesen, der „makedonischen“ Stadt Alexandria u.a.) in seinem
Gedicht ziemlich viel Platz einnimmt (vv. 220–259) – besonders im Vergleich zum knappen
Umfang des ganzen Werkes (1186 Verse insgesamt). Dionysios schreibt Ägypten die
führende Rolle in der Entwicklung der antiken Zivilisationen zu: Nach seinen Worten sei der
Ackerbau eben bei den Ägyptern geboren und hätten die Ägypter die astronomische
Gliederung eines landwirtschaftlichen Jahres berechnet.
80
LEUE (1884) 176. Diese Ergänzung des ersten Akrostichons verteidigt auch E. AMATO
(2004, 1; 2005, 57), der seinerseits aber ἐµή als Περιήγησις interpretiert.
81
UNGER (1887) 53; DIELS (1890) 34.

- 34 -
Teil I. Kap. 1. Das Werk: Titel, Inhalt, Autorschaft

398, 400)82. C. WACHSMUTH findet jedoch es überhaupt nicht notwendig, ἐµή / ἔπη ins
Akrostichon einzuschließen, weil bereits der Genetiv ∆ΙΟΝΥΣ[Ι]ΙΟΥ für die
Autorschaftsattribution reiche. Er beweist dies mit einem ähnlichen Gebrauch des Genetivs im
Akrostichon eines Vorgängers unseres Dionysios, und zwar des Autors eines anderen
geographischen Gedichtes, des Dionysios, Sohnes des Kalliphon: ∆ΙΟΝΥΣΙΟΥ ΤΟΥ
ΚΑΛΛΙΦΩΝΤΟΣ (vv. 1–23). Die Buchstabenverbindung ἐµή / ἔπη hält WACHSMUTH für eine
zufällige (ebenso wie in vv. 204–207, wo man τῆλε „weit“ lesen kann), da der Inhalt der das erste
Akrostichon bildenden Verse 112–134 einen bündigen Abschnitt darstelle: Diese Passage ist einer
Beschreibung der Pharos-, Sidonischen und Issischen Meeren gewidmet. Ich teile WACHSMUTHS
Meinung und begrenze das erste Akrostichon der Periegese mit den Versen 112-134.
Mit seinem verschlüsselten Namen schließt sich also Dionysios Periegetes der längst vor ihm
ausgestalteten poetisch-didaktischen Tradition der Autorschaftsbefestigung in Akrosticha an;
dies kann sowohl auf eine Neigung des Autors zum Wortspiel als auch für ein ausgeprägtes
Selbstbewusstsein hinweisen, und vielleicht auch darauf, dass er viel von seinen Lesern
erwartete.

1.3.3 Das zweite Akrostichon im Gedicht des Dionysios

Θηητὸς δέ τίς ἐστι βαθὺς πόρος Αἰγαίοιο,


Ἐντὸς ἔχων ἑκατέρθεν ἀπειρεσίων στίχα νήσων,
Ὅσσον ἐπὶ στεινωπὸν ὕδωρ Ἀθαµαντίδος Ἕλλης,
Σηστὸς ὅπῃ καὶ Ἄβυδος ἐναντίον ὅρµον ἔθεντο.
Εὐρώπης δ' αἱ µὲν λαιῆς ὑπὸ νεύµατι χειρὸς
Ῥώονθ' ἑξείης, Ἀσίης δ' ἐπὶ δεξιὰ κεῖνται,
Μῆκος ἐπ' ἀρκτῴοιο τιταινόµεναι βορέαο.
Ἤτοι δ' Εὐρώπης µὲν Ἀβαντιὰς ἔπλετο Μάκρις
Σκῦρός τ' ἠνεµόεσσα καὶ αἰπεινὴ Πεπάρηθος·
Ἔνθεν καὶ Λῆµνος, κραναὸν πέδον Ἡφαίστοιο,
Πέπταται, ὠγυγίη τε Θάσος, ∆ηµήτερος ἀκτή,
Ἴµβρος Θρηϊκίη τε Σάµος, Κυρβάντιον ἄστυ.
Αἳ δ' Ἀσίης πρώτην αἶσαν λάχον, ἀµφὶς ἐοῦσαι
∆ῆλον ἐκυκλώσαντο, καὶ οὔνοµα Κυκλάδες εἰσί·
Ῥύσια δ' Ἀπόλλωνι χοροὺς ἀνάγουσιν ἅπασαι,
Ἱσταµένου γλυκεροῦ νέον εἴαρος, εὖτ' ἐν ὄρεσσιν
Ἀνθρώπων ἀπάνευθε κύει λιγύφωνος ἀηδών.
Νῆσοι δ' ἑξείης Σποράδες περὶ παµφαίνουσιν,
Οἷον ὅτ' ἀνεφέλοιο δι' ἠέρος εἴδεται ἄστρα,
Ὑγρὰ νέφη κραιπνοῖο βιησαµένου βορέαο.

„Betrachtenswert aber ist der tiefe Pfad der Ägäis,


in sich fassend zu beiden Seiten eine Zeile unendlicher Inseln,
soweit bis zum engporigen Wasser der Athamastochter Helle hin,
82
NAUCK (1889) 325. LEUE hat die von NAUCK vorgeschlagene Konjektur angenommen und
auf dieser Grundlage noch zusätzliche Gedanken ausgeführt, s. LEUE (1925).

- 35 -
Teil I. Kap. 1. Das Werk: Titel, Inhalt, Autorschaft

wo sich Sestos und Abydos den jeweils gegenüberliegenden Hafen anlegten.


Zu Europa gehörig die einen – unter dem Wink der linken Hand
tummeln sie sich der Reihe nach; die Asiens aber liegen zur Rechten,
der Länge nach sich ausdehnend zum arktischen Boreas.
Zu Europa, wohlan nun, gehörig war und ist die Abantische Makris –
und Skyros, die windgepeitschte, und die steile Peparethos;
von da aus liegt auch Lemnos, der felsige Boden des Hephaistos,
ausgebreitet – und die altehrwürdige Thasos, der Demeter Kornküste,
Imbros und die Thrakische Samos, die Korybantenstadt.
Welche aber von Asien den ersten Anteil erlosten, rundherumliegend
kreisten sie Delos sich ein – und heißen mit Namen Kykladen;
als Dankesopfer führen sie allesamt dem Apollon Reigentänze auf,
wenn gerade neu der süße Frühling sich einstellt, während in den Bergen
abseits der Menschen die hellstimmige Nachtigall brütet.
Anschließend aber leuchten klar ringsum die Sporadeninseln,
wie wenn durch den wolkenlosen Luftraum Gestirne sich sehen lassen,
sobald die dunstfeuchtigen Wolken der reißende Boreas in seine Gewalt gebracht hat“
(Dion. Per. 513–532).

Aus dem zweiten Akrostichon im Text der Erdbeschreibung ΘΕΟΣ ΕΡΜΗΣ ΕΠΙ
Α∆ΡΙΑΝΟΥ „Gott Hermes zu Hadrian’s Zeiten“ kann man schließen, dass Dionysios von
Alexandria sein Gedicht während der Regierung Kaisers Hadrian geschrieben hat, d. h. in den
Jahren 117–138.
Die Abschnitte mit den zwei Akrosticha zeigen rein formal eine Ähnlichkeit: Die
Akrosticha sind von ähnlicher Länge – jeweils 22 und 20 Buchstaben (bzw. Verse). Die
beiden Abschnitte ergänzen einander, als ob es dazwischen keinen Text gäbe: Während der
erste mit der Erwähnung des Ägäischen Meeres und der darin liegenden Sporaden beendet
wird (vv. 130–134), beginnt der zweite mit der Beschreibung des Ägäischen Meeres (v. 513)
und der darin liegenden Inseln, die Sporaden stehen am Ende des Abschnittes (vv. 530–
532)83. In beiden Texten finden sich zwei Gleichnisse (der Vergleich eines Meeresstroms mit
einer sich windenden Schlange, vv. 123–126, und der Sporadischen Inseln mit den am
unbewölkten Himmel strahlenden Sterne, vv. 530–532), die auf die homerische Tradition
zurückgehen84. Dies zeugt nicht nur von einer feinen poetischen Technik des Dionysios,
sondern auch von einer betonten innerlichen Verbindung der beiden Abschnitte, die so für
einen aufmerksamen Leser die Stellung der Akrosticha im Text gut markiert.
Die Forschung ist geteilter Meinung:
(1) das Entstehungsdatum der Periegese: In welcher genauen Zeitperiode von Hadrians
Regierung wurde das dionyseïsche Gedichte geschrieben?
(2) die Rolle des Gottes Hermes, der im zweiten Akrostichon erwähnt wird.
So bestimmt U. BERNAYS ein genaues Datum der Abfassung, und zwar das Jahr 123/124
(oder kurz danach); der Forscher erklärt dies mit einer neuen Ära der Zeitrechnung, die auf
83
Bereits P. COUNILLON (1981, 518–519) hat bemerkt, dass in den beiden Abschnitten das
Ägäische Meer erwähnt ist: Der Forscher sieht dabei einen versteckten Hinweis des Dionysios
auf die Verbindung der zwei Akrosticha, die „zu beiden Seiten“ (ἑκάτερθεν, v. 514) das
Ägäische Meer enthält.
84
Mehr dazu unten: Teil I. Kap. 4. Die poetische Technik des Dionysios Periegetes (Epische
Elemente).

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Teil I. Kap. 1. Das Werk: Titel, Inhalt, Autorschaft

der im Abschnitt mit dem zweiten Akrostichon erwähnten Insel Samothrake (v. 524) nach
dem Besuch des Kaisers Hadrian in der zweiten Hälfte des Jahres 123 eingeführt wurde85.
Weniger präzis sind die anderen Meinungen: Es ist bekannt, dass Hadrian bald nach
seiner Proklamation zum Kaiser Grund hatte das Ende des römischen Krieges mit Parthien zu
feiern, den sein Vorgänger, Kaiser Trajan, begonnen hatte86. Dionysios sagt in seinem
Gedicht über die Parther, dass sie durch „die Lanzenspitze des Ausonischen Königs“ gezähmt
wurden (v. 1052), was vielleicht auf diese Situation nach dem römischen Sieg hinweist.
Gleichzeitig teilt Dionysios aber nichts über den Ägypten-Besuch von Hadrian im Jahre 130
mit, als der Kaiser – unter anderem – den im Gedicht des Dionysios erwähnten Memnon-
Riesen (v. 249) besichtigte; dies liegt den Schlussfolgerungen des G. KNAACK zugrunde, der
nämlich das Jahr 130 als terminus ante quem der Periegese bezeichnet und das Gedicht in die
Anfangszeit der Regierung des Kaisers Hadrian datiert (vor dem Jahr 130)87.
Wieder anderes, verbindet P. COUNILLON die präzisierte Datierung des Werkes mit
dem im Akrostichon erwähnten Hermes, und zwar mit Hadrians Gründung eines religiösen
Kultus des Hermes-Antinoos zu Ehren des kaiserlichen Lieblings, der im Jahre 130 bei
Hermopolis im Nil ertrunken war88.
Die Vermutung COUNILLONS beantwortet jedoch nicht ganz die Frage, warum man die Gottheit
Hermes mit Antinoos identifizieren soll. Die Entdeckung der alexandrinischen Münzen bestätigt
teilweise, dass es Kaiser Hadrian war, der die Zuschreibung der Identifikation von Hermes und
Antinoos vorgenommen hatte89, wahrscheinlich weil Hadrian während einer Nilreise gerade bei
Hermopolis, einem Kultzentrum des Hermes-Toth in Ägypten, seinen Liebling Antinoos verloren
hatte90.

85
BERNAYS (1905) 5–17; der Forscher vermutet auch, Dionysios weise durch die Erwähnung
von Samothrake im Abschnitt mit dem zweiten Akrostichon darauf hin, dass er selbst Myste-
Anhänger des Kabirenkultes von Samothrake war. Der Datierung von BERNAYS folgen auch
GÄRTNER (1967, 73) und SOUBIRAN (1981, 30, n. 1).
86
Vgl. SHA, Vita Hadr. VI 3; s. auch: Cass. Dio LXIX 2. (vgl. die Passage über Parthien bei
Dionysios: ἀλλ᾿ ἔµπης κατὰ δῆριν ἀµαιµακέτους περ ἐόντας / Αὐσονίου βασιλῆος ἐπεπρήϋνεν
ἀκωκή, vv. 1051–1052)
87
KNAACK (1903) 917; eine ähnliche Datierung nehmen an: GÄRTNER (1967) 73; ALSINA
(1972) 149: “el año 124, durante el reinado de Adriano”; SOUBIRAN (1981) 30, n.
1: “exactement en 124, sous Hadrien”; BRODERSEN (1994) 11; BOWIE (2004) 178.
88
COUNILLON (1981) 517; vgl.: BOWIE (1990) 77; GREAVES (1994) 14–16; zum Kultus des
Hermes-Antinoos s.: BEAUJEU (1955) 111–278. COUNILLONS Meinung tritt auch IS. O.
TSAVARI bei, die das Gedicht des Dionysios zwischen den Jahren 130 (Todesjahr des
Antinoos) und 138 (Todesjahr des Hadrian) datiert: TSAVARI (1990²) 12; TSAVARI (1990¹)
27–31.
89
Nach den numismatischen Zeugnissen der zwei Münzen aus dem Prägungsjahr 136–137,
die während der archäologischen Grabungen in Alexandria gefunden wurden, hat man den
verstorbenen Antinoos mit dem Kultus des Hermes-Toth verbunden, der in seiner chtonischen
Gestaltung als Psychopompos aufgetreten ist. Auf der Kopfseite (Avers) der gefundenen
Münzen ist Antinoos dargestellt, auf dem Revers ist er als Gottheit Hermes auf dem Pferd und
mit einem κηρύκειον (caduceus) in der Hand vorgestellt. Die Abbildungen s. in: BMC Greek
XII (London, 1892).
90
SHA, Vita Наdr. XIV 5–6.

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Teil I. Kap. 1. Das Werk: Titel, Inhalt, Autorschaft

Auf ähnliche Weise datiert CHR. JACOB das dionyseïsche Gedicht, der aber das Akrostichon
mit dem Namen des Hadrian im Zusammenhang mit der vom römischen Kaiser eingeführten
offiziellen Ideologie sieht: Diese bestand aus einer Friedenspolitik in Bezug auf die
Nachbarländer, davon resultierender „Hellenophilie“ und aus einer geschickten
Handelsentwicklung mit den äußeren Regionen des Reiches, was zu Wohlstand führte. Nach
JACOB galt Hermes-Mercurius, der traditionell die Rolle des Schutzherrn für Handelsreisende
und Reisende spielt, im Akrostichon als die Personifizierung aller Entwicklungen unter
Hadrian. Die Argumentation JACOBS führt dazu, dass die Dichtung des Dionysios nicht früher
130 datiert werden kann91.
Auch H. WHITE kehrt kehrt in ihrem Artikel zum Problem der Lebenszeit des Dionysios Periegetes
zurück, möchte aber die übliche Datierung des dionyseïschen Lehrgedichtes radikal verändern und
eine neue Interpretation des zweiten Akrostichons vorschlagen92. Da dieser Versuch sich so extrem
von der Meinung anderer Forscher unterscheidet, möchte ich ihn hier ein bisschen ausführlicher
diskutieren.
WHITE versucht hierbei mit Hilfe eines Teiles der oben genannten antiken und mittelalterlichen
Daten nachzuweisen, dass das Leben und Schaffen des Dionysios Periegetes auf die Regierungszeit
des Kaisers Augustus oder des Tiberius zurückzudatieren seien93.
Hierfür führt sie folgende Quellen an: (1) Zwei Stellen aus dem Gedicht des Dionysios, die auf
historische Ereignisse anspielen und nach ihrer Interpretation auf die Zugehörigkeit des Werkes zur
Regierungszeit des Augustus oder Tiberius hinweisen (vv. 1051–1052 über die Parther und 209–
210 über die Nasamonen); (2) Angaben aus Scholien und aus dem Kommentar des Eustathios von
Thessaloniki; (3) einen Abschnitt aus der Naturalis Historia des Plinius d. Älteren (VI 31, 141), in
dem WHITE den von Plinius erwähnten Dionysios irrtümlich mit dem Autor der Erdbeschreibung
identifiziert und seine Lebenszeit mit der Regierungszeit des Augustus verbindet; (4) schließlich
führt sie аls entscheidendes Argument zugunsten einer Revision der üblichen Datierung des
Werkes des Dionysios eine neue Interpretation eines der Akrosticha an.
Betrachten wir nun WHITES Hauptargumente genauer im Lichte antiker Quellen.
WHITE nimmt an, dass Dionysios’ Verse vom Sieg über die Parther auf die Ereignisse des Jahres
20 v. Chr. anspielen94. Bekanntlich gelang es damals Tiberius im Auftrag des Augustus, vom
Partherkönig Phraates IV. die Feldzeichen zurückzubekommen, die von den Parthern bereits im
Jahre 53 v. Chr. während des Rüchzugs des Crassus bei Karrhai und im Jahre 35 v. Chr. von
Antonius erobert worden waren. Die aus Parthien zurückgebrachten Feldzeichen wurden im Mars-

91
JACOB (1991) 52.
92
WHITE (2001) 288–290. WHITES Schlussfolgerungen wurden in einem Artikel von E.
AMATO (2003) bestritten; meine kritische Argumentation kann man auch in einem russischen
Artikel finden: ILYUSHECHKINA (2005).
93
Damit vereinigt sich die Autorin mit den Forschern, die das dionyseïsche Gedicht vor
LEUES Entdeckung irrtümlich in das erste Jahrhundert datierten: PASSOW (1825) 47; MÜLLER
(1861) xix; BUNBURY (1879) vol. 2, 481–482.
94
φέρβονται δ' ἄγρῃσι δορικτήτου βιότοιο· / ἀλλ' ἔµπης κατὰ δῆριν ἀµαιµακέτους περ ἐόντας
/ Αὐσονίου βασιλῆος ἐπεπρήϋνεν ἀκωκή, „nähern sie sich doch von den Beutestücken des im
Kampf erworbenen Lebensgutes. / Aber dennoch, gleichwohl sie im Streite unbezwinglich
sind, / zähmte sie des Ausonischen Königs Lanzenspitze“ (Dion. Per. 1050–1052).

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Teil I. Kap. 1. Das Werk: Titel, Inhalt, Autorschaft

Ultor-Tempel in Rom aufgestellt, es wurden alljährliche Feste gegründet, ein Torbogen errichtet
und Münzen herausgegeben, auf denen man die Übergabeszenen schilderte95.
Ferner stützt sich WHITE auf die Scholien zur Zeile 1052 (zum Wort Αὐσονίου)96 und auf den
Kommentar des Eustathios, der die Verse über die Parther mit der Regierungszeit des Kaisers
Augustus verbindet97. Wenn man aber annimmt, dass diese Verse auf historische Ereignisse
anspielen, so folgt, dass sich diese Zeilen wahrscheinlicher auf ein anderes Ereignis beziehen, und
zwar auf den endgültigen Sieg der Römer über die Parther unter Trajan im Jahre 115, weswegen
Hadrian zu Ehren seines Adoptivvaters in Rom einen Triumphzug abhielt98.
WHITE verbindet die Verse des Dionysios über das nordafrikanische Volk der Nasamonen mit dem
bekannten Zug des Cato Uticensis durch die libysche Wüste während des Bürgerkrieges99. Der
Text enthält jedoch keinerlei Gründe für eine solche Schlussfolgerung; daher auch muss WHITE
nach einer Stütze im Kommentar des Eustathios suchen, der jedoch nicht nur den von WHITE
benötigten Hinweis auf Cato bringt, sondern eine Reihe weiterer Daten enthält100. WHITES Verweis
auf die in Lucans Pharsalia bei Catos Wüstenmarsch nebenbei erwähnten Nasamones (Phars. IX
444 und 459) hat keine Beweiskraft, weil es dort keine Angaben über deren Widerstand und auch
keine Anhaltspunkte für die von WHITE vertretene Interpretation der Verse des Dionysios gibt.
Selbst nähme man das an, nichts wäre durch WHITES Deutung der Verse 208–210 mit einer
Datierung in die Regierungszeit von Augustus oder gar Tiberius gewonnen.
WHITE benutzt bei der Interpretation der Stelle aus den Scholien nur eine einzelne Handschrift und
übergeht dabei die Lesart, die ihrem Standpunkt widerspricht101. Diese Scholienangabe über
Dionysios von Alexandria verbindet WHITE mit dem von Plinius d. Älteren erwähnten Dionysios

95
Aug. Res gestae, 29; Suet. Aug. 21; Tib. 9. S. auch: KIENAST (1982) 200, 322.
96
Αὐσονίου] τοῦ Νέρωνος. Ἐπὶ τούτου γὰρ ἤκµαζεν ὸ ∆ιονύσιος. Κράσσον γὰρ ῥωµαίων
στρατηγὸν ἀνεῖλον, ὃν ἐξεδίκησεν Αὔγουστος ὑποτάξας αὐτοὺς, ὡς µηδὲ δίχα Ῥωµαίων
βασιλέα ἵσταντο. Χρώνῳ δὲ πολλῷ ὁ νόµος λέλυται (Schol. ad Dion. Per. 1052).
97
(Φασὶ γὰρ τὸν ὔγουστον κακῶς αὐτοὺς διαθέσθαι, τὴν τοῦ Κράσσου ἧτταν
ἀναπαλαίσαντα, ὃν στρατηγὸν ὄντα Ῥωµαίων οἱ Πάρθοι ἀνεῖλον ἡττήσαντες. Οὕτω δέ φασι
ταπεινωθῆναι αὐτοὺς τότε, ὥστε προστάξαι τὸν Αὔγουστον µὴ ἄλλως αὐτοὺς βασιλέας
ἑαυτοῖς ἐφιστᾶν, ἀλλ' ἢ γνώµῃ τῆς συγκλήτου τῶν Ῥωµαίων βουλῆς (Eust. ad Dion. Per.
1039).
98
SHA, Vit. Hadr. VI 3; KNAACK, G. (1903) 917.
99
κεῖνον δ' ἂν περὶ χῶρον ἐρηµωθέντα µέλαθρα / ἀνδρῶν ἀθρήσειας ἀποφθιµένων
Νασαµώνων, / οὓς ∆ιὸς οὐκ ἀλέγοντας ἀπώλεσεν Αὐσονὶς αἰχµή, „Rings in jenem Gebiete
ferner magst du wohl die vereinsamten Wohnstätten / der vernichteten Nasamonenmänner
beschauen, / welche, da sie Zeus nicht achteten, zugrunde richtete die Ausonische Lanze“,
(Dion. Per. 208–210).
100
Τούτους, φησὶ, ∆ιὸς οὐκ ἀλέγοντας ἀπώλεσεν Αὐσονὶς αἰχµὴ, ἀδίκων χειρῶν κατάραντες.
Ἀνεῖλον γὰρ δόλῳ Λέντουλον στρατηγόν τινα Ῥωµαίων, ἐκεῖ ἀφιγµένον. ∆ιὸ καὶ
ἠνδραποδίσθησαν ὑπὸ Ῥωµαίων. Οἱ δέ φασιν αὐτοὺς καταπολεµηθῆναι, ὅτε ὁ λεγόµενος
ἐµφύλιος ἀνῆπτο πόλεµος, συναγωνιζοµένους τῷ Κάτωνι κατὰ τοῦ Καίσαρος (Eust. ad Dion.
Per. 209).
101
∆ιονύσιος ὁ περιηγητὴς γέγονεν υἱὸς ∆ιονυσίου (∆ίωνος et ∆ιώνου var. lect.)
Ἀλεξανδρέως (υἱὸς ∆ιώνου Ἀλεξάνδρου ἢ κατά τινας ∆ιονυσίου Codex C). Γέγονε δὲ ἐπὶ τῶν
τῶν Ῥωµαϊκῶν χρόνων µετὰ Αὔγουστον Καίσαρα ἢ ἐπ᾿ αὐτοῦ. [Οἱ δὲ κατὰ Νέρωνα τὸν
Ῥωµαίων βασιλέα φασὶ γενέσθαι. Ἄδηλον δὲ πόθεν γέγονε καὶ τίνων γονέων. Haec addit
codex Ω]. Φέρονται δὲ αὐτοῦ καὶ ἄλλα συγγράµµατα, Λιθιακά τε καὶ Ὀρνιωιακὰ καὶ
Βασσαρικά· (Schol. ad Dion. Per. 1–12).

- 39 -
Teil I. Kap. 1. Das Werk: Titel, Inhalt, Autorschaft

(Plin. nat. hist. VI 31, 138-141) und sieht dies als endgültiges Argument für ihre eigene These an;
jedoch kann dieser, auch würde es sich hier um dieselbe Person handeln, kaum als Autor der von
uns betrachteten Periegese gelten102. Bei einer näheren Betrachtung des Abschnitts bei Plinius sieht
man, dass hier die wichtigsten Entwicklungsstufen aus der Geschichte eines großen
Handelszentrums im hellenistischen Osten, der Stadt Spasinou-Charax, dargestellt werden.
Spasinou-Charax lag an der Persischen Bucht und wurde später in Alexandria umbenannt103. Aus
dieser Stadt stammen zwei berühmte griechische Geographen: Dionysios, der am Anfang unseres
Zeitalters eine Beschreibung der östlichen Länder verfasst hat, und Isidor von Charax, der häufig
mit dem oben genannten Dionysios verwechselt wurde; von seinen Werken sind die Stathmoi
Parthikoi („Die parthischen Stationen“) erhalten. Hier geht es aber um den aus Charax
stammenden Geographen Dionysios, den Augustus mit der Beschreibung der Expedition des
Tiberius beauftragte, weil er die Gegend sehr gut kannte. WHITES Irrtum besteht darin, dass sie
zwei verschiedene Dionysii als eine Person identifiziert, die ihre Werke an verschiedenen Orten
und zu verschiedenen Zeiten verfassten – der eine Dionysios stammt aus Alexandria, einer Stadt
am Zusammenfluss von Euphrats und Euleos, ist ein Kenner der örtlichen Bräuche und Sprachen,
Autor eines Werkes über die Geographie des Ostens; der andere Dionysios stammt aus Alexandria
in Ägypten und hat ein geographisches Lehrgedicht geschrieben (vgl. das Akrostichon im Gedicht
des Dionysios Periegetes: ∆ΙΟΝΥΣ[Ι]ΙΟΥ ΤΩΝ ΕΝΤΟΣ ΦΑΡΟΥ ”<ein Werk> des Dionysios
<unter den> auf dieser Seite von Pharos <wohnenden>“, vv. 112–134).
WHITE sieht das Hauptziel ihres Artikels in einer neuen Interpretation des zweiten Akrostichons im
dionyseïschen Werk (ΘΕΟΣ ΕΡΜΗΣ ΕΠΙ Α∆ΡΙΑΝΟΥ, vv. 513–532). Sie schlägt vor, die
Wortverbindung ἐπὶ Ἀδριανοῦ nicht in einer chronologischen, sondern in einer geographischen
Bedeutung (in Übereinstimmung mit dem ersten Akrostichon) zu verstehen: „an der Adriatischen
Küste“ (“on the shores of the Adriatic”)104. Schließlich möchte die Forscherin das Akrostichon
folgendermaßen übersetzen: „die Gottheit Hermes ist an der Adriatischen Küste“ (“the God
Hermes is on the shore of the Adriatic”). Ihre Erklärung: Hermes, der auf dem Helikon oder auf

102
Charax, oppidum Persici sinus intimum, a quo Arabia Eudaemon cognominata excurrit,
habitatur in colle manu facto inter confluentes dextra Tigrim, laeva Eulaeum, II p. laxitate.
conditum est primum ab Alexandro Magno, colonis ex urbe regia Durine, quae tum interiit,
deductis, militum inutilibus ibi relictis; Alexandriam appellari iusserat [...] hoc in loco
genitum esse Dionysium, terrarum orbis situs recentissimum auctorem, quem ad
commentanda omnia in orientem praemiserit Divus Augustus ituro in Armeniam ad Parthicas
Arabicasque res maiore filio, non me praeterit nec sum oblitus sui quemque situs
diligentissimum auctorem visum nobis introitu operis: in hac tamen parte arma Romana sequi
placet nobis Iubamque regem, ad eundem Gaium Caesarem scriptis voluminibus de eadem
expeditione Arabica (Plin. nat. hist. VI 31, 138-141, Mayhoff).
103
DROYSEN (1980) 426 (Kapitel „Die Städtegründungen Alexanders und seiner Nachfolger
in ihrem Zusammenhang“); TSCHERIKOWER (1927).
104
WHITE bezieht sich dabei auf eine Wortverbindung mit der Präposition ἐπί aus einem
Wörterbuch zum Neuen Testament: ἐπὶ τῆς θαλάσσης (Ioan. 21, 1), in der Bedeutung “an der
Küste“ (Moulton–Milligan (1949) s. v. ἐπί), und auf eine Stelle aus der Anthologia Palatina,
wo Ἀδριανός als Adjektiv „Adriatisches (sc. Meer)“ gebraucht wird: Ἀδριανὸν ... πόντον (AP
XII 252, 3). Die Auslassung des im Akrostichon ἐπὶ Ἀδριανοῦ gemeinten Wortes „Meer“
begründet WHITE mit der Stilart des Dionysios selbst: In v. 763 seiner Periegese benutzt
Dionysios ein Appellativ Εὐξείνος ohne das Substantiv „Meer“. WHITE stützt sich also auf
eine spezielle Bedeutung der Präposition ἐπί und einen untypischen Gebrauch von Ἀδριανός.

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Teil I. Kap. 1. Das Werk: Titel, Inhalt, Autorschaft

dem Olympos wohnende Gott der Poesie, diktiere Dionysios Periegetes ein Gedicht, das jener an
der Adriatischen Küste aufschreibe.
Im Gegensatz zu dieser neuen Deutung des Akrostichons scheint die übliche Interpretation „Gott
Hermes zu Hadrian’ Zeiten“ annehmbarer und glaubwürdiger105, und aufgrund dieser Interpretation
sollte doch das Gedicht in das 2. Jh. datiert werden. Keinesfalls ist diese traditionelle Deutung von
WHITE als unmöglich erwiesen worden. Was die von WHITE angeführten antiken und
mittelalterlichen Zeugnisse betrifft, so scheinen sie mir eher zweifelhaft, da sie aus dem Kontext
isoliert stehen und nicht mit den anderen Zeugnissen verglichen werden. Ihre Argumente scheinen
gekünstelt und wenig überzeugend. Meiner Meinung nach gibt es nicht genügend Grunde um an
der Datierung der Periegese des Dionysios in die Regierungszeit des Kaisers Hadrian zu zweifeln,
d. h. in die erste Hälfte des 2. Jhs. Insgesamt scheinen WHITES Argumentationen und Deutungen
der antiken und mittelalterlichen Testimonien zu unsicher, um an der Datierung des Dionysios zu
rütteln. Der ‛alten’ communis opinio gehört meines Erachtens weiterhin der Vorzug.

Zum Schluss möchte ich noch zu den zuvor angeführten Erklärungen des
Akrostichons ΘΕΟΣ ΕΡΜΗΣ ΕΠΙ Α∆ΡΙΑΝΟΥ „Gott Hermes zu den Zeiten des Hadrian“
meine eigene Vermutung dazu äußern, warum der Name „Hermes“ im Akrostichon des
Dionysios erscheint.
Lange vor der Entdeckung der Akrosticha im Gedicht des Dionysios bemerkte
Eustathios von Thessaloniki in seinem Kommentar zur Erdbeschreibung, Periegetes führe
seinen Leser ähnlich Daidalos, der im Flug den Ikaros in seine Kunst einwies; als profunder
Kenner der homerischen Texte und Verfasser von zwei Kommentaren zur Ilias und zur
Odyssee verbindet Eustathios den Autor unseres geographischen Gedichts mit dem
homerischen Hermes106, der im göttlichen Auftrag die ganze Erde umfliegt (Eust. ad Dion.
Per. epist. P. 210 Müller). Hermes hat Eratosthenes eines seiner Gedichte genannt, wovon ein
Abschnitt erhalten ist (F 16 Powell): Dem zufolge betrachtet der himmlische Patron der
Reisenden, der normalerweise mit Flügeln an den Füssen (oder mit geflügelten Sandalen)
dargestellt ist, von einer gewissen Höhe die Weite der kugelförmigen Erde, die ihrerseits in
fünf Klimazonen eingeteilt sei107. Es ist bekannt, dass Dionysios den Eratosthenes als eine

105
Als Begründung dafür dienen zahlreiche Beispiele bei griechischen Autoren mit der
Präposition ἐπί in der temporalen Bedeutung im Zusammenhang mit dem Namen des Kaisers
Hadrian: Acus. III 9 F 5 D.-K. = Suid. s. v. Sabinas (ἐπὶ Ἀδριανοῦ); Athan. Theol. W. 71 (ἐπὶ
Ἀδριανοῦ); Euseb. Praeparat. evang. IV 16, 7 (ἐπὶ Ἀδριανοῦ τοῦ αὐτοκράτορος), Demonstr.
evang. II 3, 86 (Dindorf); Georgius Monachus, Chronicon 311 M ( = Muralt) (p. 415 de
Boor), 313 M (p. 417 de Boor), Chronicon breve v. 110, p. 488 (ἐπὶ Ἀδριανοῦ); Suid. s. v.
Hermippos (ἐπὶ Ἀδριανοῦ τοῦ βασιλέως), s. v. Paulos Turios (ἐπὶ Ἀδριανοῦ τοῦ βασιλέως);
Ioann. Chrys. Adversus Iudaeos V, 645, 646 (D. Bernardi de Montfaucon, T. I, 2, p. 788–789.
Parisiis, 1834) (ἐπὶ Ἀδριανοῦ); Ioann. Lydus, de mens. IV 89 (ἐπὶ Ἀδριανοῦ); Sopater Rhet.,
Scholia ad Hermogenis status seu artem rhetoricam v. 5, p. 8 (ἐπὶ Ἀδριανοῦ).
106
Vgl. Il. XXIV 343–345, IV 442; Od. X 277.
107
POWELL (1925) 58–63; s. auch: BERGER (1903) 393–394, 398–399; ZANKER (1987) 96–97.
In diesem Fragment des Eratosthenes wird von den fünf Gürteln auf der Erdoberfläche (πέντε
δέ οἱ ζῶναι) mitgeteilt, zwei davon seien dunkelblau (die unbewohnten Polarzonen), der
mittlere sei rot (die unbewohnte heiße Zone), und zwei weitere, die zwischen den kalten und
dem heißen Gürtel lägen, stellten gemäßigte (bewohnte) Zonen dar, wo Weizen und andere

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Teil I. Kap. 1. Das Werk: Titel, Inhalt, Autorschaft

seiner Quellen benutzt hat; darauf weist bereits Eustathios von Thessaloniki in seinem
Kommentar zu Dionysios’ Gedicht hin108, und davon zeugen auch einige Passagen aus der
Periegese des Dionysios, in denen eine Verteilung der Erde in die Klimazonen vermutet
wird109. Es ist also wahrscheinlich, dass Dionysios Periegetes, der sowohl mit den
homerischen Epen als auch mit den Werken des Eratosthenes – und darunter anscheinend
auch mit seinem Hermes – vertraut war, den Namen der Gottheit im eigenen Gedicht als eine
Anspielung benutzt und damit die Rollen des Hermes auf sich selbst als auf den Autor einer
Periegese überträgt110, d. h. seine Eigenschaft, von dem Firmament aus die ganze Oikumene
zu betrachten, als ob sie auf seiner Hand ausgebreitet läge.
Zu der oben genannten traditionellen Gestalt des Hermes als eines geflügelten Boten
der Götter, eines Kenners aller Wege und der Geographie im ganzen sowie eines Beschützers
der Reisenden kann man noch eine Rolle hinzufügen. Schon zu sehr früher Zeit wurde

Gaben der Eleusinischen Demeter wüchsen; nach Eratosthenes seien diese gemäßigten Zonen
von Menschen bewohnt. Der Abschnitt des Gedichtes Hermes widerspiegelt voll und ganz die
durch Strabon bekannte Theorie des Eratosthenes über die fünf Klimazonen, die später von
Hipparchos erweitert wurde. Zum eratosthenischen Gedicht s. auch: SOLMSEN (1942 = 1968);
GEUS (2002) 128. Dieser Abschnitt aus dem Hermes des Eratosthenes wurde zum Archetypen
für die Beschreibung der Erde und ihrer Klimazonen in der späteren Dichtung: SCHRIJVERS
(2010) 149–176; s. z. B. dasselbe Sujet von den Klimazonen des Eratosthenes in den
Georgika des Vergil (I 231–256), dazu: THOMAS (1986).
108
Eust. ad Dion. Per. 1, vgl. Eust. ad Dion. Per. epist. P. 214 Müller: (...) καὶ εἰς θεολογίαν
ἀναβαίνων πρὸς αὐτῷ τῷ τέλει τοῦ βιβλίου, ὁπηνίκα τὰς τῶν περὶ γῆν διαφορὰς θεωρεῖ, „...
und am Ende des Buches steigt er zur Theologie hinauf, als er auf die Klimaunterschiede auf
der Erde hinweist“.
109
Wenn Dionysios von der Thule-Insel spricht, die nach dem Geographen des 4. Jhs v. Chr.
Pytheos „im äußersten Norden“ liegt, so beschreibt der Periegetes ein Naturphänomen, das
sehr an das Polarlicht oder an die Weißen Nächte erinnert (ἔνθα µέν, ἠελίοιο βεβηκότος ἐς
πόλον ἄρκτων, / ἤµαθ' ὁµοῦ καὶ νύκτας ἀειφανὲς ἀγκέχυται πῦρ, vv. 582–583); hiermit wird
Thule am Polarkreis lokalisiert. In vv. 593–595 teilt Dionysios mit, dass im Himmel über der
Insel Taprobane das Krebssternzeichen funkelt – dies würde dann die Insel an der Grenze
zwischen der heißen und der gemäßigten Zone lokalisieren, ebenso wie bei Eratosthenes. Und
der Herausgeber der Fragmente des Eratosthenes H. BERGER führt die Verse des Dionysios
über den Fluss Borysthenes (Ἡχι Βορυσθένεος ποταµοῦ τετανυσµένον ὕδωρ / µίσγεται
Εὐξείνῳ Κριοῦ προπάροιθε µετώπου, / ὀρθὸν ἐπὶ γραµµῇ κατεναντία Κυανεάων, vv. 311–
313) auf den Text des Eratosthenes zurück. Diese kann auf Bekanntschaft des Dionysios mit
dem Meridianennetz des Eratosthenes hinweisen, – letzterer platziert die
Borysthenesmündung an einem Meridian mit Kyaneen (Eratosthen. F III A 38 Berger).
Besonders scheint aber die Oikumenengestalt im dionyseïschen Epilog aus Eratosthenes’
Vorstellungen entlehnt zu sein: Periegetes betrachtet die Erde „von oben“ und beschreibt
unterschiedliche Zonen darauf (τῷ ῥα καὶ ἀλλοίην ῥυσµοῦ φύσιν ἔλλαχ' ἑκάστη· / ἡ µὲν γὰρ
λευκή τε καὶ ἀργινόεσσα τέτυκται, / ἡ δὲ κελαινοτέρη, ἡ δ' ἀµφοτέρων ὑπὸ µορφῇ· / ἄλλη δ'
Ἀσσυρίης ἐναλιγκίη ἄνθεσι µίλτου, / ἄλλαι δ' ἀλλοῖαι· τὼς γὰρ µέγας ἐφράσατο Ζεύς, vv.
1175–1179). Mehr zu Eratosthenes als vermutlicher Quelle des Dionysios s. unten: Teil I.
Kap. 2. Das Weltbild des Dionysios Periegetes (Die Quellenfrage).
110
So auch JACOB (1982) 30.

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Teil I. Kap. 1. Das Werk: Titel, Inhalt, Autorschaft

Hermes auch mit Rhetorik assoziiert und wurde damit vom Erfinder der Lyra zum Schutzherr
von Literatur und Dichtung111.
Es scheint, dass Hermes im Gedicht des Dionysios ähnliche Funktionen hat. Da
Dionysios im ersten Akrostichon seinen Namen verschlüsselt, kann man vermuten, dass er auf
ähnliche Weise auch im zweiten Akrostichon nicht nur die Datierung seiner Lebenszeit
versteckt, sondern auch seinen eigenen Autorenstatus betont und sich hinter der Maske des
Gottes verbirgt. Also folgt hier Dionysios den Regeln eines literarischen Spiels, indem er sich
selbst stolz mit Hermes – dem universellen Geographen und auch gelehrten Dichter –
identifiziert.

1.4 Zusammenfassung
Aufgrund der verschiedenen Titel des geographischen Lehrgedichts des Dionysios Periegetes,
die durch die Handschriftentradition des 10.-14. Jhs. überliefert werden, kann man feststellen,
dass das Stichwort „Periegese“ sich anscheinend bereits in einer Variante fand, die dem
Archetypen am nächsten stand. Dabei wird der vom Titel abzuleitende Beiname des Autors
„Periegetes“ durch indirekte Zeugnisse bereits seit dem 4. Jh. n. Chr. überliefert.
Trotz der relativen Kürze des Werkes (1186 Verse) ist es Dionysios gelungen, in seine
Periegese eine vielseitige Beschreibung der ganzen Oikumene mit drei Kontinenten, des sie
umkreisenden Ozeans, der Inseln im Binnen- und Außenmeer sowie zahlreicher Völker,
Städte, Flüsse und Berge einzuflechten. Den knappen Umfang des Werkes kann man
einerseits durch die traditionellen Regeln der hellenistischen stilisierten Verfeinerung
insgesamt und der didaktischen Gedichte insbesondere (die auch durch die Länge einer
Papyrusrolle geprägt wurden), andererseits durch die verkürzte Bearbeitung mehrerer Quellen
erklären. Der geographische Raum der antiken Oikumene wird im Gedicht des Dionysios
anhand von zahlreichen Namenslisten ausgedrückt, die eine der Arten der archaischen
Wissensvermittlung darstellen.
Der Hauptteil dieses Kapitels gilt dem Problem der Autorschaft. Es ist bekannt, dass
die Erdbeschreibung im Laufe der Textgeschichte verschiedenen Autoren zugeschrieben
wurde. Im 19. Jh. hat G. LEUE zwei Akrosticha im Gedicht des Dionysios (∆ΙΟΝΥΣ[Ι]ΙΟΥ
ΤΩΝ ΕΝΤΟΣ ΦΑΡΟΥ ”<ein Werk> des Dionysios <unter den> auf dieser Seite von Pharos
<wohnenden>“, vv. 112–134 und ΘΕΟΣ ΕΡΜΗΣ ΕΠΙ Α∆ΡΙΑΝΟΥ „Gott Hermes zu den
Zeiten des Hadrian“, vv. 513–532) entdeckt, in denen der Dichter die Angaben über sich
verschlüsselt hat – danach begann eine neue Interpretationsgeschichte dieser Zeugnisse. Die
meisten Gelehrten waren der Meinung, dass die Erdbeschreibung von einem gewissen
Dionysios, einem gebürtigen Alexandriner, geschrieben wurde, der während der
Regierungszeit des römischen Kaisers Hadrian (117–138) lebte. Auch die Erwähnung des
Gottes Hermes im zweiten Akrostichon hat eine lebhafte Diskussion hervorgerufen. Meiner
Meinung nach verbirgt sich der Autor selbst hinter der Maske des Hermes, der im 2. Jh. neben

111
ROSE, ROBERTSON (1970). In einer seiner Oden (Carm. II 17, 29–30) benutzt Horaz die
ironische Redewendung Mercuriales viri, die u.a. metaphorisch als „Dichter und Gelehrte“
verstanden werden kann (zu Horaz s. NISBET–HUBBARD (1991) 286).

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Teil I. Kap. 1. Das Werk: Titel, Inhalt, Autorschaft

der traditionellen Rolle des reisenden Gottes auch die Züge eines Schutzherrn von Literatur
und Dichtung dazu bekam; Dionysios weist damit stolz auf sich selbst hin: als einen
universellen Geographen und einen gelehrten Dichter. Akrosticha sind auch Wortspiele, die
für gebildete Leser mit guter Auffassungsgabe eine Fundgrube sein können.

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Teil I. Kap. 2. Das Weltbild des Dionysios Periegetes

Kapitel 2. Das Weltbild des Dionysios Periegetes


2.1 Der Ozean als Weltmeer
2.2 Die Form der Landmasse und ihr Aufbau
2.3 Raumerfassung
2.3.1 Die Vogelperspektive
2.3.2 Der hodologische Raum
- Routen
- Distanzangaben in Tagesreisen
2.3.3 Räumliche Orientierung
- mittels Wind- und Himmelsrichtungen
- mittels Himmelskörpern
- mittels Hinweisen „rechts – links” (vom Gesichtspunkt eines imaginären Betrachters aus)
2.4 Die Landkarte des Dionysios Periegetes?
2.4.1 Imaginäre Meridiane
2.4.2 Vergleiche der Kontinentenumrisse mit geometrischen Figuren
2.5 Die Quellenfrage
2.5.1 Eratosthenes von Kyrene
2.5.2 Poseidonios der Rhodier
2.5.3 Strabon von Amaseia
2.6 Zusammenfassung

In diesem Kapitel wird vom Weltbild des Dionysios Periegetes die Rede sein, von seinen
geographischen Vorstellungen, über die man Angaben im Text der Erdbeschreibung finden
kann. Trotz der Tatsache, dass das Weltbild des Dionysios eine Datenkompilation sowohl aus
der deskriptiven als auch aus der mathematischen Geographie seiner Vorgänger darstellt, ist
es hinreichend originell und verdient im Detail betrachtet zu werden. Dionysios stellt dem
Leser ein schematisches Weltbild vor: Der bewohnte Teil liegt wie eine Insel im Zentrum des
Weltozeans, der die Grenze der Oikumene umspült und mit vier großen Meerbusen in die
Landmasse eindringt (ausführlicher dazu s. 2.1); die ganze Erde ähnelt der Form einer
Schleuder und wird in drei Kontinente aufgeteilt (Libyen, Europa, Asien) (ausführlicher s.
2.2). Die bewohnte Welt wird von Dionysios manchmal quasi von außen – aus der so
genannten Vogelperspektive, dann wieder durch Weganweisung markanter Punkte geschildert
(ausführlicher s. 2.3). Die Raumorientierung wird dabei mittels Wind- und
Himmelsrichtungen, Himmelskörpern (vor allem der Sonne und der Sternbilder) sowie
Hinweisen „rechts – links“ vom Gesichtspunkt eines imaginären Betrachters aus verwirklicht
(ausführlicher s. 2.3). Das Weltbild des Dionysios lässt vermuten, dass es auf eine Landkarte
übertragen werden kann oder selbst Kartenbeschreibung ist: Dazu können die von Dionysios
verwendete Fachterminologie, seine Vergleiche der Kontinentenumrisse mit geometrischen
Figuren und seine Hinweise auf imaginäre Meridiane anregen. Der Erforschung dieser Fragen

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Teil I. Kap. 2. Das Weltbild des Dionysios Periegetes

ist der entsprechende Abschnitt des vorliegenden Kapitels gewidmet (2.4). Dionysios nennt
keine geographischen Quellen, die er bei der Verfassung seines kompilatorischen Gedichts
benutzt hat, doch kann man aufgrund des Vergleichs seines Weltbildes mit der
geographischen Tradition versuchen, die Frage nach den vermutlichen Quellen seines
Gedichts zu beantworten (dazu s. 2.5).

2.1 Der Ozean als Weltmeer


Am Anfang seines Gedichts kündigt Dionysios an: Bevor er das Land und das Meer, die
Flüsse und die Städte und viele Stämme besingen wird, wird er „den tief strömenden
Okeanos“ (Ὠκεανοῖο βαθυρρόου, v. 3) erwähnen, durch den die ganze Landmasse wie eine
endlose Insel umkränzt ist (vv. 1–4). So beginnt Dionysios schon von den ersten Versen
seines Werkes an ein literarisches Spiel mit dem Leser, wobei er die geographischen
Vorstellungen mit der dichterischen Tradition verbindet. In seiner Beschreibung des Ozeans
und der Lage der bewohnten Erde schließt Dionysios an die frühionische Tradition an: Dieser
Tradition entsprechend wird der Ozean als Weltmeer vorgestellt, das die Oikumene wie eine
Insel trägt1; dabei schmückt aber Dionysios seine rein geographische Vorstellung mit dem
homerischen Formel-Epitheton βαθυρόος „tief flutend“ (v. 3)2 und zeigt somit dem Leser
seine Absicht, reale geographische Kenntnisse in traditionelle epische Form zu kleiden. Das
Wortspiel mit dem homerischen Text führt Dionysios im nächsten Vers weiter, wo er sagt:
πᾶσα χθών, ἅτε νῆσος ἀπείριτος, ἐστεφάνωται/ „(sc. liegt) die ganze Landmasse, wie eine
endlose Insel, umkränzt“ (v. 4). Die Wortverbindung ἀπείριτος ἐστεφάνωται ist eine
lexikalische Entlehnung vom homerischen Text (Od. X 195: ἀπείριτος ἐστεφάνωται/), wo
ἀπείριτος ein hapax legomenon ist. Im homerischen Kontext geht es jedoch um die Insel
Aiaia, die vom grenzenlosen Meer (πόντος ἀπείριτος) umgeben ist, während bei Dionysios
die endlose Insel der Erdfläche (νῆσος ἀπείριτος) durch den Ozean umkränzt ist3.
Die Gestalt des erdumfließenden Ozeansstromes4 als Weltmeer und Weltfluss geht auf
die mythopoetische Tradition zurück5. Die Erwähnung des Ozeans in den ersten Versen des

1
Zur ionischen Tradition s. z. B.: GISINGER (1937²) 2320.
2
S. diese Redewendung bei Hom. Il. VII 422, XIV 311; Od. XI 13, XIX 434. Die mittlere
Position dieser homerischen Formel im Vers wird auch angetroffen in: Hom. h. 4, 185;
Hesiod. Theog. 265 (Ὠκεανοῖο βαθυρρείταο); Quint. Smyrn. Posthom. 1, 148; 10, 197.
3
In etwas veränderter Form (ἀπείριτος ἐστεφάνωτο) wird der Ausdruck von Hesiod (Scut.
204: ὄλβος ἀπείριτος) und im homerischen Aphroditehymnos (Hom. h. V 120: ὅµιλος
ἀπείριτος) benutzt. Das Adjektiv ἀπείριτος findet sich auch bei Apoll. Rhod. III 971, 1239, IV
140, 682; F 7, 3 Powell (stets in der mittleren Position – also ähnlich wie bei Dionysios). In
der dionyseïschen Periegese findet man es noch sieben Mal (vv. 430, 616, 635, 659, 666,
1030, 1062), stets für die Bezeichnung einer rhetorischen Übertreibung, darunter einmal in
derselben Formel: ἤπειρος ἀπείριτος ἐστεφάνωται (Dion. Per. 430).
4
Es gibt keine überzeugende Etymologie des Namens „Ozean“ (s. CHANTRAINE (1983–1984),
vol. IV. P. 1299); die Parallelformen des Wortes bestätigen eine Hypothese der östlichen
Herkunft des Namens Ozean: Ὠγήν· Ὠκεανός, Ὠγενίδαι· Ὠκεανίδαι (Hesych. s. vv.),
Ὠγένος (Lyc. Alex. 231), Ὠγηνός (Pherec. F 2 D.–K. = Clem. Alex. Strom. VI 2, 9) (WEST
(1997) 146–147).

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Teil I. Kap. 2. Das Weltbild des Dionysios Periegetes

dionyseïschen geographischen Gedichts im Kontext einer traditionellen hymnischen Formel


ἀρχόµενος – µνήσοµαι (sc. Ὠκεανοῖο βαθυρρόου) „beginnend – werde ich erwähnen“ (vv. 1–
3)6 verbinden einige Forscher mit dem traditionellen Gottesanruf und identifizieren den
Ozean des Dionysios auch mit dem ägyptischen Gott Nun7. Dies scheint jedoch noch nicht
überzeugend genug; der Ozean trägt bei Dionysios nur Züge eines geographischen Objekts,
denn er stellt eines der vom Dichter ankündigten Themen seiner Erdbeschreibung dar (neben
der Landmasse, dem Meer, den Flüssen, den Städten und Stämmen, vv. 1–4)8. Durch sein
Erzählen über den Ozean bereitet Dionysios den Leser auf die weitere Beschreibung der darin
liegenden Landmasse vor.

Ozean Ozean

Europa Nordasien

Libyen Südasien

Ozean Ozean

Abb. 4. Der Ozean und die Landmasse

5
So erscheint der Ozean z. B. in den homerischen Epen einerseits als Meeresgottheit, Urgott,
Ahnherr aller Götter und Titanen (Il. XVI 201, 303, 311; XX 77) und andererseits als
Kreisstrom, erdumfließender Fluss (Il. XVIII 399, 489; Od. V 285; IX 13; XX 65). Wenn man
die Frage der mythologischen Geographie, insbesondere des homerischen Ozeans betrachtet,
so sieht man, dass der Ozean bei Homer zweifellos einen Fluss darstellt: An einem seiner
Ufer liegt die Oikumene, auf dem anderen befindet sich der Hadesvorhof im kimmerischen
Land – um diese Gegend zu erreichen, musste Odysseus den Ozean überqueren (Od. XI 1–22;
X 504–512) und danach zu Land bis zu dem von Kirke angewiesenen Ort gehen (Od. XI 20–
22). Vgl. BURR (1932) 95–108; ROMM (1992) 20–25.
6
Zu hymnischen Elementen und Parallelen mit den Argonautika des Apollonios Rhodios im
Prolog und im Epilog der Erdbeschreibung des Dionysios Periegetes unten: Teil I. Kap. 3.
Gattungsaspekte (Die Erdbeschreibung des Dionysios als didaktisches Werk).
7
So AMATO (2005) 144–148.
8
Vgl. eine Liste derselben Themen seiner Beschreibung im Epilog des Gedichtes: ὑµεῖς δ'
ἤπειροί τε καὶ εἰν ἁλὶ χαίρετε νῆσοι / ὕδατά τ' Ὠκεανοῖο καὶ ἱερὰ χεύµατα πόντου / καὶ
ποταµοὶ κρῆναί τε καὶ οὔρεα βησσήεντα, „Ihr aber, ihr Erdteile und ihr Inseln in der Salzflut,
lebt wohl, ihr Wasser des Okeanos und heiligen Güsse des Meeres, und ihr Flüsse und
Quellen und schluchtenreichen Gebirge!“ (Dion. Per. 1181–1183).

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Teil I. Kap. 2. Das Weltbild des Dionysios Periegetes

Die Vorstellung vom Ozean ist bei Dionysios schematisiert: Periegetes nennt vier
Teile bzw. Meere des Ozeans und zählt ihre Namen (Eponyme) auf, von Westen ausgehend;
dabei bewegt er sich in Gedanken im Uhrzeigersinn nach Norden, Osten und Süden, als ob es
ein Periplus wäre (vv. 27–42)9. Die Meere des Ozeans werden von Dionysios nach den vier
Himmelsrichtungen bezeichnet: nach Westen (der Hesperische, d. h. Westliche Atlas)10, nach
Norden (das Erstarrte bzw. Tote Meer oder Kronischer Pontos)11, nach Osten (das Östliche
bzw. Indische Meer)12 und nach Süden (das Erythräische bzw. Äthiopische Meer)13.
Die Benutzung von mehreren Benennungen der einzelnen Ozeansteile weist wahrscheinlich
darauf hin, dass diese Bezeichnungen aus verschiedenen Quellen übernommen wurden (vgl. z. B.
die Bemerkung des Dionysios ἄλλοι δ᾿ „die anderen (sc. Autoren)“ bei der Erwähnung eines
weiteren Namens des nördlichen Ozeansteils – v. 33). Die meisten Namensvarianten (das
Erstarrte bzw. Tote Meer und Kronischer Pontos) hat der nördliche Teil des Ozeans; aufgrund
dieses Beispiels kann man versuchen, die vermutlichen dionyseïschen Quellen zu dieser Stelle zu

9
σθένος Ὠκεανοῖο, / εἷς µὲν ἐών, πολλῇσι δ' ἐπωνυµίῃσιν ἀρηρώς· „die Flut des Ozeans, der
zwar ein einziger ist, doch mit vielen Beinamen bestückt“ (Dion. Per. 27–28); in dieser
Formulierung kann man eine Anspielung des Dionysios auf Arat vermuten: Der Ozean in der
Periegese ist ein einziger und hat doch viele Namen, so wie Zeus in den Phaenomena, „der
von den Menschen in vielerlei Funktion angerufen wird“ (vgl. Phaen. 1–14) (so EFFE (1977)
193).
10
ἤτοι µὲν Λοκροῖο παρ' ἐσχατιὴν ζεφύροιο / Ἄτλας Ἑσπέριος κικλήσκεται „So wird der eine
am äußersten Ende des Lokrischen Zephyrs Hesperischer (d. h. Westlicher) Atlas genannt“
(Dion. Per. 29–30).
11
αὐτὰρ ὕπερθεν / πρὸς βορέην, ἵνα παῖδες ἀρειµανέων Ἀριµασπῶν, / πόντον µιν καλέουσι
πεπηγότα τε Κρόνιόν τε· / ἄλλοι δ' αὖ καὶ νεκρὸν ἐφήµισαν εἵνεκ' ἀφαυροῦ / ἠελίου·
„oberhalb hinwiederum, nach Norden zu, wo die Söhne der kriegswütigen Arimaspen
<wohnen>, nennen sie ihn (sc. den Ozean) Erstarrtes und Kronisches Meer; andere wiederum
machten ihn auch als Toten bekannt – wegen der kraftlosen Sonne“ (Dion. Per. 30–34);
dieselben drei Ozeansnamen finden sich in einem frühbyzantinischen anonymen Werk
Geographiae expositio compendiaria (45), was auf eine gemeinsame Quelle für beide
Autoren (so GÖTHE (1875) 11) oder auf die Abhängigkeit des Anonymentextes vom
dionyseïschen (so ANHUT (1888) 21–22) hinweisen kann. Vgl. auch die spätere
Umschreibung des Dionysios des ganzen Nordteils des Ozeans: Σκυθικοῖο βαθὺν πόρον
Ὠκεανοῖο „die tiefe Flut des Skythischen Ozeans“ (Dion. Per. 587).
12
αὐτὰρ ὅθι πρώτιστα φαείνεται ἀνθρώποισιν, / ἠῷον καλέουσι καὶ Ἰνδικὸν οἶδµα θαλάσσης·
„wo wiederum zuallererst sie (sc. die Sonne) den Menschen sich zeigt, nennen sie ihn (sc. den
Ozean) Östlichen und Indischen Wogenschwall des Meeres“ (Dion. Per. 36–37).
13
ἄγχι δ' Ἐρυθραῖόν τε καὶ Αἰθόπιον καλέουσιν / πρὸς νότον „nahebei aber nennen sie ihn
(sc. den Ozean) den Roten und Äthiopischen – nach Süden zu“ (Dion. Per. 38–39). Mit dem
Namen Ἐρυθραῖόν πόντος bzw. Ἐρυθρὰ θάλασσα bezeichnete man seit Herodot (II 11, vgl.
II 8) das südöstliche Weltmeer (vgl. Eratosth. F B 48 Berger = Strabo XVI 4, 2 C 767–768;
Agathem. F III B 49; Strabo XVI 3, 1 C 765; Ptol. Geogr. VI 7, 8) sowie das heutige
Arabische Meer (und nicht das Rote Meer, vgl. Pind. Pyth. IV 251; Aesch. bei Strabo I 33).
Zum Problem der griechischen Farbbezeichnungen (das „rötliche“ Meer) im allgemeinen s.:
IRWIN (1974) 3–30; DÜRBECK (1977) 1–58. Für eine Liste der Erklärungsversuche des
Namens „Erythräisches Meer“ s.: KORENJAK (2002) 220–221 (mit Material aus der
augusteischen und frühkaiserzeitlichen Dichtung).

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Teil I. Kap. 2. Das Weltbild des Dionysios Periegetes

rekonstruieren14. So spricht Pytheas von Massalia (4. Jh. v. Chr.), dessen Daten uns in der
Wiedergabe des Strabon bekannt sind, von einem „Erstarrten Meer“ (πεπηγυῖα θάλαττα, Pyth. F
2 Roseman = Strabo I 4, 2 C 63 – für den nördlichsten Meeresbereich). Der „Kronische Pontos“
wird bei Apollonios von Rhodos (Κρονίης ἅλς, Apoll. Rhod. IV 327, 507–510, hier geht es aber
um den Nordteil der Adria) und in den orphischen Argonautika erwähnt (ἔµπεσε (sc. Ἀργώ) δ᾿
Ὠκεανῷ, Κρόνιον δέ ἐκικλήσκουσι / πόντον Ὑπερβόρεοι µέροπες, νεκρήν τε θάλλασσαν, Orph.
Arg. 1081–1082). Derselbe Name des „Kronischen Pontos“ findet sich auch bei Philemon (einem
wohl in der Zeit zwischen Augustus und Vespasian lebenden Geographen, von dem eine Schrift
über Meere und Inseln Nordeuropas stammte), deren Abschnitt vom Kronischen Meer über
Plinius bekannt ist (mare Cronium, Plin. nat. hist. IV 95); eine so späte Quelle hätte Dionysios
jedoch kaum verwendet – er stützt sich normalerweise auf die ältere Tradition. Einen
etymologischen Versuch der Namenserklärung des Kronischen Meeres unternimmt Plutarch am
Schluss seines Werkes De facie in orbe lunae: Er schildert einen Mythos (und folgt dabei dem
Poseidonios), wonach Kronos von Zeus auf eine glückselige Insel in diesem Meer weit hinter
Britannien ins Exil verbannt wurde (Κρόνιος πέλαγος, Plut. De facie in orbe lunae 941a). In den
Scholien zu dieser Stelle bei Dionysios und im Kommentar des Eustathios werden nur die Verse
des Apollonios Rhodios genannt (IV 327), wobei dem Kontext des Dionysios eher die Passage
aus den orphischen Argonautika ähnelt, in der nicht nur der Kronische Pontos, sondern auch das
Tote Meer erwähnt wird. Die Bezeichnung „das Tote Meer“ (mit der Beschreibung des für die
nördlichen Gegenden charakteristischen Klimas) stammt wohl wieder von Pytheas (F 21
Roseman = Plin. nat. hist. IV 95: mortuum mare)15.
Die Gliederung des Wasserraums in vier Teile ist für die frühgriechische und
hellenistische geographische Tradition sehr ungewöhnlich. In einer ausführlicheren Form
erscheint dieses Verteilungsprinzip erst in der spätrömischen Zeit, und zwar in der
Cosmographia des Julius Honorius (4.–5. Jh.): Er hat die Oikumene nach den
Ozeansbenennungen in vier Teile getrennt und danach alle geographischen Objekte
fortlaufend nach den Himmelsrichtungen aufgezählt16. Einige Forscher meinen jedoch, die
Vierteilung der Oikumene sei lange vor Honorius von der antiken Tradition entdeckt worden,
und sie verweisen dazu auf die Angaben des Polybios (2. Jh. v. Chr.) über die
Himmelsrichtungen (III 36, 6–7), auf die Windrose des Timosthenes von Rhodos (3. Jh. v.
Chr.), dessen Werk uns in der Wiedergabe des Agathemeros (ca. 4. Jh.) bekannt ist (II 6), auf
Pomponius Mela (1. Jh.), der griechische Quellen in seiner Geographie verwendet hat (I 1),
und auf das Lexikon des Stephanos von Byzanz (s. v. ἤπειρος; 6. Jh.)17.
Die Vierteilung des Ozeans setzt mindestens zwei kreuzweise laufende imaginäre
Linien voraus, was an die Traditionen der Mathematikgeographie erinnert und an den Namen
14
Mehr zum Problem der dionyseïschen geographischen Quellen s. unten.
15
Vgl. Diog. Oenoand. F 21 Smith: sowohl Diogenes als auch Plinius d. Ältere meinen sicher
wohl den Nördlichen Ozean bzw. das Baltikum und nicht das Tote Meer in Palästina. S.
ausführlicher dazu: KAPPELER (1990) 7–18.
16
Die Ausgabe des Textes von RIESE (1878 = 1964) 24–55.
17
RITSCHL (1842) 518–519; KUBITSCHEK (1885) 304–305; MILLER (1898) 7, 70; SCHWEDER
(1903) 510. Von einigen Forschern wird die Vierteilung der Oikumene nach den vier
Himmelsrichtungen auf die alttestamentliche Tradition zurückgeführt (im Buch des Propheten
Daniel 2, 39 geht es um vier Weltherrschaften, 7, 2 ff.; 7, 17; 8, 20 ff.), s. dazu: RIESE (1878 =
1964) 24–25.

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Teil I. Kap. 2. Das Weltbild des Dionysios Periegetes

des Eratosthenes und seines Nachfolgers Poseidonios denken lässt18. Im Fall der
dionyseïschen Periegese kann man nur teilweise von der Verwendung des oben genannten
mathematischen Prinzips sprechen, da Dionysios gleichzeitig die bereits für die ionische
Geographie traditionelle Weltgliederung in die Erdteile nicht ablehnt, aber auch Meere,
Länder und Völker nach den Prinzipien von Periploi und von Chorographien beschreibt.
Auf ähnliche Weise kennzeichnet Dionysios neben den vier Ozeansteilen auch vier
große Ozeansgolfe (vv. 43–57)19: Im Westen ist dies das sich von Libyen bis ins
Pamphylische Land hinziehende Hesperische Meer (d. h. das Mittelmeer)20, im Norden
verbindet ein anderer Golf den Ozean mit dem Kaspischen oder – einer anderen Tradition
folgend – Hyrkanischen Meer21, und im Süden liegen zwei Golfe, der Persische und der
Arabische – einer davon befindet sich symmetrisch (buchstäblich „gegenüber“ ἀντία, v. 53) in
Bezug auf das Kaspische Meer und liegt auf derselben Länge, der andere befindet sich auf
derselben Länge mit dem Euxeinischen Pontos, aber südlicher davon22. Dionysios fügt hinzu,
dass es außer den vier großen Ozeansgolfen noch eine unendliche Zahl von kleineren gibt (v.
57).
Danach beschreibt Dionysios im Detail den größten der Ozeansgolfe – das
Hesperische Meer bzw. das Mittelmeer, welches sich – nach seinen Worten – zu allen
Kontinenten hinkehrt23, und listet dabei alle seine Strömungen, d. h. die es bildenden

18
Vgl. Strabo II 5, 16 C 120: „Da die Gestalt im Ganzen so beschaffen ist, scheint er nützlich
zwei gerade, sich rechtwinklig schneidende Linien anzunehmen, von denen die eine durch die
ganze größte Länge, die andere durch die ganze Breite laufen soll – die eine wird zu den
Parallelen, die andere zu den Meridianen gehören“ (Übers. v. S. Radt).
19
Dabei wiederholt die Passage des Dionysios über die vier großen Ozeangolfe (vv. 43–57)
fast wörtlich Strabons Abschnitt zu demselben Thema (II 5, 18 С 121). Die beiden Autoren
gehen anscheinend ursprünglich von den Vorstellungen des Eratosthenes über die großen
Golfe als Ozeansteile aus. Zur Frage nach den Angaben des Eratosthenes und denen des
Strabon als Quellen des Dionysios s. unten.
20
ἤτοι µὲν πρώτιστον, ὃς ἑσπερίην ἅλα τίκτει, / συρόµενος Λιβύηθεν ἔσω Παµφυλίδος αἴης·
„wohlan nun, zuerst der, der die westliche Salzflut gebiert, sich hinschleppend von Libyen bis
ins Pamphylische Land“ (Dion. Per. 45–46).
21
δεύτερος αὖτ' ὀλίγος µέν, ἀτὰρ προφερέστατος ἄλλων, / ὅστ' ἀποκιδνάµενος Κρονίης ἁλὸς
ἐκ βορέαο / Κασπίῃ αἰπὺ ῥέεθρον ἐπιπροΐησι θαλάσσῃ, / ἥντε καὶ Ὑρκανίην ἕτεροι
διεφηµίξαντο, „als zweiten ferner den zwar geringen, jedoch vor anderen vorzüglichsten,
welcher, sich abspaltend von der Kronischen Salzflut von Norden aus, seine steilabschüssige
Flut zum Kaspischen Meer hin entsendet, das andere auch als Hyrkanisches allseits bekannt
machten“ (Dion. Per. 47–50).
22
τῶν δ' ἄλλων, οἵτ' εἰσὶν ἀπαὶ νοτίης ἁλὸς ἄµφω, / εἷς µὲν ἀνώτερος εἶσι, τὸ Περσικὸν οἶδµα
προχεύων, / ἀντία Κασπίης τετραµµένος ἀµφιτρίτης· / ἄλλος δ' Ἀραβικὸς κυµαίνεται ἔνδοθι
κόλπος, / Εὐξείνου πόντου νοτιώτερον ὁλκὸν ἑλίσσων „von den übrigen aber, welche von der
südlichen Salzflut ausgehend liegen, ist der eine weiter oberhalb, den Persischen
Wogenschwall hervorgießend, der Kaspischen See entgegengekehrt; als anderer aber wogt
eingebettet der Arabische Golf, einen südlicheren Zug windend als das Euxeinische Meer“
(Dion. Per. 51–55).
23
νῦν δ' ἁλὸς ἑσπερίης ἐρέω πόρον, ἥτ' ἐπὶ πάσαις / ἠπείροις λοξοῖσιν ἐπιστρέφεται
πελάγεσσιν, / ἄλλοτε µὲν νήσοισι περίδροµος, ἄλλοτε δ' αὖτε / ἢ ὀρέων ἢ πέζαν ὑποξύουσα
πολήων, „nun aber werde ich den Gang der westlichen Salzflut besprechen, welche zu allen

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Teil I. Kap. 2. Das Weltbild des Dionysios Periegetes

kleineren Meere, auf24. Der Dichter richtet sich hier zum ersten Mal an die Muse, bittet sie
von den „gewundenen Pfaden“ des Mittelmeeres zu künden und führt seine Erzählung von
Westen nach Osten, bis zum Pontos Euxeinos und der Maiotis. Auffallend ist die Tatsache,
dass die Mittelmeerteile bei Dionysios nach den Prinzipien eines Periplus aufgezählt werden:
entweder in Bezug auf (а) das (durch ein Volk oder einen Stamm bewohnte) Küstenland, oder
auf (b) eine Insel(gruppe), ein Kap. Der Leser kann sich dabei im geographischen Raum mit
Hilfe von dispositionellen Bemerkungen orientieren (z. B. „von – bis hin“, „daneben“,
„danach“ u. a.)25.
So grenzt z. B. das zwischen Libyen und Europa liegende Iberische Meer an die benachbarten
Küsten (vv. 69–70), das Galatische Meer an Land und Hafen von Massalia (vv. 74–75); die
Grenzen des Ligurischen Meeres liegen beim Kap Leukopetra (d. h. dem Weißen Fels) der
Apenninhalbinsel (v. 79); das südlicher liegende Tyrrhenische Meer grenzt an Libyen und zwei
Syrten (v. 84 und 201); das Ionische Meer ist durch die Illyrische und die Ausonische Küste
begrenzt (vv. 94–99); das Pharische Meer streckt sich der ägyptischen Küste entlang bis zum Berg
Kasion östlich vom Nil hin (vv. 115–116), das Sidonische von der ägyptischen Küste nordwärts
bis zur Stadt Iss in Kilikien (vv. 117–118); an die Propontis grenzt ein „breiter Schlauch
Festlandes“ (v. 139), den verschiedene Völker und Stämme Asiens besiedeln (v. 138); im Pontos
treten zwei Kaps hervor – das europäische Kriumetopon und das asiatische Karambis (vv. 150–
155). Gleichzeitig umspült das Sardische Meer die Insel Kyrnos (d. h. Korsika) (vv. 81–82), das
Sikelische Meer umströmt das Kap Pachynos an der östlichen Spitze Siziliens und erreicht dann
das andere Kap Kriumetopon auf Kreta (vv. 84–90). Die anderen Mittelmeersteile stellen einen
gemischten Typus dar und werden von Dionysios sowohl in Bezug auf das Land als auch auf die
Inseln erwähnt: so erstreckt sich das Issische Meer von der kilikischen Stadt Iss (v. 118) bis zu
den Helidonischen Inseln (v. 128), das Ägäische Meer umkränzt einerseits Hellas (v. 401),
andererseits reicht es über die Sporadischen Inseln bis zur Insel Tenedos (vv. 132–137).
So stellt sich Dionysios Periegetes den Ozean als einheitliches Weltmeer vor, das die
darin liegende Landmasse wie eine Insel umströmt und ihre Grenzen bildet. Dionysios nennt
vier Ozeanteile, die nach den Himmelsrichtungen platziert sind, während er sich dabei im
Uhrzeigersinn von West nach Ost bewegt. Die vier großen Ozeangolfe dringen in die
Landmasse ein, die Bestandteile bzw. Meere des größten davon – des Mittelmeeres mit dem
Pontos Euxeinos und der Maiotis – werden von Dionysios ausführlich aufgezählt.

2.2 Die Form der Landmasse und ihr Aufbau


Bevor die Frage über die Landmasse und ihren Aufbau in der Periegese besprochen wird,
sollte man daran denken, dass Dionysios das Lexem ἡ οἰκουµένη (sc. γῆ, „Oikumene“) im
Text seines Gedichtes nicht benutzt26, sondern die poetischen Lexemen χθών („Erde,
Landmasse“) und γαῖα („Erde, Land“) verwendet. Einerseits ist diese Wahl durch das Metrum

Erdteilen sich hinkehrt mit gekrümmten Meeren, bald Inseln rings umlaufend, bald wiederum
den Saum – sei es von Bergen, sei es von Städten – sanft beschabend“ (Dion. Per. 58–61).
24
Zu den meisten von Dionysios erwähnten Mittelmeersteilen s.: BURR (1932).
25
Ausführlicher dazu s. unten in diesem Kapitel: „Der hodologische Raum“.
26
Zu diesem Wort im Titel des Gedichtes s. oben: Teil I. Kap. 1. Das Werk: Titel, Inhalt,
Autorschaft (Titel).

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Teil I. Kap. 2. Das Weltbild des Dionysios Periegetes

bedingt27, andererseits mit dem Hauptziel des Dionysios verbunden, das geographische
Material als Epos darzubieten.
Die ganze Landmasse sieht Dionysios also wie eine Insel durch den Ozean umkränzt
und der Form nach nicht ganz „kreisrund, sondern beidseitig spitz zulaufend gegen die Pfade
der Sonne hin, einer Schleuder gleichend“ (vv. 5–6)28. Dass Dionysios die Inselgestalt der
Erdfläche als von allen Seiten vom Ozean umströmt betont, weist darauf hin, dass sein
Weltbild unter dem Einfluss der Vorstellungen der ionischen Geographen oder eher ihrer
Nachfolger – der hellenistischen Gelehrten Eratosthenes und Poseidonios – entstand29. In
seiner Definition von Landmasse als Schleuder (σφενδόνη)30 verwendete er die
Oikumenengestalt des Poseidonios (σφενδονοειδής, Posid. F 200а E.–K. = Agathem. I 2)31.
Wenn man von diesen Entlehnungen von den Lehren des Eratosthenes und des Poseidonios
ausgeht, kann man auch vermuten, dass sich Dionysios an die Theorie von der Kugelgestalt
der Erde hielt (wofür es im Text des Gedichts indirekte Bestätigungen gibt)32 – direkt weist
jedoch nichts darauf hin, auch nicht auf seine Ansicht zur Lage der Oikumene auf der Erde.
Das Werk des Dionysios entspricht nicht den Aufgaben der kosmologischen und
physikalischen Naturphilosophie, sondern denen der kulturhistorischen Ethnographie.

27
Das Wort ἡ οἰκουµένη gehört zum prosaischen Wortschatz (erstmal bei Herod. III 114) und
kann nicht in den Hexameter eingeflochten werden. Was die dichterische Redewendung des
Dionysios betrifft, so findet sie eine Parallele in einem thematisch ähnlichen Abschnitt des
Euphorion: Ὠκεανός, τῷ πᾶσα περίρρυτος ἐνδέδεται χθών (Euphorion. F 122, 1 Powell).
28
Die späteren Zeugnisse des Agathemeros und eines Autors der Scholien zum dionyseïschen
Gedicht berichten davon, dass Demokrit als einer der ersten über die gestreckte Form der
Oikumene geschrieben habe (GGM (Müller) II. 471 (1. 2); Schol. in Dion. Per. (Müller) II.
428 (A 7–10). Eudoxos von Knidos meinte, dass die Länge der bewohnten Welt zweimal
größer als ihre Breite sei. Unter dem Einfluss der Zonenlehre des Eudoxos befand sich
Aristoteles, der seine Aufmerksamkeit auf die Theorie der Kugelgestalt der Erde richtete
(Arist. Meteor. II 5 362b 11). Dikearchos von Messene bestimmte die Ausdehnung der Erde
in der westöstlichen Richtung. Die Vorstellung über die ausgedehnte Form der Oikumene
wurde später von den hellenistischen Gelehrten – Eratosthenes, Krates von Mallos,
Hipparchos, Poseidonios – entwickelt (NICOLET (1988) 92–99).
29
Vgl. Eratosth. F II B 27 Berger = Strabon II 5, 5 C 112: „In einem dieser beiden Vierecke
nun – in welchem, ist, wie es scheint, gleichgültig – liegt, sagen wir, die bewohnte Welt bei
uns, umspült vom Meer und einer Insel ähnlich“ (Übers. v. S. Radt). Mehr zu Eratosthenes,
Poseidonios und Strabon als vermutlichen Quellen von Dionysios s. unten in diesem Kapitel.
30
Der Wortgebrauch von σφενδόνη, womit im späteren Griechischen die Schleuder
bezeichnet wurde, ist bereits im homerischen Epos vorzufinden (Il. XIII 600: im militärischen
Sinn; s. auch Il. XIII 716); vgl.: Aesch. Agam. 1010; Eurip. Phoen. 1142; Aristoph. Nub.
1125; Thuc. IV 32; Plato. Legg. VIII 834 A. Eustathios von Thessaloniki fügt in seinem
Kommentar zur Periegese hinzu, dass ein Wort mit derselben Wurzel, ὀπισθοσφενδόνη, von
den Komödiendichtern zur Erzeugung eines komischen Effektes verwendet wurde (Eust. ad
Dion. Per. 7).
31
GÖTHE (1875) 8; BERNAYS (1905) 47–48; BERGER (1880) 16; EDELSTEIN, KIDD (1971–
1990) Vol. II (2). 716–717; TSAVARI (1990b) 35. Mehr zu Poseidonios als vermutlicher
Quelle der Erdbeschreibung s. unten in diesem Kapitel.
32
Ausführlicher s. unten: Teil II. Kap. 7. Klima und Landschaft des nördlichen
Schwarzmeergebietes (Dionysios’ Kenntnisse der Zonenlehre).

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Teil I. Kap. 2. Das Weltbild des Dionysios Periegetes

Europa N.Asien

Libyen
S.Asien

Abb. 5. Die drei Kontinente nach Dionysios Periegetes: Lybien, Europa und Asien

Dionysios teilt die ganze Landmasse in drei Kontinente – Libyen, Europa und Asien,
und unterstützt damit die in der Antike meistverbreitete Tradition der dreiteiligen Gliederung
der Erde. Das homerische Epos enthält noch keine Unterscheidung von Erdteilen. Einer der
ersten Versuche einer dreiteiligen Gliederung stammt von Hekataios von Milet (FGrHist 1 F
18a = Schol. Apoll. Rhod. IV 257–262 b)33 – dies hielt jedoch später Herodot (IV 36) nicht
davon ab, bei der Beschreibung des Konflikts zwischen den Griechen und den Persern die
Meinung von einer zweiteiligen Gliederung der Erde (Europa und Asien) zu vertreten (dieser
lag jedoch ein politisches Ziel zugrunde). Als ersten Kontinent nennt Dionysios sowohl im
Prolog zur Periegese als auch in seiner weiteren Beschreibung Libyen (dann Europa und
Asien)34, was sich von der geographischen Tradition absetzt: Gewöhnlich nahm Libyen nach
Größe und Bedeutung bei den antiken Autoren den dritten oder zweiten Platz ein35. Die
besondere Bedeutung, die Libyen im Gedicht des Dionysios hat, kann man mit der möglichen
Herkunft des Autors der Periegese aus diesem Kontinent erklären36.

33
Den Scholien zu Apollonios Rhodios zufolge ging Hekataios bei seiner Schilderung der
Argonautenfahrt von einer direkten Verbindung sowohl des Nil als auch des Phasis mit dem
Okeanos aus – d. h. die Flüsse bilden die Wassergrenzen sowohl zwischen Libyen und Asien
als auch zwischen Asien und Europa; s. dazu auch: GISINGER (1924) 554–555; ZIMMERMANN
(1999) 59–73, 187–189.
34
Die ähnliche Reihenfolge bei der Aufzählung der Kontinente wiederholt sich bei: Hipparch.
F 10 Dicks ( = Strabo I 3, 15 C 57); Strabo II 5, 26 C 126; Mela I 8; Plut. Pomp. 45, 7
(Chronologie der Triumphe des Pompeius); Schol. ad Dion. Per. 1.
35
Libyen wird auf dem dritten Platz erwähnt bei: Strabo II 5, 26–33 C 126–131 (Europa –
Asien – Lybien); Strabo III–X (Europa), XI–XVII 2 (Asien), XVII 3, 1–23, C 824–839
(Libyen); vgl. Herod. II 16, 1; Ps.-Arist. mund. 3, p. 393b–394b; Plin. nat. hist. III 3; Dion
Chrys. IV 49; Aristeid. Or. XXVII 32; Cass. Dio XLVIII 28, 4; auf dem zweiten Platz: Strabo
XVII 3, 24 C 839; Agathem. 10 GGM II 474; Eus. Vita Const. III 7, 1; Proc. Goth. I 12;
ausführlicher dazu s.: ZIMMERMANN (1999) 67–73.
36
Vgl.: Ἰστέον δὲ ὅτι προτάττει τῶν ἄλλων τὴν Λιβύην καὶ νῦν καὶ ἐν τοῖς ἑξῆς, οὐ κατά τινα
περιηγητικὴν ἀνάγκην, ἀλλὰ καὶ οἷα Λίβυς φιλῶν τὰ οἰκεῖα, καὶ οὕτω τὸ ἑαυτοῦ ἔθνος τῶν

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Teil I. Kap. 2. Das Weltbild des Dionysios Periegetes

Nachdem Dionysios alle drei Kontinente aufgezählt hat, berichtet er von den Grenzen
dazwischen und bemerkt dabei, dass neben einer „Insel-Theorie“ (wonach die Landmasse
durch die Flüsse geteilt wird) eine „Kontinental-Theorie“ existierte (wonach die Kontinente
durch die Landengen gegliedert wurden)37. Bei einer dreiteiligen Gliederung der Erde verlief
traditionell die Wassergrenze zwischen Libyen und Europa durch das Mittelmeer – die
Angaben darüber finden sich auch bei Dionysios38; von Asien wurde Libyen durch den Nil
getrennt39; Europa und Asien teilte der Fluss Tanais (der heutige Don)40. Der „Kontinental-
Theorie“ entsprechend wird Libyen von Asien durch die Landenge zwischen dem Arabischen
Meer und dem Mittelmeer abgetrennt, während die Landenge zwischen dem Pontos Euxeinos
und dem Kaspischen Meer Europa von Asien abgrenzt41. Im weiteren Text seiner Periegese
hält sich Dionysios meistens an die „Insel-Theorie“42.

λοιπῶν προτιθέµενος, „Man muss wissen, dass er Libyen jetzt und im weiteren vor anderen
(sc. Kontinenten) nicht wegen einer periegetischen Notwendigkeit platziert, sondern weil er
selber Libyer ist und seine Heimat liebt, so dass er sein Volk allen anderen voranstellt“ (Eust.
ad Dion. Per. 7, Übers. meine – E. I.). Zur Herkunft des Dionysios aus dem ägyptischen
Alexandrien s. oben: Teil I. Kap. 1. Das Werk: Titel, Inhalt, Autorschaft (Autorschaft).
37
Vgl. Eratosth. F II C 22 Berger = Strabo I 4, 7 С 65: „Nachdem er (sc. Eratosthenes)
anschließend davon gesprochen hat, dass viel von den Kontinenten geredet worden ist und
Manche sie durch die Flüsse (den Nil und den Tanais) voneinander trennen und sie so zu
Inseln machen, Andere durch die Landengen (der zwischen dem Kaspischen und dem
Schwarzen Meer und der zwischen dem Roten Meer und dem Ekrhegma), und Letztere sie als
Halbinseln bezeichnen, sagt er (...)“ (Übers. v. S. Radt).
38
ἀλλ' ἤτοι Λιβύη µὲν ἀπ' Εὐρώπης ἔχει οὖρον / λοξὸν ἐπὶ γραµµῇσι, Γάδειρά τε καὶ στόµα
Νείλου, „Aber wohlan, Libyen nun hat als schräglinige Abgrenzung von Europa Gadeira und
die Mündung des Nils“ (Dion. Per. 10–11).
39
ὅς ῥά τε καὶ Λιβύην ἀποτέµνεται Ἀσίδος αἴης, / ἐς λίβα µὲν Λιβύην, ἐς δ' αὐγὰς Ἀσίδα
γαῖαν, „und er (sc. der Nil) schneidet sich auch Libyen ab vom Asiatischen Land, zum Libs
hin Libyen, zum Frühlicht hin das Asiatische Land“ (Dion. Per. 230–231).
40
Εὐρώπην δ' Ἀσίης Τάναϊς διὰ µέσσον ὁρίζει, / ὅς ῥά θ' ἑλισσόµενος γαίης διὰ
Σαυροµατάων / σύρεται ἐς Σκυθίην τε καὶ ἐς Μαιώτιδα λίµνην, / πρὸς βορέην, „Europa aber
schneidet von Asien im Norden der Tanais, welcher ja im Zentrum (sc. der Schleuder), sich
windend durch das Land der Sauromaten, sich nach Skythien und in den Maiotischen See
hinschleppt“ (Dion. Per. 14–17).
Die feste Vorstellung der antiken Geographie vom Tanais (dem heutigen Don) als einem
Grenzfluss zwischen Europa und Asien entstand ziemlich früh (vgl. Aesch. Prom. vinct. 729–
735; Strabo VII 4, 5 C 310; Mela I 15; Plin. nat. hist. III 3; Arr. PPE. 29; Anon. PPE 42, 28;
Ptol. Geogr. III 5; Oros. I 2, 5; Amm. Marc. XXXI 2, 13; Rav. Anon. II 20), wobei auch
andere Meinungen zum Grenzenproblem existierten (vgl. Herod. IV 45: „als Grenzen hierfür
(sc. für Europa und Asien – E. I.) wird der kolchische Phasis angenommen. – Andere setzen
für den Phasis den maietischen Tanais und die kimmerischen Hafenplätze“, – übers. v. J.
FEIX).
41
ἄλλοι δ' ἠπείροισι διὰ χθόνα νοσφίζουσιν. / ἰσθµὸς ἄνω τέταταί τις ὑπέρτατος Ἀσίδος αἴης,
/ Κασπίης τε µεσηγὺ καὶ Εὐξείνοιο θαλάσσης· / κεῖνον δ' Εὐρώπης Ἀσίης θ' ὅρον ηὐδάξαντο·
/ ἄλλος δ' αὖ µακρὸς καὶ ἀθέσφατος ἐς νότον ἕρπει, / Ἀραβίου κόλποιο καὶ Αἰγύπτοιο
µεσηγύ, / ὅς ῥά τε νοσφίζοι Λιβύην Ἀσιήτιδος αἴης, „Andere wiederum zerteilen durch
Festlandgebiete die Landmasse: Eine Landenge liegt empor gestreckt, die höchste des
Asiatischen Landes, mitten zwischen dem Kaspischen und dem Euxeinischen Meer; jene

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Teil I. Kap. 2. Das Weltbild des Dionysios Periegetes

2.3 Raumerfassung im Gedicht des Dionysios Periegetes


Nachdem Dionysios das allgemeine Weltbild mit den drei Kontinenten vorausgestellt hat,
beginnt er den inneren Raum der Welt mit Details zuzufüllen und ihn damit zu strukturieren –
dank der Beschreibungen auf der Erde liegender Länder, Städte, geographischer Objekte und
sie bewohnender Völker und Stämme. Dionysios verwendet dabei zwei traditionelle,
quasikartographische Formen der Raumerfassung: die „vertikale“ (der sogenannte „Blick von
oben“ bzw. „Vogelperspektive“) und die „horizontale“ (markante Punkte und imaginäre
Routen bzw. der sogenannte hodologische Raum)43. Diese Methode des Verhältnisses vom
Ganzen und seiner Teile verbreitet sich über alle Niveaus der von Dionysios geschilderten
Oikumene und lässt ihn geometrische (Dreiecke, Rhomben usw.) und chorographische bzw.
periegetische (Flüsse, Völker, Länder usw.) Beschreibungsweisen kombinieren. Mit der
Raumerfassung ist auch die Frage nach der Raumorientierung der antiken Menschen
verbunden. Im Gedicht des Dionysios werden verschiedene Orientierungsweisen
vorgeschlagen – nach Himmelskörpern, Winden, Himmelsrichtungen, Hinweisen „rechts –
links“ vom Standpunkt eines imaginären Betrachters. Der Dichter zeigt einerseits seine
Fachkenntnisse und seine Traditionsnachfolge, andererseits möchte er auch Abwechslung
bringen in seinen geographischen Text.

2.3.1 Vogelperspektive (vertikal)


Die „imaginäre“ bzw. „mentale“ Beschreibung aus der Vogelperspektive (der so genannte
Blick von oben) spiegelt seit jeher in der antiken Dichtung eine der Formen der
Raumerfassung wider44. Als eines der frühesten Beispiele hierzu wird meistens eine
homerische Passage erwähnt, in der Zeus – auf einem hohen Berg sitzend – seinen Blick von
Troja abwendet und die vor ihm liegenden Ebenen der Thrakier und der Mysier betrachtet (Il.
XIII 1–6)45: Dieser geographische Überblick wird im Epos aus der so genannten
Götterflugperspektive geboten. Von einer bewussten Verwendung der literarischen Methode
„Blick von oben“ kann man jedoch ernsthaft erst seit der hellenistischen Zeitperiode
sprechen. Ein Beispiel findet sich in den Argonautika des Apollonios Rhodios, in denen sich
vor dem vom Olympos hinunterfliegenden Eros eine Übersicht der vor ihm ausgedehnten
Länder öffnet (III 164–166). D. MEYER meint, eine solche quasikartographische
Beschreibung aus der Götterflugperspektive befinde sich im Rahmen der epischen Tradition,
während sich die Schilderung des südpontischen Flusses Thermodon mit seinen 96 Armen aus

verkündeten sie als Grenze zwischen Europa und Asien. Eine andere wiederum, lang und
unsagbar groß, kriecht gen Süden, mitten zwischen dem Arabischen Golf und Ägypten,
welche füglich Libyen vom Asiatischen Land trennt“ (Dion. Per. 19–25).
42
So sagt z. B. Dionysios, als er die Einwohner der ägyptischen Stadt Pelusion (h. Port Said)
erwähnt: οὐ µὲν ἐκεῖνοι / ἀνέρες ἐν Λιβύεσσιν ἀρίθµιοι· ἦ γὰρ ἐς αὐγὰς / ἑπταπόρου Νείλοιο
νενασµένον ἔλλαχον ἄστυ, „nicht freilich sind jene Menschen unter die Libyer zählbar: Denn
ja eine im Osten des siebenpfadigen Nil angesiedelte Stadt erlosten sie“ (vv. 262–264).
43
BRODERSEN (1995) 113 ff.
44
JACOB (1982) 215–239; JACOB (1985) 83–107.
45
SCHRIJVERS (2010) 150.

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Teil I. Kap. 2. Das Weltbild des Dionysios Periegetes

der Vogelperspektive (II 972–984) auf die geographische Fachliteratur stütze46. Das
klassische Beispiel der Vogelperspektive ist aber der berühmte Abschnitt aus dem Epyllion
Hermes des Eratosthenes (F 16 Powell), in dem der himmlische Patron der Reisenden von
einer gewissen Höhe aus die Weite der kugelförmigen Erde betrachtet, die nach den fünf
„Klimazonen“ eingeteilt ist47. Die Beschreibung des Eratosthenes wurde danach Archetyp für
alle späteren Darstellungen der Erde und ihrer Klimazonen in der griechischen und römischen
Poesie, insbesondere in der Lehrdichtung48.
Im geographischen Gedicht des Dionysios Periegetes gibt es keine epische
Götterflugperspektive, weil die Götter darin keine handelnden Personen sind. Die
Erdbeschreibung ist jedoch voll von geographischen Schilderungen aus der Vogelperspektive.
Dank dieser Methode gelingt es dem Autor (und gleichzeitig auch dem Leser), sich vom
beschriebenen Objekt abzuerheben und es sich als Ganzes vorzustellen49. So beginnt das
Gedicht z. B. mit der Gestalt der schleuderförmigen Landmasse, die als Insel im Weltozean
liegt und in drei Kontinente gegliedert ist (vv. 4–9): Eine solche Sicht der ganzen Oikumene
ist nur mit Hilfe des „Blicks von oben“ möglich. Auf ähnliche Weise gehört ein gedachter
Überblick über jeden der Kontinente oder über einzelne Länder zur Vogelperspektive, wobei
ihre Umrisse „von oben“ auch mit geometrischen oder anderen bekannten Figuren verglichen
werden; es ist aber zu bemerken, dass diese Vergleiche mit Figuren der Anschaulichkeit des
zu beschreibenden geographischen Objekts dienen und daher eigentlich in das Gebiet der
Didaktik gehören50. Im Epilog des dionyseïschen Gedichts kann man sogar offensichtliche
Allusionen auf das oben erwähnte Fragment aus dem eratosthenischen Hermes (F 16 Powell)
erkennen: Dionysios spricht von verschiedenen Klimazonen der Erde, die sich nicht nur durch
ihre Farbe, sondern auch durch Naturbesonderheiten unterscheiden (vv. 1175–1179). In
beiden Gedichten werden die Erde und ihre Klimagürtel von den Dichtern quasi von oben
bzw. außen betrachtet.
Vor diesem Hintergrund fällt noch eine der dionyseïschen Anreden des Lesers auf, in
der der Dichter sagt, dass er „das Erscheinungsbild der gesamten Festlandmasse in Worte
kleiden wird“, damit der Leser, wenn er es auch nicht gesehen hat, „eine leicht faßliche
Anschauung“ habe: νῦν δέ τοι ἠπείρου µυθήσοµαι εἶδος ἁπάσης, / ὄφρα καὶ οὐκ ἐσιδών περ
46
MEYER (1998) 214, Anm. 101.
47
POWELL (1925) 58–63; s. auch: BERGER (1903) 393–394, 398–399. Zum Inhalt des
Fragments s. Teil I. Kap. 1. Das Werk: Titel, Inhalt, Autorschaft, Anm. 105. Zum
eratosthenischen Gedicht s. auch: HILLER (1872, mit Kommentar auf lateinische Sprache);
SOLMSEN (1942 = 1968); GEUS (2002) 110–128. Dieselbe Sujet über die Klimazonen des
Eratosthenes s. auch in den Georgika des Vergil (I 231–256), s. dazu: THOMAS (1986).
48
Vgl. Lucr. De rerum natura. 204 f.; Verg. Georg. I 231–239 u.a.; Ovid. Met. I 45–51;
Horat. Od. I 13, 17–24 etc. S. auch: SCHRIJVERS (2010) 149–176.
49
Bereits Eustathios von Thessaloniki bemerkte in seinem Kommentar zur Erdbeschreibung,
dass Dionysios seinen Leser führe wie Daidalos, der im Flug den Ikaros lehrte; weiter
vergleicht Eustathios Dionysios mit dem homerischen Hermes (vgl. Hom. Il. XXIV 343–345,
IV 442; Od. X 277), der im göttlichen Auftrag die ganze Erde umfliegt (Eust. ad Dion. Per.
epist. P. 210 Müller).
50
Ausführlicher zu den Vergleichen der Kontinenten- und Länderumrisse mit verschiedenen
Figuren bei Dionysios s. unten in diesem Kapitel.

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Teil I. Kap. 2. Das Weltbild des Dionysios Periegetes

ἔχοις εὔφραστον ὀπωπήν (vv. 170–171). Hier wird ὀπωπή im Sinn „optischer Eindruck“,
„bildliche Vorstellung“ benutzt, d. h. Dionysios meint damit eine literarische Beschreibung,
die mit Hilfe der „Blick von oben“-Methode im inneren Auge des Lesers das Oikumenebild
erschaffen wird51.

2.3.2 Der hodologische Raum (horizontal)


Routen
Nachdem Dionysios das gesamte Weltbild „von oben“ dargeboten hat, landet er in seinen
Gedanken wieder auf der Erde und beginnt einzelne geographische Gebiete – den Ozean und
seinen größten Golf, das Mittelmeer, alle Kontinente und die Inseln – detailliert zu
beschreiben. Dabei verwendet er die für antike Periegesen kennzeichnende
Beschreibungsweise einer Route, die einer imaginären Linie folgt: Dionysios zählt
parataktisch ethno- und geographische Objekte (Wasserraum, Kontinente und Inseln, ihre
Küsten- und Binnengebiete, die sie bewohnenden Völker und Stämme) vom Gesichtspunkt
eines gedachten, sich im Raum bewegenden Subjekts auf und führt den Leser entlang der
imaginären „Routen“52. Diese archaische Form der Raumerfassung ist mit einer
vorwärtsgerichteten Blickrichtung verbunden und stellt so eine horizontale Linie dar53. Der
Leser soll der Beschreibung folgen und so eigentlich zusammen mit dem Autor eine
imaginäre lineare Bewegung entlang einer Route machen54. Diese hodologische (vom griech.
51
SCHNEIDER (1882) 36; FRUHWIRTH (1990) 90.
52
„Nun aber werde ich den Gang (πόρον) der Hesperischen Salzflut besprechen“ (v. 58); „Ihr
aber, o Musen, möget die gewundenen Pfade (σκαλιὰς κελεύθους) künden, euren Ausgang
nehmend – reihum – vom Hesperischen Ozean“ (vv. 62–63); „Wenn du aber auch von Europa
den Umriss (πόρον) willst, werde ich ihn dir mitnichten verhehlen“ (v. 270); „Doch merke auf
Europas restlichen Verlauf (λοιπὸν πόρον)“ (v. 331); „Du aber, Zeustochter Muse, künde mir
den heiligen Pfad (ἱερὸν πόρον) aller Inseln“ (v. 448); „Die Musen aber mögen eine
schnurgerade Spur (ἰθύντατον ἴχνος) ziehen“ (v. 651); „Leicht aber könnte ich dir wohl auch
dieses Meer beschreiben, ohne zwar fernab seine Pfade (πόρους) gesehen zu haben“ (vv.
707–708); „Nun wiederum werde ich wohl den Verlauf (πόρον) des am Meer gelegenen
Asien verkünden“ (v. 799); „Leicht aber könnte ich dir wohl den restlichen Verlauf (λοιπὸν
πόρον) des Landes Asiens verlauten (...). Denn solltest du mir diesen Pfad (κέλευθον) genau
aufgemerkt haben“ (vv. 881–884); „Als Türriegel des Asiatischen Landes - , wo ein Pfad
(κέλευθος) Wandernden nach Norden hin und nach Süden ausgebreitet ist“ (vv. 1036–1037);
„Doch merke auf – zum Frühlicht hin – den restlichen Verlauf (λεπτὸν πόρον) des
Asiatischen Landes“ (v. 1080); „Denn schon bin ich hingeeilt über den Wogenschwall der
gesamten See, über der Erdteile krummen Verlauf (σκολιὸν πόρον)“ (vv. 1184–1185).
53
S. die wichtigsten Studien zum Thema: VAN PAASSEN (1957); JANNI (1984); JANNI (1998);
PRONTERA (1984); BRODERSEN (1995); GEHRKE (1998).
54
Im Kontext des dionyseïschen Gedichts hat der Begriff „Route“ keine strenge
terminologische Bedeutung – dafür benutzt Dionysios vielfältigen frühepischen Wortschatz
(s. EBELING (1880–1885), s.v. ἡ κέλευθος). Außerdem werden die Lexeme „Route“ (πόρος,
κέλευθος) im Text der Erdbeschreibung manchmal unabhängig von der oben angeführten
Semantik verwendet und dienen z. B. für Hinweise auf Sonnenbewegung (πρὸς ἠελίοιο
κελεύθους, v. 6), auf Himmelsrichtung (ἑξείης δὲ πόροιο πρὸς αὐγὰς ἠελίοιο, v. 487), auf die
für Seeleute gefährliche Sizilische (heute Messenische) Meerenge (ὀλοὴ ναύτῃσι κέλευθος, v.
473), auf die linke – für einfahrende Schiffe – Küste des Adriatischen Meeres (ἀλλ᾿ ὁπότ᾿

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Teil I. Kap. 2. Das Weltbild des Dionysios Periegetes

ἡ ὁδός „Weg, Strecke“)55 Beschreibungsweise setzt Ausgangs- und Endpunkte des Weges,
eine bestimmte Richtung und markante Punkte (Flussmündungen, Kaps, Bergspitzen u. ä.)
voraus; und wenn sich auch die Aufzählung der geographischen Objekte dabei etwas seitlich
abbiegt, so kehrt sie später doch zielgerichtet zur Hauptlinie zurück56. Eines der frühesten
Beispiele einer solchen Beschreibung stellt eine Passage der Ilias dar, in der Heras Route
geschildert wird – wie die Göttin vom Olympos über die Hügel Pieriens, die Täler Emathiens,
über Thrakien und den Berg Athos zur Insel Lemnos fliegt; sowohl Ausgangs- und Endpunkt
der göttlichen Route als auch einzelne markante Punkte dazwischen werden von Homer
angegeben (Il. XIV 225–230).
Als Ausgangspunkt einer Route dient im dionyseïschen Gedicht immer der westlichste
Punkt des zu beschreibenden Objektes – in Europa und Libyen sind dies die Säulen des
Herakles, von denen ausgehend Dionysios den Ozean (vv. 29 ff.), das Mittelmeer (vv. 64 ff.),
Libyen (vv. 184 ff.), dann Nord- (vv. 281 ff.) und Südeuropa (vv. 331 ff.), die Inseln des
Mittelmeers (vv. 450 ff.) und die des Ozeans (vv. 555 ff.) beschreibt. Bei der Beschreibung
Asiens liegt der westlichste Punkt an der Maiotis und am darin mündenden Tanais (vv. 652
ff.). Eine besondere Route stellt die in Asien von West nach Ost ausgedehnte Bergkette
Tauros dar, die auf diesem Kontinent den Nord- (vv. 620–880) vom Südteil (vv. 881–1079)
abtrennt. Gesondert wird die Route der östlichen Gegend Asiens beschrieben (vv. 1080–
1165).
Den Routen mit markanten Punkten entsprechend werden von Dionysios ethnogeographische
Angaben gemacht, wodurch er in einzelnen Textpassagen jeweils einen bestimmten Regionsteil
beleuchtet. So wird z. B. ein Teil der imaginären periploischen Beschreibung des Mittelmeers in
drei Routen aufgeteilt: von Sizilien nordwärts – in die Adria (vv. 91 ff.), südwärts – zu den Syrten
(vv. 103 ff.) und ostwärts – bis zur Kreta (vv. 109 ff.). Von Kreta bahnt Dionysios eine Route bis
zum Berg Kasion, der sich ostwärts von der Nilmündung befindet (vv. 115 ff.), und die andere zum
Patarischen Kap in kleinasiatischen Lykien (vv. 117 ff.). Vom Patarischen Kap geht die
dionyseïsche Route zur Insel Tenedos im Hellespontos (vv. 130 ff.), von wo sie dann weiter bis zur
Maiotis läuft (vv. 135 ff.).
Die Beschreibung Libyens beginnt mit einer Route, deren Ausgangspunkt im Westen bei den
Säulen des Herakles liegt: Vor allem wird dabei die nördliche Küste Libyens bis zu den beiden
Syrten (vv. 184 ff.) beschrieben, dann biegt die Erzählung ab, einer Route in den Binnengebieten
Libyens entlang (vv. 211 ff.), und wird mit einer Route dem Nil entlang beendet (vv. 222 ff.),
wobei die darauf folgende Passage der ausführlichen Beschreibung Ägyptens gewidmet ist (vv.
232 ff.).
Auf ähnliche Weise führen mehrere Routen durch Europa: Eine davon liegt nordwärts von den
Säulen des Herakles (vv. 281 ff.), die andere läuft den Alpen entlang (vv. 294 ff.); und weitere
zwei – nord- (vv. 302 ff.) und südwärts (vv. 321 ff.) vom Istros – beschreiben die entsprechenden

Ἀδριάδος σκαιὸν πόρον ἀµφιτρίτης εἰσελάσῃς ἐπὶ νηός, v. 481), auf den Sternenpfad
(αἰθερίων ὁδὸς ἄστρων, v. 717), oder auf den Nyseïschen Pfad beim indischen Ganges, der zu
den Dionysischen Säulen am östlichen Rande des Ozeans führt (Νυσαίην κέλευθον, v. 1159).
55
Der Begriff „hodologisch“ wurde zum ersten Mal in einem Artikel des deutschen
Psychologen K. LEWIN (1934) angeführt und später im Buch von P. JANNI (1984) in Bezug
auf geographische Beschreibungen verwendet und ausgearbeitet.
56
JANNI (1984) 13–14, 79–90; GEHRKE (1998) 164.

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Teil I. Kap. 2. Das Weltbild des Dionysios Periegetes

Gegenden und dort wohnenden Völker und Stämme. Schließlich gehört zur Mittelmeerroute – die
Dionysios von den Säulen des Herakles bis zur Attischen Küste legt – eine detaillierte
Beschreibung der drei europäischen Halbinseln – der Pyreneischen, der Apenninen und der
Balkanischen (vv. 331 ff.).
Eine „heilige“ (ἱερὸς πόρος, v. 448) Route verbindet die im Mittelmeer und im Pontos Euxeinos
liegenden Inseln, die eine große Bedeutung für die Seeleute von damals hatten (vv. 448 ff.). Die
Ozeansinseln, die die Oikumene von der äußeren Seite umgeben, werden im Uhrzeigersinn vom
Westen nach Osten aufgezählt und stellen eine besondere Liste dar (vv. 555 ff.).
Die Routenbeschreibung Nordasiens fängt Dionysios mit dem Periplus der Maiotis (d.h. des
westlichsten Punktes im asiatischen Teil der Oikumene) an (vv. 652 ff.), dann geht er in seinen
Gedanken die kaukasische Küste des Pontos entlang – bis zur Landenge, die das Schwarze Meer
mit dem Kaspischen Meer verbindet (vv. 680 ff.); nach dem Periplus des Kaspischen Meeres (vv.
718 ff.) wird die südpontische Küste des Pontos von Osten nach Westen beschrieben (vv. 762 ff.).
Die zwei anderen Routen enthalten Beschreibungen Klein- (vv. 799 ff.) und Südasiens (vv. 881
ff.); als eine Route in Südasien über Syrien, Arabien und Mesopotamien die Kaspischen Pforten
erreicht, und geht dann aber südabwärts weiter, nach Persien (vv. 1053 ff.). Die übrige Route in
Ostasien fängt in Karmanien an und dehnt sich in östliche Richtung aus bis zum Indusstrom, von
wo ostwärts bis zu den Säulen des Dionysos an der Ostozeansküste Indien liegt (vv. 1080 ff.).
Eine Route ist die Verbindung zwischen zwei bestimmten geographischen Punkten
und gibt einen bestimmten Raum wieder. Der geographische Raum einer Route ist immer mit
topographischen (Städte, Flussmündungen, Berge, Kaps u.a.), ethnischen (Völker, Stämme)
oder sakralen (Heiligtümer, Tempel, Grabstätten) Objekten angefüllt, die als markante Punkte
der Route hervortreten – sie markieren verschiedene Routenteile und umfassen gleichzeitig
die ganze Region.

Distanzangaben in Tagesreisen
Im Rahmen der hodologischen Tradition macht Dionysios in seinem Text zweimal Angaben
zur Entfernung zwischen zwei geographischen Objekten, die in Tagesreisen dargestellt sind.
Die geographischen Objekte können dabei Punkte einer oder zwei verschiedener Routen
darstellen. So befinden sich z. B. die sich gegenüber liegenden pontischen Kaps Karambis
und Kriumetopon nach dionyseïschen Angaben in einer Entfernung, die „ein Lastschiff wohl
bis zum dritten Tag zurückgelegt haben mag“:

αἵτ' ἄµφω συνίασιν ἐναντίαι, οὐ µὲν ἐοῦσαι / ἔγγυθεν, ἀλλ' ὅσον ὁλκὰς ἐπὶ τρίτον ἦµαρ ἀνύσσαι,
„diese beiden laufen, sich gegenüber liegend, aufeinander zu, obzwar sie nicht nahe beisammen
sind, sondern soviel entfernt, wieviel ein Lastschiff wohl bis zum dritten Tag zurückgelegt haben
mag“ (vv. 154–155).

Solche hodologischen Distanzangaben hatten in antiken Quellen einen subjektiven und damit
nur sehr annäherungsweisen Charakter57. Die seltene Verwendung dieses Mittels im Kontext

57
Vgl. Herod. I 72, 103, III 26, IV 181 ff., 107 f, V 49, 108; Ps.-Scymn. F 28 Marcotte: (...)
ἀπὸ Καράµβεως πλοῦν νυχτθήµερον, “(sc. Kriumetopon) von Karambis eine Nacht- und
Tagesfahrt entfernt liegt”. Mehr hierzu s.: GEHRKE (1998) 183.

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Teil I. Kap. 2. Das Weltbild des Dionysios Periegetes

der Erdbeschreibung wird in einer trockenen Formulierung extra betont, die Dionysios
möglicherweise direkt aus einem Periplus entlehnt hat.
Ein weiteres Beispiel von Distanzangaben in Tagesreisen setzt Dionysios in
dichterischer Gestaltung dem oben angeführten entgegen: In diesem Fall geht es um eine
rhetorisch übertriebene Entfernung zwischen den Flüssen Tigris und Euphrat:

τόσσον ἄνευθεν ἐών, ὅσον ἕβδοµον ἦµαρ ὁδεύσας / ἴφθιµος καὶ κραιπνὸς ἀνὴρ ἀνύσειεν ὁδίτης,
„[Der Tigris fließt vom Euphrat] soweit entfernt gelegen, wieviel, wenn er den siebenten Tag
gewandert ist, ein kräftiger und geschwinder Wandersmann wohl zurückgelegt haben mag“ (vv.
985–986).

Dionysios benutzt frühepischen Wortschatz und betont die rhetorische Zahl „sieben“, was
eine außerordentliche Entfernung bedeuten soll. Die Redewendung ἄνευθεν ἐών58, das
Substantiv ὁδιτής „Wanderer“59 sowie die Adjektive ἴφθιµος „kräftig“60 und κραιπνός
„geschwind“ finden sich mehrmals bei Homer; dabei ist das letzte Eigenschaftswort κραιπνός
„geschwind“ Bestandteil der homerischen Formel über die „geschwinden Füße“ oder die
„geschwinden Botschafter“61. Dies alles betont den Eindruck, dass sich Dionysios in diesem
Fall nicht für die Entfernung zwischen zwei Flüssen (wie in einem Fachtext), sondern eher für
die Möglichkeit interessiert, mit poetischen Mitteln beim Leser die Empfindung der
außerordentlichen Entfernung der beiden Flüssen von einander zu schaffen – mit anderen
Worten folgt Dionysios hier der epischen und nicht der geographischen Tradition.
Ein gesondertes Beispiel findet sich in einer anderen Passage aus dem dionyseïschen
Gedicht, in dem die Größe des kreisrunden Kaspischen Meeres nicht in Tagesreisen, sondern
in Mondzyklen angegeben wird:

ἀλλ' εἴη τοι σχῆµα περίτροχον, ἀµφιελικτόν, / πάσης Κασπίης µεγάλης ἁλός· οὐκ ἂν ἐκείνην / νηῒ
περήσειας τριτάτης ἐπὶ κύκλα σελήνης· / τόσσος γὰρ πόρος ἐστὶν ἀµείλιχος,
„Doch es sei dir rundumlaufend, rundgedreht die Form der ganzen großen Kaspischen Salzflut;
nicht wohl dürftest du jene zu Schiff umfahren haben bis zum Umlauf des dritten Mondes – so weit
nämlich ist der unholde Meerespfad“ (vv. 718–721).

58
Il. II 27; II 64; XXIV 174, vgl. IV 277: ἄνευθεν ἐόντι; XXIII 452: ἄνευθεν ἐόντος.
59
Vgl.: ἄνθρωπος ὁδιτής (Hom. Il. XVI 263) ~ ἀνὴρ ... ὁδιτής (Dion. Per. 986); nur ὁδιτής
bei Homer: Od. VII 204, XI 127, XXIII 274.
60
Vgl. die Verwendung des Adjektivs ἴφθιµος am Anfang des Verses bei Homer: Il. V 415,
675 und 695, VIII 114, XI 290, XII 376, XV 547, XXIII 511, und bei Hesiod: Theog. 455,
768, 774, 987; F 22, 7 M.-W. Vgl. auch: ἄνδρα ... ἴφθιµον (Hesiod. Erga. 704) ~ ἴφθιµος ἀνήρ
(Dion. Per. 986).
61
ποσὶ κραιπνοῖσι: Hom. Il. VI 505, XVII 190, XXI 247, XXII 138, XXIII 749 (ποσσὶ κ.),
Od. XIV 33; κραιπνὰ ποσί: Hom. Il. XIII 18, Od. XVII 27; ποσὶ κραιπνῶς: Hom. Od. VIII
247; ποµποῖσιν ἅµα κραιπνοῖσι φέρεσθαι: Hom. Il. XVI 671 und 681.

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Teil I. Kap. 2. Das Weltbild des Dionysios Periegetes

Hier geht es nicht um den Durchmesser62, sondern um den Umfang der Meeresküste, die man
sogar in drei Monaten („bis zum Umlauf des dritten Mondes“, mit der weiteren Erwähnung
der rhetorischen Zahl „drei“)63 nicht zurücklegen kann. Es scheint, dass in diesem Fall
Dionysios nicht nur die Meeresgröße in den Zeitangaben wiedergibt, sondern auch poetisch
mit der mondförmigen Darstellung dieses Meeres spielt64.

2.3.3 Räumliche Orientierung


In der geographischen Literatur der Antike werden als Elemente der Raumerfassung
natürliche Orientierungspunkte benutzt (Sternbilder, Windrichtungen, Flüsse, Berge usw.),
mit denen der Betrachter verschiedene Richtungen fixiert oder auf die Lage eines
geographischen Objekts hinweist. Dabei hängen alle geographischen Orientierungspunkte
vom Gesichtspunkt eines imaginären Betrachters ab und werden in Bezug auf ihn bestimmt.
Die räumliche Orientierung des Dionysios enthält solche Komponenten (bzw.
Richtungsbegriffe) wie Wind- und Himmelsrichtungen, Himmelskörper (vor allem die Sonne
und die Sternbilder der Wagen) und Bezeichnungen „rechts – links“.

Wind- und Himmelsrichtungen


Eine Orientierungsart stellen Wind- und Himmelsrichtungen dar65. So bestimmt ein Hinweis
auf die Wind- oder Himmelsrichtung die Lokalisation eines geographischen Objekts, z. B.:

ἄλλας δ' Ὠκεανοῖο περὶ ῥόος ἐστεφάνωται· / τάων δ' ἂν περίσηµον ἐγὼ θέσιν ἐξενέποιµι, /
ὁπποτέρου τ' ἀνέµοιο παρὰ σφυρόν ἐστιν ἑκάστη
„Andere (sc. Inseln) aber sind entlang der Flut des Okeanos im Kranze aufgereiht. Von diesen
werde ich denn wohl gar deutlich die Lage verkünden – und an der Ferse welches der beiden
Winde eine jede liegt“ (Dion. Per. 555–557);
Ἴστρος / αὐτός, ἐς ἀντολίην τετραµµένος ἄχρι θαλάσσης / Εὐξείνου, „der Istros, nach Osten
gekehrt bis zum Euxeinischen Meer“ (vv. 298–300).

Eine wichtige Rolle spielt dabei die Position des Betrachters, aus dessen Gesichtspunkt aus
beschrieben wird. So variiert Dionysios die Formulierung (εἰς) ἄνεµον ἔλλαχε / τεκµαίρεται

62
Vgl. die Angaben zur Größe des Kaspischen Meeres (als eines Binnenmeeres) in
Tagesreisen bei Herodot: Ἡ δὲ Κασπίη ἐστὶ ἑτέρη ἐπ' ἑωυτῆς, ἐοῦσα µῆκος µὲν πλόου
εἰρεσίῃ χρεωµένῳ πεντεκαίδεκα ἡµερέων, εὖρος δέ, τῇ εὐρυτάτη ἐστὶ αὐτὴ ἑωυτῆς, ὀκτὼ
ἡµερέων (I 203). Leider sagt Herodot nicht, ob die größte Ausdehnung von Norden und
Süden oder von Westen nach Osten gilt.
63
Dieselbe Erklärung der Redewendung bereits bei Eust. ad Dion. Per. 721
64
Die mond- oder pilzförmige Darstellung des Kaspischen Meeres wird z.B. von Strabo XI 6,
2; 7, 1 C 507–508; Plin. nat. hist. VI 38; Curt. Ruf. VI 4, 16 erwähnt; mehr hierzu s.:
HERRMANN (1919) 2284.
65
In den Wortverbindungen mit den Wind- und Himmelsrichtungen verwendet Dionysios für
die Richtungsbezeichnung Präpositionen, z. B. πρός βορέην / νότον, ἐς βορέην / νότον, ἐπὶ
ζέφυρον, oder adverbiale Redewendungen, z. B. βορέηθεν „von Norden“ (v. 79), βορέηνδε
„nach bzw. gegen Norden“ (vv. 137, 438, 609, 785), ἀντολίηνδε „nach bzw. gegen Osten“
(vv. 260, 506, 739, 931).

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Teil I. Kap. 2. Das Weltbild des Dionysios Periegetes

(ὁλκὸν) ἑκάστη „legt seinen Zug auf einen Wind hin fest / einen Wind fürwahr erloste ein
jedes“ in Bezug auf die Meere:

ἡ µία δ' εἰς ἄνεµον τεκµαίρεται ὁλκὸν ἑκάστη, / Τυρρηνὴ ζέφυρον, Σικελὴ νότον, Ἀδριὰς εὖρον,
„ein jedes einzelne aber legt seinen Zug auf einen Wind hin fest: das Tyrsenische (sc. Meer) auf
den Zephyr, das Sikelische auf den Notos, das Adriatische auf den Euros hin“ (vv. 101–102);
(...) ἄνεµον δέ τοι ἔλλαχ' ἑκάστη, / ἑσπέριον Σικελή, τόν τε ζέφυρον καλέουσιν, / Αἰγαίη δ' εὖρον,
„einen Wind aber fürwahr erloste ein jedes: den westlichen das Sikelische (sc. Meer), welchen sie
Zephyros nennen, das Ägäische hingegen den Euros“ (vv. 401–402);
(...) ἄνεµον δέ τοι ἔλλαχ' ἑκάστη, / Ἀραβίη ζέφυρον, Περσὶς δ' εὔροιο κελεύθους,
„einen Wind aber fürwahr erloste ein jedes: das Arabische den Zephyr, das Persische die Pfade des
Euros“ (vv. 929–930).

In den oben angeführten Beispielen bestimmt Dionysios anhand von Windrichtung die Lage
jedes einzelnen Meeres in Bezug auf den Erdteil wieder, den es umspült: Im ersten Beispiel
befindet sich der imaginäre Betrachter in Italien, im zweiten in Hellas, im dritten in Arabien
Felix.
Einige meinen, dass von den Winden später auch die Himmelsrichtungen ihre Namen
bekommen haben66. Seit alten Zeiten67 gab es die Möglichkeit, die Lokalisation
geographischer Objekte mittels der astronomisch genau bestimmbaren Himmelsrichtungen zu
präzisieren68. Außerdem werden die Himmelsrichtungen immer dort zu Ordnungsprinzipien,
wo das Periplus-Schema versagt (z. B. bei der Anordnung von Stämmen im Binnenland). Die
Verbindung verschiedener Mittel der Raumorientierung mit den Himmelsrichtungen schafft
die Vernetzung und Anfüllung der Angaben in den beschriebenen Regionen69.
Im Gedicht des Dionysios finden sich Beispiele, in denen eine Windrichtung zum Synonym
zur Himmelsrichtung wird, d. h. einem Orientierungspunkt:

ἀλλ' ἤτοι Λιλύβη µὲν ἐπὶ ῥίπην ζεφύροιο / εἰσανέχει,


„Aber wohlan, Lilybe nun ragt gegen den Ansturm des Zephyros hin hervor“ (v. 470–471) –

d. h. das Kap Lilybe befindet sich am westlichen Rand Siziliens;

αὐτὰρ ὑπὲρ Βαβυλῶνος ἐπὶ πνοιὴν βορέαο / Κισσοὶ Μεσσαβάται τε Χαλωνῖταί τε νέµονται,
„Hinwiederum oberhalb Babylons, gegen den Hauch des Boreas hin, siedeln die Kisser und
Messabaten und Chaloniten“ (vv. 1014–1015) –

d. h. die Stämme wohnen nordwärts von Babylon.

66
TALLQVIST (1928) 106–107, 110–115.
67
Vgl. z. B. bereits bei Hekataios: FGrHist 1 F 100 (πρὸς βορέω), 144 (πρὸς µὲν νότον), 203
(πρὸς νότον), u. a.
68
Ausführlicher s. bei: VON FRITZ (1967) 52 ff.; KEßLER (1977) 1213–1215; PODOSSINOV
(1991) 233–286.
69
GEHRKE (1998) 185.

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Teil I. Kap. 2. Das Weltbild des Dionysios Periegetes

Es gibt ein interessantes Beispiel im Text des Dionysios, in dem er die Richtungen
verschiedener Flüsse sowohl mit den Winden als auch mit den Himmelsrichtungen
beschreibt:

ἐκ τοῦ ἀπειρέσιοι ποταµοὶ καναχηδὰ ῥέουσιν, / οἱ µὲν πρὸς βορέην, οἱ δ' ἐς νότον, οἱ δ' ἐπὶ ῥιπὴν /
εὔρου καὶ ζεφύροιο,
„Aus diesem (sc. Tauros) strömen mit Getöse unendlich viele Flüsse, die einen nach Norden,
andere in den Süden, andere wieder gegen den Ansturm des Euros und Zephyros hin“ (vv. 644–
646).

Im nächsten Beispiel wird die Aufmerksamkeit des Lesers darauf gerichtet, woher der Wind
weht, was für die frühionische Tradition kennzeichnend war70:

(...) ἀλκήεντες Ἀχαιοί, / οὕς ποτ' ἀπὸ Ξάνθοιο καὶ Ἰδαίου Σιµόεντος / πνοιαὶ νοσφίσσαντο νότοιό
τε καὶ ζεφύροιο, / ἑσποµένους µετὰ δῆριν Ἀρητιάδῃ βασιλῆϊ,
„die wehrhaften Achäer, welche einst vom Xanthos und vom Idischen Simoeis die Böen des Notos
und Zephyros entfernten, als sie nach dem Krieg dem König aus Ares’ Geschlecht folgten“ (vv.
682–685)

d. h. der süd-westliche Wind wehte von Troja in Richtung der östlichen Küste des Pontos.
Komplizierter ist eine andere Passage, in der Dionysios auch den Windnamen als
Richtungsbezeichnung verwendet:

∆οιαὶ δ' ἑξείης προτέρω φρίσσουσι θάλασσαι, / Ἰσµαρικοῦ πνοιῇσιν ἐλαυνόµεναι βορέαο, / Ὀρθὸν
φυσιόωντος, ἐπεὶ κατεναντία κεῖται,
„Anschließend aber im Voranschreiten sind zwei Meere ruppig und rauh, getrieben von den Böen
des Ismarischen Boreas, des geradewegs auf sie zuschnaubenden, da sie ihm gegenüber liegen71“
(vv. 112–114).

Das präzisierende Attribut „Ismarisch“ (nach dem Namen der thrakischen Stadt Ismaros)
verweist auf den konkreten Punkt, von dem der Nordwind in Richtung des Pharischen und
Sidonischen Meeres weht, d. h. südwärts. Das Adverb ὀρθόν „geradewegs“ ergänzt die
Charakteristika „des Ismarischen Boreas“ und stellt die angegebene Richtung als imaginären
Meridian hin72: An seinem nördlichen Ende sollen dann die thrakische Stadt Ismaros und am
südlichen sollen das Pharische und Sidonische Meer liegen.

70
Vgl. z. B. bei HEILEN (2000) 48.
71
In der ältesten Handschrift der Erdbeschreibung Paris. Suppl. gr. 388 (10. Jh.) steht das
Verb am Ende des Satzes in der Singularform κεῖται (per figuram Pindaricam), während sich
in den meisten Handschriften die Pluralform κεῖνται findet (s. TSAVARI (1990b) 42).
72
Eine Reihe von Beispielen mit dem Adverb ὀρθόν weist im Gedicht des Dionysios auf eine
ähnliche Bezeichnung imaginärer Meridiane (vv. 114, 167, 313, 341 – immer zu Anfang des
Verses, v. 1090 – in der Endposition, vgl. v. 641: ὀρθότατον – zum Tauros, der sich von West
nach Ost als eine imaginäre Parallele ausgedehnt hat).

- 63 -
Teil I. Kap. 2. Das Weltbild des Dionysios Periegetes

Die Benennungen der vier, bereits nach homerischen Texten bekannten, Winde – des
Boreas, des Zephyros, des Notos und des Euros – verwendet Dionysios in epischen
Redewendungen mit den Lexemen πνοιή „Hauch“ (βορέαο, vv. 113, 1014; νότοιό τε καὶ
ζεφύροιο, v. 684), ῥίπη „Stoss“ (ζεφύροιο, vv. 429, 470, 962, εὔρου καὶ ζεφύροιο, v. 645) und
ἄνεµος „Wind“ (vv. 101, 401, 557, 929)73. Dies beweist ein übriges Mal, dass Dionysios
geographische Objekte mittels Windrichtungen lokalisiert, um seinem Text ein episches
archaisierendes Kolorit zu verleihen.
Außer den vier Hauptwinden erwähnt Dionysios zweimal auch den Libs, den süd-
westlichen Wind, der aus Libyen weht und meistens aus der Prosa- und Fachliteratur bekannt
ist74:

1) ἐς λίβα µὲν Λιβύην, ἐς δ' αὐγὰς Ἀσίδα γαῖαν,


„zum Libs hin Libyen, zum Frühlicht hin das Asiatische Land“ (v. 231).
Hier bezeichnet der Libs die westliche Richtung (in Bezug auf den Libyen von Asien
abtrennenden Nil), die von Dionysios der östlichen Richtung („zum Frühlicht hin“)
entgegengesetzt ist. Die Gegenüberstellung „West – Ost“ erinnert an die Windrose: In diesem
Orientierungssystem werden die Winde vom Zentrum her gesehen, vom Standpunkt der
Betrachter, wo je zwei diametrale Winde aufeinander treffen75. Im Beispiel des Dionysios gibt
es jedoch erstens keinen Ostwind (er wird durch die Erwähnung der Morgenröte ersetzt) und
zweitens treffen sich die westliche und die östliche Richtung im Zentrum nicht, sondern
fliehen von ihm. Also ist dieses Orientierungssystem bei Dionysios nicht mit einer Windrose
vergleichbar.
2) Das zweite Beispiel mit dem Libs findet sich in einem Abschnitt, in dem Asien aus der
Vogelperspektive beschrieben wird; es geht um die Lage des Kaspischen Meeres:

ἐς βορέην ὁρόωντα καὶ εἰς λίβα γείτονα πόντου / Εὐξείνου,


„(sc. Hyrkanischer = Kaspischer Golf) nach Norden blickend und zum Libs hin dem Pontos
Euxeinos benachbart“ (vv. 634–635).

Dionysios vereinbart hier wieder die Richtungsanweisungen durch die Himmelsrichtung


(„nach Boreas blickend“, d. h. nach Norden) und des Windes („zum Libs hin“, d. h. im Süd-
Westen): Der Libs weist in diesem Fall auf den Teil des Kaspischen Meeres hin, der am
nächsten an das Schwarze Meer stößt.

73
Vgl. πνοιὴ Βορέαο, Hom. Il. V 697, Od. X 507; πνοιῇ Ζεφύροιο, Hom. Il. XIX 415, Od. IV
402; πνοιαὶ παντοίων ἀνέµων, Hom. Il. XVII 55; ῥιπὴ Βορέαο, Hom. Il. XV 171, XIX 358;
πνοιῇς ἀνέµοιο, Hom. Il. XII 207, Od. II 148 u. a.
74
Herod. II 25; Aristot. Meteor. 364b 2; Polyb. X 10, 3 u.a.; lat. Africus (Sen. NQ V 16, 5;
Plin. nat. hist. II 46; u.a.).
75
LASSERRE (1975) 1379.

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Teil I. Kap. 2. Das Weltbild des Dionysios Periegetes

Himmelskörper: Die Sonne und die Sternbilder der Wagen


Die Richtungen und Himmelsgegenden werden von Dionysios beispielsweise mittels
Redewendungen über Sonnenphänomenen bezeichnet76. Für die Ostrichtung verwendet
Dionysios folgende Wortverbindungen: ἐπ᾿ ἠῶ „dem Morgenrot zu“ (v. 243); πρὸς ἠῶ „zum
Morgenrot hin“ (vv. 332, 421); πρὸς ἀντολίην τε καὶ ἠῶ „dem Sonnenaufgang und Morgenrot
zu“ (v. 437); ἐπ᾿ / ἐς ἀντολίην „gegen Sonnenaufgang / in den Sonnenaufgang“ (vv. 110, 419
u.a.); πρὸς / ἐς / εἰς / ἐπ᾿ αὐγάς „dem Frühlicht zu / zum Frühlicht hin“ (vv. 199, 231, 384, 894
u.a.); πρὸς αὐγὰς ἠελίοιο „gegen die Strahlen der Sonne“ (vv. 84, 487, 970). Für die
Westrichtung finden sich im Gedicht folgende Redewendungen: ποτὶ ζόφον „zum
Abenddunkel hin“ (vv. 421, 500); πρὸς ἑσπερίην „gegen Abend“ (v. 813); ἐς δύσιν „gen
Sonnenuntergang“ (vv. 662, 762, 879). Um die Nordrichtung anzuweisen, werden die
Sternbilder der Wagen bzw. Bären benutzt: ἐπ᾿ ἄρκτοις „zum Bärengestirn“ (v. 130); µετ᾿
ἄρκτους, ἐπ᾿ ἄρκτους „nach dem Bärengestirn hin“ (vv. 271, 471, 721); ὑπ᾿ ἄρκτους „unters
Bärengestirn“ (v. 1066); ἐς πόλον ἄρκτων „zum Drehpunkt der Bären“ (vv. 582, 1134).
Außerdem dienen zur Orientierung poetische Redewendungen mit der Bezeichnung der
Sonnenbewegung auf dem Himmel, z. B.: πρὸς ἠελίοιο κελεύθους „gegen die Pfade der
Sonne hin (d. h. in ostwestlicher Richtung“) (v. 6); ἐπὶ κλίσιν ἠελίοιο „gegen die Neigung der
untergehenden Sonne hin (d. h. gegen Westen)“ (v. 1095); vgl. auch: ἄντην ἠελίοιο „der
Sonne entgegen“ (v. 980); ὑπ᾿ ἠελίῳ ἀνιόντι „unter der aufgehenden Sonne“ (d. h. zum Osten)
(v. 1083).
An einigen Beispielen sieht man, dass Dionysios das archaische Orientierungssystem
nach Himmelskörpern mit der Spezialterminologie vereinbart (ἐπὶ κλίσιν ἠελίοιο „gegen die
Neigung der untergehenden Sonne hin“ (v. 1095), ἐς πόλον ἄρκτων „zum Drehpunkt der
Bären“ (vv. 582, 1134), die in astronomischen Werken seit den frühionischen Geographen
vorkommt. Einerseits weist dies auf eine Verschiedenartigkeit der dionyseïschen Quellen hin,
andererseits zeugt es davon, dass Dionysios sich eher für die ästhetische Seite interessierte.
Zu solchen spezifischen Hinweisen gehört auch ein Beispiel, in dem die Lage der Insel
Taprobane mit Hilfe des über ihr befindlichen Sternbildes (Wendekreises?) des Krebses
präzisiert wird:

ἧς ὕπερ, οὐρανίῃσιν ἀειρόµενος στροφάλιγξι, / δινεῖται κατὰ κύκλον ἐν αἰθέρι Καρκίνος αἴθῳ,
„Über welcher (sc. über Taprobane), auf himmlischen Bahnen sich erhebend, im Kreise wirbelt im
Äther der feurige Krebs“ (vv. 594–595).

Dank dieser Vielfältigkeit der Redewendungen häuft und variiert Dionysios Hinweise auf
dieselben Richtungen, wobei er gleichzeitig seinen poetischen Wortschatz und seine
Meisterschaft zeigt.
76
Diese Bezeichnungen sind für die frühionische Geographie kennzeichnend, unter anderem
für Hekataios von Milet: In wörtlichen Zitaten findet sich bei ihm πρὸς ἥλιον ἀνίσχοντα (F
204, 207, 292 a, 292 b J.), ἀπὸ δύσιος (F 217 J.), πρὸς µεσηµβρίης / -αν (F 108, 163 J.). Eine
ähnliche Sammlung für den Wortschatz des Herodot bietet REHM (1916) 28. Ähnliche
Redewendungen finden sich bereits in den homerischen Texten, z.B.: πρὸς ἠῶ τ᾿ ἠέλιόν τε /
(Hom. Il. XII 239, Od. IX 26, XIII 240); πρὸς ζόφον (Hom. Od. IX 26).

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Teil I. Kap. 2. Das Weltbild des Dionysios Periegetes

Hinweise „rechts – links“ (vom Gesichtspunkt eines imaginären Betrachters aus)


Eine weitere Art des Richtungsbegriffes ist Lokalisierung geographischer Objekte aus dem
Gesichtspunkt eines imaginären Betrachters. In solchen Beispielen aus dem dionyseïschen
Text gibt es immer einen direkten oder indirekten Hinweis auf das Schiff, worauf sich der
imaginäre Betrachter befindet77, sowie die Richtungsbegriffe „rechts – links“ (sc. vom
Betrachter bzw. vom Schiff):

δισσὰς δ' ἠπείρους ἐπερεύγεται· ἐς µὲν ἰόντι / δεξιτερὴν κατὰ χεῖρα φαείνεται Ἰλλυρὶς αἶα, /
∆ελµατίη δ' ἐφύπερθεν, ἐνυαλίων πέδον ἀνδρῶν· / σκαιῇ δ' Αὐσονίων παραπέπταται ἄπλετος
ἰσθµός / πουλυτενής, „Zwei Festlandgebiete bespeit sie (sc. die Ionische Salzflut): Dem nun, der
eintritt zur rechten Hand zeigt sich das Illyrische Land, Dalmatien darüber, ein Boden kriegerischer
Männer; zu seiten der Linken aber liegt der Ausonier unsäglicher Landschlauch ausgebreitet“ (vv.
95–99);
Εὐρώπης δ' αἱ µὲν λαιῆς ὑπὸ νεύµατι χειρὸς / Ῥώονθ' ἑξείης, Ἀσίης δ' ἐπὶ δεξιὰ κεῖνται, / Μῆκος
ἐπ' ἀρκτῴοιο τιταινόµεναι βορέαο, „Zu Europa gehörig die einen – unter dem Wink der linken
Hand tummeln sie sich der Reihe nach; die Asiens aber liegen zur Rechten, der Länge nach sich
ausdehnend zum arktischen Boreas“ (vv. 517–519).

Im ersten dieser Beispiele ist die Redewendung „zur rechten Hand“ (v. 96) beachtenswert, die
den subjektiven Charakter der Beschreibung betont – in Bezug auf den zu Schiff Reisenden.
Außerdem findet sich bei Dionysios die für die Antike übliche Aufteilung der Pontosküste in
eine linke und rechte Seite – für die ins Schwarze Meer aus dem Thrakischen Bosporos
Einreisenden78. Zur linken Seite war die nord-westliche, zur rechten die süd-östliche Küste:

ἀλλ' εἴη νευρῆς σηµήϊα δεξιὰ Πόντου, / εὐθὺ διαγραφθέντα, µέση δέ τοί ἐστι Κάραµβις, / γραµµῆς
ἐκτὸς ἐοῦσα καὶ ἐς βορέην ὁρόωσα· / σῆµα δ' ἔχει κεράων σκαιὸς πόρος, ὅστ' ἐπὶ δισσὴν / εἱλεῖται
στροφάλιγγα, βιοῦ κεράεσσιν ἐοικώς, „nun mögen denn die rechten Ufer des Pontos die
Markierung der Bogensehne sein, gerade durchgezeichnet; allein aber steht ja die Karambis,
außerhalb der Linie liegend und nach Norden blickend; das Merkmal von Hörnern wiederum hat
der linke Verlauf, welcher zu einer doppelten Krümmung sich zusammendrängt, den Hörnern eines
Bogens gleichend“ (vv. 158–162);
ἔστι δέ τις καὶ σκαιὸν ὑπὲρ πόρον Εὐξείνοιο / (...) εἰν ἁλὶ νῆσος / ἡρώων, „Es gibt aber eine auch
über den linken Verlauf des Euxeinos hinaus (...) in der Salzflut eine Insel der Heroen“ (vv. 541–
543);

77
Vgl. ἰόντι „dem nun, der eintritt (sc. ins Meer – also zu Schiff)“, vv. 95, 539, 549; Πόντος
µὲν πρώτιστος Ἰβηρικὸς ἀρχοµένοισιν / ἀγκέχυται „Als allererstes nun liegt das Iberische
Meer den Beginnenden eingegossen“, vv. 69–70; ἐπὶ νηός „zu Schiff“, v. 482; κεν ... νηῒ
θεούσῃ „dürften wohl dem eilenden Schiff (...) sich zeigen“, v. 492; κεν εὐεργέϊ νηΐ περήσαις
„dürftest du wohl (...) mit einem wohlgefertigten Schiff hinübergelangen“, v. 581; ὁπόταν ...
νηῒ τάµῃς „sobald du (...) zu Schiff durchschnitten hast“, v. 588; ἂν ... νηῒ περήσειας „wohl
dürftest du (...) zu Schiff umfahren haben“, v. 720.
78
Vgl. ähnliche Angaben beispielsweise bei: Strabo I 3, 21; II 5, 22; VI 2, 14; VII 1, 1; VII 3,
15; XII 3, 2; Ovid. Trist. I 2, 84; 8, 36; IV 1, 60; 8, 42; 10, 98; V 10, 14; Ovid. Ep. ex Pont. II
2, 2; IV 9, 119.

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Teil I. Kap. 2. Das Weltbild des Dionysios Periegetes

Κιµµέριον δέ κέ τοι ἀνὰ Βόσπορον ἰθὺς ἰόντι / ἄλλη ἀπειρησίη νῆσος πέλοι, ἥ ῥά τε λίµνης /
ἔνδοθι δεξιτερῇ Μαιώτιδος ἐστήρικται, „Wenn du nun durch den Kimmerischen Bosporos
geradewegs gehst, liegt dir dort eine andere endlose Insel, welche also innerhalb des Maiotischen
Sees fest zur Rechten gestemmt ist“ (vv. 549–551).

Also liegen diesen Angaben periploische Quellen zugrunde, in denen die Beschreibung einer
Meeresküste vorkommt, wie man sie bei einer Umsegelung findet.

2.4 Die Landkarte des Dionysios?


Bis heute bleibt die Frage ungeklärt, ob zur versifizierten Periegese des Dionysios eine
geographische Karte gehörte oder nicht. Einige Forscher vertreten die Meinung, dass die
meisten altgriechischen und römischen Geographen – darunter auch Dionysios Periegetes –
Karten besessen haben79. Andere meinen, dass die Werke der antiken Geographen mit keinen
Karten versehen wurden und dass man nicht in jedem antiken Geographen gleichzeitig einen
Kartenverfasser sehen müsse80. Tatsächlich sind uns antike Originalkarten praktisch nicht
erhalten, während die literarischen Zeugnisse über die geographischen Karten in der Antike
widerspruchsvoll und mehrdeutig sind81.
Die meisten uns aus der narrativen, d. h. literarischen, Tradition bekannten antiken Karten wurden
für didaktisch-anschauliche oder propagandistische Ziele geschaffen: z. B. die runden Karten der
Erde, die durch den Ozean umflossen ist (Herod. IV 36; Arist. Meteor. II 5, 13, 362b 12), die Karte
auf der Kupfertafel des Aristogoras von Milet (ca. 500 v. Chr.) (Herod. V, 49, 97), die öffentliche
Karte in Athen, auf der Alkibiades nach Attika suchte (Aelian. var. hist. III 28; vgl. Aristoph. nub.
201–219), die Karte des Eudoxos von Knidos (4. Jh. v. Chr.) (Agathem. I 1), die Karte des
Theophrastos, des Schülers und Anhängers des Aristoteles (Diog. Laert. V 2), und schließlich die
berühmte Karte des Marcus Vipsanius Agrippa, die Octavianus Augustus nach Agrippas Tod in der
Porticus Vipsania zur Schau ausstellte (Plin. nat hist. III 17)82. Das neulich entdeckte Fragment des
„Artemidorospapyrus“83 mit der darauf geschilderten Karte wurde von einigen Forschern als
spätere Fälschung bezeichnet, worüber jedoch immer weiter diskutiert wird84.
In einer Reihe von wissenschaftlichen Werken über die antike Geographie wurde die
Meinung vertreten, dass die Bezeichnung „Karte“ (πίναξ, πινάκιον, tabula, forma, sphaera,
orbis depictus) in Hellas und in Rom keine terminologische Bedeutung hatte und außer der
gewöhnlichen Anwendung als graphische Zeichnung (Abbildung) auch in Bezug auf die

79
MILLER (1897) VI, 144–145; JERVIS (1938) 185–186; BROWN (1949) 49–55; HARLEY,
WOODWARD (1987) 213–218.
80
BERGER (1903) 249 ff.; DEBENHAM (1960) 46; BAGROW (1964) 32; AUJAC (1975); JACOB
(1980) 104–119; JACOB (1992) 94–97; ALLEN (1992) 89–102; BRODERSEN (2001) 7–21.
81
Vgl. BERGER (1880) 174–175 (über die ältesten Karten); JANNI (1984) 23–32; DILKE
(1985).
82
BRODERSEN (1995) passim; HOLLIDAY (1997) 130–147; MURPHY (2004): schlägt den
Begriff “triumphal geography” vor.
83
GALAZZI, КRАMЕR (1998) 189–208; s. auch: KRAMER (2001) 115–120 (Zusammenfassung
des Artikels von 1998); GALAZZI, КRАMЕR, SETTIS (2008 = editio princeps).
84
S. z.B.: CANFORA (2007); BRODERSEN, ELSNER (2009); D’ALESSIO (2009); SCHIANO (2010)
u.a.

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Teil I. Kap. 2. Das Weltbild des Dionysios Periegetes

literarische Beschreibung benutzt wurde, die einen Teil der literarischen Tradition darstellte85.
Die Schlussfolgerungen der neusten Forschungen weisen darauf hin, dass die Raumerfassung
in der antiken Welt meistens mit subjektiven Vorstellungen verbunden war, die in so
genannten „imaginären“ bzw. „mentalen“ Karten ausgedrückt wurden86. Die Besonderheiten
der Raumerfassung und Orientierung stellten eine Mischung aus spekulativen Theorien,
Aberglauben und Mythologie dar, womit sie sich deutlich von der gegenwärtigen
kartographischen Denkweise unterschieden.
Im Kontext von Dionysios’ Gedicht kann man folgende Fragen in Bezug auf die
Karten stellen: (1) ob eine Karte während seiner Arbeit direkt vor Dionysios lag, die er im
Text beschrieb, und (2) ob das fertige Gedicht mit einer Karte versehen wurde. Im Gedicht
des Dionysios gibt es keine direkten Hinweise auf eine Karte in der gegenwärtigen Bedeutung
oder auf seine Absicht, eine Karte zu erstellen87. Trotzdem finden sich im Text der
Erdbeschreibung Hinweise auf imaginäre Meridiane und Parallelen sowie Gleichsetzungen
geographischer Objekte mit geometrischen oder empirischen Figuren – dies soll jetzt
ausführlicher betrachtet werden.

2.4.1 Imaginäre Meridiane


Im schematischen Weltbild des Dionysios bilden die sich gegenüberliegenden Ströme des
Tanais im Norden (vv. 14 ff., 660 ff.) und des Nils im Süden (vv. 18, 230) eine imaginäre
Linie „Nord – Süd“88. Anders gesagt, befinden sich die Mündungen des Tanais und des Nils

85
Ausführlicher s.: JANNI (1984) 41–49; BRODERSEN (1995) 101 ff.; PRONTERA (1984) 189–
256; NICOLET (1988) 103–111; ROMM (1992) 7; vgl. VAN PAASSEN (1957) 37.
86
JANNI (1984) 11–14; GEHRKE (1998) 163–164; MEYER (1998b) 61–63.
87
Einige Forscher weisen auf den Wortgebrauch von πίναξ bei Scholiasten und im
Kommentar des Eustathios hin und sind von der Existenz einer Karte überzeugt, andere
zweifeln daran (GÄRTNER (1975) 74; KUBITSCHEK (1919) 21–24; KNAACK (1903) 920).
88
Strabon polemisiert gegen die Geographen, die wie Dionysios den Tanais symmetrisch zum
Nil auf demselben Meridian platzieren: „Er (sc. der Tanais) kommt vom Norden her, doch ist
sein Strom dem Nil nicht, wie die Meisten denken, diametral entgegengesetzt (διάµετρον
ἀντίῤῥους), sondern läuft weiter östlich als jener“ (Strabo XI 2, 2 С 493; Übers. v. S. Radt).
Der römische Autor des 1. Jhs. n. Chr. Pomponius Mela meint wiederum, dass der Tanais und
der Nil sich gegenüber liegen: Hoc mari et duobus inclutis amnibus, Tanai atque Nilo, in tres
partes universa dividitur. Tanais a septentrione ad meridiem vergens, in mediam fere
Maeotida defluit; et ex diverso Nilus in pelagum „Durch dieses Meer und durch zwei
berühmte Ströme, Tanais und Nil, wird die ganze Welt in drei Teile geteilt. Der Tanais läuft
von Norden nach Süden und mündet etwa in der Mitte der Mäotis; aus der
gegenüberliegenden Gegend fließt der Nil ins Meer“ – I 1, 8, Übers. v. K. Brodersen). Solche
Gliederung der Kontinente durch die Linie „Tanais–Nil“ wiederholen später viele
mittelalterliche Radkarten bzw. T-und-O-Karten (auf diesen Karten wurde die Welt im
Erdkreis, d. h. in der O-Form, vorgestellt, während die drei damals bekannten Kontinente –
Europa, Libyen und Asien (Osten ist dabei meistens oben) – durch T-förmige angeordnete
Gewässer – Tanais, Nil und Mittelmeer – voneinander getrennt und vom Weltmeer umflossen
sind).

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Teil I. Kap. 2. Das Weltbild des Dionysios Periegetes

auf einem Meridian89. Das Mittelmeer bildet eine imaginäre Parallellinie, die Europa von
Libyen abgrenzt (vv. 10 ff., 70 f.); sie läuft dann als Bergkette Tauros90 weiter und teilt Nord-
und Südasien (vv. 636 ff.). Im Schnittpunkt dieser imaginären Linien („Tanais – Nil“ und
„Mittelmeer – Tauros“) liegt das Zentrum der bewohnten Welt, in dem man entweder die
Heimatstadt des Dionysios – Alexandrien – sehen kann91, oder die Insel Rhodos92.
Ein ergänzendes Netz der Meridiane und Parallelen in einzelnen Regionen der Welt
schaffen nach Dionysios die Landschaftselemente – Flüsse oder Berge, die sich schematisch
in eine bestimmte Richtung ausdehnen. So stellen z. B. die in Europa fließenden Flüsse Rhein
und Istros Segmente der imaginären Meridiane dar: Der Rhein ist Abschnitt der „Süd – Nord“
Länge und der Istros – der „West – Ost“ Breite:

τῆς διὰ µεσσατίης κατασύρεται ὕδατα Ῥήνου / ὑστάτιον ποτὶ χεῦµα βορειάδος ἀµφιτρίτης. / Ῥήνῳ
δ' ἑξείης ἐπιτέλλεται ἱερὸς Ἴστρος / αὐτός, ἐς ἀντολίην τετραµµένος ἄχρι θαλάσσης / Εὐξείνου,
„durch welche (sc. die Alpen) genau mitten hindurch die Wasser des Rhenos sich hinabschleppen –
hin zur fernsten Ergießung der nördlichen See. An den Rhenos aber anschließend erhebt sich der
heilige Istros, der Istros, nach Osten gekehrt bis zum Euxeinischen Meer“ (vv. 296–300).

Gleichzeitig erstreckt sich über die ganze Ausonische Halbinsel die Bergkette der Apenninen
– von den nördlich gelegenen Alpen (Ἄλπιος ἀρχόµενον, v. 344) bis zum Sikelischen (heute
Messenischen) Golf im Süden (Σικελὴν ἐπὶ πορθµίδα, v. 344) – und schneidet die Halbinsel
entzwei (τὴν µέν τε µέσην ὄρος ἄνδιχα τέµνει / ὀρθόν, ἅτε στάθµῃς ἰθυµµένον, vv. 340–341)
wie der Abschnitt eines „Nord – Süd“-Meridians93. In Asien beschreibt Dionysios den Fluss
Indos, der vom Indischen Kaukasus zum Erythräischen Meer „geradewegs gegen Süden (ἐπὶ
νότον ὀρθόν)“ fließt (v. 1090), und schafft damit ein anderes Segment des imaginären
Meridians.
Das von Dionysios in den zwei letzten Beispielen benutzte Adverb ὀρθόν
„geradewegs“ findet sich in einer ganzen Reihe von Passagen. Das Adverb tritt bei Dionysios
als markantes Wort hervor94 und vereinigt in sich zwei Bedeutungen: einerseits als
„Erstreckung in vertikaler Richtung (im Gegensatz zur Ausdehnung in horizontaler
Richtung)“, andererseits als „Geradheit (im Gegensatz zur Krümmung)“95. Oben wurde
bereits das Beispiel mit dem „geradewegs“ wehenden Ismarischen Boreas betrachtet, der auf

89
Nach Eratosthenes lief ein ähnlicher Meridian über Meroë, Syene, Alexandrien, Rhodos,
den Hellespont und die Borysthenesmündung (Eratosth. F II C 2 Berger = Strabo I 4, 1–2).
90
Hier ist das Beiwort ὀρθότατον „höchst gerade“ (v. 641) zu bemerken, das die Geradheit
der vom Tauros gebildeten Linie betont.
91
BRODERSEN (1995) 96.
92
Nach der Vorstellung des Eratosthenes, der die Oikumene in einen nördlichen und einen
südlichen Teil gliederte durch die Diaphragmenlinie oder, anders gesagt, durch die Rhodos-
Parallele, die in der östlichen Richtung als Linie durch das Taurosgebirge fortlief (Eratosth. F
III A 2 Berger = Strabo II 1, 1 C 67–68; F III A 3 Berger = Strabo II 1, 33 C 86).
93
Vgl. die ähnliche Beschreibung der Apenninen bei: Strabo II 5, 29 C 128, V 1, 3 C 211;
Plin. nat. hist. III 48; Mela II 58; Ptol. Geogr. III 1, 44, 45.
94
Dies wird durch seine Anfangsposition im Vers betont: vgl. vv. 114, 167, 313, 341.
95
Vgl. LSJ s.v.

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Teil I. Kap. 2. Das Weltbild des Dionysios Periegetes

einen imaginären Meridian hinweist (v. 114). In einem anderen Abschnitt fließt „das
vieltausende Wasser (...) geradewegs“ (τὸ µυρίον (...) ὕδωρ / ὀρθόν, vv. 166–167) aus der
Maiotis durch den Kimmerischen Bosporos in den Pontos ein und führt somit die Linie des
Tanais fort, der in die Mitte der Maiotis mündet (Τάναϊς Μαιώτιδος ἐς µέσα πίπτει, v. 660,
vgl. v. 16). Dies lässt darauf schließen, dass nach Dionysios die Tanais-Mündung auf
derselben Länge wie der Kimmerische Bosporos liegt. Schließlich mündet der nordpontische
Fluss Borysthenes in das Schwarze Meer „geradewegs auf einer Linie den Kyaneen
gegenüber (ὀρθὸν ἐπὶ γραµµῇ κατεναντία Κυανεάων)“ (v. 313), Felsen an beiden Seiten des
thrakischen Bosporos am Eingang in den Pontos Euxeinos96. Somit stellen die
Borysthenesmündung und die Kyaneen die geographischen Punkte dar, die auf demselben
Meridian liegen sollen.

2.4.2 Vergleiche der Kontinentenumrisse mit geometrischen Figuren


Die Auflegung der sich kreuzenden imaginären Linien „Nord – Süd“ und „West – Ost“ auf
die schleuderförmige Landmasse im schematischen Weltbild des Dionysios führt dazu, dass
er die Kontinentenumrisse mit geometrischen Figuren vergleicht97. Nach Dionysios werden
die zwei nach Umrissen und Formen ähnlichen Kontinente Europa und Libyen einem
gleichschenkligen Dreieck gleichgesetzt. Dessen Grundlinie stimmt mit der Grundlinie Asiens
überein, das dieselbe schematische Abbildung eines gleichschenkligen Dreiecks darstellt.
Diese gemeinsame Basis zwischen dem West- (Europa und Libyen) und dem Ostteil (Asien)
der Oikumene läuft von Nord nach Süd im Zentrum der Landmasse98. Asien wird auch durch
die Bergkette Tauros in eine Nord- und Südhälfte geteilt (vv. 636 ff., 890)99. Also hat Asien

96
H. BERGER schreibt diese Verse des Dionysios über den Borysthenes und die Kyaneen dem
Zeugnis des Eratosthenes (F III A 38) zu (BERGER (1880) 206).
97
Die Zerlegung der Erdscheibe in einfache geometrische Formen, z. B. Rechtecke und
Quadrate, wurde bereits von Hekataios begonnen, s. hierzu: KRAFFT (1971) 168–199; KRAFFT
(1990) 43; HEILEN (2000) 48.
98
„Wenn du aber auch von Europa den Umriss willst, werde ich ihn dir mitnichten verhehlen.
Zwar liegt dieselbe Gestalt (ῥυσµός) wie bei Libyen vor, doch nach Bärengestirn ist sie
gekehrt, und dergestalt kriecht sie gen Osten hinwiederum, dass sie gar an die Grenze des
südlich gelegenen Libyen getreten ist: haben doch beide die gleiche äußerste Spur zu Asien
hin, das eine gen Norden, das andere gen Süden. Solltest du aber zusammensetzen diese
beiden zu einem Land, ja dann dürfte wohl geradewegs die Form (σχῆµα) eines Konus
(κώνου) vorliegen, welche gleich ist an beiden Seiten, spitz in ihrem Westen, breit hingegen
mitten im Osten“ (Dion. Per. 270–278); „Asiens Form (σχῆµα) aber fürwahr entspricht der
Gestalt (ῥυσµός) der beiden Erdteile, von der anderen Seite her dem Aussehen eines Konus
gleich (ἀλίγκιον εἴδεϊ κώνου), sich hinziehend nach und nach zu den hintersten Winkeln des
gesamten Ostens“ (vv. 620–622). Diese aus zwei Konen-Dreiecken gebildete Gestalt der
Oikumene stützt sich auf das geographische Modell des Eratosthenes, das in der Wiedergabe
des Strabon erhalten ist: Eratosth. F III A 24 Berger = Strabo II 5, 16 C 120. S. dazu auch:
BERGER (1880) 220–221 (über den Vergleich der Oikumene mit der Chlamys und mit der
Schleuder); PRONTERA (1997) 50–54; BRODERSEN (2003) 95–97.
99
Unter den ersten, der den Tauros für die Grenzlinie zwischen Nord- und Südasien hielt, war
Eratosthenes (F III A 1 ff. Berger); mehr dazu s.: BERGER (1903) 417 ff; SCHMIDT (1964) 52
ff.

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Teil I. Kap. 2. Das Weltbild des Dionysios Periegetes

dieselbe dreieckige Gestalt wie Europa zusammen mit Libyen, liegt aber symmetrisch zu
ihnen. Die Dreieckspitzen weisen einerseits auf die westlichen Grenzen (περὶ τέρµασιν, v. 64)
der Oikumene mit den Herakles-Säulen (πυµάτῃ ... ὑπὸ γλωχῖνι, v. 184, vgl. v. 281: πυµάτῃσ᾿
... ἐπὶ πλευρῇσι und v. 334: πυµάτη), andererseits auf die östlichen „Grenzen der Erde“ (περὶ
τέρµατα γαίης, v. 1164), „wo auch die Säulen des von Theben stammenden Dionysos stehen“
(vv. 622–623: πυµάτοιο)100.
Vom funktionellen Gesichtspunkt aus kann man die Vergleiche mit geometrischen
Figuren in eine Reihe mit den „empirischen“ Vergleichen des Dionysios bei der Beschreibung
der Kontinent-, Länder-, Halbinsel-, Meeresumrisse usw. stellen, da sie ähnliche Funktionen
erfüllen. Auf die empirischen Kenntnisse stützt sich vor allem der Vergleich der riesigen Insel
der Landmasse mit einer Schleuder (vv. 4–7). Die Iberische Halbinsel wird in der Periegese
mit einer Rinderhaut verglichen (v. 287)101, während die Peloponnes einem Platanenblatt
ähnelt, dessen Stiel der Isthmos von Korinth bildet (vv. 404 ff.)102. Das gewaltige Tauros-
Gebirge läuft durch ganz Asien wie ein Hornstier, wovon es auch seinen Namen bekommen
hat (vv. 641–643). Der Pontos gleicht einem Bogen (vv. 156–157)103 und Libyen einem
Pantherfell (v. 181)104.
Dionysios’ Beispiele sind jedoch nicht einzigartig sondern gehen auf die
geographische Tradition zurück: Diese und andere Vergleiche finden sich in großer Menge
bei antiken Geographen105. So, wird die Oikumene nicht nur mit einer Schleuder verglichen,
sondern auch mit einer Chlamis106 oder mit einem Trapez107. Italien gleicht einem

100
Es gibt aber einige Widersprüche im Text des Dionysios bei der Korrelation des gesamten
Weltbildes mit den einzelnen geographischen Objekten. So ist die Form Libyens in v. 274 mit
einem Dreieck gleichgesetzt und in v. 174 – mit einem Trapez. Der Südteil Asiens als
einzelne Region stellt ein Viereck dar (v. 887), während im gesamten Weltbild dasselbe
Südasien einem Dreieck gleicht, das von Nordasien durch den Tauros abgegrenzt ist (vv. 620
ff.). Unklar ist, ob die Wassergrenze zwischen Libyen und Asien durch den Nil (vv. 23–25)
oder durch das Arabische Meer läuft (vv. 178–180). Diese Inkonsequenz oder
Widersprüchlichkeit zu denselben geographischen Objekten kann man damit erklären, dass
Dionysios die Angaben aus verschiedenen Quellen geschöpft hat; oder aber sie waren schon
in seinen Quellen erhalten (vgl. unten Anm. 100).
101
Vgl. dasselbe bei Strabon: II 1, 30 C 83; II 5, 28 C 127; III 1, 3 C 137.
102
Ähnlich bei: Strabon II 1, 30 C 83; VIII 2, 1 C 335; Mela II 3, 38; Plin. nat. hist. IV 9;
Agathem. V 24.
103
Ausführlicher s.: Teil II. 6. Die Umrisse des Schwarzen Meeres und seine Charakteristika
(Der Vergleich der Umrisse des Pontos Euxeinos mit einem skytischen Bogen bei Dionysios).
104
Beim Vergleich Libyens mit einem gefleckten Pantherfell stimmen die dionyseïschen
Daten mit einem Abschnitt des Strabon überein (Dion. Per. 181 ~ Strabo II 5, 33 C 130, vgl.
ähnlich bei Cic. somn. Scip. 6) sowie bei seinem Vergleich desselben Kontinents mit einem
Dreieck (Dion. Per. 274 ~ Strabo XVII 3, 1 C 825 = Eratosth. F III B 55 Berger) und einem
Trapez (Dion. Per. 174 ~ Strabo II 5, 33 C 130).
105
Zur Anwendung geometrischer Figuren bei den antiken Geographen s. auch: GISINGER, F.
(1924) 612–613.
106
Eratosthen. F II B 27 Berger = Strabon II 5, 6 C 113; Strabon II 5, 9 C 116; II 5, 14 C 118;
XI 11, 7 C 519.
107
Agathem. I 2; Eust. ad Hom. Il. VII 446.

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Teil I. Kap. 2. Das Weltbild des Dionysios Periegetes

Epheublatt108, oder einem Eichenblatt109, oder einem Dreieck110; Sardinien wird mit einem
Fußspur verglichen111; Sizilien ähnelt einem Dreieck112. Noch eine Gruppe bilden die
Vergleiche mit Buchstabenformen113; die meisten davon sind von Eratosthenes geprägt
worden114. Das älteste und allgemein bekannte Beispiel ist das vom Vergleich Unterägyptens
mit dem „Delta“115.
Die genannten Beispiele zeugen davon, dass Dionysios anscheinend mit den
Elementen der mathematischen Geographie und mit graphischen Abbildungen der
Erdoberfläche bzw. deren schriftlichen Beschreibungen nach den Werken des Eratosthenes
und des Poseidonios vertraut war. Man darf aber nicht mit aller Bestimmtheit behaupten,
Dionysios habe sein Gedicht geschrieben, während eine Karte vor ihm gelegen habe. In
seinen literarischen Beschreibungen geographischer Objekte benutzt Dionysios oftmals
rhetorisch übertriebene Chrakteristika. So erwähnt er beispielsweise das „endlose (ἀπείριτος)“
Festland Dodonas (v. 430), die „große (µέγα)“ Ebene der Ätolermänner (v. 432), die
„übergewaltigen (µέγεθος περιώσιον)“ Britannischen Inseln (v. 569) usw. Diese
„unendlichen“ Räume sind aber mittels der sie durchschneidenden imaginären Meridiane von
Flüssen und Bergen geregelt und exakt organisiert. Die geometrischen Figuren und
Vergleiche sind damit quasi Zeichen, da ein geographisches Objekt mit einer graphischen
Abbildung nur implizit verbunden wird. Der Vergleich geographischer Objekte mit
geometrischen Figuren geht auf die Tradition der mathematischen Geographie zurück, im
Lehrgedicht des Dionysios werden diese Vergleiche jedoch für bessere Anschaulichkeit und
mnemotechnischen Effekt benutzt116. Der Dichter kombiniert in seinem Text
protokartographische und periegetische Beschreibungselemente; dies lässt darauf schließen,
dass Dionysios keine Intention hatte, die Beschreibung einer konkreten graphischen Karte
vorzunehmen. Er kannte sich in der geographischen Tradition aus und strebte danach, die
Angaben seiner Vorgänger zu systematisieren, um sie in klarer und zugänglicher Form117 dem
Leser darzubieten.

108
Schol. Arat. Phaen. 236.
109
Plin. nat. hist. III 43 (dasselbe nach ihm bei Solin. I 14).
110
Polyb. II 14, 4 (dagegen Strabon V 1, 2 C 210, der die Halbinsel als τετράπλευρον
bezeichnet).
111
Timaios = Plin. nat. hist. II 85; Manil. IV 631; Paus. X 17, 1; Agathem. V 20; Steph. Byz.
s.v. Σαρδώ; Eust. ad Dion. Per. 157 und 458.
112
Strabo VI 2, 1 C 265, vgl. VI 1, 5 C 257; Plin. nat. hist. III 86 und 87; Iustin. IV 2, 1;
Agathem. V 20; vgl. Schol. Apoll. Rhod. IV 965; Dion. Hal. I 22, 2; Diod. V 2, 1; Schol. Nic.
Ther. 520.
113
Vgl. Eratosth. F III B 51 Berger = Strabo XVII 1, 2 C 785 (der mittlere Nilstrom wird mit
einem N verglichen); Amm. Marc. XXII 8, 4–6 (die Propontis ähnelt einem Φ) etc.
114
HAGENOW, G. (1932) 148.
115
Z. B. bei Strabon XV 1, 33 C 701; Plin. nat. hist. III 121.
116
Vgl. Plato. Leg. VII 810e–811a (über die mnemotechnischen Mittel); ausführlicher s.:
BLUM (1969).
117
Vgl. die von Dionysios überall im Text benutzten didaktischen Redewendungen ῥέα (vv.
280, 345, 1169) bzw. ῥεῖα „leicht“ (v. 707), ῥηΐδιον (v. 619) und ῥηϊδίως „mühelos“ (v. 881).

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Teil I. Kap. 2. Das Weltbild des Dionysios Periegetes

Im 6. Jh. belehrte Cassiodorus die Schüler des Vivariums: deinde pinacem Dionisii
discite breviter comprehensum…ut quod auribus in supra dicto libro (sc. Iulii Honorii)
percipitur, paene oculis intuentibus videre possitis (Cassiod. De inst. div. I 25, 2). Es scheint,
dass die Redewendung des Cassiodorus pinax Dionisii breviter comprehensus „die knapp
erstellte Tabelle des Dionysios“ nicht die aufgrund der Erdbeschreibung gemachte graphische
Karte, sondern den Text der Periegese selbst bedeuten kann, der in einer knappen, aber auch
mit mehreren Details angefüllten und deutlicher Form das Bild der bewohnten Welt
wiedergibt (vgl.: ἤδη γὰρ πάσης µὲν ἐπέδραµον οἶδµα θαλάσσης, / ἤδη δ' ἠπείρων σκολιὸν
πόρον, „Denn schon bin ich hingeeilt über den Wogenschwall der gesamten See, schon über
der Erdteile krummen Verlauf“, Dion. Per. 1184–1185).

2.5 Die Quellenfrage


Die erhaltenen Werke der antiken geographischen Literatur (teils ganz erhalten geblieben,
teils fragmentarisch oder in Nacherzählungen späterer Autoren) sind höchst ungleichartig
nach Form und Inhalt. Einige davon waren für einen engen Spezialistenkreis bestimmt (deren
Autoren waren meistens Vertreter der mathematischen Geographie wie Eratosthenes,
Hipparchos u.a. oder Verfasser von Periploi, Itinerarien und Handbüchern für den praktischen
Gebrauch); die anderen waren auf eine breitere Schicht wissbegieriger Leser orientiert und
hatten enzyklopädischen Charakter (wie die Geographika Strabons, die Chorographie des
Pomponius Mela u.a.); die dritten stellten geographische Lehrgedichte dar und wurden nicht
als praktische Hilfe, sondern als Bildungsgut verfasst (z. B. die Periegese des Ps.-Skymnos,
die Beschreibung Griechenlands des Dionysios, Sohnes des Kalliphon)118. Zum
letztgenannten Typus von geographischen Werken gehört auch das geographische
Lehrgedicht des Dionysios Periegetes.
Dionysios tritt als Fortsetzer der alexandrinischen poetischen Tradition hervor. Seine
Interessen liegen bei Antiquitäten und stützen sich auf die Bücherkenntnisse, die Dionysios in
seinem kompilatorischen Gedicht umsetzt119. Es ist hier daran zu erinnern, dass antike
Autoren eine prinzipiell andere Zitierkultur hatten, als heutzutage angenommen und
verwendet wird. Wenn man sich auf eine andere Meinung berief, dann nur wenn man damit
polemisieren oder eine neue Version anführen wollte. Die Tradition folgend nennt auch
Dionysios keine Autoren namentlich, die er als Quellen für sein Erzählen herangezogen hat.
Bei einer aufmerksamen Betrachtung der Erdbeschreibung kann man jedoch indirekte
Hinweise auf seinen Gebrauch von Angaben der geographischen Tradition finden, deren
Quellen für uns meistens namenlos bleiben.
Beispielsweise berichtet Dionysios im Prolog, „die Menschen teilten sie (sc. die
Oikumene) in drei Erdteile auf“ (ἄνθρωποι τρισσῇσιν ἐπ᾿ ἠπείροισι δάσαντο, v. 9): Dabei
werden übergreifende geographische Fragen nach der Gestalt und dem Umfang der Erde
behandelt und unter den „Menschen“ (ἄνθρωποι) anscheinend die frühionischen Geographen
118
Ausführlicher zur möglichen Typologie verschiedener Richtungen in der antiken
geographischen Literatur s.: PODOSSINOV (2003) 88–104; vgl. MEYER (1998) 198; EFFE
(2005) 27–44.
119
GÖTHE (1875) 6; ANHUT (1888) 5; BERNAYS (1905) 46–47. Vgl. BOWIE (2004) 181–182.

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Teil I. Kap. 2. Das Weltbild des Dionysios Periegetes

verstanden, die als erste die Fragen über die Zerlegung der Erde in Kontinente besprochen
haben120. Während Dionysios über die gedachten Grenzen zwischen den Kontinenten spricht,
bemerkt er, dass manche Autoren sie durch die Flüsse, andere durch die Landengen
voneinander trennen (vv. 10–20). In diesem Fall benutzt Dionysios bei der Gegenüberstellung
von zwei geographischen Theorien die Redewendung „andere (sc. Autoren) wiederum“
(Ἄλλοι δ᾿ ἠπείροισι διὰ χθόνα νοσφίζουσιν, „Andere wiederum zerteilen die Landmasse
durch Festlandgebiete“, v. 19; vgl.: τοῖα µὲν ἀµφ' οὔροισι βροτοὶ διεφηµίξαντο, „Derartiges
nun verbreiteten die Sterblichen (βροτοί) über die Grenzen“, v. 26)121. Dieselbe Redewendung
„andere (sc. Autoren) wiederum“ (ἄλλοι δ᾿) wiederholt Dionysios weiter unten bei der
Aufzählung verschiedener Namen des nördlichen Ozeansteils: ἄλλοι δ' αὖ καὶ νεκρὸν
ἐφήµισαν, „andere wiederum machten ihn auch als Toten bekannt“ (v. 33). In dieser Passage
mit der konzentrierten Auflistung verschiedener Ozeansbenennungen verwendet Dionysios in
neun Versen drei synonymische Verben: κικλήσκεται „wird gerufen“ (v. 30), καλέουσι(ν)
„nennen sie“ (vv. 32, 37, 38), ἐφήµισαν „machten bekannt“ (v. 33). Dies weist auf seine
Entlehnung der Angaben über die Ozeansnamen aus einer früheren geographischen Tradition
hin. Dieselben Verben (ohne Subjekt) benutzt Dionysios in Bezug auf verschiedene
geographische Objekte im gesamten Textes – sie schaffen eine Distanz zwischen den
Dichterkenntnissen und einer anderen Informationen122: κικλήσκουσι(ν) – sechsmal (vv. 115,
205, 343, 389, 422, 641), καλέουσι(ν) – achtmal (vv. 32, 37, 38, 402, 435, 543, 899, als
καλεῦσιν – v. 865, vgl. καλέονται – v. 904); in ähnlicher Bedeutung wird auch das Verb
ἐνέπουσι(ν) (vv. 105, 111, 287, 562, 788) verwendet123.
Weitere Beispiele aus dem Lehrgedicht bestätigen diese Schlussfolgerung: Dionysios
entlehnt entweder Informationen aus der narrativen, d. h. schriftlichen, Traditon oder benutzt
loci communes. So findet die Meinung, dass die Umrisse Libyens einem Pantherfell ähnlich
seien, wie „noch dazu es die Menschen rühmen” (παρδαλέῃ δέ µιν ἄνδρες ἐπικλείουσιν
ὁµοίην, Dion. Per. 181), eine Parallele im Text Strabons mit einem ähnlichen Hinweis auf die

120
Einer der ersten Versuche der dreiteiligen Gliederung der Welt stammt von Hekataios von
Milet: FGrHist 1 F 18a = Schol. Apoll. Rhod. IV 257–262 b.
121
Dies wiederholt eine Passage Strabons, in der der eratosthenische Gedankengang
nacherzählt wird: „Nachdem er (sc. Eratosthenes) anschließend davon gesprochen hat dass
viel von den Kontinenten geredet worden ist und Manche sie durch die Flüsse (den Nil und
den Tanais) voneinander trennen und sie so zu Inseln machen, Andere durch die Landengen
(der zwischen dem Kaspischen und dem Schwarzen Meer und der zwischen dem Roten Meer
und dem Ekrhegma), und Letztere sie als Halbinseln bezeichnen, sagt er (...)“ (Eratosth. F II
C 22 Berger = Strabo I 4, 7 С 65; Übers. v. S. Radt).
122
Vgl. ähnliche Verwendungen bei: Apoll. Rhod. I 26, II 905; Nic. Ther. 10; Euphorion. F
34, 2 Powell u.a. Vgl. auch die Redewendung ἕτεροι διεφηµίξαντο „andere sprachen aus /
verbreiteten als Gerücht“ (Dion. Per. 50), die eine ähnliche Bedeutung und Funktion hat, aber
mit dem Subjekt ἕτεροι benutzt wird.
123
Dies schließt natürlich nicht aus, dass die Formen als Hinweise auf gewöhnliche Namen
verwendet wurden, die allen aus der Tradition bekannt waren und weitergegeben wurden (vgl.
die von Dionysios angeführten Redewendungen µετ᾿ ἀνδράσιν „unter den Menschen“ – vv.
42, 463, 723, ohne die Präposition – v. 465).

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Teil I. Kap. 2. Das Weltbild des Dionysios Periegetes

Meinung „der anderen“: ἔστι δ', ὥσπερ οἵ τε ἄλλοι δηλοῦσι καὶ δὴ καὶ Γναῖος Πείσων ἡγεµὼν
γενόµενος τῆς χώρας διηγεῖτο ἡµῖν, ἐοικυῖα παρδαλῇ, „Es (sc. Libyen) hat, wie nicht nur die
Anderen erklären sondern auch Gnaeus Piso, ein ehemaliger Statthalter des Landes, uns
erzählt hat, Ähnlichkeit mit einer Pantherfell“ (Strabo II 5, 33 C 130, Übers. v. S. Radt; vgl.
ähnlich bei Cic. somn. Scip. 6). Während Dionysios in einer anderen Passage den Vergleich
der Umrisse Iberiens mit einem Rinderhaut anführt – der sich auch bei Strabon findet (ἡ
Ἰβηρία, βύρσῃ βοείᾳ παραπλησία, „Iberia ähnelt einer Rindhaut“, Strabo II 5, 27 C 127; vgl.
II 1, 30 C 83; III 1, 3 C 137) – verwendet der Dichter das Verb ἐνέπουσι „melden, berichten,
erzählen“ (ἤπειρον κείνην ἰκέλην ἐνέπουσι βοείῃ, „Sie sagen, jenes Festland ähnelt einer
Rindshaut“, Dion. Per. 287), was auf die Benutzung einer Quelle hinweist. Besondere
Aufmerksamkeit verdienen die Verse aus der Erdbeschreibung, in denen Dionysios nicht nur
das Verb „nennen“ benutzt, sondern auch über den Beruf des „Informanten“ berichtet:
„Seeleute nennen (Ναῦται δὲ ... κικλήσκουσιν) das erste Pharische Salzflut (...); Sidonische
das andere“ (Dion. Per. 115–117). Möglicherweise ist dies ein Hinweis darauf, dass
Dionysios die Angaben über zwei Meeresnamen aus einem für uns anonymen Periplus
geschöpft hat. Wie man sehen kann, nennt Dionysios die Autoren seiner Quellen nicht direkt
und beschränkt sich nur hin und wieder auf indirekte Hinweise auf die Angaben aus zweiter
Hand, womit er das literarische Spiel mit dem gebildeten Leser weiterführt: Der Dichter
verlässt sich auf ein Publikum, das mit geographischen Werken im großen und ganzen bereits
vertraut ist oder die notwendigen Daten in der Fachliteratur finden kann.
Beim Verfassen seines Werkes will Dionysios vor allem didaktische Aufgaben
erfüllen und den Leser unterhalten, deswegen nimmt er die notwendigen Angaben aus meist
kompetenten und berufenen Quellen der narrativen, d. h. literarischen, Tradition. Er
beabsichtigt dabei nicht, seinem Leser eine neue geographische Lehre mit vollständiger
Beweisführung vorzulegen. Trotz der in der Erdbeschreibung fehlenden namentlichen
Hinweise auf die benutzten Quellen werde ich im Folgenden versuchen, einige in dem
kompilatorischen Gedicht des Dionysios angeführten Angaben mit Zeugnissen der
anerkannten antiken Geographen – des Eratosthenes von Kyrene (ca. 275 – ca. 195 v. Chr.),
des Poseidonios von Apameia bzw. des Rhodies (ca. 135 – 51/ 50 v. Chr.) und des Strabon
von Amaseia (64/3 v. Chr. – gegen 25 n. Chr.) zu vergleichen und dabei nach Möglichkeit zu
bestimmen, auf welche Weise und in welchem Maße Dionysios die Daten seiner Vorgänger
verwendet hat. Ich habe diese drei Autoren ausgewählt, weil ihre – bereits in der Antike
höchst berühmten – geographischen Theorien bzw. Kenntnisse im Text des Dionysios am
häufigsten vorkommen. Ich möchte nicht sämtliche möglichen Berührungen analysieren –
stattdessen nur anhand einiger Beispiele Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen Dionysios
und den oben genannten Autoren veranschaulichen.

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Teil I. Kap. 2. Das Weltbild des Dionysios Periegetes

2.5.1 Eratosthenes von Kyrene


Die Rolle des Eratosthenes bei der Bildung antiker geographischer Hauptvorstellungen und
der Karte der Oikumene kann man kaum überschätzen124. Aus den Sammlungen
eratosthenischer Fragmente kann man einige von seinen Vorstellungen rekonstruieren. So
stellte sich Eratosthenes die Erde als Kugel vor125, er behandelte die Lehre von der Einheit des
Ozeans und von der Vorstellung über die Oikumene als eine Insel126, wobei er das Kaspische
Meer für einen der Ozeanbusen hielt127, und von der Dreiteilung der Oikumene sprach 128; von
ihm stammen auch die Behandlung der Lehre von Parallelen und Meridianen129, die
Gliederung der Landmasse in die so genannten Sphragiden (πλινθία oder σφραγῖδες)130 und
die sie bildenden geometrische Figuren sowie ihre Verbindung mit den Klimazonen131.
Wenn man einzelne Fragmente des Eratosthenes mit den nach Form und Wortschatz
ähnlichen Passagen des Dionysios vergleicht, lässt sich die vorläufige Schlussfolgerung
ziehen, dass Periegetes das geographische Werk bzw. geographische Vorstellungen des
Kyrenäers als eine seiner Hauptquellen herangezogen hat132. Nach der Meinung des
Herausgebers der geographischen Fragmente des Eratosthenes H. BERGER spricht dafür eine
Reihe von dionyseïschen Passagen133. So nimmt BERGER beispielsweise an, dass die Verse
311–313 der Erdbeschreibung die Vertrautheit des Dionysios mit dem Meridianennetz des
Eratosthenes zeigt, der die Borysthenesmündung auf einer Linie mit den Kyaneen platzierte:

Ἡχι Βορυσθένεος ποταµοῦ τετανυσµένον ὕδωρ

124
Zu Eratosthenes als Geograph s. z. B.: AUJAC (1975) 15–20, 70–78; AUJAC (2001) passim,
bes. 41–86; GEUS (2002) 276–284.
125
Vgl. z. B. Eratosthen. F II A 1 Berger = Strabo I 4, 1 C 62, Strabo I 4, 6 C 65; F II A 2
Berger = Simplic. in Arist. de coel. II 14, 16 p. 134 B., Theon. Alex. p. 23.
126
Vgl. z. B. die einfache Angabe über die Lehre: Eratosthen. F II A 8 Berger = Strabo I 3, 13
C 56, Eust. ad Dion. Per. 1, Schol. in Dion. Per. 1; historische Grundlagen dazu: Eratosthen.
F II A 9 Berger = Strabo I 3, 1 C 47, F II A 10 Berger = Strabo II 1, 16 C 74, F II A 11 Berger
= Strabo XI 11, 5 C 518, F II A 12 = Plin. nat. hist. II 167, VI 58, Marc. Cap. VI 619, Geogr.
Ravenn. II 3 p. 48, 13 ed. Pinder & Parthey; und schließlich der rationale Grund für dieselbe:
F II A 13 Berger = Strabo I 1, 7–8 C 5–6.
127
Vgl. F II A 10–12 Berger. Dagegen hielten Polykleitos und andere Autoren seiner Zeit das
Kaspische Meer für einen See und brachten dafür Gründe vor: Strabo XI 7, 4 C 509–510.
128
Vgl. F II C 22 Berger = Strabo I 4, 7 C 65.
129
Vgl. F II C 18 Berger = Strabo I 4, 5 C 64, F II C 20 Berger = Plin. nat. hist. V 40: Zur
Parallele „Kanobische Mündung – Karthago – die Herakles-Säulen“; F II C 7 Berger = Strabo
II 5, 42 C 135: Zum Meridian „Borysthenes – Hellespont“ u. a.
130
Z. B. F III B 5 Berger = Strabo II 1, 22 C 78 u. a.: Zur ersten Sphragis „Indien“.
131
Z. B. F II A 1 Berger = Strabo I 4, 1 C 62 u. a.
132
Als einer der ersten hat bereits im 12. Jh. Eustathios von Thessaloniki Eratosthenes als
eine der Quellen des dionyseïschen Gedichtes genannt (Eust. ad Dion. Per. 1); s. auch:
GÖTHE (1875) 7; BERGER (1880) 272–273, 336–337, 342–344; BERNAYS (1905) 72;
GREAVES (1994) 51–55; AUJAC (2001) 116–117. Lange vor Dionysios weist Ps.-Skymnos als
Autor eines geographischen Lehrgedichtes auf Eratosthenes als eine seiner Quellen hin (Ps.-
Scymn. 114), mehr hierzu s.: MARCOTTE (2002) LVI–LVII.
133
S.: BERGER (1880) 172, 206, 272, 273, 342 und Kommentar dazu.

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Teil I. Kap. 2. Das Weltbild des Dionysios Periegetes

µίσγεται Εὐξείνῳ Κριοῦ προπάροιθε µετώπου,


ὀρθὸν ἐπὶ γραµµῇ κατεναντία Κυανεάων,
„Da mischt sich das ausgedehnte Wasser des Borysthenesflusses
mit dem Euxeinos, im Angesicht von Kriumetopon,
geradewegs auf einer Linie den Kyaneen gegenüber“
134
(Eratosth. F III A 38 Berger = Dion. Per. 311–313) .

Auf ähnliche Weise wird bei Eratosthenes und bei Dionysios die Bergkette Tauros
beschrieben, die Asien in eine Nord- und Südhälfte teilt:

µέσσα γε µὴν πάσης Ἀσίης ὄρος ἀµφιβέβηκεν,


ἀρξάµενον γαίης Παµφυλίδος ἄχρι καὶ Ἰνδῶν,
ἄλλοτε µὲν λοξόν τε καὶ ἀγκύλον, ἄλλοτε δ' αὖτε
ἴχνεσιν ὀρθότατον· Ταῦρον δέ ἑ κικλήσκουσιν,
„Die Mittelteile nun fürwahr ganz Asiens hält ein Gebirge umfangen,
seinen Anfang nehmend vom Pamphylischen Land, bis hin zu den Indern sogar,
bald krumm und gebogen, bald wiederum
in seinen Spuren höchst gerade; Tauros rufen sie es“
(Eratosth. F III A 7 Berger = Dion. Per. 638–641).

Bei Dionysios wird aber nur auf einen Teil der Parallele Rücksicht genommen, die Asien in
zwei Teile schneidet135, während Eratosthenes von der Hauptparallele sprach, die die ganze
Oikumene in eine Nord- und Südhälfte von den Herakles-Säulen im Westen über Sizilien,
Attika, Rhodos, Kilikien bis Indien im Osten teilte und das Fundament der eratosthenischen
Karte bildete136.
Auf ein weiteres Fragment des Eratosthenes, in dem es um die charakteristische
Gestalt des südlichen Europas aus drei großen Halbinseln geht (Eratosth. F III В 97 Berger =
Strabo II 4, 8 С 108), führt H. BERGER folgende Verse des Dionysios zurück:

φράζεο δ' Εὐρώπης λοιπὸν πόρον, ὅστ' ἐπὶ τρισσὴν


ἐκτέταται κρηπῖδα πρὸς ἠῶ, τὴν µὲν Ἰβήρων,
τὴν δὲ Πανελλήνων, τὴν δ' αὐτῶν Αὐσονιήων,
„Doch merke auf Europas restlichen Verlauf, welcher auf einen dreifachen
Sockel ausgebreitet ist zum Morgenrot hin, auf den der Iberer,
den der Panhellenen und den der wackeren Ausoner“ (Dion. Per. 331–333).

Im Unterschied zu G. BERNHARDY, der die Redewendung des Periegetes κρηπὶς τρισσή


„dreifacher Sockel“ merkwürdigerweise mit der dreieckigen Gestalt Europas (vgl. Dion. Per.

134
Vgl. Eratosthen. F II C 7 Berger = Strabo II 5, 42 C 135, wo es um den Meridian
„Borysthenes – Hellespont“ geht.
135
Teilweise ähnliche Angaben finden sich bei: Hipp. F 23 Dicks = Strabo II 1, 34 C 86 und
Arr. hist. Ind. II 2 f., Arr. anab. V 5, 2 f., V 6, 1.
136
Eratosthen. F III A 1 Berger = Varro. de re rust. I 2, F III A 2 Berger = Strabo II 1, 1 C
67–68, F III A 3 Berger = Strabo II 1, 33 C 85. Für die Feststellung dieser Hauptparallele
hatte Eratosthenes zunächst einen Vorgänger in Dikäarch (Agathem. 5. GGM II p. 472), so
BERGER (1880) 173–175.

- 77 -
Teil I. Kap. 2. Das Weltbild des Dionysios Periegetes

270 ff., 620 ff.) verbindet137, meint H. BERGER ganz richtig, dass Dionysios damit die drei
eratosthenischen Halbinseln bezeichnet138.
Eratosthenes schreibt, Indien sei (sc. nach den Umrissen) rautenähnlich (ῥοµβοειδής)
(Eratosth. F III B 5–6 Berger = Strabo II 1, 22 C 78; XV 1, 11 C 689). Es ist nicht
auszuschließen, dass der folgende dionyseïsche Vers auf dieses Zeugnis zurückgeht: Indien
gleicht „dem Aussehen eines Rhombus“ (ἀλιγκίη εἴδεϊ ῥόµβου, Dion. Per. 1131). Das dem
Eratosthenes zugeschriebene Adjektiv ῥοµβοειδής kann nicht in Hexameter eingeflochten
werden – man kann aber vermuten, dass Dionysios damit vertraut war und es in seinem
Gedicht umformuliert hat139.
Eine Passage im Text des Dionysios, die gleichfalls an Angaben des Eratosthenes
anklingt, soll jetzt ausführlicher betrachtet werden. In vv. 608–611 der Periegese geht es um
ein Heiligtum „der Gottheit Tauropolos“, das sich auf der Insel Ikaros im Persischen Golf
befindet:
ἐκ τῆς δ' ἂν περάσειας ἐπὶ στόµα Περσίδος ἅλµης,
ὁρµηθεὶς βορέηνδε, καὶ Ἴκαρον εἰσαφίκοιο,
Ἴκαρον εἰναλίην, ὅθι Ταυροπόλοιο θεοῖο
βωµοὶ κνισήεντες ἀδευκέα καπνὸν ἔχουσι,
„Von dieser aus (sc. der Insel Ogyris) wirst du wohl zur Einmündung der Persischen
Salzflut übersetzen,
nachdem du gen Norden aufgebrochen bist, und wirst wohl nach Ikaros hingelangen,
Ikaros, der im Meer gelegenen, wo der Gottheit Tauropolos
von Opferduft dampfende Altäre stechenden Rauch tragen“
(Eratosthen. F III B 43 Berger = Dion. Per. 609–612).

Bekannt ist, dass die Epiklese Ταυροπόλος („die Herrin / der Herr des wilden Stieres, die / der
Stiertummelnde, Stierjagende“)140 der Athena, der Demeter von Kopai (Böotien) und der
Hekate verliehen wurde, denen man die Funktionen der Tiergöttin zuschrieb. Am meisten
wurde die Kultbezeichnung „Tauropolos“ jedoch mit Artemis assoziiert141, deren
Hauptkultstätten in Kleinasien (Kastabala, Komana, Magnesia am Sipyle u. a.) und in
Thrakien (Amphipolis, Hadrianopolis) lagen sowie in Griechenland (Halai Araphenides in
Attika), in Italien (Aricia in Latium), im Mittelmeer auf der Insel Ikaros bei Samos und,
schließlich, am Pontos142. Von einem Heiligtum der / des Tauropolos auf der Insel Ikaros im
Persischen Golf (d.h. in einem von den traditionellen Heiligtümern entfernten Ort) berichten –
außer Dionysios Periegetes – auch (a) Eratosthenes (in der Wiedergabe Strabons), (b) Arrian
und (c) Aelian:

137
BERNHARDY (1828) 409.
138
BERGER (1880) 344. Vgl. auch die lateinischen Übersetzungen dieser dionyseischen Stelle
von Avienus: specula (Descr. 473) und Priscianus: partes (Per. 328).
139
Vgl. unten S. 73.
140
NILSSON (1995 = ¹1906), 251–252.
141
OPPERMANN (1934) 34–38.
142
Mehr zum Kult der Artemis Tauropolos in Tauris und, unter anderem, in Chersonnesos s.:
BILDE (2003) 165–183.

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Teil I. Kap. 2. Das Weltbild des Dionysios Periegetes

(a) „Ferner sage jener (sc. Androsthenes – E. I.), der den Golf mit einer Flotte umschifft hat, wenn
man von Teredon an weiter das Festland zur Rechten halte, sei der Küste eine Insel Ikaros
vorgelagert und auf ihr gebe es ein hochverehrtes Apollonheiligtum und ein Orakel des Tauropolos
(ἱερὸν Ἀπόλλωνος ἅγιον ἐν αὐτῇ καὶ µαντεῖον <τῆς> Ταυροπόλου)“ (Eratosth. F III B 39 Berger =
Strabo XVI 3, 2 C 766, Übers. v. S. Radt),
(b) εἶναι δ᾿ ἐν αὐτῇ καὶ ἱερὸν Ἀρτέµιδος (Arr. anab. VII 20, 3),
(c) ἐνταῦθα ... νεώς ἐστὶν Ἀρτέµιδος (Aelian. hist. anim. XI 9).

Die Werke Arrians, des Zeitgenossen des Dionysios, und Aelians, der hundert Jahre später
lebte, konnten keine Quellen für Periegetes darstellen. Also hat Dionysios die Angaben über
das Tauropolos-Heiligtum im Persischen Golf von einem der Vorgänger entlehnt: entweder
direkt von Eratosthenes oder von Strabon (oder von einem anderen Vermittler).
Bereits die mittelalterlichen Kommentatoren verbinden diese Verse des Dionysios direkt mit
dem Zeugnis des Eratosthenes in der strabonischen Wiedergabe, der von einem Tempel des
Apollon mit dem Tauropolos-Orakel (die griechische Form Ταυροπόλος) auf der Insel Ikaros
berichtet:

<Ταυροπόλοιο>] ἀπὸ Ταυροπόλεως οὕτω καλουµένης πόλεως. Φασὶ δὲ οὕτω τὴν Ἀφροδίτην, οἱ δὲ
τὸν ∆ιόνυσον, οἱ δὲ τὴν Ἀρτέµιδα, οἱ δὲ τὸν Ἀλέξανδρον, διὰ τῷ Βουκεφάλῳ ἵππῳ ἐποχεῖσθαι. –
Ἰστέον δὲ ὅτι ἐν Ἰκαρίῳ Ταυροπόλου Ἀπόλλωνος µαντεῖον, ὥς φησι Στράβων, „<Tauropolos>
von der so genannten Stadt Tauropolis. Sie nennen so die Aphrodite, andere den Dionysos, andere
die Artemis; es gibt auch die, (die damit) den Alexandros (nennen), da er auf dem Pferd
Boukephalos (d. h. „Stierköpfiger“) ritt. Es ist bekannt, dass es auf Ikaros eine Orakelstätte des
Apollon Tauropolos gibt, so sagt Strabon“ (Schol. ad Dion. Per. 609 Müller).

Auf ähnliche Weise verwendet Eustathios in seinem Kommentar zu dieser Stelle des
Dionysios die Epiklese „Tauropolos“ entweder in Bezug auf Apollon, oder auf Artemis
(Ταυροπόλος Ἀπόλλων ἢ Ἄρτεµις), wobei der byzantinische Gelehrte nicht direkt auf das
Zeugnis Strabons verweist (Eust. ad Dion. Per. 609).
Tatsächlich bleibt es aus dem Fragment des Eratosthenes unklar, wem die Orakelstätte
gehört – der Artemis Tauropolos oder dem Apollon Tauropolos: Die Form Ταυροπόλος kann
grammatisch sowohl weiblich als auch männlich sein. Es gibt auch im Text des Dionysios
keinen direkten Hinweis auf die Zugehörigkeit der Orakelstätte zu Artemis – nur einen
epischen Genitiv Ταυροπόλοιο θεοῖο. Wenn man ihn zum männlichen Geschlecht zählt, kann
diese Stelle im Gedicht des Dionysios zum einzigen und einmaligen Zeugnis in der antiken
Tradition werden, in dem die Epiklese „Tauropolos“ einer männlichen Gottheit, und zwar
dem Apollon, zugeschrieben wird. Dies ist aber wenig glaubwürdig. Mit Rücksicht auf die
oben angeführten Angaben Arrians und Aelians meinte Dionysios wahrscheinlich doch
Artemis und verwendete die Form θεός im weiblichen Geschlecht (ἡ θεός) – wofür sich ein
ähnlicher Gebrauch bei Homer (Il. VIII 7), Herodot (II 35), Sophokles (Ai. 401, 450, 952; OC.
1548; El. 150) u.a. findet.
Die Existenz einer Artemis-Orakelstätte auf der Insel Ikaros im Persischen Golf
bestätigen auch archäologische Daten. Während der Ausgrabungen auf dieser Insel (heute die

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Teil I. Kap. 2. Das Weltbild des Dionysios Periegetes

Insel Failakā) in den 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts durch dänische Forscher wurde ein
Tempel entdeckt, vor dem es einen Altar gab. Man hat auch zwei griechische Inschriften
gefunden; in einer davon wird Artemis Soteira („Retterin“) erwähnt, in der anderen geht es
um die königlichen Empfehlungen in Bezug auf die Orakelstätte der Artemis und die Rechte
der griechischen Bevölkerung der Insel143. Offensichtlich wurde die Insel Ikaros während der
Regierungszeit der Seleukiden zu einem wichtigen Punkt auf den Handelsstrassen nach
Indien.
Die Bemerkungen des Eustathios in Bezug auf die Parallelen zwischen Dionysios und
Eratosthenes, der eben geführte Vergleich einzelner Fragmente des Kyrenäers mit
entsprechenden Stellen der Erdbeschreibung sowie eine Reihe von anderen Ähnlichkeiten im
Weltbild der beiden Autoren144 lassen darauf schließen, dass Dionysios Periegetes mit der
geographischen Lehre des Eratosthenes vertraut war. Möglicherweise hat Dionysios die
eratosthenischen Vorstellungen seinem eigenen Weltbild zugrunde gelegt, obwohl er auch
manche Angaben macht, die jenem direkt widersprechen145 – dies lässt sich freilich durch den
kompilatorischen Charakter des dionyseïschen Gedichtes erklären. Ob Dionysios die
eratosthenischen Daten direkt aus dessen Werken entlehnt oder sie in einer Zwischenquelle
gefunden hat, scheint unmöglich zu bestimmen, insbesondere wenn man den sekundären und
fragmentarischen Erhaltungszustand der Werke des Kyrenäers in Betracht zieht.

2.5.2 Poseidonios der Rhodier


Im Prolog zum Gedicht schreibt Dionysios, dass die ganze Landmasse wie eine endlose Insel
vom Ozean umkränzt ist und einer Schleuder gleicht (σφενδόνῃ εἰοικυῖα) (vv. 3–7). Die
meisten Forscher, die sich mit der Quellenfrage der dionyseïschen Erdbeschreibung
beschäftigen146, schließen sich der Meinung an, dass Dionysios dabei eines der Werke des
Poseidonios von Rhodos als Quelle benutzt hat147. Als Beweis hierfür wird das folgende
Fragment des Poseidonios in der Wiedergabe des Agathemeros angeführt:

143
ALTHEIM, STIEHL (1965) 273–281.
144
Vgl. z. B. die dionyseïsche Beschreibung des Nils (Dion. Per. 221 ff. ~ Eratosthen. F III B
51 Berger = Strabo XVII 1, 2 C 785), der Stämme am Kaspischen Meer (Dion. Per. 730 ff. ~
Eratosthen. F III B 68 Berger = Strabo XI 6, 1 C 507), oder die bei Dionysios erwähnten
Inseln Kerne im Südosten von Libyen (Dion. Per. 219 ~ Eratosthen. F II A 9 = Strabo I 3, 2 C
47), Thule im Norden Europas (Dion. Per. 581 ~ Eratosthen. F II C 2 Berger = Strabo I 4, 2 C
62 f.), die sich rings um die Insel Peuke windende Istrosmündung (Dion. Per. 301 ~
Eratosthen. F III B 98 Berger = Schol. Apoll. Rhod. IV 310), die Stadt Teredon an der
Mündung des Euphrat (Dion. Per. 983 ~ Eratosthen. F III B 39 Berger = Strabo XVI C 765),
die alle Bestandteile von eratosthenischen Parallelen und Meridianen darstellen.
145
Z. B. weist seine Veranschaulichung der Gestalt der bewohnten Erde auf Poseidonios von
Rhodos hin (vv. 5, 620 ff.); auch die Gestaltung Europas (v. 271 ff.), die Bemerkung über die
Äthiopen (v. 180), die Breite von Taprobane (v. 592 ff.) sowie die Bemerkung über den
Choaspes (v. 1073) sind nicht eratosthenisch (BERGER (1880) 16).
146
GGM II, xxiii; GÖTHE (1875) 8; BERNAYS (1905) 47–48; BERGER (1880) 16; EDELSTEIN,
KIDD (1988) 716–718; TSAVARI (1990b) 35; GREAVES (1994) 56–58.
147
In der Breite seiner Fachkenntnisse in der Philosophie, Geographie, Astronomie,
Mathematik und Medizin übertraf Poseidonios alle universalhistorischen Vorgänger und

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Teil I. Kap. 2. Das Weltbild des Dionysios Periegetes

Ποσειδώνιος δὲ ὁ Στωϊκὸς σφενδονοειδῆ καὶ µεσόπλατον ἀπὸ νότου εἰς βορρᾶν, στενὴν <δὲ> πρὸς
ἕω καὶ δύσιν, τὰ πρὸς εὖρον δ᾿ ὅµως πλατύτερα <τὰ> πρὸς τὴν Ἰνδικήν, „Der Stoiker Poseidonios
[berichtet, dass die Landmasse] einer Schleuder gleicht und sich von Süden nach Norden ausdehnt,
in der Ost- und Westrichtung ist sie jedoch eng, dabei ist die östliche Seite breiter, die zu Indien
hin“ (F 200 а Edd.–Kidd = Agathem. geogr. inform. I 2).

Dass Dionysios die Angaben über die Form der Oikumene von Poseidonios übernommen hat,
kann auch durch ein weiteres Zeugnis des Eustathios von Thessaloniki bestätigt werden (die
Herausgeber der poseidonischen Fragmente meinen, Eustathios stützte sich dabei auch auf
den Text des Agathemeros oder auf eine ähnliche Quelle)148:

τὴν δὲ οἰκουµένην γῆν Ποσειδῶνιος µὲν ὁ Στωϊκὸς καὶ ∆ιονύσιος σφενδονοειδῆ φασι, „Der
Stoiker Poseidonios und Dionysios sagen, dass die bewohnte Welt der Form nach einer Schleuder
ähnelt“ (F 200 b Edd.–Kidd = Eust. ad Hom. Il. VII 446).

Im Kommentar zur Periegese des Dionysios bemerkt Eustathios auch die Ähnlichkeit der
Oikumeneform als Schleuder bei Periegetes und bei Poseidonios:

τοιαύτη γὰρ τὸ σχῆµα ἡ οἰκουµένη γῆ, καθὰ καὶ Ποσειδωνίῳ δοκεῖ (Posid. F 201 Edd.–Kidd =
Eust. ad Dion. Per. 1).

Also periphrasiert die von Dionysios im v. 7 verwendete Redewendung σφενδόνῃ


εἰοικυῖα „einer Schleuder gleichend“ das Adjektiv des Poseidonios σφενδονοειδής
„schleuderförmig“149. Periphrasen solcher Art sind für die poetische Weise des Dionysios
kennzeichnend (vgl. z. B. das oben angeführte Beispiel: ἀλιγκίη εἴδεϊ ῥόµβου „dem Aussehen
eines Rhombus gleichend“ (über Indien), Dion. Per. 1131 statt ῥοµβοειδής „rautenförmig,
rautenähnlich“, Eratosthen. F III B 5–6 Berger = Strabo II 1, 22 C 78 und XV 1, 11 C 766).
Anscheinend benutzt Dionysios auf ähnliche Weise das Attribut des Poseidonios µεσόπλατος
„in der Mitte ausgedehnt“ (Posid. F 200 а Edd.–Kidd = Agathem. geogr. inform. I 2), wenn
er von der westlichen Hälfte der Oikumene sagt: πλατὺ δ᾿ ἀντολίην ἐπὶ µέσσην „breit
hingegen mitten im Osten“ (Dion. Per. 278).
In vv. 302–319 der dionyseïschen Erdbeschreibung findet sich eine Aufzählung der
Stämme nordwärts vom Istros; die ersten Buchstaben der vv. 307–311 bilden ein Akrostichon

Nachfolger (ENGELS (1999) 166); erhalten geblieben sind Fragmente seines historischen
Werkes im Unfang von 52 Büchern unter dem Titel Ἱστορίαι oder auch Ἱστορία ἡ µετὰ
Πολύβιον, das erst nach seinem geographischen Hauptwerk Περὶ Ὠκεανοῦ „Über den Ozean“
entstand. Zur Poseidoniosforschung s.: die namentlich bezeugten historischen Fragmente bei
F. JACOBY FGrHist 87 (mit treffenden Kommentaren in II C p. 154 ff.) sowie die beiden
jüngeren Sammlungen von THEITLER (1982) und EDELSTEIN, KIDD (1971–1990); vgl. über
Poseidonios als Historiker und Geographen bei MALITZ (1983) 5–33.
148
THEILER (1982) 71; EDELSTEIN, KIDD (1988) 717.
149
Wie oben bemerkt wurde (Anm. 29), findet sich der Wortgebrauch σφενδόνη „Schleuder“
bereits im homerischen Epos (Il. XIII 600; 716); vgl. auch bei: Aesch. Agam. 1010; Eurip.
Phoen. 1142; Aristoph. Nub. 1125; Thuc. IV 32; Plato. Legg. VIII 834 A.

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Teil I. Kap. 2. Das Weltbild des Dionysios Periegetes

ΣΤΕΝΗ „schmale Landzunge“, das das im v. 307 benutzte Beiwort στενόν „schmal“
wiederholt:
306 Ταῦροί θ', οἳ ναίουσιν Ἀχιλλῆος δρόµον αἰπὺν,
στεινὸν ὁµοῦ δολιχόν τε, καὶ αὐτῆς ἐς στόµα λίµνης.
Τῶν δ' ὑπὲρ ἐκτέταται πολυΐππων φῦλον Ἀλανῶν.
Ἔνθα Μελάγχλαινοί τε καὶ ἀνέρες Ἱππηµολγοί,
Νευροί θ' Ἱππόποδές τε Γελωνοί τ' ἠδ' Ἀγάθυρσοι·
Ἡχι Βορυσθένεος ποταµοῦ τετανυσµένον ὕδωρ
312 µίσγεται Εὐξείνῳ Κριοῦ προπάροιθε µετώπου
„Und die Taurer, welche wohnen auf dem schroffen Achilleuslauf,
dem engen und zugleich langen, und bis zur Einmündung des Sees selbst.
Über diese aber hinaus liegt der Stamm der pferdereichen Agauer
ausgebreitet;
da sind auch die Melanchlainer und die Hippemolgenmänner,
die Neurer und Hippopoden, Gelonen und Agathyrser;
da mischt sich das ausgedehnte Wasser des Borysthenesflusses
mit dem Euxeinos, im Angesicht von Kriumetopon“ (Dion. Per. 306–312).

Das Akrostichon ΣΤΕΝΗ des Dionysios widerspiegelt den Wortgebrauch des Poseidonios
(Posid. F 200 а 11 Edd.–Kidd = Agathem. geogr. inform. I 2), bei dem der Begriff στενή mit
σφενδόνη „Schleuder“ verbunden wird. Dies lässt vermuten, dass Dionysios in seinem
Abschnitt über die Völker und Stämme nördlich vom Istros unter anderen auch die Daten des
Poseidonios oder dessen spätere Bearbeitungen als Quelle verwenden konnte150.
Es wurde vermutet, dass die Angaben des Dionysios über einige Inseln des
Mittelmeers und des Ozeans auch auf die Zeugnisse des Poseidonios zurückgehen151. So
handelt ein Fragment des Poseidonios (F 239 27–31 Edd.– Kidd = Strabo III 2, 9 C 147) von
einem Kupfererzlager auf den Kassiteriden, den sagenhaften Zinn-Inseln152. Die
Wortverbindung aus dem poseidonischen Fragment καττίτερον ... γεννᾶσθαι „Zinn wird
erzeugt“ ähnelt lexikalisch einem Vers des Dionysios: νήσους Ἑσπερίδας, τόθι κασσιτέροιο
γενέθλη, / ἀφνειοὶ ναίουσιν ἀγαυῶν παῖδες Ἰβήρων, „bewohnen die Hesperischen Inseln, wo
des Zinnes Wiege, die wohlbegüterten Söhne der erlauchten Iberer“ (Dion. Per. 563–564).
Auf die mögliche Verwendung der Angaben des Poseidonios durch Dionysios können die
verwandten Lexeme γεννᾶσθαι und γενέθλη hinweisen153. Es scheint aber auch eine andere

150
Vgl. Posid. F 277 a 25–33 Edd.–Kidd = Strabo VII 3, 2–7 C 296–301, wo die Mysier, die
Hippemolgen, die Galaktofagen und die Abier erwähnt wurden. Die These über den Gebrauch
der poseidonischen Daten in diesem Abschnitt des Dionysios gehört BERNAYS (1905) 54–55,
s. dazu auch: ILYUSHECHKINA (2002) 401–402.
151
GÖTHE (1875) 11–14.
152
Vgl. die anderen Angaben über die Zinn-Inseln: Herod. III 115; Diod. V 38, 4–5; Strabo II
5, 15 C 120, III 5, 11 C 175; Mela III 6, 47; Plin. nat. hist. IV 119, XXXIV 156 f. u.a.
Wahrscheinlich sind die Kassiteriden die älteste, sagenhafte Benennung der westeuropäischen
Zinnlager, wovon die Griechen im 5.-2. Jh. v. Chr. nur wussten, dass Seeleute – wohl
Phönizier aus Gades – Zinn im Bereich des Ozeans sammelten (mehr dazu s.: HAVERFIELD
(1919) 2028–2032).
153
Das mit dem Lexem γενέθλη verwandte Verb γεννᾶσθαι wurde von den antiken Autoren
oftmals für die Bezeichnung der Prozesse benutzt, die mit Erzgewinnung oder

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Teil I. Kap. 2. Das Weltbild des Dionysios Periegetes

Vermutung erwägenswert zu sein, nämlich dass Dionysios sich bei der Wahl von γενέθλη (v.
563) eher auf die homerische Wortverbindung ἀργύρου ... γενέθλη „Silberlager“ (Hom. Il. II
857) stützte154.
Unter den Ozeaninseln erwähnt Dionysios kurz die Britannischen Inseln, die dem
Rhein gegenüber liegen, und beschreibt dann die nach ihnen erscheinenden Inseln, wo die
amnitischen Frauen (γυναῖκες / ἀνδρῶν (...) ἀγαυῶν Ἀµνιτάων, vv. 570–571) den Dionysos-
Bakchos ehren:

„Nahebei aber ein anderer Zug von Inselchen, wo die Frauen der am jenseitigen Ufer sitzenden,
erlauchten Amnitenmänner – sich anstachelnd – der Satzung gemäß die heiligen Dienste dem
Bakchos vollführen, sich bekränzt habend mit den Traubenrispen des schwarzblättrigen Efeus,
Nachtschwärmerinnen: und es erhebt sich des Gerassels schrill lärmender Schall. Nicht so rufen an
den Ufern des Thrakischen Apsinthos die Bistoniden den lautbrüllenden Eiraphiotes an, und nicht
so führen mit ihren Kindern den schwarzstrudelnden Ganges hinauf die Inder dem lautjohlenden
Dionysos den Festzug auf, wie an jenem Orte die Frauen aufjauchzen ‚Euoi!’“ (Dion. Per. 570–
579).

Nach der Meinung von A. GÖTHE diente als Quelle für die eben angeführten Verse des
Dionysios ein Zeugnis des Poseidonios über die von Dionysos besessenen Frauen der
Samniten (sic! im Unterschied zum Bericht des Dionysios Periegetes)155 auf einer an der
Mündung des Liger-Flusses (heute Loire) liegenden Insel, das in der Wiedergabe Strabons
erhalten ist (Posid. F 276 Edd.–Kidd = Strabo IV 4, 6 C 198)156. Nur wird die Insel bei
Dionysios im nördlichen Teil des Ozeans zwischen den Britannischen Inseln und Thule
platziert, während die Insel bei Poseidonios ebenso im Ozean, aber vor der Loire-Mündung,
liegt. Wahrscheinlich haben die Herausgeber der poseidonischen Fragmente recht, wenn sie
vermuten, dass Poseidonios hier eine mythologische Tradition rational erklärt, die auch in den
Versen des Dionysios etwas verändert widerspiegelt wird157. So kann man diesen Abschnitt
der dionyseïschen Erdbeschreibung im Kontext der antiken paradoxographischen Tradition

Edelsteinförderung verbunden waren (beispielsweise bei Strabo III 2, 3 C 142: χαλκός τε ἅµα
γεννᾶται καὶ χρυσός, „kommt Kupfer zusammen mit Gold vor“, Ps.-Plut. De fluviis I 2, 1 –
über einen seltenen Stein Lychnos, oder VII 6, 1; Peripl. maris Erythraei 5 – über Abbau des
Obsidians).
154
SCHNEIDER (1882) 35; TSAVARI (1990b) 76.
155
Die Handschriften der strabonischen Geographika haben die Lesart Σαµνιτῶν, aber auch
Ναµνητῶν an einer anderen Stelle (Strabo IV 2, 1 C 190); vgl. Caes. BG III 9 und Plin. nat.
hist. IV 107: namnites. Der letzteren Variante folgend schlägt K. MÜLLER (GGM. II. xxv)
vor, auch bei Dionysios Periegetes statt ἀµνιτῶν „amnitischen“ ναµνιτάων „namnitischen“ zu
lesen. Bei Ptolemaios finden sich zwei Benennungen: Σαµνῖται (Ptol. Geogr. II 8, 6) und
Ναµνῖται (Ptol. Geogr. II 8, 8), womit wahrscheinlich derselbe Stamm gemeint ist.
Anscheinend wurden die Namen schon ziemlich früh verwechselt (vgl. ALY (1957) 455), und
die Version von Caesar scheint richtiger zu sein, da die griechische Form für „Samniten“
Σαυνῖται sein sollte (EDELSTEIN, KIDD (1988) 939). Vgl. in der lateinischen Übersetzung der
dionyseïschen Periegese: Amnitum (Prisc. 586) (bei Avienus gibt es kein Adjektiv).
156
GÖTHE (1875) 13; zustimmend auch: BERNAYS (1905) 61; TSAVARI (1990b) 76.
157
EDELSTEIN, KIDD (1988) 940.

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Teil I. Kap. 2. Das Weltbild des Dionysios Periegetes

betrachten, die die Aufmerksamkeit der Leser auf „Ungewöhnliches“ (παράδοξον) und
„Außerordentliches“ (θαυµαστόν) zieht.
Ein anderes Fragment des Poseidonios (F 246 Edd.–Kidd = Strabo III 5, 5 C 170)
kann man als Quelle für die folgende Passage der Periegese des Dionysios ansehen:

ἔνθα τε καὶ στῆλαι περὶ τέρµασιν Ἡρακλῆος


ἑστᾶσιν, µέγα θαῦµα, παρ' ἐσχατόωντα Γάδειρα,
µακρὸν ὑπὸ πρηῶνα πολυσπερέων Ἀτλάντων,
ἧχί τε καὶ χάλκειος ἐς οὐρανὸν ἔδραµε κίων,
ἠλίβατος, πυκνοῖσι καλυπτόµενος νεφέεσσιν
„wo auch die Säulen des Herakles an den Enden
stehen – ein großes Wunder – beim zuäußerst gelegenen Gadeira,
unter dem mächtigen Vorsprung der weit versprengten Atlasberge,
wo auch ein eherner Pfeiler zum Himmel empor lief,
steil aufragend, sich verhüllend unter dichten Wolken“ (Dion. Per.
64–68).

Strabon, in dessen Wiedergabe die poseidonischen Fragmente erhalten geblieben sind,


berichtet von drei Aussendungen der phönizischen Kolonisten; beim dritten Zug gründeten
die Phöniker die Stadt Gadeira auf der westlichen Seite der Insel und errichteten einen
Heraklestempel (der mit dem phönizischen Gott Melkart identifiziert wurde) auf der
östlichen. Die Meinung, dass unter den Säulen des Herakles die Bronzesäule im Tempel des
Herakles verstanden würden, hielt Poseidonios für die glaubwürdigste (πιθανώτατον), so
Strabon. Es kann sein, dass Dionysios in diesem Fall wieder die Angaben des Poseidonios mit
den ältesten Zeugnissen der mythopoetischen Tradition vereinigt hat158.
In einem anderen Fragment des Poseidonios geht es um die Landenge zwischen der
Maiotis und dem Ozean, deren Breite sich nicht viel von der Breite des Isthmus zwischen der
Stadt Pelusion (h. Port Said) und dem Roten Meer unterscheidet (h. Landenge von Suez) (F
206 Edd.–Kidd = Strabo XI 1, 6 C 492). Aus dem Kontext des strabonischen Abschnitts kann
man schließen, dass Poseidonios diese Landenge als Grenze zwischen Europa und Asien und
den Suez-Isthmus als Grenze zwischen Asien und Libyen betrachtete159. Es ist auch nicht
auszuschließen, dass Dionysios diese Vorstellung im Kopf hatte, als er in seinem Prolog die
Anhänger der Erdteilung durch Flüsse und der Gliederung durch Landengen unterscheidet
(vv. 19–25). Dem Poseidonios (bzw. Eratosthenes) folgend, sieht Dionysios das Kaspische
(Hyrkanische) Meer mit dem Ozean durch einen Golf verbunden: „In Asien aber (sc. gibt es)
weite Teile des Ozeans: denn drei wälzt er, / wogende Golfe, und speit er aus, Salzflut
hineinwerfend, / den Persischen, den Arabischen und den tiefstrudelnden Hyrkanischen; / die
einen beiden als südliche, den anderen aber als nach Norden blickenden, / nach Norden
blickenden und zum Libs hin dem Pontos / Euxeinos benachbart“ (vv. 630–635). Also kann
man den Isthmus zwischen der Maiotis und dem Ozean (d. h. dem Kaspischen Meer oder

158
Vgl. beispielsweise: Pind. Pyth. I 19, wo der Dichter den Berg Ätna κίων οὐρανία
“Himmelssäule” nennt; oder Herod. IV 184 über den Berg Atlas: τοῦτον κίονα τοῦ οὐρανοῦ
λέγουσι οἱ ἐπιχώριοι εἶναι.
159
Ähnlich bei Ps.-Arist. De mundo 393b 25: στενότατος ἰσθµός.

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Teil I. Kap. 2. Das Weltbild des Dionysios Periegetes

seinem nördlichen Teil) bei Poseidonios mit der kaukasischen Landenge zwischen dem
Schwarzen und dem Kaspischen Meer in der dionyseïschen Erdbeschreibung identifizieren;
auf dieser Landenge platziert Dionysios die östlichen Iberer (vv. 697–699) und die Kamariter
(vv. 700–705)160.
G. KNAAK hatte einmal die Vermutung geäußert, der sich später U. BERNAYS
anschloss, dass es zwischen Poseidonios und Dionysios einen Vermittler geben könnte, und
zwar Alexander von Ephesos, genannt auch Lychnos (2.-1. Jh. v. Chr.), Rhetor und Autor
eines geographischen Gedichtes, von dem uns manche Fragmente erhalten geblieben sind161.
Zwei geographische Abschnitte des Alexander von Ephesos, in denen es um die Inseln
Taprobane und Ogyris geht, erinnern inhaltlich und lexikalisch an die entsprechenden Verse
des Dionysios Periegetes162:

νῆσος τετράπλευρος, ἁλιστέφανος Ταπροβάνη,


θηρονόµος πέπληθεν ἐϋρρίνων ἐλεφάντων
„Die vierseitige Insel, umgekränzt vom Meer, die Taprobane,
Heimat von wilden Tieren, der scharfspürenden Elefanten“
(F 36 = Steph. Byz. s.v. Ταπροβάνη).

Nach A. MEINEKES Meinung liegt dieses Fragment des Alexander von Ephesos den folgenden
Versen des Dionysios zugrunde163:

µητέρα Ταπροβάνην Ἀσιηγενέων ἐλεφάντων


„zu Taprobane, der Mutter der aus Asien stammenden Elefanten“ (Dion. Per. 593).

Denselben Abschnitt des Alexander von Ephesos zitiert Eustathios von Thessaloniki in
seinem Kommentar zum dionyseïschen Gedicht (Eust. аd Dion. Per. 591). Es scheint aber,
dass die Erwähnung von Elefanten auf Taprobane nicht genügt, um ernsthaft von einer
Abhängigkeit des Dionysios vom Abschnitt des Alexander von Ephesos zu sprechen:
Ähnliche Angaben finden sich auch bei den anderen antiken Autoren, beispielsweise bei
Eratosthenes (F III B 12 Berger = Strabo XV 1, 14 C 690). Dem Wortschatz nach ähnelt aber
die dionyseïsche Passage über Taprobane den Angaben des Onesikritos (in der Wiedergabe
Strabons): Die beiden Autoren sprechen von riesigen Meerestieren um Taprobane:

κήτη δ' ἀµφίβια περὶ αὐτὴν γίνεσθαι, τὰ µὲν βουσὶ τὰ δ' ἵπποις τὰ δ' ἄλλοις χερσαίοις ἐοικότα,
„Ringsumher gebe es große amphibische Meerestiere, die teils Rindern, teils Pferden, teils anderen
Landtieren ähnlich seien“ (Strabo XV 1, 15 C 691, Über. v. S. Radt) ~

160
Mehr zu diesen Stämmen s. unten: Teil II. Kap. 8. Pontische Völker und Stämme (Die
dritte Route).
161
KNAACK (1903) 917; BERNAYS (1905) 56.
162
Die Fragmente des Alexander von Ephesos werden zitiert nach: LLOYD-JONES, PARSONS
(1983) 12–15.
163
MEINEKE (1843) 375; vgl. TSAVARI (1990b) 78.

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Teil I. Kap. 2. Das Weltbild des Dionysios Periegetes

ἀµφὶ δὲ πάντη / κήτεα θῖνες ἔχουσιν, Ἐρυθραίου βοτὰ πόντου, / οὔρεσιν ἠλιβάτοισιν ἐοικότα,
„Ringsum aber allseits halten die Gestade Seeungeheuer, das Weidevieh des Erythräischen Meeres,
steil aufragenden Bergen gleichend“ (Dion. Per. 596–598)164.
In einem anderen Fragment des Alexander von Ephesos geht es um die Insel Ogyris,
die im Erythräischen Meer nicht weit von der Euphrat-Mündung liegt:

µεσσοβαθὴς δ' ἄρα νῆσος ἁλὸς κατὰ βένθος Ἐρυθρῆς


Ὤγυρις, ἔνθα τε τύµβος ἁλὸς µεδέοντος Ἐρύθρα
κέκληται
„Also (liegt) mitten in der Tiefe des Erythräischen Meeres die Insel
Ogyris, wo das Grabmal des Herrschers Erythra, dem Meer den Namen
gegeben“ (F 33 = Eust. ad Dion. Per. 606).

Diese Verse wiederholt Dionysios fast buchstäblich in seinem Gedicht:

ἔστι δέ τοι προτέρω Καρµανίδος ἔκτοθεν ἄκρης


Ὤγυρις, ἔνθα τε τύµβος Ἐρυθραίου βασιλῆος
„Es liegt dir aber im Vorwärtsschreiten außerhalb der Karmanischen
Landspitze Ogyris, wo das Grabmal des Königs Erythraios“ (Dion. Per.
606–607).

Im Abschnitt des Alexander von Ephesos wird aber die Etymologie des Meeresnamens
erklärt, während in den Versen des Dionysios das etymologische Motiv fehlt165.
Zusammenfassend ist es kaum möglich mit Sicherheit zu behaupten, in welchem Grad
Dionysios von Alexander von Ephesos – wenn überhaupt – abhängig war. Eustathios von
Thessaloniki weist meistens auf die vom Periegeten benutzten Autoren hin, nennt aber
Alexander von Ephesos dabei höchst selten. Daraus kann man schließen, dass Dionysios sehr
selten zum Gedicht des Alexander von Ephesos als zu einer seiner Quellen griff. Andererseits
wissen wir nicht genau, ob das geographische Werk des Alexander von Ephesos zur
Lebenszeit des Eustathios vollständig erhalten war. Ähnlich wie im Fall des Eratosthenes ist
es kompliziert zu beurteilen, ob Dionysios die Angaben direkt von den Werken des
Poseidonios oder über seine späteren Umarbeitungen (vor allem von den Geographika
Strabons) entlehnt hat.

164
Vgl. die Erwähnung von κήτη als riesige Meerestiere in der Umgebung von Gadeira bei
Ps.-Skymnos: Ps.-Scymn. 162 und F 10 Marcotte; vgl. Ps.-Arist. Mir. 136.
165
Vgl. ähnliche Zeugnisse bei Plin. nat. hist. VI 153: Insula in alto obiacet Ogyris, clara
Erythra rege ibi sepulto, und Mela III 8, 6: Ogyris, quod in ea Erythrae regis monumentum
est, magis clara, quam ceterae, die H. BERGER (1880, 272–273) ebenso wie diesen Abschnitt
des Dionysios dem Eratosthenes zuschreibt (F III B 43–44 Berger). Sich der Meinung der
Forscher anschliessend, die diese Verse des Dionysios für sekundär halten, führt U. BERNAYS
sie ebenso auf die Angaben des Eratosthenes und nicht auf die des Alexander von Ephesos
bzw. Poseidonios zurück (BERNAYS (1905) 56).

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Teil I. Kap. 2. Das Weltbild des Dionysios Periegetes

2.5.3 Strabon von Amaseia


Die Geographika Strabons sind das umfangreichste erhaltene Werk der antiken griechischen
Kulturgeographie, das auch von großer Bedeutung für die Rekonstruktion der Leitgedanken
der wichtigsten Geographen vor Strabon ist166. In den ersten zwei Büchern erörtert Strabon
die Leistungen seiner Vorgänger (von Homer bis in die eigene Zeit) und bestimmt seine
eigene Position in der Tradition; dabei werden von ihm auch übergreifende geographische
Fragen nach Gestalt und Umfang der Erde, ihren Meeren und Kontinenten sowie bekannte
Probleme der mathematischen Geographie oder Kartographie behandelt. In den Büchern 3–17
findet sich eine Detailbeschreibung der gesamten Mittelmeeroikumene und der angrenzenden
Regionen, angefangen mit dem westlichsten Punkt Europas167.
Dass Dionysios Periegetes als Nachfolger Strabons und Verfasser eines
kompilatorischen Gedichtes zum ähnlichen Thema dessen Geographika als eine der Quellen
benutzen konnte, wurde schon öfters bemerkt168. Als einer der ersten zeigt Eustathios von
Thessaloniki die Parallelen zwischen den dionyseïschen und den strabonischen Abschnitten
auf169. In vielen Abschnitten weist Dionysios Periegetes eine inhaltliche und manchmal sogar
eine lexikalische Nähe zu Strabon auf.
So kann man beispielsweise aufgrund des in großen Zügen gezeichneten Umrisses der
Oikumene, den Strabon in der Einleitung bzw. in den so genannten Prolegomena zu seinem
geographischen Werk darlegt (ἀπὸ τῆς πρώτης ὑποτυπώσεως, II 5, 18 С 121), einen Vergleich
mit dem Weltbild des Dionysios durchführen. Es handelt sich um die Erde, die vom Weltmeer
umspült ist und als darin liegende Insel vorgestellt wird (Strabo II 5, 18 С 121 ~ Dion. Per. 3–
4); nur vergleicht Strabon die Oikumeneumrisse mit einer Chlamys (χλαµυδοειδής,
„chlamysförmig“, II 5, 18 C 121, auch II 5, 14 C 67)170 – im Unterschied zu Dionysios
(σφενδόνῃ εἰοικυῖα, „einer Schleuder gleichend“, Dion. Per. 7). Vier große Ozeangolfe – der
Kaspische bzw. Hyrkanische, der Persische, der Arabische und das Innere bzw. Unser Meer
(d. h. das Mittelmeer) – dringen in die Landmasse ein (Strabo II 5, 18 С 121 ~ Dion. Per. 44–
56), die ihrerseits in die Kontinente Europa, Asien und Libyen verteilt wird (Strabo II 5, 18 С
121–122 ~ Dion. Per. 8–9)171. Nach Strabon und Dionysios liegt der Persische Golf auf
demselben Meridian wie das Kaspische Meer, während sich der Arabische Golf auf
demselben Meridian wie der Pontos befindet (Strabo II 5, 18 С 121 ~ Dion. Per. 51–55).
Dabei finden sich im Text des Dionysios mehrere Übereinstimmungen mit dem
strabonischen: z. B. πίσυρας δὲ µεγίστους (Dion. Per. 44) ~ µεγίστους δὲ τέτταρας (Strabo II

166
ENGELS (1999) 9.
167
Mehr zum Aufbau von Strabons Geographika s. z. B. ALY (1957); ALY (1968) 9–100;
ENGELS (1999) 11.
168
GÖTHE (1875) 16–19; ANHUT (1888) 21–22; BERNAYS (1905) 56; DILLER (1975) 7–8;
GREAVES (1994) 61 f.; CLARKE (1997) 93.
169
Beispielsweise Eust. ad Dion. Per. 7, 11, 38, 64, 88, 142 u. a. S. dazu auch:
SAKELLARIDOU-SOTIROUDI (1994) 173–193.
170
Die Chlamys war ein Cape, dessen Form der Oberfläche eines Wirtelsegments entspricht;
s.: AMELUNG (1899) 2342–2346; HURSCHMANN (1997) 1133; RADT (2006) 266.
171
Vgl. die Weltbeschreibung nach einem ähnlichen Schema bei den römischen Autoren:
Manil. IV 595–695; Mela I 5, 8.

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Teil I. Kap. 2. Das Weltbild des Dionysios Periegetes

5, 18 C 121), ἁπαὶ νοτίης ἁλός (Dion. Per. 51) ~ ἀπὸ τῆς νοτίας ... θαλάττης (Strabo II 5, 18 C
121), ἀντία (Dion. Per. 53) ~ ἀντικρύ (Strabo II 5, 18 С 121), verwendet in der räumlichen
Bedeutung „auf derselben Linie, auf demselben Meridian“; dies liess schon Casaubonus diese
Stelle der Erdbeschreibung mit den Geographika Strabons vergleichen172.
Danach behandeln die beiden Autoren die Beschreibung der Mittelmeersteile,
beginnend im Westen, an den Säulen des Herakles (Strabo II 5, 18–25 С 122–126 ~ Dion.
Per. 58 ff.). Dabei ist die strabonische Beschreibung mit mehreren Details angefüllt: So fügt
Strabon auch eine Aufzählung von Inseln (die sich teilweise im dionyseïschen Katalog der
Mittelmeerinseln wiederholt – Dion. Per. 450–554) oder genaue Distanzangaben zwischen
verschiedenen Routen im Mittelmeer hinzu; die Diskrepanz ist aber leicht mit dem
unterschiedlichen Umfang der Werke und ihren Aufgaben zu erklären. In diesem Abschnitt
über die Mittelmeerteile findet sich auch eine weitere lexikalische Parallele zwischen den
beiden Texten, die auf mögliche Entlehnung hinweisen könnte: Nach Strabon und Dionysios
stellt der Pontos Euxeinos einen Teil des Mittelmeers dar und wird von den beiden Autoren
als διθάλασσος „in zwei Meere zerfallen bzw. Doppelmeer“ bezeichnet – wegen der zwei
gegenüberliegenden pontischen Kaps Kriumetopon an der Nordküste und Karambis an der
Südküste (ἔστι δὲ [sc. ὁ Εὔξεινος πόντος] διθάλαττος τρόπον τινὰ οὗτος, Strabo II 5, 22 C
125 ~ ἐκ τοῦ δ' ἂν καὶ Πόντον ἴδοις διθάλασσον ἐόντα, Dion. Per. 156)173. Das Beiwort
διθάλασσος als Bezeichnung für das Schwarze Meer begegnet außer bei Strabon und
Dionysios nur beim anonymen Autor des spät entstandenen geographischen Werkes
Geographiae expositio compendiaria – ebenso im Kontext der Kaps Karambis und
Kriumetopon174.
Weiter gibt Strabon eine allgemeine Skizze der Länder, an die das Mittelmeer grenzt,
und nennt zur Rechten (wenn man bei den Herakles-Säulen hineinfährt) Libyen bis zu dem
Lauf des Nils und zur Linken auf der gegenüberliegenden Seite Europa bis zum Tanais; beide
enden bei Asien (Strabo II 5, 26 C 126). Bemerkenswerterweise folgt auch Dionysios in
seiner Beschreibung dieser Reihenfolge der Kontinente, während Strabon weiter sagt, dass
man eigentlich mit Europa beginnen muss, „weil es vielgestaltig und am besten geschaffen ist
für Vortrefflichkeit von Menschen und Staatsordnungen“ (II 5, 26 C 126, Übers. v. S. Radt).
Auch in den folgenden Kapiteln seiner Geographika behandelt er erst Europa, dann Asien und
schließlich Libyen behandelt. Möglicherweise stellt Dionysios Libyen auf den ersten Platz in
seiner Erdbeschreibung, weil er selber aus dem ägyptischen Alexandria stammt. Dabei wird

172
RADT (2006) 281 schließt die Möglichkeit einer direkten Entlehnung auch nicht ganz aus,
obschon er hier aber eher eine gemeinsame Quelle vermutet – ebenso wie an den anderen an
Strabon anklingenden Stellen bei Dionysios.
173
Die ähnliche Verwendung der Toponyme „Kriumetopon“ und „Karambis“ bei Strabon und
Dionysios wurde schon bemerkt bei ANHUT (1888) 20–22; vgl. auch GREAVES (1994) 72;
RADT (2006) 287.
174
GGM (Müller). II. 509, 4. Der ähnliche Wortgebrauch bei Periegetes (διθάλασσον ἐόντα)
und beim Anonymus (διθάλασσος ὤν) wurde durch die Abhängigkeit des letzteren vom
dionyseïschen Text geprägt, so ANHUT (1888) 22, n. 41; nach S. RADT (2006: 287), geht der
Anonymustext auf den des Strabon zurück. Vgl. die Redewendung des Sophokles über den
Pontos und die Propontis: διδύµη ἅλς „Doppelmeer“ (Antig. 967) (Eust. ad Dion. Per. 148).

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Teil I. Kap. 2. Das Weltbild des Dionysios Periegetes

aber die Reihenfolge Strabons bei Dionysios nicht zerstört: Er geht bei seinem Erzählen – wie
auch Strabon – nach dem Uhrzeigersinn vor. Bei der Beschreibung der einzelnen Länder
berührt sich Dionysios in vielem mit diesem Abschnitt Strabons175. A. DILLER führt die
Aufzählung der libyschen Stämme bei Dionysios (vv. 184–219) sogar direkt auf den
entsprechenden Abschnitt des Strabon (II 5, 32–33 C 130–131) zurück und hält damit
Dionysios für den frühesten uns bekannten geographischen Autor, der die Geographika
benutzt hat, wenn er auch mit einer Benutzung gemeinsamer Quellen zugrundelegt176:

ἀλλ' ἤτοι πυµάτῃ µὲν ὑπὸ γλωχῖνι νέµονται / (185) ἀγχοῦ στηλάων Μαυρουσίδος ἔθνεα γαίης. /
τοῖς ἔπι δὴ Νοµάδων ἀναπέπταται ἄσπετα φῦλα, / ἔνθα Μασαισύλιοί τε καὶ ἀγρονόµοι Μασυλῆες /
(...) (195) τοῖς δ' ἐπὶ Καρχηδὼν πολυήρατον ἀµπέχει ὅρµον, / (...) (199) ἑξείης δ' ἐπὶ Σύρτις
ἀγάρροον ὁλκὸν ἑλίσσει / βαιοτέρη· µετὰ τὴν δὲ πρὸς αὐγὰς ἕλκεται ἄλλη, / (...) (204) τάων
ἀµφοτέρων µεσάτη πόλις ἐστήρικται, / ἥν ῥά τε κικλήσκουσι Νέαν πόλιν· ἧς ὑπὲρ αἶαν /
Λωτοφάγοι ναίουσι, φιλόξεινοι γεγαῶτες· / ἔνθα ποτ' αἰολόµητις ἀλώµενος ἦλθεν Ὀδυσσεύς. /
κεῖνον δ' ἂν περὶ χῶρον ἐρηµωθέντα µέλαθρα / ἀνδρῶν ἀθρήσειας ἀποφθιµένων Νασαµώνων, /
(210) οὓς ∆ιὸς οὐκ ἀλέγοντας ἀπώλεσεν Αὐσονὶς αἰχµή. / Ἀσβύσται δ' ἐπὶ τοῖσι µεσήπειροι
τελέθουσιν / (...) (214) ἄγχι δὲ Μαρµαρίδαι προνενευκότες Αἰγύπτοιο, / Γαίτουλοί τ' ἐφύπερθε καὶ
ἀγχίγυοι Νίγρητες. / ἑξείης δ' ἐπὶ τοῖς Φαυρούσιοι, ὧν ὕπο γαῖαν / ναίουσιν Γαράµαντες ἀπείριτοι·
ἐν δὲ µυχοῖσι / βόσκοντ' ἠπείροιο πανύστατοι Αἰθιοπῆες, / αὐτῷ ἐπ' Ὠκεανῷ, πυµάτης παρὰ
τέµπεα Κέρνης,
„Aber wohlan, gegen seine (sc. Libyens) äußerste Ecke hin siedeln nahe den Säulen die Völker des
Maurusischen Landes. Auf diese folgend liegen daneben der Nomaden unsagbar viele Stämme
ausgebreitet, wo die Masaisylier und die flurdurchstreifenden Masyleer (...). Auf diese aber folgend
hält Karchedon einen vielbeliebten Hafen umfaßt (...). Anschließend daran wälzt die Syrte ihren
starkströmenden Zug, die kleinere; nach dieser aber, dem Frühlicht zu, zieht sich die andere hin
(...). Zwischen diesen beiden aber genau in der Mitte steht eine Stadt errichtet, welche sie Neapolis
rufen; über deren Land hinaus wohnen die Lotophagen, gastfreundlich von Wesen: dahin kam
einst, umherirrend, der buntsinnige Odysseus. Rings in jenem Gebiete ferner magst du wohl die
vereinsamten Wohnstätten der vernichteten Nasamonenmänner beschauen, welche, da sie Zeus

175
Z. B. der Vergleich der Umrisse Iberiens mit der Rinderhaut: Strabo II 5, 27 C 127 ~ Dion.
Per. 287 oder der Unrisse Libyens mit dem Trapez und des Landes mit einem Pardenfell:
Strabo II 5, 33 C 130 ~ Dion. Per. 175 und 181; die Beschreibung des Apenninen-Gebirges,
das sich durch die ganze Länge Italiens von Norden nach Süden hindurchzieht: Strabo II 5, 28
C 128 ~ Dion. Per. 343–344, oder die des Istros-Flusses, der sich von Westen nach Osten, bis
zur Maiotis, ausdehnt: Strabo II 5, 30 C 128 ~ Dion. Per. 298–301; die gegenüber Indien
liegende Insel Taprobane: Strabo II 5, 32 C 130 ~ Dion. Per. 592–593).
176
DILLER (1975) 7–8, der sich dabei der Vermutung von GÖTHE (1875) 17–19 anschließt,
während KNAACK (1903) 920 sich dagegen ausspricht. BRODERSEN (1994) 9–40 geht auf
Strabon als Quelle des Dionysios nicht ein. ENGELS (1999) 47 und 387 schließt die Benutzung
der strabonischen Geographika durch Dionysios nicht aus, hält aber diese indirekte
Breitenwirkung Strabons eher für schädlich für die vollständige Überlieferung des
strabonischen Textes. S. RADT (2006) 294–295 vermutet bei dieser Stelle die Verwendung
derselben Quelle durch Dionysios und nicht eine direkte Entlehnung aus dem Text Strabons,
da der Dichter „das Nomadenleben der Numider als etwas Gegenwärtiges schildert, während
es bei Strabon, dem Piso ja die aktuelle Situation beschrieben hatte, der Vergangenheit
angehört“.

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Teil I. Kap. 2. Das Weltbild des Dionysios Periegetes

nicht achteten, zugrunde richtete die Ausonische Lanze. Die Asbysten aber, auf diese folgend,
kommen mitten im Binnenland zum Vorschein (...), nahebei aber die Marmariden, vorgeneigt vor
Ägypten hin, und die Gätuler darüber hinaus und ihre Flurnachbarn, die Nigreten. Anschließend
aber an diese die Pharusier, über deren Land hinaus die Garamanten wohnen ohne Grenze und
Zahl. In den hintersten Winkeln aber weiden als allerletzte des Erdteiles die Äthiopen, am Ozean
selbst, entlang der Taleinschnitte der zuäußerst gelegenen Kerne“ (Dion. Per. 184–219).

τοὺς µὲν µεσηµβρινωτάτους Αἰθίοπας προσαγορεύουσι, τοὺς δ' ὑπὸ τούτοις τοὺς πλείστους
Γαράµαντας καὶ Φαρουσίους καὶ Νιγρίτας, τοὺς δ' ἔτι ὑπὸ τούτοις Γαιτούλους, τοὺς δὲ τῆς
θαλάττης ἐγγὺς ἢ καὶ ἁπτοµένους αὐτῆς πρὸς Αἰγύπτῳ µὲν Μαρµαρίδας µέχρι τῆς Κυρηναίας,
ὑπὲρ δὲ ταύτης καὶ τῶν Σύρτεων Ψύλλους καὶ Νασαµῶνας καὶ τῶν Γαιτούλων τινάς, εἶτ'
Ἀσβύστας καὶ Βυζακίους µέχρι τῆς Καρχηδονίας. πολλὴ δ' ἐστὶν ἡ Καρχηδονία· συνάπτουσι δ' οἱ
νοµάδες αὐτῇ· τούτων δὲ τοὺς γνωριµωτάτους τοὺς µὲν Μασυλιεῖς τοὺς δὲ Μασαισυλίους
προσαγορεύουσιν· ὕστατοι δ' εἰσὶ Μαυρούσιοι.
„Die Südlichsten nennt man Äthiopen, die meisten unterhalb von ihnen Garamanten, Pharusier und
Nigriter, die noch unterhalb von diesen wohnen den Gaituler, die in der Nähe des Meeres
Wohnenden oder auch an das Meer Stoßenden bei Ägypten bis zum Kyrenäischen Marmarider,
oberhalb des Kyrenäischen und der Syrten Psyller, Nasamonen und einen Teil der Gaituler, dann
Asbyster und Byzakier bis zum Karthagischen; das Karthagische ist ausgedehnt; daran stoßen die
Nomaden, und von diesen nennt man die bekanntesten teils Masylier, teils Masaisylier; die letzten
sind die Maurusier“ (Strabo II 5, 33 C 131, Übers. v. S. Radt).

Dass Dionysios die libyschen Völker und Stämme in anderer Richtung als Strabon aufzählt,
ist damit zu erklären, dass der Dichter seine Erzählung vom nordwestlichen Punkt Libyens
aus ost- und dann südwärts führt, während Strabon mit Libyen seine Skizze aller drei
Kontinente beendet und die Stämme dieses Erdteiles von Süden nach Norden auflistet. Einige
Unstimmigkeiten bei den beiden Autoren (vor allem die von Dionysios hinzufügten
Lotophagen oder die bei ihm fehlenden Psyller und Byzakier) lassen jedoch eher eine
gemeinsame Quelle vermuten und keine direkte Entlehnung des Dionysios aus dem
strabonischen Text.
Zu einer ähnlichen Schlussfolgerung führt der Vergleich der Inseln-Kataloge des
Mittelmeeres bei Strabon und Dionysios. Eine Liste der Inseln im Ägäischen Meer in der
Erdbeschreibung scheint so gut wie buchstäblich aus den Geographika entlehnt zu sein
(wiederum in der umgekehrten Reihenfolge):

... αἵ τε Κυκλάδες νῆσοι εἰσὶ καὶ αἱ Σποράδες καὶ αἱ προκείµεναι τῆς Καρίας καὶ Ἰωνίας καὶ
Αἰολίδος µέχρι τῆς Τρῳάδος, λέγω δὲ Κῶ καὶ Σάµον καὶ Χίον καὶ Λέσβον καὶ Τένεδον· ὡς δ'
αὕτως αἱ προκείµεναι τῆς Ἑλλάδος µέχρι τῆς Μακεδονίας καὶ τῆς ὁµόρου Θρᾴκης Εὔβοιά τε καὶ
Σκῦρος καὶ Πεπάρηθος καὶ Λῆµνος καὶ Θάσος καὶ Ἴµβρος καὶ Σαµοθρᾴκη καὶ ἄλλαι πλείους,
περὶ ὧν ἐν τοῖς καθ' ἕκαστα δηλώσοµεν,
„<Hier liegen> die Kykladen-Inseln, die Sporaden und die Inseln vor Karien, Ionien und der Aiolis
bis zur Troas, ich meine Kos, Samos, Chios, Lesbos und Tenedos; ebenso die vor Griechenland bis
nach Makedonien und dem angrenzenden Thrakien liegenden: Euboia, Skyros, Peparethos,

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Teil I. Kap. 2. Das Weltbild des Dionysios Periegetes

Lemnos, Thasos, Imbros, Samothrake und mehrere andere, von denen wir in der
Einzelbeschreibung näher sprechen werden“ (Strabo II 5, 21 C 124, Übers. v. S. Radt).

Ἤτοι δ' Εὐρώπης µὲν Ἀβαντιὰς ἔπλετο Μάκρις / Σκῦρός τ' ἠνεµόεσσα καὶ αἰπεινὴ Πεπάρηθος· /
Ἔνθεν καὶ Λῆµνος, κραναὸν πέδον Ἡφαίστοιο, / Πέπταται, ὠγυγίη τε Θάσος, ∆ηµήτερος ἀκτή, /
Ἴµβρος Θρηϊκίη τε Σάµος, Κυρβάντιον ἄστυ. / (525) Αἳ δ' Ἀσίης πρώτην αἶσαν λάχον, ἀµφὶς
ἐοῦσαι / ∆ῆλον ἐκυκλώσαντο, καὶ οὔνοµα Κυκλάδες εἰσί· / Ῥύσια δ' Ἀπόλλωνι χοροὺς ἀνάγουσιν
ἅπασαι, / Ἱσταµένου γλυκεροῦ νέον εἴαρος, εὖτ' ἐν ὄρεσσιν / Ἀνθρώπων ἀπάνευθε κύει λιγύφωνος
ἀηδών. / (530) Νῆσοι δ' ἑξείης Σποράδες περὶ παµφαίνουσιν, / (...) ταῖς δ' ἐπὶ νῆσοι ἔασιν Ἰωνίδες·
ἔνθα δὲ Καῦνος / καὶ Σάµος ἱµερόεσσα, Πελασγίδος ἕδρανον Ἥρης, / (535) καὶ Χίος ἠλιβάτοιο
Πελινναίου ὑπὸ πέζαν. / κεῖθεν δ' Αἰολίδων ἀναφαίνεται οὔρεα νήσων, / Λέσβου τ' εὐρυχόροιο καὶ
ἱµερτῆς Τενέδοιο,
„Zu Europa, wohlan nun, gehörig war und ist die Abantische Makris – und Skyros, die
windgepeitschte, und die steile Peparethos; von da aus liegt auch Lemnos, der felsige Boden des
Hephaistos, ausgebreitet – und die altehrwürdige Thasos, der Demeter Kornküste, Imbros und die
Thrakische Samos, die Korybantenstadt. Welche aber von Asien den ersten Anteil erlosten,
rundumliegend kreisten sie Delos sich ein – und heißen mit Namen Kykladen; als Dankesopfer
führen sie allesamt dem Apollon Reigentänze auf, wenn gerade neu der süße Frühling sich
einstellt, während in den Bergen abseits der Menschen die hellstimmige Nachtigall brütet.
Anschließend aber leuchten klar ringsum die Sporadeninseln, (...). Auf diese aber folgend liegen
die Ionischen Inseln: da ist Kaunos – und die holde Samos, der Sitz der Pelasgischen Hera, und
Chios unten am Fuße des hochragenden Pelinnaion. Von dort aus wiederum kommen die Berge der
Äolischen Inseln zum Vorschein, der an breiten Reigenplätzen reichen Lesbos und der reizenden
Tenedos“ (Dion. Per. 520–537).

Bei seiner Beschreibung der Kykladen (vv. 525–529) benutzt Dionysios als dichterisches
Vorbild einen Vers des kallimacheïschen Hymnos auf Delos177, aber das Adjektiv ἅπασαι
verbindet er mit den Kykladen, was im Unterschied zu Kallimachos eine Parallele in einer
anderen Passage Strabons findet:

ἔνδοξον δ' ἐποίησαν αὐτὴν (sc. ∆ῆλον) αἱ περιοικίδες νῆσοι, καλούµεναι Κυκλάδες, κατὰ τιµὴν
πέµπουσαι δηµοσίᾳ θεωρούς τε καὶ θυσίας καὶ χοροὺς παρθένων πανηγύρεις τε ἐν αὐτῇ
συνάγουσαι µεγάλας.
„Berühmt haben Delos die umliegenden Inseln gemacht – Kykladen genannt – , indem sie
ehrenhalber offizielle Gesandte, Opfer und Mädchenchöre dorthin schickten und große
Festgemeinden dort versammelten“ (Strabo X 5, 2 C 485, Übers. v. S. Radt).

Die umgekehrte Reihenfolge der Aufzählung bei Strabon und Dionysios, die von Dionysios
eingeführte Gliederung der Inseln in die zu Europa oder die zu Asien gehörigen, die Variation

177
Call. h. IV 279: πᾶσαι δὲ χοροὺς ἀνάγουσι πόληες; vgl. über die Festspiele auf Delos:
Hom. Hymn. Apoll. 146–148; Thuc. III 104. Kallimachos richtet die Aufmerksamkeit auf die
religiös-politische Rolle von Delos, was für die hellenistische Zeit kennzeichnend war;
Dionysios schreibt jedoch direkt, dass die Festspiele zu Ehren Apollons veranstaltet werden.
S. dazu auch: COUNILLON (2001a) 11–23.

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Teil I. Kap. 2. Das Weltbild des Dionysios Periegetes

Κῶ (Strabo) / Καῦνος (Dion. Per. 533)178 und der umgebende Kontext der Abschnitte betonen
jedoch die Unterschiede zwischen den beiden Texten und weisen eher auf die Verwendung
gemeinsamer früherer Quellen bzw. Kataloge als auf eine direkte Verwendung der
Geographika durch Dionysios Periegetes hin179.
Im letzten Absatz seiner Einleitung bzw. Prolegomena, der in den Handschriften den
Sondertitel περὶ κλιµάτων hat, gibt Strabon die Breitenbestimmung des Hipparchos und die
Schattenlehre des Poseidonios; beides fehlt im Text des Dionysios. In den ersten beiden
Büchern seiner Geographika nennt Strabon genug Namen, so dass man zu erkennen glaubt,
mit wem sich der Geograph auseinandersetzt, aber dann kommen wieder lange Stücke ohne
jede Herkunftsbezeichnung, so dass der Leser den Eindruck bekommt, originale
Gedankenarbeit Strabons vor sich zu haben180. Da sich derselbe Gegenstand jedoch auch bei
anderen antiken geographischen Autoren findet, die dabei nicht aus Strabon schöpften (z.B.
bei Plinius d. Älteren am Ende des 6. Buches), so kann man im Fall Strabons und des
Dionysios mit großer Sicherheit mit den loci communes der antiken geographischen
Vorstellungen bzw. mit der voneinander unabhängigen Benutzung gemeinsamer Quellen
annehmen. Dies bestätigt auch der kompilatorische Charakter der beiden geographischen
Werke. Weitere lexikalische Entsprechungen zwischen der Erdbeschreibung und den
Geographika scheinen keine Verbindung zwischen den Kontexten der Werke zu zeigen,
sondern aus einer dritten Schrift zu stammen181. Das Lehrgedicht des Dionysios unterscheiden
vom Werk Strabons auch Hauptprinzipien und Erzählensweise. So behauptet Strabon, dass
die von ihm unternommenen Reisen ihn zu einen echten Kenner der Geographie gemacht
hätten182. Im Unterschied zu Strabon bevorzugt Dionysios nicht empirische Kenntnisse oder
Beobachtungen, sondern bittet in seinen rhetorischen Wendungen an die Musen um
zuverlässige Informationen über die geographischen Angaben (Dion. Per. 709–717), d. h. er
stützt sich auf Buchkenntnisse.
Die Frage, ob Dionysios die strabonischen Geographika als Quelle kannte bzw.
benutzt hat, ist eng mit der Überlieferungsgeschichte der Werke Strabons im 1. und 2. Jh.

178
Eustathios unterscheidet die Stadt Kaunos in Karien (vgl. Strabo XIV 2, 2–3 C 651) und
die dionyseische Insel Kaunos, für die er aber keine Lokalisation finden kann (Eust. ad Dion.
Per. 533). Aufgrund der Parallelstelle bei Strabon (II 5, 21 C ) kann man jedoch die Insel
Kaunos bei Dionysios vermutlich mit der Insel Kos identifizieren; vgl. die Lesarten zu der
Stelle bei TSAVARI (1990b) 73.
179
Zu den hellenistischen Listen von Inseln s. z.B.: CECARRELLI (1989) 903–935; GONZÁLEZ
PONCE (1997) 147–175.
180
ALY (1957) 372.
181
Vgl. z. B.: πολυσχιδές „vielfach bzw. in viele Zweige gespalten“ (zum Tauros) (Dion. Per.
643 ~ Strabo XI 12, 1 C 520); παραυγάζουσα von παραυγάζω „den Anschein geben“ (Dion.
Per. 89: zum Kap ~ Strabo II 1, 18 C 75 – in der Medialform und II 5, 42 C 135 – in der
Passivform: von der Sonne).
182
Vgl. z. B.: „Und auch bei den Anderen, die die Erde beschrieben haben, dürfte sich keiner
finden der von den genannten Räumen viel mehr bereist hat als wir, sondern diejenigen die im
Westen weiter gelangt sind, haben nicht soviel vom Osten berührt und die die in der
entgegengesetzten Richtung weiter gekommen sind sind im Westen zurückgeblieben; und
ebenso ist es mit dem Süden und dem Norden“ (Strabo II 5, 11 С 117).

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Teil I. Kap. 2. Das Weltbild des Dionysios Periegetes

verbunden. Bekannt ist, dass die beiden strabonischen Werke schon im 1. Jh. selten waren.
Vermutlich gelangte sowohl zu Lebzeiten Strabons als auch in der für eine Verankerung des
Werkes in der Tradition besonders wichtigen ersten Generation nach seinem Tod bis zur Zeit
Plinius’ des Älteren nur eine sehr geringe Anzahl von Manuskripten der strabonischen Werke
in Umlauf; so wird verständlich, warum auch unter den Geographen des 1. Jhs. n. Chr. weder
Mela noch Plinius die Geographika als Quelle nutzten183. Auch im 2. Jh. zitieren das
geographische Werk Strabons weder Pausanias noch Ptolemaios noch Marinos von Tyros184.
Sicher nachzuweisen sind die Geographika erst am Ende des 2. Jhs.: Zwei Zitate finden sich
bei Athenaios in den Deipnosophistai (III 121 a = Strabo III 4, 2 C 156 und XIV 657 ff. = 7 F
60 (58 b) Jones), weitere Zitate bei Harpokration in seinem Lexikon zu den zehn attischen
Rednern (VIII 6, 22 C 380; X 2, 8 C 451–452); häufig werden die Geographika bei Stephanos
von Byzanz (6. Jh.) in seinen Ethnika zitiert. Also hatte Dionysios Periegetes theoretisch die
Möglichkeit, die Geographika Strabons als eine seiner Quellen zu benutzen, die
Wahrscheinlichkeit ist jedoch sehr gering; indirekt wird dies auch von späteren Zeugnissen
zur Überlieferung Strabons bestätigt. Die zahlreichen Übereinstimmungen zwischen den
strabonischen Geographika und der dionyseïschen Erdbeschreibung kann man mit dem
kompilatorischen Charakter der Werke und mit der Verwendung gemeinsamer Quellen oder
der loci communes erklären.

2.6 Zusammenfassung
Dionysios verhehlt die Hauptaufgabe seines Werkes vor dem Leser nicht: Er will in
poetischer Form eine ethnogeographische Skizze der ganzen Oikumene darlegen (vgl. vv. 170
ff.; 888 ff.). Das allgemeine Weltbild des Dionysios enthält den Ozean, der die
schleuderförmige Landmasse umspült, und die schematische Schilderung der drei Kontinente
aus der Vogelperspektive. Der Tradition folgend werden die Umrisse der einzelnen Länder
und Regionen von Dionysios mit geometrischen Figuren verglichen. Die Einfachheit der
geometrischen Figuren für die Wahrnehmung stellt eine der Voraussetzungen des
mnemotechnischen Effekts aus der Schulpraxis dar.
Wenn Dionysios aber zur detaillierten Beschreibung konkreter Gegenden kommt,
schildert er Länder und Völker vom Gesichtspunkt eines imaginären Reisenden, der sich im
Raum hodologisch (d. h. nach den vom Autor vorgenommenen Routen) orientiert. Diese
Wahrnehmungsweise und Raumerfassung über die Routen mit Ortsnamen, Landmarken und
Völkern geht ursprünglich auf die realitätsorientierte Literatur der archaischen Zeit zurück,
auf die Periploi und Periegesen. In seinem Text kombiniert Dionysios protokartographische
und periegetische Beschreibungselemente, ohne die Intention zu haben, die Beschreibung
einer konkreten graphischen Karte zu geben.
Dionysios verwendet zeitlich auseinanderliegende narrative, d. h. literarische, Quellen;
seine spekulative Raumerfassung gründet sich auf den gelehrten Charakter seiner Kenntnisse
und ist zu ihrem literarischen Ausdruck in Form einer dichterischen Periegese mit

183
So ENGELS (1999) 45–47, bes. 46.
184
DILLER (1975) 7–8; ENGELS (1999) 47.

- 93 -
Teil I. Kap. 2. Das Weltbild des Dionysios Periegetes

didaktischen Zielen gekommen. Dadurch wird auch die Auswahl von geographischen Quellen
bestimmt, die vielfältige Information über den Wasser- und Erdraum von den Säulen des
Herakles bis zu den östlichen Küsten Indiens und vom Land der Äthiopen bis zur Insel Thule
enthalten. Dionysios orientiert sich auf Erfüllung didaktischer Aufgaben und auf
Unterhaltung; so wählt er die Angaben der maßgeblichsten Autoren aus und vergißt dabei
nicht, den Umfang seines Gedichts ziemlich knapp zu halten. Die von Dionysios benutzte
Kompilationsweise lässt (1) teilweise fast direkte Auszüge aus Quellen verschiedenen
Umfanges vermuten, (2) die Möglichkeit, diese Auszüge nach eigener Absicht neu
zusammenzustellen, (3) die Umarbeitung der Quellen und damit einigen Informationsverlust
zugunsten des Gedichtsumfangs oder der rhetorisch-poetischen Ausweitungen (vor allem
metri gratia). Die von Dionysios herangezogenen Angaben zeigen dabei die Vielseitigkeit
und Besonderheit seines Gedichtes auf dem Hintergrund von „fremden“ geographischen
Texten.

- 94 -
Teil I. Kap. 3. Gattungsaspekte

Kapitel 3. Gattungsaspekte
3.1 Das Gedicht des Dionysios Periegetes und die epische Tradition (Kataloge)
3.2 Die Erdbeschreibung des Dionysios als didaktisches Werk
3.2.1 Die Fiktion des Dialoges
- das dichterische „Ich“
- Ansprechen des Lesers
- Musenanruf
3.2.2 Aufbau des Werkes und Kompositionsmittel
- „Pyramidenprinzip“
- Uhrzeigersinn-Ordnungsprinzip
- „Vom Allgemeinen zu Einzelheiten“
- „Nord – Süd“
- Prolog – Epilog
3.3 Zusammenfassung

Die Erdbeschreibung des Dionysios Periegetes ist ein geographisches Lehrgedicht: Daher
wird in diesem Kapitel die Aufmerksamkeit auf die Erforschung von Hauptgattungsaspekten
gerichtet, und zwar auf seine epischen Komponenten und auf die didaktische Richtung. Neben
dem frühepischen Wortschatz, Formeln, dem Metrum und dem epischen Stil, die dem Gedicht
des Dionysios archaisch färben, enthält der Text der Erdbeschreibung ein für die narrative
und didaktische Dichtung kennzeichnendes Element: z. B. verschiedenartige Listen und
Kataloge, mit deren Hilfe der Dichter geographische Namen (von Völkern, Meeren, Städten
der Oikumene) aufzählt (ausführlicher dazu s. 3.1). Seit der hellenistischen Zeit kann man von
der didaktischen Ausrichtung einer ganzen Reihe dichterischer Werke sprechen, die genetisch
aus der epischen Tradition herauswachsen und seit dieser Zeitperiode formalisierte Züge
bekommen. Im Gedicht des Dionysios, der den hellenistischen poetischen Vorbildern folgt,
fallen vor allem Elemente eines fiktiven Dialogs und weitere Kompositionsmittel auf (s. dazu
3.2): Die Erdbeschreibung stellt einen zusammenhängenden Lehrvortrag vor einem
Adressaten dar; seine poetische Struktur schließt weitere didaktische Elemente ein: (а)
Beispiele für das so gennante dichterische „Ich”, (b) Ansprechen des Lesers und (c)
Musenanrufe (mehr dazu s. 3.2.1). Die Symmetrie und Durchdachtheit der Werkkomposition
sind mit der didaktischen Ausrichtung des Gedichts verbunden und durch seinen
geographischen Inhalt bedingt. Die von Dionysios benutzten Kompositionsmittel
(„Pyramidenprinzip“, Uhrzeigersinnordnungsprinzip, „vom Allgemeinen zu Einzelheiten“,
„Nord – Süd“) sollen vor allem dem Leser möglichst klar und deutlich vielfältige
Informationen darlegen; außerdem werden hier auch Bestandteile der Ringskomposition –
Prolog und Epilog – betrachtet (ausführlicher s. 3.2.2).

- 95 -
Teil I. Kap. 3. Gattungsaspekte

3.1 Das Gedicht des Dionysios Periegetes und die epische Tradition
Als griechischsprachiger Autor des 2. Jhs. zeigt Dionysios poetische Tendenzen, die für die
Literatur seiner Zeit kennzeichnend sind. Es geht vor allem um den archaisierenden Stil in
Werken des 2. Jhs., der nicht nur für die Prosa, sondern auch für die Dichtung der Zeit des
Kaisers Hadrian charakteristisch ist1. Bereits durch die Auswahl des Metrums für sein
Gedicht, des daktylischen Hexameters, verbindet Dionysios seine Periegese mit der epischen
Tradition auf direkte Weise, von den homerischen Epen bis zu den Argonautika des
Apollonios Rhodios. Wie die meisten späteren epischen Dichter verwendet er die
traditionellen Komponenten, um dem Leser seine eigene Vertrautheit mit den Epen des
Homer und des Hesiod zu zeigen und damit seinem Gedicht ein aus dem frühgriechischen
Epos bekannte gehobenes Stilniveau zu geben, aber auch um mit Allusionen zu spielen und
den Leser epische Elemente in den Versen raten zu lassen.
Unter den Hauptelementen der epischen Tradition, die Dionysios benutzte, heben die
Forscher seinen archaischen Wortschatz und seine Technik hervor2, aber auch die
mythologischen Motive, die mit den Wanderungen des Odysseus oder mit dem Zug der
Argonauten verbunden sind3. Aber nochmals: In der dionyseïschen Periegese fehlt das
narrativ-dramatische Element im Gegensatz zum Heldenepos; es gibt keine epischen
Handlung oder Heldenbeschreibungen.
Im Folgenden besehen wir uns das kataloghafte Element in Dionysios’ Gedicht
ausführlicher, das seit eh und je unverzichtbarer Bestandteil epischen Erzählens ist4.
Dionysios verwendet die spezifische Form des Kataloges immer bei der Aufzählung
geographischer bzw. ethnographischer Namen; dies lässt sein Gedicht auf die Tradition des
1
Homerreminiszenzen und Anspielungen auf die homerischen Epen sind auch bei anderen
griechischen Schriftstellern dieser Zeit zu finden, vgl. KINDSTRAND (1973); s. auch: VAN
GRONINGEN (1965) 41–56; BOWIE (1970) 3–41; ANDERSON (1993) 69 ff.; SWAIN (1996) 65
ff.; EFFE (1977) 188, Anm. 2; EFFE (2005) 36–37.
2
So führt M. SCHNEIDER in seiner Arbeit einige Beispiele der Phraseologie und des
Lexikgebrauchs an, die für den Wortschatz des Homer und den des Dionysios Periegetes
bezeichnend sind (SCHNEIDER (1882) 21); später wurde das von SCHNEIDER gesammelte
Material von U. BERNAYS mit einer Liste der von Dionysios verwendeten homerischen
Epitheta ergänzt (BERNAYS (1905) 28, Anm. 53) – derselbe Forscher hat auch hesiodeïsche
Reminiszenzen bei Dionysios bemerkt (Theog. 338 sq.), die in einer ähnlichen Aufzählung
von Flüssen bei den beiden Dichtern bestehen (BERNAYS (1905) 31). Mehr zum Metrum, zur
Sprache und zum Stil des Dionysios s. unten: Teil I. Kap. 4. Die poetische Technik des
Dionysios Periegetes.
3
Beispielsweise erwähnt Dionysios aus der Odyssee die Lotophagen (vv. 205–207, vgl. Hom.
Od. IX 82 ff.), die Sirenen-Felsen (v. 360, vgl. Hom. Od. XII 167 ff.), die Insel des Alkinoos
Kerkyra (v. 494, vgl. Hom. Od. VI 12 ff.) und die Inseln des Aiolos (vv. 461–466, vgl. Hom.
Od. X 1–75). Aus den Argonautika des Apollonios Rhodios werden bei Dionysios die
Kyanäischen Felsen (v. 144), die Inseln des Apsyrtos (vv. 488–490), Hylas, Herakles’
Geliebter (vv. 806–808) und Medea (vv. 1020–1029) erwähnt. Ausführlicher zum
mythologischen Bestandteil des dionyseïschen Gedichts s. Teil I. Kap. 5. Mythologische
Vergangenheit.
4
REITZ (1999) 334.

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Teil I. Kap. 3. Gattungsaspekte

katalogischen Epos, wie den „Frauenkatalog“ von Hesiod, zurückführen. Diese Katalogform
findet man bei allen poetischen Werken geographischen Inhalts, vom Schiffskatalog in der
Ilias (II 494–759) und Aufzählungen von Völkerschaften in der Ilias (II 816–877) bis zur
alexandrinischen Katalogdichtung5. In griechischen hellenistischen Lehrgedichten (von Arat,
Nikander usw.) stellen Kataloge in der Regel eine Kunstform poetischen Beschreibens dar
und sind demzufolge sehr häufig6. Nach dem Argonautenkatalog bei Apollonios Rhodios (I
23–233)7 bleiben Kataloge ebenso wesentlicher Bestandteil der epischen Dichtung8. Kataloge
hatten eine didaktische Zielsetzung: Sie galten als Ausweis der Realienkompetenz des
Dichters – je mehr Kataloge die Dichtung enthielt, desto stärker konnte der Hörer bzw. Leser
der faktischen Zuverlässigkeit vertrauen9.
Im Text der Erdbeschreibung des Dionysios Periegetes kann man 15 Kataloge
unterscheiden10:
1. vv. 29–39 „Teile des Ozeans“ 8 Namen in 10 Versen
2. vv. 45–56 „Golfe des Ozeans“ 4 (+1)11 Namen / 11 Verse
3. vv. 69–168 „Meere – Teile des Mittelmeers“ 18 Namen / 99 Verse
4. vv. 184–221 „Völker Libyens“ 14 Namen (+3 Städtenamen
und 4 Hydronyme) / 37 Verse
5. vv. 304–310 „Völker nördlich des Istros“ 14 Namen / 7 Verse
6. vv. 321–326 „Völker südlich des Istros“ 5 Namen / 6 Verse
7. vv. 347–382 „Völker Italiens“ 13 Namen (+7 Städtenamen
und 4 Flussnamen) / 35 Verse
8. vv. 450–554 „Inseln im Mittelmeer“ 47 (+1)12 Namen / 104 Verse

5
Ausführlich zum griechischen Begriff κατάλογος und den genaueren Definitionen von
Katalogen als literarischer Form im frühgriechischen Epos, in den attischen Tragödien, in
Katalogelegien usw. s., z. B.: TRÜB (1952) 5 ff.; KÜHLMANN (1973) 23–28; VISSER (1997) 1–
48; SCHERER (2002) 57–72.
6
KRISCHER (1971) 131–146 (Kap. „Der katalogische Stil“); FAKAS (2001) 77–84.
7
Argonautenkataloge vor Apollonios: Pind. Pi. IV 171–183; Pherekydes FGrH 3 F 106–111
Jacoby; Apollodor I 111–113; Dion. Skytobrach. F 14 Rusten = Diod. IV 41.
8
Vgl. z. B. die orphischen Argonautika und die Dionysiaka des Nonnos. S. auch: GAßNER
(1972); MINEUR (1984) 106–107: u.a. zum geographischen Katalog im homerischen Hymnos
auf Apollon (v. 30–44), der für Kallimachos zum Vorbild seines Hymnos auf Delos dienen
sollte; SCHRIJVERS (2010): über die geographischen Kataloge in der griechisch-römischen
Dichtung.
9
VISSER (1997) 3, Anm. 3.
10
Die Anzahl kann je nach den jeweiligen Kriterien anders sein. Ich habe mich vor allem
nach dem von Dionysios angekündigten Thema des Erzählens gerichtet (vgl.: „Nun aber
werde ich den Gang der westlichen Salzflut besprechen“; v. 58, oder „Viele Stämme aber sind
um ihn (sc. Apenninos) herum, welche ich dir leicht alle kundtun werde“, v. 345, s. auch: vv.
726, 762–764), sowie nach dem zusammenhängenden Inhalt der Abschnitte und nach der
Zahl der Katalogglieder (vier oder mehr).
11
Den ersten, mit dem Mittelmeer gebildeten Golf nennt Dionysios periphrastisch (v. 45).
12
Die letzte Insel in diesem Katalog, auf der sich die Städte Hermonassa und Phanagoreia
befinden, wird von Dionysios nicht mit Namen genannt (vv. 549 ff.).

- 97 -
Teil I. Kap. 3. Gattungsaspekte

9. vv. 555–611 „Inseln im Ozean“ 9 (+1)13 Namen / 56 Verse


10. vv. 680–689 „Völker um die Maiotis und an der 10 Namen / 9 Verse
nord-östlichen Küste des Pontos“
11. vv. 728–756 „Völker am Kaspischen Meer und 16 Namen (+4 Flussnamen
östlich davon“ und 2 Bergnamen) / 28 Verse
12. vv. 765–796 „Völker an der Südküste des Pontos“ 10 (+1)14 Namen (+4
Flussnamen und 2
Bergnamen) / 31 Verse
13. vv. 910–920 „Städte in Phoinikien bzw. Syrien“ 15 Namen / 10 Verse
14. vv. 954–959 „Völker in Arabia Felix“ 6 Namen / 6 Verse
15. vv. 1135– „Völker und Flüsse Indiens“ 6 Völker- und 7 Flussnamen
1147 in 13 Versen

Wie man an den angeführten Beispielen sehen kann, wird die Ethnogeographie zum
wichtigen Ordnungsprinzip der Kataloge bei Dionysios.
Nach der Anzahl der erwähnten Katalogglieder enthält das Gedicht des Dionysios:
(а) kleinere Kataloge (beispielsweise vv. 45–56: „Golfe des Ozeans“ – 4 Namen; vv. 321–
326: „Völker südlich des Istros“ – 5 Namen; vv. 954–959: „Völker in Arabia Felix“ – 6
Namen; vv. 29–39: „Teile des Ozeans“ – 8 Namen),
(b) mittlere Kataloge (z. B., vv. 304–310: „Völker nördlich des Istros“ – 14 Namen; vv.
910–920: „Städte in Phoinikien bzw. Syrien“ – 15 Namen; vv. 69–168: „Meere – Teile des
Mittelmeers“ – 18 Namen),
(c) und große Aufzählungen (z. B., vv. 450–554: „Inseln im Mittelmeer“ – 48 Namen).
Dabei unterscheiden sich die Kataloge im Gedicht des Dionysios auch nach der „Intensität“
der vermittelten Information: So ist z. B. eine Liste von 10 Namen der Inseln im Ozean 56
Verse (vv. 555–611) lang, während die 14 Namen der Völker nördlich des Istros in nur 7
Versen aufgezählt werden (vv. 304–310). Im ersten Fall kann man möglicherweise von der
„homerischen Art“ der Kataloge sprechen – mit ihrem großen Umfang und den inhaltlichen
Erklärungen bzw. Beschreibungen, die auf die mündliche Tradition zurückgehen15. Die
kleineren Kataloge, in denen in wenigen Versen eine große Anzahl von Namen erwähnt
werden, kann man der so genannten “hesiodeischen Art“ (Ἡσιόδειος χαρακτήρ) der Kataloge
zuschreiben, die wegen ihrer gründlich durchdachten Versbildung die Annahme schriftlicher

13
Namenlos bleibt die Insel im nördlichen Teil des Ozeans, auf der die Amnitenfrauen den
Dionysos-Bakchos ehren (vv. 570 ff.).
14
Der Stamm der Mossyniken wird von Dionysios nicht mit Namen, sondern in einer
Periphrase angegeben (v. 766).
15
Andere Beispiele der „homerischen“ Kataloge bei Dionysios: vv. 29–39 „Teile des Ozeans“
– 8 Namen in 10 Versen; vv. 45–56 „Golfe des Ozeans“ – 5 Namen / 11 Verse; vv. 321–326
„Völker südlich des Istros“ – 5 Namen / 6 Verse; vv. 450–554 „Inseln im Mittelmeer“ – 48
Namen / 104 Verse; vv. 728–756 „Völker um das Kaspische Meer...“ – 16 Namen / 28 Verse;
vv. 765–796 „Völker an der Südküste des Pontos“ – 11 Namen / 31 Verse.

- 98 -
Teil I. Kap. 3. Gattungsaspekte

Abfassung stützen16. Was die Versbildung der dionyseïschen Kataloge im Allgemeinen


betrifft, so bestehen sie aus einzelnen Wörtern, meistens Namen, Wortgruppen bzw.
Wortbildern (präpositionalen Ausdrücken), Epitheta und semantisch notwendigen Verben
oder Konjunktionen.
Nur drei Kataloge werden bei Dionysios von einem traditionellen Musenanruf
begleitet: Die erste große Aufzählung der „Meere – Teile des Mittelmeers“ (vv. 69–168), der
Katalog der „Inseln im Mittelmeer“ (vv. 450–554) und der Katalog der „Völker um die
Maiotis und den Pontos“ (vv. 652–689). In allen drei Fällen führen die Kataloge neue Themen
ein (das Mittelmeer, die den Menschen bekannten Inseln, Beschreibung Asiens), die inhaltlich
den vorhergehenden Abschnitten entgegengesetzt sind. In allen drei Anrufen bittet Dionysios
die Musen, ihm von der bevorstehenden Route zu künden (vv. 62–63, 447–449, 650–651);
damit folgt er der epischen Tradition, spielt jedenfalls in der ihm eigenen Art auf diese an17.
Am Beispiel der zwei oben erwähnten größeren Kataloge kann man ihrer Versstruktur
folgen, typisch auch für die übrigen Aufzählungen in der Periegese. Dionysios verwendet
beim Aufbau der Kataloge sowohl traditionelle Aufzählungssignale als auch hodologische
Marker, die es dem Leser erleichtern, sich im geographischen Material zu orientieren. So
eröffnet den Katalog der „Meere – Teile des Mittelmeers“ (18 Namen / 99 Verse, vv. 69–168)
eine numerische Gliederung, die dann in eine sequentielle übergeht und mit präpositionalen
Ausdrücken oder Hinweisen auf die (Himmels-) Richtungen18 ergänzt wird19; im Katalog der
„Inseln im Mittelmeer“ werden ebenfalls Präpositionen in der geographischen Bedeutung und
Himmelsrichtungen benutzt, während die numerische Gliederung erst später kommt (v. 525):

siehe folgende Seite

16
Andere Beispiele der „hesiodeischen“ Kataloge im Gedicht des Dionysios: vv. 680–689
„Völker um die Maiotis ...“ – 10 Namen / 9 Verse; vv. 910–920 „Städte in Phoinikien“ – 14
Namen / 10 Verse. Vgl. VISSER (1997) 1–2, wo die Kataloge aus der Theogonie des Hesiod
aufgezählt werden, der im Ganzen in 96 Versen 231 Namen nennt, ein Durchschnitt von etwa
2,5 Namen pro Vers.
17
Mehr zu den Musenanrufen im Gedicht des Dionysios s. unten in diesem Kapitel.
18
Mehr zur räumlichen Orientierung s. Teil I. Kap. 2. Das Weltbild des Dionysios Periegetes
(Raumerfassung).
19
Dies wiederholt sich dann auch bei der Beschreibung Libyens (πρώτιστα – v. 176, τοῖς ἔπι
– v. 186), beim Katalog der kaspischen Völker (πρῶτοι µέν – v. 728, δ᾿ ἑξείης· ἐπὶ δ᾿ αὐτοῖς –
v. 730) und beim Katalog der Völker am Südpontos (πρῶτα – v. 765, τοῖς δ᾿ ἐπί – v. 768).

- 99 -
Teil I. Kap. 3. Gattungsaspekte

„Meere–Teile des Mittelmeers“ (vv. 69–168) „Inseln im Mittelmeer“ (vv. 450–554)


v. 69 πόντος µὲν πρώτιστος v. 450 ἤτοι µὲν κατὰ µέσσον ὑφ'
v. 74 τὸν δὲ µετ' v. 457 νῆσοι δ' ἑξείης (...)ἄγχι δὲ
v. 76 ἑξείης δ' ἐπὶ τοῖσι v. 459 ἥν ῥά τε
v. 81 ἑξείης δ' ἐπὶ v. 461 τὴν δὲ µετ'
v. 82 τῇ δ' ἐπὶ v. 467 δ' ἐπὶ τῇσιν ὑπὲρ
v. 83 τὸν δὲ µετ' v. 477 πρὸς δὲ νότον
v. 84 πρὸς νότον· αὐτὰρ ἔπειτα πρὸς αὐγὰς v. 487 ἑξείης δὲ πόροιο πρὸς αὐγὰς ἠελίοιο
ἠελίοιο v. 491 ἑξείης δ' ἐπὶ τῇσι
v. 85 αὐτὰρ ἔνερθεν v. 492 πρὸς δὲ νότον µετὰ
v. 86 καὶ µέχρι v. 495 τῇ δ' ἐπὶ
v. 91 ναὶ µὴν καὶ v. 500 αὖθ' ἑτέρωθε. ποτὶ ζόφον, ἐγγύθι δ'
v. 92 κεῖθεν δ' αὐτῆς
v. 93 πρὸς βορέην, αὖτις δὲ πρὸς ἑσπέριον v. 504 ἄντα δὲ
v. 96 δεξιτερὴν κατὰ χεῖρα v. 506 τὴν δὲ µετ' ἀντολίηνδε
v. 98 σκαιῇ δ' v. 508 δ' εἰς αὐγὰς
v. 103 αὐτὰρ ὑπὲρ v. 510 ἄγχι δὲ
v. 104 νοτίην περὶ v. 511 πρόσθε δὲ (...) ἐφύπερθεν
v. 108 ὣς οἱ µὲν v. 514 Ἐντὸς
v. 109 ἐκ δ' v. 515 ἐπὶ
v. 110 ἐπ' ἀντολίην (...) ἄχρι v. 516 ἐναντίον
v. 112 ∆οιαὶ δ' ἑξείης v. 517 αἱ µὲν λαιῆς ὑπὸ (...) χειρὸς
v. 119 βορέην ἔπι v. 518 ἐπὶ δεξιὰ
v. 120 ἄγχι γὰρ ἤδη v. 519 ἐπ' ἀρκτῴοιο (...) βορέαο
v. 122 ἐπὶ ζέφυρον v. 520 Ἤτοι δ' Εὐρώπης µὲν
v. 127 Τοῦ µὲν ἐπὶ v. 522 Ἔνθεν
v. 130 ἐκ κείνου (...) αὖτις ἐπ' ἄρκτοις v. 525 Αἳ δ' Ἀσίης πρώτην αἶσαν
v. 134 ἕτερος πόρος v. 530 Νῆσοι δ' ἑξείης
v. 137 βορέηνδε v. 533 ταῖς δ' ἐπὶ (...) ἔνθα δὲ
v. 138 τῆς δ' ὕπερ v. 536 κεῖθεν δ'
v. 139 πρὸς νότον v. 538 κεῖθι
v. 140 τῇ δ' ἐπὶ v. 539 βορέῃ δ' ἐπὶ πολλὸν ἰόντι
v. 146 ἐκ δὲ τοῦ v. 541 σκαιὸν ὑπὲρ πόρον
v. 147 ἐπ' ἀντολίης v. 550 ἄλλη (...) νῆσος
v. 149 πρὸς βορέην τε καὶ ἀντολίην v. 551 ἔνδοθι δεξιτερῇ
v. 163 τοῦ καὶ πρὸς βορέην

Auch bei der Aufzählung der vier Hauptteile des Ozeans orientiert Dionysios seine
Beschreibung an den Himmelsrichtungen (zwei davon werden von ihm hier direkt genannt: v.
31 und 39, zwei umschreibend: vv. 29 und 36); in Bezug darauf werden die verschiedenen
Ozeansnamen angegeben (8 Namen / 10 Verse). Hier verwendet er die traditionellen epischen
Gliederungssignale: Anfangspartikel ἤτοι µέν20, Aufzählungspartikeln αὐτάρ21 und τε καί, die
20
Vgl. ἤτοι δέ ebenfalls am Anfang des Verses: bei Homer 11mal (Il. III 168, 213, IV 18,
366, 376, XI 442, 613, XVII 509, XX 67, 313, XXIII 404), bei Arat einmal (Phaen. 462), bei
Apollonios Rhodios zweimal (II 147, IV 508); bei Dionysios Periegetes wird die
Kombination ἤτοι δέ 9mal verwendet, davon 4mal in Katalogen.
- 100 -
Teil I. Kap. 3. Gattungsaspekte

zur Einleitung eines neuen Namens dienen, sowie Präpositionen und Adverben παρ᾿, ὕπερθεν,
ἄγχι δ᾿, die von ihm im geographischen Sinne verwendet werden und dem Leser helfen sollen
sich leichter zu orientieren:

29 ἤτοι µὲν Λοκροῖο παρ' ἐσχατιὴν ζεφύροιο


Ἄτλας Ἑσπέριος κικλήσκεται, αὐτὰρ ὕπερθεν
πρὸς βορέην, ἵνα παῖδες ἀρειµανέων Ἀριµασπῶν,
πόντον µιν καλέουσι πεπηγότα τε Κρόνιόν τε·
ἄλλοι δ' αὖ καὶ νεκρὸν ἐφήµισαν εἵνεκ' ἀφαυροῦ
ἠελίου· βράδιον γὰρ ὑπεὶρ ἅλα τήνδε φαείνει,
35 αἰεὶ δὲ σκιερῇσι παχύνεται ἐν νεφέλῃσιν·
αὐτὰρ ὅθι πρώτιστα φαείνεται ἀνθρώποισιν,
ἠῷον καλέουσι καὶ Ἰνδικὸν οἶδµα θαλάσσης·
ἄγχι δ' Ἐρυθραῖόν τε καὶ Αἰθόπιον καλέουσιν
39 πρὸς νότον
„Wohlan, der eine am äußersten Ende des Lokrischen Zephyros
wird Westlicher Atlas gerufen; oberhalb hinwiederum,
nach Norden zu, wo die Söhne der kriegswütigen Arimaspen,
nennen sie ihn Gefrorenes und Kronisches Meer;
andere wiederum machten ihn auch als Toten bekannt – wegen der kraftlosen
Sonne: denn allzu träge scheint sie über diese Salzflut hin,
stets aber wird sie abgestumpft unter beschattenden Wolken.
Wo wiederum zuallererst sie den Menschen sich zeigt,
nennen sie ihn Östlichen und Indischen Wogenschwall des Meeres;
nahebei aber nennen sie ihn Roten und Äthiopischen –
nach Süden zu“ (Dion. Per. 29–39).

Nach den Himmelsrichtungen zählt Dionysios auch die vier großen Golfe des Ozeans auf (5
Namen / 11 Verse); der Katalog wird dabei nicht nur mit Verbindungspartikeln wie ἤτοι µέν,
τε καί, µέν ... δέ strukturiert, sondern auch mit dem numerischen Signalwort πρώτιστον,
gefolgt von δεύτερος αὖτ᾿ und von der Konstruktion τῶν δ᾿ ἄλλων ... εἷς µέν ... ἄλλος δ᾿ ... :

45 ἤτοι µὲν πρώτιστον, ὃς ἑσπερίην ἅλα τίκτει,


συρόµενος Λιβύηθεν ἔσω Παµφυλίδος αἴης·
δεύτερος αὖτ' ὀλίγος µέν, ἀτὰρ προφερέστατος ἄλλων,
ὅστ' ἀποκιδνάµενος Κρονίης ἁλὸς ἐκ βορέαο
Κασπίῃ αἰπὺ ῥέεθρον ἐπιπροΐησι θαλάσσῃ,
50 ἥντε καὶ Ὑρκανίην ἕτεροι διεφηµίξαντο.
τῶν δ' ἄλλων, οἵτ' εἰσὶν ἀπαὶ νοτίης ἁλὸς ἄµφω,
εἷς µὲν ἀνώτερος εἶσι, τὸ Περσικὸν οἶδµα προχεύων,
ἀντία Κασπίης τετραµµένος ἀµφιτρίτης·
ἄλλος δ' Ἀραβικὸς κυµαίνεται ἔνδοθι κόλπος,
55 Εὐξείνου πόντου νοτιώτερον ὁλκὸν ἑλίσσων
„Wohlan nun, als allerersten den, der die westliche Salzflut gebiert,
sich hinschleppend von Libyen bis ins Pamphylische Land;

21
Vgl. αὐτάρ im Schiffskatalog Homers: Il. II 518, 631, 844, 848 und 855.

- 101 -
Teil I. Kap. 3. Gattungsaspekte

als zweiten ferner den zwar geringen, jedoch vor anderen vorzüglichsten,
welcher, sich abspaltend von der Kronischen Salzflut von Norden aus,
seine steilabschüssige Flut zum Kaspischen Meer hin entsendet,
welches andere auch als Hyrkanisches allseits bekannt machten.
Von den übrigen aber, welche beide von der südlichen Salzflut ausgehend liegen,
ist der eine weiter oberhalb, den Persischen Wogenschwall hervorgießend,
der Kaspischen See entgegengekehrt;
als anderer aber wogt eingebettet der Arabische Golf,
einen südlicheren Zug windend als das Euxeinische Meer“ (Dion. Per. 45–55).

Im Fall der kleineren Kataloge im Gedicht des Dionysios kann man bestimmte Züge
feststellen, die nicht nur mit den traditionellen Aufzählungselementen verbunden sind,
sondern auch im Versbau ausgedrückt werden. In den folgenden Beispielen listet Dionysios
Völker auf, die an beiden Seiten vom Fluss Istros siedeln (vv. 302–310: 14 Namen in 7
Versen, und vv. 321–326: 5 Namen in 6 Versen). Hier finden sich wieder die
Gliederungssignale τε, τε ... καί, οἱ µέν ... οἱ δ᾿ und präpositionale Ausdrücke im
geographischen Sinn τῶν δ᾿ ὑπέρ ... , ergänzt mit ἔνθα ... und ἤδ᾿... , sowie ἐπί ... , ὑπέρ ... , die
die Völkernamen zueinander in einen lokalen Bezug setzen. Die ganze Richtung der
Aufzählung wird in den ersten Versen bezeichnet: Τοῦ (sc. Ἴστρου) µὲν πρὸς βορέην ...
ἑξείης Μαιώτιδος ἐς στόµα λίµνης (vv. 302–303), πρὸς δὲ νότον (sc. Ἴστρου) (v. 321):

302 Τοῦ µὲν πρὸς βορέην τετανυσµένα φῦλα νέµονται


πολλὰ µάλ᾿ ἑξείης Μαιώτιδος ἐς στόµα λίµνης,
Γερµανοὶ Σαµάται τε Γέται θ' ἅµα Βαστάρναι τε,
305 ∆ακῶν τ' ἄσπετος αἶα καὶ ἀλκήεντες Ἀλανοί,
Ταῦροί θ', οἳ ναίουσιν Ἀχιλλῆος δρόµον αἰπὺν,
στεινὸν ὁµοῦ δολιχόν τε, καὶ αὐτῆς ἐς στόµα λίµνης.
Τῶν δ' ὑπὲρ ἐκτέταται πολυΐππων φῦλον Ἀλανῶν.
Ἔνθα Μελάγχλαινοί τε καὶ ἀνέρες Ἱππηµολγοί,
310 Νευροί θ' Ἱππόποδές τε Γελωνοί τ' ἠδ' Ἀγάθυρσοι·
„Von diesem aus nun nach Norden erstreckt, liegen Stämme hingegossen,
viele, ganz der Reihe nach bis an die Einmündung des Maiotischen Sees:
Germanen und Samaten, Geten und Basternen zusammen,
und der Daker unsägliches Land und die wehrhaften Alanen
und die Taurer, welche wohnen auf dem schroffen Achilleuslauf,
dem engen und zugleich langen, und bis zur Einmündung des Sees selbst.
Über diese aber hinaus liegt der Stamm der pferdereichen Agauer ausgebreitet;
da sind auch die Melanchlainer und die Hippemolgenmänner,
die Neurer und Hippopoden, Gelonen und Agathyrser“ (Dion. Per. 302–310).

321 πρὸς δὲ νότον Γέρραι καὶ Νωρίκι' ἄστε' ἐρεµνά,


Παννόνιοι Μυσοί τε, βορειότεροι Θρηΐκων,
αὐτοί τε Θρήϊκες, ἀπείρονα γαῖαν ἔχοντες,
οἱ µὲν ἐπὶ πλευρῇσι Προποντίδος ἀµφιτρίτης,
325 οἱ δ' ὑπὲρ Ἑλλήσποντον ἀγάρροον, οἱ δ' ὑπὲρ αὐτῆς
Αἰγαίης βαθὺ κῦµα πολυφλοίσβοιο θαλάσσης
„Nach Süden zu aber die Gerrher und die Norischen Festungsstädte,

- 102 -
Teil I. Kap. 3. Gattungsaspekte

die Pannonier und die Mysier, nördlicher als die Thraker gelegen,
und die Thraker selbst, welche ein unendliches Land innehaben,
die einen an den Ufervorsprüngen des Propontischen Meeres,
andere über dem starkströmenden Hellespont, wieder andere über selbst
des Ägäischen Meeres, des vielplätschernden, tiefer Woge“
(Dion. Per. 321–326).

Der Aufbau einzelner Passagen und die Strukturierung der Katalogglieder zeigen einen
gewissen durchdachten Kompositionsplan. So erwähnt Dionysios in der ersten Hälfte der
Aufzählung der Völker nördlich des Istros gleich vier Namen in einem Vers, begleitet nur
vom Aufzählungssignal τε (Γερµανοὶ Σαµάται τε Γέται θ' ἅµα Βαστάρναι τε), danach zwei
Namen mit Epitheta (∆ακῶν τ' ἄσπετος αἶα καὶ ἀλκήεντες Ἀλανοί), dann nur einen Namen,
dem aber eine erweiterte Charakteristik folgt (Ταῦροί θ', οἳ ναίουσιν Ἀχιλλῆος δρόµον αἰπὺν).
In der zweiten Hälfte des Abschnittes wiederholt sich dies aber in anderer Reihefolge, womit
eine Spiegelkomposition geschaffen wird: Ein Volk mit erweiterter Charakteristik (Τῶν δ'
ὑπὲρ ἐκτέταται πολυΐππων φῦλον Ἀλανῶν), danach zwei Namen mit einer Ergänzung (Ἔνθα
Μελάγχλαινοί τε καὶ ἀνέρες Ἱππηµολγοί) und schließlich werden vier Namen in einem Vers
erwähnt, die durch die Partikel τε verbunden werden (Νευροί θ' Ἱππόποδές τε Γελωνοί τ' ἠδ'
Ἀγάθυρσοι). Die Passage über die Völker südlich des Istros ist nach einem anderen Schema
aufgebaut: Zuerst werden zwei Namen genannt (πρὸς δὲ νότον Γέρραι καὶ Νωρίκι' ἄστε'
ἐρεµνά), dann wieder zwei, die gleichzeitig das Erscheinen eines dritten vorbereiten
(Παννόνιοι Μυσοί τε, βορειότεροι Θρηΐκων), und schließlich wird der dritte Name (αὐτοί τε
Θρήϊκες) mit einer erweiterten Charakteristik in den folgenden drei Versen erwähnt; d. h. es
geht in diesem Fall ums allmähliche Zunehmen der Katalogglieder, das dem Text einen
inneren Rhythmus gibt22.
Die Vereinigung dieser zwei Schemata – der Spiegelkomposition und des Anwachsen
der Gliederanzahl – findet sich im Katalog der Völker um die Maiotis und an der nord-
östlichen Küste des Pontos (vv. 680–689) (10 Namen in 9 Versen):

679 Τόσσοι µέν Τάναϊν ποταµὸν περιναιετάουσιν.


Σαυροµάτας δ' ἐπέχουσιν ἐπασσύτεροι γεγαῶτες
Σινδοὶ Κιµµέριοί τε καὶ οἱ πέλας Εὐξείνοιο
Κερκέτιοι Τορέται τε καὶ ἀλκήεντες Ἀχαιοί,
οὕς ποτ' ἀπὸ Ξάνθοιο καὶ Ἰδαίου Σιµόεντος
πνοιαὶ νοσφίσσαντο νότοιό τε καὶ ζεφύροιο,
685 ἑσποµένους µετὰ δῆριν Ἀρητιάδῃ βασιλῆϊ.
τοῖς δ' ἐπὶ ναιετάουσιν, ὁµούριον αἶαν ἔχοντες,
Ἡνίοχοι Ζύγιοί τε, Πελασγίδος ἔκγονοι αἴης.
πὰρ δὲ µυχὸν Πόντοιο, µετὰ χθόνα Τυνδαριδάων,
689 Κόλχοι ναιετάουσι, µετήλυδες Αἰγύπτοιο
„Soviele nun umwohnen rings den Fluss Tanais.
Die Sauromaten aber neben sich haben, dicht aneinander gelegen,
die Sinder, die Kimmerier und die Nachbarn des Euxeinos:

22
Zum Kompositionsmittel „Pyramidenprinzip“ s. auch unten.

- 103 -
Teil I. Kap. 3. Gattungsaspekte

die Kerketier, die Toreten und die wehrhaften Achäer,


welche einst vom Xanthos und vom Idäischen Simoeis
die Böen des Notos und Zephyros entfernten,
nachdem sie nach dem Krieg Gefolgschaft geleistet hatten dem König aus Ares’
Geschlecht.
Auf diese aber folgend wohnen, das angrenzende Land einnehmend,
die Heniochen und Zygier, Abkömmlinge des Pelasgischen Landes.
Entlang wiederum des hintersten Winkels des Pontos, nach dem Boden der
Tyndariden,
wohnen die Kolcher, umgezogen von Ägypten“ (Dion. Per. 680–689).

Die Partikel δε in v. 680 korreliert mit µέν in v. 679, womit ein Exkurs über den Fluss Tanais
beendet wurde, an dessen Ufern teilweise die Sauromaten siedeln (vv. 654 ff.); semantisch
setzt jedoch dieser Anschnitt mittels einer wiederholten Erwähnung der Sauromaten eine
Liste fort, die schon in früheren Versen angefangen wurde:

652 ἤτοι µὲν λίµνης Μαιώτιδος ἄγχι νέµονται


653 αὐτοὶ Μαιῶταί τε καὶ ἔθνεα Σαυροµατάων
„Wohlan nun, nahe dem Maiotischen See siedeln
die Maioten selbst und die Völker der Sauromaten“ (Dion. Per. 652–653).

Nach dem einen Stamm der Sauromaten in v. 680 finden sich zwei Namen in v. 681 (Σινδοὶ
Κιµµέριοί τε), danach erscheinen drei Namen in v. 682 (Κερκέτιοι Τορέται τε καὶ ἀλκήεντες
Ἀχαιοί), wobei der dritte Stamm der Achäer von einer großen Charakteristik begleitet wird,
die das inhaltliche Zentrum des ganzen Abschnittes bildet (vv. 683–685). Dann werden der
Spiegelkomposition entsprechend in v. 686 zwei Namen erwähnt (Ἡνίοχοι Ζύγιοί τε), und je
einer in v. 688 und in v. 689. Dies alles zeugt vielleicht von einer durchdachten
Zusammenstellung der Kataloge bei Dionysios, der mit deren Hilfe nicht nur versuchte,
möglichst viel Information kompakt wiederzugeben, sondern auch aufeinander abgestimmte
und/ oder symmetrische Kombinationen schuf, die dem aufmerksamen Leser Vergnügen
bereiten sollten.
Einen inhaltlich gemischten Katalog stellen die Verse 1135–1147 dar, in denen
Dionysios als Thema die Völker Indiens ankündigt, diese aber in Bezug auf die benachbarten
Flüsse aufzählt. Dass die Flüsse auch Bestandteil des Katalogs (6 Völkernamen und 7
Flussnamen) sind, wird mit dem numerischen Marker τρίτος (v. 1140) bestätigt:

1135 καὶ τὴν µὲν πολλοί τε καὶ ὄλβιοι ἄνδρες ἔχουσιν,


οὐχ ἅµα ναιετάοντες ὁµώνυµοι, ἀλλὰ διαµφὶς
κεκριµένοι, ποταµοῦ µὲν ἀπειρεσίου πέλας Ἰνδοῦ
∆αρδανέες, τόθι λοξὸν ἀπὸ σκοπέλων Ἀκεσίνην
συρόµενον δέχεται πλωτὸς νήεσσιν Ὑδάσπης.
1140 τοῖς δ' ἐπὶ καὶ Κώφης τρίτος ἕσπεται ἀργυροδίνης·
τῶν δὲ µέσοι ναίουσι Σάβαι καὶ Τοξίλοι ἄνδρες,
Σκόδροι θ' ἑξείης· ἐπὶ δ' ἕσπεται ἄσπετα φῦλα
Πευκαλέων· µετὰ τοὺς δὲ ∆ιωνύσου θεράποντες
Γαργαρίδαι ναίουσιν, ὅθι χρυσοῖο γενέθλην

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Teil I. Kap. 3. Gattungsaspekte

1145 δαιδαλέην Ὕπανίς τε φέρει θεῖός τε Μάγαρσος,


λαβρότατοι ποταµῶν· ἀπὸ δ' οὔρεος Ἠµωδοῖο
ὀρνύµενοι προρέουσιν ἐπὶ Γαγγήτιδα χώρην
„Und dieses (sc. Indien) nun haben viele und reiche Menschen inne,
nicht gemeinsam wohnend unter gemeinsamen Namen, sondern voneinander
geschieden: dem unendlichen Fluss nun, dem Indos, benachbart
die Dardaneer, wo den Akesines, den gekrümmt von den Bergfelsen herab
sich schleppend, aufnimmt der von Schiffen befahrbare Hydaspes;
auf sie folgt auch der Kophes als dritter, der silbrig strudelnde:
zwischen diesen nun in der Mitte wohnen die Saber und die Taxilermänner,
die Skodrer anschließend; darauf aber folgen die wilden Stämme
der Peukaleer. Nach diesen wiederum wohnen des Dionysos Diener,
die Gargariden, wo den Rohstoff des Goldes,
den kunstreich verarbeitbaren, der Hypanis trägt und der göttliche Magarsos,
die reißendsten unter den Flüssen; vom Emodengebirge
sich erhebend, strömen sie voran zum Gangetischen Landstrich“
(Dion. Per. 1135–1147).

Zum Schluss ist zu bemerken, dass die faktische Basis der ethnogeographischen Kataloge des
Dionysios Angaben machen, die von Dionysios aus den Werken seiner Vorgänger entlehnt
und umgearbeitet wurden23. Eigentlich stellen die Kataloge im Gedicht des Dionysios
Aufzählungen von Meeren, Städten, Flüssen und Bergen dar, sowie von Namen von Völkern,
die die Oikumene besiedeln. Man kann somit sagen, dass der ethno- und geographische Raum
bei Dionysios in Form einer Katalogdichtung bzw. epischen Katalogerzählung ausgedrückt
wird. Die kunstvoll geplante Behandlung des Katalogaufbaus wird auch durch die Tatsache
bezeugt, dass sich die beiden Akrosticha mit den Informationen zur Autorschaft innerhalb der
Kataloge der Mittelmeersteile und der Mittelmeersinseln befinden (vv. 112–134 und 513–532
respektive)24.

3.2 Die Erdbeschreibung des Dionysios als didaktisches Werk


Antike Werke belehrender Literatur, die Inhalte aus der Philosophie, dem Ackerbau, der
Astronomie, der Medizin, der Geographie oder einer anderen wissenschaftlichen Disziplin
vermitteln, sind durch spezifische Gattungsaspekte gekennzeichnet25. Didaktische Elemente

23
Zu den vermutlichen Quellen des Dionysios s. Teil I. Kap. 2. Das Weltbild des Dionysios
Periegetes (Die Quellenfrage), Teil I. Kap. 4. Die poetische Technik des Dionysios Periegetes
(Intertextualität) sowie Teil II. Kap. 8. Pontische Stämme und Völker (Die vierte Route).
24
Zum Problem der Autorschaft und zu den Akrosticha in der Erdbeschreibung des
Dionysios s. oben Teil I. Kap. 1. Das Werk: Titel, Inhalt, Autorschaft (Autorschaft).
25
In der Antike hat man die Begriffe „didaktisch“ und „episch“ kaum unterschieden; s.:
TOOHEY (1996) 2–7; EFFE (2005) 30–35. Eine spätere Definition der didaktischen Gattung
stammt vom Grammatiker Diomedes, der sich auf die platonische Verteilung der poetischen
Äußerungsarten in die narrative, die nachahmende und die diese beiden vereinigende stützt
(Plato. Resp. III 392c–394с); dabei bezeichnet er eine der Abarten der narrativen Gattung
(genus exegeticum vel enarrativum) als species didascalice, qua conprehenditur philosophia
Empedoclis et Lucreti, item astrologia ut Phaenomena Arati et Ciceronis et Georgica Vergilii
et his similia „eine didaktische Art, die die Philosophie des Empedokles und des Lukretius,
sowie die Astrologie wie die Phaenomena Arats und Ciceros und die Georgika Vergils und

- 105 -
Teil I. Kap. 3. Gattungsaspekte

wurden in unterschiedlichem Mass in Literatur verschiedenster Gattung eingeflochten:


Belehrung bieten sowohl das erzählende Epos als auch das Drama, die Lyrik, die Satire und
sogar die Epistolographie26. Der geographische Stoff wurde dagegen erst später zum Thema
einer Lehrdichtung. Man kann kaum von einer Tradition der geographischen Dichtung in
demselben Sinne sprechen wie von der Tradition des Ackerbau-Lehrgedichts (Hesiod) oder
des philosophischen Epos (Xenophanes, Parmenides, Empedokles)27. Ursprünglich gehörten
die geographischen Themen nicht zur Lehrdichtung und wurden erst später in ein bereits
ausgebildetes Gattungsschema aufgenommen.
Die Blüte der Lehrdichtung fällt in die hellenistische Zeitperiode, in der sich die
Tendenz abzeichnete, den Nachlass früherer Jahrhunderte zu sichten und auch zu
interpretieren. Die alexandrinischen Philologen wandten sich der Interpretation und der
Herausgabe der antiken Autoren (vor allem der Werke von Homer und Hesiod) zu, sie
brachten die archaische Sprache – die zu der Zeit zum größten Teil schon ein Kunstprodukt
war – zurück in die Literatur und führten den wissenschaftlichen Stoff in die Dichtung ein,
der früher ausschliesslich zur Prosa gehörte28. Im Gegensatz zur hesiodeischen Tradition, die
eigenes Sachwissen und selbst – gewonnene Erkenntnisse wiedergab29, übertragen die
hellenistischen Autoren Angaben von anderen Verfassern aus verschiedenen Wissenschaften
in epische Hexameter (Arat, Nikander) oder in jambische Trimeter (Ps.-Skymnos); wobei es
zur Hauptaufgabe wird, die eigene Meisterschaft zu zeigen. Zu diesem Zweck wird der
wissenschaftliche Stoff einer poetischen Gestaltung untergeordnet30. Dionysios setzt in seiner
Periegese die Tradition seiner hellenistischen Vorgänger fort, indem er geographische Daten
aus prosaischen Vorlagen entlehnt und sie in eine dichterische Form umkleidet.
Seit der hellenistischen Zeitperiode erhält die Lehrdichtung formalisierte Züge. So
geht es im Fall eines Lehrgedichts um einen zusammenhängenden Lehrvortrag einer Person,
die meistens mit dem Autor gleichgesetzt wird (im Gegensatz z. B. zum narrativ-
dramatischen Epos, in dem es gleichzeitig mehrere Erzähler geben kann)31. Ein weiterer
kennzeichnender Zug der didaktischen Richtung ist die poetische Wendung des Autors an
einen oder mehrere Adressaten, die genannt werden oder auch namenlos bleiben32. Im

ähnliches einschließt“ (KEIL (1857) Vol. I. P. 482, 14–17). Zu modernen Definitionen s.:
KROLL (1925) 1842–1857; GLEI (1999) 26–32.
26
Mehr hierzu s.: ERREN (1956); PÖHLMANN (1973); EFFE (1977).
27
SCHINDLER (2000) 163.
28
PFEIFFER (1968) 117 sq.
29
Die erhaltenen Fragmente lassen darauf schließen, dass Hesiod auch ein Lehrgedicht
„Beschreibung der Erde“ zugeschrieben sein könnte (F 150 M.-W. = Strabo VII 3, 9 C 302; F
151 M.-W. = Strabo VII 3, 7 C 300) (s. dazu: GISINGER (1924) 521–685; PODOSSINOV (2003)
95). Falls ja (und die Fragmente nicht von einem Ps.-Hesiod stammen), könnten wir die
Entwicklung der didaktischen geographischen Dichtung auf Hesiod zurückführen, die
vielleicht am besten durch die dichterische Periegese des Dionysios Periegetes vertreten ist.
30
EFFE (1977) 22–25; TOOHEY (2005) 15–26; EFFE (2005) 37.
31
Vgl.: GLEI (1999) 26.
32
Über diesen strukturbildenden Zug der didaktischen Richtung schreibt im 4. Jh. der
Grammatiker Servius: et hi libri didascalici sunt, unde necesse est ut ad aliquem scribantur.

- 106 -
Teil I. Kap. 3. Gattungsaspekte

Gedicht des Dionysios fehlt ein namentlich genannter Adressat – stattdessen führt der Dichter
im Laufe des ganzen Texts einen fiktiven Dialog mit seinem Leser, wodurch ein traditionelles
Paar „Lehrer – Schüler“ geschaffen wird. Didaktische Werke sind auch durch ihren knappen
Umfang geprägt (ca. 800 – 1000 Verse, wenn sich die Länge auch im Laufe der
Gattungsgeschichte änderte, und es Unterschiede zwischen der griechischen und der
römischen Literatur gibt) und als zusammenhängende Komposition abgefasst, die dem Leser
die Orientierung erleichtert: Diese Eigenschaften – Kürze, Einfachheit, Klarheit und
Systematik – sind offenbar sehr wichtig für die didaktische Richtung33. Meistens wird die
Anlehnung an Metrik, Sprache und Stil des Epos zum formalen Hauptmerkmal eines
didaktischen Werkes; die Komposition schließt den Prolog, die Darstellung des Hauptthemas
(bzw. -en) und den Epilog ein; außerdem können als weitere Elemente auch narrative Exkurse
(z. B. mythologischer Art), Gleichnisse und Musenanrufe hinzukommen.
Die Hauptcharakteristika der antiken didaktischen Dichtung sind somit auch für die
Periegese des Dionysios kennzeichnend: (1) Wiedergabe fremder wissenschaftlicher Angaben
und Theorien in epischer Form (in Hexametern)34, (2) Elemente eines fiktiven Dialogs (die
Beschreibung wird von einem dichterischen „Ich“ geführt und enthält Ansprechen an den
Leser, Musenanrufe), (3) das Gedicht ist durch knappen Umfang (1186 Verse) und durch
zusammenhängende Komposition gekennzeichnet, (4) mythologische Abschweifungen sowie
Exkurse über Ktismata (d. h. Gründungsgeschichten)35 werden eingeschlossen, (5) der Autor
erhebt wo sonst sowohl didaktische (Belehrung) als auch poetische Ansprüche
(Unterhaltung). Im Weiteren werde ich Elemente des fiktiven Dialogs und
Kompositionsmittel der dionyseïschen Erdbeschreibung ausführlicher betrachten.

3.2.1 Die Fiktion des Dialoges


Das poetische Werk des Dionysios Periegetes ist dialogorientiert. Seine dichterische Struktur
enthält Züge eines mentalen Dialogs wie (a) Äußerungen des dichterischen „Ich“, (b)
Ansprechen des imaginären Lesers und (c) Musenanrufe. Alle diese Arten der impliziten
Unterhaltung zwischen dem Autor und dem Leser sind kennzeichnend für didaktische Poesie.

(a) Das dichterische „Ich“


Die Darlegung wird in der Periegese des Dionysios in der ersten Person geführt (dem so
genannten dichterischen „Ich“) und schreitet dabei von einer Beschreibung eines

Nam praeceptum et doctoris et discipuli personam requirit: unde ad Maecenatem scribit,


sicut Hesiodus ad Persen, Lucretius ad Memmium (Serv. ad Georg. Verg.).
33
PODOSSINOV (2003) 102.
34
Die ziemlich freie Umgang des Dionysios mit seinen Quellen hat den traditionellen
Charakter einer Interpretation und gekürzten Fassung: eine weit verbreitete Praktik und
keineswegs neu. So wird dem Adressaten bzw. dem Leser des Dionysios sein gesamte
Weltbild klar vor Augen gestellt. Mehr dazu s. Teil I. Kap. 2. Das Weltbild des Dionysios
Periegetes (Die Quellenfrage) sowie Teil I. Kap. 4. Die poetische Technik des Dionysios
Periegetes (Hexameter).
35
Mehr dazu s. Teil I. Kap. 6. Mythologische Vergangenheit (Historische Siedlungs- und
Heiligtumsgeographie).

- 107 -
Teil I. Kap. 3. Gattungsaspekte

geographischen Objekts zur nächsten36. Die Erzählergestalt ist mit der Autorgestalt im
Gedicht gleichgesetzt, das dichterische „Ich“ repräsentiert also den Autor im Text37. Da
Dionysios als historische Persönlichkeit nicht näher fassbar ist38, ist unter „Autor“ bzw. dem
dichterischen „Ich“ ein abstrakter Autor des geographischen Lehrgedichts zu verstehen39; er
spielt keine dramatische Rolle in seiner Darlegung und wird dadurch zum „objektiven“
Narrator. Das wichtigste Kennzeichen des dichterischen „Ich“ ist die Tatsache, dass es in der
Erdbeschreibung keinen Anspruch auf Allwissenheit erhebt, sondern im Gedicht nur als
Vermittler des höchsten Wissens bescheidet, das eigentlich den Musen gehört und nur durch
sie ausgedrückt wird40 – dies entspricht einer der Hauptcharakteristika der Lehrdichtung, und
zwar der Übertragung der (wissenschaftlichen) Angaben aus anderen Quellen bzw. Verfassern
in eine dichterische Form.
Der allerersten Aufgabe eines Autors, nämlich den Leser wohlwollend zu stimmen,
ihn aufmerken zu lassen und ihn so in einen gefügigen (Mit)leser zu verwandeln, ist das
Proömium zu einem Werk gewidmet. In der Erdbeschreibung führt der Autor sein
dichterisches „Ich“ bereits in den ersten Versen ein, was zweifellos von einem hohen Grad der
Selbstidentifikation eines Dichters seiner Zeit überhaupt und von seiner eigenen zeugt41. Im
weiteren finden sich diese „Ich-Formen“ mehrmals im Text des Gedichts: Sie gliedern die
Darlegung des Dionysios und helfen dem impliziten Leser zu orientieren42.
Die Anrede des Autors an den Leser in der „Ich-Form“ hat eine rhetorische Funktion:
Das dichterische „Ich“ kündigt in der Periegese oft ein neues Thema an, das es im weiteren
beschreiben möchte43, oder fasst in Rekapitulationen soeben Gesagtes zusammen44, und hilft

36
Die Zeitfaktoren sind dafür nicht von Bedeutung – man kann also über eine
zusammenhängende und synchronische Darlegung im Fall der Periegese des Dionysios
sprechen.
37
Vgl. „the representative of the author“ bei DE JONG (2001) xv.
38
S. dazu oben Teil I. Kap. 1. Das Werk: Titel, Inhalt, Autorschaft (Autorschaft).
39
Zur Terminologie s. LINK (1976), bes. 40.
40
Zu den Musenanrufen s. unten.
41
ἀρχόµενος ... ἀείδειν ... µνήσοµαι, „Beginnend ... zu besingen, werde ich ... erwähnen“
(Dion. Per. 1–3). Zum dichterischen „Ich“ in der hellenistischen antiquarischen Dichtung, die
die Formen der archaischen Lyrik imitierte, s.: RÖSLER (1988) 131–144; GENTILI (1990) 9–
24.
42
Z. B.: Φράζεο δ᾿ ὡς ὑπὸ πέζαν ἐπ᾿ αὐγὰς ἵξοµαι ἤδη ... , „Doch merke auf, wie ich unten
am Saum hin nach Osten nunmehr gelangen werde ...“ (v. 894); τάων δ᾿ ἂν περίσηµον ἐγὼ
θὲσιν ἐξενέποιµι, „Von diesen werde ich denn wohl deutlich die Lage verkünden“ (v. 556);
Πάντα δέ τοι ἐρέω ... / ἀρξάµενος πλευρῆς ζεφυρίτιδος ἐκ βορέαο ... , „Alle aber werde ich
dir nennen, .../ meinen Anfang machend mit der westlichen Seite von Norden aus...“ (vv.
726–727), u.a.
43
Z. B.: εἰ δὲ καὶ Εὐρώπης ἐθέλεις πόρον, οὔ τί σε κεύσω, „Wenn du aber auch von Europa
den Umriß willst, werde ich ihn dir nicht verhehlen“ (v. 270); Ῥηιδίως δ᾿ ἄν τοι λοιπὸν
πόρον αὐδήσαιµι / γαιάων Ἀσίης, „Leicht aber könnte ich dir wohl den restlichen Verlauf der
Lande Asiens verlauten“ (v. 881); s. die Ankündigungen eines neuen Themas auch in: vv. 1
ff., 170, 331, 555 ff., 650 f., 799 ff., 933, 1053 ff., 1128 f. Manchmal werden die
Ankündigungen zum neuen Thema gleichzeitig zum lexikalischen Signal eines Kataloges, z.

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Teil I. Kap. 3. Gattungsaspekte

damit seinem Leser, sich im Material zu orientieren45. Dionysios benutzt dabei unter anderem
auch einführende Partikel νῦν „jetzt“ in didaktischer Funktion46. Die einleitenden bzw.
abschließenden Formeln sollen die Aufmerksamkeit des Lesers fesseln und die Bedeutung des
Kommenden bzw. eben Gesagten hervorheben47. Dionysios behält die Rolle des
unterweisenden Sachverständigen bei, was er immer wieder mit speziellen Redewendungen
betont48.
Der didaktische Charakter dieser Wendungen wird außerdem durch die Verwendung
der Adverbien „leicht, mühelos“49 oder „leicht fasslich“50 betont. Dieser topos wird auf den
Leser bezogen und soll helfen, eine vertrauliche und engagierte Atmosphäre zwischen dem
imaginären Lehrer (d. h. dem Autor) und seinem imaginären Schüler (d. h. dem Leser) bei der
Erlernung der geographischen Kenntnisse zu schaffen. Das bedeutet, dass vor allem der
Dichter selbst dem Leser seinen Stoff „leicht“ darlegen und zeigen kann, aber auch der Leser,
so er aufmerksam liest bzw. zuhört, die Information später benutzen kann51.

B.: νῦν δ᾿ ἁλὸς ἑσπερίης ἐρέω πόρον ... , „Nun aber werde ich den Gang der westlichen
Salzflut besprechen ...“ (v. 58), vgl. auch: vv. 345, 447–449, 726, 762–764.
44
Z. B.: τοῖα µὲν ἀµφ' οὔροισι βροτοὶ διεφηµίξαντο, „Derartiges nun verbreiteten die
Sterblichen über die Grenzen“ (v. 26); τοίη µὲν µορφὴ κυαναυγέος ἀµφιτρίτης, „Derartig nun
ist die Gestalt der schwarzblau schimmernden See“ (v. 169); vgl. auch in vv. 41–42, 56–57,
261–269, 320, 330, 383, 554, 612–619, 679, 761, 797–798, 960–961, 1166.
45
Ähnliche Ankündigungen finden sich bereits in den homerischen Epen, wo sie
zusammengehörige Teile der Erzählung im voraus koordinieren; mehr hierzu s.: KRISCHER
(1971) 131–136.
46
νῦν δέ τοι ἠπείρου µυθήσοµαι εἶδος ἁπάσης ... , „Nun aber werde ich dir das
Erscheinungsbild der gesamten Festlandmasse in Worte fassen ...“ (v. 170); Νῦν γε µὲν ἔθνεα
πάντα διΐξοµαι, ὅσσ᾿ ἀρίδηλα / ἐνναίει ... , „Nun allerdings werde ich die Völker alle
durchgehen, soviel unübersehbare darinnnen wohnen ...“ (v. 650); Νῦν δ᾿ αὖ παραλίης Ἀσίης
πόρον ἐξενέποιµι, „Nun wiederum werde ich wohl den Verlauf des am Meer gelegenen
Asiens verkünden“ (v. 799).
47
Vgl. bei MEYER (1993) 172: zur Einbeziehung des Lesers in den Epigrammen des
Kallimachos.
48
Vgl. z. B.: αἵδε µὲν ἀνθρώποισιν ἀγακλέες εἰν ἁλὶ νῆσοι· / ἄλλας δ' Ὠκεανοῖο περὶ ῥόος
ἐστεφάνωται· / τάων δ' ἂν περίσηµον ἐγὼ θέσιν ἐξενέποιµι, / ὁπποτέρου τ' ἀνέµοιο παρὰ
σφυρόν ἐστιν ἑκάστη, „Diese nun sind die den Menschen hochberühmten Inseln im Meere. /
Andere aber sind entlang der Flut des Okeanos im Kranze aufgereiht. / Von diesen werd’ ich
denn wohl gar deutlich die Lage verkünden“ (vv. 554–557); τῶν οὐ ῥηΐδιόν µοι ἐνισπέµεν
οὔνοµα πασέων ... , „(...) von diesen allen (sc. Inseln) den Namen zu künden ist mir nicht
leicht“ (v. 619), u.a.
49
Πολλὰ δέ µιν φῦλ᾿ ἀµφί, τά τοι ῥέα πάντ᾿ ἀγορεύσω, „Viele Stämme aber sind um ihn
herum, welche ich dir leicht alle kundtun werde“ (v. 345), vgl. ῥεῖα (v. 707), ῥηΐδιον (v. 619,
mit οὐ).
50
εὐφραδέως ἄν σοι καὶ τῶν γένος αὐδήσαιµι, „Werde ich dir wohl auch deren Geschlecht
leicht faßlich verlauten“ (v. 1054), vgl. εὔφραστον (v. 171), ἀριφραδέως (v. 1168).
51
Zum didaktischen Gebrauch dieses Topos ausführlicher s. bei HUNTER (2004) 224–225.

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Teil I. Kap. 3. Gattungsaspekte

Über sich selbst spricht das dichterische „Ich“ bzw. Dionysios in seinem Text kaum52.
An einer Stelle jedoch spricht Dionysios von sich als Autor, und zwar über seine Präferenzen
als Schreibtischgelehrter; diese „programmatische Allusion”53 nimmt einen besonderen Platz
im Gedicht ein:
707 ῥεῖα δέ τοι κἂν τήνδε καταγράψαιµι θάλασσαν,
οὐ µὲν ἰδὼν ἀπάνευθε πόρους, οὐ νηῒ περήσας·
οὐ γάρ µοι βίος ἐστὶ µελαινάων ἐπὶ νηῶν,
710 οὐδέ µοι ἐµπορίη πατρώϊος, οὐδ' ἐπὶ Γάγγην
ἔρχοµαι, οἷά περ ἄλλοι, Ἐρυθραίου διὰ πόντου,
ψυχῆς οὐκ ἀλέγοντες, ἵν' ἄσπετον ὄλβον ἕλωνται,
οὐδὲ µὲν Ὑρκανίοις ἐπιµίσγοµαι, οὐδ' ἐρεείνω
Καυκασίας κνηµῖδας Ἐρυθραίων Ἀριηνῶν·
715 ἀλλά µε Μουσάων φορέει νόος, αἵτε δύνανται
νόσφιν ἀληµοσύνης πολλὴν ἅλα µετρήσασθαι
717 οὔρεά τ' ἤπειρόν τε καὶ αἰθερίων ὁδὸν ἄστρων
„Leicht aber könnte ich dir wohl auch dieses Meer (sc. Kaspisches) beschreiben,
ohne zwar fernab seine Pfade gesehen, ohne mit dem Schiffe übergesetzt zu haben;
denn nicht liegt mir mein Leben auf den schwarzen Schiffen,
noch ist mir der Handel vom Vater ererbt, auch nicht zum Ganges
ziehe ich hin, wie ja viele – durch das Erythräische Meer – ,
ihr Leben nicht achtend, um unsäglichen Reichtum an sich zu nehmen;
und gewiss nicht unter die Hyrkanier menge ich mich, noch suche ich auf
die Kaukasischen Waldschluchten der Erythräischen Arianer;
sondern mich trägt der Geist der Musen, die es vermögen,
fern von Irrung weite Salzflut zu durchmessen,
Gebirge und Festland und die Bahn der Gestirne im Äther“ (Dion. Per. 707–717).

Bereits von Eustathios wurde bemerkt, dass Dionysios bezeichnenderweise anstatt des
Verbs περιηγήσασθαι dafür Synonyme benutzt: καταγράψασθαι θάλασσαν „das Meer
beschreiben“ (v. 707) und πολλὴν ἅλα µετρήσασθαι „weite Salzflut durchmessen“ (v. 716)54.
In dieser Passage meldet das dichterische „Ich“ bzw. Dionysios, dass er keinen Bedarf daran
habe, persönlich die weite Welt kennen zu lernen. Die letzten Worte in der Passage (vv. 715–
717) bezeugen, dass das Schaffen des geographischen Werkes für Dionysios eine musische
Beschäftigung ist, die ihm und seinen Lesern großes ästhetisches Vergnügen bereitet; dies
lässt uns wiederum sein Werk nicht der fachwissenschaftlichen, sondern der „schöngeistigen“
Literatur zuschreiben55. Der Dichter zählt alltägliche Beschäftigungen auf, durch die man das
zubeschreibende Gebiet des Kaspischen Meeres persönlich sehen kann, und auf deren

52
Man kann aus dem Text nur herauslesen, dass der Autor in der Kaiserzeit lebte: Ῥώµην
τιµήεσσαν, ἐµῶν µέγαν οἶκον ἀνάκτων, „Rom, das verehrte, das große Haus meiner Herren“
(Dion. Per. 355), was man mit Hilfe eines der Akrosticha präzisieren kann: Zur
Regierungszeit des Kaisers Hadrian (mehr zur Lebenszeit des Autors der Erdbeschreibung
und zum Problem der Autorschaft s. oben Teil I. Kap. 1. Das Werk: Titel, Inhalt,
Autorschaft).
53
So EFFE (1977) 38, Anm. 39.
54
Eust. ad Dion. Per. 707.
55
PODOSSINOV (2003) 99.

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Teil I. Kap. 3. Gattungsaspekte

Hintergrund er sein eigenes “Ich” aussondert. Außerdem stellt diese Selbstaussage des
Dichters kompositorisch einen scharfen Übergang von einem Thema (d. h. der Beschreibung
des Pontos) zu einem anderen (d. h. der Beschreibung des Kaspischen Meeres) dar, um später
zu dem ersten – kurz unterbrochenen – Thema zurückkehren und die Beschreibung der
südlichen Küste des Pontos (vv. 762–798) weiterführen zu können. Die durch eine
Anspielung auf Hesiod56 betonte Selbstaussage des Dionysios ἀλλά µε Μουσάων φορέει νόος
(v. 715) zeigt, dass man Dionysios definitiv zu den Schreibtischgelehrtern und nicht zu den
Praktikern rechnen kann: „Der Geist der Musen“ bedeutet hier vor allem „Kenntnisse“,
„Bildung“, „Buchwissenschaft“57. Trotz der rhetorischen Züge in diesem Abschnitt kann man
schliessen, dass Dionysios als Autor nicht nur in der Rolle des geographischen Didaktikers,
sondern auch als Dichter auftritt, der den rein literarischen Charakter seines Werks erkündet58.

(b) Ansprechen des Lesers


Selbstverständlich impliziert das Verhältnis zwischen Autor als Didaktiker und einem
imaginären Leser einen bestimmten Grad an Kommunikation: der eine steht im Ruf eines
Gelehrten, der seine Bücherkenntnisse wiedergibt und de facto „Bildung“ verwirklicht,
während der andere einen Anreiz zur Erlernung und weiteren Verbreitung dieser Kenntnisse
bekommt. In diesem Zusammenhang sind zwei Beispiele für das Ansprechen des Lesers in
der Erdbeschreibung herauszuheben. In der ersten Passage benennt Dionysios seinen
Anspruch, dem Leser eine klare Vorstellung bzw. Anschauung von dem allgemeinen Weltbild
und der Vielfältigkeit der Länder und Völker zu geben – auch ohne ihn zu zwingen, seinen
Heimatort zu verlassen. Dank der nützlichen Kenntnisse könne der imaginäre Leser sich
später Ehre und Achtung verschaffen:

170 νῦν δέ τοι ἠπείρου µυθήσοµαι εἶδος ἁπάσης,


ὄφρα καὶ οὐκ ἐσιδών περ ἔχοις εὔφραστον ὀπωπήν·
ἐκ τοῦ δ' ἂν γεραρός τε καὶ αἰδοιέστερος εἴης,
173 ἀνδρὶ παρ' ἀγνώσσοντι πιφαυσκόµενος τὰ ἕκαστα
Nun aber werde ich dir das Erscheinungsbild der gesamten Festlandmasse in Worte kleiden,
damit du, auch wenn du es nicht gesehen hast, eine leicht fassliche Anschauung habest;
dadurch aber dürftest du wohl ehrwürdig und achtbarer sein,
wenn du vor einem unwissenden Mann die Einzelheiten erhellst“ (Dion. Per. 170–173).

56
Vgl.: ἐρέω Ζηνὸς νόον αἰγιόχοιο· / Μοῦσαι γάρ µ' ἐδίδαξαν ἀθέσφατον ὕµνον ἀείδειν
(Hesiod. Erga. 661–662). Die Allusion dieser poetischen Deklaration des Dionysios an die
entsprechende Stelle der Erga Hesiods (vv. 646–662, vgl. auch: Erga, 634–638) wurde
berücksichtigt von: JACOB (1985); GREAVES (1994) 112; HUNTER (2004) 226–228; AMATO
(2005) 89.
57
Vgl. Eust. ad Dion. Per. 707: αἱ ἐκ τῶν µαθήσεων γνώσεις.
58
Vgl. EFFE (1977) 189; PODOSSINOV (2003) 99.

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Teil I. Kap. 3. Gattungsaspekte

Die Passage zeigt auch, dass (geographische) Kenntnisse bei den Zeitgenossen des Dionysios
in hohem Ansehen standen und einen Teil des Bildungsgutes ausmachten. Eine inhaltliche
Ähnlichkeit findet man bei Arat (Phaen. 758–764)59:

Τῷ κείνων πεπόνησο. Μέλοι δέ τοι, εἴ ποτε νηῒ


πιστεύεις, εὑρεῖν ὅσα που κεχρηµένα κεῖται
σήµατα χειµερίοις ἀνέµοις ἢ λαίλαπι πόντου.
Μόχθος µέν τ' ὀλίγος, τὸ δὲ µυρίον αὐτίκ' ὄνειαρ
γίνετ' ἐπιφροσύνης αἰεὶ πεφυλαγµένῳ ἀνδρί.
Αὐτὸς µὲν τὰ πρῶτα σαώτερος, εὖ δὲ καὶ ἄλλον
παρειπὼν ὤνησεν, ὅτ' ἐγγύθεν ὤρορε χειµών
„Darum sei um diese bemüht. Und sei darauf bedacht, wenn du einem Schiff
vertraust zu finden, was alles etwa vorhergesagt ist in Zeichen für winterliche
Winde oder Stürme auf dem Meer. Die Mühe ist klein, aber tausendfältig alsbald
der Segen der Umsicht für den immer wachsam Mann. Zuerst ist er selbst
sicherer; mit gutem Rat hat er aber auch andern schon geholfen, als der Sturm
aus der Nähe hereinbrach“ (Arat. 758–764, Übers. M. Erren).

Lexikalisch ist der dionyseïsche Text voll von Parallelen zu Homer: µυθήσοµαι εἶδος ... ὄφρα
... ἔχοις ( Dion. Per. 170–171) ~ ποιήσοµεν πύλας ... ὄφρα ... εἴη (Hom. Il. VII 339–340),
αἰδοιέστερος (Dion. Per. 172) ~ αἰδοιότερος καὶ φίλτερος (Hom. Od. XI 360)60, ἀγνώσσοντι
(Dion. Per. 173) ~ ἀγνώσασκε (Hom. Od. XXIII 95). Der Ausdruck πιφαυσκόµενος τὰ
ἕκαστα (Dion. Per. 173) findet sich zweimal in den Argonautika des Apollonios Rhodios (III
1165, IV 1346)61.
Beim zweiten Ansprechen des Lesers sagt Dionysios, dass der Leser sich mit seinen
neuen geographischen Kenntnissen an die Bildungselite anschließen darf:

881 ῥηϊδίως δ' ἄν τοι λοιπὸν πόρον αὐδήσαιµι


γαιάων Ἀσίης· ὁ δέ τοι λόγος ἐν φρεσὶν ἔστω,
µηδ' ἀνέµοις φορέοιτο πονηθέντων χάρις ἔργων.
εἰ γάρ µοι σάφα τήνδε καταφράσσαιο κέλευθον,
ἦ τάχα κἂν ἄλλοισιν ἐπισταµένως ἀγορεύοις
886 καὶ ποταµοὺς πολίων τε θέσιν καὶ γαῖαν ἑκάστην
„Leicht aber könnte ich dir wohl den restlichen Verlauf verlauten
der Lande Asiens; doch dir soll ja die Rede im Sinn bleiben,
und nicht möge der Dank für die unter Mühen verfertigten Werke mit den Winden
fortgetragen werden!
Denn solltest du mir diesen Pfad genau aufgemerkt haben,
könntest du ja leicht wohl auch anderen in verständiger Weise kundtun
sowohl die Flüsse als auch die Lage der Städte und jedes einzelne Land“
(Dion. Per. 881–886).
59
Diese Verse von Arat (Phaen. 758–772) hält W. LUDWIG für das Proömium zum zweiten
Teil des Gedichts: LUDWIG (1963).
60
IS. O. TSAVARI (1990b, 46) weist auf eine mögliche Entleihung des Wortes aus Pindar hin
(αἰδοιέστατος, Ol. III 42); bei Pindar sehen wir jedoch eine Superlativform, bei Dionysios
hingegen eine komparative, was eher eine Reminiszenz an die Odyssee darstellt.
61
HUNTER (2004) 220.

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Teil I. Kap. 3. Gattungsaspekte

Der Leser wird hier vom Autor / Dionysios als Schüler behandelt bzw. gewünscht, der belehrt
werden will sowie später leicht selber andere lehren kann62. Damit wird auch die Frage nach
der Bedeutung der Buchwissenschaft für Leser und Zeitgenossen des Dionysios berührt: Die
beiden Passagen erklären ganz unmittelbar den didaktischen Charakter des dionyseïschen
Gedichts63. Ebenso ist der Anspruch des Autors auf die Rolle eines Lehrers bemerkenswert,
der im didaktischen Gedicht die erwartete Mischung von Propädeutik und Paideia sieht. Um
nicht den Eindruck entstehen zu lassen, dass das Lesen reine Zeitverschwendung wäre, betont
Dionysios, dass er sein Werk für nützlich erachtet, und dass die Erlernung geographischer
sowie jegliecher Kenntnisse mit Prestige verbunden sei.
Gesondert davon findet sich eine Wendung an den Leser, in der es um ein mentales
Konzept geht: ὁ δέ τοι λόγος ἐν φρεσὶν ἔστω, „doch dir soll die Rede im Sinn bleiben“ (v.
882). Das Motiv des Sinnes bzw. des Gedächtnises ist hier wichtig: Das Gedächtnis verbindet
die Vergangenheit oder die Gegenwart mit der Zukunft. Auf die Wendungen des Narrators an
den Leser folgen kürzere Beschreibungen von geographischen Gegenden. Ziel des Dichters ist
es, im Leser (vor dem inneren Auge des Rezipienten) ein möglichst genaues Abbild des
Geschilderten entstehen zu lassen. Man erwartet, dass der Autor bzw. das dichterische „Ich“
die Rolle des Lehrers übernehmen soll, da er sich selbst für den gesuchten Spezialisten hält.

62
Das Adverb ῥηϊδίως „leicht“ (v. 881) wird oftmals von Homer und Hesiod benutzt, auf
ähnliche Weise immer am Anfang des Verses (d. h. es ist bei Dionysios gleichzeitig eine
Nachahmung des epischen Stils); unter den hellenistischen Autoren tritt das Wort als
Nachahmung bei Apollonios Rhodios (4mal) und bei Nikander (Ther. 22, Al. 401) auf. Die
Form ῥηϊδίως korrespondiert bei Dionysios mit ῥέα (v. 345), ῥεῖα (v. 707), ῥηΐδιον (v. 619).
R. L. HUNTER (2004, 229) bemerkt hier auch eine Anspielung des Dionysios auf den
homerischen Wortschatz (Hom. Od. XI 368 ~ Dion. Per. 885: ἐπισταµένως) und verbindet
Dionysios mit Odysseus, der dem Alkinoos von seinen Abenteuern berichtet.
63
Grammatisch sind die Beispiele für das Ansprechen des imaginären Lesers in der
Erdbeschreibung Modalstrukturen, die in den Formen des Imperativs (φράζεο δ᾿ „doch merke
auf ... !“, „stell dir vor ... !“ (von φράζεσθαι): vv. 130, 331, 762, 894, 1080, 1128, τετύχθω
vom Verb τεύχοµαι „für sich (zu)bereiten“: v. 887), Optativs mit oder ohne ἄν (ἂν ... ἴδοις:
vv. 156, 478, 1075; ἂν ... ἀθρήσειας: vv. 208–209, 851–852; ἂν ... περήσειας: vv. 719–720,
u.a.) und Konjunktivs (εἰ δέ κε θείης: vv. 275–276; εἰσελάσῃς ... δήεις: vv. 482–483, u.a.)
ausgedrückt sind. Ein Teil der Sätze mit Optativ Potentialis im Präsens und im Aorist wird im
Text von der Partikel ἄν begleitet, der andere Teil wird ohne die Partikel verwendet (vv. 280,
318–319, 591–592) und gibt eine mildere Behauptung wieder. Eine Gruppe bilden Beispiele
für das Ansprechen des Lesers in Form des Wunschoptativs, der mit der Partikel εἴ markiert
wird (vv. 270, 884, 1052–1053). Außerdem findet sich in verschiedenen Fällen die 2.
Singularform des Personalpronomens (τοί: vv. 170, 345, 589, 707, 718, 726, 933 u.a.; σέ: vv.
270, 1053; σοί: v. 1054). Diese Vielfältigkeit der von Dionysios verwendeten Formen zeigt
nicht nur, dass er die Regel der didaktischen Richtung befolgt, sondern spiegelt auch das hohe
Niveau seiner eigenen Kunstfertigkeit wider.

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Teil I. Kap. 3. Gattungsaspekte

(c) Musenanruf
Die Vorstellung von Musen als Besitzerinnen echter Kenntnis findet sich bereits im
frühgriechischen Epos64. Die Musenanrufe in der alexandrinischen Dichtung (bei Arat,
Kallimachos, Apollonios Rhodios) gehen auf die frühepische Tradition zurück, werden aber
meistens als eine dichterische Formalität verwendet, die ein literarisches Spiel ermöglicht65.
In der alexandrinischen Dichtung haben die Musenanrufe eine doppelte Funktion: Einerseits
wiederholen die Alexandriner das hesiodeïsche Motiv „Dichter als Musenlieblinge“66,
andererseits identifizieren die hellenistischen Dichter die Musen mit den Kenntnissen –
genau von den Musen bekommen die Menschen die Fähigkeit zum Lernen, zum Verstehen
und zur Gelehrigkeit (vgl. εὐµάθεια, Call. Ep. 48, 2), die Musen können eine konkrete
Information preisgeben oder verbergen (Call. IV 82)67.
Das Werk des Dionysios stellt vor allem ein gelehrtes Gedicht dar, in dem das
literarische Spiel mit der vorangehenden dichterischen Tradition eine grosse Rolle spielt. Die
Erwähnung der Musen zeigt einerseits seine Zugehörigkeit zur archaisierenden Richtung (d.
h. sie ist Tribut an die epische bzw. didaktische Tradition), andererseits trägt sie aber auch
einen neuen Bedeutungsgehalt im Gegensatz zu den frühgriechischen Epen: Offensichtlich
verbindet Dionysios als Schreibtischgeograph die Quelle seiner Buchwissenschaft mit den
Musen. So wird die Muse, die Kenntnisse bringt, zum Element der gelehrten Tradition. Die
Musen sorgen in der Erdbeschreibung für Vollständigkeit und Objektivität der übermittelten
Informationen. Das dichterische „Ich“ beherrscht in der Periegese nicht die ganze Kenntnis,
der Autor verwirklicht nur die Rolle eines Wissenvermittlers, wobei die Allwissenheit den
Musen vorbehalten bleibt. Im ersten Musenanruf68 bittet Dionysios um glaubwürdige
Angaben über die Routen, die er beschreiben möchte:
ὑµεῖς δ', ὦ Μοῦσαι, σκολιὰς ἐνέποιτε κελεύθους,
ἀρξάµεναι στοιχηδὸν ἀφ' ἑσπέρου Ὠκεανοῖο
„Ihr aber, o Musen, möget die gewundenen Pfade künden,
euren Ausgang reihum vom Westozean nehmend“ (Dion. Per. 62–63).

64
Z. B. beginnt Homer seinen Schiffskatalog in der Ilias mit einem Musenanruf: ὑµεῖς γὰρ
θεαί ἐστε πάρεστέ τε ἴστέ τε πάντα, II 485); vgl. die berühmte Passage Hesiods über die
Musen: ἴδµεν ψεύδεα πολλὰ λέγειν ἐτύµοισιν ὁµοῖα, / ἴδµεν δ' εὖτ' ἐθέλωµεν ἀληθέα
γηρύσασθαι (Theog. 27–28). Ausführlicher s.: STROH (1976) 85–112; DE JONG (1987) 45–53
(zu den homerischen Musen); FINKELBERG (1990) 293–303.
65
Z. B. BARMEYER (1968).
66
Vgl. Theocr. Id. I 141, VII 37, IX 32, XVI 29, 106–107; Call. Ep. 21 b 5 Pf.; Apoll. Rhod.
II 845, IV 1381.
67
Dieses Motiv der alexandrinischen Dichtung wiederholt sich bei den römischen Autoren,
vgl. z. B. Verg. Georg. II 475–492.
68
Den ersten Musenanruf platziert Dionysios erst nach der Beschreibung des Ozeans,
orientiert sich dabei anscheinend an Arat als Vorbild (vgl. Arat. Phaen. 16–18); Avienus
erkannte dies nicht und stellte daher den Musenanruf an den Anfang seiner lateinischen
Übersetzung der Periegese (Descr. 8 ff.), s. dazu: EFFE (1977) 193; FAKAS (1999) 58–63, s.
auch: 89–90.

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Teil I. Kap. 3. Gattungsaspekte

Nach dem ersten Musenanruf folgt dann der Katalog der Mittelmeerteile von den Herakles-
Säulen die Meeresküste entlang von West nach Ost bis zur Maiotis (vv. 64–169).
Im zweiten Musenanruf bittet Dionysios die Musen, ihm die Angaben zur
bevorstehenden imaginären Route zu verkünden, die eine Liste der Mittelmeerinseln enthält:

... σὺ δέ µοι, ∆ιός, ἔννεπε, Μοῦσα,


νήσων πασάων ἱερὸν πόρον
„Du aber, Zeustochter Muse, künde mir
den heiligen Pfad aller Inseln“ (Dion. Per. 447–449).

In diesem Fall spielt Dionysios auf einen Ausdruck Homers an (σὺ µοι ἔννεπε, Μοῦσα, Il. II
761) und wiederholt gleichzeitig einen Vers des Apollonios Rhodios (vgl. ἔννεπε, Μοῦσα,
∆ιός τέκος – Arg. IV 2)69.
Zum dritten Mal wendet sich Dionysios an die Musen, um sie zu bitten, ihm einen
direkten Weg bei der Aufzählung der pontischen Völker zu zeigen. Dabei ist sich der Dichter
schon seiner Sache sicher, besitzt selbst die benötige Information, während die Musen ihm
nur mit der richtigen Darlegung helfen können:

νῦν γε µὲν ἔθνεα πάντα διΐξοµαι, ὅσσ' ἀρίδηλα


ἐνναίει· Μοῦσαι δ' ἰθύντατον ἴχνος ἄγοιεν
„Nun allerdings werde ich die Völker alle durchgehen, soviel unübersehbare
darinnen wohnen; die Musen aber mögen eine gerade Spur ziehen“
(Dion. Per. 650–651).
Dionysios stellt also die Musenanrufe immer vor seine Kataloge, da er wohl den epischen Stil
nachahmen möchte. Durch die Musenanrufe betont Dionysios die Zugehörigkeit seines
Werkes zur „schöngeistigen“ Literatur, und bei der Wahl zwischen geographischer
Wissenschaft und Dichtung hat Dionysios die letztere präferiert70. Außerdem erfüllen die
Musen im Gedicht eine strukturelle Rolle und markieren den Übergang zu einem neuen
Thema, damit wird die Komposition deutlicher. Dionysios verbindet bewusst geographische
Angaben mit einem epischen Wortschatz und Stil, wobei er die Musenanrufe als Wendung
benutzt.

69
Vgl. auch Abwandlungen dieses Musenanrufes: Hom. Od. I 1 (Ἄνδρα µοι ἔννεπε, Μοῦσα,
πολύτροπον...); Hom. h. In Ven., 1-2 (Μοῦσά µοι ἔννεπε ἐργα πολυχρύσου Ἀφροδίτης /
Κύπριδος); Hom. h. in Pana, 1 (Ἀµφί µοι Ἑρµείαο φίλον γόνον ἔννεπε Μοῦσα); vgl. auch:
Hom. Il. II 491–492 (Μοῦσαι ∆ιὸς αἰγιόχοιο / θυγατέρες ...) und 598 (Μοῦσαι ἀείδοιεν
κοῦραι ∆ιὸς αἰγιόχοιο); Hesiod. Erga 1–2 (Μοῦσαι Πιερίηθεν ἀοιδῇσι κλείουσαι, / δεῦτε ∆ί ᾿
ἐννέπετε ...). S. auch: COUNILLON (1983) 205–206); AMATO (2005) 154, n. 273.
70
SCHINDLER (2000) 177; JACOB (1985).

- 115 -
Teil I. Kap. 3. Gattungsaspekte

3.2.2 Aufbau des Werkes und Kompositionsmittel


Für die antike Literatur im Allgemeinen und für Lehrgedichte im Besonderen ist die
Gleichmäßigkeit der Sachdarstellungskomponenten kennzeichnend. Dem Gesamtschema der
Oikumene (Libyen + Europa = Nord- und Südasien) entsprechend ist das Werk des Dionysios
in zwei praktisch gleiche Teile gegliedert, was bereits von B. EFFE bemerkt wurde, der auch
eine Analogie mit dem hellenistischen Gedicht des Arat als vorbildlich für Dionysios
aufzeigte: Ein Teil besteht aus Beschreibungen des Mittelmeeres, Libyens, Europas und der
Inseln – insgesamt 558 Verse, der andere Teil sind die Beschreibungen Nord- und Südasiens
– insgesamt 546 Verse71. Diese Symmetrie des dionyseïschen Lehrgedichts widerspiegelt sein
geographisches Weltschema, wodurch Libyen mit Europa (d. h. die „linke“ Hälfte der
Oikumene) auf der Erde praktisch denselben Umfang einnimmt wie ganz Asien (d. h. die
„rechte“ Hälfte der Oikumene)72.

Europa

Asien
Libyen

Abb. 6. Das geographische Weltschema des Dionysios

Die Struktur des Werks ist auch sichtbar „durch den Wechsel von Wasser und Land:
Dionysios beginnt mit Okeanos und Mittelmeer, es folgt die Beschreibung der Landmasse
Afrikas und Europas, dann der Inseln, schließlich des asiatischen Kontinents“73. Dabei

71
Mehr dazu s.: ЕFFE (1977) 190–193.
72
Vgl. Dion. Per. 274–278: „Haben doch beide die gleiche äußerste Spur zu Asien hin, das
eine gen Norden, das andere gen Süden. Solltest du aber zusammensetzen diese beiden zu
einem Land, ja dann dürfte wohl geradewegs die Form eines Konus vorliegen, welche gleich
ist an beiden Seiten spitz in ihrem Westen, breit hingegen mitten im Osten“, und Dion. Per.
620–622: „Asiens Form aber fürwahr entspricht der Gestalt der beiden Erdteile, von der
anderen Seite her gleichend dem Aussehen eines Konus, sich hinziehend nach und nach zu
dem hintersten Winkel des Ostens“. Mehr zum geographischen Weltschema des Periegetes s.
oben Teil I. Kap. 2. Das Weltbild des Dionysios Periegetes.
73
SCHINDLER (2000) 177. Vgl. die eigene Zusammenfassung des Inhalts bei Dion. Per.:
„Denn schon bin ich hingeeilt über den Wogenschwall der gesamten See, schon über der
Erdteile krummen Verlauf“ (vv. 1184–1185) und das ähnliche Thema bei Ps.-Skymnos: „(...)

- 116 -
Teil I. Kap. 3. Gattungsaspekte

korreliert der Abschnitt über das Mittelmeer (112 Verse) mit dem Abschnitt über Libyen (96
Verse), der Teil über Europa (177 Verse) stimmt in der Verszahl mit dem anschliessenden
Teil über die Inseln überein (173 Verse); die zweite Hälfte des Gedichts wird ebenso in zwei
gleiche Teile gegliedert – die Beschreibung Nord- (228 Verse) und Südasiens (279 Verse)74.

(a) Zunehmen der Glieder bzw. „Pyramidenprinzip“75


Außer der oben genannten „Doppel-Gleichmäßigkeit“ der Abschnitte zieht die gründlich
durchdachte Materialanordnung nach dem Prinzip der zunehmenden Glieder die
Aufmerksamkeit auf sich: Die Teile über das Mittelmeer und Libyen sind kleiner als die über
Europa und die Inseln, die ihrerseits wieder kleiner sind als die Teile über Asien. Dieses
„Pyramidenprinzip“ ist auch für die kürzeren Passagen des dionyseïschen Gedichts
kennzeichnend: z. B. markiert Dionysios bei der Beschreibung der südpontischen Völker die
ersten Ethnonyme mit knappen Hinweisen zu ihren Ansiedlungsorten („zuerst“, „nebenan“),
ein nächster Stamm wird mit einem charakteristischen Beiwort versehen (v. 767), während zu
den weiteren Völkern bereits eine kleine Erzählung über ihre Lebensart (vv. 768–771) oder
ein mythologischer Exkurs gehört (vv. 772–779):

765 Βύζηρές τοι πρῶτα καὶ ἀγχόθι φῦλα Βεχείρων,


Μάκρωνες Φίλυρές τε καὶ οἳ µόσσυνας ἔχουσι
δουρατέους· τῶν δ' ἄγχι πολύρρηνες Τιβαρηνοί
τοῖς δ' ἐπὶ καὶ Χάλυβες στυφελὴν καὶ ἀπηνέα γαῖαν
ναίουσιν, µογεροῦ δεδαηκότες ἔργα σιδήρου,
770 οἵ ῥα, βαρυγδούποισιν ἐπ' ἄκµοσιν ἑστηῶτες,
οὔποτε παύονται καµάτου καὶ ὀϊζύος αἰνῆς.
τοὺς δὲ µετ' Ἀσσυρίης πρόχυσις χθονὸς ἐκτετάνυσται,
ἔνθα δ' Ἀµαζονίδεσσιν ἀπ' οὔρεος Ἀρµενίοιο
λευκὸν ὕδωρ προΐησιν ἐνυάλιος Θερµώδων,
775 ὅς ποτ' ἀλωοµένην Ἀσωπίδα δέκτο Σινώπην
καί µιν ἀκηχεµένην σφετέρῃ παρενάσσατο χώρῃ
Ζηνὸς ἐφηµοσύνῃσιν· ὁ γὰρ φιλότητος ἐραννῆς
ἰσχανόων, πάτρης ἀπενόσφισεν οὐκ ἐθέλουσαν·
779 ἐκ τῆς καὶ πτολίεθρον ἐπώνυµον ἄνδρες ἔχουσιν.
„Die Byzerer freilich zuerst und nahebei die Stämme der Becheirer,
die Makronen und Philyrer und die, welche die hölzernen Türme innehaben;
nahe diesen wiederum die schafreichen Tibarener;
neben denen aber bewohnen ein hartes und abweisendes Land
auch die Chalyben, gelehrt in den Bearbeitungen des Mühe bereitenden Eisens,
welche dann, an den dumpfdröhnenden Ambossen stehend,
niemals ablassen von der Anstrengung und der schrecklichen Mühsal.
Nach diesen wiederum liegt das Schwemmland des Assyrischen Bodens
ausgedehnt,

fast alles, was von der ganzen Erde an Orten zu Schiff oder zu Fuß zugänglich ist“ (vv. 67–
68).
74
EFFE (1977) 186.
75
Dieser implizite Begriff stammt von mir – E. I.

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Teil I. Kap. 3. Gattungsaspekte

wo den Amazoniden vom Armenischen Bergland her


sein weißes Wasser entsendet der mörderische Thermodon, welcher einst die
umherirrende Asopostochter aufnahm, die Sinope,
und sie, die betrübte, wohnen liess neben seinem eigenen Land –
auf des Zeus Gebote hin: denn der, ihre liebreiche Liebkosung
begehrend, hatte sie von der Heimat entfernt, obwohl sie nicht wollte;
auch eine nach dieser zubenannte Stadt haben die Menschen inne“
(Dion. Per. 765–779).
Als weiteres Beispiel kann man den oben angegebenen Katalog der Völker um die Maiotis
nennen (vv. 680–685), in dem in drei benachbarten Versen zuerst ein Volk, dann zwei und
schließlich drei Völker erwähnt werden:

679 Τόσσοι µέν Τάναϊν ποταµὸν περιναιτάουσιν.


Σαυροµάτας δ' ἐπέχουσιν ἐπασσύτεροι γεγαῶτες
Σινδοὶ Κιµµέριοί τε καὶ οἱ πέλας Εὐξείνοιο
Κερκέτιοι Τορέται τε καὶ ἀλκήεντες Ἀχαιοί,
οὕς ποτ' ἀπὸ Ξάνθοιο καὶ Ἰδαίου Σιµόεντος
πνοιαὶ νοσφίσσαντο νότοιό τε καὶ ζεφύροιο,
685 ἑσποµένους µετὰ δῆριν Ἀρητιάδῃ βασιλῆϊ.
„Soviele nun umwohnen rings den Fluss Tanais.
Die Sauromaten aber neben sich haben, dicht aneinander gelegen,
die Sinder, die Kimmerier und die Nachbarn des Euxeinos:
die Kerketier, die Toreten und die wehrhaften Achäer,
welche einst vom Xanthos und vom Idäischen Simoeis
die Böen des Notos und Zephyros entfernten,
nachdem sie nach dem Krieg Gefolgschaft geleistet hatten dem König aus
Ares’ Geschlecht“ (Dion. Per. 679–685).

Das allmähliche Zunehmen der Information oder die Umfangssteigerung ist einerseits ein rein
dekoratives Element des Textaufbaus, andererseits verleiht der Darlegung Dynamik.

(b) Uhrzeigersinnordnungsprinzip
Im ersten Musenanruf bemerkt Dionysios, dass die weitere Beschreibung (in diesem Fall die
des Mittelmeeres) στοιχηδόν, d. h. „der Reihe nach“, vorgehen wird (v. 63)76.
Verallgemeinernd kann man sagen, dass die traditionell für die didaktische Richtung typische
Idee des Materialaufbaus „der Reihe nach“ der ganzen Komposition des dionyseïschen
Werkes zugrunde liegt, und der Dichter ihr sowohl bei der Beschreibung der ganzen
Oikumene (vgl. z. B. im „Ozean-Teil“) als auch bei der Beschreibung ihrer einzelnen Teile
(Mittelmeer, Kontinente, Inseln) folgt. Dieses Ordnungsprinzip besteht darin, dass Dionysios
seine Darlegung vom westlichen Punkt des zubeschreibenden geographischen Objekts aus
beginnt (in Bezug auf den Ozean, aufs Mittelmeer, Libyen, Europa und die Inseln sind das die
Herakles-Säule, im Fall Asiens ist es die Maiotis) und sich gedanklich im Uhrzeigersinn nach
Osten weiter bewegt77. Dem geographischen Ordnungsprinzip nach befindet sich die

76
S. bei EFFE (1977) 188.
77
S. dazu ausführlicher oben: Teil I. Kap. 2. Das Weltbild des Dionysios Periegetes
(Raumerfassung).

- 118 -
Teil I. Kap. 3. Gattungsaspekte

Information über Libyen kompakt im Libyen-Teil, alles über Europa im Europa-Teil usw. und
wird nicht durch den ganzen Text verstreut. Es geht hier um ein wichtiges
Organisationsprinzip des Texts: Die Idee seines Werkes sieht Dionysios darin, die gefundenen
und aus anderen Quellen entlehnten Daten seinem Ordnungsprinzip entsprechend exakt zu
versammeln und klar anzuordnen78.

(c) „Vom Allgemeinen zum Einzelnen“


Am Anfang seines Gedichts macht Dionysios Bemerkungen zur allgemeinen Form der
Oikumene, die wie eine Insel vom Ozean umkreist ist (vv. 3–7), danach kommt er zur
detaillierten Beschreibung ihrer einzelnen Teile – der Meere, der Kontinente (Libyen, Europa,
Asien), der Inseln. Auf ähnliche Weise erfasst Dionysios die Kontinente und ihre
Binnengebiete zuerst in einer breiteren Perspektive und nähert sich dann gedanklich den
beschriebenen geographischen Regionen, geht also vom allgemeinen Plan zur Schilderung
von Einzelheiten über79. So beginnen die Beschreibungen sowohl der Kontinente Libyens,
Europas und Asiens als auch der einzelnen Regionen wie Ägypten in Libyen oder Italien in
Europa mit den Bemerkungen zum Umriss, worauf dann die Angaben über ihre Bewohner,
Landschaften usw. folgen. Dionysios folgt dabei seinem Ordnungsprinzip, dem zufolge die
Beschreibung eines geographischen Objekts oder einer Region am westlichen Punkt anfängt
und im Uhrzeigersinn geht (s. dazu oben). So wird der Leser durch den allgemeinen Plan des
zubeschreibenden geographischen Objektes und dessen vorläufige Gestalt auf die weitere
Beschreibung vorbereitet, während der folgende detaillierte Plan die einzelnen Regionen der
Oikumene präzisere Informationen anfüllt und ergänzt.

(d) „Nord – Süd“


Seinem Prinzip der Beschreibung von West nach Ost teilt Dionysios die Angaben zuerst über
die nördliche und dann über die südliche Hälfte des geographischen Objektes mit, wobei er
sich auf die Tradition stützt80. So macht Dionysios im Libyen-Teil zuerst Angaben über die
Stämme an der Mittelmeerküste, d. h. in der nördlichen Hälfte des Kontinents, danach kommt

78
Vgl. bei Ps.-Scymn. 137: πρῶτον δὲ τάξω τοὺς κατ᾿ Εὐρώπην τόπους (“als erstes werde ich
die Gegenden in Europa der Reihe nach beschreiben”), wo τάξω von τάξις in der Bedeutung
“Disposition”, “Anordnung” oder “Aufstellung” abgeleitet ist. S. auch Ps.-Scymn. 370:
Θεόποµπος ἀναγράφει δὲ ταύτης (sc. τὴς Ἀδριανὴς θαλάττης) τὴν θέσιν, wo ἡ θέσις in der
Bedeutung “die geographische Lage” oder “Position” verwendet ist. S. Strabo VII 6, 1 C 318–
319; Verg. Georg. IV 4, 286, 537; Verg. Aen. III 179: remque ordine).
79
Vgl.: „Genau wie der Dichter der Ilias, der den Schild des Achilleus in seiner Entstehung
zeigt, verleiht Dionysios der Darstellung dadurch einen dynamischen Charakter, daß er die
‚Grobskizze’ der Erde immer weiter präzisiert. In seiner literarischen Umsetzung besteht die
Weltkarte also gewissermaßen aus übereinandergelegten ‚Folien’“ (SCHINDLER (2000) 178).
Mehr zum „Blick von oben“ s. Teil I. Kap. 2. Das Weltbild des Dionysios Periegetes
(Raumerfassung).
80
Vgl. die Beschreibung zuerst der nördlichen (vv. 19–320) und dann der südlichen
Sternzeichen bei Arat (vv. 320–453), sowie bei seinen römischen Nachfolgern: Manilius (1,
255–531) und Germanikus (die nördlichen Sternzeichen: vv. 17–324, die südlichen: vv. 325–
436).

- 119 -
Teil I. Kap. 3. Gattungsaspekte

er zu den Stämmen in Binnenlibyen und im südlichen Teil des Landes. Ähnlich beschreibt der
Dichter im Europa-Teil zuerst die westlichen, nördlichen und nordöstlichen Teile (im Süden
durch die Alpen begrenzt), und berichtet später von drei Halbinseln (der Iberischen,
Ausonischen und Panhellenischen) im Süden Europas. Seine ausführliche Aufzählung der am
Istros wohnenden Völker gliedert Dionysios ebenfalls in zwei Teile: Im ersten werden die
Völker nordwärts vom Istros beschrieben (vv. 298–319), im zweiten werden die Völker
südwärts vom Fluss angeführt (vv. 320–330)81. Die formale Gliederung Asiens in eine
nördliche und südliche Hälfte begründet Dionysios zweimal durch den Hinweis auf die
Besonderheiten der geographischen Landschaft des Kontinents, den von West nach Ost das
Taurus-Gebirge durchschneidet82.

(e) Prolog – Epilog


Zur Übersicht über die Kompositionsmittel im dionyseïschen Werk gehört auch die Frage des
Prologs und Epilogs seiner Periegese. Sowohl der Hauptteil des Gedichts als auch seine
Einleitung und sein Ende kennzeichnen sich durch die Kombination von zwei Bestandteilen:
des wissenschaftlichen Materials (d. h. der geographischen Angaben) und der traditionellen
Form (der Sprache, des Metrums, der Formeln). Obwohl Dionysios sowohl am Anfang als
auch am Ende traditionelle dichterische Formeln benutzt, schweift er keinen Augenblick ab
und vergisst nie sein Hauptthema, die geographische Beschreibung der Welt.
Im Gedicht des Dionysios gibt es eigentlich keinen traditionellen Prolog mit einem
Gottes- bzw. Musenanruf: Der Dichter beginnt sofort mit einer klaren Benennung seiner
Hauptthemen und erläutert kurz Zeugnisse der antiken geographischen Tradition über die
Form der Oikumene und ihre Teilung in drei Festländer; danach folgt die Ozeanbeschreibung.
So gibt es im Prolog zur Periegese weder ein traditioneller Götter- oder Musenanruf, noch
eine Widmung oder Anrede an den Herrscher, an einen Patron, an Verwandte oder Schüler83.
Der Mangel an traditionellen Themen in diesem Teil des dionyseïschen Texts ruft die
Frage nach dem Umfang seines Prologs hervor: Wo endet der Einleitungsteil des Gedichts
und wo beginnt die eigentliche Darlegung? Aufgrund der verschiedenen Kalkulationen teilen
sich die meisten Forscher in zwei Gruppen: Die einen halten die ersten 57 Verse für den
Prolog zur Periegese des Dionysios84, die anderen meinen, die ersten 25 Verse bildeten der

81
Ausführlicher zum Katalog der Völker am Istros s. oben in diesem Kapitel.
82
„Die Mittelteile ganz Asiens hält ein Gebirge umfangen, seinen Anfang nehmend vom
Pamphylischen Land, bis hin zu den Indern sogar, bald krumm und gebogen, bald wiederum
höchst gerade; Tauros rufen sie es“ (vv. 638–641); vgl. „Du weißt ja, wenn du meiner Rede
gelauscht hast, dass ganz Asien bis zu den Indern hin ein Gebirge entzweischneidet“ (vv.
889–890).
83
Vgl. verschiedene Widmungen in den didaktischen und epischen Dichtungen: in den Erga
Hesiods an den Bruder; bei Ps.-Skymnos an Nikomedes; in den römischen Epen an die Kaiser
(Vergil in den Georgica, Ovid in den Fasti, Manilius in den Astronomica, Germanicus in den
Aratea, Lucan im Bellum Civile, Statius in der Thebais und Achilleis).
84
EFFE (1977), vgl. SCHINDLER (2000) 174, die die ersten 63 Verse „Präliminarien“ nennt.

- 120 -
Teil I. Kap. 3. Gattungsaspekte

Prolog85. Es geht dabei eigentlich darum, ob man die Ozeanbeschreibung (vv. 26–57) als
einen Prologteil oder als einen Teil der Erzählung betrachtet86.
Einige strukturschaffende Elemente scheinen die Schlussfolgerung nahezulegen, dass
die Verse 1–57 den Prolog bilden. So erfolgt der erste Musenanruf (vv. 62–63) erst nach dem
Abschluss der einleitenden Ozean-Darstellung87; weiter betont der Einleitungsteil aus 57
Versen zusammen mit dem Epilogteil eine bestimmte symmetrische Gewichtung der
Abschnitte, die am besten von B. EFFE dargestellt wurde88; und schliesslich hat Dionysios, der
Meinung von E. AMATO nach, den traditionellen Gottesanruf durch die Erwähnung des
Ozeans ersetzt, weshalb auch der Forscher den Ozean des Dionysios mit dem ägyptischen
Ozean-Nun, d. h. mit einem der Urgötter der Welt, identifiziert89.
Es erscheint mir aber korrekter nur die ersten 25 Verse des dionyseïschen
Lehrgedichts als Prolog gelten zu lassen. Zu dieser Schlussfolgerung lassen die folgenden
Überlegungen kommen:
1) Nach der Idee des symmetrischen Werkaufbaus korrespondiert der Prolog aus 25 Versen
mit dem Epilog aus 20 Versen (vv. 1166–1186). Im Prolog werden das Hauptthema des
Werkes angekündigt und die antiken Theorien über die Gliederung der Oikumene in
Kontinente und über ihre Grenzen knapp angesprochen90. Damit erklärt Dionysios dem
Leser die weitere Reihenfolge der Materialschilderung: Zuerst wird von Libyen
berichtet, dann geht es um Europa, und er endet mit der Beschreibung Asiens.
2) Der Abschnitt mit der Beschreibung des Ozeans scheint unabhängig und nicht zum
Prolog gehörig zu sein: Der Ozean stellt eines der Themen des Dionysios dar (neben der
Erde, dem Meer, den Flüssen, den Städten und den Stämmen, vv. 1–4), und Dionysios
bereitet mit der Erzählung über den Ozean auf die weitere Beschreibung der darin
liegenden Oikumene vor, wobei der Dichter seinem Prinzip „vom Allgemeinen zu
Einzelheiten“ folgt.
3) Was den späteren Musenanruf betrifft (vv. 62–63), so ist er nicht der einzige im
dionyseïschen Gedicht – die Musenanrufe finden sich dreimal in der Periegese und sind
dabei Signale für ein folgendes umfangreiches Thema91. Somit spielt der Musenanruf

85
FRUHWIRTH (1990) 31; BRODERSEN (1994) 42–43.
86
Vgl. TSAVARI (1990b) 24, die unter „Proömium“ die ersten 169 Verse platziert, oder JACOB
(1990), der unter dem Prolog die Verse 1–173 versteht.
87
Dazu findet sich eine Parallele in den Werken des Arat (Phaen. 16) und des Apollonios
Rhodios (I 22), bei denen ebenfalls ein späterer Musenanruf den Prolog abschließt.
88
EFFE (1977) 190.
89
AMATO (2005) 144–148. Zum Ozean und meiner Vorstellung seiner Rolle in der
Erdbeschreibung s. oben Teil I. Kap. 2. Das Weltbild des Dionysios Periegetes (Der Ozean
als Weltmeer).
90
„Wiewohl sie aber eine einzige ist, / teilten die Menschen sie in drei Erdteile auf: / als den
ersten Libyen, hernach Europa und Asien“ (Dion. Per. 7–9).
91
Vv. 62–63, 447–449, 651. Ausführlicher zu den Musenanrufen im Gedicht des Dionysios s.
oben in diesem Kapitel.

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Teil I. Kap. 3. Gattungsaspekte

nach der Ozeanbeschreibung keine entscheidende Rolle bei der Bestimmung der
Prologgrenzen.
4) Schliesslich wird das Fehlen einer traditionellen epischen Gottesanrede im Prolog durch
das Lob des Zeus als Schöpfers alles Wesentlichen in der Welt im Epilog der Periegese
ausgeglichen.
Beim Aufbau des Prologs stützt sich Dionysios auf die Werke seiner Vorgänger –
darauf wurde bereits mehrmals von den Forschern hingewiesen. So vergleicht der
byzantinische Kommentator der Periegese, Eustathios von Thessaloniki (12. Jh.), den
dionyseïschen Prolog mit Pindar, vor allem mit dem Prolog zu Ol. XIII, worin der Dichter
das Haus eines Olympioniken als Teil von Korinth besingt (vv. 1–5)92; Eustathios meint
dabei, Dionysios habe auf ähnliche Weise vor, in seinem Prolog die Oikumene als Teil des sie
voll umkreisenden Ozeans zu besingen (Eust. ad Dion. Per. 1)93.
Das Partizip ἀρχόµενος (von ἄρχοµαι) mit dem Infinitiv ἀείδειν (+ Akkusativ.) (Dion.
Per. 1-2) ist für den hymnischen Stil94, sowie für die frühepische Dichtung95 kennzeichnend.
Das Verb µνήσοµαι (Dion. Per. 3) ist ebenso eine typische hymnische Formel96.
Im Text des Dionysios findet sich auch die archaische dreifache Struktur des Hesiod,
der in der Theogonie dreimal die Anfangsformel benutzt: ἀρχώµεθ᾿ ... ἀρχώµεθα ... ἐξ ἀρχής
(Hesiod. Theog. 1, 36, 114-115) ~ ἀρχόµενος ... ἀρξάµεναι ... ἀρχοµένοισιν ... ἀρχή (Dion.
Per. 1, 62–63, 69–70)97.
B. EFFE bemerkt, dass sich Dionysios am Gedicht des Arat orientierte: Im Prolog
gleicht der Ozean des Dionysios (vv. 27–28) dem Zeus des Arat (vv. 1 ff.), der Musenanruf
(Dion. Per. 62–63) entspricht dem nach dem Prolog bei Arat (vv. 16–18), der Epilog des
Dionysios mit der Bemerkung, die Einrichtung der Welt entspringe dem Plan des Zeus (v.

92
Vgl.: Τρισολυµπιονίκαν / ἐπαινέων οἶκον ἥµερον ἀστοῖς, / ξένοισι δὲ θεράποντα, γνώσοµαι
/ τὰν ὀλβίαν Κόρινθον, Ἰσθµίου / πρόθυρον Ποτειδᾶνος, ἀγλαόκουρον (Pind. Ol. XIII 1–5).
Zu den Prologen bei Pindar s. z. B.: RETTER (2002).
93
S.: Ὅτι τὸ τοῦ περιηγητοῦ ἐνταῦθα προοίµιον ἐκ Πινδαρικῆς ᾠδῆς παρέξεσται. Πίνδαρος
µὲν γὰρ ἐν τῷ ἐπαινεῖν ἀεθλοφόρον τινὰ Κορίνθιον προοιµιάζεται, ὅτι «Ὀλυµπιονίκην
ἐπαινῶν οἶκον γνώσοµαι ὀλβίαν «Κόρινθον·» ὑφ' ἧς δηλαδὴ ὁ οἶκος περιέχεται, ὡς µέρος
αὐτῆς. Ὁ ∆ιονύσιος δὲ µιµησάµενος ἐκεῖνον ἐνταῦθά φησιν· «Ἀρχόµενος γαῖάν τε καὶ εὐρέα
πόντον ἀείδειν, καὶ ποταµοὺς πόλιας τε καὶ ἀνδρῶν ἄκριτα φῦλα, µνήσοµαι ὠκεανοῖο
βαθυρρόου», τοῦ τὴν γῆν δηλονότι καὶ τὰ ἐν αὐτῇ περιειληφότος, καὶ ἐν ᾧ πᾶσά ἐστιν ἡ γῆ.
Ὁµοίως οὖν ἄµφω ἐσχηµάτισται τὰ προοίµια (Eust. ad Dion. Per. 1).
94
Einen Akkusativ mit ἄρχοµαι ... ἀείδειν findet man auch in: Hom. hymn. 2, 1; 9, 8; 11, 1;
13, 1; 16, 1; 22, 1; 26, 1; 28, 1.
95
Vgl. Hesiod. Theog. 1: ἀρχώµεθ᾿ ἀείδειν (mit Gen.), Hesiod. Scut. 394–395: ἀείδειν /
ἄρχεται; andere Beispiele dazu siehe in: WEST (1966) ad loc.
96
Μνήσοµαι οὐδὲ λάθωµαι Ἀπόλλωνος ἑκάτοιο (Hom. h. Apoll. I 1), Καὶ ἄλλης µνήσοµ᾿
ἀοιδῆς (Hom. h. Cer. V 495), Ἀµφὶ ∆ιώνυσον Σεµέλης ἑπικυδέος υἱὸν / µνήσοµαι, ὡς ἐφάνη
παρὰ θῖν᾿ ἁλὸς ἀτρυγέτοο (Hom. h. Dionys. VII 1–2).
97
LEO (2001–2002), 152–153.

- 122 -
Teil I. Kap. 3. Gattungsaspekte

1179), erinnert an das Proömium des Arat (vv. 1–18) und schliesslich ist der Umfang beider
Gedichten etwa gleich (1154 Verse bei Arat und 1186 bei Dionysios)98.
Die formelhafte Redewendung ἀρχόµενος ... µνήσοµαι im Prolog des Dionysios, die
Fragestellung in den ersten drei Versen99, der Musenanruf nach dem Einleitungsteil100 und der
Epilog des Gedichts erinnern vor allem an den Text des Apollonios von Rhodos. Mit der
betonten Orientierung an der Argonautika charakterisiert Dionysios sein geographisches
Gedicht als ein episches didaktisches Werk mit hymnischen Elementen101. Das Vorbild vom
Epos des Apollonios Rhodios hilft auch dem Leser, den Argonauten folgend die ganze Welt
in Gedanken zu umreisen – wobei auch der Dichter selbst zu einem (wohl imaginären)
Reisenden wird102.
Der Epilog des dionyseïschen Werkes (vv. 1166–1186) verhält sich
ringkompositorisch zum Prolog und widerspiegelt auf ähnliche Weise sowohl einen
thematischen (geographischen) als auch einen formalen Bestandteil seines Gedichts. Wie
bereits von der Forschung bemerkt wurde103, besteht der Epilog des Dionysios aus zwei
Teilen: Im ersten sagt Dionysios, dass kein Sterblicher imstande ist, die Erde vollständig zu
beschreiben und nur die Götter als Weltschöpfer alles können (vv. 1166–1180); der zweite
Teil des Epilogs ist eigentlich der Schluss des Gedichts, der Autor verabschiedet sich vom
Gegenstand seines Gedichts und hofft auf eine würdige Belohnung für sein Werk (vv. 1181–
1186).
Wie im Prolog kann man auch im Epilog des dionyseïschen Gedichts das Echo einiger
dichterischer Werke seiner Vorgänger finden. So wurde bereits mehrmals die Ähnlichkeit des
Texts im ersten Teil des Epilogs mit dem Proömium des Arat bemerkt104; als ob der
„Schluss“ des Dionysius uns zum „Anfang“ des Arat zurücksendet, was vor allem im Thema
des überall anwesenden und allmächtigen Zeus spürbar wird105. Diese Verbindung mit dem
arateïschen Gedicht wird auch durch die wörtliche Anspielung auf eine Redewendung aus den
98
EFFE (1977) 193, siehe auch: COUNILLON (1983) 139, 318, der eine weitere Anspielung auf
Arat vorschlägt, und AMATO (2005) 137.
99
Vgl. Ἀρχόµενος σέο Φοῖβε παλαιγενέων κλέα φωτῶν / µνήσοµαι οἳ Πόντοιο κατὰ στόµα
καὶ διὰ πέτρας / Κυανέας βασιλῆος ἐφηµοσύνῃ Πελίαο / χρύσειον µετὰ κῶας ἐύζυγον ἤλασαν
Ἀργώ (Apoll. Rhod. I 1–4) ~ ἀρχόµενος γαῖάν τε καὶ εὐρέα πόντον ἀείδειν / καὶ ποταµοὺς
πτόλιάς τε καὶ ἀνδρῶν ἄκριτα φῦλα, / µνήσοµαι Ὠκεανοῖο βαθυρρόου (Dion. Per. 1–3).
100
Vgl. Apoll. Rhod. I 22: Μοῦσαι δ' ὑποφήτορες εἶεν ἀοιδῆς ~ ὑµεῖς δ', ὦ Μοῦσαι, σκολιὰς
ἐνέποιτε κελεύθους (Dion. Per. 62).
101
So LEO (2001–2002), 152–153; VOX (2002) 153–154; HUNTER (2004) 218; AMATO (2005)
136–137.
102
Ausführlicher dazu: HUNTER (2004) 218
103
HUNTER (2004) 225–226; MAGNELLI (2005) 105–108.
104
Vgl. Αὐτὸς γὰρ τά γε σήµατ' ἐν οὐρανῷ ἐστήριξεν / ἄστρα διακρίνας, ἐσκέψατο δ' εἰς
ἐνιαυτὸν / ἀστέρας οἵ κε µάλιστα τετυγµένα σηµαίνοιεν / ἀνδράσιν ὡράων, ὄφρ' ἔµπεδα
πάντα φύωνται (Arat. Phaen. 10–13).
105
Vgl. Arat. Phaen. 16–18: Χαῖρε, πάτερ, µέγα θαῦµα, µέγ᾿ ἀνθρώποισιν ὄνειαρ, / αὐτὸς καὶ
προτέρη γενεή. Χαίροιτε δὲ Μοῦσαι / µειλίχιαι µάλα πᾶσαι. Zur Parallele im Epilog des
Dionysios s. bei: ANHUT (1888) 11; BERNAYS (1905) 32; EFFE (1977); SCHINDLER (2000)
179; VOX (2002) 160.

- 123 -
Teil I. Kap. 3. Gattungsaspekte

Phaenomena betont: ἄστρα διακρίναντες (θεοί) (Dion. Per. 1173) ~ ἄστρα διακρίνας (Ζεὺς)
(Arat. Phaen. 11). Mit einem Gottesanruf wurde normalerweise der Prologteil geschmückt,
wobei auch einzelne Fälle bekannt sind, wo dieser Gottesanruf aus dem Prolog in den Epilog
übergehen konnte. Im Fall des Dionysios weist die Erwähnung von Zeus darauf hin, dass die
ganze Welt Manifestation göttlichen Wirkens ist106; dabei ist der Perieget aber weniger
monotheistisch, da er gleichzeitig von den θεοί im Allgemeinen spricht. Dafür findet E.
MAGNELLI eine weitere Parallele im Text der Erga des Hesiod107, in dem die Götter den
Menschen ein Leben voller Sorgen und Arbeit bereiten108.
Im Epilog benutzt Dionysios die hymnische Formel χαίρετε („lebt wohl“, v. 1181),
womit Dichter traditionell von Göttern oder Heroen Abschied nehmen, an die sie sich (mit
Lob) in ihren Werken gerichtet haben109. Bereits Hesiod hat diese Formel bei Inseln und
Ländern verwendet (Theog. 963–964; vgl. Hesiod. Theog. 104–110: an die Musen)110, später
kommt sie ebenso bei alexandrinischen Dichtern111. Im Zusammenhang mit der hymnischen
Tradition ist der von Dionysios verwendete Begriff ὕµνος zu beachten (v. 1185), der nämlich
zur Zeit der Entstehung des Gedichts schon längst seine ursprüngliche Bedeutung „Hymnus“
verloren hatte und als Synonym zur Redewendung „didaktische Dichtung“ verwendet
wurde112.
Die Beendung seiner Beschreibung und sein Abschied vom Gegenstand seines
Gedichts – von Inseln, Ländern, Ozean, Flüssen usw. – wird bei Dionysios zur Parallele zum
Epilog der Argonautika des Apollonios von Rhodos, wo in einer ähnlichen hymnischen Form
die Reise seiner Heroen vollendet und sich von den Argonauten verabschiedet (IV 1773–
1781)113.
Als Ergebnis haben wir ein didaktisches Gedicht vor uns mit einigen epischen und
hymnischen Elementen im Prolog und im Epilog. Während Dionysios Redewendungen seiner
Vorgänger benutzt und auf sie anspielt, strebt er danach, der alexandrinischen Tradition
folgend, seine eigene Belesenheit zu zeigen, und reizt das Interesse des Lesers, indem er ihn
dazu aufruft, die Prätexte zu enträtseln oder die Entlehnungen im Gedichtkontext zu
bewerten. Wie die meisten didaktischen Dichter, sieht Dionysios das Wesen seiner Darlegung
darin, dass sein Leser das daraus gewonnene Wissen zu seinem eigenen Nutzen verwenden
kann, d. h. die Voraussetzung seines Werkes ist „menschlich“ – was sich sowohl im
106
SCHINDLER (2000) 180.
107
MAGNELLI (2005) 107.
108
ἐργάζευ, νήπιε Πέρση, / ἔργα τά τ' ἀνθρώποισι θεοὶ διετεκµήραντο (Hesiod. Op. 397–398).
109
Z. B. Hom. hymn. XXXII 18–20. Vgl. Call. h. IV, 320 – in Bezug auf die Insel Delos, s.
dazu: MINEUR (1984); VIAN–DELAGE (1974) 50. Mehr zur hymnischen Komponente und zum
hymnischen Stil im Epilog des Dionysios s.: LEO (1999–2000).
110
Zur Parallele zu Hesiod im Epilog des Dionysios s. auch: BERNAYS (1905) 32; SCHINDLER
(2000) 179; MAGNELLI (2005) 106–108.
111
Vgl. Call. h. IV 325: ἱστίη ὦ νήσων εὐέστιε, χαῖρε µὲν αὐτή (zu Delos), vgl. Call. F 66, 7–
9 Pf., Call. F 112 Pf.: χαῖρε. Mehr dazu s.: VOX (2002) 160.
112
WEST (1978) zu v. 657. Vgl. GLEI (1999) 26: „Auch Götterhymnen gehören als fester
Bestandteil zu den meisten Lehrgedichten“.
113
HUNTER (1993) 128–129; BELLONI (1995) 171–185; BELLONI (1996) 135–149; LEO
(2001–2002) 153; VOX (2002) 161–168.

- 124 -
Teil I. Kap. 3. Gattungsaspekte

Einleitungs- als auch im Schlussteil des Gedichts widerspiegelt. Während bei Arat gleich im
Prolog deutlich ist, dass alles auf Erden und im Himmel nach dem Schöpfungsplan des Zeus
geordnet ist, dass Zeus allein organisiert und harmonisiert (vv. 1–14), so werden im Prolog
des Dionysios nur die Oikumene selbst, der sie umkreisende Ozean und die sie bewohnenden
Menschen erwähnt, die sogar die Grenzen zwischen den Kontinenten nach ihren eigenen
Ansichten entworfen haben (vv. 7–8); die Götter sind im Prolog der Periegese
gewissermassen zu neutralen Beobachtern des irdischen Lebens geworden. Im Epilog erwähnt
Dionysios jedoch Götter und auch Zeus selbst und macht sie wohl verantwortlich für die
Ordnungsmäßigkeit des ganzen irdischen Lebens als auch für den Einklang und die Harmonie
seines eigenen Werkes; mit dieser Akzentuierung schafft Dionysios eine neue Form der
göttlichen Anwesenheit in der menschlichen Welt.

3.3 Zusammenfassung
Das Werk des Dionysios steht im Spannungsfeld zwischen Dichtung und Geographie, wobei
man einerseits das Interesse des Verfassers für eine naturwissenschaftlich begründete
Darstellung der Landschaften sehen kann, andererseits zeigt das Gedicht aber auch die
Dichterkunst des Dionysios. Dank einem epischen Vokabular, häufig auftretenden Parallelen
und mehreren Katalogen weist das Werk des Dionysios Periegetes auf seine Verbindung nicht
nur mit der frühgriechischen sondern auch mit der hellenistischen epischen Tradition hin. Der
ethno- und geographische Raum bei Dionysios wird in Form einer Katalogdichtung bzw.
epischer Katalogerzählung ausgedrückt. Anhand der typischen Arten der impliziten
Unterhaltung zwischen dem Autor und dem Leser (Äußerungen des dichterischen „Ich“,
Ansprechen des imaginären Lesers, Musenanrufe) strebt Dionysios an, seinem Leser den
wissenschaftlichen Inhalt des Gedichts leicht und fasslich zur Verfügung zu stellen.

- 125 -
Teil I. Kap. 4. Die poetische Technik

Kapitel 4. Die poetische Technik des Dionysios


Periegetes
4.1 Hexameter
4.2 Sprache
4.3 Stil und Mittel sprachlicher Darstellung
4.4 Epische Elemente
4.5 Intertextualität
4.5.1 Arat
4.5.2 Kallimachos
4.5.3 Apollonios Rhodios
4.6 Zusammenfassung

4.1 Hexameter
Das geographische Gedicht des Dionysios Periegetes ist in einem für antike epische und
didaktische Dichtung traditionellen Metrum geschrieben, und zwar in daktylischen
Hexametern. Bekanntlich war die rhythmische Versstruktur in den homerischen Epen eher
labil, während spätere Dichter bereits seit Archilochos, vor allem aber dann die
hellenistischen Dichter, die die homerischen Texte vom philologischen Gesichtspunkt aus
erforschten, wie beispielsweise Kallimachos oder Apollonios Rhodios, den Hexameter nach
strengeren Regeln bauten1. Dies ließ die modernen Forscher im griechischen Hexameter der
hellenistischen und späteren Zeitperiode bestimmte Gesetzmäßigkeiten und Regeln
erkennen2. Je nachdem ob ein griechischer Autor diesen Regeln und Normen folgt, kann man
ihn zu der so genannten Gruppe der Dichter-Akribisten rechnen, die nach der Verbesserung
und strengen Regelung des homerischen Hexameters strebten, wie z. B. Kallimachos, oder
aber zu den Dichtern, die sich einige Freiheiten im Versbau nach dem homerischen Usus
erlaubten, zu denen beispielsweise Arat gezählt werden kann.
Dionysios stützt sich sicher auf die homerische Tradition und nimmt sie sowohl direkt
als auch durch das Prisma der hellenistischen Texte wahr; für die Verse des gelehrten
Dichters sind Genauigkeit und Zierlichkeit kennzeichnend. Dieser Abschnitt hat zum Ziel, die
Hauptbesonderheiten des griechischen Hexameters im Gedicht des Dionysios Periegetes zu
betrachten und die Ergebnisse soweit möglich mit der Tradition zu vergleichen. Dies soll zu
bestimmen helfen, zu welcher Gruppe der antiken Dichter Dionysios gehört – ob er
Nachfolger des traditionellen archaisierenden Hexameters oder aber Anhänger der

1
Zur griechischen Metrik insgesamt s. die Hauptarbeiten von V. WILAMOWITZ-MOELLENDORF
(1921); MAAS (1923); SNELL (41982); WEST (1987); s. auch u. a.: MARTINELLI (2001) 67 ff;
GENTILI, LORNIENTO (2003) 278–279.
2
FANTUZZI, SENS (2006) 105–107, 114.

- 127 -
Teil I. Kap. 4. Die poetische Technik

hellenistischen Bahnbrecher ist, und in welchem Grad seine Verse selbstständig sind oder von
den Vorgängern abhängen3.

I. Daktylen und Spondeen


1. In Bezug auf die Metrik4 ist das knappe Werk des Dionysios (insgesamt 1185 Verse)
ziemlich vielfältig: In seinem Gedicht finden sich 24 von den 32 bekannten
Hexametermodifikationen5. Man pflegt zu glauben, dass die Anzahl der metrischen
Variationen im Laufe der Geschichte des griechischen Hexameters immer geringer wurde: So
finden sich in jedem der homerischen Epen alle 32 Modifikationen und bei Hesiod 28 in der
Theogonie und 29 in den Erga; einen Gegenpol bildet das spätantike Gedicht Dionysiaka des
Nonnos von Panopolis (in 48 Büchern, 5. Jh.), in dem sich nur 11 Hexametervarianten finden.
Die meisten hellenistischen Dichter kann man zwischen diesen zwei Extremen platzieren: So
gibt es bei Kallimachos 20 Hexameterarten6, bei Nikander 18–19, in Oppians Halieutika (2.
Hälfte des 2. Jh.) 22. Andererseits nähern sich einige hellenistische und spätantike Dichter
dem archaisch-hesiodeischen Usus an: So verwenden Arat und der Autor der orphischen
Argonautika 28 Hexametervarianten, Apollonios Rhodios, Quintus von Smyrna und der
andere Oppian, Autor der Kynegetika („Ps.-Oppian“, 3. Jh.), 27, während Theokrit sogar 29
Modifikationen hat7. Nach der Vielfältigkeit der Hexameter nähert sich das Gedicht des
Dionysios also ebenfalls dieser letzten hypothetischen Gruppe an.
2. Wenn die Aufmerksamkeit auf die spondeiazontes im dionyseïschen Werk gerichtet
wird (d. h. auf die Verse, die einen Spondeus im fünften Fuß haben), fällt auf, dass solche
Verse ziemlich oft zu finden sind, wohingegen normalerweise im fünften Fuß ein Daktylus als
Merkmal eines Versendes bevorzugt wird. In der Erdbeschreibung des Dionysios finden sich
aber 123 Verse (d. h. 10,4%) mit einem Spondeus im fünften Fuß: Also ist ihre Häufigkeit
höher als in den homerischen Epen (5%) und bei Hesiod (6%) und ähnelt der bei Arat (14%),
Apollonios Rhodios (9%) und Quintus von Smyrna (7%). Bei Kallimachos und Nikander sind

3
Dieser Abschnitt wurde mit Hilfe eines Computerprogramms geschrieben, das von meinem
Moskauer Kollegen Vladimir V. Fayer entwickelt wurde und statistische Vergleiche der
antiken epischen Texte nach verschiedenen Kriterien erlaubt. Ich möchte mich hier bei dem
Autor des Programms für die Möglichkeit bedanken, es für meine Arbeit zu benutzen.
4
Damit sind die Modifikationen des Hexameters gemeint, die durch den Wechsel von
Daktylen und Spondeen bestimmt werden.
5
Nicht zu finden sind die folgenden Varianten: SSSSD, SSSDS, DDDSS, DSDSS, DDSSS,
SDSSS, DSSSS, SSSSS.
6
Kleinere Fragmente und Hexameter in den Disticha sind nicht mitzuzählen.
7
Es ist zu bemerken, dass der Umfang der hier angeführten Texte sehr unterschiedlich ist.
Wenn uns von den 8771 Versen des Quintus von Smyrna nur tausend erhalten wären, wären
dort bestimmt weniger Hexameterarten zu finden. Es gibt aber auch kleinere Werke, in denen
sich trotz des knappen Umfanges eine große Vielfältigkeit von Hexametern befindet (als
Beispiel dienen die Phaenomena des Arat mit 28 Hexametermodifikationen innerhalb der
1153 Verse), und andersherum – längere Texte mit wenigen Variationen (wie oben schon
angegeben, sind z. B. in den Dionysiaka des Nonnos in 21374 Versen nur 11 Hexameterarten
benutzt).

- 128 -
Teil I. Kap. 4. Die poetische Technik

solche Verse selten (ca. 3%); bei Nonnos gibt es sie gar nicht8. Dabei ist jedoch zu bemerken,
dass es unrichtig wäre, sich im Fall der spondeiazontes sowie auch der oben erwähnten
Hexametermodifikationen die ganze Geschichte des griechischen Hexameters als eine
einseitige Entwicklung von Homer bis zu Nonnos vorzustellen, denn es gibt dabei keine
strenge chronologische Abhängigkeit, sondern es geht nur um verschiedene Tendenzen der
einzelnen Autoren.
Bei Dionysios sind die spondeischen Verse im ganzen Text gleichmäßig verteilt9. Die
meisten spondeiazontes werden mit viersilbigen Wörtern beendet, wovon
(1) fünfzig Toponyme oder Eigennamen sind10;
(2) unter den Substantiven sich in dieser Position meistens verschiedene Formen von
ἀµφιτρίτη11 und ἄνθρωπος finden12;
(3) unter den 23 Verbenformen 13 auf –ουσι(ν)13 und 10 auf –σαντο14 ausgehen;
(4) die übrigen Fälle stellen eine Mischung von verschiedenen Formen dar, die kaum eine
Klassifikation zulässt15.
Außerdem enden zwölf Verse mit einem Spondeus im fünften Fuß im dionyseïschen Gedicht
mit dreisilbigen Wörtern, sechs mit sechssilbigen (vv. 26, 50, 236, 896, 1071, 1172), zwei mit
fünfsilbigen (vv. 425, 468) und mit einem einsilbigen Partikelchen (v. 304: τε).

8
Die umstrittenen Fälle in den Dionysiaka XIII 19 und XXXVI 57 muss man kaum in
Betracht ziehen.
9
Die Häufigkeit der spondeischen Verse ist schon in den ersten 100 Versen der
Erdbeschreibung hoch (13 Fälle), geht in den weiteren 100 Versen etwas zurück (7) und
erreicht zunehmend das Maximum im vierten Hundert (15); nach einem Rückgang danach
wächst die Anzahl von spondeiazontes wieder bis zu 11 im siebten und bis zu 13 im zehnten
Hundert.
10
Αἰγύπτοιο (vv. 12, 214, 227, 689), Ἑλλήσποντος (vv. 17, 821), Ἡρακλῆος (vv. 64, 790,
808), Ἀτλάντων (v. 66), Εὐρωπείης (vv. 152, 280, 526, 615), Φοινίκων (v. 196), Νίγρητες (v.
215), Γερµανῶν (v. 285), Βαστάρναι τε (v. 304),Ἱππηµολγοί (v. 309), Θρηΐκων (v. 322),
Παλλήνης (v. 327), Πυρηναῖον (v. 338), Τυρσηνοῖσιν (v. 349), Εὐρώταο (v. 411), Ἰλισσοῖο
(vv. 424, 1023), Ὠρείθυιαν (v. 425), Ἡρακλῆα (v. 454), Αἰητίνης (v. 490), Αἰγαίοιο (v. 513,
801), Ἡφαίστοιο (v. 522), Εὐξείνοιο (vv. 541, 681), Ἑρµώνασσα (v. 552), Ἀµνιτάων (v.
571), Ἀψύνθοιο (v. 575), Θερµώδοντος (vv. 657, 975), Παρνησοῖο (v. 737), Κασπίοισιν (v.
738), Θερµώδων (v. 774), Φοίνικες (v. 905), Βοστρηνοῖο (v. 913), Εὐφρήταο (vv. 977,
1003), Κασπιάων (v. 1039), Ἠµωδοῖο (v. 1146), Ἰσµηνοῖο (v. 1165).
11
Vv. 53, 99, 134, 169, 201, 297, 324, 481, 614, 706, 862, 1065.
12
Vv. 36, 451, 455.
13
Vv. 19, 115, 389, 422, 453, 530, 641, 850, 910, 1071, 1088, 1104, 1150.
14
Vv. 22, 26, 50, 94, 235, 236, 702, 908, 909, 1170.
15
ἐρρίζωται (v. 80) / ἐρρίζωνται (v. 491), ἀµητοῖο (v. 194), µετρηθῆναι (v. 197) /
µετρήσασθαι (v. 716), ἐστήρικται (vv. 204, 495, 551), αἰγείροισι (v. 292), ἠλέκτροιο (v. 293),
ἠλλάχθησαν (v. 392), ἑστηυῖα (v. 468) / ἑστηῶτες (v. 770), πευκήεντα (v. 678), ἐξείνισσαν (v.
701), εἰδώλοισιν (v. 725), τιµήεντα (v. 755), αὐδήσαιµι (vv. 881, 1054), ἡρωΐνης (v. 1022),
ναρκισσίτην (v. 1031), ἀλληλοισιν (v. 1079), ἠπείροιο (v. 1081), ἠπειρῶται (v. 1085),
σαπφείροιο (v. 1105), ἀκτίνεσσιν (v. 1110), βησσήεντα (v. 1183).

- 129 -
Teil I. Kap. 4. Die poetische Technik

II. Wortende
1. Da man nicht immer präzis bestimmen kann, wo es im antiken Vers eine Pause gab16,
wird im Folgenden davon ausgegangen, dass unter Zäsur17 ein graphisches Wortende in einer
der Positionen verstanden wird, die in der spätantiken metrischen Theorie beschrieben
wurden18.
Wenn man die Zäsuren im dritten Fuß betrachtet, d. h. die Penthemimeres und die
nach dem 3. Trochäus, ist die Häufigkeit der ersten Zäsurart im Laufe der Geschichte des
griechischen Hexameters geschwunden, während die der zweiten zunahm. So findet sich bei
Homer das Wortende nach dem fünften Halbfuss fast in der Hälfte der Verse, bei Nonnos
dagegen nur in ca. 20% der Verse. Umgekehrt ist die Zäsur nach dem 3. Trochäus in den
homerischen Texten in ca. 60 % der Verse zu finden, während sie bei Nonnos in ca. 80 % der
Verse auftritt. Dabei geht es aber wieder keineswegs um allmähliche Entwicklungen. So
haben die meisten der oben schon erwähnten epischen Werke eine Struktur der Zäsuren im
dritten Fuß, die der in den homerischen Texten ähnelt; dabei wird aber die männliche Zäsur
seltener und die weibliche öfter benutzt19. Zu dieser Gruppe gehören die Theogonie Hesiods,
die homerischen Hymnen, die orphischen Epen, die Werke des Apollonios Rhodios, die des
Theokritos, Oppians Halieutika sowie eben die Erdbeschreibung des Dionysios Periegetes.
Die andere Gruppe befindet sich zwischen Homer und Nonnos: Dazu gehören die
hexametrischen Werke des Kallimachos, des Nikander und Oppians Kynegetika. Quintus von
Smyrna neigt zur späteren Praktik des Nonnos. Die Phainomena des Arat und die
hesiodeischen Erga stehen abseits: In diesen Gedichten kann man die männliche Zäsur öfter
(jeweils 57% und 61%) und die weibliche seltener (jeweils 55% und 50%) als bei Homer
antreffen.
2. Betrachten wir jetzt die Brücken im Gedicht des Dionysios, d. h. die Stellen, an denen
das Wortende gemieden wird. Man kann sehen, dass in 40 Versen der Erdbeschreibung
Naekes Gesetz nicht eingehalten wird, d. h. das Wortende nach dem Spondeus im vierten Fuß
gestattet ist20. Dabei befindet sich das Wortende in 22 Fällen nach einem einsilbigen Wort, in
15 Fällen nach einem dreisilbigen und in drei Fällen nach einem viersilbigen Wort. Damit
folgt Dionysios Periegetes den meisten Dichtern, die in Hexametern geschrieben haben; die
Ausnahme stellen Kallimachos, Nikander und Nonnos dar.
16
Die phonetische Realisierung der Kolometrien des griechischen Hexameters ist nicht immer
klar für die zeitgenössischen Forscher.
17
D. h. die Stelle, an der das Wortende angestrebt wird; mehr s. bei SNELL (1982) 11.
18
Einen Überblick über die antiken und mittelalterlichen Schriften zur Metrik und Rhythmik
gibt DEL GRANDE (1960) 145–152. Die einzige zusammenhängende Darstellung aus der
Antike, die wir besitzen, ist das stark verkürzt auf uns gekommene Handbuch des
Hephaistion, s. dazu die Ausgabe mit den antiken Kommentaren von M. CONSBRUCH (1906).
19
Der Unterschied in der Gebräuchlichkeit jeder dieser Zäsuren überschreit ihre Häufigkeit in
den homerischen Texten nicht mehr als nach einigen Prozentpunkten, und insgesamt von 4%
bis 10%. So findet sich das Wortende nach dem fünften Halbfuss in der Erdbeschreibung des
Dionysios in 46,5% der Verse (der Unterschied zur Ilias ist somit 3,5%), und das Wortende
nach dem 3. Trochäus in 65% der Verse (5 % Unterschied zur Ilias).
20
Zum Vergleich vermeiden bereits die homerischen Epen den spondeischen vierten Fuß,
falls darauf ein Wortende folgt.

- 130 -
Teil I. Kap. 4. Die poetische Technik

Gegen das noch strengere Gesetz des hellenistischen und spätantiken Hexameters,
nämlich das Vermeiden des Wortendes zwischen zwei kurzen Silben des vierten Fußes, d. h.
die so genannte Hermannsche Brücke, wird bei Dionysios niemals verstoßen – es gibt in
seinem Text nur einige scheinbare Verstöße. So gehört Dionysios in Bezug auf die
Beobachtung der Hermannschen Brücke zu den Autoren, die die metrische Praktik Homers zu
raffinieren streben und keine Ausnahmen solcher Art in Hexametern zulassen. Außer
Dionysios zählen zu dieser Gruppe auch Apollonios Rhodios, der Kynegetiker Oppian, der
Autor des orphischen Epos Über die Steine, Nonnos sowie möglicherweise Kallimachos21 und
Nikandros22. Zu einer anderen Gruppe kann man Arat, Theokrit und den Autor der orphischen
Argonautika rechnen, bei denen, wie auch im vorhellenistischen Hexameter (bei Hesiod und
in den Hymnen), die Verstöße gegen die Hermannsche Brücke etwa mit der homerischen
Häufigkeit zugelassen werden. Eine Zwischenstellung nimmt Quintus von Smyrna ein:
Praktisch alle Verstöße in seinem Gedicht weisen eine Elision an der Stelle des uns
interessierenden Wortendes auf. Möglicherweise hat dies mit der Normalisierung des
homerischen Usus zu tun, und zwar nicht aufgrund einer Verweigerung des Verstoßes gegen
die Brücke, sondern aufgrund einer Komplizierung der Bedingungen für einen solchen
Verstoß. Außerhalb jeder Gruppe befindet sich der Halieutiker Oppian; man kann sogar
vermuten, dass er gar nicht wusste, dass ein Wortende in dieser Position gemieden wird: In
seinem Werk finden sich in 2144 Versen nur 22 Vermeidungen, was Verstöße fünfmal
häufiger macht als bei Homer oder Hesiod. Somit zeigt das Beispiel von Oppian, dass (1)
Abweichungen vom homerischen Usus in Richtung von mehr Freiheiten eben vorkamen, und
somit (2) die metrische Technik des Dionysios nicht allgemein gültig war. Auf dem
Hintergrund des Gedichtes von Oppian wird deutlich, dass Dionysios Periegetes zu einer der
raffiniertesten Gruppen der (spät)antiken griechischen Dichter gehört.
3. Einsilbige Wörter am Versschluss finden sich bei Dionysios Periegetes in 12 Fällen: Das
sind τε (7mal) und µίν (v. 933) sowie das Pronomen σφίν (v. 965) und die Substantive πῦρ (v.
583), χθών (v. 759), χρώς (v. 966).

III. Andere metrisch-prosodische Besonderheiten


1. Die durchschnittliche Wortlänge hat sich im Laufe der Hexametergeschichte verändert
(von 2,3 Silben bei Homer bis 2,6 – 2,7 Silben bei Nonnos). In diesem Zusammenhang hat
auch die Zahl von Versen mit längeren Wörtern (drei- und viersilbigen) zugenommen, was
aber auch mit einer Erhöhung der Anzahl Silben im Vers verbunden ist, die bei Homer
durchschnittlich aus 15,7 Silben und bei Nonnos aus 16,2 Silben besteht. Man kann zwei
Textgruppen nach der Häufigkeit der aus drei oder vier Wörtern bestehenden Hexameter
21
Den Vers des Kallimachos νύµφα ∆ιὸς βαρύθυµε σὺ δ᾿ οὐκ ἄρ | ἔµελλες ἄπυστος (Hymn.
IV 215) kann man auf verschiedene Weise interpretieren. Möglicherweise geht es hier nicht
um eine Elision, sondern um eine Aphärese: ἄρα µέλλες. Außerdem hätte die Elision einem
vollen Wortende gestört können, während damit die benachbarten Wörter zu einem Wort
vereinigt würden.
22
Diese zwei Verse des Nikanders kann man kaum als Verstöße zählen: πῖνε δὲ µιξάµενος
κυάθῳ τρὶς | ἀφύξιµον οἴνην (Ther. 603) und ἑρπετὰ σίνονται· τὸ δέ τοι µέγ' | ἀλέξιον εἴη
(Ther. 702).

- 131 -
Teil I. Kap. 4. Die poetische Technik

unterscheiden23: Zu der ersten Gruppe, die eine homerische Norm von ca. 1,5 – 2,3% solcher
Verse aufweist, gehören außer der Ilias und der Odyssee die beiden Gedichte Hesiods, die
homerischen Hymnen und die epischen Werke des Kallimachos, Theokrit und Quintus von
Smyrna. Zu einer anderen Gruppe mit ca. 4,3 – 5,6% solcher Verse werden die Gedichte von
Arat, Apollonios Rhodios, Nikander, der beiden Oppiane und das orphische Gedicht Lithika
gezählt. Zur letzten Gruppe gehört auch die Erdbeschreibung des Dionysios Periegetes, bei
dem sich in 1185 Versen 68 aus vier Wörtern bestehende Hexameter finden (5,7%)24.
Außerhalb aller Gruppen befinden sich die Dionysiaka des Nonnos (7,5%), sowie seine
hexametrische Paraphrase des Johannesevangeliums und die orphischen Argonautika (jeweils
3,5% und 3,3%).
Bei Dionysios sind 17 von diesen 68 Versen spondeiazontes. Eine solche Verbindung
von zwei markanten Besonderheiten soll die Aufmerksamkeit des Lesers auf den Inhalt der
Verse oder auf ihren Platz im Gedicht lenken. So werden in siebzehn Vier-Wörter-Versen
einige Details von Mythen erwähnt25, in sechszehn geht es um exotische Stämme26; fünf
Verse sind dem Dionysos-Bakchos-Kult gewidmet27; in sechs Versen werden wichtige
Flüsse28 und in drei Kultstätten29 besprochen. Sechszehn solche Verse befinden sich am
Schluss verschiedener Beschreibungen30, drei an deren Anfang31. Drei-Wörter-Verse finden
sich bei Dionysios nicht, ähnlich wie auch bei den anderen alexandrinischen und spätantiken
Dichtern (eine Ausnahme bildet das orphische Gedicht Lithika).
2. Was die Elision betrifft, so benutzt Homer sie vergleichsweise ziemlich oft: 71mal
innerhalb von 100 Versen in der Ilias und 75mal pro 100 Verse in der Odyssee. Nonnos bricht

23
Die Vier-Wörter-Verse wurden nach der modernen Grafik ausgewählt. Wenn man auch die
Verse mit δ᾿ und τ᾿ dazu zählt, wird sich die vorgeschlagene Teilung in die Gruppen aber nicht
wesentlich ändern.
24
Vv. 40, 53, 59, 68, 89, 99, 113, 132 (bei der Beschreibung des Ozeans und des Mittelmeers
platziert); 200, 201, 203, 206, 209, 218, 245, 259 (bei der Beschreibung Libyens); 286, 289,
291, 293, 361, 369, 397, 404, 411, 430, 443 (bei der Beschreibung Europas); 451, 456, 462,
475, 476, 490, 551, 571, 573, 576, 590, 593 (im Katalog der Inseln); 655, 657, 665, 689, 714,
722, 755, 790, 808, 842, 853, 863, 873, 880, 953, 955, 974, 1006, 1010, 1022, 1040, 1042,
1052, 1079, 1110, 1115, 1117, 1127, 1150 (bei der Beschreibung Asiens).
25
V. 206: über die Lotophagen, vv. 289, 291, 293: Mythos von Phaethon, v. 462: über die
Äolos-Inseln, vv. 475, 476: über die Abtrennung Siziliens durch den Vielzack des Poseidon,
v. 490: über die Inseln des Apsyrtos, vv. 655, 657: Mythos von den Amazonen, v. 790:
Mythos von Herakles und dem Kerberos, v. 808: Mythos vom Herakles-Diener Hylas, v. 873:
Mythos von Bellerophontes, vv. 1006, 1010, 1022: über Semiramis, v. 1150: Aornos.
26
V. 206: die Lotophagen, v. 209: die Nasamonen, v. 218: die Äthiopier, v. 286: die
Germanen, v. 571: die Amniten, v. 655: die Sauromaten – Amazoniden, v. 689: die Kolcher,
v. 955: die Nabatäer, v. 974: die Kappadokier, vv. 1040, 1042, 1052: die Parther (+ die
Ausoner), vv. 1110, 1115, 1117, 1127: die Inder.
27
Vv. 571, 573, 576, 842, 953.
28
V. 245: der Nil, v. 289: der Eridanos, v. 361: der peukentinische Sylaros, v. 414: der
messenische Eurotas , v. 657: der Thermodon, v. 665: der Tanais.
29
V. 430: Dodona, 443: Delphi, v. 853: Schweineopfer der Aphrodite in Aspendos.
30
Vv. 40, 68, 397, 456, 475, 476, 551, 665, 689, 722, 755, 880, 953, 1052, 1079, 1127.
31
Vv. 59, 451, 655.

- 132 -
Teil I. Kap. 4. Die poetische Technik

mit der Tradition und verwendet Elision sehr selten, durchschnittlich nur 10mal pro 100
Verse. Etwa seltener als bei Homer (62 – 68mal) findet sich die Elision bei Hesiod, Quintus
von Smyrna, in den homerischen Hymnen und in den orphischen Argonautika. Die anderen
epischen Autoren benutzen die Elision 57–36mal innerhalb von 100 Versen. Es gibt dabei
keine chronologische Gesetzmässigkeit, die hellenistischen Autoren verwenden sie aber öfter
als die spätantiken. Im Fall des Dionysios Periegetes enthalten 100 Verse ca. 41,7 elidierte
Hexameter – außer den Hilfswörtern finden sich in der Erdbeschreibung folgende elidierte
Formen: ἀλγέα, ἔλλαχε, θαύµατα, κλύζεται, κύµατα, οἴδµατα, ὄνοµα (οὔνοµα, οὐνόµατα),
πῆµα, πρῶτα, φαίνεται.
Zusammenfassend kann man sagen, dass die metrisch-prosodischen Besonderheiten
des dionyseïschen Gedichtes den Normen derjenigen hellenistischen und spätantiken Dichter
entsprechen, die ihrerseits dem homerischen Usus folgen und diesen auch teilweise
modernisieren; man kann diese Richtung hypothetisch „Schule des Apollonios Rhodios“
nennen. Im Gegensatz dazu reklamierte die andere Richtung, die hypothetische „Schule des
Kallimachos“ einen höheren Standard des Hexameters. Das Gedicht des Nonnos repräsentiert
die beiden Richtungen in ihrer Endversion und bildet damit eine neue Kategorie mit stark
verfeinerter, aber auch einförmigerer Metrik.

4.2 Sprache
Es wurde schon öfters bemerkt, dass das Gedicht des Dionysios Periegetes eine dichterische
Kompilation aus verschiedenen geographischen Angaben und aus der Nacherzählung bzw.
Entlehnungen aus bekannten literarischen Werken darstellt32. Mit der Auswahl seines
Kompilationsstils erreicht Dionysios zumindest zwei Ziele: (1) eine solche Art der
Informationswiedergabe zeigt seine Vertrautheit mit den benutzten Quellen und unterstreicht
die literarischen Ambitionen des Autors; (2) die Verwendung von poetisch markierten
Wörtern aus den bekannten Texten bereichert sein eigenes Lehrgedicht mit neuen
Bedeutungen und Allusionen.
Die Sprache der Erdbeschreibung des Dionysios Periegetes widerspiegelt den
Wortschatz der frühgriechischen Tradition (Homer, Hesiod, manchmal sogar Pindar) und
enthält verschiedene Dialektformen und Entlehnungen aus den Werken der hellenistischen
Autoren (Arat, Apollonios Rhodios, Kallimachos, Nikander). Außerdem finden sich in der
Sprache des Dionysios seltene (prosaische) Wörter, spezifische Fachwörter (meistens aus
geographischer und astronomischer Literatur) und Neuerfindungen. Dionysios verwendet
aktiv den Wortschatz seiner literarischen Quellen und schafft damit einen Komplex von
versteckten Bedeutungen und Anspielungen. Dabei haben seine Allusionen meistens keine
relevanten Bezug zum Kontext der zitierten Werke, sondern dienen der Verzierung seines
Textes. Einige von ihm verwendete dichterische Wörter wandeln aus einem Text in den
anderen und ziehen dank ihrer Expressivität und Bildhaftigkeit die Aufmerksamkeit auf sich;
manchmal ist die Wahl eines Lexems bzw. einer Redewendung durch formale (metrische)

32
S. z. B.: GÖTHE (1875) 6–8; ANHUT (1888) 15–17; BERNAYS (1905) 46–47, 55–56; HUNTER
(2003) 343–356, bes. 343; BOWIE (2004) 177–186.

- 133 -
Teil I. Kap. 4. Die poetische Technik

oder ästhetische Züge bestimmt. Betrachten wir nun einige Beispiele der dionyseïschen
Sprache.

I. Epische Formen
Im Gedicht des Dionysios finden sich epische Formen wie z. B. Εὐρωπείης (v. 152) statt der
gewöhnlichen Form Εὐρώπης, Εὐδοθεείης (v. 259) statt Εἰδοθέης, Χρυσείην (v. 589) statt
Χρυσήν, ᾿Αγχιάλεια (v. 875) ~ Ἀγχιάλια; ἠέλιος ~ ἥλιος33. Eine epische Färbung fügt auch die
Vokalverlängerung πουλο- (statt πολυ-) in dem von Dionysios bedachten Wort πουλυτενής
(vv. 99 und 340) hinzu, das im Vers am ersten Platz steht und somit eine Dehnung braucht
(vgl. v. 87: πουλύ). Außerdem verwendet Dionysios die episch-ionischen Formen ῥηΐδιον (v.
619) und ῥηϊδίως (v. 881) statt ῥᾴδιον und ῥᾳδίως. Dreimal findet sich in seinem Gedicht das
epische Zahlwort πίσυρες (vv. 44, 887, 1130). In der Erdbeschreibung werden zwei
Dativformen benutzt: -οις (Instrumentalis) und -οισι(ν) (Locativendung). Es gibt auch
Beispiele von Dualisformen: δοιαί (θάλασσαι) (vv. 112, 420) und δισσαί (sc. ἡπείρους, 95;
στροφάλλιγγα, v. 161; θαλάσσῃ, vv. 400, 928; νῆσοι, v. 566; στόµατα, v. 1092).

II. Dialektformen
Dionysios verwendet in seinem Gedicht oft verschiedene Dialektformen desselben Wortes, z.
B.: ἀγχοῦ – ἀγχί; αἰεί – ἀεί; ἄκρα (v. 469) – ἄκρη; ἀλωοµένην (v. 775) – ἀλώµενος,
ἀλώµενοι; αὐτάρ – ἀτάρ; ∆ιωνύσοιο (v. 842), ∆ιωνύσου (v. 1143) – ∆ιονύσου (v. 623),
∆ιονύσῳ (v. 578), ∆ιόνυσον (v. 940); δύω – δύο; ἐειδόµενος – εἰδοµένος; εἰς – ἐς;
εἱλίσσεσθαι (v. 546) – ἑλίσσοµαι; ἐµεῦ (v. 889) – ἐµῶν (v. 355); ἐνί, εἰν – ἐν; οὖρος – ὄρος;
πολέες (v. 1071) – πολλοί; ποτί – πρός; ῥεῖα (v. 707) – ῥέα (v. 345); σφίσι(ν) – σφι(ν); τοί –
σοί (v. 1054); gen. sg. -ου und -οιο (vgl. Πόντου in v. 165 und Πόντοιο in v. 166), dat. pl. -αις
und -ῃσι (in den Klammern sind die Einzelfälle angeführt).

IIIa. Entlehnungen aus frühgriechischen Texten


Außer verschiedenen Entlehnungen aus den homerischen Texten (dazu s. unten) gibt es in der
Erdbeschreibung lexikalische Parallelen zu anderen frühen Epen, z. B. zu den Werken
Hesiods, mit denen Dionysios ebenfalls manchmal spielt:
αἰλόµητις (Ὀδυσσεύς) (Dion. Per. 207) ~ Hesiod. Theog. 511: αἰλόµητιν (Προµηθέα), F 10, 2
und 26 (M.-W.): Σίσυφος αἰλοµήτης;
oder Ἀχελώιος ἀργυροδίνης (Dion. Per. 433) ~ Ἀχελῷόν τ᾿ ἀργυροδίνην (Hesiod. Theog.
340), vgl.: δίνῃς ἀργυρέῃς Ἀχελώιος (497);
auch das hesiodeische Beiwort ἴφθιµος (ἀνήρ) bei Dionysios (v. 986) spielt auf Hesiod an
(vgl. Erga. 704: ἄνδρα καὶ ἴφθιµον), bei dem auch das Beiwort auf ähnliche Weise in der
Theogonie in der Anfangsposition steht (vv. 455, 768, 774, 987).

33
Vgl. die Aussage des Eustathios dazu: Ὅτι ὥσπερ Ὑψιπύλη Ὑψιπύλεια, Ἀπάµη Ἀπάµεια,
Πηνελόπη Πηνελόπεια, Λαοδίκη Λαοδίκεια, ἐρήµη ἐρήµεια, κολώνη κολώνεια· οὕτω καὶ
Εὐρώπη Εὐρώπεια. Καὶ τὴν Εἰδοθέαν δὲ Εἰδοθέειαν αὐτὸς µετ' ὀλίγα ἐρεῖ. Ὁ δὲ σχηµατισµὸς
Ἰώνων ἴδιος (Eust. ad Dion. Per. 152).

- 134 -
Teil I. Kap. 4. Die poetische Technik

Einige von Dionysios benutzte Beiwörter haben Parallelen bei Pindar, z. B.: βαθύκρηµνος
(Dion. Per. 244, 618, 849, 880) – βαθύκρηµνον ... ἅλος ... θέναρ (Pind. Isth. 4 (3), 56 nach
LSJ, oder 74 nach TLG), βαθυκρήµνοισι ... ἀκταῖς (Pind. Nem. IX 40); ἀνέµων κλονεόντων
(Dion. Per. 464) – vgl. ἀνέµων κλονεόνται (Pind. Pyth. IX 48); µελάµφυλλος (Dion. Per. 573)
– Pind. Pyth. 1, 27); ἐρίβροµος (Dion. Per. 576) – Pind. Ol. XI 20, Pyth. IV 3 und 11;
ἐριβρεµέτης (Dion. Per. 578) – Pind. Isth. IV (III) 6434.

IIIb. Entlehnungen aus hellenistischen Texten


Im Gedicht des Dionysios gibt es auch Lexeme aus den Texten der hellenistischen Dichter,
die ihrerseits traditionelle epische Formen mit neuen Prä- oder Suffixen modernisierten.
Dieser poetische Wortschatz spielt im Text des Dionysios eine stilistische Rolle oder markiert
seine Vertrautheit mit seinen hellenistischen Vorgängern, z. B.: ἐπιτροχάει (Dion. Per. 203,
665, vgl. 148) von ἐπιτροχάω = ἐπιτροχάζω (+dat. Apoll. Rhod. IV 1266, +acc. Nic. Al. 544,
+gen. AP 9, 306); περίπυστον (Dion. Per. 13): Apoll. Rhod. IV 213, Parth. 25, 3, App. BC II
88, Coluth. 75; ἀποκιδνάµενος (Dion. Per. 48): vgl. Apoll. Rhod. IV 133, Arat. 735; ἀγχίγυοι
(Dion. Per. 215) – Apoll. Rhod. I 1222; ῥυηφενέων (Dion. Per. 337) – auch bei Call. F 239
Pf., 2, vgl. Call. h. 1 (Jov.) 84: ῥυηφενία; περιβροµέουσι (Dion. Per. 420) – Apoll. Rhod. I
879, IV 17; πολυγλώχινι (Dion. Per. 476) – Nic. Ther. 36; sowie die Form ἔλλαχ- (mit dem
verdoppelten „l“: bei Homer und anderen frühepischen Autoren findet sich die Form mit
einem „l“) vv. 264, 401 = 929 = 1175, 548, 646, 935 – vgl. Call. H. 4 (Del.), 97; Apoll. Rhod.
II 881.

IV. Seltene Wörter


Die von Dionysios benutzten prosaischen oder selten angetroffenen Wörter sollen
anscheinend die Aufmerksamkeit auf sich ziehen und dem ganzen Text eine wissenschaftliche
Färbung geben. Als einige Beispiele kann man nennen:
1. Entlehnungen aus der griechischen Prosa
παραυγάζουσα (v. 89) von παραυγάζω „den Anschein geben“ – findet sich noch bei Strabon
in der Medialform im Kap II, 1, 18 C 75 und in der Passivform von der Sonne II 5, 42 C 135;
διθάλασσον „in zwei Meere zerfallen bzw. Doppelmeer“ (v. 156) – Strabo II 5, 22, I 1, 8;
Dion. Chr. 5, 9; εὔφραστον (v. 171) – Arist. Rhet. 1407b 12; προνενευκότες (v. 214),
προνένευκε (v. 1149) von προνεύω – (Pl. Euthd. 274b, X. Eq. 8, 7, Plb. 1, 24, 2 etc.);
παραθρώσκοντες (v. 286) von παρα- und θρῴσκω (noch in Oikonomos Ἐπιγραφαὶ τῆς
Μακεδονίας p. 36, ii B.C. – LSJ s.v.);
2. seltene poetische Ausdrücke
ἐπιφρίσσων (v. 443) – Emped. B 83, 2 D.-K.; Nonn. 35, 55; Opp. C. I 384 etc.; πολύολβος (v.
934) – Sapph. F 133, 2 Lobel-Page (von Aphrodite), AP 6, 114; Coluth. 280; BSA 27, 245; AP
9, 642; ἐφηµίξαντο - φηµίζοµαι (Dion. Per. 456) – findet sich bei den Tragikern, Pindar, bei
den Alexandrinern, aber nicht bei Homer; κλῃζοµένος (v. 456) – nicht bei Homer; πέζαν
ὑποξύουσα πολήων / (Dion. Per. 61, vgl. auch in v. 385: θῖνας ὑπ. Λιβυρνίδας (...)): vgl. АР

34
Zu homerischen Parallelen im Text des Dionysios s. unten.

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Teil I. Kap. 4. Die poetische Technik

9, 669 (Marian.): ποταµὸς πέζαν ὑποξύων νάπης; ἡδυγαής (317) – AP 6, 295 (Phan.);
µελισσόβοτος (v. 327) – AP 9, 523; ἀνευάζουσι (v. 579) – AP 9, 139 (Claud.);
3. Fachwörter
Die Fachwörter werden von Dionysios meistens aus der geographischen und astronomischen
Literatur seiner Vorgänger entlehnt, sie betonen die wissenschaftlichen Aspekte seines
Werkes und zeugen gleichzeitig vom Buchcharakter seiner Arbeit; z. B.:
τραπεζίῳ (εἶδος ὁµοίη) (v. 175), vgl. τραπεζοειδής Strabo 14, 6, 3; διεµετρήσαντο (v. 236)
oder µετρησασθαι (v. 716); πόλον (v. 236) (vgl. ἐς πόλον ἄρκτων, v. 582, ἐς δύσιν ἄρκτων,
v. 1134 u.a.); κώνου (v. 277, 621); σχῆµα „Schema“ (v. 277, 620); τριτάτης ἐπὶ κύκλα
σελήνης (v. 720); πολυσχιδές „vielfach bzw. in viele Zweige gespalten“ (v. 643): das
Beiwort benutzt Dionysios im übertragenen Sinne, genau wie früher Strabon (XI 12, 1), die
ursprüngliche Bedeutung bei Arist. HA 495a 35, 497b 20, 499b 7; De gen. anim. 742a 8,
771a-b etc.; ῥόµβος „Rhombus“ (v. 1131).

V. Neubildungen
Für den Wortschatz des Dionysios sind auch die Wortformen kennzeichnend, die sich bei den
früheren antiken Autoren nicht finden und uns somit vermuten lassen, dass sie von Dionysios
selbst bedacht wurden35. So bildet Dionysios beispielsweise neue Komposita: ἑπτάπολιν (v.
251), πεντάπορος (v. 301), πολυδινήτῳ (v. 407), πουλυτενής (vv. 99, 340), βοοτρόφον (v.
558), λιγύθροος (v. 574), συοκτονίῃσι (v. 853: vom Substantiv συοκτονία, wurde
anscheinend nach dem Modell des Beiwortes συοκτονός bei Kallimachos h. 3 (Dian.) 216
gebildet, vgl. Epigr. 36, 1). Zu diesen Beispielen kann man noch βαθυκύµονος (Ὠκεανοῖο)
(v. 56), Ἀσιηγενέων (v. 593) von Ἀσιηγενής (bei Dionysios wird eine ionische Form
verwendet, vgl. Ἀσιαγενής – D. S. 17, 77) hinzufügen. Unter den Verbformen finden sich
auch ἀµφέλκεται (v. 268, von ἀµφέλκω, ἀµφέλκοµαι), ἐπιλαδόν (v. 763, nach dem
homerischen Adjektiv ἰλαδόν (...)), περιβρέµεται (vv. 132, 475) findet sich in der Medialform
bei den Vorgängern des Dionysios nicht (in der Aktivform bei Apoll. Rhod. II 323); dazu
gehören auch die Substantive µεσήπειροι (v. 211, 1068), µεσούριον (v. 17, vgl. als µεσόριον
bei Tsetz. Hist. 1, 765, Eust. ad Hom. Il. I 607 (van der Valk)) und das Adjektiv εὐρυτάτη (v.
458).

4.3 Stil und Mittel sprachlicher Darstellung


Wie schon in der Forschung bemerkt wurde, kann man in der Kaiserzeit drei
Hauptvariationen des griechischen epischen Stiles unterscheiden: (a) die traditionelle
homerisch-apollonianische Stilart mit homerischer Grammatik und Wortschatz, aber mehr
konzentriert und etwas trocken; (b) die feinere alexandrinische Stilart mit strenger gebauten
Hexametern und mit einer Vorliebe für einzigartige Erfindungen; (c) die neue Stilart, die in
ihrer stärksten Eigenart durch Nonnos vertreten ist36. Die dritte Stilart ist eher für die Werke

35
Einige Beispiele sind bereits in der Dissertation von GREAVES (1994, 162–169)
versammelt.
36
Ausführlicher dazu s.: WIFSTRAND (1933) 78.

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Teil I. Kap. 4. Die poetische Technik

nach Dionysios kennzeichnend, und unter den ersten zwei gehört das Gedicht des Dionysios
Periegetes offensichtlich zur ersten Stilart37, da es eine Verbindung mit dem frühgriechischen
Epos und gleichzeitig mit hellenistischen epischen Autoren zeigt, was bereits am Beispiel
seines Hexameters klar wurde. Außerdem wird die dichterische Freiheit des Dionysios von
Anfang an durch die von ihm gewählte didaktische Richtung begrenzt, die unter den antiken
Gattungsrichtungen am meisten die Traditionsnachfolge voraussetzt.
Die von Dionysios ausgewählten Mittel sprachlicher Darstellung dienen seinem
Hauptziel, nämlich einer für seinen Leser reizvollen Darlegung geographischer Kenntnisse in
dichterischer Form. Um die poetische Technik des Dionysios kurz zu beschreiben, sollen jetzt
einige Elemente auf dem Niveau des Wortes (z. B. Tmesis), des Satzes (Wortfolge und
Anordnung des Verses: Anapher, Anadiplose, Epanalepse u.a.) und der Sprache (Synonyme,
etymologisches Spiel, Formelhaftigkeit) ausgewählt und besprochen werden. Einige von
diesen Mitteln (z. B. Anapher, Alliteration, Akrosticha) stellen eine Art der literarischen
Begrenzung dar, was wieder von dem betont gebildeten Buchstil des dionyseïschen Werkes
zeugt.

I. Wortniveau
Bereits auf dem Niveau eines Wortes spielt Dionysios mit seinem Text, wenn er eine Figur
von Tmesis benutzt, wobei Morpheme eines Wortes getrennt werden:

Ῥώµην (...) µητέρα πασάων πολίων, „Rom (...) Mutter aller Städte, d.h. die Metropolis“ (v. 356),
Λευκὴν ἐπὶ πέτρην, „Leukopetra“ (v. 363), Πέλοπος δ' ἐπὶ νῆσος, „Peloponnesos“ (v. 403).

Diese stilistische Figur ist schon bei alexandrinischen Dichtern sehr häufig, ohne zu Härte und
Dunkelheit zu führen38:

τήν ποτε Σαυροµάτῃσιν ἐπ᾿ ἀνθρώποισι µίγησαν = ἐπεµίγησαν (v. 656), ζώµατα καὶ νεβρῖδας ἐπὶ
στήθεσσι βαλόντες = ἐπιβαλόντες (Dion. Per. 703), οὐ γὰρ ἐν ὄλβῳ / ἴσην µοῖραν ἅπασιν ἐπ'
ἀνδράσι θήκατο δαίµων = ἐπεθήκατο (vv. 969–970).

II. Satzniveau
Der sorgfältige Versbau zeigt sich in der Vorliebe des Dionysios für verschiedene Variationen
der Wortfolge und der Anordnung eines Verses. So verleihen die ziemlich oft benutzten zwei-
drei- und sogar vierfachen Anaphern (Wortwiederholung am Anfang von aufeinander
folgenden Versen) dem wiederholten Wort einen besonderen Akzent, wodurch die
Aufmerksamkeit des Lesers auf eine Passage gelenkt wird.
Die meisten Anaphern bilden die geographischen Eigennamen: Θύµβρις / Θύµβρις /
Θύµβρις (vv. 352–354), Ῥήβας / Ῥήβας / Ῥήβας (vv. 794–796), Ἴλιον / Ἴλιον / Ἴλιον /

37
Wobei in der oben genannten Arbeit von WIFSTRAND (1933, 91) Dionysios Periegetes zur
„alexandrinischen“ Stilgruppe gerechnet wurde, da er „sparsam ist und nur einige wenige
homerische Verbindungen hat“.
38
MOMMSEN (1895) 810–811.

- 137 -
Teil I. Kap. 4. Die poetische Technik

Ἴλιον (vv. 815–818). Im Fall des Tiber wird mit der Anapher vielleicht die Zentrallage des
Flusses im Abschnitt über die Apenninenhalbinsel betont; gleichzeitig ist die dreifache Tiber-
Anapher mit einer Epanalepse (Wiederholung eines Wortes am Ende des ersten und am
Anfang des zweiten Verses) des Namens von Rom verbunden, was die zentrale Rolle der
Hauptstadt widerspiegelt. Mit der Anapher des Namens des bithynischen Flusses Rheba (der
heutige Riva Deresi) markiert Dionysios den Abschluss seines südpontischen Abschnittes (vv.
762–798) und spielt gleichzeitig auf die dreifache Erwähnung des Rhebas in den Argonautika
des Apollonios Rhodios (Ῥήβαν ὠκυρόην ποταµόν: II 349 = II 650, auch II 789) an, wo er als
einer der Orientierungspunkte für die Argonauten in Bithynien dient. Die einzige vierfache
Anapher im Text der Erdbeschreibung – von Ilion – soll die Folge der homerischen Tradition
ausdrücken. In der Passage über die Perser finden sich zwei Anaphern nicht mit Eigennamen,
sondern mit Beiwörtern: µοῦνοι / µοῦνοι (vv. 1056–1057), χρύσεά τοι / χρύσεα δ᾿ / χρυσῷ δ᾿
(vv. 1059–1061)39, die die Einzigartigkeit dieses Volkes betonen.
Viele Anaphern werden durch eine einfache Wiederholung desselben Wortes im
nächsten Vers gebildet: Καρχεδών / Καρχεδών (vv. 196–197 + v. 195), οἱ πρῶτοι / πρῶτοι δ᾿
(vv. 233–234 + v. 236, auch in vv. 907–908), Αἰόλου / Αἰόλου (vv. 462–463 + v. 461), πάντη
γάρ / πάντη δ᾿ (vv. 1103–1104), was anscheinend eine Variante der Anapher darstellt und
ebenso mehr Aufmerksamkeit auf die Passage ziehen soll. Eigenartig ist die Anapher mit
einem etymologischen Spiel um den Städtenamen Tarsos: Ταρσόν / ταρσόν (vv. 869 – 870 +
v. 868), wo in den aufeinander folgenden Versen nicht nur der Stadtname, sondern auch der
den Namen wiederholende „Pferdehuf“ wiederholt wird.
Den Anaphern ähnlich ist eine andere Art der einfachen stilistischen Wiederholung
eines Wortes in demselben Vers, und zwar Epanalepsen. Die Wiederholung “verdoppelt”
entweder anschaulich das beschriebene geographische Objekt, wie im Fall der zwei Syrten an
der libyschen Küste:

πρὸς δὲ νότον Λιβυκός τε πόρος καὶ Σύρτιος ἀρχὴ


τῆς ἑτέρης· ἑτέρην δ' ἂν ἴδοις προτέρωσε περήσας
„Nach Süden hin aber der Libysche Meeresweg und der Anfang der Syrte,
der einen; die andere dürftest du wohl erblicken, wenn du weiter übergesetzt
hast“ (vv. 477–478);

oder betont das Wort, worauf ein Akzent liegt, wie z. B. in dieser Sentenz:

τοῦτο δ' ἀριστήεσσι ∆ιὸς πάρα δῶρον ὀπηδεῖ


ἀντ' ἀρετῆς· ἀρετὴ γὰρ ἀκήρατον ἔλλαχε τιµήν
„diese Gabe erfolgt den Trefflichsten von seiten des Zeus
für ihre Tugend; denn Tugend erloste unverderbliche Ehre“ (vv. 547–548).

Die Wiederholung von ungewöhnlichen Namen oder akustischen Anklängen soll ebenso die
Aufmerksamkeit des Lesers auf sich ziehen:

39
S. dazu: BOWIE (1990) 74–75; SCHINDLER (2000) 178; HUNTER (2003) 352–356.

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Teil I. Kap. 4. Die poetische Technik

ἔνθα µελισσοβότοιο κατὰ σκοπιὰς Παλλήνης


φύεται ἀστέριος καλὸς λίθος οἷά τις ἀστὴρ
µαρµαίρων
„Da, über die Anhöhen der bienenbeweideten Pallene hin,
wächst der schöne Sternstein, gleichsam ein Gestirn,
ein funkelndes“ (vv. 327–329);

(...) ὁµώνυµον ἵκετο γαῖαν,


οὐ µὲν ἑκὰς Κόλχων· Κόλχων γε µὲν αἶαν ἱκέσθαι
οὔ οἱ ἔην
„ ... gelangte sie (sc. Medea) in ein Land gleichen Namens,
nicht fern zwar den Kolchern; der Kolcher Erde allerdings zu erreichen stand
ihr nicht frei“ (vv. 1026–1028).

Im Text der Erdbeschreibung finden sich auch andere stilistische Wiederholungen, aber
nicht in demselben Vers, sondern im nächsten oder sogar übernächsten Vers. Sie stellen ein
typisch episches Element dar und dienen zur Verlangsamung des Rhythmus und zur
gleichzeitigen Verdichtung des Stoffes:

ἠµὲν ὅσοι Θήβην ἐρικυδέα ναιετάουσιν,


Θήβην ὠγυγίην, ἑκατόµπυλον
„zum einen soviele das hochberühmte Theben bewohnen,
Theben, das altehrwürdige“ (vv. 248–249),

vgl.: ὁρµηθεὶς βορέηνδε, καὶ Ἴκαρον εἰσαφίκοιο,


Ἴκαρον εἰναλίην
„nachdem du gen Norden aufgebrochen bist, und wirst wohl nach Ikaros
hingelangen,
Ikaros, der im Meere gelegenen ... “ (vv. 609–610).

Das Erzeugen des epischen Stiles mit Hilfe von Wiederholungen ist besonders bemerkenswert
im folgenden Vergleich des Meeres neben Pamphylien mit einer kriechenden Schlange –
einer Passage, die gleichzeitig voll von homerischen und apollonischen Anspielungen ist40:

Ὡς δὲ δράκων βλοσυρωπὸς ἑλίσσεται, ἀγκύλος ἕρπων,


Νωθής, τῷ δ' ὑπὸ πᾶσα βαρύνεται οὔρεος ἄκρη
Ἐρχοµένῳ· τὼς κεῖνος ἑλίσσεται εἰν ἁλὶ κόλπος,
Νήχυτος, ἔνθα καὶ ἔνθα βαρυνόµενος προχοῇσιν.
Τοῦ µὲν ἐπὶ προχοῇς Παµφύλιοι ἀµφινέµονται
„Wie ein grimmig blickender Drache sich windet, gekrümmt kriechend,
träg, doch unter ihm die ganze Bergesspitze beschwert wird,
wenn er einherzieht, so windet sich jener Golf in der Salzflut,
40
Vgl. Ὡς δὲ δράκων, Hom. Il. XXII 93, Apoll. Rhod. IV 1541, Γοργὼ βλοσυρῶπις, Hom. Il.
XI 36, vgl. Il. VII 212: βλοσυροῖσι προσώπαισι, XV 608: βλοσυρῆσιν ὑπ᾿ ὀφρύσιν; einen
Vergleich mit den Bewegungen der Schlange trifft man auch bei Apollonios Rhodios an (IV
1541–1547).

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Teil I. Kap. 4. Die poetische Technik

weit ausgegossen, hier und da von Flutmassen beschwert.


An dessen Flut nun siedeln ringsum die Pamphylier“ (vv. 123–127).

Manchmal wird eine epische Wiederholung zur etymologischen Erklärung eines


geographischen Namens:

πάρ' θ' ἱερὴν Γόρτυνα καὶ ἠπειρώτιδα Φαιστόν,


προπρηνής, κριοῖο παραυγάζουσα κάρηνον·
τοὔνεκα καὶ κριοῦ µιν ἐφηµίξαντο µέτωπον
„über das heilige Gortyn und das binnenländische Phaistos hinaus - ,
vornüberhängend, den Anschein eines Widderhauptes gebend;
deswegen machten sie sie auch als Kriumetopon allseits bekannt“
(vv. 88–90),

oder stellt einen visuellen Effekt dar, wie in dem Beispiel vom Tanaisfluss, der Europa von
Asien trennt:
συρόµενος Τάναϊς Μαιώτιδος ἐς µέσα πίπτει,
ὅστε καὶ Εὐρώπην ἀποτέµνεται Ἀσίδος αἴης,
ἐς δύσιν Εὐρώπην, ἐς δ' αὐγὰς Ἀσίδα γαῖαν
„sich hinziehend, der Tanais in die hintersten Winkel der Mäotis stürzt,
welcher auch Europa sich abschneidet vom Asiatischen Land,
gen Sonnenuntergang Europa, zum Frühlicht hin aber das Asiatische Land“
(vv. 660–662),

oder im nächsten Fall mit drei verschiedenen Winden über drei Meeren:

Τυρρηνῇ Σικελῇ τε καὶ Ἀδριάδι πληθούσῃ·


ἡ µία δ' εἰς ἄνεµον τεκµαίρεται ὁλκὸν ἑκάστη,
Τυρρηνὴ ζέφυρον, Σικελὴ νότον, Ἀδριὰς εὖρον
„(sc. von drei Meeren rings umlaufen),
dem Tyrsenischen, dem Sikelischen und dem strotzenden Adriatischen;
ein jedes einzelne aber legt seinen Zug auf einen Wind hin fest,
das Tyrsenische auf den Zephyr, das Sikelische auf den Notos, das Adriatische
auf den Euros hin“ (vv. 100–102).

Die Wiederholungen werden von Dionysios auch gerne bei der Beendung einer Passage
benutzt, z. B. am Ende seiner Beschreibung Italiens, wie ein Schlussakkord:

ἑξείης δ' ἐπὶ τοῖσι Καλαβρίδος ἤθεα γαίης,


φῦλά τ' Ἰηπύγων τετανυσµένα µεσφ' Ὑρίοιο
παραλίης, Ὑρίου, τόθι σύρεται Ἀδριὰς ἅλµη
πόντον ἐς ἀγχίπορον Ἀκυλήϊον ἔνθα νένασται
ἄστυ Τεγεστραίων, µυχάτου ἐπὶ πείρασι πόντου
„Anschließend aber an diese die Wohnsitze des Kalabrischen Landes
und die Stämme der Iapygier, ausgedehnt bis nach Hyrios,
dem am Meer gelegenen, Hyrios, wo die Adriatische Salzflut sich hinschleppt
zum nahebei verlaufenden Akyleischen Meer, wo angesiedelt ist

- 140 -
Teil I. Kap. 4. Die poetische Technik

die Stadt der Tegesträer – an den schlupfwinkelig-innersten Enden des Meeres“


(vv. 378–382)41.

Mit Hilfe der stilistischen Figur der Anadiplose spielt Dionysios mit dem Aussehen
seiner Verse und ihrem Inhalt. Die ursprüngliche Bedeutung des Begriffs (buchstäblich
„Verdoppelung“ oder „Ausbuchtung“) wird in den durch ihn gebildeten Wörtern
widergespiegelt, z. B. schneidet der Fluss Tiber Rom in zwei Teile, was auch in den Versen
anschaulich gezeigt wird:

Θύµβρις, ὃς ἱµερτὴν ἀποτέµνεται ἄνδιχα Ῥώµην,


Ῥώµην τιµήεσσαν
„der Thymbris, welcher sich entzweischneidet das holde Rom,
Rom, das verehrte, das große Haus meiner Herren“ (vv. 355–356);

Mit der gebogenen Figur der Anadiplosis wird eben die runde Form des Grabmals von
Harmonia und Kadmos illustriert –
κεῖνον δ' αὖ περὶ χῶρον ἴδοις περιηγέα τύµβον,
τύµβον, ὃν Ἁρµονίης Κάδµοιό τε φῆµις ἐνίσπει
„An jenem Golf aber dürftest du wohl ein hochberühmtes Grabmal erblicken,
das Grabmal, welches die Kunde als das der Harmonia und des Kadmos
vermeldet“ (vv. 390–391),

– sowie die der Insel Patalene in der Indusmündung anschaulich wiedergegeben:

δισσὰ δέ οἱ στόµατ' ἐστί· µέσην δ' ἐπιδέδροµε νῆσον,


νῆσον, τὴν καλέουσιν ἐπιχθόνιοι Παταλήνην
„Zwei Mündungen hat er (sc. der Indus): ist er doch auf eine inmitten liegende
Insel aufgelaufen,
eine Insel, welche die Einheimischen Patalene nennen“ (vv. 1092–1093),

und auch das Schlingen des Drachens um den heiligen Dreifuß im Apollon-Tempel in Delphi
betont:
∆ελφύνης τριπόδεσσι θεοῦ παρακέκλιται ὁλκός,
ὁλκός, ἀπειρεσίῃσιν ἐπιφρίσσων φολίδεσσι
„der Delphyne Leibesstrang um die Dreifüße des Gottes gebogen ist,
der Leibesstrang, von unendlichen Schuppen starrend“ (vv. 442–443).

Vgl. über das Kaspische Meer als einen der Ozeangolfe:

τρισσοὺς γὰρ ἑλίσσων


κόλπους κυµαίνοντας ἐρεύγεται, ἔνδοθι βάλλων,

41
Zu den anderen stilistischen Wiederholungen im Text des Dionysios s. vv. 89–90, 102–103,
109–111, 123–125 + 124–126, 156–158, 167–168, 174–175, 268–269, 269–273, 276–277 +
279, 322–323, 332–334, 357–359, 395–396, 401–403, 413–414, 507–508, 536–538, 543–544,
576–578, 609–610, 661–662, 729–730.

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Teil I. Kap. 4. Die poetische Technik

Περσικὸν Ἀράβιόν τε καὶ Ὑρκάνιον βαθυδίνην,


τοὺς δύο µὲν νοτίους, τὸν δ' ἐς βορέην ὁρόωντα,
ἐς βορέην ὁρόωντα καὶ εἰς λίβα γείτονα πόντου
Εὐξείνου, τόθι φῶτες ἀπείριτοι ἀµφινέµονται
„... denn drei wälzt er (sc. der Ozean)
wogende Golfe, und speit er aus, Salzflut hineinwerfend,
den Persischen, den Arabischen und den tiefstrudelnden Hyrkanischen;
die einen beiden als südliche, den anderen aber als nach Norden blickenden,
nach Norden blickenden und zum Libs hin benachbart dem Pontos“
(vv. 630–635).

Die ursprüngliche „Verdoppelung“, oder besser gesagt, die Zugehörigkeit zu den beiden
angeführten geographischen Objekten findet sich im Beispiel des Isthmus zwischen dem
Schwarzen und dem Kaspischen Meer:

τοῦ δὲ πρὸς ἀντολίην βορέην ἐπικέκλιται ἰσθµός,


ἰσθµὸς Κασπίης τε καὶ Εὐξείνοιο θαλάσσης
„Gegen dessen Osten und Norden hin aber ist eine Landenge angelehnt,
die Landenge zwischen dem Kaspischen und dem Euxeinischen Meer“
(vv. 695–696).

Mit den Augen ist auch eine Art von Inversion wahrzunehmen, und zwar der Chiasmus,
wobei zwei parallele Glieder in aufeinander folgenden Versen in der umgekehrten Richtung
platziert werden:

κόλπους δ' ἔνθα καὶ ἔνθ' ἀπερεύγεται, ἔνδοθι βάλλων


εἰς ἅλα, τυτθοὺς µὲν πλέονας, πίσυρας δὲ µεγίστους·
ἤτοι µὲν πρώτιστον, ὃς ἑσπερίην ἅλα τίκτει
„Meerbusen aber speit er (sc. der Ozean) hier und da aus,
Salzflut hineinwerfend ins Innere; kleinere zwar mehr, doch vier sehr große:
wohlan nun, als allerersten den, der die westliche Salzflut gebiert“
(vv. 43–45),

vgl. ἴχνεσιν ὀρθότατον· Ταῦρον δέ ἑ κικλήσκουσιν,


οὕνεκα ταυροφανές τε καὶ ὀρθόκραιρον ὁδεύει
„in seinen Spuren höchst gerade, Tauros rufen sie es –
deswegen, weil es stiergestaltig und spitzen Hauptes seines Weges zieht“
(vv. 641–642).

Visualisation des Sinnes (Figurverse)


Außer den zwei oben besprochenen Akrosticha im Text der dionyseïschen Erdbeschreibung
mit den Hinweisen auf den Namen und auf die Lebenszeit des Autors42 gibt es im Gedicht
noch ein Akrostichon des sogenannten „Gamma-Typs“ 43:

42
Mehr dazu s. oben Teil I. Kap. 1. Titel, Inhalt, Autorschaft.

- 142 -
Teil I. Kap. 4. Die poetische Technik

306 Ταῦροί θ', οἳ ναίουσιν Ἀχιλλῆος δρόµον αἰπὺν,


στεινὸν ὁµοῦ δολιχόν τε, καὶ αὐτῆς ἐς στόµα λίµνης.
Τῶν δ' ὑπὲρ ἐκτέταται πολυΐππων φῦλον Ἀλανῶν.
Ἔνθα Μελάγχλαινοί τε καὶ ἀνέρες Ἱππηµολγοί,
Νευροί θ' Ἱππόποδές τε Γελωνοί τ' ἠδ' Ἀγάθυρσοι·
Ἡχι Βορυσθένεος ποταµοῦ τετανυσµένον ὕδωρ
312 µίσγεται Εὐξείνῳ Κριοῦ προπάροιθε µετώπου
„Und die Taurer, welche wohnen auf dem schroffen Achilleuslauf,
dem engen und zugleich langen, und bis zur Einmündung des Sees selbst.
Über diese aber hinaus liegt der Stamm der pferdereichen Agauer ausgebreitet;
da sind auch die Melanchlainer und die Hippemolgenmänner,
die Neurer und Hippopoden, Gelonen und Agathyrser;
da mischt sich das ausgedehnte Wasser des Borysthenesflusses
mit dem Euxeinos, im Angesicht von Kriumetopon“ (Dion. Per. 306–312).

Dieser Akrostichon-Typ unterscheidet sich von den Akrosticha mit der Autorenunterschrift
und findet sich zum ersten Mal bei Arat (ΛΕΠΤΗ: Phaen. 783–787)44. In den Versen 306–
307 der Periegese geht es um den so genannten „Achilleuslauf“, eine schmale Landzunge
(vgl. v. 307: στεινόν, „schmal, eng“, Akrostichon: στενή) zwischen der Borysthenesmündung
und dem Karkinitischen Meerbusen. Das akrostichisch gebildete Wort στενή weist also einen
Bezug zum Inhalt der Verse auf, von denen es gebildet wird45. Auf die Verbindung des
Akrostichons mit dem Kontext weist auch M. KORENJAK in seinem neulich erschienenen
Artikel hin, der darin sogar eine absichtliche Anspielung des Dionysios auf das Akrostichon
ΛΕΥΚΗ in der homerischen Ilias (XXIV 1–5) sieht und seine Idee mit sehr subtielen
Argumenten untermauert46. Das Akrostichon ΣΤΕΝΗ des Dionysios wiederholt außerdem
den Wortgebrauch des Poseidonios (Posid. F 200а 11 Edelstein – Kidd = Agathem. I 2, wo
der Begriff στενή mit σφενδόνη „Schleuder“ verbunden ist); dies lässt vermuten, dass
Dionysios in seinem Abschnitt über die Völker nördlich des Istros (vv. 302–310) auch die
Daten des Poseidonios (vgl. Posid. F 277a 25–33 Edelstein – Kidd = Strabo VII 3, 2–7 C
296–301, wo Mysier, Hippemolgen, Galaktofagen und Abier erwähnt wurden), oder seine
späteren Bearbeitungen als Quelle verwenden konnte47.
In anderen Fällen benutzt Dionysios seine Verse oder einzelne Wörter, um einen
visuellen Eindruck zu machen. So nennt er bei der Beschreibung Siziliens den zweiten – in
der Antike wohl verbreiteten – Namen der Insel „Trinakrien“ (d. h. „Dreispitzige“) und spielt
damit, indem er die ihre Umrisse bildenden drei Kaps zuerst alle zusammen in einem Vers

43
Der Begriff stammt von G. MORGAN (1993) 142–145, der auch erklärt (144 f.), weshalb die
Chance, dass ein Gamma-Akrostichon zufällig zustande kommt, minimal ist. Der Terminus
auch bei DANIELEWICZ (2005) 322.
44
Zu den sprachlichen Anklängen an das Gedicht des Arat s. auch bei: ANHUT (1888) 12 f.;
EFFE (1977) 192–194.
45
Dieses dritte Akrostichon wurde von P. COUNILLON (1981) bes. 519–522 entdeckt; zur
Verbindung mit dem Inhalt s. auch: BRAND (1992) 314–315; FRUHWIRTH (1990) 17.
46
KORENJAK (2009) 392–396.
47
BERNAYS (1905) 54–55.

- 143 -
Teil I. Kap. 4. Die poetische Technik

anführt (v. 469) und dann jedes Kap im jeweils folgenden Vers wiederholt (vv. 470–472), was
insgesamt die visuelle Gestalt eines Dreiecks, d. h. Siziliens, schafft:

Τρινακρίη δ' ἐπὶ τῇσιν ὑπὲρ πέδον Αὐσονιήων


ἐκτέταται, πλευρῇσιν ἐπὶ τρισὶν ἑστηυῖα·
ἄκρα δέ οἱ Πάχυνός τε Πελωρίς τε Λιλύβη τε.
ἀλλ' ἤτοι Λιλύβη µὲν ἐπὶ ῥίπην ζεφύροιο
εἰσανέχει, Πάχυνος δὲ πρὸς αὐγάς, αὐτὰρ ἐπ' ἄρκτους
ἠνεµόεσσα Πελωρίς, ἐς Αὐσονίην ὁρόωσα,
„Trinakrien aber, auf diese folgend, liegt über den Boden der Ausonier hinaus
ausgedehnt, auf drei Seiten ruhend:
als Spitzen hat es Pachynos und Peloris und Lilybe.
Aber wohlan, Lilybe nun ragt gegen den Ansturm des Zephyros hin
hervor und empor, Pachynos aber dem Frühlicht zu, gegen Norden wiederum
die windgepeitschte Peloris, nach Ausonien blickend“ (vv. 467–472).

Auf ähnliche Weise spielt Dionysios mit den Versen, in denen er die Teilung Libyens
von Asien durch den Nil beschreibt:

ὅς ῥά τε καὶ Λιβύην ἀποτέµνεται Ἀσίδος αἴης,


ἐς λίβα µὲν Λιβύην, ἐς δ' αὐγὰς Ἀσίδα γαῖαν,
„und er schneidet sich auch Libyen ab vom Asiatischen Land,
zum Libs hin Libyen, zum Frühlicht hin das Asiatische Land“ (vv. 230–231).

Die Wiederholung der Kontinentennamen Libyens und Asiens in den benachbarten Versen
widerspiegelt die Funktion des Nils als eines Grenzflusses und betont die Symmetrie des
schematischen Weltbildes des Dionysios48. In v. 747 platziert Dionysios das Wort „Mitte“ in
der Mitte des Verses:

Σουγδιάς, ἧς διὰ µέσσος ἑλίσσεται ἱερὸς Ὦξος,


„Sogdien, über dessen Mitte hin der heilige Oxos sich windet“.

Dies alles zeugt von der sorgfältigen Vorbereitung des Dichters, seiner Fähigkeit, den Stoff
den Versen unterzuordnen, und von seinem Wunsch, mit dem aufmerksamen Leser zu
spielen.

III. Sprachniveau (Tropen, Figuren u. ä.)


Im Text des Dionysios finden sich auch Synekdoche, die Metonymienart, bei der das Ganze
durch einen Teil bezeichnet wird (wie z. B. im Fall des poetischen Wortes „Dachbalken“
(µέλαθρον), womit in v. 255 der Tempel des Zeus Sinopites und in v. 357 das Heiligtum der
Parthenope bezeichnet werden), Metaphern, bei denen die Eigenschaften nach der
Ähnlichkeit oder nach dem Kontrast entlehnt werden: Εὐξείνου παρὰ χεῖλος ... Πόντου, „an
48
Zu ähnlichen visuellen Versen s. auch unten: Teil II. Kap. 9. Pontische Gewässer und
Gebirge (zur Maiotis und zum Bosporos Kimmerios, vv. 163–168, zum Tanais, vv. 660–662
und zur Kirkeischen Ebene, v. 692).

- 144 -
Teil I. Kap. 4. Die poetische Technik

des Euxeinos Lippe entlang“ (v. 763), oder Periphrasen, die Dionysios sehr gerne bei den
geographischen Namen benutzt, nicht nur um dem toponymischen Wortschatz einen
Gestaltcharakter zu geben, sondern auch um seine eigene Gelehrsamkeit und dichterische
Meisterschaft zu zeigen. Nur im Abschnitt über Ägypten, d. h. über seine Heimat, verwendet
Dionysios in 8 Versen vier Periphrasen auf einmal:

Μακηδόνιον πτολίεθρον „Makedonische Stadt = die Stadt Alexandria“ (v. 254), Σινωπίταο ∆ιὸς
µεγάλοιο µέλαθρον „des großen Zeus Sinopites Wohnung = Tempel des Serapis“ (v. 255), µακραὶ
... σκοπιαὶ Παλληνίδος Εἰδοθεείης „die mächtigen Aussichtswarten der Pallenierin Eidothea = die
Insel Pharos“ (v. 259), Πηλῆος πτολίεθρον ἐπώνυµον „nach Peleus zubenannte Stadt = die Stadt
Pelusion“ (v. 261).

Es gibt auch andere Beispiele von Periphrasen der geographischen Namen:

πρόσθε γε µὴν Ἰσθµοῖο πρὸς αὐγὰς Ἀττικὸν οὖδας, / τοῦ διὰ θεσπεσίου φέρεται ῥόος Ἰλισσοῖο, /
ἔνθεν καὶ Βορέης ποτ' ἀνήρπασεν Ὠρείθυιαν „Unterhalb nun fürwahr des Isthmos – nach Osten zu
– der Attische Boden, durch welchen sich die Flut des göttlichen Ilissos trägt, von wo auch Boreas
einst die Oreithyia fortriß“ (vv. 423–425) = die Stadt Athen; τῷ πάρα Πυθῶνος θυόεν πέδον, ἧχι
δράκοντος / ∆ελφύνης τριπόδεσσι θεοῦ παρακέκλιται ὁλκός ... „An dessen Seite Pythons
weihrauchduftender Boden, wo der Schlange Delphyne Leibesstrang um die Dreifüße des Gottes
gebogen ist ...“ (vv. 441–442) = die Stadt Delphi; ὕδωρ Ἀθαµαντίδος Ἕλλης „Wasser der
Athamastochter Helle“ (v. 515) = die Meerenge Hellespont49.

Für die poetische Technik des Dionysios Periegetes ist die Klangmalerei kennzeichnend;
eine ihrer Variationen stellt die Alliteration dar, worunter man den Gleichklang im Anlaut
versteht, also eine Verbindung von Wörtern, die mit demselben Laut oder denselben Lauten
beginnen50. Die Klangmalerei in einem Text, der fürs Lesen mit den Augen bestimmt ist,
fordert vom Dichter eine vollkommene Beherrschung der Sprache und des Metrums, kein
Element darf dabei (im Unterschied zur oralen Dichtung) zufällig sein.
(а) Klangmalerei: über die Flüsse – µορµύρεται, v. 82; µορµύρων, v. 134; µορµύρουσι, vv.
315, 664, 784 – vom Verb µορµύρω „brausen, murmeln“; κελαρύζει, vv. 440, 832 – vom
Verb κελαρύζω „rauschend strömen, plätschern“; κυλινδοµένοιο, v. 397; κυλίνδει, v. 626;
κύλινδρον, v. 1076 – vom Verb κυλίνδω „wälzen, rollen“.
(b) Alliteration:

ἐς λίβα µὲν Λιβύην, ἐς δ' αὐγὰς Ἀσίδα γαῖαν


„zum Libs hin Libyen, zum Frühlicht hin das Asiatische Land“ (v. 231),

∆ωδώνης ἤπειρος ἀπείριτος ἐστεφάνωται

49
Zu den dionyseïschen Periphrasen der geographischen Objekte am Schwarzen Meer s.
unten Teil II. Angaben des Dionysios Periegetes über das Schwarzmeergebiet.
50
S. dazu: DEFRADAS (1958) 37–38.

- 145 -
Teil I. Kap. 4. Die poetische Technik

„liegt Dodonas Festland, das endlose, ausgedehnt“ (v. 430)51,

Κηφισοῦ µέγα χεῦµα κατερχόµενον κελαρύζει


„hinabsteigend, plätschert des Kephisos mächtiger Guß“ (v. 440)52,

Ἱρήν, ἣν ἐνέπουσι κάρην ἔµεν Εὐρωπείης


„der Heiligen, welche, wie sie künden, das Kopfende Europas sei“ (v. 562),

ἀνθρώπων ἀπάνευθεν ἀλώµενος ἐνδιάασκεν


„fernab der Menschen umherirrend, er unter freiem Himmel sein Leben zubrachte“ (v. 873).

In vv. 73–85 finden sich bei der Beschreibung der Teile des Mittelmeers praktisch in jedem
Vers die Lautverbindungen ἐπ(-) / ἠπ-, die ebenfalls ein Beispiel der Klangmalerei darstellen
und gleichzeitig den Rythmus der sich hinaufwälzenden Wellen wiedergeben.
Dionysios liebt auch die etymologische Spielerei, die eine Verbindung zwischen
einem geographischen Objekt und seinem Namen schafft. Der Gebrauch der Etymologie wird
bei Dionysios zum Interpretationsmittel, denn er erklärt das Wesen eines geographischen
Objektes durch den äußerlichen Anklang der Namen, z. B.:

τὴν δὲ µετ' Αἰόλου εἰσὶ περίδροµοι εἰν ἁλὶ νῆσοι, / (...) ἑπτὰ δέ τοι ταί γ' εἰσίν, ἐπώνυµοι
ἀνδράσι Πλωταί, / οὕνεκα µέσσον ἔχουσι περίπλοον ἀµφιέλικτον, „Nach dieser wiederum
liegen ringsumlaufen in der Salzflut des Aiolos Inseln, / (...) Zu siebent aber sind ihm ebenjene,
Ploten von den Menschen zubennant - / deswegen, weil sie zwischen einander eine
rundherumlaufende Umschiffung gewähren“ (vv. 461–466),
vgl. Αἰολίην δ' ἐς νῆσον ἀφικόµεθ'· ἔνθα δ' ἔναιεν /Αἴολος Ἱπποτάδης, φίλος ἀθανάτοισι θεοῖσι,
/ πλωτῇ ἐνὶ νήσῳ· πᾶσαν δέ τέ µιν πέρι τεῖχος / χάλκεον ἄρρηκτον, λισσὴ δ' ἀναδέδροµε πέτρη
(Hom. Od. X 1–4)53;

ἔστι δέ τις καὶ σκαιὸν ὑπὲρ πόρον Εὐξείνοιο / ἄντα Βορυσθένεος µεγαλώνυµος εἰν ἁλὶ νῆσος /
ἡρώων· Λευκήν µιν ἐπωνυµίην καλέουσιν, / οὕνεκά οἱ τάπερ ἔστι κινώπετα λευκὰ τέτυκται,
„Es gibt aber eine auch über den linken Verlauf des Euxeinos hinaus, / dem Borysthenes
gegenüber, eine Insel in der Salzflut mit großem Namen, / die der Heroen; Leuke nennen sie sie
mit Beinamen - / deswegen, weil ihr das Getier, welches darauf ist, weiß beschaffen ist“ (vv.
541–544);

Ταῦρον δέ ἑ κικλήσκουσιν, / οὕνεκα ταυροφανές τε καὶ ὀρθόκραιρον ὁδεύει, / οὔρεσιν


ἐκταδίοισι πολυσχιδὲς ἔνθα καὶ ἔνθα,
„Tauros rufen sie es - / deswegen, weil es stiergestaltig und spitzen Hauptes seines Weges zieht,
/ in ausgedehnten Gebirgen vielfach gespalten hier und da“ (vv. 641–643);

51
Die Alliteration in diesem Vers wurde bereits von Eustathios in seinem Kommentar
bemerkt (ad Dion. Per. 428).
52
MOMMSEN (1879) 79.
53
Zur Parallele s.: GÖTHE (1875) 30; RASCHIERI (2004) 87.

- 146 -
Teil I. Kap. 4. Die poetische Technik

µέσην διὰ Ταρσὸν ἰόντος, / Ταρσὸν ἐϋκτιµένην, ὅθι δή ποτε Πήγασος ἵππος, / ταρσὸν ἀφείς,
χώρῳ λίπεν οὔνοµα,
„welcher mitten durch Tarsos geht, / Tarsos, das wohlgegründete, wo ja einst das Pegasospferd
/ durch Ablegen seines Hufabdrucks dem Platz den Namen hinterließ“ (vv. 868–870);

ἣν Κοίλην καλέουσιν ἐπώνυµον, οὕνεκ' ἄρ' αὐτὴν / µέσσην καὶ χθαµαλὴν ὀρέων ὑπὸ πρῶνες
ἔχουσιν, / ἑσπερίου Κασίοιο καὶ ἠῴου Λιβάνοιο,
„welches sie Beckensyrien mit Beinamen nennen – deswegen füglich, weil es, / in der Mitte
liegend und gesenkt, die Anhöhen der Berge unten umfassen: / des westlich gelegenen Kasion
und des östlich gelegenen Libanos“ (vv. 899–901).

4.4 Epische Elemente


I. Formelstil
Zu den mündlichen Epen gehört der Gebrauch der Formel, der sich wiederholenden
Redewendungen. In späteren schriftlichen Texten wirkt die Formelhaftigkeit eher künstlich,
man kann damit aber den epischen Stil gut nachahmen, vgl. in der Erdbeschreibung:

νῆσος ἀπείριτος, ἐστεφάνωται /, v. 4 = ἤπειρος ἀπείριτος ἐστεφάνωται/, v. 430;


(Πηλῆος) πτολίεθρον ἐπώνυµον ἄνδρες ἔχουσιν /, v. 261 = (ἐκ τῆς καὶ) πτολίεθρον ἐπώνυµον
ἄνδρες ἔχουσιν /, v. 779;
πολλὸν ἀνερχοµένη, δισσῇ ζωσθεῖσα θαλάσσῃ /, v. 400 = v. 928;
(µέσφ' αὐτῆς) Συρίης τε καὶ Ἀραβίης ἐρατεινῆς /, v. 802 = (εἱλεῖται) Συρίης τε καὶ Ἀραβίης
ἐρατεινῆς /, v. 925.

Dionysios ist darin nicht einzigartig und folgt einfach der Tradition, vgl.:

εἰν ἁλὶ νῆσοι / (Dion. Per. 461, 554) ~ Apoll. Rhod. IV 564, Call. h. Del. 196;
φαείνεται ἀνθρώποισι / (Dion. Per. 451, vgl. 36: ἀνθρώποισι φαείνεται ) ~ Arat. 135;
(νῆσος) ἀπείριτος ἐστεφάνωται / (Dion. Per. 4), (ἤπειρος) ἀπείριτος ἐστεφάνωται / (Dion. Per.
430), ῥόος ἐστεφάνωται / (Dion. Per. 555) ~ ἐστεφάνωται / (Hom. Il. V 739, XVIII 485, Od. X
195: (πόντος) ἀπείριτος ἐστεφάνωται /);
ἄλλυδις ἄλλῃ (Dion. Per. 225, 449) ~ Hom. Il. XIII 279, Od. V 369, IX 458, XI 385 etc.; Arat.
68: ἄλλυδις ἄλλη;
(...) εἰς ἁλὶ (...) / (Dion. Per. 125, 144, 458, 461, 542, 554, 604 – am Anfang, 1181) ~ Hom. Od.
I 162: εἰς ἁλὶ κῦµα κυλίνδει /, VII 244 = IX 25: εἰς ἁλὶ κεῖται /; Apoll. Rhod. I 831, III 1294, IV
564: εἰς ἁλὶ νῆσοι / = Dion. Per. 554, IV 792, 983: εἰς ἁλὶ νῆσος / = Dion. Per. 542, IV 1637:
εἰς ἁλὶ νήσων /, Arat. 158, Call. h. 4 (in Del.), 3, 196: εἰς ἁλὶ νῆσοι / = Dion. Per. 554.

II. Synonyme
Um den epischen Stil in seinem Gedicht zu betonen, benutzt Dionysios mehrere
Synonyme. Beispielsweise verwendet Dionysios für die dichterische Bezeichnung der Flüsse
am häufigsten das traditionelle Wort ποταµός „Fluss“ (29mal, dabei ist die Pluralform
häufiger als die Singularform) und das neutrale [ποταµοῦ / ποταµών] ὕδωρ „[Fluss-]Wasser“
(19mal, 10mal davon in der Pluralform). Danach folgen der Häufigkeit nach προχοαί

- 147 -
Teil I. Kap. 4. Die poetische Technik

„Mündung“ oder „sich ergießende Fluten, Wassermassen“ (in Bezug auf die Flüsse 11mal,
außerdem wird das Wort von Dionysios fünfmal in Verbindung mit Meeren benutzt), ῥόος
„Lauf“ (10mal für Flüsse, dabei einmal in der weiblichen Form ῥοαί für den Fluss Halys: v.
784; außerdem für die Ozeanströmungen) und χεῦµα „Flut, Strom, Wasser“ (7mal im
Gedicht, zweimal davon über die Flüsse). Selten verwendet Dionysios das Lexem δίνη
„Strudel“, das den brausenden Strom der Flüsse betont, die meistens ihre Quelle in den
Bergen haben (dreimal im Singular für den Acheloos: v. 497, den Rhein: v. 567 und den
Meandros: v. 824, und einmal im Plural für den Paktolos: v. 832), und das Wort ῥέεθρον
„Strom, Strahl“ (einmal im Singular für den Rhebas: v. 794, zweimal im Plural für den
Alpheios und den Eurotes: v. 412, und für den Kios: v. 806), nur einmal wird χαράδρα
„Waldstrom“ erwähnt (bei der Beschreibung des Bergflusses in Persien, der in seinem Wasser
den Stein Achat enthält, v. 1077). Zweimal bezeichnet Dionysios mit dem Wort ὁλκός die
Flussläufe (des Acheloos: v. 433, und des Mardos: v. 733)54. Auf ähnliche Weise spielt
Dionysios in aufeinander folgenden Versen mit verschiedenen Wörtern für „wo“: ἔνθα
Μέλας, ὅθι Κρᾶθις, ἵνα ῥέει ὑγρὸς Ἰάων, / ἧχι καὶ ὠγύγιος µηκύνεται ὕδασι Λάδων, „wo der
Melas, wo der Krathis, wo der feuchte Iaon fließt, / wo auch der altehrwürdige Ladon lang
sich hinzieht mit seinen Wassern“ (vv. 416–417).

III. Epitheta
Auffallend ist auch der Gebrauch der Epitheta, deren Menge wohl am meisten auffällt:
Tatsächlich steht selten ein Substantiv ohne ein schmückendes oder ausmalendes Epitheton55.
Die ausgedehntere Anwendung von Epitheta kann man natürlich vor allem mit dem
didaktischen Gegenstand des dionyseïschen Gedichtes erklären. Im Gebrauch von Epitheta
wiederholt Dionysios aber auch den homerischen Usus, wenn er solche Attribute verwendet,
die gleichzeitig charakteristische Eigenschaften bezeichnen. Am Beispiel der Gewässer kann
man vielfältige Beiwörter beobachten: Um die Größe eines Flusses zu betonen, nennt ihn
Dionysios ἀπειρεσίος „unermeßlich; grenzlos“, ἄσπετος „unendlich; gewaltig“, πλατύς
„breit“. Von den raschen Strömungen der Flüsse sprechen solche Beiworte wie ἐνυάλιος
„kriegerisch“, λαβρότατος „der stürmischste“, ὤκιστος „rasch“, θοώτερον „der schnellste,
beweglichste“, von ihrem Fließen – ὑγρός „weich; sanf gleitend“, vom Lauf – πλωτός
„schiffbar“ oder κρυµώδης „eiskalt“. Andere Adjektive betonen die Schönheit eines Flusses:
χαρίεις „reizend; lieblich“, ἐρατεινός „lieblich“, ἱµεροείς „reizend“, εὐρρείτης und εὔρροος
„schönfliessend“. Dionysios verwendet auch Beiworte aus der archaischen Epoche: ὠγύγιος

54
Vgl. CUSSET (2004) 203–216: hier wird das Wortfeld der Flüsse bei Dionysios mit dem
ähnlichen Wortschatz aus den Argonautika des Apollonios Rhodios verglichen.
55
Zum Vergleich stehen bei Apollonios Rhodios in den ersten hundert Versen des 2. Buches
40 Attribute, in den vv. 576–675 des dritten Buches gleichfalls 40 Attribute; in dem
hellenistischen Kleinepos (Theokritos) XXV haben die Verse 51–150, die fast nur Erzählung
enthalten, weniger als vierzig Attribute, während sich bei Nonnos mehr als 120 Attribute in
den ersten 100 Versen des 2. Buches der Dionysiaka finden, und die ersten hundert Verse des
42. Gesangs enthalten mehr als 100 Epitheta (die Angaben aus WIFSTRAND (1933) 80). In der
Erdbeschreibung des Dionysios enthalten die vv. 299–398 mehr als 70 Attribute, und die vv.
910–1010 etwas mehr als 50.

- 148 -
Teil I. Kap. 4. Die poetische Technik

„uralt“, βασιλεύτατος „der königlichste“, καλλιρόος „schönfliessend“, ἀργυροδίνης


„silberstrudelnd“. Die letzten zwei Eigenschaftsworte gehören zu den Komposita, wie auch
µελανδίνης „dunkelstrudelnd“ und πεντάπορος „fünfströmig“.

1. Homerische Epitheta bei Dionysios


Es wurde zuerst von M. SCHNEIDER und später von U. BERNAYS bemerkt, dass Dionysios
aktiv homerische Epitheta benutzt56. Hier sollen die homerischen Epitheta bei Dionysios
angeführt werden, die die Listen von SCHNEIDER und BERNAYS erweitern. Wie es scheint,
kann man sie zumindest in drei Gruppen einteilen: (1) die Epitheta, die Dionysios
buchstäblich aus den homerischen Texten in denselben Redewendungen entlehnt; (2) die
Epitheta, die Dionysios in synonymischen Redewendungen benutzt; (3) die Epitheta, die
Dionysios mit anderen Substantiven als bei Homer verwendet:

(1) νήσου ἐπ᾿ ἀµφιρύτης (Dion. Per. 452, am Anfang des Verses) - νήσῳ ἐν ἀµφιρύτῃ (Hom. Od. I 50,
198, XII 283, ebenfalls am Anfang des Verses, vgl. XI 325: ∆ίῃ ἐν ἀµφιρύτῃ);
ἐπ᾿ Ὠκεανὸν βαθυδίνην / (Dion. Per. 1149) - ἐπ᾿ Ὠκεανὸν βαθυδίνην / (Hom. Od. X 511);
τετραµµέναι ἄλλυδις ἄλλῃ / (Dion. Per. 449) - τετραµµέναι ἄλλυδις ἄλλη / (Hom. Od. V 71);
Φοινίκων ἀνδρῶν (Dion. Per. 453) - Φοινίκων ἀνδρῶν (Hom. Od. XV 473);
µεγάλοιο ∆ιὸς (Dion. Per. 454) – das Formelepitheton des Zeus bei Homer findet sich einmal in
derselben metrischen Position: µεγάλοιο ∆ιὸς (Hom. Il. XII 241), vgl. Apoll. Rhod. I 1315, II 289,
III 158: µεγάλοιο ∆ιὸς – immer in der mittleren Position, wie bei Dionysios Periegetes;
ἐπὶ προτέρων ἀνθρώπων / (Dion. Per. 455) - ἐπὶ προτέρων ἀνθρώπων / (Hom. Il. V 637, XXIII
332, vgl. Apoll. Rhod. III 919: ἐπὶ προτέρων γένετ᾿ ανδρῶν, Arat. 130: προτέρων ὀλοώτεροι
ἄνδρες);
Αἰόλου Ἱπποτάδαο (Dion. Per. 462) - Αἴολος (...) Ἱπποτάδης (Hom. Od. X 2: Aiolos steht auch am
Anfang des Verses), Αἰόλοο (...) Ἱπποτάδαο / (Hom. Od. X 34: das Beiwort in derselben Form des
56
SCHNEIDER (1882) 21; BERNAYS (1905) 28, n. 53. Vgl. (fettgedruckt sind die bei Schneider
und Bernays fehlenden Parallelen): Ὠκεανοῖο βαθυρρόου (Dion. Per. 3, in der mittleren
Position) - βαθυρρόου Ὠκεανοῖο / (Hom. Il. VII 422, XIV 311, Od. XI 13, XIX 434, am
Versende), πολυκλύστοιο θαλάσσης / (Dion. Per. 143, 863) - πολυκλύστῳ ἐνὶ πόντῳ / (Hom.
Od. IV 354, VI 204, XIX 277); κῦµα πολυφλοίσβοιο θαλάσσης / (Dion. Per. 326) -
πολυφλοίσβοιο θαλάσσης (Hom. Il. I 34, II 209 und VI 347: κῦµα π. θ., IX 182, XIII 798:
κύµατα π. θ., XXIII 59, Od. XIII 85 und 220); Ὠκεανοῦ µεγακήτεος (Dion. Per. 1087) -
µεγακήτεα πόντον (Hom. Od. III 158; vgl. Il. VIII 222 und XI 5: ἐπ᾿ Ὀδυσσῆος µεγακήτεϊ νηῒ
µελαίνῃ /, XI 600: ἐπὶ πρυµνῇ µεγακήτεϊ νηΐ /, XXI 22: δελφῖνος µεγακήτεος), ἀκαµάτου ...
Ὠκεανοῖο / (Dion. Per. 27) - ἀκάµατον πῦρ / (Hom. Il. V 4, XV 598, XV 731, XVI 122,
XVIII 225, XXI 13, XXI 341, XXIII 52, Od. XX 123, XXI 181); Ἀχελώϊος ἀργυροδίνης /
(Dion. Per. 433) - Πηνειῷ (...) ἀργυροδίνῃ (Hom. Il. II 753), ἐς ποταµὸν (...) ἀργυροδίνην
(Hom. Il. XXI 8), ποταµὸς (...) ἀργυροδίνης (Hom. Il. XXI 130); Ὑρκάνιον βαθυδίνην /
(Dion. Per. 632) - ποταµὸς βαθυδίνης / (Hom. Il. XX 73, XXI 143, 212, 228, 329; vgl. XXI
14: Ξάνφου βαθυδινήεντος, XXI 602: παρ ποταµὼν βαθυδινήεντα); Τίγρις ἐϋρρείτης (Dion.
Per. 984, am Anfang des Verses) - Σατνιόεντος ἐϋρρείταο παρ ᾿ ὄχθας (Hom. Il. VI 34),
Αἴγυπτον ἐϋρρείτην (Hom. Od. XIV 257); ἀµετρήτοιο θαλάσσης / (Dion. Per. 1171) -
ἀµέτρητον (...) δαίµων /(Hom. Od. XIX 512), ἀµέτρητος πόνος (Hom. Od. XXIII 249) (also
nie vom Meer bei Homer!); κελαινῶν Αἰθιοπήων (Dion. Per. 179) – κελαινός findet sich sehr
oft bei Homer, aber nie von Völkern.

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Teil I. Kap. 4. Die poetische Technik

Genitivs), vgl. Apoll. Rhod. IV 819-820: Ἱπποτάδην δέ / Αἴολον (...) (mit Aiolos wieder am
Anfang des Verses).

(2) Κεφαλλήνων πτολίεθρα / (Dion. Per. 436) - Κεφαλλήνων πολίεσσι / (Hom. Od. XXIV 355);

(3) νῆσος ἀπείριτος ἐστεφάνωται / (Dion. Per. 430), ἤπειρος ἀπείριτος ἐστεφάνωται / (Dion. Per. 430)
- πόντος ἀπείριτος ἐστεφάνωται / (Hom. Od. X 195): Die Wortverbindung bei Dionysios stellt eine
lexikalische Entlehnung aus dem Text des Homer dar, bei dem das Beiwort ἀπείριτος ein hapax
legomenon ist. Im homerischen Kontext geht es aber um die Insel Aiaia, die vom grenzenlosen
Meer (πόντος ἀπείριτος) umgeben ist, während bei Dionysios mit dem Beiwort die endlose Insel
der Oikumene beschrieben wird. Diese Anspielung kann man als ein Wortspiel des Dionysios mit
dem bekannten Text interpretieren.
ἑσπερίων στηλάων / (Dion. Per. 450) - ἑσπερίων ἀνθρώπων / (Hom. Od. VIII 29);
ἐσχατοώντα Γάδειρα (Dion. Per. 65, 451) - Τρῶας (...) / εἴ τινά που δηΐων ἕλοι ἐσχατόωντα /
(Hom. Il. X 205–206): Es kann sein, dass Dionysios mit dem Gebrauch dieses Epithetons wieder
mit dem Kontext spielt: Es geht dabei um die sich an den gegenüberliegenden Seiten des
Mittelmeeres befindene Troas (bei Homer) und Gadeira (bei Dionysios).
ἁζόµενοι µεγάλοιο ∆ιὸς γόνον Ἡρακλῆα / (Dion. Per. 454) - ἁζόµενοι ∆ιὸς υἱὸν ἑκηβόλον
Ἀπόλλωνα / (Hom. Il. I 21, vgl. Apoll. Rhod. IV 1733: ἁζόµενος – in der Anfangsposition, IV 334:
(...) ἁζόµενοι κούρην ∆ιὸς (...) / );
ἐπήρατος ... Κύρνος / (Dion. Per. 458) - πτολίεθρον ἐ. (Hom. Il. XVIII 512, XXII 121), δαῖς ἐ.
(Hom. Il. IX 228), ἄντρον ἐ. (Hom. Od. XIII 103, 347), εἷµα ἐ. (Hom. Od. VIII 366);
περίδροµοι (...) νῆσοι (Dion. Per. 461) - περίδροµος (sc. κολώνη) (Hom. Il. II 812), (sc. αὐλή)
(Hom. Od. XIV 7): Bei Homer ist die Bedeutung des Beiwortes „rings umlaufbar“, während man
bei Dionysios ein Wortspiel sehen kann: περίδροµος bedeutet hier gleichzeitig „rund; kreisförmig“
und „herumlaufend“ – dies alles über die Inseln des Aiolos.
φιλοξείνου βασιλῆος (Dion. Per. 462, vgl. 206: Λωτοφάγοι φ.) – Hom. Od. VI 121, VIII 576, IX
176, XIII 202 (innerhalb derselben Formel: ἦε φιλόξεινοι, καὶ σφιν νόος ἐστὶ θεουδής), vgl. Pind.
Ol. II 101, Nem. I 20; Call. F 263 Pf. (Hecala), 3; h. 4 (Del.), 156 – für Dionysios ist es wichtig,
mit dem Beiwort die Anspielung auf den homerischen Kontext über die Inseln des Aiolos und über
die Lotophagen zu betonen.

2. Komposita
Eine Art von den Epitheta stellen die Komposita dar, die Dionysios ebenfalls aus den
homerischen Epen entlehnt:

ἀγακλεής (v. 554), ἀγάρροος (vv. 198, 325), ἀπιπρεπέων (v. 232), ἀργυροδίνης (v. 433),
βαθυδίνην (v. 632), βαθυρρόου (v. 3), βλοσυρωπός (v. 123), ἑκατόµπυλον (v. 249), ἐναλίγκιος
(v. 228), ἐννύχιος (v. 574), ἐρικυδέα (v. 248), εὔβοτος (vv. 241, 502, 921), εὐεργής (v. 581),
εὔκτυτος (v. 552), εὐλείµων (v. 241), ἐϋρρείτης (vv. 353, 848, 984, 1152), εὐρυρέοντι (v. 818),
εὐρυχόροιο (v. 825), εὐρύχορος (vv. 537, 825), ἐϋστέφανος (v. 369), θεουδεής (v. 559),
ἠλίβατος (vv. 68, 389, 535, 598, 691, 1150), ἰσοφαρίζω (v. 569), κακοξεινώτερος (v. 742),
καλλίκοµος (v. 503), καλλιρρόος (vv. 246, 289), κυαναυγέος (ἀµφιτρίτης) (v. 169 – das
Beiwort ist selten, vom Meer nur bei Dionysios), λιγύφωνος (v. 529), µεγαθύµων (v. 282),
µελισσόβοτος (v. 327), µεταδήµιος (v. 744), παµφαίνω (vv. 318, 530), πανύστατοι (v. 218),

- 150 -
Teil I. Kap. 4. Die poetische Technik

περίδροµος (vv. 5, 60, 99, 862, 1063), περικτίονες (v. 153), περιµήκετος (v. 599), περιναιέται
(v. 94), vgl. περιναιετάουσιν (vv. 330, 679), πολυήρατον (v. 195), πολυΐππος (v. 308),
πολυκλύστοιο (vv. 86, 143, 863), πολυσπερέων (v. 66), πολύφλοισβος (v. 326), τρίπους (v.
442), φιλόξεινος (vv. 206, 462), χαλκεόφωνον (v. 789) u.a.

Eine andere Gruppe bilden die von Dionysios verwendeten Komposita, die sich bei Homer
nicht finden:

ἀγχίγυοι (v. 215), βαθύκρηµνος (vv. 244, 618, 849, 880), ἔγγονοι (v. 553), ἐριβρεµέτης (v.
578), ἐρίβροµος (v. 576), ἑπταπόρου (v. 264), εὔιππος (v. 213), εὔφραστον (v. 171), κακόφρων
(v. 486), µεγαλόφρονος (v. 790), µεγαλώνυµος (vv. 542, 860), µελάµφυλλος (v. 573),
πολυσχιδές (v. 643), χιονώδης (v. 428), χρυσαυγής (v. 293), u.a.

IV. Gleichnisse
Viele Gleichnisse im Text des Dionysios haben eine Hilfsfunktion neben dem
geographischen Stoff und sind daraufhin orientiert, dem Leser zu helfen, die ihm
mitgeteilten Angaben besser zu behalten, d. h. sie spielen eine didaktische Rolle. Es wurden
schon oben solche Vergleiche der Oikumene mit einer Schleuder, Libyens mit einem
Pardenfell, Indiens mit einem Rhombus u.ä. besprochen57. Eine andere Art stellen
ausführlichere Gleichnisse dar, die nach homerischem Modell gebaut sind und somit zur
poetischen Tradition gehören. Im Text der dionyseïschen Erdbeschreibung gibt es zwei
solche Gleichnisse – der Vergleich des Issischen Golfes mit einer Schlange (vv. 123–126)
und der der Sporaden-Inseln mit den im Himmel strahlenden Sternen (vv. 530–532)58.
Bemerkenswerterweise befinden sich die beiden Gleichnisse innerhalb der Passagen, die
zwei Akrosticha mit den Hinweisen auf den Autorennamen (vv. 112–134) und auf seine
Zeit (vv. 513–532) enthalten. Dies zeugt nicht nur von der verfeinerten poetischen Technik
des Dionysios, sondern auch von der betonten innerlichen Verbindung der beiden
Abschnitte; wahrscheinlich sollen die poetischen Gleichnisse für einen aufmerksamen Leser
diese Passage markieren und dazu beitragen, die Aufmerksamkeit auf die Akrosticha im
Text zu richten.

(1) Ὡς δὲ δράκων βλοσυρωπὸς ἑλίσσεται, ἀγκύλος ἕρπων,


Νωθής, τῷ δ' ὑπὸ πᾶσα βαρύνεται οὔρεος ἄκρη
Ἐρχοµένῳ· τὼς κεῖνος ἑλίσσεται εἰν ἁλὶ κόλπος,
Νήχυτος, ἔνθα καὶ ἔνθα βαρυνόµενος προχοῇσιν,
„Wie ein grimmig blickender Drache sich windet, gekrümmt kriechend,
träg, doch unter ihm die ganze Bergesspitze beschwert wird,
wenn er einherzieht, so windet sich jener Golf in der Salzflut,
weit ausgegossen, hier und da von Flutmassen beschwert“ (vv. 123–126).

In dieser Passage vergleicht Dionysios den Meeresstrom mit einer sich windenden Schlange.
Der Vergleich des Dionysios will nicht mehr als ein anschauliches Bild sein; er ist nicht nur

57
Mehr dazu s. oben Teil I. Kap. 2. Das Weltbild des Dionysios Periegetes.
58
S. dazu auch bei: BRODERSEN (1994) 97; SCHINDLER (2000) 179; HUNTER (2003) 346–347.

- 151 -
Teil I. Kap. 4. Die poetische Technik

formal, sondern auch funktional den anderen Gleichnissen in seinem Werk ähnlich59.
Dionysios benutzt hier nicht nur ein homerisches Gleichnis (Ὡς δὲ δράκων, Hom. Il. XXII 93,
vgl. Apoll. Rhod. IV 1541), sondern auch das markante homerische Epitheton „grimmig
blickend“ (Γοργὼ βλοσυρῶπις, Hom. Il. XI 36, vgl. Il. VII 212: βλοσυροῖσι προσώπαισι, XV
608: βλοσυρῆσιν ὑπ᾿ ὀφρύσιν). Einen Vergleich mit den Bewegungen der Schlange findet
man auch bei Apollonios Rhodios (IV 1541–1547); Dionysios spielt auf das Gleichnis des
Apollonios an und ändert es: In den Argonautika wird der chaotische Weg der Argo über den
See mit einer Schlange verglichen, während in der Periegese die heftigen Meeresströme
zwischen Felsen den Schlangenbewegungen ähneln. Außerdem gibt es in diesem Abschnitt
eine Allusion auf die Verse des Nikander: vgl. νωθεῖς (Nic. Theor. 349) ~ νωθῆς (Dion. Per.
124), ἄκροθεν οὐρή (Nic. Ther. 337) ~ οὔρεος ἄκρη (Dion. Per. 124), βλοσυρόν (Nic. Ther.
336) ~ βλοσυρωπός (Dion. Per. 123)60.

(2) Νῆσοι δ' ἑξείης Σποράδες περὶ παµφαίνουσιν,


Οἷον ὅτ' ἀνεφέλοιο δι' ἠέρος εἴδεται ἄστρα,
Ὑγρὰ νέφη κραιπνοῖο βιησαµένου βορέαο,
„Anschließend aber leuchten klar ringsum die Sporadeninseln,
wie dann durch den wolkenlosen Luftraum hindurch die Gestirne sich
sehen lassen,
sobald die dunstfeuchten Wolken der reißende Boreas in seine Gewalt
gebracht hat“ (vv. 530–532).

Für den Vergleich der Sporaden-Inseln mit den im unbewölkten Himmel strahlenden Sternen
könnten mehrere Vorläufertexte als Modell dienen: Vor allem fallen zwei Abschnitte aus der
Ilias ein (VIII 555–561, wo Lagerfeuer mit den Sternen verglichen werden, und XVI 297–
300, wo Zeus die Wolken vom Himmel räumt). Die den Sternen ähnelnden Inseln findet man
bei Pindar (Paen. VI 125–126, wo Aegina als Stern des Zeus auftritt, und F 33 c, 5–6, wo
Delos als ein Stern beschrieben wird; vgl. die Insel Ἀστερίς bei Hom. Od. IV 846). Auch von
Kallimachos wird der alte Name von Delos, Asteria, erwähnt (h. IV 36–38); schließlich ist ein
Abschnitt aus den Argonautika zu erwähnen (IV 1711–1718), wo eine der Sporaden-Inseln
plötzlich als ein Stern in der dunklen Nacht den Argonauten erscheint und dadurch den
Namen Ἀνάφη, d. h. „Erscheinende“, bekommt61.

4.5 Intertextualität
Bereits im 12. Jh. wies Eustathios in seinem Kommentar zum dionyseïschen Gedicht auf die
Vertrautheit seines Autors nicht nur mit den homerischen und hesiodeischen Epen, sondern
auch mit der hellenistischen Dichtung des Arat, des Apollonios Rhodios und anderer Autoren
hin (Eust. ad Dion. Per. 638); auch die späteren Forscher, die die Frage nach den literarischen
Quellen des Dionysios berührten, bemerkten verschiedene Einflüsse der früheren Tradition

59
BRODERSEN (1995) 97.
60
Dazu siehe: RENGAKOS (1994) 66–67; REEVE (1996–1997) 247–249.
61
HUNTER (2003) 347.

- 152 -
Teil I. Kap. 4. Die poetische Technik

auf den dionyseïschen Text62. Dionysios richtet ständig seinen Blick zurück auf die
archaische Poesie und auf den hellenistischen Alexandrinismus, die für ihn in gleichem Maß
als Muster gelten. Homer, Hesiod und die alexandrinischen Klassiker sind in der
Erdbeschreibung durch intertextuelle Bezüge präsent. Dionysios ist sich sicher, dass seine
gebildeten Leser nicht nur Nutzen aus den von ihm gesammelten geographischen
Kenntnissen, sondern auch Unterhaltung aus den überall im Gedicht befindlichen Bezügen
auf das Spiel mit Homer- oder Apollonioszitaten bzw. aus den darin verstreuten Hinweisen
auf Hesiod- oder Aratparallelen gewinnen. Man kann so ein alexandrinisches Muster im Text
des Lehrgedichts erkennen, d. h. inhaltliche und gestalterische Komponenten, die intertextuell
an hellenistische Vorbilder erinnern. Durch die Orientierung auf den Wortschatz seiner
Vorgänger und durch das Schaffen eigener neuer Verse ahmt Dionysios die gelehrten
Methoden der alexandrinischen Dichter nach, die die griechische Klassik verarbeiteten. Dabei
sind seine Entlehnungen meistens keine Anspielungen im engeren Sinne, sie zeigen aber, dass
hellenistische Texte in späterer Zeit als Repertoire benutzt werden und ihre Autoren selber
eine Art Klassiker geworden sind. Die Intertextualität solcher Art erhält dann einen neuen
Zweck. Die literarischen Anspielungen auf Passagen des Arat, des Kallimachos und des
Apollonios Rhodios scheinen mir besonders feinsinnig, daher sollen eine Reihe von diesen
„fremden“ Texten im poetischen System des Dionysios verfolgt werden. Im Laufe der
Analyse werden Allusionen, Zitate und andere Arten von intertextuellen Verbindungen
betrachtet, die insgesamt die Spezifik des dionyseïschen Gedichtes bilden. Die Analyse erhebt
aber keine Ansprüche auf Vollständigkeit: Im Folgenden werden nur die meist
kennzeichnenden Beispiele für die thematische Benutzung angeführt.

4.5.1 Arat
Seinerzeit richtete E. MAASS in seiner Arbeit über die Phainomena Arats die Aufmerksamkeit
auf eine Reihe von lexikalischen Parallelen in den Lehrgedichten des Arat und des Dionysios
Periegetes, ließ sie aber ohne Kommentar63. Es scheint zweckmäßig, die Zusammenstellung
von MAASS (1–5 und 12)64 mit weiteren Parallelpassagen zu ergänzen und einige
Erläuterungen hinzuzufügen:

1) λοξοτέρῃ γὰρ τῆµος ἐπιστρέφεται στροφάλιγγι,


„dann nämlich dreht sie sich (sc. die Sonne) auf einer schrägeren Kreisbahn“ (Dion.
Per. 584), vgl.
µειοτέρῃ γὰρ πᾶσα περιστρέφεται στροφάλιγγι (Arat. Phaen. 43 Martin).

62
ANHUT (1888) 10–13; BERNAYS (1905) 32 ff.; GREAVES (1994) 105–139; HUNTER (2004)
217–231.
63
MAASS (1892) 257–258.
64
Das bei MAASS angeführte Beispiel ἀποτέµνεται (Dion. Per. 354) ~ περιτέµνεται (Arat.
Phaen. 49–50) kann kaum als eine Parallele betrachtet werden.

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Teil I. Kap. 4. Die poetische Technik

Mit dem Gebrauch des arateischen astronomischen Wortschatzes, der ein Bewegungsverb und
ein Substantiv mit derselben Wurzel aus den homerischen Epen enthält65, variiert Dionysios
betont diese Verse des Arat über eine Bahnbewegung der Sternbilder in seinem Gedicht,
während er seinerseits von der Sonne spricht.

2) Ῥήνῳ δ᾿ ἑξείης ἐπιτέλλεται ἱερὸς Ἴστρος


„an den Rhenos aber anschließend erhebt sich der heilige Istros“ (Dion. Per. 298), vgl.
ἀπ᾿ ὀµφαλίοιο γὰρ ἄκρου
µεσσόθεν ἡµιτελὴς περιτέλλεται ἱερὸς Ἵππος (Arat. Phaen. 214–215 Martin)
Das von Dionysios hier verwendete Verb ἐπιτέλλοµαι („aufgehen; sich zeigen, erheben“) mit
der Zusatzbedeutung „in der Richtung (+ Dat.)“ klingt an das ähnliche Verb περιτέλλοµαι
(„im Kreise laufen; seinen Kreis vollenden“) an66 und findet sich normalerweise in
Kontexten, in denen die gegenseitigen Lagen der Himmelskörper beschrieben werden67. Der
Perieget verbindet jedoch das arateische „astronomische“ Verb mit dem Fluss Istros (h.
Donau), d. h. benutzt es in Bezug auf ein geographisches Objekt, was eine Anspielung
schafft; die Parallele zu den Phainomena wird auch durch das dafür ausgewählte Adjektiv
ἱερός („heilig“) betont.

3) Ἴστρος ἐς ἀντολίην τετραµµένος ἄχρι θαλάσσης,


„der Istros, nach Osten gekehrt bis zum Meer“ (Dion. Per. 299),
τυτθὸν ἐπ᾿ ἀντολίην τετραµµένος ἄχρις Ἐλάνων,
„ein wenig nach Osten gekehrt, bis hin zu (sc. der Stadt der) Elanen reichend“ (Dion.
Per. 926),
τόσσον ἐπ᾿ ἀντολίην τετραµµένοι ἄχρι πυλάων,
„soweit nach Osten gekehrt – bis hin zu den Toren“ (Dion. Per. 1034), vgl.
καὶ τὸ µὲν ἐς λοφιὴν τετραµµένον ἄχρι παρ᾿ αὐτὸν / δύνει
(Arat. Phaen. 632–633 Martin)

Dreimal benutzt Dionysios innerhalb einer Formel die Redewendung des Arat τετραµµένος
ἄχρι („gekehrt bis ... “), die in den Phainomena immer auf eine Wendung bzw. Richtung zu
einer bestimmten Seite hinweist (zu einem Ufer, v. 298; zu der Sonne, v. 853; einfach
Wendung, vv. 344, 575) oder wie hier die Kreisbewegung des Sternbildes des Wals
beschreibt. Im Kontext der Erdbeschreibung gehört die Redewendung zu geographischen
Objekten: (а) zum Fluss Istros, der sich ostwärts bis zum Euxeinischen Meer verbreitet, (b)
zum Arabischen Golf, der sich nach Osten bis zu dem Land bzw. der Stadt der Elanen
ausdehnt, und (c) zum Gebiet der Meden, das ostwärts bis hin zu den Kaspischen Toren liegt.

65
Vgl. Hom. Il. XVI 775, XXI 502–503; Od. XXIV 39.
66
S. auch: Arat. Phaen. 232, 329, 509, 693, 709, 739, 1128; vgl. Hom. Il. II 551, VIII 404,
Od. XI 295 in Bezug auf die Zeit; h. Hom. II 445, h. Hom. IV 371; Hesiod. Erga. 383, 567;
Alc. F 347, 352.
67
Vgl. Hesiod. Erga. 383, 567; h. Hom. Herm. 371, Alc. F 347, 352.

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Teil I. Kap. 4. Die poetische Technik

Ein weiteres Beispiel für Dionysios’ Gebrauch eines Bewegungsverbs in Bezug nicht auf den
Himmels-, sondern auf den geographischen Raum ist:

4) Ἄρτεµις ἱλήκοι· προτέρων λόγος, οἵ µιν ἔφαντο


ἑλκῆσαι πέπλοιο (Arat. Phaen. 637 Martin),
vgl.
ἀλλ᾿ ὃ µὲν ἱλήκοι· σὺ δέ µοι ∆ιὸς ἔννεπε Μοῦσα
„Doch der möge gnädig sein (sc. Apollo)! Du aber, Zeustochter Muse, künde mir...“
(Dion. Per. 447)

Der Gebrauch eines seltenen Wortes ist üblich für einen alexandrinischen Autor, der damit
seine Verse schmückt und mit einem gebildeten Leser rechnet. Diese homerische Glosse geht
auf einen epischen Kontext zurück, was den Versen des Arat und des Dionysios eine
zusätzliche archaisierende Färbung gibt68.

5, 6, 7) Λιβύη ... ἕρπει ... / ἀρξαµένη πρώτιστα Γαδειρόθεν, ἧχί περ ἄκρη / ἐς µυχὸν ὀξυνθεῖσα
τιταίνεται Ὠκεανοῖο, / οὖρον δ᾿ Ἀραβίης τεκµαίρεται ἄγχι θαλάσσης / εὐρύτερον ... /
παρδαλέῃ δέ µιν ἄνδρες ἐπικλείουσιν ὁµοίην,
„Libyen ... kriecht ... seinen Anfang nehmend zuallererst von Gadeira aus, ebenwo seine
Spitze zum innersten Winkel des Ozeans hin zugespitzt, sich erstreckt; eine Grenze aber legt
es sich nahe dem Arabischen Meer fest, eine breitere ... als einem Pantherfell ähnlich rühmen
noch dazu es (sc. Libyen) die Menschen“ (Dion. Per. 174–181), vgl.

Κείνη που κεφαλὴ τῇ νίσσεται ἧχί περ ἄκραι (Arat. Phaen. 61 = 231 Martin),
Ἑλίκῃ γε µὲν ἄνδρες Ἀχαιοὶ / εἰν ἁλὶ τεκµαίρονται ἵνα χρὴ νῆας ἀγινεῖν (Arat. Phaen. 37–38
Martin, vgl. auch vv. 801, 1063, 1121),
<Ἀρκτοφύλαξ>, τόν ῥ' ἄνδρες ἐπικλείουσι Βοώτην (Arat. Phaen. 92).

Bei der Beschreibung der Umrisse Libyens und deren Vergleich mit einem Trapez wiederholt
Dionysios den Wortgebrauch des Arat. Das Adverb ἧχι („(eben)wo“) bei der Darstellung des
innersten Winkels einer imaginären geometrischen Figur ist eigentlich homerisch und wird
oftmals in der abschließenden Position im Vers gebraucht69. Bei Arat findet man es auch mit
einigen Variationen und dann immer am Anfang des Verses in vv. 135 (ἧχί περ ἐννυχίη), 457
(ἧχι κέονται), 1009 (ἧχί τε κείουσιν)70. Das aus dem arateischen Gedicht entlehnte Verb
τεκµαίροµαι („beurteilen; bestimmen“) benutzt Dionysios in einem neuen – geographischen –
Kontext. Eine weitere Entlehnung bildet die Redewendung ἄνδρες ἐπικλείουσι(ν) „die
Menschen rühmen“ (v. 181) aus dem Gedicht des Arat, bei dem es um den zweiten Namen
des Sternbildes Bootes geht.
68
Vgl. h. Hom. Apoll. I 165: ἀλλ᾿ ἄγεθ᾿ ἱλήκοι µὲν Ἀπόλλων Ἀρτέµιδι ξύν, „Doch die mögen
gnädig uns sein, Apollo und Artemis!“; Hom. Od. III 380, XVI 184; Theocr. XV 143; Apoll.
Rhod. IV 983; s. auch den LSJ-Artikel s.v. *ἵληµι.
69
Vgl. Hom. Il. III 326, Od. VI 94.
70
Vgl. bei Kallimachos immer in der schließenden Position: h. 1, 10 (ἧχι µάλιστα), 2, 91 (ἧχι
λέοντα), 4, 49 (ἧχί σε νύµφαι).

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Teil I. Kap. 4. Die poetische Technik

8) πολλοὶ γὰρ πάντη, πολέων δ᾿ ἐπὶ ἶσα πέλονται / µέτρα τα καὶ χροιή, πάντες γε µὲν ἀµφιέλικτοι
(Arat. Phaen. 377–378 Martin), vgl.
ἑπτὰ δέ τοι ταί γ᾿ εἰσίν, ἐπώνυµοι ἀνδράσι Πλωταί, / οὕνεκα µέσσον ἔχουσι περίπλοον
ἀµφιέλικτον
„Zu siebent aber sind ihm (sc. Aiolos) ebenjene, Ploten von den Menschen zubenannt –
deswegen, weil sie zwischen einander eine rundherumlaufende Umschiffung gewähren“
(Dion. Per. 465–466),
ἀλλ᾿ εἴη τοι σχῆµα περίτροχον, ἀµφιελικτόν71, / πάσης Κασπίης µεγάλης ἁλός
„Doch es sei dir rundumlaufend, rundgedreht die Form der ganzen Kaspischen Salzflut, der
großen“ (Dion. Per. 718–719)

Das für die Charakterisierung der Schwimmenden Inseln (v. 466) und der Form des
Kaspischen Meeres (v. 718) in der Erdbeschreibung benutzte seltene Epitheton ἀµφιελικτός
(„rundgedreht“) findet sich unter den früheren Autoren nur bei Arat bei der Beschreibung der
Kreisbewegung der Sterne.

9) ... ὁ δέ οἱ παραπέπταται Ὄρνις / ἀσσότερος βορέω ... (Arat. Phaen. 312–313 Martin), vgl.
σκαιῇ δ᾿ Αὐσονίων παραπέπταται ἄπλετος ἰσθµός,
„zu seiten der Linken aber liegt der Ausonier unsäglicher Landschlauch ausgebreitet“ (Dion.
Per. 98),
ἐκ δὲ τοῦ οἰγόµενος παραπέπταται ἐγγύθι Πόντος / πολλὸς ἐὼν καὶ πολλὸν ἐπ᾿ ἀντολίης µυχὸν
ἕρπων,
„Von diesem aus aber (sc. Thrakischer Bosporos) sich öffnend, liegt daneben den Menschen
der Pontos ausgebreitet, selbst von weitem Umfang – und weit dem hintersten Winkel des
Ostens zu kriechend“ (Dion. Per. 146–147)

Dies ist ein weiteres Beispiel eines seltenen Verbs, das im arateischen Gedicht im
astronomischen und im dionyseïschen Text im geographischen Kontext benutzt wird.

10) µεταξὺ νότοιο καὶ ἠελίοιο κελεύθου (Arat. Phaen. 321 Martin), vgl.
πᾶσα χθών ... / ὀξυτέρη βεβαυῖα πρὸς ἠελίοιο κελεύθους,
„die ganze Landmasse liegt ... spitzer zugelaufen gegen die Pfade der Sonne hin“
(Dion. Per. 4–6)

Der Ausdruck des Dionysios weist auf eine imaginäre Linie „Ost–West“ hin: Dieser Linie
entlang sei die ganze Landmasse etwas länger als nach der Linie „Nord–Süd“, so Dionysios.
Die Redewendung stellt eine Reminiszenz an Arat dar, wobei Arat darin Eudoxos folgt, wenn
er die Ekliptik statt des Äquators für eine Trennungslinie zwischen dem nördlichen und
südlichen Teil der Oikumene auswählt. Diese Parallele im Text der Periegese schafft eine

71
Diese Form (mit einem Akzent auf der letzten Silbe) findet sich in den Ausgaben von
TSAVARI (1990b) und RASCHIERI (2004), während BERNHARDY (1828) und MÜLLER (1861)
die Betonung von ἀµφιέλικτον korrigieren, was auch von AMATO (2005) akzeptiert wird.

- 156 -
Teil I. Kap. 4. Die poetische Technik

Allusion zwischen dem astronomischen Kontext des Arat und dem geographischen Stoff des
Dionysios.

11) ἧχί περ ἐννυχίη ἔτι φαίνεται ἀνθρώποισι / Παρθένος (Arat. Phaen. 135–136), vgl.
αὐτὰρ ὅθι πρώτιστα φαείνεται ἀνθρώποισιν,
„wo wiederum zuallererst sie (sc. die Sonne) den Menschen sich zeigt...“ (Dion. Per.
36),
ἐσχατόωντα Γάδειρα φαείνεται ἀνθρώποισι,
„zeigt sich den Menschen das zuäußerst gelegene Gadeira“ (Dion. Per. 451)

Die dionyseïsche Redewendung φαείνεται ἀνθρώποισι(ν) (von der Sonne, v. 36, oder von der
Insel Gadeira, v. 451) stellt eine Anspielung auf die Passage des Arat dar, die von der
Erscheinung der Dike handelt72.

Die nächsten Beispiele demonstrieren eine thematische (und keine lexikalische) Ähnlichkeit
der Verse des Arat und des Dionysios, d. h. man kann hier schon von eigentlichen Allusionen
sprechen:

12) 758 Τῴ κείνων πεπόνησο, ...


761 Μόχθος µέν τ᾿ ὀλίγος, τὸ δὲ µυρίον αὐτίκ᾿ ὄνειαρ
γίνετ᾿ ἐπιφροσύνης αἰεὶ πεφυλαγµένῳ ἀνδρί.
Αὐτὸς µὲν τὰ πρῶτα σαώτερος, εὖ δὲ καὶ ἄλλῳ
764 παρειπὼν ὤνησεν, ὅτ᾿ ἐγγύθεν ὤρορε χειµών (Arat. Phaen. 758–764 Martin), vgl.

170 νῦν δέ τοι ἠπείρου µυθήσοµαι εἶδος ἁπάσης,


ὄφρα καὶ οὐκ ἐσιδών περ ἔχοις εὔφραστον ὀπωπήν·
ἐκ τοῦ δ' ἂν γεραρός τε καὶ αἰδοιέστερος εἴης,
173 ἀνδρὶ παρ' ἀγνώσσοντι πιφαυσκόµενος τὰ ἕκαστα,
„Nun aber werde ich dir das Erscheinungsbild der gesamten Festlandmasse in Worte
kleiden,
damit du, auch wenn du es nicht gesehen hast, eine leicht faßliche Anschauung habest;
dadurch aber dürftest du wohl ehrwürdig und achtbarer sein,
wenn du vor einem unwissenden Mann die Einzelheiten erhellst“ (Dion. Per. 170–173)

In diesem Fall geht es um eine für die Lehrdichtung typische rhetorische Wendung an den
Adressaten bzw. Leser mit einer Erinnerung an den Nutzen der astronomischen (bei Arat)
oder der geographischen (bei Dionysios) Kenntnisse. In beiden Texten wird die Möglichkeit
für den Leser betont, später die anderen mit dem neuen Wissen zu belehren. Die Verse des
Arat hielt W. LUDWIG (1963) für das Proömium zum zweiten Teil der Phainomena.
Dionysios kündigt den Beginn eines neuen Abschnittes mit einer Orientierungsformel an, um
seinem Leser die Orientierung in der Stoffmasse zu erleichtern73. In dieser Passage bezeichnet

72
S. auch: TSAVARI (1990b) 66; KHAN (2004) 244.
73
EFFE (1977) 190.

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Teil I. Kap. 4. Die poetische Technik

der Perieget das Ziel seines Werkes, dass der Leser auch ohne seinen Heimatort zu verlassen
eine klare Vorstellung von dem allgemeinen Weltbild und von der Vielfältigkeit der Länder
und Völker erhalte. Im Unterschied zu Arat wiederholt Dionysios das Thema nochmals in
seinem Gedicht in vv. 881–886.

13) Οὔ κεν Ἀθηναίης χειρῶν δεδιδαγµένος ἀνὴρ


ἄλλῃ κολλήσαιτο κυλινδόµενα τροχάλεια
τοῖά τε καὶ τόσα, πάντα περὶ σφαιρηδὸν ἑλίσσων (Arat. Phaen. 529–531 Martin), vgl.

οὐκ ἂν ἐκεῖνο
ἴδρις µωµήσαιτο σοφῆς ὑποεργὸς Ἀθήνης,
„nicht würde wohl jenen ein kundiger Diener der weisen Athene betadelen“ (Dion.
Per. 341–342)

Dies ist eine komplexe Reminiszenz des Dionysios, für die es mehrere Parallelen gibt. Was
die Redewendung σοφῆς ὑποεργὸς Ἀθήνης („der weisen Athene“, v. 342) betrifft, so dient als
Modell dafür wahrscheinlich die Charakterisierung des Argos, des Erbauers der Argo, bei
Apollonios Rhodios: θεᾶς ὑποεργὸς Ἀθήνης (I 226)74. Der ganze Vergleich aber erinnert an
die Passage aus den Phainomena, besonders was den Gebrauch der Verbformen betrifft. Der
Hinweis auf χεῖρες Ἀθηνᾶς (Arat. Phaen. 529), oder ὑποεργὸς Ἀθήνης (Apoll. Rhod. I 226),
kann als hellenistische Metapher für die perfekte Arbeit betrachtet werden. Auch Dionysios
möchte hier damit die perfekte Linie der Apenninen betonen (ὄρος ὀρθὸν ... ἰθυµµένον, vv.
340–341).

14) 10 Αὐτὸς γὰρ τά γε σήµατ' ἐν οὐρανῷ ἐστήριξεν


ἄστρα διακρίνας, ἐσκέψατο δ' εἰς ἐνιαυτὸν
ἀστέρας οἵ κε µάλιστα τετυγµένα σηµαίνοιεν
ἀνδράσιν ὡράων, ὄφρ' ἔµπεδα πάντα φύωνται.
14 Τῷ µιν ἀεὶ πρῶτόν τε καὶ ὕστατον ἱλάσκονται (Arat. Phaen. 10–14 Martin),
vgl.
1170 αὐτοὶ γὰρ καὶ πρῶτα θεµείλια τορνώσαντο
καὶ βαθὺν οἶµον ἔδειξαν ἀµετρήτοιο θαλάσσης·
αὐτοὶ δ' ἔµπεδα πάντα βίῳ διετεκµήραντο,
ἄστρα διακρίναντες, ἐκληρώσαντο δ' ἑκάστῳ
1174 µοῖραν ἔχειν πόντοιο καὶ ἠπείροιο βαθείης,
„Sie selbst (sc. Götter) nämlich zirkelten sich auch die ersten Grundfesten ab
und wiesen den tiefen Pfad des unermeßlichen Meeres;
sie selbst setzten alles als unverrückbar dem Leben fest,
die Gestirne auseinandersondernd: sprachen sie doch durchs Los einem jeden zu,
sein Teilstück zu haben an Meer und an tiefem Festland“ (Dion. Per. 1170–1174)

74
ANHUT (1888) 11; TSAVARI (1990b) 58; RASCHIERI (2004) 77.

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Teil I. Kap. 4. Die poetische Technik

Die vv. 1170–1174 aus dem Epilog des dionyseïschen Gedichtes stellen eine Reminiszenz an
die vv. 10–14 aus dem Prolog der Phainomena Arats dar. Der Wortgebrauch ἔµπεδα πάντα
(Arat. Phaen. 13 ~ Dion. Per. 1172) geht auf das homerische Epos zurück75. Aus den
homerischen Beispielen sieht man aber, dass die Redewendung ἔµπεδα πάντα ausschließlich
zu irdischen Situationen gehört und mit dem Verb φυλάσσειν im Sinne „(be)hüten, bewahren“
verbunden ist. Dagegen gehört dieselbe Redewendung ἔµπεδα πάντα bei Arat und Dionysios
unmittelbar zur Gottheit, was von Dionysios zusätzlich durch die Verbindung mit dem Verb
διατεκµαίροµαι („festsetzen“) betont wird, das nur im Kontext mit einer Gottheit verwendet
wird (vgl. Hesiod. Erga. 397–398)76.

15) Der Vers des Dionysios über den Ozean εἷς µὲν ἐών, πολλῇσι δ' ἐπωνυµίῃσιν ἀρηρώς
„der zwar ein einziger ist, doch mit vielen Beinamen bestückt“ (v. 28) stellt eine weitere
Anspielung auf den Prolog des Arat dar: Der Ozean bei Dionysios ist einer und hat doch viele
Namen, so wie Zeus in den Phainomena, „der von den Menschen in vielerlei Funktion
angerufen wird (Phaen. 1–14)“77.

4.5.2 Kallimachos
Betrachten wir jetzt dichterische Parallelen zwischen der Periegese des Dionysios und den
Hymnen des Kallimachos, die – im Unterschied zum übrigen Erbe des hellenistischen
Dichters – als Ganzes erhalten sind. Den unten angeführten Abschnitten zufolge entlehnt
Dionysios einzelne Wörter und Redewendungen von Kallimachos, dessen Werke er
höchstwahrscheinlich sehr gut kannte, doch nicht in willkürlicher Weise. Dionysios benutzt
ganz bewußt den kallimacheischen Wortschatz, um seinen eigenen Versen Eigenart und
Ausdruckskraft zu verleihen. Indem Dionysios archaische Toponyme und seltene Wörter von
Kallimachos übernimmt, demonstriert er nicht nur seine Belesenheit, sondern überträgt auch
künstlerische Gestaltungen des Kyrenäers in seine eigene Dichtung. Auf einen ähnlichen
Wortgebrauch in einigen Passagen des Kallimachos und des Dionysios richtete bereits
Eustathios seine Aufmerksamkeit78:

1) 414 κὰδ δὲ µέσην νῆσον κοίλην χθόνα ναιετάουσιν


Ἀρκάδες Ἀπιδανῆες ὑπὸ σκοπιὴν Ἐρυµάνθου,
ἔνθα Μέλας, ὅθι Κρᾶθις, ἵνα ῥέει ὑγρὸς Ἰάων,
417 ἧχι καὶ ὠγύγιος µηκύνεται ὕδασι Λάδων,

75
Hom. Od. II 227: πείθεσθαί τε γέροντι καὶ ἔµπεδα πάντα φυλάσσειν, XI 178: ἠὲ µένει
παρὰ παιδὶ καὶ ἔµπεδα πάντα φυλάσσειν, XIX 525: ἠὲ µένω παρὰ παιδὶ καὶ ἔµπεδα πάντα
φυλάσσω.
76
Y. N. Z. KHAN (2004, 241–243) verbindet diese Verse von Arat und Dionysios mit dem
Text des Hymnos „An Zeus“ des Stoikers Kleanthes und richtet besondere Aufmerksamkeit
auf den ähnlichen Wortschatz. S. auch den Komm. zu dieser Passage des Arat: KIDD (1997)
174.
77
EFFE (1977) 193
78
Eust. ad Dion. Per. 414; vgl. auch die Anmerkungen zur Stelle von C. MÜLLER: GGM II
(1861) 128.

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Teil I. Kap. 4. Die poetische Technik

„Über die Mitte der Insel hin aber bewohnen ein Beckenland
die Apidaneischen Arkader unter der Anhöhe des Erymanthos,
wo der Melas, wo der Krathis, wo der feuchte Iaon fließt,
wo auch der altehrwürdige Ladon lang sich hinzieht mit seinen Wassern“
(Dion. Per. 414–417), vgl.

11 ἔνθεν ὁ χῶρος
ἱερός, οὐδέ τί µιν κεχρηµένον Εἰλειθυίης
ἑρπετὸν οὐδὲ γυνὴ ἐπιµίσγεται, ἀλλά ἑ Ῥείης
14 ὠγύγιον καλέουσι λεχώιον Ἀπιδανῆες

18 Λάδων ἀλλ' οὔπω µέγας ἔρρεεν οὐδ' Ἐρύµανθος,


λευκότατος ποταµῶν, ἔτι δ' ἄβροχος ἦεν ἅπασα
Ἀζηνίς· µέλλεν δὲ µάλ' εὔυδρος καλέεσθαι
αὖτις· ἐπεὶ τηµόσδε, Ῥέη ὅτε λύσατο µίτρην,
ἦ πολλὰς ἐφύπερθε σαρωνίδας ὑγρὸς Ἰάων
ἤειρεν, πολλὰς δὲ Μέλας ὤκχησεν ἁµάξας,
πολλὰ δὲ Καρίωνος ἄνω διεροῦ περ ἐόντος
ἰλυοὺς ἐβάλοντο κινώπετα, νίσσετο δ' ἀνήρ
πεζὸς ὑπὲρ Κρᾶθίν τε πολύστιόν τε Μετώπην
27 διψαλέος· τὸ δὲ πολλὸν ὕδωρ ὑπὸ ποσσὶν ἔκειτο
(Call. h. Jov. 11–14, 18–27 Pf.).

Es erscheint gar nicht verwunderlich, dass die beiden über Arkadien schreibenden Dichter
dieselben Hydronyme und Ethnonyme erwähnen (Call. h Jov. 11–14, 18–27; Dion. Per. 415–
417), doch springt in die Augen, dass die arkadischen Flüsse Iaon und Melas sich in einem
solchen Kontext nur bei Kallimachos und Dionysios finden. Interessant sind auch die
ähnlichen Versschlüsse mit dem Namen „Erymanthos“ (womit gleichzeitig ein Fluss – bei
Kallimachos – und ein Berg – bei Dionysios – bezeichnet werden) und mit dem homerischen
Epitheton ὑγρός „feucht, wasserreich“ (sc. Ἰάων) bei den beiden Dichtern. Während
Kallimachos bei der Beschreibung des Flusses Ladon das Beiwort µέγας verwendet, benutzt
Dionysios an der entsprechenden Stelle das Verb µηκύνεται „sich hinziehen, erstrecken“ und
wählt für die Bezeichnung des Flusses Ladon das Adjektiv ὠγύγιος „ogygisch, altehrwürdig“.
Dasselbe Beiwort sieht man bei Kallimachos, wenn er in vv. 12–13 sagt, dass die Apidaner –
die alten Bewohner der Peloponnes – den Ort, wo Zeus geboren wurde, Ῥείης ὠγύγιον
λεχώιον („altehrwürdige Bettstelle der Rhea“)79 nennen. Dieser Abschnitt zeigt, dass die
Übereinstimmung des Wortschatzes bei den beiden Dichtern gar nicht zufällig ist, und dass
Dionysios sich in diesem Fall an der Dichtung des Kallimachos orientiert und mit dem
Verständnis eines gebildeten Kenners rechnet. Dionysios hält sich nicht bei den Einzelheiten
des von Kallimachos nacherzählten Mythos auf (über die den Zeus gebärende Rhea, die Gaia
gebietet, ihr fliessendes Wasser zu geben, damit sie sich und den Säugling waschen könne),

79
Zu homerischen Wörtern bei Kallimachos vgl.: RENGAKOS (1992) 21–47; SISTAKOU (2002)
169.

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Teil I. Kap. 4. Die poetische Technik

sondern richtet seine Aufmerksamkeit auf die konkreten Details der geographischen
Landschaft: auf die Hydronyme und Oronyme. Neben den geographischen Angaben versucht
Dionysios auch, dem Abschnitt über die „Apidaneischen Arkadier“ eine archaisierende
Färbung zu verleihen.

Es kann sein, dass Dionysios mit seinem Adjektiv auf ein seltenes Substantiv im
kallimacheischen Hymnos auf Zeus anspielt:

Ταρτησὸς χαρίεσσα, ῥυηφενέων πέδον ἀνδρῶν,


„das anmutige Tartessos, der Boden im Überfluß reicher Männer“ (Dion. Per.
337), vgl.
ἐν δὲ ῥυηφενίην ἔβαλές σφισιν, ἐν δ᾿ ἅλις ὄλβον (Call. h. Jov. 84 Pf.),
vgl. auch [ ].ω[....]µα ῥυηφενὲς ο[ (Call. F 239, 2 Lloyd-Jones – Parsons),
wo das Adjektiv auf ähnliche Weise verwendet wird.

Das seltene Epitheton Κυρβάντιον (ἄστυ) (v. 524) findet sich in dieser Form (statt
Κορυβάντιον) nur bei Dionysios, man kann aber eine ähnliche Form bei Kallimachos sehen:
Κυρβάντων ἕταραι (h. Jov. 46)80.

2) Die nächste Passage des Dionysios stellt eine Reminiszenz an den kallimacheischen
Hymnos auf Artemis dar81:

826 τάων δ' ἀµφοτέρων γε βορειοτέρην ἐσίδοιο


παραλίην Ἔφεσον, µεγάλην πόλιν Ἰοχεαίρης,
ἔνθα θεῇ ποτε νηὸν Ἀµαζονίδες τετύκοντο
829 πρέµνῳ ἔνι πτελέης, περιώσιον ἀνδράσι θαῦµα,
„Als von eben diesen beiden aus nördlicheres dürftest du wohl erblicken
das am Meer gelegene Ephesos, die große Stadt der Pfeilschütterin,
wo der Göttin einst die Amazoniden den Tempel verfertigten
auf dem Strunk einer Ulme, ein übermäßiges Wunder den Menschen“ (Dion. Per.
826–829), vgl.

237 σοὶ καὶ Ἀµαζονίδες πολέµου ἐπιθυµήτειραι


ἔν κοτε παρραλίῃ Ἐφέσῳ βρέτας ἱδρύσαντο
239 φηγῷ ὑπὸ πρέµνῳ, τέλεσεν δέ τοι ἱερὸν Ἱππώ

248 κεῖνο δέ τοι µετέπειτα περὶ βρέτας εὐρὺ θέµειλον / δωµήθη (Call. h. Dian.
237–239, 248–249 Pf.)

Dieser kurze Exkurs des Dionysios über eines der sieben Weltwunder, den Tempel der
Artemis in Ephesos, zeigt die Erudition des Dichters und verfolgt vor allem „gelehrte“ Ziele.

80
ANHUT (1888) 32.
81
Vgl. die Anmerkungen zur Stelle von MÜLLER: GGM II (1861) 155.

- 161 -
Teil I. Kap. 4. Die poetische Technik

So wird in einem ähnlichen Abschnitt des Kallimachos eine heilige Eiche (φῆγος) erwähnt,
während es bei Dionysios um eine Ulme (πτελέα) geht; möglicherweise stellt dies eine
verdeckte Anspielung auf den ältesten Namen von Ephesos – Πτελέα – dar82.
Auf denselben Hymnos kann auch die folgende lexikalische Parallele zurückgehen:

τῆς διὰ µεσσατίης κατασύρεται ὕδατα Ῥήνου „durch welche genau mitten hindurch die Wasser
des Rhenos sich hinabschleppen“ (Dion. Per. 296) ~ τὸ δ' ἄτριχον εἰσέτι καὶ νῦν / µεσσάτιον
στέρνοιο µένει µέρος (Call. h. Dian. 77–78)83.

3) In der dionyseïschen Erdbeschreibung gibt es eine Menge von wörtlichen


Entlehnungen aus dem kallimacheischen Hymnos auf Delos. So kann man eine Parallele in
der Beschreibung der Kykladischen Inseln bei Dionysios finden:

525 Αἳ δ' Ἀσίης πρώτην αἶσαν λάχον, ἀµφὶς ἐοῦσαι


∆ῆλον ἐκυκλώσαντο, καὶ οὔνοµα Κυκλάδες εἰσί·
Ῥύσια δ' Ἀπόλλωνι χοροὺς ἀνάγουσιν ἅπασαι,
Ἱσταµένου γλυκεροῦ νέον εἴαρος, εὖτ' ἐν ὄρεσσιν
529 Ἀνθρώπων ἀπάνευθε κύει λιγύφωνος ἀηδών,
„Welche aber von Asien den ersten Anteil erlosten, rundherumliegend
kreisten sie Delos sich ein – und heißen mit Namen Kykladen;
als Dankesopfer führen sie allesamt dem Apollon Reigentänze auf,
wenn gerade neu der süße Frühling sich einstellt, während in den Bergen
abseits der Menschen die hellstimmige Nachtigall brütet“ (Dion. Per. 525–529), vgl.

278 ἀλλά τοι ἀµφιετεῖς δεκατηφόροι αἰὲν ἀπαρχαί


279 πέµπονται, πᾶσαι δὲ χοροὺς ἀνάγουσι πόληες...

300 Ἀστερίη θυόεσσα, σὲ µὲν περί τ' ἀµφί τε νῆσοι


301 κύκλον ἐποιήσαντο καὶ ὡς χορὸν ἀµφεβάλοντο (Call. h. Del. 278–279, 300–
301 Pf.)
Als Bindeglied zwischen den beiden Abschnitten tritt ein Aition auf, das die Herkunft des
Namens der Kykladischen Inseln erklärt84. Offensichtlich stellt die Verbform ἐκυκλώσαντο
(„sich einkreisten“, v. 526) bei Dionysios eine Kontamination der Wortverbindung κύκλον
ἐποιήσαντο (v. 301) des Kallimachos dar85. Es gibt aber auch einige Unterschiede in den
Passagen – man kann aus diesem Grund sogar vermuten, dass Dionysios dafür auch eine
andere Quelle außer Kallimachos benutzte. So sagt Kallimachos, alle Städte feierten Feste auf
Delos86. Dionysios jedoch verbindet das Adjektiv ἅπασαι („allesamt“, v. 527) mit den Inseln,

82
Vgl.: Plin. nat. hist. V 31, 115; Steph. Byz. s. v. Ἔφεσος: Ἐκαλεῖτο δὲ καὶ ... Πτελέα.
83
RASCHIERI (2004) 73.
84
Vgl. auch Steph. Byz. s. v. Κυκλάδες, wo der dionyseïsche Vers 526 zitiert wird.
85
HUNTER (2003) 346.
86
Dies steht auch in Einklang mit den Daten des Thukydides (III 104, 3).

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Teil I. Kap. 4. Die poetische Technik

was seinerseits eine Parallele zu Strabon bildet87. Außerdem betont Kallimachos die führende
religiös-politische Rolle von Delos, was für die hellenistische Zeit kennzeichnend ist,
während Dionysios sagt, die Feste richtete man zu Ehren Apolls ein88. Der Perieget benutzt in
seiner Passage auch das homerische Wort ἀηδών im Sinne von „Nachtigall“.

Auf ähnliche Weise ist beispielsweise die Wortverbindung des Dionysios ὅρµον ἔχουσα „ein
einwärtsgekehrter Hafen“ (Dion. Per. 75) in der Beschreibung von Massalia mit einem Vers
aus dem Deloshymnos des Kallimachos (οὐ λιπαρὸν νήεσσιν Ἐχινάδες ὅρµον ἔχουσαι, v.
155) zu vergleichen. Für den Ausdruck περισκεπέεσσιν ἐρυµνόν „ringsum deckende (Berge)“
(v. 245) bei der Beschreibung des Nilstroms hat Dionysios wahrscheinlich wieder einen Vers
des Kallimachos benutzt: κεῖναι µὲν πύργοισι περισκεπέεσσιν ἐρυµναί (h. Del. 23), wobei es
im Hymnos um die Festungsmauern der meisten Inseln geht; ebenso ist der Ausdruck Ῥώµην
τιµήεσσαν („das holde Rom“, v. 354) aus der dionyseischen Erdbeschreibung von
Kallimachos beeinflußt: ’Ἥρη τιµήεσσα, πολὺ προὔχουσα θεάων (h. Del. 218) 89. Bei der
Beschreibung des Isthmos der Hyleer wiederholt Dionysios einen Versteil des Kallimachos
(ὅση παρακέκλιται ἰσθµῷ „soweit er angelehnt ist an die Landenge“, v. 386 ~ φεῦγε δ' ὅλη
Πελοπηῒς ὅση παρακέκλιται Ἰσθµῷ, h. Del. 72), was gleichzeitig eine Anspielung auf eine
Passage des Ps.-Skylax (v. 22) oder des Ps.-Skymnos (vv. 405–412 Marcotte) darstellt, da die
beiden Vorgänger des Dionysios die Größe des Isthmos der Hyleer mit der Größe der
Peloponnes vergleichen90. Die Charakterisierung Παρνησοῦ νιφόεντος („der beschneite
Parnasos“, Dion. Per. 439) findet sich bereits im hom. hymn. II 282 (ὑπὸ Παρνησὸν
νιφόεντα), aber auch bei Kallimachos, der sie in derselben metrischen Position verwendet:
Παρνησὸν νιφόεντα (h. Del. 93)91. Den Vers des Dionysios über Sizilien Ἀονίῳ τµηθεῖσα
πολυγλώχινι σιδήρῳ „vom vielzackigen Aonischen Eisen zerspalten“ (v. 476) assoziert
Eustathios mit einer Mythenversion, wonach Sizilien mit dem Dreizack Poseidons von Italien
abgehauen und Iokastos, dem Sohn des Aiolos, als Geschenk gegeben worden sei (Eust. ad
Dion. Per. 476); es kann sein, dass der Vers eine Anspielung auf die folgenden
kallimacheischen Verse darstellt: ἢ ὡς τὰ πρώτιστα µέγας θεὸς οὔρεα θείνων / ἄορι
τριγλώχινι τό οἱ Τελχῖνες ἔτευξαν / νήσους εἰναλίας εἰργάζετο (Call. h. Del. 30–33), in denen
es um Poseidon geht, der die Landmasse zerschlägt und daraus Inseln schafft.

4) An einigen Stellen der Erdbeschreibung kann man Parallelen zum kallimacheischen


Hymnos auf Apollon beobachten, z. B. wurde der Ausdruck des Dionysios über den Zeus-
Tempel in Alexandria οὐκ ἂν ἐκείνου / νηὸν ἐν ἀνθρώποισι θεώτερον ἄλλον ἴδοιο „Nicht
wirst du unter den Menschen einen anderen, göttlicheren Tempel als jenen erblicken“ (vv.
87
ἔνδοξον δ' ἐποίησαν αὐτὴν αἱ περιοικίδες νῆσοι, καλούµεναι Κυκλάδες, κατὰ τιµὴν
πέµπουσαι δηµοσίᾳ θεωρούς τε καὶ θυσίας καὶ χοροὺς παρθένων πανηγύρεις τε ἐν αὐτῇ
συνάγουσαι µεγάλας.
88
S. dazu auch: COUNILLON (2001a) 11–23.
89
S. dazu: COUNILLON (2004) 193 und 200.
90
COUNILLON (2004) 199; vgl. auch den Komm. zur Ps.-Skymnos-Stelle von MARCOTTE
(2002) 201.
91
ANHUT (1888) 11; TSAVARI (1990b) 65.

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Teil I. Kap. 4. Die poetische Technik

256–257, mit einigen Variationen auch vv. 990–991) anscheinend aus dem kallimacheischen
Text entlehnt: οὐ κείνου χορὸν εἶδε θεώτερον ἄλλον Ἀπόλλων (h. Apoll. 93); und der
dionyseïsche Vers über die Insel Korsika ὔλη δ᾿ ἀµφιλαφὴς οὔτις τόσον, ὅσσον ἐκείνη „an
Wald aber umfangreich ist keine so sehr wie jene“ (v. 460) spielt auf eine Passage des
Kallimachos an: ἀµφιλαφὴς οὔ τις τόσον, ὅσον Ἀπόλλων (h. Apoll. 42)92.

5) Es gibt auch einige interessante Verbindungen zwischen dem Gedicht des Dionysios
und den Fragmenten des Kallimachos. So verwenden die beiden Dichter dasselbe Beiwort
„königlich“ von Flüssen – Kallimachos vom Phasis und Dionysios vom Tiber:

Θύµβρις ἐϋρρείτης, ποταµῶν βασιλεύτατος ἄλλων,


„der Thymbris, der schönfließende, der königlichste von allen Flüssen“ (Dion. Per.
353), vgl.
καὶ Φᾶσις [ποταµῶν ἡµε]τέρων βασιλεύς (Call. Aetia, F 7, 34 Pf.).

Bei der Beschreibung Roms findet sich in der Erdbeschreibung eine weitere dionyseische
imitatio cum variatione, die an einen kallimacheischen Vers aus dem Aitia-„Epilog“ anklingt:
ἐµῶν µέγαν οἶκον ἀνάκτων „das große Haus meiner Herren“ (Dion. Per. 355) ~ χαῖρε, Ζεῦ,
µέγα καὶ σύ, σάω δ' [ὅλο]ν οἶκον ἀνάκτων (Call. F 112, 8 Pf.), wo Kallimachos das
königliche Haus des Ptolemaios lobt93.
Außerdem benutzt Dionysios in seinem Gedicht bei Flussbeschreibungen das Verb
ὁδεύω im Sinne „eines Weges ziehen, (durch-)wandern“ und folgt somit dem Wortgebrauch
des Kyrenäers:

ἔνθ' ἐρατεινότατος ποταµῶν Ἀλφειὸς ὁδεύει,


„wo der lieblichste unter den Flüssen, der Alpheos, seines Weges zieht“ (Dion. Per. 410),
Ῥήβας, ὃς Πόντοιο παρὰ στοµάτεσσιν ὁδεύει,
„der Rhebas, welcher an den Einmündungen des Pontos seines Weges wandelt“ (Dion. Per.
795), vgl.
Τµώλῳ ὑπ' ἠνεµόεντι, τόθεν Πακτωλὸς ὁδεύων / ... κελαρύζει,
„am Fuße des windgepeitschten Tmolos, von wo aus seinen Weg nehmend, der Paktolos
rauscht“ (Dion. Per. 831),
ὑστατίῃς προχοῇσι Τερηδόνος ἐγγὺς ὁδεύων,
„in seinen letzten Ergießungen nahe Teredon seines Weges ziehend (über den Euphrat)“, vgl.
κ]αὶ πουλὺς, ὅν οὐδ᾿ ὅθεν ο[ἶ]δεν ὁδεύω / θνητὸς ἀνήρ ... (Call. F 384, 31–32 Pf.)

Die Verse des Kallimachos stellen einen Redeabschnitt des personifizierten Nils dar. Bei
Dionysios wird das Verb einfach im geographischen Kontext benutzt, nicht nur von Flüssen,
sondern auch von der Bergkette Tauros (v. 642).

92
TSAVARI (1990b) 67; RASCHIERI (2004) 69 und 87.
93
HUNTER (2003) 344; COUNILLON (2004b) 193.

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Teil I. Kap. 4. Die poetische Technik

Das seltene Beiwort bei Dionysios ῥυηφενέων (ἀνδρῶν) im Sinne von πλουσίων
94
„reich“ (v. 337) wurde auch von Kallimachos benutzt (F 239, 2); vgl. auch das ähnliche
Adjektiv εὐηφενής bei Homer (Il. XXIII 81) und das Substantiv ῥυηφενίη bei Kallimachos (h.
Jov. 84).
Bemerkenswerterweise wählt Dionysios für die Schlange, die Apollon vor der
Inbesitznahme Delphis töten musste95, und die nach ihrem Tod den Namen Python (von
πύθοµαι „verfaulen“) bekommen hat, statt der üblichen Maskulinform (ὁ ∆ελφύνης) die
dichterische weibliche Form (ἡ ∆ελφύνη, v. 441) des Namens – dieselbe Form findet sich
aber auch bei Kallimachos (F 88 Pf.), was eine intertextuelle Verbindung zum dionyseïschen
Text schafft.

4.5.3 Apollonios Rhodios


Unter den griechischen Autoren der hellenistischen Zeitperiode war das Epos des Apollonios
Rhodios wahrscheinlich eine der wichtigsten Quellen und dichterischen Muster für
Periegetes96. Die epische Beschreibung der Argonauten-Fahrt durch das Mittelmeer die
kleinasiatische Küste entlang und weiter durch das Schwarze Meer zur kaukasischen Kolchis
ist ein richtiges geographisches Handbuch. Die Gattungsspezifik der Werke (das heroisch-
mythologische Epos des Rhodiers einerseits und das geographische Lehrgedicht des
Periegetes andererseits) prägt aber den Charakter der dionyseïschen Entlehnungen: Periegetes
verwendet nur den geographischen Inhalt der Passagen des Apollonios, ohne deren Kontexte
zu beachten. Die geographischen Daten bei Apollonios Rhodios gehen auf den Argonauten-
Zyklus zurück und spiegeln damit die ethnogeographische Situation vor dem Trojanischen
Krieg wider; fast fünfhundert Jahre später ändert Dionysios nichts in den von ihm aus den
Argonautika entlehnten Passagen – dies lässt eine Vorliebe der beiden epischen Autoren für
einen betonten Archaismus vermuten.
Bei einem Vergleich der beiden Gedichte kann man zwei Gruppen von Parallelen
unterscheiden: (1) die Daten über die südpontischen Völker und Stämme sowie dortige
Toponyme und Hydronyme (Apoll. Rhod. II 317–401 und II 549–1280 ~ Dion. Per. 761–
808), und (2) einzelne lexikalische Entlehnungen des Dionysios aus dem Text der
Argonautika. Die erste Gruppe wird unten im Teil über das Schwarzmeergebiet in der
Beschreibung des Dionysios ausführlicher untersucht97, während ich hier einige Beispiele für

94
So Schol. Dion. Per. 332; Eust. ad Dion. Per. 337.
95
Vgl. hom. hymn. II 372–374.
96
Zum Quellenproblem s. z. B.: GÖTHE (1875) 6–8; ANHUT (1888) 15–17; BERNAYS (1905)
46–47, 55–56; HUNTER (2003) 343–356, bes. 343; BOWIE (2004) 177–186.
97
S. dazu: Teil II. Kap. 8. Pontische Völker und Stämme (Die vierte Route). Drei Passagen
zur sakralen Geographie aus dem zweiten Buch des Apollonios Rhodios in der Bearbeitung
des Dionysios Periegetes wurden von mir in einem Artikel betrachtet, der bald erscheinen
soll: ILYUSHECHKINA (im Druck). Es handelt sich um einen sakralen locus, den Hades-
Eingang im Land der Mariandyner (Apoll. Rhod. II 351–356 ~ Dion. Per. 788–792), um die
mythologische Erzählung über Sinope (Apoll. Rhod. II 946–951 ~ Dion. Per. 772–779) und
um den religiösen Kult des Dionysos-Bakchos (Apoll. Rhod. II 904–910 ~ Dion. Per. 700–
705).

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Teil I. Kap. 4. Die poetische Technik

lexikalische Parallelen (meistens aus dem 4. Buch der Argonautika) betrachten möchte.
Passagen aus den Argonautika des Apollonios Rhodios und die entsprechenden Abschnitte
aus der Periegese des Dionysios sollen zeigen, auf welche Weise Dionysios die Argonautika
als Quelle benutzt und inwiefern er sie verarbeitet hat.

1) Dionysios wiederholt bei seiner Beschreibung Illyriens fast einen ganzen Vers aus der
Passage des Apollonios Rhodios über die Kolcher, die einst ihre Siedlungen in Illyrien
gegründet hatten:

κεῖνον δ' αὖ περὶ χῶρον ἴδοις περιηγέα τύµβον,


τύµβον, ὃν Ἁρµονίης Κάδµοιό τε φῆµις ἐνίσπει,
„An jenem Golf aber dürftest du wohl ein hochberühmtes Grabmal erblicken,
das Grabmal, welches die Kunde als das der Harmonia und des Kadmos
vermeldet“ (Dion. Per. 390–391), vgl.

οἱ δ' ἄρ' ἐπ' Ἰλλυρικοῖο µελαµβαθέος ποταµοῖο,


τύµβος ἵν' Ἁρµονίης Κάδµοιό τε, πύργον ἔδειµαν (Apoll. Rhod. IV 516–517).

In den darauf folgenden Versen des Apollonios Rhodios werden die Keraunischen Berge (ihr
nördliches Vorgebirge, Teil von Epiros)98 genannt, die den östlichen Grenzpunkt zwischen
dem Adriatischen und dem Ionischen Meer bilden – im Süden davon liegt das Ionische Meer,
im Norden das Adriatische:

... οἱ δ' ἐν ὄρεσσιν


ἐνναίουσιν ἅπερ τε Κεραύνια κικλήσκονται (Apoll. Rhod. IV 518–519),

dagegen stellt Dionysios die Redewendung mit den Keraunischen Bergen vor seine
Erwähnung des berühmten Grabmals:

Ἰλλυρικὴν ἐπὶ χέρσον ἑλίσσεται ἄχρι κολώνης


οὐρέων τ' ἠλιβάτων, τὰ Κεραύνια κικλήσκουσιν
„windet sie sich (sc. die Landenge) rings um das Illyrische Festland – bis hin zur
Erhebung
und zu den hochragenden Bergen, welche sie die Keraunischen rufen“
(Dion. Per. 388–389).

So sollen die Details in der dionyseïschen Beschreibung Illyriens seine Leser an die illyrische
Passage aus dem vierten Buch des Apollonios erinnern: Der Leser kann mit Hilfe des
Dionysios in seinen Gedanken die Küste Illyriens entlanggehen und sich gleichzeitig als
Teilnehmer des Argonauten-Zugs vorstellen.

98
Ps.-Scyl. 26, 27; Strabo I 2, 10 C 21 u. a.; Plin. nat. hist. III 97.

- 166 -
Teil I. Kap. 4. Die poetische Technik

2) Auf ähnliche Weise erwähnen die beiden Dichter Flüsse, die von den mythischen
Rhipäischen Bergen herunterfliessen: Dionysios den Aldeskos und den Pantikapes99,
100
Apollonios Rhodios den Istros :

κεῖθι καὶ Ἀλδήσκοιο καὶ ὕδατα Παντικάπαο


Ῥιπαίοις ἐν ὄρεσσι διάνδιχα µορµύρουσι,
„Dort murmeln auch des Aldeskos und Pantikapes Wasser
zweigeteilt in den Rhipäischen Bergen“ (Dion. Per. 314–315),

vgl. Ἴστρον µιν καλέοντες ἑκὰς διετεκµήραντο·


ὃς δή τοι τείως µὲν ἀπείρονα τέµνετ' ἄρουραν
εἷς οἶος, πηγαὶ γὰρ ὑπὲρ πνοιῆς βορέαο
Ῥιπαίοις ἐν ὄρεσσιν ἀπόπροθι µορµύρουσιν (Apoll. Rhod. IV 284–287).

Der Vers wurde von Dionysios also praktisch buchstäblich aus den Argonautika entlehnt,
wobei er nur das apollonische ἀπόπροθι („fern“) zu διάνδιχα („zweigeteilt“, synonym mit
ἄνδιχα) abändert, das aus der homerischen Sprache in die spätere Dichtung aufgenommen
wurde101.

3) Für die folgende Redewendung findet Dionysios das Muster wieder im 4. Buch der
Argonautika:
ἔνθα, κορυσσοµένης Τυρσηνίδος ἀµφιτρίτης,
ἄλλοτε µὲν πληµυρὶς ἐγείρεται, ἄλλοτε δ' αὖτε
ἄµπωτις ξηρῇσιν ἐπιτροχάει ψαµάθοισιν,
„dahier, wenn das Tyrsenische Meer sich bauscht,
wird bald die Flut erweckt, bald wiederum
läuft die Ebbe, die Aufschlürferin, über den trockenen Sand hin“
(Dion. Per. 201–203)

ἐπεὶ τεναγώδεα λεύσσω


τῆλε περισκοπέων ἅλα πάντοθεν, ἤλιθα δ' ὕδωρ
ξαινόµενον πολιῇσιν ἐπιτροχάει ψαµάθοισι· (Apoll. Rhod. IV 1264–1266).

4) Dionysios nennt in seinem Gedicht die Einwohner Arkadiens, des Gebiets in der Mitte
der Peloponnes, Ἀρκάδες Ἀπιδανῆες (v. 415)102. Der Beiname Ἀπιδανῆες ruft die homerische
Formel ἐξ ἀπίης γαίης in Erinnerung103. Die Tradition von den Arkadern als Autochthonen ist

99
Mehr zu den Rhipäischen Bergen sowie den Flüssen Aldeskos und Pantikapes in der
Erdbeschreibung des Dionysios Perigetes s. unten: Teil II. Kap. 9. Pontische Gewässer und
Gebirge.
100
SCHNEIDER (1882) 22; TSAVARI (1990b) 56; RASCHIERI (2004) 75.
101
Vgl. Hom. Il. I 189, VIII 167 und XIII 455: im Rahmen einer Formel διάνδιχα µερµήριξε /,
sowie in Il. IX 37.
102
Die Peloponnes wurde ursprünglich nach Apis, dem Sohn des Phoroneus, Apia genannt
(Apollod. II 1 ff.; Eust. ad Dion. Per. 414).
103
Hom. Il. I 270; III 49; Od. VII 25; XVII 18; vgl. Soph. Oed. Col. 1685–1686.

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Teil I. Kap. 4. Die poetische Technik

alt und weit verbreitet104. Das Ethnikon Ἀπιδανῆες wird im kallimacheischen Zeushymnos
zusammen mit dem arkadischen Ortsnamen Ῥείης ... λεχώιον erwähnt (Call. h. I 13–14)105,
um entweder die Bewohner von Arkadien106 oder die ganze Peloponnes (nicht nur Argos) zu
bezeichnen (vgl. z. B. Strabo VIII 6, 9 C 371). Bei Apollonios Rhodios findet sich aber
dieselbe Formel mit den Arkadern wie bei Dionysios, was für diese Stelle der
Erdbeschreibung auf eine Entlehnung aus den Argonautika schließen lässt: οἶοι δ' ἔσαν
Ἀρκάδες Ἀπιδανῆες, / Ἀρκάδες, οἳ καὶ πρόσθε σεληναίης ὑδέονται / ζώειν (Apoll. Rhod. IV
263–265).

5) Einige Beispiele kann man nicht als direkte Entlehnungen bezeichnen, die Anspielung
auf den Text des Apollonios sieht man aber dennoch sofort. So diente eine Passage aus den
Argonautika, in der der Mythos über den Helios-Sohn Phaethon erzählt wird, den Zeus in den
Eridanos gestürzt hatte, um einen Weltenbrand zu verhindern, und seine trauernden
Schwestern, die Heliaden (IV 596–614)107, als Quelle für Dionysios bei seiner Beschreibung
des Kelten-Landes und deren Fluss Eridanos. Bei Apollonios ist die Sage jedoch zu einer
Geschichte geworden, die mit dem Argonautenzug durch den Eridanos-Fluss verbunden ist,
während sie bei Dionysios eher in eine Andeutung des bekannten Mythos in einem
geographischen Kontext umgewandelt ist (vv. 290–293)108. Dabei findet sich auch eine
lexikalische Parallele zwischen den beiden Texten:

Ἡλιάδες κώκυσαν, ὀδυρόµεναι Φαέθοντα·


κεῖθι δὲ Κελτῶν παῖδες, ὑφήµενοι αἰγείροισι,
δάκρυ' ἀµέλγονται χρυσαυγέος ἠλέκτροιο,
„die Heliaden weinten, den Phaethon beklagend,
dort aber melken sich der Kelten Söhne, unter Schwarzpappeln sitzend,
die Träne des golden glänzenden Bernsteins“ (Dion. Per. 291–293)

Ἡλιάδες ταναῇσιν †ἀείµεναι αἰγείροισιν


µύρονται κινυρὸν µέλεαι γόον, ἐκ δὲ φαεινάς
ἠλέκτρου λιβάδας βλεφάρων προχέουσιν ἔραζε (Apoll. Rhod. IV 604–606).

6) Eine Reihe von Beispielen zeigen die Verwendung von seltenen Wörtern im
geographischen Kontext bei den beiden Dichtern. So entlehnt Dionysios von Apollonios
Rhodios die Redewendung πέζα ἠπείροιο, die in beiden Texten die spezifische Bedeutung

104
S. schon bei Herod. VIII 73, 1; vgl. I 66, 2: „eichelessende Arkader“; vgl. Strabo VIII 6, 9
C 371: Ἀπιδόνας.
105
Zu dieser Passage des Kallimachos und der Parallele dazu in der Erdbeschreibung s. oben.
106
So G. R. MCLENNAN (1977) zu v. 14. Aus dem Kontext des kallimacheischen Hymnos,
der Beschreibung des wasserlosen Arkadiens, kann man eine weitere Etymologie herauslesen,
die die Apidaner mit der Wurzel πίδαξ „wasserlos (-es Volk)“ verbindet. S. dazu: SISTAKOU
(2002) 145–173.
107
Vgl. diesen Mythos auch bei: Aesch. F 71 Radt; Arist. mir. 81; Ovid. I 751–II 400. S.
auch: RASCHIERI (2004) 73.
108
Vgl. Strabo V 1, 9 C 215.

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Teil I. Kap. 4. Die poetische Technik

„Küstenlinie des Festlandes“ hat (Dion. Per. 1081 ~ Apoll. Rhod. IV 1258; vgl. Dion. Per. 61:
πέζα πολήων)109.
Dionysios beschreibt den libyschen Stamm der Nigreter, der Nachbarn der Getulen,
und die Kletabenen in Arabia Felix mit dem seltenen Beiwort ἀγχίγυοι „benachbart“ (v. 215),
das in den Argonautika in Bezug auf diejenigen, die in der Nähe der Quelle namens Πηγά
wohnen (Πηγὰς ἀγχίγυοι περιναιέται, Apoll. Rhod. I 1222), erscheint.
Das Substantiv ἤπειρος bedeutet normalerweise entweder „Ufer, festes Land“ (im
Gegensatz zum Meer) oder „Festland“ (im Gegensatz zu den Inseln). Apollonios von Rhodos
verwendet zweimal ein davon stammendes Adverb ἤπειρόνδε „landwärts, ins Innere“ im
Gegensatz zum Gebirge (Apoll. Rhod. II 734, 976). Im Gedicht des Dionysios finden sich
beide Bedeutungen: Im breiteren Sinne als „im Lande“ im Gegensatz zum Küstengebiet (vv.
266, 876, 904) und im engeren Sinne – wie bei Apollonios – als „Tal“ im Gegensatz zu
Bergen (κορυφαὶ χιονώδεος Αἵµου / ... τοῦ δ᾿ ἄντα ... / ∆ωδώνης ἤπειρος ἀπείριτος
ἐστεφάνωται, „die Gipfel des schneereichen Haimos / ... diesem gegenüber ... / liegt Dodonas
Festland, das endlose, ausgedehnt“ Dion. Per. 428–430).
Auch bei den Eigennamen dient das Gedicht des Apollonios von Rhodos dem
Perigetes als Muster. So benutzt Dionysios bei seiner Beschreibung Libyens die seltene Form
Σερβωνίδα Λίµνην (der heutige Sabkhet el-Bardawil zwischen Ägypten und Syrien, v. 253);
der See wurde bereits bei Herodot erwähnt (II 6, III 5), die Form Σερβωνίδα statt Σερβωνίδος
findet sich jedoch nur bei Apollonios (II 1215) und Dionysios.
Also kann man sehen, dass die Angaben des Apollonios Rhodios durch Dionysios
Periegetes nicht nur direkt entlehnt, sondern auch verarbeitet und damit zu dem ihn
kennzeichnenden pragmatischen Stil umgewandelt werden. So erhält sein Leser bzw. Zuhörer
meist kompakte Informationen über die geographischen Objekte in einer konkreten Region.

4.6 Zusammenfassung
Das Werk des Dionysios Periegetes stellt nicht nur ein didaktisches Werk zum
geographischen Thema dar; trotz der Tatsache, dass wissenschaftliche Kenntnisse sich darin
im Vordergrund befinden, werden sie mit stilistischer Feinsinnigkeit und
Anspielungsreichtum dargelegt. Das Gedicht des Dionysios enthält eine Menge von
rhetorischen Effekten, archaisierende Tendenzen, eine Vorliebe für Akrosticha und
literarische Ambitionen. Man kann Dionysios unstrittig als einen richtigen Meister in seinem
Fach bezeichnen, denn ohne eine dichterische Bearbeitung hat die Geographie im
dionyseïschen Gedicht keinen Wert. Darauf stützen sich die daraus resultierenden
Schlussfolgerungen. Aufgrund der angeführten Analyse kann man schließen, dass die
metrisch-prosodischen Besonderheiten der Erdbeschreibung den Normen der hellenistischen
und spätantiken Dichter entsprechen, die ihrerseits dem homerischen Usus folgen und diesen
auch teilweise modernisieren. Die bildhafte Sprache des Gedichtes erweist sich als

109
In einer ähnlichen Bedeutung findet sich das Wort πέζα beim hellenistischen Dichter
Hermesianax von Kolophon: ἥ τε πολὺν µύστῃσιν Ἐλευσῖνος παρὰ πέζαν / εὐασµὸν κρυφίων
ἐξεφόρει λογίων (Hermesian. VII, 17–18 Powell).

- 169 -
Teil I. Kap. 4. Die poetische Technik

wesentliche Hilfe für den didaktischen Autor. Der Tradition folgend führt Dionysios mehrere
Epitheta, Komposita und seltene Wörter in seinen Wortschatz ein. Aufgrund seines Textes
kann man von der Übertragung der hellenistischen sprachlich-stilistischen Situation in die
kaiserzeitliche Epoche sprechen, mit anderen Worten geht es dabei um Kontinuität und
Transformation der Ästhetik der Dichtung in der hadrianischen Zeit. Die Sprache des
Gedichtes widerspiegelt den Wortschatz der frühgriechischen Tradition (vor allem Homer,
Hesiod) und enthält verschiedene Dialektformen und Entlehnungen aus den Werken der
hellenistischen Autoren (Arat, Apollonios Rhodios, Kallimachos, Nikander). Im so gebildeten
Wortschatz des Dionysios manifestiert sich aber vor allem die sprachlich-philologische
Gelehrsamkeit. Der Stil des Dionysios stützt sich auf eine bewusste Auswahl von Wörtern
und Redewendungen, die bereits von seinen Vorgängern manchmal benutzt wurden. Dabei
wird eine Linie geschaffen, die den Wortschatz des Dionysios mit der früher ausgearbeiteten
Tradition verbindet, aber auch die eigene Identität des Autors akzentuiert. Viele Passagen der
Erdbeschreibung stellen Neufassungen von Texten anderer Dichter dar, die für einen
gebildeten Leser Anspielungen auf die frühere Tradition enthalten. Dies schafft den Effekt
eines stilistischen Dialogs; die Gegenüberstellung von zwei Positionen – der seines eigenen
Textes und der eines fremden – versetzt den Leser in die stilistische Struktur des
geographischen Lehrgedichtes. Dionysios verwendet Texte seiner Vorgänger nicht nur als
seine Quellen, sondern auch als dichterische Muster, was dem Periegeten die Möglichkeit
gibt, das intertextuelle Wesen seiner Passagen zu zeigen.

- 170 -
Teil I. Kap. 5. Mythologische Vergangenheit

Kapitel 5. Mythologische und historische


Vergangenheit
5.1 Götter
5.2 Heroen
5.2 Historische Siedlungs- und Heiligtumsgeographie
5.4 Zusammenfassung

In diesem Kapitel handelt sich um mythologische Kontexte im Gedicht des Dionysios


Periegetes, die eng mit dem geographischen Stoff seines Werkes verbunden sind. Die
mythologische Vergangenheit selbst ist für Dionysios nicht so wichtig, ihn interessieren aber
die Vorstellungen über die mythologische Vergangenheit: Er benutzt sie als Anlass, um sein
Interesse zu konkreten geographischen Orten oder antiquarischen Details zu zeigen. Dabei
gibt es kaum einen Unterschied zwischen den kurzen mythologischen Exkursen und den
großen: In beiden Fällen sind nur die Einzelheiten wichtig, die direkt mit einem konkreten
geographischen Ort verbunden sind. Man findet keine umfassenden Mythenversionen in der
Erdbeschreibung, sondern nur kennzeichnende Details. Bemerkenswert ist auch die Tatsache,
dass die ganze Welt bei Dionysios durch die Verbreitung der mythologischen oder religiösen
Kultstätten zum Träger der griechischen Kultur wird. Dies lässt vielleicht sogar von der
ideologischen Position des Autors sprechen.
Manchmal betont Dionysios mythologische Passagen in seinem Text auch lexikalisch,
beispielsweise mit den Wörtern µῦθος („wie die Sage geht“, „nach der Sage“, vv. 144, 197),
φῆµις („die Kunde ... vermeldet“, v. 391) oder φάτις („so die Sage“, v. 545). Einzelne Wörter
bezeichnen temporale Beziehungen und weisen darauf hin, dass die im Gedicht erwähnten
mythischen Ereignisse in grauer Vorzeit geschehen sind: πάρος „vormals“ (v. 140), πρότερον
„vormals“ (v. 196), πότ(ε) „einst“ (vv. 207, 348 u. a.), προτέροις „in frühren Jahren“ (v. 365),
ἐπὶ προτέρων ἀνθρώπων „bei frühren Menschen“ (v. 455) – zum Unterschied von νῦν „jetzt“
(vv. 367, 950), d. h. zur Zeit des Dionysios oder seiner, uns unbekannten, Quelle. Solche
Wörter und Redewendungen tragen Funktion der temporalen Formeln, die davon zeugen, dass
der Stoff des dionyseïschen Gedichtes „chronologisiert“ wird und Anspruch auf einen
bestimmten Grad des Historismus erhebt.
Die Vorstufe der wissenschaftlichen Geographie bildet das allgemeine, teils
mythologische, Weltbild Homers, der als „Vater der geographischen Empirie“ (Strabo I 1, 2 C
7) gilt, in dessen Gedichten jene wurzelt1. Im geographischen Lehrgedicht des Dionysios
finden sich verschiedenartige Anspielungen auf die homerischen Epen (vor allem auf die
Odyssee als auf ein Reisendenepos) sowie auf die Argonautika des Apollonios Rhodios – das
geographische Handbuch der Antike. In diesen Muster-Texten für Dionysios sind mehrere

1
Zur homerischen Geographie s. beispielsweise den RE-Artikel von GISINGER (1924) 532–
536.

- 171 -
Teil I. Kap. 5. Mythologische Vergangenheit

Mythen über Götter und Heroen versammelt und ausführlich nacherzählt, die Dionysios dann
in seinem Werk nur kurz erwähnt. So entlehnt Dionysios aus den homerischen Epen den
Odysseus selbst und den Wohnsitz der Lotophagen (vv. 205–207)2, die Syrenenfelsen (v.
360)3, Kephallenier Städte (v. 436)4, die Inseln des Aiolos (vv. 461–466)5, die „fette Kerkyra,
der freundliche Boden des Alkinoos” (v. 494)6, den „Sitz der Nerikischen Ithaka“ (v. 495)7
und das Trojanische Ilios (vv. 815–818)8. Was die geographischen Details aus der
mythologischen Sage über den Argonauten-Zug des Apollonios Rhodios betrifft, so hat
Dionysios die Kyaneen-Felsen (v. 144)9, die Inseln des Apsyrtos (vv. 488–490)10, den Stamm

2
ἧς ὑπὲρ αἶαν / Λωτοφάγοι ναίουσι, φιλόξεινοι γεγαῶτες· / ἔνθα ποτ' αἰολόµητις ἀλώµενος
ἦλθεν Ὀδυσσεύς, „über deren Land hinaus (sc. über der Neapolis) wohnen die Lotophagen,
gastfreundlich von Wesen: dahin kam einst, umherirrend, der buntsinnige Odysseus“ (Dion.
Per. 205–207). Als die Mitreisenden des Odysseus bei den Lotophagen in Libyen eingelandet
sind, haben sie völlig vom Rückkehr nach Hause, nach Ithaka, vergessen (s. Hom. Od. IX 82
ff.).
3
πρὸς δὲ νότον, µάλα πολλὸν ὑπὲρ Σειρηνίδα πέτρην, / φαίνονται προχοαὶ Πευκεντίνου
Σιλάροιο, „Nach Süden hin aber, gar weit über den Sirenenfelsen hinaus, zeigen sich die
Ergießungen des Peukentinischen Silaros“ (Dion. Per. 360–361; vgl. Hom. Od. XII 167:
νῆσον Σειρήνοιϊν).
4
(Ἐχινάδας,) ᾗσιν ὁµούρων / ἕσπεται ἄλλυδις ἄλλα Κεφαλλήνων πτολίεθρα, „(Echinaden),
und der an diese angrenzenden Kephallenier Städte folgen darauf“ (Dion. Per. 435–436): Es
geht um die Kephallener, Untertanen des Odysseus (vgl. Hom. Il. II 631). S. auch: GÖTHE
(1875) 33.
5
τὴν δὲ µετ' Αἰόλου εἰσὶ περίδροµοι εἰν ἁλὶ νῆσοι, / Αἰόλου Ἱπποτάδαο, φιλοξείνου
βασιλῆος, / Αἰόλου, ὃς θηητὰ µετ' ἀνδράσιν ἔλλαχε δῶρα, / κοιρανίην ἀνέµων κλονεόντων
ἱσταµένων τε / ἑπτὰ δέ τοι ταί γ' εἰσίν, ἐπώνυµοι ἀνδράσι Πλωταί, / οὕνεκα µέσσον ἔχουσι
περίπλοον ἀµφιέλικτον, „Nach dieser (sc. Korsika) wiederum liegen ringsumlaufen in der
Salzflut des Aiolos Inseln, des Aiolos, des Hippotessohnes, des gastfreundlichen Königs, des
Aiolos, welcher unter den Menschen ansehnliche Gaben erloste, die Herrschaft über die
Winde, über die stürmenden und die sich legenden. Zu siebent aber sind ihm ebenjene, Ploten
von den Menschen zubenannt – deswegen, weil sie zwischen einander eine
rundherumlaufende Umschiffung gewähren“. Äolos, nach dessen Namen die Inseln genannt
wurden, ist bei Homer Gottheit der Winde und beherrscht die schwimmende Insel (Hom. Od.
X 1–75). Dionysios lokalisiert die Inseln des Aiolos zum Nord-Westen von Sizilien.
6
λιπαρὴ Κέρκυρα, φίλον πέδον Ἀλκινόοιο, „die fette Kerkyra, der freundliche Boden des
Alkinoos“ (Dion. Per. 494). Außer dem Odysseus, lies der König der Phäaken Alkinoos auch
Jason und Medea helfen (Apoll. Rhod. IV 1096–1169). Im Vers des Dionysios handelt es sich
um die Insel „Schwarzes Kerkyra“ an der Küste Illyriens (Apoll. Rhod. IV 569–571) – zum
Unterschied von der homerischen Insel Scheria (vgl. Hom. Od. VI 12 ff.; Timaios F 79 (54) =
Schol. Apoll. Rhod. 4 Jacoby: ἡ νῆσος ἡ Κέρκυρα· αὕτη πρότερον Σχερία ἐκαλεῖτο).
7
τῇ δ' ἐπὶ Νηρικίης Ἰθάκης ἕδος ἐστήρικται, „Auf diese aber folgend liegt der Sitz der
Nerikischen Ithaka festgestemmt“ (Dion. Per. 495).
8
Ἴλιον ἠνεµόεσσαν ἐπὶ πλευρῇσιν ἔχουσα, / Ἴλιον ἀγλαὸν ἄστυ παλαιγενέων ἡρώων, /
Ἴλιον, ἣν ἐπόλισσε Ποσειδάων καὶ Ἀπόλλων, / Ἴλιον, ἣν ἀλάπαξαν Ἀθηναίη τε καὶ Ἥρη,
„Ilios, das windgepeitschte, an seinen Flanken habend, Ilios, die glänzende Stadt vor alters
geborener Helden, Ilios, welches zur Stadt erbaute Poseidon und Apoll, Ilios, welches
zunichte machten Athene und Hera“ (Dion. Per. 815–818).
9
κυανέας ὅθι µῦθος ἀναιδέας εἰν ἁλὶ πέτρας / πλαζοµένας καναχηδὸν ἐπ' ἀλλήλῃσι φέρεσθαι,
„wo, wie die Sage geht, die Kyaneen, tückische Felsen in der Salzflut, unstet treibend, mit

- 172 -
Teil I. Kap. 5. Mythologische Vergangenheit

der Bebryker (v. 805), den Hylas – den Diener des Herakles (vv. 806–808)11, die Medea,
„Tochter des Aietes“ (vv. 1020–1028)12 in seine Erdbeschreibung genommen; der Periegetes
sagt aber nichts von dem Golden Vlies selbst, was auch selbstverständlich ist, da es mit der
Geographie nichts zu tun hat13.
Natürlich beschränkt sich Dionysios mit den Allusionen auf die homerischen Texte
oder auf das alexandrinische Epos des Apollonios Rhodios nicht, wenn er mythologische
Vergangenheit auf den geographischen Kontext projiziert. Der Dichter stellt neue Akzente,
macht unerwartete Bemerkungen, gestaltet Vorstellungsmotive über die Vergangenheit um
entsprechend seiner Forderung des literarischen Spiels und ordnet dabei den mythologischen
Stoff immer den geographischen Aufgaben unter. Für die Bearbeitung der traditionellen
Mythologie verwendet Dionysios Periegetes – wie seine alexandrinischen Vorgänger – solche
poetische Mittel wie Spiel und Unterhaltung14. Anscheinend wurde erwartet, dass sein Leser
gut gebildet war, vieles aus den Büchern schon wusste, Einbildungskraft beherrschte und
damit Andeutungen aller Art im Dionysiostext schnell erfassen konnte.

Getöse sich gegeneinander werfen“ (Dion. Per. 144–145). Nach Herodot (IV 85), die
Kyaneen beim Thrakischen Bosphoros wurden einst Planktai genannt; der Name Planktai
findet sich zum ersten Mal bei Homer (Od. XII 61).
10
ἑξείης δὲ πόροιο πρὸς αὐγὰς ἠελίοιο / Ἀψύρτου νήσων ἀναφαίνεται ἄσπετος ὁλκός, / ἅς
ποτε Κόλχων υἷες ἐπέδραµον, εὖτ' ἐµόγησαν / ἴχνια µαστεύοντες ἀλήµονος Αἰητίνης, „Der
Reihe nach weiter auf diesem Pfad, dem Frühlicht der Sonne entgegen, kommt der unsägliche
Zug der Inseln des Apsyrtos zum Vorschein, welche einst der Kolcher Söhne anliefen, als sie
sich erschöpft hatten, aufspürend die Fährten der umherschweifenden Aietestochter“ (Dion.
Per. 487–490). Nach der Sage, Apsyrtos mit Kolchern verfolgte seine Schwester Medea, die
mit Jason und den Argonauten entflohen war (Apoll. Rhod. IV 305 ff.).
11
Βέβρυκες δ' ἐπὶ τοῖσι καὶ οὔρεα Μυσίδος αἴης, / ἧχί περ ἱµερόεντα Κίος προΐησι ῥέεθρα, /
τοῦ ποτ' ἐπὶ προχοῇσιν Ὕλαν ἀπενόσφισε Νύµφη, / ὀτρηρὸν θεράποντα πελωρίου
Ἡρακλῆος, „Die Bebryker auf diese folgend (sc. Byzantisches Land) – und die Berge des
Mysischen Landes, ebenwo der Kios seine anmutigen Fluten vorantreibt, an dessen
Ergießungen einst den Hylas die Nymphe sich griff, den flinken Diener des ungeheuren
Herakles“ (Dion. Per. 805–808). Während Herakles erfolglos versuchte den entführten Hylas
zu finden, machten die Argonauten sich weiter auf den Weg (Apoll. Rhod. I 1223–1256). Die
Hinweise auf den Hylas-Mythos finden sich bei mehreren Autoren, z. B. bei Theokritos,
Apollonios Rhodios, Nikander, Propertius, Valerius Flaccus, Ausonius, Dracontius u.a. (mehr
dazu s.: MAUERHOFER (2004) passim).
12
Vgl. Dion. Per. 1022: Αἰήταο θυγατρός ~ Apoll. Rhod. IV 1297: Αἰήταο (...) θυγατρί;
Hesiod. Theog. 992: κούρην δ' Αἰήταο διοτρεφέος βασιλῆος. Dionysios verwendet in seiner
Passage über Medea eine Allusion auf den Eponymenmythos, in dem Medea einen Sohn
Medeios hat, der später zum Eponymen des Landes Midien wird (vgl. Hesiod. Theog. 1000–
1001: καί ῥ' ἥ γε δµηθεῖσ' ὑπ' Ἰήσονι ποιµένι λαῶν / Μήδειον τέκε παῖδα; Diod. IV 56, 1;
Strabo XI 13, 10 C 526).
13
Vgl. JACOB (1990) 44–51. Zu Parallelen zwischen den Argonautika und der
Erdbescheibung s. auch oben: Teil I. Kap. 4. Die poetische Technik des Dionysios Periegetes
(Intertextualität: Apollonios Rhodios) und unten: Teil II. Kap. 8. Pontische Völker und
Stämme (Die vierte Route).
14
Vgl. u. a. JACOB (1990) 44–51; WEBER (1993) passim.

- 173 -
Teil I. Kap. 5. Mythologische Vergangenheit

Ich habe keine Ansprüche, in diesem Kapitel das ganze Bild der mythologischen
Kontexten bei Dionysios systematisch zu erforschen. Hier werden nur einige Aspekte der
Deutung von der mythologischen Vergangenheit in der Erdbeschreibung betrachtet: (1) Die
Rolle der Götter (an Beispielen von Dionysos-Bakchos und Apollon), (2) die Welt der Heroen
und (3) die historische Siedlungs- und Heiligtumsgeographie.

5.1 Götter
Die Götter repräsentieren bei Dionysios traditionell die Grundlage von allem, was es in der
Oikumene gibt (vgl. „einzig aber die Götter vermögen alles leicht (...)“, v. 1169 ff.), und sind
das Symbol der griechischen Religion. In der Periegese des Dionysios finden sich die meisten
Namen der klassischen Götter des griechischen Pantheons15, sie werden aber in Kontext der
aufgezählten geographischen Objekte eingeflochten, wodurch sie ganz andere Funktionen –
im Vergleich zum homerischen oder hellenistischen Epen – bekommen16.
Die Beziehung des Dionysios zu den Göttern ist als eine Akzeptanz mit Beachtung
einer kritischen Distanz zu bestimmen17. Der Dichter strebt keine theologische Aussage an.
Die Götternamen und damit verbundene Vorstellungen von der mythologischen
Vergangenheit werden von Dionysios zugunsten seiner ornamentalen Interessen gedient, was
den wissenschaftlichen Stoff (d. h. Geographie) für den Leser hinreißender macht und
gleichzeitig der didaktischen Richtung untergeordnet ist18. Die von Dionysios erwähnten
Götter treten als markante künstlerische Zeichen auf und fördern das Auszeichnen eines
konkreten geographischen locus und damit die bessere Informationsspeicherung durch den
Leser/ Zuhörer. Außerdem tritt Dionysios als Verteidiger der traditionellen griechischen
Religion hervor, während er mit Hilfe der mythologischen Vergangenheit die Interessen der

15
Vgl.: Zeus (vv. 210, 255, 372, 447, 454, 501, 547, 871, 940, 1179), Hera (vv. 141, 371,
534, 818), Dionysos (578, 623, 842, 940, 1143), Apollon (vv. 444, 527, 817), Athena (v. 818),
Artemis (v. 827), Poseidon (vv. 817, 916), Aphrodite (vv. 484, 509), Ares (vv. 377, 654),
Hephaist (v. 522); den Namen des Hermes verbirgt Dionysios in einem Akrostichon (vv. 513–
532). Für die Benennung der Götter verwendet Dionysios oft die Eponymen, Zweitnamen, z.
B. die Kolias (v. 592) für die Aphrodite, die Tauropolos (v. 610) oder die Pfeilschütterin (v.
827) für die Artemis, Eiraphiotes (v. 576) oder Bakchos (vv. 700, 704) für den Dionysos u. a.
16
Beispielsweise lassen schon die Erwähnungen des Zeus eine thematische Differenzierung
sichtbar werden: (a) Zeus als Verkörperung der höchsten Gerechtigkeit (vv. 210, 372, 547,
1179), (b) die mit Zeus verbundenen Mythen, d. h. eine Dekorationsfunktion (vv. 501, 777,
871, 940), (c) die mit dem Namen des Zeus verbundenen Sehenswürdigkeiten, d. h. eine rein
geographische Funktion (v. 255).
17
Vgl. die poetische Erklärung des Dionysios in vv. 895–896: „und nicht wird mir wohl – so
als ob mein Wort gelogen wäre – jemand einen Tadel auferlegen!“. Von hier aus gewinnt man
übrigens den Zugang zu Aristoteles, der in seiner Poetik geschrieben hat: „auch in der
Tragödie verwendet ein Dichtergelegentlich etwas Wunderbares; aber im Epos ist das
Schwerdenkbare, die Haupquelle des Wunder baren, duchhaus am Platze ... Das Wunderbare
gefällt ... Homer hat den anderen Dichtern ein Beispiel gegeben, wie man Sachen, die nicht
wahr sind, berichten muss“ usw. (Poet. 24, 1460 a 25 f.; Übers. v. W. Schönherr).
18
Vgl. RAMIN (1979); DAWSON (1992) passim.

- 174 -
Teil I. Kap. 5. Mythologische Vergangenheit

Griechen nicht nur im eigenen Land, sondern auch in der ganzen Welt hielt19. Die sakralen
Orte, Heiligtümer und Tempel sind für die Selbstidentifikation des Autors wichtig und sind
vor allem mit der Tradition verbunden.
So folgt Dionysios in seinem Gedicht teilweise der genealogischen Dichtung, die mit
Hesiod beginnt, und erwähnt Götternamen mit ihren kultischen Stätten: z. B. Κρήτη
τιµήεσσα, ∆ιὸς µεγάλοιο τιθήνη, „Kreta, die verehrte, die Amme des großen Zeus“ (v. 501)
oder Σάµος ἱµερόεσσα, Πελασγίδος ἕδρανον Ἥρης, „die holde Samos, der Sitz der
Pelasgischen Hera“ (v. 534)20. Dabei bildet Dionysios in der Regel gleichzeitig eine
lexikalische Parallele zwischen seinen Versen und den homerischen Texten (beispielsweise
mit Hilfe charaktervoller Epitheta) und verbindet somit in seinem Werk die beiden
Richtungen des griechischen Epos – Homer und Hesiod21.
Für eine ausführlichere Analyse betrachten wir jetzt einzelne Passage aus dem Gedicht
des Dionysios, in denen zwei große Götter des griechischen Pantheons erwähnt sind:
Dionysos und Apollon. Dieser Auswahl wurde damit bestimmt, dass dem Dionysos – als
einem der ältesten Göttern, als einem reisenden und welteroberten Gott und, wahrscheinlich,
als einem Patron des Dichters selbst22 im Text viel Platz gewidmet wird23; der kaum wenig
wichtiger Status des Apollon wird im Gedicht durch die Erwähnungen seines Namens bei den
bekanntesten und wichtigsten Heiligtümern Griechenlands betont – in Delphi und auf Delos.
So tritt der Gott Dionysos mehrmals in ihm gewidmeten mythologischen Exkursen in
der dionyseïschen Erdbeschreibung hervor: Mittels seines Epiklese Θηβαιγενέος „von
Theben stammender“ wird von seiner Heimat in böotischen Theben berichtet (v. 623); der

19
Die fremden Gottheiten werden bei Dionysios sehr selten erwähnt, vgl. beispielsweise den
in einer Periphrase genannten Ammon (τέµενος Λιβυκοῖο θεοῦ, v. 212) und den
babylonischen Gott Belos (v. 1007).
20
Vgl. die anderen Beispiele: Κύπρος (...) ἐπήρατος αἶα ∆ιωναίης Ἀφροδίτης, „Kypros (...)
die liebliche Stadt der Dionetochter Aphrodite“ (Dion. Per. 508) (vgl. Hom. Od. VIII 362–
363: ἡ δ' ἄρα Κύπρον ἵκανε φιλοµµειδὴς Ἀφροδίτη, / ἐς Πάφον, ἔνθα τέ οἱ τέµενος βωµός τε
θυήεις); Λῆµνος, κραναὸν πέδον Ἡφαίστοιο, „Lemnos, der felsige Boden des Hephaistos“
(Dion. Per. 522) (vgl. Hom. Od. VIII 283, 293: αὐτὰρ ἐπεὶ δὴ πάντα δόλον περὶ δέµνια χεῦεν,
/ εἴσατ' ἴµεν (sc. Hephaist) ἐς Λῆµνον, ἐϋκτίµενον πτολίεθρον, / ἥ οἱ γαιάων πολὺ φιλτάτη
ἐστὶν ἁπασέων); Θάσος, ∆ηµήτερος ἀκτή, „Thasos, der Demeter Kornküste“ (Dion. Per. 523).
Wie es sich aus diesen Beispielen zeigt, wurde die Entstehung eines Kultus traditionell mit
dem Geburtsort des Gottes verbunden.
21
Es finden aber auch Ausnahmen bei Dionysios, wie z. B. in einer Passage über den
Aphroditos-Kult in kleinasiatischen Aspendos, wo die Göttin mit Schweinopfern verehrt wird
(Dion. Per. 851–853). Hier vertritt Dionysios eine homerische Version des Mythos, wonach
Aphrodite Tochter des Zeus und der Dione, einer der Okeaniden, sei (Hom. Il. V 370 ff.;
Hesiod. Theog. 353), vgl. die Version Hesiods, wonach Aphrodite Tochter des von Kronos
kastrierten Uranos sei (Hesiod. Theog. 182–201).
22
CL. SCHINDLER (2000, 180) erklärt die auffällige Aufmerksamkeit des Dionysios zum
Mythen über Dionysos durch den theophorischen Namen; vgl. eine ähnliche Rolle Apollons
im Epos des Apollonios Rhodios.
23
Es hat wohl vom 6. Jh. v. Chr. an kaum eine griechische Stadt geben, in der dem Dionysos
nicht Verehrung dargebracht wurde, und kein Gott ist von den Dichtern so viel besungen;
mehr zum Gott Dionysos s. z. B. im RE-Artikel von KERN (1905) 1010–1046.

- 175 -
Teil I. Kap. 5. Mythologische Vergangenheit

Zug des Dionysos über die Länder bis nach Indien, wo sich „jetzt“ die Nysäische Strasse
befindet (vv. 1152–1160) und die Dionysischen Säulen am Rande der Oikumene stehen (vv.
623–624 und 1164–1165), dient der Verbreitung seines Kultes, der im Westen bei den Kelten
(vv. 570 ff.), im Mittelmeer in Thrakien, im Osten am Fluss Ganges (vv. 577–578) und bei
den indischen Gargariden (vv. 1143–1144), in Kleinasien bei den Lydiern (vv. 839–845), auf
dem Kaukasus bei den Kamaritern (vv. 700–705)24 zu finden ist25. Einen auffällig
ausführlichen Exkurs widmet Dionysios einer Mythenversion über die zweite Geburt des
Gottes Dionysos aus dem Schenkel des Zeus in Südarabien26:

935 ἄλλο δέ τοι καὶ θαῦµα µέγ' ἔξοχον ἔλλαχ' ἐκείνη·


αἰεὶ κηώεσσα θύοις ὕπο λαρὸν ὄδωδεν
ἢ θύου ἢ σµύρνης ἢ εὐόδµου καλάµοιο
ἢ καὶ θεσπεσίοιο πεπαινοµένου λιβάνοιο
ἢ κασίης· ἐτεὸν γὰρ ἀνὰ χθόνα λύσατο κείνην
940 Ζεὺς αὐτὸς ∆ιόνυσον ἐϋρραφέος µηροῖο·
τῷ καὶ γεινοµένῳ κηώδεα γείνατο πέζαν.
µῆλα δὲ καὶ τῆµος λασίοις ἐβαρύνετο µαλλοῖς
ἐν νοµῷ, αὐτόµατοι δὲ κατέρρεον ὕδασι λίµναι·
ὄρνιθες δ' ἑτέρωθεν ἀοικήτων ἀπὸ νήσων
945 ἦλθον φύλλα φέροντες ἀκηρασίων κιναµώµων.
αὐτὰρ ὁ νεβρῖδας µὲν ἐπωµαδίας ἐτάνυσσε,
κισσῷ δ' ἱµερόεντι καλὰς ἔστεψεν ἐθείρας
ἀκροχάλιξ οἴνῳ, πλεκτοὺς δ' ἀνεδήσατο θύρσους,
µειδιόων, καὶ πολλὸν ἐπ' ἀνδράσιν ὄλβον ἔχευεν.
950 τοὔνεκεν εἰσέτι νῦν λιβάνῳ κοµόωσιν ἄρουραι,
οὔρεα δὲ χρυσῷ, ποταµοὶ δ' ἑτέρωθι θυηλαῖς·
αὐτοὶ δ' ἐνναέται µάλα πίονα δῆµον ἔχουσι,
χρυσείοις πέπλοισιν ἀγαλλόµενοι µαλακοῖσιν·
„Doch ja auch ein anderes Wunder, ein groß herausragendes, erloste jenes:
stets duftend unter Räucherwerk, trägt es einen köstlichen Geruch –
sei es von Thujenholz oder wohlriechender Myrrhe, sei es von Kalmus
oder auch vom göttlichen, tropfweichen Weihrauch,
oder von Kassienrinde. Wahrhaftig nämlich löste sich auf jenem Boden
Zeus selbst den Dionysos aus der Seite des wohl vernähten Schenkels;
und diesem erwuchsen schon bei der Geburt die Wohlgerüche alle.
Die Schafe auch wurden damals von dichtwolligen Vliesflocken beschwert

24
Ausführlicher zu der Passage über Bakchos bei dem pontischen Stamm der Kamariter s.
unten: Teil II. Kap. 8. Pontische Völker und Stämme (Die dritte Route).
25
Die Anfänge der Sage vom welterobernden, vor allem aber in den Orient vordringenden
Dionysos lassen sich bereits im 5. Jh. v. Chr. nachweisen. Bei Euripides gelangt Dionysos,
begleitet von einer Schar lydischer Frauen, nach seiner Siegesfahrt durch Persien, Baktrien,
Mydien, Arabien und Asien nach Theben (Ba. 13–25, vgl. Str. XV 1, 7 C 687, der auf diese
Verse des Euripides hinweist).
26
Das Thema der Gottesgeburt nimmt einen wichtigen Platz bereits in der Dichtung des
Hesiod: vgl. die Geburt des Dionysos – Theog. 940–942, oder die der Aphrodite – Theog. 191
ff., oder des Zeus – Theog. 457ff. u. a.)

- 176 -
Teil I. Kap. 5. Mythologische Vergangenheit

auf der Weide, von selbst strömten die Seen über von Wassern,
und die Vögel – von drüben, von unbesiedelten Inseln her
kamen sie, Blätter tragend von lauterem Zimt.
Er indes breitete Hirschkalbfelle über die Schultern,
mit holdem Efeu bekränzte er die schönen Haare,
hochtrunken vom Weine schwang er sich die umflochtenen Thyrsosstäbe empor,
lächelnd, und vielen Reichtum goss er aus unter den Menschen.
Deswegen prangen bis heute noch die Fluren von Weihrauchgehölz,
die Berge von Gold, die Flüsse ihrerseits von Räucherwerk.
Die Einwohner selbst bieten ein gar üppiges Volk,
die sie mit goldenen Gewändern prunken, mit weichen“ (Dion. Per. 935–954).

Als Mutter des Dionysos galt Semele, die ihren göttlichen Sohn unter Donner und Blitz
gebiert. Sie selbst wurde durch den Blitz getötet, so dass Zeus, der Vater des Dionysos, ihre
unreife Leibesfrucht in seinen Schenkel einnähen musste, aus dem dann Dionysos zu zweiten
Mal geboren wird27. Von seiner zweiten Geburt erzählte man an vielen Orten: So wurden in
den antiken Quellen unter anderen Naxos28, Teos29, Andros30, Elis31, Sangarios32 genannt33.
Der ganze Abschnitt in der dionyseïschen Erdbeschreibung wird nach der Form nach den
homerischen und alexandrinische (vor allem kallimacheïschen) Götterhymnen orientiert und
stellt einen kleinen Hymnus zu Dionysos dar. In Versen 935–939 geht es zuerst um ein
merkwürdiges Land Arabia Felix; ab Vers 939 beginnt ein neues Thema über die Geburt des
Dionysos und sie begleitende ungewöhnliche Erscheinungen (vv. 939–945). Danach kommt
eine Epiphania des Gottes: Dionysos – als auch die Götter in homerischen oder
kallimacheïschen Hymnen34– erscheint vor den Menschen in seiner göttlichen Gestalt, mit
traditionellen Attributen (Hirschkalbfelle, Efeu, Tyrsosstäbe) und gießt vielen Reichtum aus
(vv. 946–949)35. Am Schluss des Exkurses wird berichtet, dass die hier immer noch
anwesenden wunderbaren Eigenschaften der Landschaft mit der Geburt des Dionysos an
diesem Ort erklären sind (vv. 950–953). Auf solche Weise tritt der Mythos als αἰτία der
merkwürdigen Erscheinungen: Im Tal prangen noch bis heute die Fluren von
Weihrauchgehölz, die Schafe besetzten die dichtwolligen Vliesflocken, die Berge sind voll
von Gold usw. (vv. 941–945 und 950–954). Diese Verbindung von den Mythoskomponenten
und von der Paradoxographie zeigt, einerseits, die Wichtigkeit des Ereignisses, d. h. der
Gottesgeburt, andererseits – zieht die Aufmerksamkeit des Lesers auf das Wunder. So kann

27
Vgl. Hesiod. Theog. 940; oder Eurip. Bacc. 1–5: Ἥκω ∆ιὸς παῖς τήνδε Θηβαίαν χθόνα
/ ∆ιόνυσος, ὃν τίκτει ποθ' ἡ Κάδµου κόρη / Σεµέλη λοχευθεῖσ' ἀστραπηφόρωι πυρί· / µορφὴν
δ' ἀµείψας ἐκ θεοῦ βροτησίαν / πάρειµι ∆ίρκης νάµαθ' Ἱσµηνοῦ θ' ὕδωρ.
28
Diod. V 52; s. auch III 66.
29
Diod. III 66.
30
Plin. nat. hist. II 231.
31
Paus. VI 26, 1, 2.
32
Arr. = Eust. ad Dion. Per. 939.
33
Ausführlicher dazu s.: KERN (1905) 1034–1035.
34
Vgl. Hom. h. Cer. 101–104; Call. h. Cer. 43–55 u. a.
35
Vgl. einen sinnlichen Anklang mit Hom. Il. XIV 325, wo Dionysos χάρµα βροτοῖσιν
bedeutet und damit gleichzeitig den Wein verkörpert.

- 177 -
Teil I. Kap. 5. Mythologische Vergangenheit

man zusammenfassen, dass die mythologische Vergangenheit sich auf solche Weise in
Wunderdingen (θαῦµα, v. 935) des Alltags (νῦν „bis heute noch” – v. 950) immer noch erhält.
Der ätiologische Exkurs über die Geburt des Gottes mit einer Auflistung der
naturwissenschaftlichen Paradoxa dient nicht nur dafür, um die Gelehrsamkeit des Dichters zu
zeigen und den Leser mit den wunderbaren Daten zu unterhalten, sondern auch wird durch
Elemente des literarischen Spiels gefüllt. Beispielsweise wird das Partikelchen ἤ dreimal in v.
937 horizontal und dreimal in vv. 937–939 vertikal nach Modell eines Gamma-Akrostichon
verwendet, was bei der Aufzählung der exotischen Pflanzen Arabiens (Tujenholz, Myrrhe,
Kalmus, Weihrauch, Kassienrinde) einen visuellen Effekt schafft36. Das Wort λιβάνοιο am
Ende des Verses 938 wird in einer ähnlichen Position im v. 954 wiederholt, aber in einer
neuen Bedeutung. Die Redewendung ἐϋρραφέος µηροῖο „des wohl vernähten Schenkels“ (v.
940)37 stellt eine Allusion auf die berühmte Epiklese des Dionysos Εἰραφιώτης (es findet sich
in v. 576) dar. Kann sein, dass Dionysios in diesem Abschnitt auch den Wortgebrauch des
Theokritos (Id. XXIX 29) wiederholt, als er in v. 946 das Beiwort ἐπωµαδίας (νεβρῖδας)
verwendet; IS. TSAVARI weist jedoch in diesem Fall auf den Wortgebrauch des Kallimachos
(h. Cer. 44) hin und folgt dann Eustathius (ad Dion. Per. 939), während sie weiter vorschlägt,
aufgrund dieser Parallel im Text des Dionysios κατωµαδίας statt ἐπωµαδίας in 946 zu lesen38.
Am Anfang des v. 948 verwendet Dionysios eine Entlehnung aus dem Text des Apollonios
Rhodios: ἀκροχάλιξ οἴνῳ (Dion. Per. 948) ~ ἀκροχάλιξ οἴνῳ (Apoll. Rhod. IV 432, ebenso im
Kontext über den Dionysos, am Anfang des Verses).
Durch den ganzen Abschnitt geht das Thema des Glücks, der Fülle und des
Wohllebens: vgl. in v. 927 „der höchst reichen Araber Land“ (ὀλβίστων Ἀράβων αἶα), in v.
934 „schwerreiche und prunkende Stämme“ (πολύολβα καὶ ἀγλαὰ φῦλα), in v. 949 „vielen
Reichtum (...) unter den Menschen“ (πολλὸν ἐπ' ἀνδράσιν ὄλβον)39. Dem Glück und dem
Reichtum der fein lebenden Araber wird in den nächsten Versen die Armut und das Wild der
unglücklichsten Erember entgegengesetzt, die den Arabern gegenüber in Libyen wohnen (vv.
962–968). Sein Grundmotiv hebt Dionysios ausdrücklich am Schluss hervor: „Nicht nämlich
an Reichtum den gleichen Anteil erlegte allen Menschen die Gottheit auf“ (οὐ γὰρ ἐν ὄλβῳ /
ἴσην µοῖραν ἅπασιν ἐπ' ἀνδράσι θήκατο δαίµων, vv. 968–969). Das ist nicht nur der Hinweis
auf die Macht des Gottes, sondern auch – und vor allem – eine Geste der Demut.
Dem Apollon40 wird in der Erdbeschreibung eine Passage gewidmet, die eine
Periphrase zum Delphischen Heiligtum des Gottes darstellt:

36
Man kann sagen, dass Dionysios in diesem Fall als Rhetor mit fremdartigen Wörtern und
Ausdrücken spielt; vgl. Arist. Poet. 22, 3, 1458 a 22: ὄνοµα ξενικόν.
37
Vgl. Theocr. Id. XXVI 33–34: Χαίροι µὲν ∆ιόνυσος, ὃν ἐν ∆ρακάνῳ νιφόεντι / Ζεὺς
ὕπατος µεγάλαν ἐπιγουνίδα κάτθετο λύσας.
38
TSAVARI (1990b) 103; RASCHIERI (2004) 124–125.
39
Vgl. auch Dion Per. 1062: ὄλβος ἀπείριτος „der nicht endende Reichtum“ (die
Wortverbindung findet eine Parallele bei Hesiod. Scut. 204) über das Glück und Reichtum der
Perser.
40
Die Name Ἀπόλλων wird dreimal im Gedicht des Dionysios erwähnt (vv. 444, 527 und
817), niemals jedoch als Φοῖβος genannt (vgl. Call. h. Apoll., wo Apollo 16-mal erscheint,

- 178 -
Teil I. Kap. 5. Mythologische Vergangenheit

437 τῷ δ' ἐπὶ Φωκὶς ἄρουρα, πρὸς ἀντολίην τε καὶ ἠῶ


ἑλκοµένη βορέηνδε κατὰ στόµα Θερµοπυλάων,
Παρνησοῦ νιφόεντος ὑπὸ πτυχί· τῆς διὰ µέσσης
440 Κηφισοῦ µέγα χεῦµα κατερχόµενον κελαρύζει.
τῷ πάρα Πυθῶνος θυόεν πέδον, ἧχι δράκοντος
∆ελφύνης τριπόδεσσι θεοῦ παρακέκλιται ὁλκός,
ὁλκός, ἀπειρεσίῃσιν ἐπιφρίσσων φολίδεσσι,
νηῷ ἐν µεγάλῳ, τόθι πολλάκις αὐτὸς Ἀπόλλων
445 ἱστάµενος χρυσέης ἀναλύεται ἅµµα φαρέτρης,
ἢ ἀπὸ Μιλήτοιο ἢ ἐκ Κλάρου ἄρτι βεβηκώς
„Nach diesem aber (sc. Ätolischen Land) die Phokische Ackerflur, dem Sonnenaufgang
und Morgenrot zu,
sich hinziehend nach Norden zur Einmündung der Thermopylen hinab,
unterhalb der Auffaltung des beschneiten Parnasos; und mitten durch diese
hinabsteigend, plätschert des Kephisos mächtiger Guss.
An dessen Seite Pythons weihrauchduftender Boden, wo der Schlange
Delphyne Leibesstrang um die Dreifüße des Gottes gebogen ist,
der Leibesstrang, von unendlichen Schuppen starrend,
im holden Tempel, wo oftmals Apollon selbst
– sei ‘s von Milet, sei ‘s von Klaros soeben gegangen –
sich niederlassend die Schlinge des goldenen Köchers sich löst“ (Dion. Per. 437–446).

Die Themen und der Wortschatz des Abschnittes über den Apollon-Tempel in Delphi (der
beschneite Parnasos, der Fluss Kephisos, Delphyne-Python, der holde Tempel, die goldene
Rüstung des Apollon u. a.) rufen wieder die Assoziation mit einem homerischen Hymnus an,
und zwar mit dem Hymnus an Apollon, zu. Das Epitheton des Tals θυόεν πέδον,
„weihrauchduftender Boden“ (v. 441) soll den Rauch von zahlreichen Brandopfern dem
Apollon im Heiligtum bezeichnen (vgl. Eust. ad Dion. Per. 444)41. Es wird hier der älteste
Name des Gebietes am Parnasosfluss von der Seite von Delphi angeführt: Πυφῶνος ... πέδον
(v. 441)42. Der Ortsname wird vom Gestank der riesigen Schlange (δράκοντος ∆ελφύνης, vv.
441–442) hergeleitet, die Apollon vor Inbesitznahme von Delphi töten musste43, und die nach
ihrem Tod den Namen Python (von πύθοµαι „verfaulen“) bekommen hat. Bemerkenswert
wählt Dionysios für die Schlange statt einer üblichen Maskulinform ὁ ∆ελφύνης eine
dichterische weibliche Form ἡ ∆ελφύνη aus (bemerkt bereits bei Eust. ad Dion. Per. 441) –
dieselbe weibliche Form findet sich bei Kallimachos (F 88 Pfeiffer), was vermuten lässt, dass
eben Kallimachos in diesem Fall als Quelle für Dionysios dienen könnte44. Der Name

und 17-mal Φοῖβος, nie aber mit einander, immer als Alternativbenennung; anders bei Homer
– als Formel Φοῖβος Ἀπόλλω).
41
Vgl. auch: Hom. Il. VIII 48, XXIII 148, Od. VIII 363; h. Hom. Cer. 318, 490; Apoll. Rhod.
I 307: ἐκ νηοῖο θυώδεος.
42
Vgl. h. Hom. II 183: πρὸς Πυθὼ πετρήεσσαν, Hom. Il. IX 404: Πυθοῖ ἔνι πετρηέσσῃ.
43
Vgl. h. Hom. II 371–374; Call. F 88 Pfeiffer.
44
A. A. RASCHIERI (2004) 84–85 weist auch auf einen der Scholien zu den Argonautika des
Apollonios Rhodios hin (Schol. ad Apoll. Rhod. II 706), wonach von Apollonios die
Maskulinform verwendet wurde während bei Kallimachos eine weibliche Form. S. auch:
PHILIPPE (2005) 255–261; MATTEO (2008) ad loc.

- 179 -
Teil I. Kap. 5. Mythologische Vergangenheit

„Delphyne“ erscheint auch wegen der Vorliebe der antiken Autoren für etymologisches Spiel
als Assoziation zu den ∆ελφοί45.
In Delphi hat Apollon einen Tempel gegründet, der bereits in der Ilias erwähnt wird46;
die dionyseïsche Redewendung τριπόδεσσι θεοῦ (v. 442) stellt eine Periphrase des
weltberühmten Orakels des Apollon: Auf einem τρίπους saß die Weissagerin Pythia47. Die
Biegungen des Drachens um die heilige Dreifüße werden durch eine Symploke ὁλκός - ὁλκός
(vv. 442–443) betont48. Dionysios erwähnt in seiner Passage auch ein Heiligtum des Apollon,
das sich in Milet befand, und einen Tempel mit einem Orakel in der Nähe von Milet – in
Klaros (Kleinasien)49: Damit ist diese Stelle des Dionysios möglicherweise eine Imitation von
einer Stelle der Argonautika des Apollonios Rhodios (I 307–309), wo auf ähnliche Weise
mehrere Apollos-Kultstätte in verschiedenen Orten der Oikumene aufgezählt sind50. Die
Richtung des apollonischen Ankommens von Kleinasien nach Griechenland könnte auch
indirekt auf die reale Verbreitung seines Kultes aus Asien hinweisen. Eine Parallel zur
goldenen Rüstung des Apollon (χρυσέης ... ἅµµα φαρέτρης, „die Schlinge des goldenen
Köchers“, v. 445) findet sich in homerischen Hymnen: Φοίβου Ἀπόλλωνος χρυσαόρου (h.
Hom. Ap. 395)51.
Eine Assoziation mit den beiden Göttern stellt eine andere Passage aus der
Erdbeschreibung des Dionysios dar:

830 Μῃονίη δ' ἐπὶ τῇσιν ἐπ' ἀντολίην τετάνυσται


Τµώλῳ ὑπ' ἠνεµόεντι, τόθεν Πακτωλὸς ὁδεύων
χρυσὸν ὁµοῦ δίνῃσιν ἐφελκόµενος κελαρύζει·
τοῦ δ' ἂν ἐπὶ πλευρῇσι καθήµενος εἴαρος ὥρῃ
κύκνων εἰσαΐοις λιγυρὴν ὄπα, τοί τε καθ' ὕδωρ
835 ἔνθα καὶ ἔνθα νέµονται ἀεξοµένης ἔτι ποίης·
πολλοὶ γὰρ λειµῶνες ἐν Ἀσίδι τηλεθάουσιν,
ἔξοχα δ' ἂµ πεδίον Μαιάνδριον, ἔνθα Καΰστρου
ἥσυχα παφλάζοντος ἐπιρρέει ἀγλαὸν ὕδωρ.
οὐ µὰν οὐδὲ γυναῖκας ὀνόσσεαι, αἳ περὶ κεῖνο

45
Zum Verhältnis der Namen Pytho (älter) – Delphoi (jünger) s. einen RE-Artikel von
LAUFER (1963) 576–579, der Delphoi als einen alten Namen der Bewohner von Pytho ansieht
– bei der Eigenart Delphis (BURKERT (1972) 134) die Priester.
46
Hom. Il. II 519; IX 404–405.
47
Zu Apollon Delphinios s.: BOURBOULIS (1949); über die Sonderform des Apollon s.: GRAF
(1979) 2–22.
48
Vgl. ähnliches über einen Efeu bei Theocr. Id. I 29–30: τῶ ποτὶ µὲν χείλη µαρύεται ὑψόθι
κισσός, / κισσὸς ἑλιχρύσῳ κεκονιµένος (HUNTER (2003) 352).
49
αὐτὸς Ἀπόλλων ... ἢ ἀπὸ Μιλήτοιο ἢ ἐκ Κλάρου ἄρτι βεβηκώς, „Apollon selbst – sei ‘s von
Milet, sei ‘s von Klaros soeben gegangen“ (vv. 444–446); vgl. h. Hom. I 40: Κλάρος
αἰγλήεσσα.
50
οἷος δ' ἐκ νηοῖο θυώδεος εἶσιν Ἀπόλλων / ∆ῆλον ἀν' ἠγαθέην ἠὲ Κλάρον, ἢ ὅγε Πυθώ / ἢ
Λυκίην εὐρεῖαν ἐπὶ Ξάνθοιο ῥοῇσι (Apoll. Rhod. I 307–309). Zu dieser Parallel s.:
BERNHARDY (1827) 638; TSAVARI (1990b) 66.
51
Vgl. auch das Beiwort ἑκατήβολος „treffsicher, nie fehlend“ (h. Hom. Ap. 222).

- 180 -
Teil I. Kap. 5. Mythologische Vergangenheit

840 θεῖον ἕδος, χρυσοῖο κατ' ἰξύος ἅµµα βαλοῦσαι,


ὀρχεῦνται, θηητὸν ἑλισσόµεναι περὶ κύκλον,
842 εὖτε ∆ιωνύσοιο χοροστασίαι τελέθοιεν·
„Mäonien aber, auf diese (sc. Ionien) folgend, ist gen Osten ausgedehnt,
am Fuße des windgepeitschten Tmolos, von wo aus seinen Weg nehmend, der Paktolos
rauscht, zugleich mit den Strudeln Gold mit sich einherschleppend;
an dessen Seiten aber sitzend zur Frühlingszeit,
dürftest du wohl der Schwäne helltönende Stimme vernehmen, welche über das Wasser
hin
hier und da weiden auf dem wuchernden Gras;
denn viele Wiesen grünen und blühen in Asien,
vornehmlich aber die Maiandrosebene hinauf, wo des Kaystros,
des gemächlich plätschernden, glänzendes Wasser dahin fließt.
Und wahrlich auch nicht die Frauen wirst du tadeln, welche rings um jenen
göttlichen Sitz, eine Schlinge von Gold um die Lende geworfen,
tanzen, sich drehend rings in einem bestaunenswerten Kreis,
sooft sie des Dionysos Reigentänze vollführen“ (Dion. Per. 830–842).

Die Schwäne am Paktolfluss rufen in der Einbildungskraft den Gott Apollon zu, wenn auch
von ihm selbst im Abschnitt kein Wort gesagt wird: Aus den Mythen ist aber bekannt, dass
die Schwäne den Apollon besingen52 und als heilige Vögel dieses Gottes gelten53. In dieser
Passage mit Mäonien, mit dem Paktolfluss und mit den Schwänen spielt Dionysios
wahrscheinlich auf die Verse des Apollonios Rhodios (IV 1300–1302), in denen auf ähnliche
Weise die Schwäne (als Komponente des Mythos über Apollon) eng mit dem Ortsnamen des
Paktolflusses verbunden sind54, und gleichzeitig auf Kallimachos (In Del. 249–251)55 an.
Andererseits, ehren nach Dionysios die dort wohnenden Frauen in ihren Reigentänze um
einen göttlichen Sitz den Gott Dionysos (vv. 839–842): Mäonien war zwar berühmt für diese
dionysischen Riten, Beweise wofür sich bei Nonnos finden56.

5.2 Heroen
Im Gedicht des Dionysios existiert gleichzeitig mit der Welt der Götter und ist ihr benachbart
die Welt der Heroen57. Während die Verbindung zwischen den Göttern und den Heroen eine

52
Vgl. h. Hom. XXI 1–3: Φοῖβε σὲ µὲν καὶ κύκνος ὑπὸ πτερύγων λίγ' ἀείδει / ὄχθῃ
ἐπιθρῴσκων ποταµὸν πάρα δινήεντα / Πηνειόν.
53
HUNTER (2003) 348–350.
54
Vgl.: ἢ ὅτε καλὰ νάοντος ἐπ' ὀφρύσι Πακτωλοῖο / κύκνοι †κινήσουσιν ἑὸν µέλος, ἀµφὶ δὲ
λειµών / ἑρσήεις βρέµεται ποταµοῖό τε καλὰ ῥέεθρα, „wenn an den Höhen des schön
dahinfließenden Paktolos die Schwäne ihre Weise anstimmen, und ringsum tönen die betauten
Wiesen und die schönen Strömungen des Flusses“ (Übers. von P. Dräger).
55
Vgl.: κύκνοι δὲ †θεοῦ µέλποντες ἀοιδοί† / Μῃόνιον Πακτωλὸν ἐκυκλώσαντο λιπόντες /
ἑβδοµάκις περὶ ∆ῆλον (Call. h. IV 249–250).
56
Nonn. Dion. X 307: ναίω Μαιονίην, XXV 451: Μαιονίην δ' ... τροφὸς ... Βάκχου, XL 152:
µηδὲ νοήσω / Μαιονίην, µὴ Τµῶλον ἴδω, µὴ δῶµα Λυαίου, u.a. S. dazu auch: BERNHARDY
(1825) 755–756; GGM (1861) 156; RASCHIERI (2004) 117.
57
S., z. B., vv. 451–454, in denen gesagt wird, dass auf der Insel Gadeira die Phöniker den
Herakles als eine Gottheit ehren.

- 181 -
Teil I. Kap. 5. Mythologische Vergangenheit

imaginäre Linie „oben – unten“ bildet, wird sie auch mit einer imaginären Perspektive im
räumlichen Breite ergänzt: Die Handlungsverbreitung der mythologischen Gestalten erweitert
den geographischen Raum der Oikumene. Ohne Zweifel verbindet Dionysios mit dem Begriff
„Heros“ (ἥρως) keinen ursprünglichen religiösen Sinn, sondern verwendet die
mythologischen Heroen wie Kadmos, Bellerophontes, Herakles, Achilles u. a. als literarische
Gestalten, die mit jenem oder anderem geographischen Punkt assoziiert und verbunden sind.
Gleichzeitig treten die Heroen in seinem Text als griechische Kulturträger sowohl in als auch
außer Griechenland hervor.
Die Erwähnung einiger mythologischen Gestalten widerspiegelt wohl die dionyseïsche
Huldigung an Homer, dies bestätigen auch lexikalische Anklänge. Beispielsweise werden im
Gedicht der homerische Heros Diomedes, dessen Heldentaten im fünften Buch der Ilias
beschrieben sind, und die nach ihm genannte Insel im Adriatischen Meer genannt:

481 ἀλλ' ὁπότ' Ἀδριάδος σκαιὸν πόρον ἀµφιτρίτης


εἰσελάσῃς ἐπὶ νηός, Ἰηπυγίην ἐπὶ γαῖαν,
δήεις ἰφθίµου ∆ιοµήδεος αὐτίκα νῆσον,
ἔνθ' ἥρως ἀφίκανε, χαλεψαµένης Ἀφροδίτης,
485 ὁππότε τηλίστων µετεκίαθεν ἔθνος Ἰβήρων,
ἧς ἀλόχου βουλῇσι κακόφρονος Αἰγιαλείης
„Doch sowie du in den linksseitigen Pfad des Adriatischen Meeres
eingefahren bist zu Schiffe, zum Iapigischen Land hin,
wirst du sogleich des kraftgewaltigen Diomedes Insel finden,
wo der Heros hingelangte – da sich erzürnt hatte Aphrodite – ,
nachdem er fortgeganden war zum Volk der vielfach erflehten Iberer –
wegen der Absichten seiner Gemahlin, der übelgesinnten Ägialeia“
(Dion. Per. 481–486).

In diesem Abschnitt wird kurz die Geschichte des Diomedes nach dem Trojanischen Krieg
nacherzählt: Die von Diomedes im Krieg verwundete Aphrodite (Hom. Il. V 336) rächte sich
– Ägialeia, die Gattin des Diomedes, befindet sich zu Hause in Argos im Ehebruch mit
Komes, dem Sohn des Sthenelos (ἥρως ... χαλεψαµένης Ἀφροδίτης ... κακόφρονος
Αἰγιαλείης, Dion. Per. 484–486)58. Diomedes verließ Argos nach dem Ehebruch der Gattin
und gelangte auf seiner Irrfahrt nach Iberien, zu König Daunos59; später wurde Diomedes auf
einer nach ihm benannten Adria-Insel bestattet60.

58
Vgl. Apollod. I 8, 6; Schol. Hom. Il. V 412; Schol. Dion. Per. 483; Eust. ad Dion. Per. 483.
59
S. auch: Lycoph. 592, 643; Schol. Lycoph. 615; Strabo VI 3, 9 C 284.
60
Um eine einzelne Insel des Diomedes geht es auch bei Aristoteles (Arist. mir. 79),
Kallimachos (Fragm. Gramm. F 407, 164 Pfeiffer = Lycos. F 4 FHG II 371) und Ps.-Scymnos
(431–433 Marcotte), während nach Strabon (VI 3, 9 C 284) gibt es zwei Inseln (heute die
größte von den Isole di Tremiti, gegenüber dem Kap Gargano) und nach Ptolemaios (Geogr.
III 1, 69) – fünf. Die Gefährten des Diomedes wurden in Vögel verwandelt, die den Heiligtum
des Heros auf der Insel bewachten (Antig. mir. 172 Gianinni = Call. F 26 Pfeiffer; vgl. Verg.
Aen. XI 271 sq.; Ovid. met. XIV 497 sq.; Plin. nat. hist. X 61; Aelian. HA I 1; Myth. Vat. I. II

- 182 -
Teil I. Kap. 5. Mythologische Vergangenheit

Es finden sich hier auch nicht nur sinnliche, sondern auch lexikalische Anklänge mit
dem homerischen Text. So das von Dionysios verwendete homerische Beiwort ἰφθίµου
(∆ιοµήδεος, v. 483) ~ ἰφθίµη ἄλοχος ∆ιοµήδεος über die Ägialeia, die Gattin des Diomedes
(Hom. Il. V 415) oder ἴφθιµος bei den Sthenelos (Hom. Il. XXIII 511) bildet eine klare
Parallel zum homerischen Text. Die Redewendung κακόφρονος Αἰγιαλείης bei Dionysios (v.
486) stellt eine umgekehrte Anspielung auf homerische Αἰγιάλεια περίφρων (Il. V 412). Das
dionyseïsche Beiwort τηλίστων (zu den Iberen) findet sich in seiner neutralen Bedeutung
„der weiteste“ in Orph. Arg. 181; nach Eustathius wird es jedoch bei Dionysios als Synonym
zu τρίλλιστος „dreimal bzw. oftmals erfleht, heiß ersehnt“ verwendet: ὁ ∆ιοµήδης εἰς
τριλλίστους ἤ τηλίστους Ἴβηρας ἦλθε (Eust. ad Dion. Per. 483), was seinerseits dem
homerischen πολύλιστος entspricht, weil Dionysios τρίς und πολύ oft ersetzt (vgl. v. 476:
πολυγλώχινι statt τριγλώχινι) (so Eust. ad Dion. Per. 483). Das Wort τρίλλιστος „dreimal
bzw. oftmals erfleht, heiß ersehnt“ trifft man schon als hapax legomenon bei Homer (Il. VIII
488) und später bei Kallimachos (h. VI 138: τρίλλιστε beim Anruf an Demeter)61.
Eine weitere Passage des Dionysios wird den Inseln des Apsyrtos im Adriatischen
Meer gewidmet (vv. 487–490) und inhaltlich mit dem mythologischen Zyklus über die
Argonauten verbunden, zu dem auch solche Episoden der Erdbeschreibung gehören wie die
Entführung des Hylas, den Diener des Herakles, von der Nymphe am Fluss Kios (vv. 806–
808), der Rückkehr der Medea aus Attika ins an Kolchis begrenzte Land, die nach dem
Namen ihres Sohnes Medas Medien genannt wird (vv. 1020–1028) u. a. Die Apsyrtischen
Inseln an der illyrischen Küste (bei Pula) werden verschiedenerweise mit dem Mord des
Apsyrtos, des Sohnes des Kolcherkönigs Aietes und Stiefbruders der Medea, verbunden, unter
anderem als Ort des Mordes: Die Leiche des Apsyrtos wird dort ans Land gespült, und die
Argo weissagt, die Argonauten müssten sich auf dieser Insel von Kirke entsühnen lassen62.
Dionysios schreibt:

487 ἑξείης δὲ πόροιο πρὸς αὐγὰς ἠελίοιο


Ἀψύρτου νήσων ἀναφαίνεται ἄσπετος ὁλκός,
ἅς ποτε Κόλχων υἷες ἐπέδραµον, εὖτ' ἐµόγησαν
490 ἴχνια µαστεύοντες ἀλήµονος Αἰητίνης
„Der Reihe nach weiter auf diesem Pfad, dem Frühlicht der Sonne entgegen,
kommt der unsägliche Zug der Inseln des Apsyrtos zum Vorschein,
welche einst der Kolcher Söhne anliefen, als sie sich erschöpft hatten,
aufspürend die Fährten der umherschweifenden Aietestochter“ (Dion. Per. 487–490).

Mit dem Ausdruck νήσων ... ἄσπετος ὁλκός „der unsägliche Zug der Inseln“ (v. 488) kann
eine andere Version des Mythos gemeint werden, wonach Apsyrtos von den Argonauten

42). Vgl.: ROSCHER (1884–1886) 1022–1027; THOMPSON W. D’ARCY (1918) 92 sq.;


DIRLMEIER (1967); BANNERT (1978) 29–42.
61
RASCHIERI (2004) 89; zu verschiedenen Lesarten s.: TSAVARI (1990b) 69.
62
Vgl. Theop. FGrH F 130 = Ps.-Scymn. 372–374 Marcotte; Apoll. Rhod. III 241; IV 578 ff.;
Strabo II 5, 20 C 124; VII 5, 5 C 315; Plin. nat. hist. III 151; Apollod. I 9, 24,4; Orph. Arg.
1033 ff. S. auch einen RE-Artikel über Apsyrtos: WERNICKE (1895) 285–286.

- 183 -
Teil I. Kap. 5. Mythologische Vergangenheit

zerstückelt wurde, als sich der verfolgende Aietes mit den Kolchern näherten, und die Stücke
ins Meer geworfen wurden63. Aus diesen Stücken ist also die Kette der Apsyrtischen Inseln
entstanden. Der ungewöhnliche Gebrauch des Wortes ὁλκός „(Schiffs-)bahn“ bei der
Beschreibung der Inseln richtet auf sich die Aufmerksamkeit (Eust. ad Dion. Per. 488). Die
Wörter des Dionysios ποτε Κόλχων υἷες ἐπέδραµον, „einst der Kolcher Söhne anliefen“ (v.
489) stellt eine wahrscheinliche Anspielung auf eine Mythenversion, die man auch bei
Apollodoros findet: Der um Apsyrtos trauernde Aietes sendet neue Verfolger aus, die aber die
Spur der Medeia nicht finden und aus Furcht vor der Wut des Aietes die neu gefundenen
Inseln besiedeln64. Die Tochter des kolchischen Königs Aietes, die mit den Argonauten
geflohene Medea, nennt Dionysios in einer periphrastischen Redewendung ἀλήµονος
Αἰητίνης, „der umherschweifenden Aietestochter“ (v. 490).
Ein anderer bekannter Mythos über die Heliaden, die Schwestern des Phaethon, und
den Bernstein65 wird in einer Passage des Dionysios über den Fluss Eridanos skizziert:

288 τοῖς δ' ἔπι Πυρηναῖον ὄρος καὶ δώµατα Κελτῶν,


ἀγχόθι πηγάων καλλιρρόου Ἠριδανοῖο,
290 οὗ ποτ' ἐπὶ προχοῇσιν ἐρηµαίην ἀνὰ νύκτα
Ἡλιάδες κώκυσαν, ὀδυρόµεναι Φαέθοντα·
κεῖθι δὲ Κελτῶν παῖδες, ὑφήµενοι αἰγείροισι,
293 δάκρυ' ἀµέλγονται χρυσαυγέος ἠλέκτροιο
„Auf sie aber folgend (sc. die Iberer) das Pyrenäengebierge und die Häuser der Kelten,
nahe den Quellen des schön fließenden Eridanos,
an dessen Ergießungen einst die einsame Nacht hindurch
die Heliaden weinten, den Phaethon beklagend;
dort aber melken sich der Kelten Söhne, unter Schwarzpappeln sitzend,
die Träne des golden glänzenden Bernsteins“ (Dion. Per. 288–293).

Als Quelle für diesen Abschnitt des Dionysios über den Helios-Sohn Phaëton, den Zeus nach
einer Mythosversion in den Eridanos gestürzt hatte, um einen Weltenbrand zu verhindern, und
seine trauenden Schwestern Heliaden, diente eine Passage aus den Argonautika des
Apollonios von Rhodos (IV 596–617)66, vgl. besonders Apoll. Rhod. 604: ἀείµεναι

63
Vgl. Apollod. I 9, 24, 1; Zenob. IV 92.
64
Apollod. I 9, 25, 3; vgl. Eust. ad Dion. Per. 488.
65
Vgl. Hesiod. F 311 M.-W; Aesch. F 71 Radt; Eur. Hippol. 736-741; Arist. mir. 81; Ps.-
Scymn. 391–397 Marcotte; Diod. V 23 2–4; Strabo V 1, 9 C 215; Ovid. I 751–II 400. S. auch:
ROSCHER (1884–1886) 1308–1309; ROSCHER (1897–1909) 2175–2194 sq.
66
Vgl. Apoll. Rhod. IV 596–617: ἐς δ' ἔβαλον µύχατον ῥόον Ἠριδανοῖο, / ἔνθα ποτ'
αἰθαλόεντι τυπεὶς πρὸς στέρνα κεραυνῷ / ἡµιδαὴς Φαέθων πέσεν ἅρµατος Ἠελίοιο / λίµνης
ἐς προχοὰς πολυβενθέος· ἡ δ' ἔτι νῦν περ / (600) τραύµατος αἰθοµένοιο βαρὺν ἀνακηκίει
ἀτµόν, / οὐδέ τις ὕδωρ κεῖνο διὰ πτερὰ κοῦφα τανύσσας / οἰωνὸς δύναται βαλέειν ὕπερ, ἀλλὰ
µεσηγύς / φλογµῷ ἐπιθρῴσκει πεποτηµένος. ἀµφὶ δὲ κοῦραι /Ἡλιάδες ταναῇσιν †ἀείµεναι
αἰγείροισιν / (605) µύρονται κινυρὸν µέλεαι γόον, ἐκ δὲ φαεινάς / ἠλέκτρου λιβάδας
βλεφάρων προχέουσιν ἔραζε· / αἱ µέν τ' ἠελίῳ ψαµάθοις ἔπι τερσαίνονται, / εὖτ' ἂν δὲ
κλύζῃσι κελαινῆς ὕδατα λίµνης / ἠιόνας πνοιῇ πολυηχέος ἐξ ἀνέµοιο, / (610) δὴ τότ' ἐς

- 184 -
Teil I. Kap. 5. Mythologische Vergangenheit

αἰγείροισιν ~ Dion. Per. 292: ὑφήµενοι αἰγείροισι, die Dionysios jedoch stark gekürzt hat67.
Bei Apollonios Rhodios wird die Sage zu einer Geschichte geworden, die mit dem
Argonautenzug durch den Eridanos verbunden ist68, während bei Dionysios der berühmte
Mythos traditionell als Beweis für die Allmacht des Zeus verwendet wird, und außerdem mit
einem konkreten Ortsnamen – mit der Eridanosquelle69, der auch gleichzeitig zum markanten
Punkt auf der mentalen Landkarte des Dionysios wird70.
Nach der dionyseïschen Beschreibung befindet sich die Insel Leuke („Weiße“) im
Schwarzen Meer der Borysthenesmündung gegenüber und ist der Wohnsitz der Seelen von
Achilleus und von den anderen griechischen Heroen nach ihrem Tod:

541 ἔστι δέ τις καὶ σκαιὸν ὑπὲρ πόρον Εὐξείνοιο


ἄντα Βορυσθένεος µεγαλώνυµος εἰν ἁλὶ νῆσος
ἡρώων· Λευκήν µιν ἐπωνυµίην καλέουσιν,
οὕνεκά οἱ τάπερ ἔστι κινώπετα λευκὰ τέτυκται·
545 κεῖθι δ' Ἀχιλλῆός τε καὶ ἡρώων φάτις ἄλλων
ψυχὰς εἱλίσσεσθαι ἐρηµαίας ἀνὰ βήσσας·
τοῦτο δ' ἀριστήεσσι ∆ιὸς πάρα δῶρον ὀπηδεῖ
548 ἀντ' ἀρετῆς· ἀρετὴ γὰρ ἀκήρατον ἔλλαχε τιµήν
„Es gibt aber eine (sc. Insel) auch über den linken Verlauf des Euxeinos hinaus,
dem Borysthenes gegenüber, eine Insel in der Salzflut mit großem Namen,
die der Heroen; Leuke nennen sie sie mit Beinamen –
deswegen, weil ihr Getier, welches darauf ist, weiß beschaffen ist;
dort aber wandeln, so die Sage, des Achilleus und anderer Helden
Seelen über die einsamen Waldschluchten hin:
Diese Gabe erfolgt den Trefflichsten von seiten des Zeus

Ἠριδανὸν προκυλίνδεται ἀθρόα πάντα / κυµαίνοντι ῥόῳ. Κελτοὶ δ' ἐπὶ βάξιν ἔθεντο / ὡς ἄρ'
Ἀπόλλωνος τάδε δάκρυα Λητοΐδαο / ἐµφέρεται δίναις, ἅ τε µυρία χεῦε πάροιθεν, / ἦµος
Ὑπερβορέων ἱερὸν γένος εἰσαφίκανεν, / (615) οὐρανὸν αἰγλήεντα λιπὼν ἐκ πατρὸς ἐνιπῆς, /
χωόµενος περὶ παιδὶ τὸν ἐν λιπαρῇ Λακερείῃ / δῖα Κορωνὶς ἔτικτεν ἐπὶ προχοῇς Ἀµύροιο.
67
BERNAYS (1905) 30; RASCHIERI (2004) 73. Zum Vergleich der beiden Passagen des
Apollonios Rhodios und des Dionysios s. ausführlicher: CUSSET (2004) 212–214.
68
Zum Rückkehr der Argonauten über den Eridanos s.: DELAGE (1930) 220–224. S. auch:
Eust. ad Dion. Per. 288.
69
Vgl. Diod. V 23, 3.
70
Der griechischen Mythologie zufolge befindet sich der Eridanosfluss am äußersten Westen,
er wurde vom Ozean und der Thetis geboren (Hesiod. Theog. 338; Paus. I 4,1); Eridanos
mündet im Norden in den Ozean, wovon der Bernstein angefahren sei (die Sage von der
Entstehung des Bernsteins zuerst bei Hesiod. F 150 M.–W.). Meistens wird Eridanos mit dem
Fluss Pados / Po (Eur. Hipp. 732; Arist. mir. 81; Ps.-Scymn. 391 (395) Marcotte; Pherekydes
F 33 Müller) bzw. mit der Rhone identifiziert (Ps.-Scyl. 19, die anderen Stellen dazu siehe bei
MILCHHÖFER (1907) 446–448) identifiziert. Apollonios Rhodios vereinigt Eridanos – Pados –
Rodan, so dass die Argonauten aus Eridanos sofort in den Rodan einfahren (Apoll. Rhod. IV
627). Strabon hält Eridanos zum mythischen Fluss: „Das meiste dagegen von dem was
gefabelt wird oder einfach erlogen ist muss beiseite bleiben, wie z. B. die Geschichte von
Phaethon und den Heliaden, die in Pappeln verwandelt wurden am Eridanos, den es nirgends
auf der Erde gibt, aber der in der Nähe des Padus fließen soll (...)“ (Strabo V 1, 9 C 215;
Übers. v. S. Radt).

- 185 -
Teil I. Kap. 5. Mythologische Vergangenheit

für ihre Tugend; denn Tugend erloste unverderbliche Ehre“ (Dion. Per. 541–548).

Einige antiken Autoren nennen die Insel Leuke („Weiße“) auch „Insel der Seligen“ oder
„Insel des Achilleus“71, die eigentlich in der frühgriechischen Tradition gleichgesetzt
wurden72. Auf der Insel Leuke („Insel des Achilleus“) sowie am benachbarten Festland wurde
der Achilleus als „Beherrscher des Pontos“ seit der Kolonisation in 7.- 6. Jh. v. Chr. verehrt73.
Der Kult des Achilleus wurde eng mit den hesiodeïschen Vorstellungen vom Existenz nach
dem Tod auf der Insel der Seligen (νῆσος µακάρων, Op. 171) verbunden. Später wurde diese
Vorstellung auf die anderen Heroen des Trojanischen Krieges übertragen, was auch in den
Versen des Dionysios widerspiegelt ist (µεγαλώνυµος ... νῆσος ἡρώων, „die mit großem
Namen Insel der Heroen“, vv. 542–543)74.
Dionysios spielt in diesem Abschnitt wieder auf die Verse seiner Vorgänger an und
erneut die alten Motive mit einer hellenistischen Feile und mit einem bewussten Leserbezug:
Er wird damit auch zum Vermittler im rhetorischen Sinne. So, erscheint das Wort φάτις („die
Sage“, „das Gerücht“, v. 545) in der Periegese teils in der apollonischen Bedeutung
„Orakelspruch” bzw. λόγος (vgl. z. B. Apoll. Rhod. IV 1334), teils im üblichen Sinne
„Mythos”. Die Entlehnung εἰν ἁλὶ νῆσος (v. 542) geht auf die Argonautika zurück (IV 983),
wo der Ausdruck sich in derselben metrischen Position befindet75; die Redewendung
ἐπωνυµίην καλέουσιν (v. 543) findet eine Parallele in den Hymnen des Kallimachos (h. III
205: καλέουσιν ἐπωνυµίην (ἀπὸ νύµφης))76. Um die Bedeutung seiner Sentenz am Ende des

71
Vgl. Strabo II 5, 22 С 125, VII 3, 17 und 19; Mela II 98; Plin. nat. hist. IV 83 und 93: ante
Borysthenem Achillea est … eadem Leuce et Macaron apellata, „vor dem Borysthenes liegt
die Insel Achillea ... die auch Leuke oder („Insel“)der Seligen genannt wird“; Solin. 19, 1;
Iord. Get. 46. Diese Insel war ursprünglich ein Märchenland, jenseits des Ozeanos gelegen,
wurde aber mit Erschließung des Schwarzen Meeres durch milesische Seefahrer auf der „Insel
des Achilleus“ lokalisiert.
72
Vgl. Hesiod. Op. 170–174: über die Inseln der Helden; oder bei Pindar: ἔνθα µακάρων /
νᾶσον ὠκεανίδες / αὖραι περιπνέοισιν·... / Ἀχιλλέα τ' ἔνεικ', ἐπεὶ Ζηνὸς ἦτορ / _λιταῖς ἔπεισε,
µάτηρ· ... (Pind. Ol. II 70–72, 79–80), ἐν δ' Εὐξείνῳ πελάγει φαεννὰν Ἀχιλεύς / νᾶσον· (Pind.
Nem. IV 49–50). S. auch: Schol. Eur. Androm. 1262 Schwartz: Λευκὴν κατ᾿ ἀκτὴν ἐντός:
Λευκὴν νῆσον, ἐν ᾗ διέτριβεν ὁ Ἀχιλλεὺς µεταξὺ τοῦ Εὐξείνου πόντου. A. IVANCHIK meint,
dass die Insel Leuke mit der Insel der Seligen nicht später der Mitte des 7. Jh. v. Chr.
gleichgesetzt wurde (dies ist die Datierung des kyklischen Gedichtes Äthiopis, in dem die
Leuke zum ersten Mal als Bezeichnung für die Insel der Seligen erwähnt wurde, zum Text s.:
BERNABÉ (1988)). Das erklärt die Verbreitung des Kultus des Achilleus in den an das
Schwarze Meer angrenzten Gebieten, ausführlicher s.: IVANTCHIK (2005) 76–77; s. auch:
WEST (2005) 58.
73
Eine ausführliche Beschreibung der Leuka und den Achilleus-Kult dort gibt es bei Arrianus
in seinem Periplus Ponti Euxeini (32–34). S. auch: HOMMEL (1983); EHRHARDT (1983) 179–
180; HEDREEN (1991) 313–330; OKHOTNIKOV (2001) 155–166; RUSYAEVA (2003) 1–16;
IVANTCHIK (2005) 68–81.
74
Z. B.: Hesiod. Erga. 167–173. S. auch: HUPE (2006).
75
Vgl. TSAVARI (1990b) 74). S. auch: Apoll. Rhod. IV 564 oder Call. h. IV 196: εἰν ἁλὶ νῆσοι,
was eine Parallele in der Periegese findet: vv. 461, 554.
76
RASCHIERI (2004) 94.

- 186 -
Teil I. Kap. 5. Mythologische Vergangenheit

Abschnittes zu betonen, verwendet Dionysios einen visuellen Effekt in v. 548, wobei er


zweimal das Wort ἀρετή wiederholt77. Das den Abschnitt beendete Wort τιµή bedeutet bereits
bei Homer eine Würde göttlicher Natur, die das Los bzw. die Schicksal einem König bringt78;
Dionysios benutzt aber das Wort in einer erweiterten Bedeutung als „Verehrung“ (v. 548)79.
Das von Dionysios bei der Erklärung des Inselnamens verwendete seltene Wort κινώπετα (v.
544) tritt erst in den alexandrinischen Werken vor80; ob κινώπετον ein verlangtes κνώψ
darstellt, ist unklar81. Bei Dionysios ist es mit der Etymologie des Inselnamens verbunden und
wahrscheinlich mit einer Geschichte von den Meervögeln als Tempelwärtern auf der anderen
Insel Leuke, gegenüber des Isthros, verwechselt82. Von dieser verwechselten Theorie
ausgehend vielleicht, erklärt Eustathios das Wort κινώπετα auch als eine Vogelrasse: ἡ
κίνησις ἐν τῷ πέτεσθαι (Eust. ad Dion. Per. 541)83. Aufgrund des dionyseïschen Textes (und
der Erklärung des Eustathios) kann man schließen, dass die geographische Benennung der
Insel im Schwarzen Meer nicht auf den homerischen Heros, sondern auf die ungewöhnlichen
weißen Vögeln zurückgeht, die ihrerseits vielleicht mit dem religiösen Kult des Achilleus-
Pontarchos zu tun haben84. Gleichzeitig spielt Dionysios mit den aitiologischen Homonymen:
Mit dem Ortsnamen der Insel Leuke („Weiße“, v. 543) und mit der Farbenbezeichnung der
Vögel λευκή „weiß“ (v. 544)85.

5.3 Historische Siedlungs- und Heiligtumsgeographie


In der literarischen Tradition sind Zeugnisse über mythische und historische Gründer
griechischer Städte erhalten; meistens, wenn auch nicht unbedingt immer, waren die Gründer
gleichzeitig Eponymen der Städte. In der griechischen Kolonisationspraktik spielten Kulte der
mythischen Gründer und Gönner einer Polis, der Götter und der Heroen, neben den
historischen Gründer, den Oikisten, eine besondere Rolle und waren immer zum wichtigen

77
Vgl. auf ähnliche Weise, auch in mittlerer Position in v. 1027: Κόλχων, Κόλχων.
78
Vgl. Hom. Il. II 197: τιµὴ δ' ἐκ ∆ιός ἐστι, φιλεῖ δέ ἑ µητίετα Ζεύς.
79
Ob die ganze Sentenz (∆ιὸς πάρα δῶρον ... ἔλλαχε τιµήν, Dion. Per. 547–548) auf eine
Homerstelle (vgl., z. B., Il. XV 189–190: ἕκαστος δ' ἔµµορε τιµῆς· / ἤτοι ἐγὼν ἔλαχον (...)
oder h. Hom. III 470–471: φιλεῖ δέ σε µητίετα Ζεὺς / ἐκ πάσης ὁσίης, ἔπορεν δέ τοι ἀγλαὰ
δῶρα) zu beziehen ist, bleibt fraglich.
80
Vgl. Nic. Ther. 27, 195; Call. h. I 25; vgl. Etym. Magn. s.v. κινώπεδα (513, 57).
81
S.: Nic. Ther. 499, 520: über die Schlangen, 751: über die Spinnen; Lycophr. Alex. 675; s.
auch einen LSJ-Artikel s.v. κνώψ.
82
Darüber: Pind. Nem. IV 49; Eur. Andr. 1260 f., Iph. Taur. 438; Ps.-Scyl. 68; Ps.-Scymn. F 7
b Marcotte; Strabo II 125, VII 3, 16 C 306; Paus. III 19; Arr. PPE 21–23; Ptol. Geogr. III 10.
83
Vgl.: Antig. Car. F 122 Giannini: Ἱστορεῖται δὲ καὶ περὶ τὴν Λευκὴν νῆσον µηθὲν
ὑπεραίρειν δύνασθαι τῶν ὀρνέων τῇ πτήσει τὸν τοῦ Ἀχιλλέως ναόν; Plin. nat. hist. X 29;
Solin. 19. S. auch: Apoll. Rhod. IV 1301: κύκνοι κινήσουσιν „die Schwäne ihre Weise
anstimmen”, d. h. „Schwanengesang” wurde nach Apollonios durch „Bewegen” erzeugt.
84
Vgl. Eur. Iphig. Taur. 434–436.
85
Homer spielte auch mit den ähnlich klingenden Wörtern, z. B. Il. VI 260: οἶνος „Wein“ und
ὀνήσεαι „du wirst profitieren“), dazu s. auch bei Athen. II 35 c. Dionysios orientiert sich in
vielem auf die poetische Technik des Homer, so auch hier kann er bewusst ein
etymologisches Spiel verwenden.

- 187 -
Teil I. Kap. 5. Mythologische Vergangenheit

Bestandteil der lokalen Sagen86. Die Gründungsmythen haben bei Dionysios jedoch einen
anderen Charakter als die Geschichten über die Entstehung griechischer Städte in den
früheren Jahrhunderten (die so genannte Ktisisliteratur), obwohl die Dionysios-Passage sich
natürlich auf schriftlich tradierte frühere Informationen stützen87. Dionysios lässt sich zu, wie
seine alexandrinischen Vorgänger, das literarische Spiel in Bezug auf die mythische
Ausgestaltung der historischen Zeugnissen zu benutzen. So, schreibt Dionysios:

Τάρας δ' ἁλὸς ἐγγύθι κεῖται,


ἥν ποτ' Ἀµυκλαίων ἐπολίσσατο καρτερὸς Ἄρης
„Taras hingegen siedelt nahe der Salzflut,
welches sich einst der kraftvolle Ares der Amykläer zur Stadt erbaute“
(Dion. Per. 376–377).

Das archaisierte Ethnonym Ἀµυκλαίων „der Amykläer“ (v. 377) stellt ein Synonym zum
Beiwort „Lakonisch“ / „Spartanisch“ dar und wird mehrmals von Dionysios im Gedicht
benutzt88. Also erwähnt Dionysios in Verbindung mit der süditalischen Stadt den „Ares der
Amykläer“ und meint damit wahrscheinlich die Tatsache, dass der antike Taras (heute Tarent)
in der Magna Graecia von den Spartanern während des Ersten Messenischen Krieges um 706
v. Chr. gegründet wurde89. Eine Parallelstelle bei Ps.-Skymnos90 lässt vermuten, dass seine
Zeugnisse bzw. die Angaben des Ephoros, die Ps.-Skymnos verwendet hatte (70 F 216 Jacoby
= Strabo VI 3, 3 C 279–280), als Quelle für diese Passage des Dionysios dienen konnten91.
Das weitere Beispiel fällt aus einem üblichen Schema aus: Es geht hier nicht um eine
Stadtgründung, sondern um die Zerstörung von Sybaris nach dem Willen des Zeus:

ἔστι δέ τοι κἀκεῖθι, ∆ιὸς µέγα χωσαµένοιο,


δειλαίη Σύβαρις, ναέτας στενάχουσα πεσόντας,
µηναµένους ὑπὲρ αἶσαν ἐπ' Ἀλφειοῦ γεράεσσιν

86
Zu Gründungssagen von Städten s. vor allem: GIERTH (1971); PRINZ (1979); SCHEER
(1993); IVANCHIK (2005) 143–161.
87
Z. B. war Dionysios von Chalkis auf Euböa (vermutlich das 2. Jh. v. Chr.) Autor eines
Werkes über Städtegründungen in fünf Büchern (Κτίσεις) (FGrH 840). BENNO SCHMID
dachte, dass es die Ktisisliteratur bereits in archaischer Zeit gab (SCHMID (1947)); C. L.
DOUGHERTY-GLEN meint aber, dass eine Gattung „Ktisis” vor dem Hellenismus nicht
existierte (DOUGHERTY-GLEN (1988), vgl.: DOUGHERTY (1994) 35–46).
88
Vv. 213, 413, 860, vgl. v. 13: ᾿Αµυκλαίοιο. Amyklas, Sohn des Lakedaimon und der Sparta,
der Tochter des Eurotas, hat nach einer Mythosversion die lakonische Stadt Amyklai
gegründet (Paus. III 19, 4; Steph. Byz. s. v.). Ausführlicher s. einen RE-Artikel
GAERTRINGEN, VON (1894) 1999–2000 und ROSCHER (1884–1886) 325–326.
89
S. dazu auch: MALKIN (1994) 115–142; vgl. SONNABEND (2007) 108.
90
Vgl. Ps.-Scymn. 330–332: Τάρας ... Λακεδαιµονίων ἄποικος, εὐδαίµων πόλις.
91
Am Ende des Prologs nennt Ps.-Skymnos eine Liste von seinen Quellen, u.a. auch Ephoros
von Kyme (ca. 400–330) (Ps.-Scymn. 115 Marcotte). Ps.-Scymnos (333–336 Marcotte),
Antiochos von Syracusae (555 F 13 Jacoby = Strabo VI 3, 2 C 278) und Diodoros von Sicilia
(XV 66, 3) erzählen auch, dass junge Spartiatai (so genannten Partheniai) einen Aufstand
unternommen hatten und daraufhin zur Koloniegründung Taras ausgeschickt wurden.

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Teil I. Kap. 5. Mythologische Vergangenheit

„Es liegt dir aber auch dort das – da Zeus in heftigen Zorn geraten –
elende Sybaris, das seine gefallenen Bewohner beseufzende,
welche über Gebühr verrückt waren nach des Alpheios Weihegaben“
(Dion. Per. 372–374).

Die Sybariten bemühten sich, mit den panhellenischen Olympischen Spielen zu konkurrieren,
die alle vier Jahre nicht weit vom Heiligtum des Zeus am Fluss Alpheos stattfanden92. Im
Jahre 511 / 510 v. Chr. wurde Sybaris von den Krotoniaten zerstört93. Obwohl Dionysios
seine Information über den tragischen Ereignis in der Geschichte von Sybaris sehr knapp
wiedergibt, erwähnt er hier auch die Konkurrenzveranstaltung zu den Olympischen Spielen.
Dionysios betont in seiner Passage die Kausalzusammenhang zwischen der Verweichlichung-
Hybris der Sybariten und der Zerstörung der Stadt durch die Zeus-Strafe.
Von der Stadt Karthago wird in der Erdbeschreibung folgendes berichtet:

τοῖς δ' ἐπὶ Καρχηδὼν πολυήρατον ἀµπέχει ὅρµον,


Καρχηδών, Λιβύων µέν, ἀτὰρ πρότερον Φοινίκων,
Καρχηδών, ἣν µῦθος ὑπαὶ βοῒ µετρηθῆναι
„Auf diese aber folgend hält Karchedon einen vielbeliebten Hafen umfasst,
Karchedon, Libyern zwar, doch vormals Phönikiern zueigen,
Karchedon, welches – so die Sage – nach einer Rindshaut vermessen wurde“
(Dion. Per. 195–197).

In dieser mit der dreifachen Anapher geschmückten Passage erwähnt Dionysios einen
bekannten Mythos über die Gründung von Karthago. Nach den antiken Zeugnissen ist die
Gründung von Karthago mit dem Namen von Dido (auf phoinikisch auch Helissa bzw. Anna
genannt), der Tochter des tyrischen Königs (Agenor bzw. Belus bzw. Mutto bzw. Methres) zu
verbinden: Sie entfloh nach dem Tod ihres Mannes von Tyros und landete in Libyen; dort
wünschte sich Dido ein Landesstück durch die in schmale Streifen geschnittene Rindhaut94.
Eustathios sagt zum Abschnitt des Dionysios, dass gerade deswegen der alte Name des
Akropolis in Karthago „Byrsa“ war (Βύρσα, „abgezogene Haut“) (Eust. ad Dion. Per. 195):
Wahrscheinlich wird das phoinikische Bosra („Festung“) im Griechischen zu Βύρσα
geworden, was des mythischen Exzerpt über die Gründung Karthagos zugrunde gelegt

92
Vgl. Heracl. Pont. F 49 Wehrli = Athen. XII 552a; Ps.-Scymn. 350–360 Marcotte: „Sie
hätten sich sogar bemüht, die Olympischen Spiele zu sabotieren und die Zeus dort erwiesenen
Ehren aufzuheben, und zwar mit folgender List: Sie feierten zur selben Zeit wie die Eleer auf
eigene Rechnung einen hochdotierten gymnischen Wettkampf, damit jeder von ihren
Kampfpreisen angelockt, sich beeile, zu ihnen zu kommen, und Griechenland verlasse. Die
Krotoniaten aber, die in der Nähe wohnten, vernichteten sie innerhalb kurzer Zeit mit Gewalt,
nachdem sie insgesamt etwa zwanzig und dann noch einmal hundertneunzig Jahre hindurch
sicher Bestand gehabt hatten“ (Übers. von M. Korenjak).
93
Ps.-Scymn. 337–360; Diod. XI 90, 3; vgl.: Herod. VI 127, 1; Tim. FGrH 566 F 50 Jacoby;
Strabo VI 1, 12–13 C 262–263; Eust. ad Dion. Per. 373. S. auch: PHILIPP (1931) 1008;
GIANGIULIO (1989) 270–271; MORGAN (1990) 172–178.
94
Tim. FGrH 566 F 82 (23) Jacoby; Verg. Aen. I 367–368: mercatique solum, facti de
nominee Byrsam, taurino quantum posset circumdare tergo; Iustin. 18, 4, 3–6, 8.

- 189 -
Teil I. Kap. 5. Mythologische Vergangenheit

werden konnte95. Eine archaisierende Note bringt auch der von Dionysios hier verwendete
homerische hapax legomenon µετρηθῆναι „wurde vermessen“ (v. 197)96.
Einzelne mythologische Exkursen des Dionysios enthalten Erwähnungen von den
bestimmten Kultstätten, zu denen die seit alten Zeiten bekannten Tempel, Heiligtümer, Gräber
der Heroen oder der Gründers zuzählen sind97. Nach der periegetischen Tradition dienten
diese Orte für Reisende als topographische Orientierungspunkte98. Hierzu muss man auch die
Erwähnungen von berühmten heiligen Hainen und Täler hinzufügen, in denen ungewöhnliche
und wunderbare Ereignisse nach dem Willen der Götter passieren. Solche Kultstätte kann
man als Teile der Erinnerungslandschaft nennen, die als Träger der Vergangenheit in der
wirklichen Landschaft dieser oder jener Gegend hervortreten.
In seinem Text richtet Dionysios die Aufmerksamkeit nicht auf eine detaillierte
Beschreibung eines Tempels, Heiligtums oder Grabs de visu, sondern auf ein Erzählen über
die Gründung eines sakralen Denkmals in der mythologischen oder in der historischen
Vergangenheit99. So, handelt es sich in einem Abschnitt von der Gründung des berühmten
Artemistempel in Ephesos:

τάων δ' ἀµφοτέρων γε βορειοτέρην ἐσίδοιο


παραλίην Ἔφεσον, µεγάλην πόλιν Ἰοχεαίρης,
ἔνθα θεῇ ποτε νηὸν Ἀµαζονίδες τετύκοντο
πρέµνῳ ἔνι πτελέης, περιώσιον ἀνδράσι θαῦµα
„Als von eben diesen beiden aus nördlicheres dürftest du wohl erblicken
das am Meer gelegene Ephesos, die große Stadt der Pfeilschütterin,
wo der Göttin einst die Amazonen den Tempel verfertigten

95
Auch das Eponym Karchedon wird aus dem Punischen abgeleitet; das Gründungsdatum
von Karthago um 814/813 Jh. v. Chr.
96
Hom. Od. III 179: µετρήσαντες. In Passiv findet sich das Verb bei Aesch. Choeph. 209:
µετρούµεναι; vgl. auch bei Arat. Phaen. 497: µετρηθέντος.
97
Dionysios verwendet für die Kultstätten unterschiedliche Bezeichnungen, die eine
besondere lexikalische Reihe bilden: So, bezeichnen µέλαθρον und νηός die höchste Ebene
der Sakralstätten, zu denen die größten und bedeutendsten Tempel gehören. Dabei verteilt
Dionysios die wichtigsten Tempel gleichmäßig auf drei Kontinente: Der Tempel des Zeus von
Sinope in Libyen (vv. 255–257), der Tempel der Parthenope in Europa (vv. 357–359) und der
Tempel der Artemis in (Klein)asien (vv. 827–829); insgesamt bilden sie eine mentale Grenze
zwischen dem griechischen Kulturraum und den entfernten Gebieten der Barbaren, wobei sich
das kulturelle Zentrum in Delphi befindet – im Tempel des Apollo (vv. 441–446). Zur
nächsten lexikalischen Ebene gehören die periphrastisch erwähnten kleineren Tempel oder
Heiligtümer, die Dionysios mit ἕδος, δόµος und τέµενος bezeichnet (vv. 13, 212, 371, 840).
Zur dritten, niedrigsten Ebene lassen sich die vereinzelten Andeutungen auf einen Kultbau, z.
B. „Altäre“ (βωµοί,, v. 611), zusammenfassen. Auf diese Weise wird durch den
Sakralwortschatz des Dionysios eine begriffliche Hierarchie ausgedrückt, durch die die
unterschiedlichen Ebenen bzw. Funktionen der Sakralstätten widergespiegelt werden.
98
Vgl. Herod. VII 216.
99
Es gab spezielle Werke über die Gründungen von Tempeln und Heiligtümern,
beispielsweise Κτίσεις ἱερῶν („Gründungen der Heiligtümer“) von dem Peripatetikos
Heraklitos Pontikos (Clem. Alex. Protr. II, p. 11 Sylb.).

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Teil I. Kap. 5. Mythologische Vergangenheit

auf dem Strunk einer Ulme, ein übermäßiges Wunder den Menschen“ (Dion. Per.
826–829).

Man pflegt glauben, dass längst vor dem Bau des berühmten Tempels in der ersten Hälfte des
6. Jh. auf demselben Ort in Ephesos bereits seit dem 8. Jh. ein Heiligtum war, das – ähnlich
wie die Stadt selbst – von den Amazonen gegründet wurde100. Die Passage des Dionysios ist
voll von den literarischen Parallelen: Vor allem zieht auf sich die Aufmerksamkeit die
homerische Epiklese der Artemis Ἰοχέαιρα „Pfeilschütterin“ (v. 827)101. Dann spielt
Dionysios hier auf die Verse des Kallimachos an, der auf ähnliche Weise von der Gründung
der Artemiskult in Ephesos berichtet (Call. h. Dian. 237–239): Dionysios benutzt dieselbe
dichterische Form des Ethnonyms Ἀµαζονίδες (Call. h. Dian. 237 = Dion. Per. 828) und
ersetzt die kallimacheïsche Redewendung φηγῷ ὑπὸ πρέµνῳ „im Schutz einer Eiche“ (h.
Dian. 249) durch seine eigene πρέµνῳ ἔνι πτελέης „auf dem Strunk einer Ulme“ (v. 829).
Damit werden die Verse des Dionysios gleichzeitig zur feinen Allusion auf die alte
Benennung von Ephesos Πτελέα, die auf das Wort πτελέη „Ulme“ zurückgeht102; Dionysios
benutzt oftmals solche poetische Aitimologien, denen zugrunde die
Komponentenwiederholung liegt. Außerdem hat Dionysios für seinen Vers περιώσιον
ἀνδράσι θαῦµα, „ein übermäßiges Wunder den Menschen“ (v. 829) auch eine
Wortverbindung des Apollonios Rhodios entlehnt: θάµβος περιώσιον ἀνδράσι λεύσσειν, „ein
ungeheures Wunder für die Männer anzusehen“ (Apoll. Rhod. I 1307).
Bei der Beschreibung Italiens erwähnt Dionysios den Tempel der Parthenope:

τῇ δ' ἐπὶ Καµπανῶν λιπαρὸν πέδον, ἧχι µέλαθρον


ἁγνῆς Παρθενόπης, σταχύων βεβριθὸς ἀµάλλαις,
Παρθενόπης, ἣν πόντος ἑοῖς ὑπεδέξατο κόλποις
„Auf dieses folgend der Kampaner fetter Boden, wo die Wohnung
der heiligen Parthenope, von Ährengarben schwer bedeckt,
der Parthenope, welche das Meer aufnahm in seinen Schoß“ (Dion. Per. 357–359).

Nach einer Mythenversion ist Parthenope eine der Sirenen, die gleich ihren Schwestern ins
Meer stürzte, nachdem Odysseus und seine Reisegefährten wohlbehalten an der Insel der
Sirenen vorbeigefahren waren103. Das Wort µέλαθρον (v. 357, „Tempel“) bedeutet eigentlich
„Dach, -gebälk u.a.“, hier wird es als pars pro toto benutzt104. Die Epanalepsis (einfache

100
S. Pind. F 174 = Paus. VII 2, 4; vgl. Herod. I 92, II 148; Strabo XII 3, 21 C 550; XIV 1,
20–23 C 639–641; Plin. nat. hist. XXXVI 95–97; Hyg. Fab. 225. Das Artemistempel in
Ephesos wird zu der traditionellen Liste von sieben Weltwundern zugezählt, u.a. neben dem
Leuchtturm in Pharos (vgl. Dion. Per. 258–259), den babylonischen Gärten der Seramis (vgl.
Dion. Per. 1005–1006; zu diesen und anderen Weltwundern s.: Mart. Spect. 1; Hyg. Fab. 223;
Ampelius VIII; Vibius Sequester, GLM, p. 159 Riese; s. auch: BRODERSEN (1992).
101
Hom. Il. V 53, IX 538 u.a., Od. XI 198 u.a.; Pind. Pyth. II 9.
102
HUNTER (2003) 348; RASCHIERI (2004) 115.
103
Vgl. Hom. Od. XII 167 ff.
104
Seit Homer (Il. II 414, vom Palast des Odyseus: Od. XVIII 150, XIX 544, XXII 239)
findet sich das Wort in der Dichtersprache; vgl. Aesch. F 160 Radt; Aristoph. Av. 1247, Thes.

- 191 -
Teil I. Kap. 5. Mythologische Vergangenheit

Wortverdopplung) mit dem Namen der Parthenope (ἁγνῆς Παρθενόπης ... Παρθενόπης „der
heiligen Parthenope ... Parthenope“, vv. 358–359) soll vielleicht stilistisch auf die homerische
Anapher in der Odysseus-Erzählung über die Sirenen anspielen: ἴδµεν ... ἴδµεν (Hom. Od.
XII 189–191)105. An dem Ort, an dem das Leichnam der Parthenope am Land gespült worden
sein soll, wurde ein sie ehrender Bau von den Einwohnern errichtet und ihr Kult begründet106.
Bei Eustathios findet sich eine andere Version des Mythos, die die Sirene Parthenope als eine
Jungfrau schildert, die sich in einen phrygischen Jungen Metiochos verliebt; über sich selbst
erzürnt, schneidet sie sich ihr Haar ab und flüchtet nach Kampanien, worauf ihr Aphrodite
Vogelgestalt verleihet (Eust. ad Dion. Per. 358)107.
In einer anderen Passage spricht Dionysios von dem berühmten Heiligtum der Hera
Lakinia in der Nähe von Kroton auf dem Vorgebirge Lakinion (heute Capo delle Colonne):
ἐγγύθε δέ σφεων
ἱµερτὸν πτολίεθρον ἐϋστεφάνοιο Κρότωνος,
ναιόµενον χαρίεντος ἐπ' Αἰσάρου προχοῇσιν,
ἔνθα καὶ αἰπὺν ἴδοιο Λακινιάδος δόµον Ἥρης
„Nahe denen wiederum
die holde Stadt des wohlumkränzten Kroton,
welche bewohnt wird an des anmutigen Aisaros Ergießungen,
wo du wohl das steilgelegene Haus der Lakinischen Hera erblicken könntest“
(Dion. Per. 369–371).

Nach einer Mythenversion, bekannt in der Wiedergabe von Diodor, sollte das Heiligtum einst
von Herakles der Hera zur Sühne für den getöteten Lakinios, einen örtlichen König, gestiftet

41, 874; Lycoph. Alex. 770; vgl. auch: Pind. Pyth. 5, 40 und Call. h. 2, 2 (über den Apollo-
Tempel in Delphi). S. dazu: WILLIAMS (1978); SCHADE (1999) 172.
105
Das homerische Epitheton ἁγνῆς (Od. V 123, XVIII 202, u. a.) bezeichnet meist Götter:
Artemis (s. die oben genannten Ilias-Stellen), Demeter (Hom. hymn. Cer. 203, 439),
Persephone (Hom. Od. XI 386; Hom. hymn. Cer. 337), Apollo (Pind. Pyth. IX 64). Die
homerische Anaphor используется здесь в качестве модели. R. Nicolai schlägt in seiner
Rezension vor, statt dieser Lesart die Variante ἁγνόν zu bevorzugen, die durch einige
Manuskripten und durch die Übersetzung des Priscianus (domus Parthenopes castissima)
bestätigt wurde (NICOLAI (1992) 483); diesem Vorschlag widerspricht aber der Text des
Eustathios, in dem man die Lesart ἁγνὴν τὴν Παρθενόπην findet (Eust. ad Dion. Per. 358).
106
So Tim. FGrH 566 F 98 = Schol. ad Lycophr. Alex. 732; s. auch Komm. dazu: JACOBY
(Bd. III b 580 f.); vgl. Arist. mir. 103; Lycoph. Alex. 717–718; Strabo I 2, 13, 18 C 23, C 26;
V 4, 7 246; Eust. ad Hom. Od. XII 167. S. auch: PAIS, E. (1905) 1–8. Später wurde neben
dem Heiligtum eine Stadt gegründet, die nach dem Namen der Sirene Parthenopeia genannt
wurde (später in Neapolis umbenannt) (Strabo V 4, 7 C 246; Ovid. Met. XIV 101; Plin. nat.
hist. III 62; Sil. Ital. XII 33; Solin. II 9; Steph. Byz. s.v. Νεάπολις). Es kann sein, dass der
Ausdruck des Dionysios µέλαθρον ἁγνῆς Παρθενόπης metaphorisch ist und auf die Stadt
Parthenopeia / Neapolis hinweist.
107
Ähnlich in Schol. Dion. Per. 358, wo die Parthenope als Samierin auftritt, vgl. Fragmente
eines Berliner Papyrus zum griechischen Metiochos-Parthenope-Roman: P. Berol. 21179, P.
Berol. 7927, P. Berol. 9588, die von den Archäologen auf das 2. Jh. n. Chr. datiert wurden –
STEPHENS, WINKLER (1995) 72–100.

- 192 -
Teil I. Kap. 5. Mythologische Vergangenheit

worden sein108. Nach einer anderen Version des Mythos, sei sowohl die Gründung des
Tempels als auch die Krotons mit dem korynthischen Kerkyra verbunden109. Servius
berichtet auch über eine Variante des Mythos, wonach der Tempel als Geschenk der Thetis
an die Göttin Hera gilt110; eine ähnliche Version ist bei Lykophron anzutreffen, wonach
jedoch Thetis der Hera ein Grundstück bzw. einen heiligen Hain (ὄρχατος) widmet111, auf
dem dann später in den archaischen oder klassischen Zeiten ein dorischer Tempel gebaut
wurde112. Also folgt Dionysios wahrscheinlich der Gründungsversion von Diodor113, während
er aber eigentlich das Heiligtum nur als einen markanten Punkt in der Nähe von Kroton (in
der Tat 25 km davon entfernt) erwähnt und anscheinend mit der Vorkenntnissen der Leser
mit dem Mythos rechnet. Das in v. 369 verwendete Beiname ἐϋστεφάνοιο (Κρότωνος) hat
hier die homerische Bedeutung „des wohlumkränzten (Kroton)“114; Scholien, sowie auch
Eustathios, erklären das Beiwort irrtümlich mit den zahlreichen Siegen der Krotoniaten in
den heiligen Agonen ganz Griechenlands115.
Nach einer Mythenversion ist bekannt, dass der König Kadmos mit seiner Frau
Harmonia (Tochter des Ares und der Aphrodite) das von ihm gegründete Theben in
Böotien116 verlassen hatten und zu den von den Illyriern bedrängten Encheleërn – die Hylleer
(Ὑλλήων sc. χθόνα, v. 386) bei Dionysios – gezogen war, die ihn gemäss einem Orakel zum
Herscher machten117. Nach dem Tod wurden er und seine Frau Harmonia von Zeus in
Schlangen verwandelt118 und in Elysische Gefilde versetzt119. In der dionyseïschen
Erdbeschreibung finden sich folgende Verse:

κεῖνον δ' αὖ περὶ χῶρον ἴδοις περιηγέα τύµβον,


τύµβον, ὃν Ἁρµονίης Κάδµοιό τε φῆµις ἐνίσπει·
κεῖθι γὰρ εἰς ὀφίων σκολιῶν γένος ἠλλάχθησαν,
ὁππότ' ἀπ' Ἰσµηνοῦ λιπαρὸν µετὰ γῆρας ἵκοντο
„An jenem Golf aber dürftest du wohl ein hochberühmtes Grabmal erblicken,
das Grabmal, welches die Kunde als das der Harmonia und des Kadmos vermeldet:

108
Diod. IV 24, 7; Serv. Aen. III 552. S. auch: ROSCHER (1884–1890) 2086–2087; RASCHIERI
(2004) 79.
109
Schol. Theocr. IV 32 f.; vgl. Lycophr. 856. S. auch: GIANGIULIO (1989) 121–130.
110
Serv. Aen. III 552.
111
Lycophr. 857; Tzetz. Schol. in Lycophr. 857.
112
Vgl. Ps.-Scyl. 13; Strabo VI 1, 11 C 261; Liv. XXIV 3; Steph. Byz. s.v. Λακίνιον; Eust. ad
Dion. Per. 371. Dazu auch s.: GIANNELLI (1963) 143–147 (ein Überblick der
Mythenversionen über Lakinia und Kroton); EDLUND (1987) 48; GIANGIULIO (1989).
113
Vgl. Conon. Fab. 3 mit den anderen Namen.
114
Vgl. Hom. Il. II 569: Μυκήνας ... εὐκτίµενον πτολίεθρον, Il. XIX 99: ἐϋστεφάνῳ ἐνὶ
Θήβῃ; vgl. Pind. Ol. VIII 32: Ἰλίῳ µέλλοντες ἐπὶ στέφανον τεῦξαι, und Anakreos F 46 Page:
νῦν δ᾿ ἀπὸ µὲν στέφανος πόλεως ὄλωλεν. Die Bemerkung zum Text des Dionysios wurde von
CL. SALMASIUS (1689, 46) gemacht.
115
Schol. Dion. 369; Eust. ad Dion. Per. 369.
116
Diod. V 48-49; Apoll. Rhod. III 1178–1187; Schol. Apoll. Rhod. I 916.
117
Strabo VII 7, 8 С 326; Apollod. III 5, 4.
118
Ps.-Scyl. 24; Apoll. Rhod. IV 516–518; Hyg. fab. 6.
119
Apollod. III 39. S. auch: ROSCHER (1886–1890) 1830–1833.

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Teil I. Kap. 5. Mythologische Vergangenheit

Dort nämlich verwandelten sie sich in die gekrümmte Leibesgestalt von Schlangen,
als sie vom Ismenos gekommen waren nach einem behaglichen Greisenalter“
(Dion. Per. 390–393).

Wie es schon bemerkt wurde, gibt es eine Verbindung zwischen dem Mythos bzw. der Kunde
(φῆµις, v. 391) und dem topographischen Orientierungspunkt (in diesem Fall – das Grabmal
von Harmonia und Kadmos), der gleichzeitig als lokale Sehenswürdigkeit beschrieben wird;
dies ist für die periegetische Tradition kennzeichnend120. In diesem Abschnitt des Textes
findet sich ein weiteres Beispiel von Epanalipsis (τύµβον ... τύµβον, „Grabmal ... Grabmal“,
vv. 390–391), was bereits von Eustathios bemerkt wurde121. Die Wörter des Dionysios
τύµβον, ὃν Ἁρµονίης Κάδµοιό τε, „das Grabmal, welches als das der Harmonia und des
Kadmos“ (v. 391) spielen auf die Argonautika des Apollonios Rhodios an, in denen es auch
von diesem Gebiet des Adriatischen Meeres geht: τύµβος ἵν᾿ Ἁρµονίης Κάδµοιό τε (Apoll.
Rhod. IV 517). Die Erwähnung des Ismenosflusses (v. 393) weist auf das Gebiet in Böotien
hin, wo sich das von Kadmos gegründete Theben befinden: Über den Flussnamen wird also
das Land bzw. die Stadt gemeint122.
Als eine andere lokale Sehenswürdigkeit gilt der Grabhügel vom König Erythraios auf
der Insel Ogyris123:

ἔστι δέ τοι προτέρω Καρµανίδος ἔκτοθεν ἄκρης


Ὤγυρις, ἔνθα τε τύµβος Ἐρυθραίου βασιλῆος
„Es liegt dir aber im Vorwärtsschreiten außerhalb der Karmanischen Landspitze
Ogyris, wo das Grabmal des Königs Erythraios“ (Dion. Per. 606–607).

Der König Erythraios ist Eponym des Erythräischen Meeres (heutiger Persischer Golf)124, in
dem sich die Insel Ogyris befindet (heute Masirah). Nach Strabon, der seinerseits sich auf
einen gewissen Boxon verweist, sei ein Perser Erythras (nach einer anderen Version sei
Erythras ein Sohn des Perseus gewesen) als erster auf diese Insel gelandet gewesen, dort hätte
120
Vgl. aber auch die frühere Erwähnung vom Grabhügel der Amazonen Myrina vor Troja,
der als markanter Punkt dient, in der Ilias (Hom. Il. II 811–814).
121
Eust. ad Dion. Per. 391. Zu verschiedenen Wiederholungen, Anaphern, Epanalepsen bei
Dionysios s.: HUNTER (2003) 352–356.
122
Vgl. zur Bezeichnung von Athen bei Dionysios über den Flussnamen Ilissos: CUSSET
(2004) 203–216.
123
Vgl. Alex. Ephes. F 33 = Eust. ad Dion. Per. 606: µεσσοβαθὴς δ' ἄρα νῆσος ἁλὸς κατὰ
βένθος Ἐρυθρῆς / Ὤγυρις, ἔνθα τε τύµβος ἁλὸς µεδέοντος Ἐρύθρα / κέκληται, „Also (liegt)
mitten in der Tiefe des Erythräischen Meeres die Insel Ogyris, wo das Grabmal des
Herrschers Erythra, dem Meer den Namen gegeben“.
124
Zur Tatsache, dass der Name des Meeres sich einem sagenhaften Erythras verdankt, s. bei:
Agatharch. GGM I 112, 28–113, 42; Strabo XVI, 4, 20 C 779; Curt. 10, 1, 13; Mela 72; Plin.
nat. hist. VI, 107; Varro bei Solin 33,1; Steph. Byz. s. v. Ἐρύθρα, ἡ θάλασσα; Mart. Cap. VI,
677. Vgl. bei Strabo: „Von Karmanien aus, so berichten sowohl Nearchos als Orthagoras,
liege zweitausend Stadien südwärts im offenen Meer die Insel Tyrine (sic!), auf der man das
Grab des Erythras zeigt, einen großen, mit wilden Dattelpalmen bepflanzten aufgeworfenen
Hügel; dieser sei König des Landes gewesen und habe des Meer nach sich benannt
hinterlassen“ (XVI 3, 5 С 766; Übers. v. S. Radt).

- 194 -
Teil I. Kap. 5. Mythologische Vergangenheit

er später zusammen mit anderen Kolonisten aus Persien eine Siedlung gegründet und das
Meer nach sich benannt125. Im Kontext des dionyseïschen Gedichtes tritt der König Erythraios
einerseits als mythischer Gründer einer Siedlung auf der Insel Ogyris, andererseits als
Eponym des Erythräischen Meeres hervor. Außerdem waren die kultischen Stätten, als auch
das Grab des Gründers, immer als sichtbare Zeugnisse und hatten große Bedeutung in
Tradition der Kolonisationsbewegung; deswegen werden sie auch vom Dichter besonders
gewürdigt126.
Zum Schluss möchte ich noch auf eine Sache die Aufmerksamkeit richten. Im Text
des Dionysios finden sich mehrfache Beispiele der Verbindung zwischen
Mythenkomponenten und naturwissenschaftlichen Paradoxen127. Als direkte Fortsetzung der
mythischen Vergangenheit gilt ein ungewöhnliches „hier und nun“. Beispielsweise dort, wo
einst die Heliaden den Phaethon am Fluss Eridanos beklagten, finden jetzt die Kelten den
Bernstein (vv. 290 ff.); ein giftiges Kraut wächst nun, wo einst ein schrecklicher Speichel aus
dem Maul des von Herakles besiegten Kerberos gefallen sei (vv. 788–792)128; als der Heros
Bellerophontes sich zum Sitz des Zeus gestrebt hat, hat sein Ross Pegasos den Reiter
abgeworfen und an dem Ort für immer seinen Hufabdruck abgelegt (vv. 869–873)129 u. a.
Der Mythos kann in ungewöhnlichen Charakteristika der Kräuter, Steine und anderer
Artefakten widerspiegelt sein, die dank diesen wunderbaren Eigenschaften zu Amuletten,
tödlichen Giften oder merkwürdigen Sehenswürdigkeiten werden. Die Grenze zwischen dem
Mythos und admiranda wird meistens behalten, manchmal aber werden diese admiranda von
Dionysios erwähnt ohne mit einem Mythos begleitet zu werden (und andersrum), so dass der
Unterschied zwischen den Mythen und ihnen ähnlichen Wundern praktisch eliminiert wird.

125
Strabo XVI 4, 20 C 779.
126
MILLER (1997) 146 ff.
127
Vgl. ROMMEL (1923).
128
Der giftige Akonitos wuchs, nach der antiken Tradition, im Gebiet von Heraklea Pontika
(vgl. Theophr. H. pl. IX 16, 4–7), das bei Dionysios periphrastisch genannt wird. Neben
Heraklea Pontika wurde auch der Eingang in den Hades lokalisiert (Xen. Anab. VI 2, 2;
Apoll. Rhod. II 727–748; Nicandr. Alexiph. 12; Amm. Marc. XXII 8, 17). Die Vorstellung
über diese Verbindung zwischen dem Hadeseingang und dem Gift wurde in einer verbreiteten
Mythosversion widerspiegelt, wonach das giftige Kraut aus dem Speichel des Kerberos
gewachsen sei, als Herakles ihn aus dem Hades herausgeholt hatte (Schol. Apoll. Rhod. II 353
/ 356 b; Schol. Nicandr. Alexiph. 13; Ovid. Met. VII 408–419; Plin. hist. nat. XXVII 4; Mela I
103; Serv. Comm. ad Georg. II 152). Mehr zum Abschnitt über den Herakles und Kerberos
bei Dionysios s. unten: Teil II. Kap. 8. Pontische Völker und Stämme.
129
Der Mythos über Bellerophontes wird in der homerischen Ilias erzählt (VI 155–205);
Homer sagt aber nichts über den Ross Pegasos, Geschenk von Athena, nur deutet daran
vielleicht mit den Wörtern θεῶν τεράεσσι πιθήσας (Il. VI 183) an. Dionysios spielt mit den
ähnlich klingenden Wörtern Ταρσόν (v. 869) als Ortsname in Kilikien und ταρσόν (v. 870) als
Hufabdruck des Rosses, betonend es mit einer Anapher (in denselben Versen findet sich auch
eine Epipher: ἵππος - ἵππου). Zu Abdrücken der Götter, Heroen und anderer mythischen
Gestalten als loci communes vgl. bei Herod. IV 82 (Fußabdruck des Herakles in Skythien);
Arist. Mir. 97 (Fußabdruck einer Gottheit auf dem Japigischen Kap in Italien); Diod. IV 24, 3
(Abdrücke von Kuhklauen, die Herakles nach seinen Namen benannt hat); Cic. de nat. deor.
III 5 (Hufabdrücke der Dioskuren-Pferden am Fels neben dem Regilsee).

- 195 -
Teil I. Kap. 5. Mythologische Vergangenheit

So, können hier folgende Beispiele aus der Erdbeschreibung angeführt werden: In Illyrien
gibt es eine Wunderzeichnung (τέρας, v. 394), und zwar „rücken zwei Felsen zusammen,
wenn ein Beginn eines sich heranwälzenden Übels den Einwohnern entsteht“ (vv. 395–396);
„der dunsttrübe Jaspis“, den das Kaspische Meer gebiert (φύει, v. 724), verhasst den Empusen
und anderen Truggestalten (vv. 723–725); ein reizvolle Stein Beryll wächst (φύεται, v. 1013)
in der Nähe von Babylon in den Serpentinsteinfelsen (vv. 1012–1013)130; die Perser besitzen
einen unendlichen Reichtum (v. 1062)131: Ihre Rüstung, Reitzeug und Sandalen sind gold,
was wieder mit einer Anapher betont wird (χρύσεα - χρύσεα - χρυσῷ, vv. 1059–1061)132; ein
großes Wunder (µέγα θαῦµα, v. 65) stellen die Säule des Herakles am westlichen Rande des
Ozeans (vv. 64–65)133 oder die des Dionysos am östlichen Rande des Ozeans in Indien (vv.
623–625; 1164) dar; „riesige Seeungeheuer” (κήτεα, v. 597) bewohnen das Erythräische Meer
an der Insel Taprobane (vv. 597–598; 601–605)134 u. a. Dieser Eindruck eines bunten
Durcheinanders im Gedicht des Dionysios wurde von seinem Publikum anscheinend als
reizvoll angenommen135.

5.4 Zusammenfassung
Die oben betrachteten Abschnitten sind repräsentativ für das Verständnis vom literarischen
Spiel bei der Deutung mythologischer Motiven, Götter und Heroen bei Dionysios Periegetes,
da sie einerseits die Traditionskontinuität zeigen, andererseits zeugen von der Bereitschaft des
Dichters zu Experiment bei der Arbeit mit dem mythologischen Stoff.
Im Großen und Ganzen stellt die periegetische Mythographie des Dionysios eine
Auflistung der mit Mythen verbundenen geographischen Realien – Flüsse, Berge, Täler bis zu
den Kultstätten und Grabmäler der Heroen oder der mythischen Stadtgründer. Der Leser des
Dionysios hat mit den Ergebnissen der Göttertaten nicht nut in der grauen Vorzeit, sondern
auch im Alltagsleben zu tun: Der Gestalt eines Gottes oder eines Heros gibt oft einem Ort
seinen Namen oder ist genealogisch mit einem geographischen Punkt verbunden. Der ganze
Raum der Oikumene ist bei Dionysios mit den wichtigen Marksteine gefüllt, die mit den

130
Vgl. Posidon. F 16 Teiler = Strabo XVI, 4, 20 C 779: in der Nähe vom Arabischen Golf
„finden sich der Smaragd und der Beryll in den Goldbrunen“. S. dazu auch: SCHAMP,
HALLEUX (1985) 146–177.
131
Die Redewendung ὄλβος ἀπείριτος wird hier von Dionysios wahrscheinlich aus dem
Scutum des Ps.-Hesiod entlehnt (Hesiod. Scut. 204).
132
Diese Anapher des Dionysios stellt eine anscheinende Anspielung auf die Verse des
Kallimachos über die Insel Delos dar, vgl.: χρύσεα - χρυσῷ - χρύσειον - χρυσῷ - (χρυσέοιο)
(Call. h. Del. 260–264 / 265); s. dazu: HUNTER (2003) 345–346; RASCHIERI (2004) 134.
133
Zu den Säulen des Herakles und den Stieren des Herion s. bei: Pind. Nem. 3, 20–23; Isthm.
4, 11–14; Herod. II 33; IV 8; Dicaearch. F 112 Wehrli; Eratosth. F III B 58 Berger; Polyb.
XXXIV 9, 4 = Strabo III 5, 5 C 170. Zu den Säulen als mythologisch-geographischen Punkt
s.: ROMM (1992) 17–19.
134
Vgl. κήτη „riesige Meerestiere” als möglicherweise Thunfische bei Ps.-Scymn. 162
Marcotte (neben den Gadeira im Mittelmeer); F 10 Marcotte (neben dem Borysthenes im
Schwarzen Meer); ähnlich bei Ephor. 70 F 129 b und Ps.-Aristotel. Mir. 136.
135
Vgl. Hor. De arte poet. 29–30: qui variare cupit rem prodigialiter unam / delphinum silvis
adpingit ...

- 196 -
Teil I. Kap. 5. Mythologische Vergangenheit

Göttern bzw. Heroen verbunden sind und deswegen vom Dichter besonders gewürdigt
werden. Während die Erscheinung der Götter in der früheren Epen (Homer, Apollonios
Rhodios) den Vorwand für ein ausführliches emotionales Erzählen darstellt, ist die Rolle der
Götter bei Dionysios sekundär in Bezug auf die Thematik seines Gedichtes; die Funktionen
der Götterbeschreibungen werden reduziert und dem geographischen Kontext untergeordnet:
Die von Dionysios erwähnten Götter treten als markante künstlerische Zeichen auf und
fördern das Auszeichnen eines konkreten geographischen locus und damit die bessere
Informationsspeicherung durch den Leser.
Die Namen und Epitheta der griechischen Götter und Heroen treten im Gedicht als
eigenartiger kommunikative Code, der den Dichter mit seinem Publikum vereinigt. Manchmal
reicht es nur einen bekannten Namen oder kennzeichnendes Beiwort zu erwähnen, um bei
dem Leser die notwendigen Assoziationen auszurufen; manchmal erfüllt der bekannte Mythos
eine didaktische Rolle; manchmal benutzt Dionysios Mythen über Götter und Heroen als
aitiologische Konstruktionen. Die Verbindung eines Gottes mit einem geographischen Ort
schafft auch eine temporale Opposition „Vergangenheit – Gegenwart“ im Lehrgedicht des
Dionysios, die lexikalisch betont wird (z. B. πότε, vv. 700, 775, ἐνέπουσιν, v. 788 u. a.).
Dionysios erwähnt auch Gründungsmythen von Städten und Heiligtums, die eine
historische Grundlage haben, was wahrscheinlich auf die von ihm beim Schaffen des
Gedichtes benutzten Quellen zurückgeht. Die Hauptorientierung des Dionysios auf seine
Vorgänger-Dichter gibt meistens eine mythische Ausgestaltung den wenigen historischen
Elementen in seinem Werk. Dabei stellt der Text des Dionysios jedoch ein Beispiel der
Identifizierung der mythologischen Sagen mit der realen Geographie dar.

- 197 -
Teil I. Kap. 5. Mythologische Vergangenheit

Abb. 8. Das Weltbild des Dionysios Periegetes (nach MILLER (1898) VI, Taf. 6).

- 198 -
Teil II. Einleitung

Teil II. DIE ANGABEN DES DIONYSIOS


PERIEGETES ÜBER DAS SCHWARZMEERGEBIET

Einleitung

Der zweite Teil dieser Arbeit ist einer historisch-philologischen Untersuchung des
Schwarzmeergebietes nach den Angaben des Dionysios Periegetes gewidmet. Die
quellenkritische Behandlung der umfangreichen Problematik, die mit der Darstellung des
Schwarzmeerraums bei Dionysios Periegetes in Verbindung gebracht wird, hat sich dabei als
mein Forschungsziel ergeben. Es ist vorgesehen, die Analyse der dionyseïschen Daten sowohl
über die Umrisse des Schwarzen Meeres, über das Klima dieses Gebietes und über die
pontischen Gewässer und Gebirge als auch über die am Pontos und an der Maiotis siedelnden
Völker und Stämme vor dem Hintergrund der Schriftzeugnisse zu demselben Thema
durchzuführen. Dies soll ermöglichen, die narrative Tradition zu verfolgen, an welche
Dionysios sich anschließt, und damit seine möglichen Quellen, sowohl geographische als
auch dichterische, zu skizzieren. Die Hauptaufgabe besteht darin, aufgrund eines konkreten
Materials (und zwar aufgrund der Angaben über das Schwarzmeergebiet) die künstlerische
Eigenart der Poetik des Dionysios zu zeigen und die Besonderheiten seiner geographischen
Vorstellungen zu beleuchten, die mit seinem Weltbild verbunden sind.
Um verstehen zu können, inwiefern Dionysios in seiner Pontosdarstellung traditionell
ist und / oder inwiefern er sich von seinen Vorgängern unterscheidet, soll zunächst kurz auf
die Vorgeschichte der griechischen Kenntnisse über das Schwarze Meer eingegangen
werden. So ist bekannt, dass die Griechen das heutige Schwarze Meer anfangs Πόντος1, dann
Πόντος Ἄξεινος nannten, eine Benennung, welche von den meisten Forschern2 als eine
gräzisierte Form der einheimischen altiranischen Meeresbezeichnung (axšaena-, aχśaena-:
„dunkelfarbig“, „blauschwarz“, „schwarz“) im Sinne von „ungastlichem Meer“ angesehen
wird3, und die später aus euphemistischen Gründen in Πόντος Εὔξεινος („gastfreundliches
Meer“) umgewandelt wurde – die letzte Bezeichnung hat sich schnell verbreitet und ist bei
den meisten antiken Autoren zu finden4.

1
Die Bezeichnung ist schon bei Hekataios von Milet zu finden: FGrHist I F 214, 216, 196 J.
2
VASMER (1921) 3–6; BOISACQ (1924) 317–319; DETSCHEW (1976) 18; BURR (1932) 31–33;
DANOFF (1962) 953; BOSHNAKOV (2004) 163–164.
3
S. z. B. bei Pind. Pyth. IV 362; Eurip. Iph. Taur. 218, 253, 341, 395; Ps.-Scymn. 735
Marcotte; Apoll. Rhod. II 548, 984; Strabo VII 3, 6 C 298, u. a.; Mela I 102; Plin. nat. hist. IV
76 u. a.
4
S. z. B. bei Pind. Nem. IV 79; Herod. I 6, 72, 76, 110, II 33, III 93, IV 46, VI 33, VII 36; Ps.-
Scymn. 737 Marcotte; Strabo VII 3, 6 C 299, u. a.; Plin. nat. hist. IV 76; bei Dionysios ist die

- 199 -
Teil II. Einleitung

Vor dem Beginn der Kolonisation (d. h. ungefähr vor dem 7. Jh. v. Chr.) stellten sich
die Griechen das Schwarze Meer als Teil des Nordozeans oder als einen anderen Ozean vor5.
Bei Strabon findet sich beispielsweise ein direkter Hinweis darauf, dass das Schwarze Meer
von den Griechen ursprünglich als ein Ozean wahrgenommen wurde: „Überhaupt
betrachteten die Leute damals das Schwarze Meer als einen zweiten Ozean und stellten sich
die dorthin Schiffenden in der gleichen Verlassenheit vor wie die die weit über die Säulen
hinaus vordrangen“ (Strabo I 2, 10 C 21, Übers. v. S. Radt). Diese Vorstellung zeichnet den
„pontischen“ locus unter den anderen aus und sondert ihn in einem gewissen Grad sogar
davon ab. Nach den archaischen Vorstellungen befanden sich wunderliche Länder und
mythische Völker an den Rändern der Oikumene: an den Ozeanküsten (vgl. Hom. Od. IV
563–568: das Elysische Gefilde) oder direkt im Ozean (vgl. Hesiod. Op. 171: Inseln der
Seligen)6; dasselbe ist für die antiken Beschreibungen des Schwarzmeergebietes
kennzeichnend. Reflexe solcher Ansichten, dass das Schwarze Meer ein Ozeansteil wäre,
finden sich praktisch in allen mit dieser Region verbundenen mythologischen Zyklen (z. B. in
den früheren Argonautika, in denen Kolchis am Rande des Ozeans liegt; im Mythos über
Iphigenie in Tauris; im Mythos über Achilleus auf der Insel Leuke). Selbstverständlich wurde
die Gleichsetzung des Schwarzen Meeres mit dem Ozean durch die Griechen infolge der
Entdeckung der Landschaft und der Völker des pontischen Gebiets aufgegeben, d. h. seit dem
Beginn der südpontischen Kolonisation (7. Jh. v. Chr.); noch mehrere Jahrhunderte danach
hielt sich jedoch diese Identifizierung in der mythopoetischen Tradition. Seit der aktiven
Beherrschung der pontischen Küste durch die Griechen werden das Schwarze Meer und die
damit durch den Kimmerischen Bosporos verbundene Maiotis in der griechischen
Geographie als die nördlichsten Teile des Mittelmeeres aufgefasst – diese Ansicht findet sich
auch in der Periegese des Dionysios (vv. 146–147).
Die Spezifik des dionyseïschen Werkes besteht darin, dass die hier erhaltenen
Angaben über das Schwarzmeergebiet im Allgemeinen archaische und veraltete
geographische Daten widerspiegeln; dies sieht man vor allem in seinen Katalogen der
pontischen Völker und Stämme, die zur Zeit des Dionysios nicht mehr existierten, oder in der
Tatsache, dass Dionysios ausschließlich frühere griechische Kolonien am Pontos nennt –
Phanagoreia und Hermonassa (v. 552), als ob die meisten pontischen Poleis noch nicht
gegründet wären oder überhaupt nicht existierten. Außerdem fehlt es bei Dionysios praktisch
vollständig an Information über die westliche Küste des Schwarzen Meeres, als ob er die
westpontischen Küstenländer nicht kennte und dementsprechend als den westlichsten Punkt
am Pontos die Istros-Mündung einsetzt7.

Form Εὔξεινος 11mal zu finden: Per. 21, 55, 300, 312, 541, 635, 681, 693, 696, 763, 863,
dabei verwendet er die Form Ἄξεινος gar nicht.
5
S. dazu: GISINGER (1937c) 2339–2341; BURR (1932) 29–36; LESKY (1947) 64–66;
IVANTCHIK (2005) 67–68.
6
ROMM (1992) 11–25, 60 ff.
7
Im Text gibt es keine direkten Erklärungen dafür. Man kann vermuten, dass für Dionysios
seine ausführliche Beschreibung des Istros mit der Umgebung das ganze westliche
Pontosgebiet abdeckt. Wahrscheinlich interessiert aber die westliche Pontosküste Dionysios

- 200 -
Teil II. Einleitung

Die vielfältigen ethno- und geographischen Angaben über das antike


Schwarzmeergebiet systematisiert Dionysios Periegetes nach den traditionellen
Hauptprinzipien, die er in Bezug auf alle geographischen Gegenden verwendet8, und zwar:
(1) Raumerfassung in einer Art „Vogelperspektive“ (so betrachtet Dionysios den Pontos und
die ganze Gegend darum herum, als ob er darauf von oben, aus der Vogelperspektive,
blickte),
(2) Vergleich der einzelnen geographischen Formen mit aus der Alltagswelt vertrauten
Umrissen oder mit geometrischen Figuren (der Umriss des Pontos als Bogen),
(3) Benutzung von Grundlagen der mathematischen Geographie (wobei z. B. Flüsse und
Gebirge als imaginäre Parallelen und Meridiane hervortreten),
(4) durch Routen strukturierte Regionalbeschreibung (Wohnsitze von pontischen Völkern
und Stämmen), dabei wird sowohl ein Periplus-Prinzip (der Küstenlinie entlang) als auch
ein itinerarisches Prinzip (im Binnenland) benutzt,
und schließlich wird die geographische Raumbeschreibung bei Dionysios manchmal durch
(5) einen mythologischen bzw. kulturell-historischen Hintergrund bei der Erwähnung der
einzelnen Toponyme (z. B. Sinope und Herakleia an der südlichen Schwarzmeerküste)
gefärbt.
Die im ganzen Gedicht des Dionysios verstreuten Angaben über das
Schwarzmeergebiet werden hier in thematischen Kapiteln gesammelt, in welchen
dementsprechend die Problematik der Form des Pontos (Kap. 6. „Die Umrisse des Schwarzen
Meeres und seine Charakteristika“), die Klimaschilderung (Kap. 7. „Das Klima und die
Landschaft des nördlichen Schwarzmeergebietes“), die am Pontos und im Hinterland
lebenden Völker und Stämme (Kap. 8. „Pontische Völker und Stämme“), und schließlich
pontische Flüsse, Seen und Berge (Kap. 9. „Pontische Gewässer und Gebirge“) erforscht
werden. Jedes Kapitel ist nach demselben Muster aufgebaut: Es besteht aus einer Einführung,
in welcher allgemeine Daten zu jedem einzelnen Thema aufgrund des ganzen Werkes des
Dionysios und der vorhergehenden narrativen Tradition betrachtet werden, aus einem
Hauptteil mit dem analysierten griechischen Abschnitt, seiner Übersetzung sowie der
historisch-philologischen Untersuchung, und aus einer knappen Zusammenfassung, in
welcher die wichtigsten Schlussfolgerungen jedes Kapitels ausgewertet sind.
Seine Darlegung der Mittelmeersteile beendet Dionysios mit einer allgemeinen
Schilderung des Pontos Euxeinos und vergleicht dessen Umriss mit der Form eines

vom Gesichtspunkt der Orientierung im Schwarzen Meer nicht: Unter den von Dionysios hier
erwähnten Toponymen, Kaps oder Flussmündungen haben die meisten eine wichtige
Bedeutung für jeden auf dem Schiff ins Meer Einreisenden; die westliche Küste bleibt dabei
abseits von den Hauptrouten im Pontos. Dies ist aber nur eine der möglichen Vermutungen;
eine andere ist mit der Frage nach den von Dionysios bei seiner Pontosdarstellung benutzten
Quellen verbunden.
8
Zum Thema s. z. B.: GÜNGERICH (1950); JANNI (1984); BRODERSEN (1995); GEHRKE
(1998); MEYER (1998a); MEYER (1998b); HEILEN (2000); BRODERSEN (2004); SCHRIJVERS
(2010) 149–176. Mehr dazu in der Erdbeschreibung s. oben: Teil I. Kap. 2. Das Weltbild des
Dionysios Perigetes (Raumerfassung).

- 201 -
Teil II. Einleitung

(skythischen) Bogens (vv. 157–163): Dieses Thema liegt dem ersten Kapitel zugrunde. Der
für die antiken Autoren traditionelle Vergleich mit dem Bogen ist zur Zeit des Dionysios zum
topos geworden, der anscheinend auf die schematischen Darstellungen der ionischen Karten
zurückging9, wobei jedoch nicht klar ist, auf welcher Stufe der Tradition sich dieser Ersatz der
graphischen Darstellung durch eine narrative vollzog. Das Schema des Dionysios, bei dem die
Umrisse des Schwarzen Meeres quasi aus der Vogelperspektive beschrieben werden, wird
vom Periegeten durch die Pontos-Charakteristik „Doppelmeer“ ergänzt. In diesem Kapitel
wird auch der Aufbau des „skythischen Bogens“ nach Dionysios betrachtet.
Die dionyseïsche Beschreibung des Winters im skythischen Gebiet (vv. 666–678)
steht im Mittelpunkt des zweiten Kapitels. Nach den verschiedenen Bemerkungen im Text der
Periegese kann man darauf schließen, dass Dionysios mit der Theorie der Klimazonen
bekannt war10. Andererseits orientiert sich Periegetes mehr an dichterischen Vorbildern und
stützt sich auf die beschreibende Geographie, so dass er den rein spezifischen, nur für
Spezialisten verständlichen Inhalt weglässt. In seiner teils glaubwürdigen, teils jedoch
stereotypen Schilderung des nördlichen Landes legt Dionysios einen besonderen Akzent auf
die Grausamkeit des skythischen Winters, wodurch die Ortseinwohner regelmäßig gezwungen
sind, ihre Heimstätte zu verlassen und sich auf den Weg zu machen.
Den Mittelpunkt des vorliegenden Teils bildet das dritte Kapitel, in dem die von
Dionysios aufgelisteten pontischen Völker und Stämme untersucht werden. Bei der
Aufzählung der pontischen Stämme und Völker verwendet Dionysios eine für die antike
Periegese charakteristische Weise der Routen-Beschreibung. Er bewegt sich nach den
impliziten Wasser- oder Landlinien und zählt dabei die Völkernamen und ihre Wohnsitze auf:
(1) das nördliche Istros-Ufer entlang in Richtung Maiotis-Mündung, (2) um die Maiotis
herum und die nord-östliche (kaukasische) Küste des Pontos entlang, (3) den Landstreifen
zwischen dem Euxeinischen (Schwarzen) und dem Hyrkanischen (Kaspischen) Meer entlang,
und (4) von Phasis und den Kolchen aus an der südlichen Küste des Pontos entlang bis zum
Thrakischen Bosporos11. Dabei geht seine Aufzählung im Uhrzeigersinn vor, was für die

9
Zur ‚Karte’ nach Hekataios s. z. B.: KRAFFT (1971) 168–199 ( = Vorlesung 7: „Das
geometrische Erdbild des Hekataios von Milet“); KRAFFT (1990) 43; HEILEN (2000) 46–51.
10
Vgl. z. B. vv. 236–237, 580–586, in denen Dionysios in dichterischer Form die Angaben
über die Orbitalbewegung der Sonne und über den Horizont wiedergibt und die Polarnacht in
der Nähe der Thule-Insel, die sich am arktischen Polarkreis befindet, beschreibt; die von
Dionysios benutzte Fachterminologie beweist auch seine Vertrautheit mit der mathematischen
Geographie (τραπέζιον „Trapez“, v. 175, κῶνοι „Kegel“, vv. 277, 621; σχῆµα „Schema“, vv.
277, 620; ῥόµβος „Rhombus“, v. 1131, u. a.) – ausführlicher s. unten: Teil II. Kap. 2. Das
Klima und die Landschaft des nördlichen Schwarzmeergebietes.
11
Unter den pontischen Völkern und Stämmen erwähnt Dionysios in seinem Gedicht die
(östlichen) Germanen, die Sarmaten, die Geten, die Daken, die Bastarnen, die Alanen, die
Tauren, die Agaven, die Hippemolgen, die Melanchlänen, die Neurer, die Hippopoden, die
Gelonen, die Agathyrsen (vv. 302–310), die Maioten, die Sauromaten, die Sinder, die
Kimmerier, die Kerketer, die Toreter, die Achaier, die Heniocher, die Zyger, die Tyndariden,
die Kolcher (vv. 652–689), die kaukasischen Iberer, die Kamariten (vv. 695–705), die
Byzerer, die Becheirer, die Makronen, die Philyrer, die Mossyniken, die Tibarener, die

- 202 -
Teil II. Einleitung

älteren Periploi kennzeichnend ist: Ps.-Skylax (4. Jh. v. Chr.) und Ps.-Skymnos (Ende d. 2.
Jhs. v. Chr., der die Angaben des Ephoros in seinem Gedicht verwendete) beschreiben in
ihren Periploi die Mittelmeerküste mit dem Pontos und der Maiotis auf dieselbe Weise (d. h.
in der Richtung von Osten nach Westen im Uhrzeigersinn). Einige Völkernamen treten bei
Dionysios als traditionelle, rein geographische Begriffe auf, ohne einen ethnographischen
Inhalt zu tragen – was auch mit den antiken historiographischen Angaben in Einklang steht.
Eine Reihe von Ethnonymen wird durch die Spezifik des dichterischen Textes bedingt – das
ausgewählte Versmaß, Hexameter, und die dichterischen Mittel, wie Anapher, Metonymien,
Alliteration, formelhafte Epitheta usw.12.
Das toponymische Material des Pontos wird im vierten Kapitel betrachtet; es besteht
aus einer umfangreichen Reihe der von Dionysios erwähnten pontischen Flüsse und
Gebirge13. Darunter dehnen sich die einzelnen Flüsse (z. B. Istros, Borysthenes) und Gebirge
(Tauros, Rhipäisches Gebirge) in einer bestimmten Richtung aus (von Westen nach Osten wie
der Istros, oder von Norden nach Süden wie der Borysthenes) und bilden dementsprechend
eine Breite oder Länge, womit auch das ganze Raumbild durch diese markanten Punkte
strukturiert wird14. Im Allgemeinen stellen die griechischen Namen der pontischen Gewässer
und Gebirge bei Dionysios eine Sammlung der historischen und mythopoetischen Daten dar.
Die im Kapitel über die pontischen Gewässer und Gebirge gesammelten Beispiele zeigen
nochmals die Neigung des Dionysios zu verschiedenen Arten von dichterischen Experimenten
mit den Wörtern, zur durchdachten Komposition der Verse und zur Lautmalerei15.
Zusammengefasst habe ich im nächsten Teil vor, die Angaben des Dionysios
Periegetes über das antike Schwarzmeergebiet nach verschiedenen Themen geordnet vor dem
Hintergrund der vorhergehenden narrativen Tradition ausführlich zu analysieren. Dies soll
ermöglichen, (a) einerseits die Frage nach den vermutlichen Quellen des Dionysios, sowohl
geographischen als auch dichterischen, zu behandeln (vgl. z. B. die Ähnlichkeit der
dionyseïschen Beschreibung der Völker am Istros mit den Angaben des Strabon über
dieselbe Region, oder die wahrscheinliche Abhängigkeit der Passage des Dionysios über die
südpontischen Völker von deren Beschreibung bei Apollonios Rhodios), und (b) andererseits
die Besonderheiten seiner dichterischen Poetik an konkreten Beispielen zu klären und auch zu
zeigen, worin sich Dionysios von seinen Vorgängern unterscheidet.

Chalyber, die Amazoniden, die Paphlagonen, die Mariandynen und die Bithynen (vv. 762–
798).
12
S. auch oben: Teil I. Kap. 4. Die poetische Technik des Dionysios Periegetes.
13
Darunter werden bei Dionysios der Istros (h. Donau), der Borysthenes (h. Dnepr), der
Aldeskos und der Pantikapes (nicht sicher zu identifizieren), der Tanais (h. Don), die Maiotis
(h. Asowsches Meer), der Bosporos Kimmerios (h. Straße von Kertsch), der Phasis (h. Rioni-
Qvirila), der Thermodon (h. Terme Çayi), der Iris (h. Yeşil Irmak), der Halys (h. Kisil Irmak),
der Reba (h. Riva Deresi), das Rhipäische Gebirge, der Kaukasus und der Tauros (h. Toros
Daglari und Armenisches Gebirge) aufgelistet.
14
SZABÓ (1992); BRODERSEN (1995) passim; GEHRKE (1998) 163–192.
15
S. dazu auch oben: Teil I. Kap. 4. Die poetische Technik des Dionysios Periegetes.

- 203 -
Teil II. Kap. 6. Die Umrisse des Schwarzen Meeres

Kapitel 6. Die Umrisse des Schwarzen Meeres und


seine Charakteristika

6.1 Der Vergleich der Umrisse des Pontos Euxeinos mit einem (skythischen) Bogen bei
Dionysios
6.2 Charakteristik des Pontos als Doppelmeer
6.3 Der skythische Bogen des Dionysios
6.4 Zusammenfassung

Dem ersten Kapitel dieses Teils liegt die allgemeine Charakteristik des Schwarzen Meeres in
der Erdbeschreibung des Dionysios zugrunde. Der Dichter stellt sich den Pontos Euxeinos als
nördlichen Teil des Mittelmeeres vor und vergleicht seinen Umriss mit der Form eines
Bogens, dabei der Tradition folgend (s. 6.1). Dieses Schema des aus der Vogelperspektive
betrachteten Meeres ergänzt Dionysios mit der Charakteristik „Doppelmeer“, was eine
Parallele im Text der Geographika Strabons findet und wieder die Frage nach den Quellen der
Erdbeschreibung hervorruft (mehr dazu s. 6.2). Der Vergleich des dionyseïschen Textes mit
ähnlichen Beschreibungen des Pontos bei anderen antiken Autoren lässt die Frage
beantworten, inwieweit sie sich die Umrisse des Pontos adäquat vorstellten und inwieweit die
Form des Bogens auf ihre Vorstellungen von der objektiven Toponymik der Gegend einwirkte
(6.3). Man sieht, dass die schematische Pontosgestalt bei Dionysios Periegetes den realen
Umrissen des Schwarzen Meeres entspricht und seine Angaben über zwei Hauptströmungen
im Pontos („Doppelmeer“) von der gegenwärtigen Forschung bestätigt werden.

6.1 Der Vergleich der Umrisse des Pontos Euxeinos mit einem
(skythischen) Bogen bei Dionysios
Die Umrisse des Pontos Euxeinos, d. h. des heutigen Schwarzen Meeres, wurden von den
antiken Schriftstellern traditionell in die Form eines skythischen Bogens eingeprägt1. Das
Meer, ein Nebenmeer des Mittelmeeres, umfasst unter Einfluss des Asowschen Meeres eine
Fläche von ca. 450 000 km², die größte Länge misst in Ost-West-Richtung 980 km, die größte
Breite in Nord-Süd-Richtung 530 km; die mittlere Tiefe beträgt 1270 m, die größte Tiefe in
der fast ebenen Mitte 2245 m2. Heutzutage wird die Form des Schwarzen Meeres als ein
unregelmäßiges Oval beschrieben3.

1
Vgl. bei Hekataios von Milet (FGrHist I F 197 J. = Amm. Marc. XXII 8, 10), Eratosthenes
(F III B 79 Berger = Amm. Marc. XXII 8, 10), Sallust (hist. III 63), Strabon (II 5, 22 C 125),
Pomponius Mela (I 102), Manilius (IV 755), Plinius d. Älteren (nat. hist. IV 76), Valerius
Flaccus (IV 728), Dionysios Periegetes (v. 156), Solin, Avienus (Descr. 238), Ammianus
Marcellinus (XXII 8, §10, 13, 20, 37, 42, 43), Servius (ad Verg. Aen. III 533), Priscianus
(Per. 147), Terentianus (de metris. Praef. 17-19).
2
OLSHAUSEN (1991) 171; s. auch: OLSHAUSEN (2001) 144–146.
3
DANOFF (1962) 868.

- 205 -
Teil II. Kap. 6. Die Umrisse des Schwarzen Meeres

Der antiken geographischen Tradition entsprechend hält Dionysios den Pontos


Euxeinos für einen Teil des Mittelmeers, der damit durch die schmale Meerenge des
Thrakischen Bosporos (heute Bosporus) und die Propontis (das heutige Marmarameer)
verbunden ist und sich dann gegen Osten in einem weit ausgebreiteten Golf erstreckt (vv.
146–164):
146 ἐκ δὲ τοῦ οἰγόµενος παραπέπταται ἐγγύθι Πόντος
πολλὸς ἐὼν καὶ πολλὸν ἐπ' ἀντολίης µυχὸν ἕρπων.
τοῦ δ' ἤτοι λοξαὶ µὲν ἐπιτροχάουσι κέλευθοι,
αἰεὶ πρὸς βορέην τε καὶ ἀντολίην ὁρόωσαι·
150 µέσσαι δ' ἔνθα καὶ ἔνθα δύω ἀνέχουσι κολῶναι,
ἡ µὲν ὑπαινοτίη, τήν τε κλείουσι Κάραµβιν,
ἡ δὲ βορειοτέρη γαίης ὕπερ Εὐρωπείης,
τήν ῥα περικτίονες κριοῦ καλέουσι µέτωπον·
αἵτ' ἄµφω συνίασιν ἐναντίαι, οὐ µὲν ἐοῦσαι
155 ἔγγυθεν, ἀλλ' ὅσον ὁλκὰς ἐπὶ τρίτον ἦµαρ ἀνύσσαι.
ἐκ τοῦ δ' ἂν καὶ Πόντον ἴδοις διθάλασσον ἐόντα,
τόρνῳ ἐειδόµενον περιηγέος ἅµµατι τόξου·
ἀλλ' εἴη νευρῆς σηµήϊα δεξιὰ Πόντου,
εὐθὺ διαγραφθέντα, µέση δέ τοί ἐστι Κάραµβις,
160 γραµµῆς ἐκτὸς ἐοῦσα καὶ ἐς βορέην ὁρόωσα·
σῆµα δ' ἔχει κεράων σκαιὸς πόρος, ὅστ' ἐπὶ δισσὴν
εἱλεῖται στροφάλιγγα, βιοῦ κεράεσσιν ἐοικώς.
τοῦ καὶ πρὸς βορέην Μαιώτιδος ὕδατα λίµνης
164 ἀγκέχυται.
„Von diesem aus (sc. dem Thrakischen Bosporos) aber sich öffnend, liegt daneben den
Menschen der Pontos ausgebreitet,
selbst von weitem Umfang – und weit dem hintersten Winkel des Ostens zu kriechend.
Von diesem nun fürwahr laufen schräg die Pfade dahin,
immer sowohl nach Norden als auch nach Osten blickend;
in der Mitte aber ragen – eine hier, eine dort – zwei Erhebungen empor,
die eine über dem Südrand, welche sie Karambis rufen,
die andere nördlicher gelegen – über das Land Europa hinaus,
welche die Umwohner Kriumetopon nennen;
Diese beiden laufen, sich gegenüber liegend, aufeinander zu, obzwar sie nicht
nahe beisammen sind, sondern soviel entfernt, wieviel ein Lastschiff wohl bis zum dritten
Tag zurückgelegt haben mag.
Daraus aber dürftest du wohl ersehen, dass auch der Pontos zweimeerig ist,
in seinem Umriss gleichsehend dem Gefüge eines rundgekrümmten Bogens:
nun mögen denn die rechten Ufer des Pontos die Markierung der Bogensehne sein,
gerade durchgezeichnet; allein aber steht ja die Karambis,
außerhalb der Linie liegend und nach Norden blickend;
das Merkmal von Hörnern wiederum hat der linke Verlauf, welcher zu einer doppelten
Krümmung sich zusammendrängt, den Hörnern eines Bogens gleichend.
Von diesem noch gegen Norden hin liegen die Wasser des Maiotischen Sees
eingegossen“ (Dion. Per. 146–164).

Nach Dionysios stellt also der Pontos einen sich gen Osten ausbreitenden Golf des
Mittelmeeres dar (vv. 146–147), wobei Dionysios mit dem Verb παραπέπταται

- 206 -
Teil II. Kap. 6. Die Umrisse des Schwarzen Meeres

möglicherweise auf einen Abschnitt Arats anspielt, in dem das am Himmel ausgebreitete
Sternzeichen des Schwans geschildert ist4. Dabei herrschen im Pontos zwei Hauptströmungen
(λοξαὶ ... κέλευθοι, v. 148), die eine davon richtet sich nordwärts, die andere ostwärts. In der
Mitte ragen von den beiden Küsten zwei Kaps heraus, Karambis im Süden und Kriumetopon
(d. h. „Widderstirn“) im Norden (vv. 148–153); die Strecke zwischen den beiden Vorgebirgen
kann ein Lastschiff in drei Tagen überwinden (vv. 154–155). Wegen der zwei ins Meer
hineinragenden Kaps scheint der Pontos einem Doppelmeer (διθάλασσον, v. 156) in Gestalt
eines geknüpften gekrümmten Bogens (τόρνῳ ἐειδόµενον περιηγέος ἅµµατι τόξου, v. 157) zu
ähneln: das rechte (für den aus der Propontis Einfahrenden), gerade Ufer bildet die
Bogensehne (vv. 158–160) und das linke, gekrümmte Ufer stellt zwei Hörner dar (vv. 161–
162). Gegen Norden (πρὸς βορέην) vom Pontos liegt die Maiotis (vv. 163–165).
Zur Entstehungszeit der Periegese des Dionysios, also im 2. Jh. n. Chr.5, waren der
antiken geographischen Tradition vielfältige und widersprüchliche Informationen über den
Pontosraum bekannt. Als die Griechen sich seit ca. dem 7. Jh. v. Chr. an den Küsten des
Pontos niedergelassen und Kontakte mit der dortigen Bevölkerung geknüpft hatten, wurden
die ersten Angaben über die neueröffneten Länder und die pontische Gegend gesammelt.
Herodot war einer der ersten griechischen Historiker, der das nördliche Schwarzmeergebiet
besuchte und eine Beschreibung verfasste. Er versuchte auch, die Größe des Pontos Euxeinos
zu bestimmen (Herod. IV 85), seine Berechnungen entsprachen aber nicht den richtigen
Konfigurationen des Meeres. Nach Herodot sind auch die Beschreibungen dieses Teils der
Oikumene von Ps.-Skylax und Ephoros erhalten geblieben (beide aus dem 4. Jh. v. Chr.), bei
denen unter anderem das Kap Kriumetopon erwähnt wurde (Ps.-Scyl. 68; Ephor. FGrHist 70
F 41 J.), sowie von Ps.-Skymnos (Ende des 2. Jhs. v. Chr.), der schon die beiden Kaps nennt:
Kriumetopon an der nördlichen und Karambis an der südlichen Küste des Pontos (Ps.-Scymn.
F 28 Marcotte = 953–957 Müller). Auf die vielfältigen Angaben seiner Vorgänger über das
Schwarzmeergebiet hat sich Strabon in seinen Geographika gestützt, so dass sich jetzt in
seinem Text mehrere Zeugnisse von längst verlorenen oder nur teilweise erhaltenen
griechischen Autoren finden. Zum Pontos Euxeinos findet man bei Strabon eine Darstellung,
die sich in vielem mit der des Dionysios kreuzt: „[das Schwarze Meer] ist gewissermaßen ein
Doppelmeer: etwa in der Mitte nämlich springen zwei Landspitzen vor, die eine aus Europa
vom Norden her, die andere ihr entgegengesetzt aus Asien, die das Fahrwasser dazwischen
einengen und zwei große Meere bilden (das europäische Vorgebirge heißt Widderstirn, das
asiatische Karambis; sie sind rund eintausendundfünfhundert Stadien voneinander entfernt)“
(Strabo II 5, 22 С 125, übers. v. S. Radt)6.

4
Vgl.: ὁ δέ οἱ παραπέπταται Ὄρνις / ἀσσότερος βορέω, Arat. Phaen. 312–313 (GREAVES
(1994) 138).
5
Zur Entstehungszeit der Periegese des Dionysios s. oben: Teil I. Kap. 1. Das Werk: Titel,
Inhalt, Autorschaft.
6
[sc. ὁ Εὔξεινος πόντος] ἔστι δὲ διθάλαττος τρόπον τινὰ οὗτος· κατὰ µέσον γάρ πως ἄκραι
δύο προπίπτουσιν, ἡ µὲν ἐκ τῆς Εὐρώπης καὶ τῶν βορείων µερῶν ἡ δ' ἐκ τῆς Ἀσίας ἐναντία
ταύτῃ, συνάγουσαι τὸν µεταξὺ πόρον καὶ ποιοῦσαι δύο πελάγη µεγάλα· τὸ µὲν οὖν τῆς
Εὐρώπης ἀκρωτήριον καλεῖται Κριοῦ µέτωπον τὸ δὲ τῆς Ἀσίας Κάραµβις, διέχοντα ἀλλήλων

- 207 -
Teil II. Kap. 6. Die Umrisse des Schwarzen Meeres

6.2 Charakteristik des Pontos als Doppelmeer


Betrachten wir nun ausführlicher das oben erwähnte Beiwort διθάλασσος „zweimeerig“,
„Doppelmeer“ (Strabo II 5, 22 C 125 ~ Dion. Per. 156). Bereits E. ANHUT bemerkte die
ähnliche Verwendung der Toponyme „Kriumetopon“ und „Karambis“ bei Strabon und
Dionysios, die jeweils berichten, dass der Pontos Euxeinos in zwei Meere zerfalle, und
dasselbe Beiwort διθάλασσος benutzen:
ἔστι δὲ [sc. ὁ Εὔξεινος πόντος] διθάλαττος τρόπον τινὰ οὗτος (Strabo II 5, 22 C 125) ~ ἐκ τοῦ
δ' ἂν καὶ Πόντον ἴδοις διθάλασσον ἐόντα (Dion. Per. 156)7.
Das Beiwort διθάλασσος als Bezeichnung für das Schwarze Meer begegnet außer bei Strabon
und Dionysios nur bei dem anonymen Autor des spät entstandenen geographischen Werkes
Geographiae expositio compendiaria – ebenso im Kontext der Kaps Karambis und
Kriumetopon8. Der Vergleich der Abschnitte bei Strabon und Dionysios zeigt die Verbindung
zwischen der Gliederung des Pontos Euxeinos in zwei Teile und der Gegenüberstellung von
zwei Vorgebirgen. Kriumetopon (das heutige Kap Sarič bzw. Ai-Todor in der Krim) und
Karambis (heute das Kap Kerempe Burnu) galten als wichtige Landmarken für die antiken
Seeleute, deren Wege im Schwarzen Meer durch die Hauptströmungen bestimmt wurden9.
Diese Information wird bei Dionysios von einer Anführung der Himmelsrichtungen begleitet,
was ein Element der „wissenschaftlichen“ Geo- und Kartographie darstellt, in seiner
Periegese aber keine führende Rolle spielt.
Wie die moderne Forschung zeigt, bildet die allgemeine Kreisströmung in
zyklonischer Richtung (d. h. gegen den Uhrzeigersinn gerichtet) den Hauptteil des
Strömungssystems im Schwarzen Meer; in den West- und Ostteilen des Meeres bilden sich
zwei gesonderte Kreisströmungen als Folge von Abzweigungen – auch sie haben die
zyklonische Richtung (ebenso wie die Hauptkreiströmung): Die erste Kreisströmung zweigt
sich vom Kap Karambis ab nordwärts zur Krimhalbinsel und richtet sich dann der
nordwestlichen Küste entlang zum Bosporos; die andere Kreisströmung ergießt sich vom
Karambis in der zweiten Hälfte des Meeres ostwärts, der südpontischen Küste entlang, bis
zum Bosporos Kimmerios. Dem Uhrzeigersinn entgegengesetzt kehren sich die beiden
Kreisströmungen dann zur südlichen Küste des Pontos zurück10.

περὶ χιλίους σταδίους καὶ πεντακοσίους, Strabo II 5, 22 С 125 (vgl. auch ähnlich bei Strabo
VII 4, 3 C 309); Komm. dazu: RADT (2006) 286–288.
7
ANHUT (1888) 20–22; vgl. GREAVES (1994) 72; RADT (2006) 287. Mehr zu den
Geographika Strabons als mögliche Quelle für die Erdbeschreibung s. oben: Teil I. Kap. 2.
Das Weltbild des Dionysios Periegetes (Die Quellenfrage: Strabon).
8
GGM (Müller). II. 509, 4. Der ähnliche Wortgebrauch bei Periegetes (διθάλασσον ἐόντα)
und beim Anonymus (διθάλασσος ὤν) wurde durch die Abhängigkeit des letzteren vom
dionyseïschen Text geprägt, so ANHUT (1888) 22, n. 41; nach S. RADT (2006: 287), geht der
Anonymustext auf den des Strabon zurück. Vgl. die Redewendung des Sophokles über den
Pontos und die Propontis: διδύµη ἅλς (Antig. 967) (Eust. ad Dion. Per. 148).
9
Vgl. Ps.-Scymn. F 28 Marcotte; Strabo II 5, 22 C 124; Plin. nat. hist. IV 86, die gleichfalls
die beiden Spitzen zusammen erwähnen.
10
DANOFF (1962) 936–938; AGBUNOV (1987) 21–22; COUNILLON (2004b) 50–55.

- 208 -
Teil II. Kap. 6. Die Umrisse des Schwarzen Meeres

Durch den kurzen Meeresweg im Pontos (Karambis – Kriumetopon) fuhr am Ende des
6. Jhs. die erste Aussendung aus Herakleia nach Chersonesos11; der zweite kurze Weg durch
den Pontos (Themiskyra – Syndika) war bereits Herodot bekannt (IV 86). Obwohl Dionysios
seine Angaben über die Strömungen im Pontos mit einer Anführung der Himmelsrichtungen
begleitet, werden die letzteren ebenso selten erwähnt wie genaue Distanzen: Das gehört nicht
zur dichterischen Schilderung. Die Entfernung zwischen den beiden Kaps Karambis und
Kriumetopon wird von Dionysios nicht in Stadien, sondern in drei Tagesreisen zu Schiff
angegeben, was für die hodologische Beschreibung kennzeichnend ist (vgl. andersherum bei
Strabon: dieselbe Strecke zählt ungefähr 1500 Stadien, – II 5, 22 С 125)12. Und so überrascht
es nicht, dass Dionysios sich beim Aufbau des Verses an den Argonautika des Apollonios
Rhodios orientiert hat, von wo er die Wörter entlehnt, sie in seinem Gedicht aber anders
zusammengestellt hat: ὅσσον ἐς ἔνδιόν κεν ἐύστολος ὁλκὰς ἀνύσσαι (Apoll. Rhod. I 603) ~
ἔγγυθεν, ἀλλ' ὅσον ὁλκὰς ἐπὶ τρίτον ἦµαρ ἀνύσσαι (Dion. Per. 155)13.
So werden die Angaben des Dionysios über die zwei Hauptströmungen im Pontos (vv.
148–149) und seine Charakteristik des Pontos als Doppelmeer (διθάλασσον, v. 156)14 von der
gegenwärtigen Forschung bestätigt, die sich mit der Komplexanalyse des pontischen
Wasserbeckens beschäftigt.

6.3 Der Skythische Bogen des Dionysios


Die Umrisse des Pontos werden in der Periegese des Dionysios mit der Form eines
Bogens verglichen. Periegetes bezeichnet den Bogen nicht als „skythischen“, nach
seiner Schilderung und Neigung zur Tradition versteht sich aber, dass es eben um so
eine Art des Bogens geht15. Im Unterschied zum eingewölbten Bogen (d. h. einem
einfachen Bogen bespannt in Form eines C) stellte der skythische Bogen einen
Segmentbogen dar. Er bestand aus zwei sichelförmig gebogenen Seitenstücken und
einem sie verbindenden geraden Mittelstück; deswegen wurde der skythische Bogen

11
VINOGRADOV, ZOLOTAREV (1997) 397–419.
12
Ähnliche Angaben in Tagesreisen s. z. B. bei Herod. I 72, III 26, IV 181 ff., V 49 (immer
zu Land); Ps.-Scymn. F 28 Marcotte; Mela II 6, 104; III 29; s. dazu: BRODERSEN (1994) 5;
GEHRKE (1998) 183–184. Zu der Korrektur des überlieferten „zweitausendundfünfhundert“
bei Strabon s. im Komm. zur Stelle von RADT (2006).
13
Über die Argonautika des Apollonios Rhodios als eine der dionyseïschen Quellen s. oben:
Teil I. Kap. 4. Die poetische Technik des Dionysios Periegetes (Intertextualität).
14
Vgl. auch die speziellen Namen der einzelnen Teile des Pontos bei den anderen antiken
Autoren, z. B. für den Ostteil: Κολχικὴ θάλασσα (Strabo XI 1, 6 C 792), Καυκασίην ἅλα
(Apoll. Rhod. IV 135).
15
Die Auslassung des Beiwortes kann man entweder durch die Abhängigkeit des Dichters
vom Versmass oder z. B. dadurch erklären, dass der Vergleich des Schwarzen Meeres mit
dem skythischen Bogen zur Zeit des Dionysios bereits zu einem topos geworden war und
dementsprechend keine Präzisierung brauchte oder aber auch die Assoziationen und Fantasien
des Lesers/ Zuhörers wecken sollte.

- 209 -
Teil II. Kap. 6. Die Umrisse des Schwarzen Meeres

öfters mit dem Buchstaben Σ verglichen16. Der „skythische Bogen“ tritt bei den antiken
Autoren vermutlich seit Hekataios von Milet (6. Jh. v. Chr.)17 als ein Schemabild für die
bequeme Orientierung im Raum des Schwarzmeergebietes auf und stellt ein Beispiel einer
„impliziten Übersichtskarte“ dar18. Die schematische Vorstellung der pontischen Umrisse in
Form des skythischen Bogens ist auch bei Eratosthenes aufgrund eines späteren Fragments (F
III B 79 Berger = Amm. Marc. XXII 8, 10) zu finden19. Der Abschnitt des Dionysios erinnert
aber am meisten an die Struktur einer längeren Passage Strabons über die Form des
Schwarzen Meeres (II 5, 22 С 125). Die Umrisse der Küstenlinie des Pontos werden von
Strabon ebenfalls mit dem gespannten skythischen Bogen gleichgesetzt, dessen Sehne mit
dem rechten (für den Einfahrenden von dem Thrakischen Bosporos), d. h. südlichen, Ufer
übereinstimmt: Abgesehen vom Kap Karambis ist die asiatische Küste in einer geraden Linie
bis zur Bucht von Dioskurias ausgedehnt; der übrige Teil der asiatischen und europäischen
Küste des Pontos wiederholt die Form des skythischen Bogens mit seinen zwei Hörnern: Eine
Biegung (der Westteil des Pontos) ist dabei viel runder als die andere (der Ostteil):

εἰκάζουσι δέ τινες τὸ σχῆµα τῆς περιµέτρου ταύτης ἐντεταµένῳ Σκυθικῷ τόξῳ, τὴν µὲν
νευρὰν ἐξοµοιοῦντες τοῖς δεξιοῖς καλουµένοις µέρεσι τοῦ Πόντου (ταῦτα δ' ἐστὶν ὁ
παράπλους ὁ ἀπὸ τοῦ στόµατος µέχρι τοῦ µυχοῦ τοῦ κατὰ ∆ιοσκουριάδα· πλὴν γὰρ τῆς
Καράµβιος ἥ γε ἄλλη πᾶσα ᾐὼν µικρὰς ἔχει εἰσοχάς τε καὶ ἐξοχὰς ὥστ' εὐθείᾳ ἐοικέναι), τὴν
δὲ λοιπὴν τῷ κέρατι τοῦ τόξου διττὴν ἔχοντι τὴν ἐπιστροφήν, τὴν µὲν ἄνω περιφερεστέραν
τὴν δὲ κάτω εὐθυτέραν·,
“Manche vergleichen die Form dieses Umkreises mit einem gespannten skythischen Bogen,
indem sie die Sehne mit der sogenannten Rechten Seite des Pontos gleichsetzen (das ist die
Küste von der Einfahrt bis zu dem Winkel bei Dioskurias) – abgesehen von Karambis hat die
ganze übrige Küste nur kleine Vorsprünge und Einbuchtungen, so dass sie einer geraden
Linie ähnelt – und den Rest mit dem Horn des Bogens, das eine doppelte Biegung hat, oben
eine rundere, unten eine gerade: so bilde auch dieser Umkreis zwei Buchten, von denen die
westliche viel runder ist als die andere” (Strabo II 5, 22 С 125, Übers. v. S. Radt).

16
MILTNER (1937) 1847–1853; s. auch: LIMC, s. v. Amazones 22, 57, 62, 83, 90, 327, 369,
380.
17
FGrHist I F 197 J. = Amm. Marc. XXII 8, 10; ob der Vergleich mit einem skythischen
Bogen sich schon bei Hekataios fand, ist jedoch fraglich, so Jacoby im Komm. zum Fragment
(FGrHist I. Teil. a. S. 355).
18
Der Begriff (survey map) stammt vom russischen Psychologen F. N. SCHEMJAKIN;
ausführlicher dazu s.: BRODERSEN (1995) 46–47.
19
omnis autem eius velut insularis circuitus litorea navigatio, viginti tribus dimensa milibus
stadiorum, ut Eratosthenes adfirmat et Hecataeus et Ptolomaeus aliique huius modi
cognitionum minutissimi scitatores, <in> speciem Scythici arcus, nervo coagmentati,
geographiae totius adsensione formatur – „Wenn man gleichsam wie um eine Insel seine (sc.
die des Pontos) Küste mit dem Schiff entlang fährt, beträgt der gesamte Weg 23 000 Stadien,
wie Eratosthenes, Hekataios und Ptolemaeus sowie anderer unbedeutende Erforscher
derartiger Fragen angeben. Das Meer bildet die Gestalt eines skythischen Bogens, der mit der
Sehne gespannt ist, worüber alle Geographen einer Meinung sind“ (Amm. Marc. XXII 8, 10,
Übers. v. W. Seyfarth). S. auch den Komm. dazu: BERGER (1880) 328–333.

- 210 -
Teil II. Kap. 6. Die Umrisse des Schwarzen Meeres

Ebenso wie Strabon spricht Dionysios von der rechten und der linken Seite des Pontos
Euxeinos für die Einfahrenden auf einem Schiff aus der Propontis bzw. vom Bosporos
Thrakios (δεξιὰ Πόντου, v. 158; σκαιὸς πόρος, v. 161)20. Die Linie der linken (europäischen)
Küste des Pontos bildet nach Dionysios zwei Krümmungen bzw. Hörner21 des gespannten
Bogens (durch die tief ins Meer hineinragende Halbinsel Krim bilden sich auf dieser Seite
zwei große Buchten); die rechte (asiatische) Küste (abgesehen vom Kap Karambis) erstreckt
sich in langer, gerader Uferlinie und stimmt so mit der gespannten Bogensehne überein, wie
es auch bei Strabon heißt22.
Bemerkenswerterweise bewahrt Dionysios den Wortschatz und die Wortfolge der von
ihm nacherzählten Stelle des Strabon (oder einer gemeinsamen Quelle). Daraus ist zu
schließen, dass entweder Dionysios die Passage des Strabon als eine seiner Quellen benutzt
hat, oder – was wahrscheinlicher erscheint – die Angaben der beiden Autoren auf dieselbe
Quelle aus hellenistischer Zeit zurückgehen23. Der Vergleich des pontischen Umrisses mit
dem Bogen widerspiegelt nicht nur die antiken Vorstellungen über die einfachsten
topologischen Angaben (rechts / links, gerade / krumm), sondern weist auch – der Form des
Bogens entsprechend – auf den Standort der wichtigen geographischen Objekte (die rechte
und linke Küste des Pontos, das Kap Karambis und vermutlich die Krimhalbinsel als
Bogenmittelstück mit dem Kap Kriumetopon) hin24.
Die erhaltenen Zeugnisse der lateinischen Tradition (Sallust, Pomponius Mela, Plinius
d. Ältere, Valerius Flaccus u. a.) prägen ebenfalls den Pontos Euxeinos in die Form des
skythischen Bogens ein25. Besondere Aufmerksamkeit zieht in diesem Zusammenhang der

20
Zu den topologischen Relationen „rechts / links, vor / hinter“ s.: BRODERSEN (1995) 46–47
und in Bezug auf den Text des Dionysios oben: Teil I. Kap. 2. Das Weltbild des Dionysios
Periegetes (Raumerfassung).
21
Zum geographischen Gebrauch von κέρας bzw. cornu s.: DESANGES (1989) 29–34; s. auch:
LSJ s.v. κέρας III 1.
22
Vgl. den Kommentar des Eustathios von Thessaloniki zur Stelle: Ὅτι τὸν Εὔξεινον, οὗ
λοξὰς ἔφθασεν εἰπὼν τὰς κελεύθους, τόξῳ ἀπεικάζει τεταµένῳ Σκυθικῷ. Σκυθικὰ δὲ τόξα τὰ
ἐκ κεράτων συγκείµενα. Καὶ νευρᾶς µὲν εἶναι σηµεῖα τίθησι τὰ τοῖς εἰσπλέουσι δεξιὰ τοῦ
Πόντου, ἤτοι τὰ νότια, εὐθὺ διαγραφέντα, τουτέστι ταθέντα κατ' εὐθεῖαν γραµµὴν, καὶ
ὑπερβάντα τὴν Κάραµβιν, ἐκτὸς πεσοῦσαν τῆς γραµµῆς, πλὴν οὐ πρὸς νότον, ἀλλ' εἰς βορέαν
ὁρῶσαν· ἵνα µὴ σκολιὰ γένηται ἡ τοῦ τόξου νευρὰ, προσλογιζοµένης καὶ τῆς καµπῆς τῆς
Καράµβεως. Τὰ δὲ τοῦ Πόντου βόρεια τὰ τοῖς ἐκ τῆς Προποντίδος εἰσπλέουσι σκαιὰ, ἤγουν
ἀριστερὰ, σχῆµα ἔχειν φησὶ τῶν τοῦ τόξου δύο κεράτων, διὰ τὸ καὶ αὐτὰ ὁµοίως τοῖς τοῦ
τόξου κέρασιν ἐπὶ δισσὴν κυρτοῦσθαι στροφάλιγγα ἑκατέρωθεν τοῦ ετώπου τοῦ κριοῦ (Eust.
ad Dion. Per. 157).
23
Mehr Beispiele zu der zweiten Schlussfolgerung s. oben: Teil I. Kap. 2. Das Weltbild des
Dionysios Periegetes (Die Quellenfrage: Strabon).
24
Vgl. HIND (2001) 25–32.
25
Vgl.: [mare Ponticum] speciem efficit Scythici arcus. – „[Der Pontos] bildet die Form
eines skythischen Bogens“ (Sall. Hist. III 63); hic iam sese ingens Pontus aperit, nisi qua
promunturia sunt, huc atque illuc longo rectoque limite extentus, sinuatus cetera, sed quia
contra minus quam ad laevam et dextram abscessit, mollibusque fastigiis donec angustos
utrimque angulos faciat inflectitur, ad formam Scythici arcus maxime incurvos. – “Hier öffnet
sich bereits der gewaltige Pontus; abgesehen von den Stellen, an denen Kaps liegen, erstreckt

- 211 -
Teil II. Kap. 6. Die Umrisse des Schwarzen Meeres

Exkurs aus dem 22. Buch der Res Gestae des Ammianus Marcellinus auf sich, weil seine
Beschreibung aus der gemeinsamen Tradition herausfällt: Er vergleicht die Umrisse des
Pontos traditionell mit der Form eines skythischen Bogens26, hält dabei aber die ganze
asiatische Küste des Meeres vom Bosporos Thrakios bis zum Bosporos Kimmerios für die
Bogensehne und platziert dann die Maiotis im Osten des Pontos27.
Daraus kann man schließen, dass Ammianus Marcellinus, der möglicherweise eine
Ahnung von dem skythischen Bogen hatte, sich mit den geographischen Realien des
Schwarzmeergebietes kaum auskannte28. Sonst ist schwer zu erklären, wie die gesamte
gekrümmte Linie der südlichen, östlichen und nordöstlichen Küste des Pontos mit der geraden
Bogensehne verglichen werden kann.
Anscheinend verwendete Ammianus Marcellinus unter anderem auch die Angaben der
dichterischen Tradition bei der Schilderung der pontischen Küstenlinie: Auf den literarischen
Charakter seines Exkurses weist der Autor selbst unzweideutig hin (ut poetae locuntur, §
13)29. Eine Reihe von sachlich und strukturell ähnlichen Passagen bei Ammianus und
Dionysios lassen vermuten, dass auch das dionyseïsche Gedicht von Ammianus als eine
seiner zahlreichen Quellen benutzt wurde30, bei der Bearbeitung aber eine neue „Redaktion“
erfahren hat.

er sich auf beiden Seiten in langer, gerader Uferlinie, ist aber sonst gekrümmt, doch weil er
auf der gegenüberliegenden Seite weniger zurücktritt als links und rechts, und weil er sich in
schwacher Neigung biegt, bis er auf beiden Seiten spitze Winkel bildet, ist er ganz in Form
eines skythischen Bogens gekrümmt” (Mela I 102, Übers. v. K. Brodersen); dein vastum mare
Pontus Euxinus, qui quondam Axenus, longe refugientes occupat terras magnoque litorum
flexu retro curvatus in cornua ab iis utrimque porrigitur, ut sit plane arcus Scythici forma.
Medio flexu iungitur ostio Maeotii lacus. – „Dann nimmt ein weites Meer, der Pontos
Euxeinos, der einst Axeinos [genannt wurde], die weit zurückfliehenden Länder ein, und
nachdem er sich in einer großen Krümmung der Küsten in Hörner wieder zurückgebogen hat,
dehnt er sich durch diese auf beiden Seiten aus, so dass er ganz und gar die Gestalt eines
skythischen Bogens erhält. In der Mitte der Krümmung vereinigt er sich mit der Mündung des
Maiotischen Sees“ (Plin. nat. hist. IV 76, übers. v. G. Winkles, R. König; vgl. auch: IV 86);
Pontus (…) / atque hac Europam curvis anfractibus urget, / hac Asiam, Scythicum specie
sinuatus in arcum. – „Pontus (…) / und auf der einen Seite Europa mit kurviger Krümmung, /
drüben dann Asien anführt in Form eines skythischen Bogens“ (Val. Flacc. IV 728, übers. v.
H. Rupprecht). S. auch: Manil. IV 755; Serv. ad Verg. Aen. III 533; Terentianus. De metris.
Praef. 17–19.
26
Und sogar sechsmal im Exkurs: XXII 8 § 10, 13, 20, 37, 42, 43.
27
Amm. Marc. XXII 8 § 11, 13, 20. S. auch den Komm. dazu: BOEFT DEN, DRIJVERS, DEN
HENGST, TEITLER (1995) 88 ff.
28
Zu dem Problem s.: FORNARA (1992) 420–438; BARNES (1998) 65 sq.; DRIJVERS (1998).
29
So sehen die Forscher in einzelnen Passagen des pontischen Exkurses des Ammianus
Entlehnungen aus den geographischen Beschreibungen der gelehrten Dichtung des
Apollonios Rhodios, die sehr beliebt in Rom war; vgl. z. B.: Apoll. Rhod. II 360–361 und
Amm. Marc. XXII 8, 20. Ausführlicher dazu s.: GUALANDRI (1968) 209–211; BOEFT DEN u. a.
(1995) 89.
30
GARDHAUSEN (1872/1873) 509–556; MOMMSEN (1909) 393–425; GUALANDRI (1968) 199–
211; DRIJVERS (1998).

- 212 -
Teil II. Kap. 6. Die Umrisse des Schwarzen Meeres

6.4 Zusammenfassung

Inwieweit wandten die antiken Autoren den skythischen Bogen adäquat auf die Umrisse des
Pontos an und inwieweit wirkte die Form des Bogens auf ihre Vorstellungen von der
objektiven Toponymik der Gegend ein? Dieser auf die ionische Tradition zurückgehende
Vergleich ist anscheinend zu einem literarischen topos bei den späteren griechischen und
lateinischen Autoren geworden. Aufgrund des Vergleichs der drei ausführlichsten
Beschreibungen der pontischen Umrisse in Form des skythischen Bogens – die des Strabon
(64/3 v. Chr. – gegen 25 n. Chr.), die des Dionysios Periegetes (2. Jh. n. Chr.) und die des
Ammianus Marcellinus (4. Jh. n. Chr.) – kann man aber sagen, dass sowohl die schematische
Gestalt des Pontos bei Dionysios Periegetes den realen Umrissen des Schwarzen Meeres
entspricht als auch seine Angaben über zwei Hauptströmungen im Pontos und seine
Charakteristik des Pontos als Doppelmeer von der
gegenwärtigen Forschung bestätigt werden. Dabei muss man
aber nicht vergessen, dass das dichterische Werk des Dionysios
vor allem ein Lehrgedicht darstellt; so wurde von Periegetes die
markante Gestalt des skythischen Bogens nur im Rahmen einer
rhetorischen Tradition verwendet und die geographische
Information in kunstvoll gebauten Hexametern mit
Anspielungen an seine Vorgänger ausgestattet.
Abb. 9. Der skytische Bogen auf
dem Kelch aus Kul’-Oba
(Pantikapaion, heute Kertsch, Krim),
4. Jh. v. Chr.

- 213 -
Teil II. Kap. 7. Klima und Landschaft

Kapitel 7. Klima und Landschaft des nördlichen


Schwarzmeergebietes

7.1 Dionysios’ Kenntnisse der Zonenlehre


7.2 Einzelne Beschreibungen des Klimas im nördlichen Teil der Oikumene
7.3 Der skythische Winter in der Beschreibung des Dionysios (vv. 666–678)
7.4 Zusammenfassung

Im vorliegenden Kapitel wird der Exkurs des Dionysios Periegetes über die klimatischen
Bedingungen und die Landschaft des nördlichen Schwarzmeergebietes und der Maiotis
untersucht (vv. 666–678) (dazu s. 7.3). Dionysios bedient sich hier einer Dichterlandschaft,
die beim Leser bzw. Zuhörer Assoziationen mit den Quellen und Vorbildern erweckt, die
seinem Werk zugrunde liegen1, gleichzeitig ist sie aber auch mit der Klima- und Zonenlehre
verbunden, was darauf schließen lässt, dass Dionysios mit solchen Disziplinen wie der
Astronomie oder der mathematischen Geographie bekannt war (7.1). Im vollen Sinn haben
die Erkenntnisse der antiken Astronomie, der Mathematik und der Klimatheorie keine
wirkliche Reflexion im Werk des Dionysios gefunden. Aus einigen Bemerkungen des
Dionysios kann man aber schließen, dass der Perieget mit den Methoden der mathematischen
Geographie und der astronomischen Beobachtungen vertraut war und die altgriechischen
Theorien über die Zonen- und Klimagürtel kannte. Als Ergänzung zum Bild des
„skythischen“ Exkurses dienen die über das Gedicht verstreuten Bemerkungen zu
klimatischen Erscheinungen im ganzen nördlichen Gebiet der Oikumene (7.2).

7.1 Dionysios’ Kenntnisse der Zonenlehre


Die Vorstellungen des Dionysios über die Besonderheiten des Klimas und die Landschaft in
den nördlichen Gebieten des Pontos sind mit einem großen Komplex wissenschaftlicher
Überlegungen – von Eudoxos von Knidos bis Strabon – verbunden. Vor allem ist das
„moderne“ Klima von dem antiken Begriff der „Klima(zone)“ (wörtl. „Neigungsgürtel“) zu
unterscheiden2. Die auf der Oikumene eingeteilten Klimastreifen variierten im Laufe der Zeit
von fünf bis sieben3. Gegen Norden bestätigte das antike geographische Wissen nur eine
zunehmende Kälte; eine der Grenzen des nördlichen Klimastreifens lag in Skythien, an der

1
Mehr zu den möglichen Vorbildern s. unten in diesem Kapitel.
2
Der griechische Begriff κλίµα („Neigung, Biegung“) wurde wahrscheinlich erstmals von
Eudoxos von Knidos benutzt und bezeichnete insbesondere die Krümmung des
Himmelsgewölbes, darüber hinaus auch die der Erdoberfläche vom Äquator bis zu den Polen;
mehr dazu s.: HEILEN (2000) 56–63.
3
Zur antiken Klimatologie s.: KUBITSCHEK (1921) 838–844; HONIGMANN (1929); DILLER
(1934) 258–269; DICKS (1955) 248–255; MARCOTTE (1998) 263–277.

- 215 -
Teil II. Kap. 7. Klima und Landschaft

Borysthenesmündung4. Die Klimalehre bzw. ihre Elemente waren in der geographischen


Literatur im Hellenismus und später – in der Kaiserzeit – sehr verbreitet.
Die Oikumene selbst befindet sich auf der Erdoberfläche, die ihrerseits wieder in fünf
Zonen eingeteilt wird. Von diesen Zonen hielt man die mittlere und die beiden äußeren an den
Polen wegen der großen Hitze bzw. Kälte für unbewohnbar5. Der Zonenlehre entsprechend
beschreibt Dionysios die in der (nördlichen) gemäßigten Zone liegende Oikumene als eine
vom Ozean umspülte gestreckte Insel (vv. 3 ff.)6.
Im Text der Periegese finden sich auch einige Angaben, die über Dionysios’
Kenntnisse der Theorie der Himmelskugel und der Ekliptik diskutieren lassen. So bemerkt
Dionysios bei der Beschreibung Ägyptens, dass dessen Bewohner „als erste mit Linien sich
das Himmelsgewölbe vermaßen, / da sie in ihrem Sinn erfasst hatten den schrägen Lauf der
Sonne“ (vv. 236–237)7. An anderer Stelle schreibt Dionysios: „Wenn du aber, vorwärts
schreitend, einen weiten Weg Ozeans durchschnitten hast, / dürftest du wohl zur Insel Thule
mit einem wohlgefertigten Schiff hinübergelangen: / dahier nun, wenn die Sonne zum
Drehpunkt der Bären geschritten ist, / liegt die Tage und Nächte zugleich stetsscheinendes
Feuer ausgegossen; / dann nämlich dreht sie sich auf einer schrägeren Kreisbahn, / wobei ihre
Strahlen in gerader Neigung kommen, / bis sie ihren südlichen Weg zu den Schwarzen
wiederum einschlägt“ (vv. 580–586)8. Hier gibt Dionysios also in dichterischer Form die
Angaben über die Orbitalbewegung der Sonne und über den Horizont wider und beschreibt
die Polarnacht in der Nähe der Thule-Insel, die sich am arktischen Polarkreis befindet9. In
diesem Zusammenhang sind die Worte von Strabon zu bemerken, dass schon Homer die
Horizontlinie mit dem Ozean identifizierte und den „arktischen (Polar-) Kreis“ mit dem
Sternbild der Bären bezeichnete (Strabo I 1, 6–7 C 3–4). Ähnliche Angaben finden sich in den
folgenden Versen des Dionysios, die vermuten lassen, dass der Autor mit der Astronomie und
den Himmelsrichtungen vertraut war: Der Kaukasus begrenzt Indien „zum Drehpunkt der
Bären hin“ (ἐς πόλον / var. δύσιν ἄρκτων, v. 1134), vgl. das Kaspische Meer „zurück

4
Vgl. THOMSON (1948) 175–176; VAN PAASSEN (1957).
5
Mehr dazu s.: ABEL (1974) 989–1188 (zu Dionysios: 1150–1151). S. auch: BRODERSEN
(1995) 101–109.
6
Ob Dionysios die Erde als kugelförmig betrachtet, sowie zur dionyseïschen Vorstellung über
die Form der Oikumene s. oben: Teil I. Kap. 2. Das Weltbild des Dionysios Periegetes (Die
Form der Landmasse und ihr Aufbau).
7
πρῶτοι δὲ γραµµῇσι πόλον διεµετρήσαντο, / θυµῷ φρασσάµενοι λοξὸν δρόµον
ἠελίοιο (Dion. Per. 236–237).
8
πολλὴν δὲ προτέρωσε ταµὼν ὁδὸν Ὠκεανοῖο, / νῆσόν κεν Θούλην εὐεργέϊ νηῒ περήσαις· /
ἔνθα µέν, ἠελίοιο βεβηκότος ἐς πόλον ἄρκτων, / ἤµαθ' ὁµοῦ καὶ νύκτας ἀειφανὲς ἀγκέχυται
πῦρ· / λοξοτέρῃ γὰρ τῆµος ἐπιστρέφεται στροφάλιγγι, / ἀκτίνων ἰθεῖαν ἐπὶ κλίσιν
ἐρχοµενάων, / µέσφ' ἐπὶ κυανέους νοτίην ὁδὸν αὖτις ἐλάσσῃ· (Dion. Per. 580–586).
9
Vgl. mehr oder weniger ähnliche Aussagen über die nördlichen Grenzen der Oikumene bei:
Herod. IV 25; Strabo II 5, 7–8 C 114, 42–43 C 136; Mela III 6; 9; Plin. nat. hist. II 187, IV
104; Avien. Desc. Orb. 760; Prisc. Perieg. 569; Serv. Verg. Georg. I 30; Gemin. 5 p. 85 Hild.;
Cleomed. I 7 p. 37. S. auch den Komm. von H. BERGER (mit Literatur) in seiner Ausgabe der
geographischen Fragmente des Eratosthenes („Zonenlehre und Okeanosfrage“): BERGER
(1880) 73–74.

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Teil II. Kap. 7. Klima und Landschaft

wiederum nach Norden / sich hinziehnd“ (ἐπ᾿ ἄρκτους, v. 721); oder: „(Libyen) ist nach dem
Bärengestirn gekehrt (µετ᾿ ἄρκτους τέτραπται, v. 271)“, „(das Kaspische Meer) dürftest du
wohl zu Schiffe umfahren haben bis zum Umlauf des dritten Mondes“ (τριτάτης ἐπὶ κύκλα
σελήνης, v. 720) u. a.10.
Die von Dionysios benutzte Fachterminologie beweist auch seine Vertrautheit mit der
mathematischen Geographie (τραπέζιον „Trapez“, v. 175, κῶνοι „Kegel“, v. 277, 621;
σχῆµα „Schema“, v. 277, 620; ῥόµβος „Rhombus“, v. 1131, u. a.)11. Gleichzeitig orientiert
sich Dionysios an dichterischen Vorbildern und hält sich an die deskriptive Geographie,
wobei er einen spezifischen – nur den Fachleuten verständlichen – Inhalt weglässt. So setzt
Dionysios beispielsweise die Mündung des Borysthenes und die Kyaneen am Thrakischen
Bosporos auf demselben Meridian fest (ὀρθὸν ἐπὶ γραµµῇ κατεναντία, vv. 311–313), erklärt
die Tatsache aber nicht12; an anderer Stelle der Periegese werden Alexandria in Ägypten (v.
254) und das im äußersten Süden Ägyptens liegende Syene (vv. 223; 244) erwähnt13, die
dionyseïschen Nachrichten über diese Ortsnamen sind aber auf keine Weise mit der
astronomisch-mathematischen Forschung seines Landsmanns Eratosthenes verbunden14: Die
Aufmerksamkeit des Dichters richtet sich stattdessen auf die Geschichte der Umbenennung
des äthiopischen Flusses Siris in Nil (vgl. Herod. II 5–34), d. h. auf eine symbolische
„ethnische“ Expansion in Bezug auf den Oberlauf des Flusses.
Die Vorstellungen des Dionysios von den Klimastreifen sind mit den oben genannten
Angaben verbunden, man kann aber nicht behaupten, dass seine Vorstellungen klar entwickelt
und offen dargelegt werden. So bleibt es unklar, wo genau nach Dionysios die Trennlinie
zwischen der arktischen kalten Klimazone mit einer leeren Landschaft und dem gemäßigten

10
Zu Himmelsrichtungen in der Antike s. z. B.: PODOSSINOV (1991) Himmelsrichtung. – In:
Reallexikon für Antike und Christentum (RAC). 15. Sp. 233–286.
11
BRODERSEN (1995) 95 ff.
12
Zur Parallele dieser Stelle aus der Erdbeschreibung mit Eratosthenes s. oben: Teil I. Kap. 2.
Das Weltbild des Dionysios Periegetes (Die Quellenfrage: Eratosthenes).
13
„Von diesen (sc. den Äthiopen) ragen der rußschwarzen Blemyer Erhebungen empor, / von
wo die Wasser des höchst fruchtbaren Nils hinabsteigen, / welcher freilich, von Libyen her
nach Osten in weitem Strome kriechend, / Siris von den Äthiopen gerufen wird; von Syene
aber die / Einwohner wandelten ihn, den umgeschwenkten, dem Namen nach in den Nil um. /
Von dort aus aber nach Norden erstreckt, als ein jeweils anderer anderswohin, / stürzt er,
durch sieben Mündungen hindurch gewunden, in die Salzflut, / mit seinen Wassern den fetten
Boden Ägyptens befruchtend“ (Dion. Per. 220–227); „Seine (sc. Libyens) Form nun denn ist
auf drei Seiten gestellt, / breit zwar um die nördlichen Küsten, spitz aber dem Morgenrot zu –
/ sich hinziehend gar bis zum tiefabschüssigen Syene, durch die beiden ringsum deckenden
Berge befestigt, / mitten zwischen welchen die Wasser des schönfließenden Nils
hinabsteigen“ (Dion. Per. 243–246).
14
Aus dem Werk eines Astronomen der nachchristlichen Zeit (1.–2. Jh.?), Kleomedes De
motu circulari corporum caelestium („Über die Kreisbewegung von Himmelskörpern“, I, 10,
2 Ziegler = I 7, 51–110 Todd), ist uns eine Beschreibung der Erdmessung des Eratosthenes
bekannt (250.000 Stadien), die – grob beschrieben – auf der Schattenmessung mit der Hilfe
eines Gnomons in Alexandria und Syene und auf der Entfernung von Syene bis Alexandria
beruht; vgl. Strabo XVII 1, 48 C 817. Ausführlicher s.: GRATWICK (1995) 178–184; GEUS
(2000) 77–82; GEUS (2002) 75–92.

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Teil II. Kap. 7. Klima und Landschaft

bewohnten Klimagürtel zu ziehen ist. Weit im Süden – neben dem Erythräischen bzw.
Äthiopischen Meer – setzt Dionysios einen „heißen“ Klimastreifen, in dem es an jeglichen
Lebenszeichen fehlt: „(...) nach Süden zu: da aber liegt ein weiter Schlauch unbewohnten
Bodens / ausgedehnt, verbrannt von heftigen Sonnen“ (vv. 39–40)15 – die Grenzen dieser
Klimazone werden aber auch nicht bestimmt. Man kann nur vermuten, dass der Wendekreis
des Krebses eine der Grenzen zwischen diesem „heißen“ und dem gemäßigten Klimagürtel
bildet: „Von dort aber abgekehrt – vor die südliche Erhebung hin, / dürftest du wohl sogleich
zur großen Insel der Kolias gelangen, / zu Taprobane, der Mutter der aus Asien stammenden
Elefanten, / über welcher, auf himmlischen Bahnen sich erhebend, / im Kreise wirbelt im
Äther der feurige Krebs“ (vv. 591–595)16; nebenbei belehrt Dionysios seine Leser bzw.
Zuhörer über die Kreisbahn des Himmelsgewölbes. Schließlich verwendet Dionysios im
Epilog seiner Periegese einen weit verbreiteten topos über die Klimazonen, der auf das
geographische Epyllion Hermes des Eratosthenes zurückgeht (F 16 Powell)17. In diesem
Fragment des Eratosthenes wird von den fünf Gürteln auf der Erdoberfäche (πέντε δέ οἱ
ζῶναι) mitgeteilt, zwei davon seien dunkelblau (die unbewohnten Polarzonen), der mittlere
sei rot (die unbewohnte heiße Zone), und zwei weitere, die zwischen den kalten und heißen
Klimagürteln lägen, stellten gemäßigte (bewohnte) Zonen dar, in denen Weizen und andere
Gaben der Eleusinischen Demeter wüchsen18. Nach Dionysios sieht das Weltbild
folgendermaßen aus: „Sie (sc. die Götter) selbst setzten alles als unverrückbar dem Leben
fest, / die Gestirne auseinandersondernd: sprachen sie doch durchs Los einem jeden zu, / sein
Teilstück zu haben an Meer und an tiefem Festland. / Dadurch füglich erloste jedes Stück
auch eine andersartige Beschaffenheit der Gestalt: / eines nämlich ist licht und
weißschimmernd beschaffen, / ein zweites schwärzlicher, ein drittes erloste das Aussehen
beider; / ein anderes ist der blühenden Farbe Assyrischen Rötels vergleichbar, andere
wiederum andersartig: so nämlich ersann es der große Zeus. So sind den Menschen alle Dinge
verschiedenartig beschaffen“ (vv. 1172–1180).

7.2 Einzelne Beschreibungen des Klimas im nördlichen Teil der


Oikumene
Bevor Dionysios zu einer ausführlichen Beschreibung des Winters in Skythien kommt (dazu
ausführlicher unten), skizziert er andere klimatische Erscheinungen im ganzen nördlichen Teil

15
πρὸς νότον ἔνθα τε πολλὸς ἀοικήτου χθονὸς ἀγκὼν / ἐκτέταται, µαλεροῖσι κεκαυµένος
ἠελίοισιν (Dion. Per. 39–40).
16
κεῖθεν δὲ στρεφθεὶς νοτίης προπάροιθε κολώνης, / αἶψά κε Κωλιάδος µεγάλης ἐπὶ νῆσον
ἵκοιο, / µητέρα Ταπροβάνην Ἀσιηγενέων ἐλεφάντων, / ἧς ὕπερ, οὐρανίῃσιν ἀειρόµενος
στροφάλιγξι, / δινεῖται κατὰ κύκλον ἐν αἰθέρι Καρκίνος αἴθων (Dion. Per. 591–595). Mehr
zur Darstellung von Taprobane in der Antike s.: FALLER (2000) 166–171: zu den Angaben
des Dionysios und seinen lateinischen Übersetzungen.
17
POWELL (1925) 58–63; s. auch: BERGER (1903) 393–394, 398–399; ZANKER (1987) 96–97;
SOLMSEN (1942 = 1968) 203–224; SH (1983) 397–398.
18
Zu dieser Parallele mit dem Fragment des Eratosthenes s. auch oben: Teil I. Kap. 1. Das
Werk: Titel, Inhalt, Autorschaft (in Bezug auf eines der Akrosticha in der Erdbeschreibung).

- 218 -
Teil II. Kap. 7. Klima und Landschaft

der Oikumene. Diese knappen Angaben präzisieren die allgemeine Vorstellung vom Norden.
Die folgenden Verse beschreiben den Ozean in der Polarzone: „(...) oberhalb hinwiederum, /
nach Norden zu, wo die Söhne der kriegswütigen Arimaspen, / nennen sie ihn (sc. den Ozean)
Verfestigtes und Kronisches Meer; / andere wiederum machten ihn auch als Toten bekannt –
wegen der kraftlosen / Sonne: denn allzu träge scheint sie über diese Salzflut hin, / stets aber
wird sie abgestumpft unter beschattenden Wolken“ (vv. 30–35)19. Möglicherweise wird hier
auf die homerische Odyssee angespielt, wo das düstere Land der Kimmerier am Rande der
Welt, am tief strömenden Ozean dargestellt ist (Hom. Od. XI 13–18)20. Es finden sich hier
keine wörtlichen Entlehnungen, aber die ganze Schilderung gleicht einer traurigen Gegend21.
Die finstere Darstellung (des schrecklichen Klimas im Norden, des stets mit Wolken
bedeckten Himmels über dem „toten“ Teil des Ozeans) erinnert an die mythische Welt der
Toten – an den Tartaros – und könnte gleichzeitig als rhetorische Färbung bei der
Beschreibung des nördlichen Teils der Oikumene betrachtet werden. Diesem Zweck dient
auch die Erwähnung der fabulösen „kriegswütigen Arimaspen“, die im Norden traditionell in
der Nähe der Issedonen, der ihr Gold bewachenden Greifen und der Hyperboreer lokalisiert
werden22. Die Angaben über die „kriegswütigen Arimaspen“ stützen sich auf das nur in
Fragmenten überlieferte epische Gedicht Arimaspeia des Aristeias von Prokonnesos (6.–5. Jh.
v. Chr.)23, das nicht nur von Herodot bei seiner Geschichtsschreibung, sondern
möglicherweise auch von Aischylos bei der Schilderung der Wanderung von Io (Aesch.
Prom. vinct. 802–806) als Quelle benutzt wurde24. Gleichzeitig enthält die dionyseïsche
dichterische Beschreibung einige konkrete geographische Realien, die in erster Linie auf die
Zeugnisse des Pytheas von Massalia zurückgehen: Dieser spricht sowohl von dem
„Verfestigten“25 als auch vom „Toten“ Meer und beschreibt das für die nördlichen Gegenden
charakteristische Klima26. Der Begriff „Kronisches Meer“ stammt von Philemon, uns bekannt

19
Zum allgemeinen Bild des Ozeans in der Erdbeschreibung s. oben: Teil I. Kap. 2. Das
Weltbild des Dionysios Periegetes (Ozean).
20
ἡ δ' ἐς πείραθ' ἵκανε βαθυρρόου Ὠκεανοῖο. / ἔνθα δὲ Κιµµερίων ἀνδρῶν δῆµός τε πόλις τε,
/ ἠέρι καὶ νεφέλῃ κεκαλυµµένοι· οὐδέ ποτ' αὐτοὺς / Ἠέλιος φαέθων καταδέρκεται
ἀκτίνεσσιν, / οὔθ' ὁπότ' ἂν στείχῃσι πρὸς οὐρανὸν ἀστερόεντα, / οὔθ' ὅτ' ἂν ἂψ ἐπὶ γαῖαν ἀπ'
οὐρανόθεν προτράπηται / ἀλλ' ἐπὶ νὺξ ὀλοὴ τέταται δειλοῖσι βροτοῖσι (Hom. Od. XI 13–18).
21
Vgl.: PANCHENKO (1998) 73–82.
22
Herod. III 116; IV 13, IV 27; vgl. Diod. II 43, 5; Strabo XI 6, 2 С 507; Paus. I 24, 6; Mela
II 2; Plin. nat. hist. IV 88; VII 10; Solin. 20; Amm. Marc. XXII 8.
23
Die ausführlichste Sammlung von Fragmenten des Gedichtes: BOLTON (1962); s. auch:
ROMM (1992) 67–76; IVANTCHIK (1993a) 35–67; HEILEN (2000) 42–43; BOWIE (2004) 182.
24
ἄλλην δ' ἄκουσον δυσχερῆ θεωρίαν· / ὀξυστόµους γὰρ Ζηνὸς ἀκραγεῖς κύνας / γρῦπας
φύλαξαι, τόν τε µουνῶπα στρατὸν / Ἀριµασπὸν ἱπποβάµον', οἳ χρυσόρρυτον / οἰκοῦσιν ἀµφὶ
νᾶµα Πλούτωνος πόρου (Aesch. Prom. vinc. 802–806).
25
πεπηγυῖα θάλαττα (Pyth. F 2 Roseman = Strabo I 4, 2) – für den nördlichsten
Meeresbereich.
26
mortuum mare (F 21 Roseman = Plin. nat. hist. IV 95).

- 219 -
Teil II. Kap. 7. Klima und Landschaft

in der Überlieferung von Plinius d. Älteren27. Es ist hinzuzufügen, dass auch die Insel Thule
sowohl von Dionysios (v. 587) als auch von Eratosthenes und Pytheas von Massalia (F II C 2
Berger = Strabo I 4, 2 C 63) im Polarkreis lokalisiert wird, wobei diese Insel von Tacitus
(Agr. 10), von Marinos von Tyros und Ptolemaios allerdings viel südlicher angesetzt wird28.
Als eine Ergänzung zu dem oben genannten Abschnitt der Periegese gibt Dionysios
noch eine stereotype Beschreibung des nördlichen Gebietes: „Dort murmeln auch des
Aldeskos und Pantikapes Wasser / zweigeteilt in den Rhipäischen Bergen. / An deren
Ergießungen aber, nahe dem verfestigten Meer, / wächst der süßglänzende Bernstein,
gleichsam ein Schimmer / des neu zunehmenden Mondes; und den allüberstrahlenden
Diamanten / magst du in der Nähe erschauen, unter den kalten Agathyrsen“ (vv. 314–319).
Wie auch die vorige Passage über den nördlichen Teil des Ozeans ist diese Vorstellung vom
Norden aus einigen traditionellen Elementen entstanden, die aus verschiedenen Quellen
entlehnt und miteinander vereinigt wurden. Man kann vermuten, dass dieses von Dionysios in
dichterischer Weise überlieferte Bild einer nördlichen Gegend sich ursprünglich auf die
wirklichen Tatsachen und Beobachtungen stützte, die später mit rhetorischen Übertreibungen
und Klischees bedeckt wurden29. Im Nordgebiet, am Verfestigten Meer, werden außer den
„kriegswütigen Arimaspen“ auch die „kalten Agathyrsen“ lokalisiert; das hier erwähnte
Rhipäische Gebirge ist nach den antiken Ansichten eng mit der Geographie des Nordens
verbunden30; die Schilderung von Edelsteinvorkommen, Bernsteinen und Adamanten weist
auf die mythische Lage eines nördlichen Landes und auf die Ungewöhnlichkeit seiner
Bewohner hin31. Der feste Beiname ψυχρός „kalt“ wird von Dionysios im geographischen
Sinne benutzt und verweist normalerweise auf die nördliche (bzw. zum Norden gehörende)
Lage eines bestimmten Objektes:
ἧχι βορείου / Ὠκεανοῦ κέχυται ψυχρὸς ῥόος, ἔνθα Βρετανοί,
„..dahin, wo des nördlichen / Ozeans kalte Flut hingegossen liegt, wo die Bretanen (sc.
siedeln)“ (Dion. Per. 283–284);
vgl. Κιµµέριοι ναίουσιν ὑπὸ ψυχρῷ ποδὶ Ταύρου,

27
Plin. nat. hist. IV 95, dazu 104 (so GISINGER (1937c) 2339), vgl. auch: Apoll. Rhod. IV 327,
507–510 (wo aber der Nordteil der Adria gemeint ist), Plut. De facie in orbe lunae (941a) und
Orph. Arg. (1081).
28
Vgl. ABEL (1974) 1151; ROMM (1992) 148–149. Ausführlicher zu dieser Stelle bei
Dionysios und den vermutlichen Quellen dafür s. oben: Teil I. Kap. 2. Das Weltbild des
Dionysios Periegetes (Ozean).
29
Vgl. eine ähnliche Reihe solcher Klischees: Ὥσπερ ἐν ταῖς γεωγραφίαις, (...) οἱ ἱστορικοὶ
τὰ διαφεύγοντα τὴν γνῶσιν αὐτῶν τοῖς ἐσχάτοις µέρεσι τῶν πινάκων πιεζοῦντες, αἰτίας
παραγράφουσιν ὅτι ‘τὰ δ' ἐπέκεινα θῖνες ἄνυδροι καὶ θηριώδεις’, ἢ ‘πηλὸς ἀιδνής’, ἢ
‘Σκυθικὸν κρύος’, ἢ ’πέλαγος πεπηγός’, οὕτως κτλ. (Plut. Tes. 1, 1 f.); s. auch: BRODERSEN
(1995) 104.
30
Mehr zu den Rhipäischen Bergen s. unten: Teil II. Kap. 9. Pontische Gewässer und
Gebirge.
31
Vgl. eine literarische Parallele, der Eingang in den Tartaros bei Vergil: porta adversa
ingens, solidoque adamante columnae (Verg. Aen. VI 552).

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Teil II. Kap. 7. Klima und Landschaft

„Kimmerier wohnen unten am kalten Fuß des Tauros“ (Dion. Per. 168)32.
Dagegen kennzeichnet das Epitheton ἀρειµανής „kriegswütig“ nur die stereotype
Zugehörigkeit zur barbarischen Welt am nördlichen Rand der Oikumene: vgl. die
„kriegswütigen Arimaspen“ (Dion. Per. 31) oder die „kriegswütigen Germanen“ (Dion. Per.
285).

7.3 Der skythische Winter in der Beschreibung des Dionysios (vv. 666–
678)
Der Kompilationscharakter der Periegese ist durch die Tatsache bedingt, dass Dionysios
neben den geographischen Angaben seiner Vorgänger Themen, Motive und Wortschatz der
dichterischen Tradition verwendet33. Bereits im 12. Jh. richtete Eustathios von Thessaloniki
seine Aufmerksamkeit sowohl auf Dionysios’ tiefe Kenntnisse der homerischen und
hesiodeïschen Werke als auch auf seine Vertrautheit mit der hellenistischen Dichtung von
Kallimachos, Arat und Apollonios von Rhodos (Eust. ad Dion. Per. 638)34. Auch in der
späteren Forschung, die sich den literarischen Quellen des Dionysios widmet, wurde
mehrmals der Einfluss der dichterisch-rhetorischen Tradition auf das Werk des Periegeten
betont35.
Der unten angeführte Exkurs aus der Periegese des Dionysios (vv. 666–678) enthält
die Beschreibung einer für ihn als Bürger des ägyptischen Alexandria einmaligen
klimatischen Erscheinung, nämlich der des Wintereintritts in der Gegend des Flusses Tanais
(heute Don). Dionysios’ poetische Schilderung des nordpontischen Winters wird weiter in der
Wechselwirkung mit dem „fremden Wort“ (der Terminus stammt von M. BACHTIN)
betrachtet, so dass mögliche Anspielungen, Periphrasen, Zitate und andere intertextuelle
Verbindungen betont werden, die der stilistischen Eigenart des dionyseïschen Gedichtes zu
Grunde liegen.

666 τοῦ δ' ἄν, κυµαίνοντος ἀπείριτον ἐκ βορέαο,


πηγετὸν ἀθρήσειας ὑπὸ κρυµοῖο παγέντα.
σχέτλιοι, οἳ περὶ κεῖνον ἐνοίκια χῶρον ἔχουσιν·
αἰεί σφιν ψυχρή τε χιὼν κρυµός τε δυσαής·
670 καὶ δέ κεν, ἐξ ἀνέµων ὁπόταν πλεῖστον κρύος ἔλθῃ,
ἢ ἵππους θνῄσκοντας ἐν ὀφθαλµοῖσιν ἴδοιο,
ἠὲ καὶ ἡµιόνους ἢ ἀγραύλων γένος οἰῶν·
οὐδὲ µὲν οὐδ' αὐτοί κεν ἀπήµαντοι τελέθοιεν
ἀνέρες, οἳ κείνῃσιν ὑπαὶ ῥιπῇσι µένοιεν·

32
Vgl. ψυχρὴ ὑπὸ ῥιπῆς αἰθρηγενέος Βορέαο, Hom. Il. XV 170, XIX 358; Eust. ad Hom. Od.
XXIV 465: “ψυχρός bedeutet ‚kalt’, und Psychros heißt der Fluss in Sarmatien“.
33
Zum Thema antiker Kompilation vgl.: BOWIE (1990) 53–90; PODOSSINOV (2003) 97–99.
34
Mehr zu den dichterischen Mustern des Dionysios s. oben: Teil I. Kap. 4. Die poetische
Technik des Dionysios Periegetes (Intertextualität).
35
S. einige Publikationen zum Thema: GÖTHE (1875); ANHUT (1888) 10–13; BERNAYS (1905)
32 ff.; GREAVES (1994) 105–139; HUNTER (2003) 343–356; HUNTER (2004) 217–231.

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Teil II. Kap. 7. Klima und Landschaft

675 ἀλλὰ γὰρ ἠλάσκουσιν, ὑποζεύξαντες ἀπήνας,


χώρην εἰς ἑτέρην, λείπουσι δὲ γαῖαν ἀήταις
χειµερίοις, οἵτε σφι κακῇ θυΐοντες ἀέλλῃ
678 γαῖάν τε κλονέουσι καὶ οὔρεα πευκήεντα.
„An diesem aber (sc. am Tanais) dürftest du wohl – durch den endlos dahinwogenden
Boreas –
von Eishauch gefrorenen Frost erschauen.
Elend die, welche rings in jenem Gebiet ihre Wohnsitze haben:
stets herrscht ihnen kalter Schnee und schlimm blasender Eishauch;
auch dürftest du wohl, sobald durch die Winde die meiste Eiseskälte herangekommen,
Pferde vor deinen Augen sterben sehen –
oder auch Maultiere oder das Geschlecht der im Freien hausenden Schafe;
und freilich auch nicht sie selbst dürften wohl unbeschadet hervorgehen,
die Menschen, welche womöglich unter jenen Stürmen verharren;
doch schweifen sie ja fort, nachdem sie ihre Wagen angespannt haben,
in eine andere Gegend und überlassen ihr Land den Gebläsen,
den winterlichen, welche ihnen, einherstürmend mit schlimmem Wirbelwind,
das Land zerrütten und die fichtenbestandenen Berge“ (Dion. Per. 666–678).

Die Vorstellungen des Dionysios über das Klima, die Landschaft und die Lebensart
der skythischen Völker übersteigen die allgemeinen Vorstellungen nicht; seine Daten könnte
er aus der narrativen Tradition geschöpft haben; sie entsprechen offensichtlich den
Erwartungen seiner Leser. Bei seiner teils glaubwürdigen, teils stereotypen Darstellung eines
nördlichen Landes und des für dieses Land kennzeichnenden strengen Klimas betont der
Dichter die Härte des skythischen Winters, der die in der Klimazone wohnenden Völker
zwingt, ihr Zuhause und die Gegend zu verlassen. Um den Grad der Abhängigkeit bei der
Beschreibung der örtlichen Naturbedingungen und der damit verbundenen Lebensart der
Nomaden in den nordpontischen Steppen zu bestimmen, muss man sich ähnlichen Angaben in
der antiken literarischen Tradition zuwenden36.
Bereits von Eustathios von Thessaloniki wurde bemerkt, dass sich Dionysios in
seinem Exkurs über den skythischen Winter teilweise an Hesiods Schilderung der Winterkälte
(Erga. 493–563, bes. 511)37 orientiert, teilweise die Beschreibung des Winters bei Herodot
(IV 28)38 und seinem Zeitgenossen Arrian benutzt (Eust. ad Dion. Per. 668–669). Die
Darstellung des Winters in Böotien bei Hesiod ist betont hyperbolisiert, was durch die
dichterische Form gerechtfertigt ist; aber auch in der Prosabeschreibung des Herodot ist die
Härte des skythischen Winters offensichtlich übertrieben:

36
Ein Teil der antiken Angaben über das „nördliche“ Skythien ist in einem ausführlichen
Artikel in der RE angeführt: DANOFF (1962) 938–945; s. auch: OLSHAUSEN (1978) 398–404.
37
Vgl.: Μῆνα δὲ Ληναιῶνα, κάκ' ἤµατα, βουδόρα πάντα, / τοῦτον ἀλεύασθαι καὶ πηγάδας, αἵ
τ' ἐπὶ γαῖαν / πνεύσαντος Βορέαο δυσηλεγέες τελέθουσιν, / ὅς τε διὰ Θρῄκης ἱπποτρόφου
εὐρέι πόντῳ / ἐµπνεύσας ὤρινε, µέµυκε δὲ γαῖα καὶ ὕλη etc. (Hesiod. Erga. 504–511). S. auch
den Komm. ad loc.: WEST (1978).
38
Zu den Beschreibungen des Herodot s. unter anderem: KARTTUNEN (2002) 472–473; HOSE
(2004) 168.

- 222 -
Teil II. Kap. 7. Klima und Landschaft

οὕτω µὲν δὴ τοὺς ὀκτὼ µῆνας διατελέει χειµὼν ἐών, τοὺς δ᾿ ἐπιπλοίπους τέσσερας ψύχεα
αὐτόθι ἐστί,
„So herrscht also acht Monate hindurch beständiger Winter; aber auch die vier übrigen Monate
ist es dort kalt“, - Herod. IV 28; Übers. v. J. Feix).

Ähnlich schreiben über Skythien Hippokrates, nach dessen Worten dort „stets Winter“ (ἀεί)
andauere (Ps.-Hipp. De aer. 19; vgl. Dion. Per. 669: αἰεί), und Xenophon von Athen (Anab.
VII 4, 1 ff.: Über Schneefall und Vereisung des Pontos). Strabon betont, dass das Klima in der
Gegend der Maiotis und des Borysthenes viel strenger sei als in den südpontischen Gebieten
(Strabo II 1, 16 C 73–74) und präzisiert weiter: Das äußerst kalte Klima an der nördlichen
Küste des Pontos bedinge die entsprechende Lebensart der örtlichen Nomaden (Strabo VII 3,
18 C 307)39. Offensichtlich eignet sich Dionysios diese traditionellen Angaben an; für ihn
(wie auch für die anderen antiken Autoren) sind rhetorische Mittel bei der Widerspiegelung
zuverlässiger Daten und die mögliche Benutzung literarischer Klischees, Formeln und topoi
charakteristisch40. Aus den Progymnasmata von Theon von Alexandria (1. Jh.) und von
Hermogenes von Tarsos (2. Jh.) ist bekannt, dass die Darstellung einer der Jahreszeiten – des
Winters, des Frühlings, des Sommers oder des Herbstes – eine der obligatorischen Übungen
für Schüler in den rhetorischen Schulen war41.
Am Anfang seines Exkurses benutzt Dionysios eine Anrede an den imaginierten
Leser, die in einer Optativkonstruktion mit ἄν ausgedrückt wird (ἄν ... ἀθρήσειας, vv. 666–
667); eine solche Anrede ist für didaktische Werke kennzeichnend42. Eine direkte Anrede des
Dichters an den Leser zieht ihn (den Leser) zum literarischen Kontext heran und macht ihn
zum Mitbeteiligten an der imaginierten Darstellung, so der namenlose Autor der Abhandlung
De sublimitate (1. Jh.) (Ps.-Longin. 26). Das hier von Dionysios verwendete Verb ἀθρέω
„betrachten; überlegen“ findet sich schon im homerischen Epos43, was auch den
dionyseïschen Versen einen altertümlichen Klang verleiht. Gleichzeitig ist zu betonen, dass
Dionysios sich hier an einen ziemlich engen Kreis von Lesern richtet, um sie geographisch zu
belehren und so auch die „Fantasie“ seines Lesers und die „Wahrnehmungsbilder“ (vgl.
φαντασίαι – Ps.-Longin. 15, 1–2) des skythischen Winters in seiner Vorstellungskraft zu

39
Strabo VII 3, 18 C 307: „Die Kälte ist offenkundig, obwohl sie in Ebenen wohnen. Sie
halten nämlich keine Esel (das Tier ist ja kälteempfindlich), und die Rinder werden teils ohne
Hörner geboren, teils feilen sie ihnen die Hörner ab (denn auch dieser Körperteil ist
kälteempfindlich); ferner sind die Pferde klein, Schafe und Ziegen dagegen groß; bronzene
Wasserkrüge zerbersten und der Inhalt wird fest. Die Stärke des Frosts zeigt sich vor allem in
dem was bei der Mündung des Maiotischen Sees eintritt.Dort wird nämlich der Sund
zwischen Phanagoreia und Pantikapaion mit Wagen befahren, so dass es dann eine mit Kot
bedeckte Fahrstraße gibt“ (Übers. v. S. Radt). S. auch: LULOFS (1929) 33–34.
40
Vgl.: BOWIE (2004) 182.
41
FUHRMANN (1986) 9–17.
42
Vgl. SCHMIDT (1986) 67–70. Mehr zu solchen Konstruktionen bei Dionysios s. oben: Teil I.
Kap. 3. Gattungsaspekte (Die Erdbeschreibung als didaktisches Werk).
43
ἀθρήσειε (Il. XII 391 und XIV 334), ἀθρῆσαι (Od. XII 232 und XIX 478; vgl. Soph. OT
1305; Eur. Hec. 679).

- 223 -
Teil II. Kap. 7. Klima und Landschaft

erwecken. Als Stichwörter in ähnlichen Konstruktionen des Dionysios werden Verben mit
der Bedeutung des „Sehens“ bzw. der „Wahrnehmung“ benutzt44.
Zum Wort σχέτλιοι „die Unglücklichen“ (v. 668) bemerkt Eustathios in seinem
Kommentar zur Periegese, es sollte offensichtlich keinen Tadel bedeuten, sondern das
Mitgefühl äußern (Eust. ad Dion. Per. 668). In diesem Fall verwendet Dionysios das
homerische σχέτλιος, aber in einem neuen Sinn, der erst später bei den Tragikern zu finden
ist45; damit wiederholt Dionysios den Wortgebrauch des Apollonios Rhodios am Anfang des
Verses (Arg. II 1028: σχέτλιος „der Unglückliche“ über den König der Mossyniker).
Weiter trifft man den Formelausdruck οἳ περὶ κεῖνον ἐνοίκια χῶρον ἔχουσιν, „welche
rings in jenem Gebiet ihre Wohnstätten haben“ (v. 668, vgl. oben in v. 649: οἳ κατὰ χῶρον
ὁµούριον οἶκον ἔχουσι, „(Leute) die an einem angrenzenden Ort sich ihr Haus errichteten“)
und eine offensichtliche Entlehnung des Dionysios aus einem kallimacheïschen Hymnos an:
κρυµός τε δυσαής „und schlimm blasender Eishauch“ (v. 669, vgl. Call. h. III 115: δυσαέα
κρυµόν)46.
Eustathios von Thessaloniki nimmt an, dass Dionysios in den Versen 671–672 eine
Hyperbole anwendet (Eust. ad Dion. Per. 666). Es ist auch nicht auszuschließen, dass
Dionysios hier als Vorbild die Verse von Hesiod über den durchdringenden nördlichen Wind
benutzt hat, vor dem sich sowohl wilde Tiere als auch Haustiere kaum retten können (Erga.
512–517)47. Was die Maultiere betrifft (v. 672: ἡµιόνους), so wohnen sie nur in wärmeren
Gegenden: Strabon merkt an, dass die Bevölkerung des nördlichen Pontosraums keine Esel
(ὄνους) züchtet, weil diese Tiere auf den rauen Winter und Kälte zu empfindlich reagieren
(δύσριγος) (Strabo VII 3, 18 C 307)48. In der Periegese sind deswegen möglicherweise Pferde
oder Maulesel bzw. Wildesel gemeint, d. h. äußerlich kleinen Pferden ähnliche Esel.
Wahrscheinlich orientiert sich Dionysios dabei aber einfach am Wortgebrauch der
dichterischen Tradition49.
Auf einen Vers des Hesiod wird von Dionysios auch später angespielt: κακῇ θυΐοντες
ἀέλλῃ, „einherstürmend mit schlimmem Wirbelwind“ (v. 677) – auf ähnliche Weise findet
sich die Redewendung am Ende des Verses in der Theogonie: κακῇ θυΐουσιν ἀέλλῃ (Theog.
874; vgl. auch: Hesiod. Erga. 621: δὴ τότε παντοίων ἀνέµων θυίουσιν ἀῆται). Das Verb θύω
trifft man in verschiedenen Formen schon im homerischen Epos an50. Als eine

44
Vgl. ἄν ... ἴδοις (Dion. Per. 156 und 1075), ἰδοῖο (Dion. Per. 371), κεν ... ἰδοῖο (Dion. Per.
670–671); s. auch oben: Teil I. Kap. 3. Gattungsaspekte (Die Erdbeschreibung als
didaktisches Werk).
45
Vgl. Aesch. Prom. vinc. 644; Soph. Antig. 47, Phil. 369, 930; Eur. Alc. 824.
46
Die Entlehnung wurde angeführt auch in: TSAVARI (1990b) 83; RASCHIERI (2004) 104.
47
θῆρες δὲ φρίσσουσ', οὐρὰς δ' ὑπὸ µέζε' ἔθεντο· / τῶν καὶ λάχνῃ δέρµα κατάσκιον· ἀλλά νυ
καὶ τῶν / ψυχρὸς ἐὼν διάησι δασυστέρνων περ ἐόντων· / καί τε διὰ ῥινοῦ βοὸς ἔρχεται οὐδέ
µιν ἴσχει, / καί τε δι' αἶγα ἄησι τανύτριχα· πώεα δ' οὔτι, / οὕνεκ' ἐπηεταναὶ τρίχες αὐτῶν, οὐ
διάησι / ἲς ἀνέµου Βορέω· S. auch den Komm. ad loc.: WEST (1978) 287.
48
Vgl. eine ähnliche Bemerkung bei Plin. nat. hist. VIII 68.
49
Vgl. Maultiere bei Hom. Il. II 852, XVII 742; Pind. Ol. VI 22.
50
Il. XII 40, XXIII 230, Od. XII 400.

- 224 -
Teil II. Kap. 7. Klima und Landschaft

handschriftliche Variante zum dionyseïschen ἀέλλῃ wird θυέλλη überliefert; vgl. die
Varianten θυέλλαι und ἄελλαι zur Odyssee (IV 727)51.
Auch der dionyseïsche Hinweis auf die Jahreszeit in vv. 676–677 ἀήταις χειµερίοις hat
eine Parallele bei Hesiod: vgl. [sc. µεὶς] ... χειµέριος (Erga. 558, in ähnlicher Weise am
Anfang des Verses). Bemerkenswerterweise wird das hier zum durchdringenden Wind
gehörende Beiwort χειµέριοι „[winter]kalt“ (v. 677) in einigen Kontexten in der
substantivierten Form für die Bezeichnung des nördlichen Volkes der „Kimmerier“ benutzt:
„κιµµέριοι ist das Volk, das um den Ozean wohnt; einige aber schreiben χειµέριοι ‚kalte,
[winterliche]’“ (Schol. vetera ad Hom. Od. XI 14). Der namenlose Autor der Scholien zur
homerischen Odyssee verweist weiter auf Herodot und bemerkt, die Kimmerier hätten die
Skythen vertrieben, wobei es von Herodot genau entgegengesetzt überliefert wird (Herod. IV
12–13). Aus dem Kontext des Dionysios kann man vermuten, dass der Scholiast damit die
saisonbedingten strengen Winde gemeint hat, die die skythischen Nomaden zum Wandern
gezwungen haben. Die eigentliche ethnische Zugehörigkeit der Nomaden erfährt man aus vv.
758–760: ἄλλοι δὲ Σκύθαι „noch sind andere Skythen (die zahlreich wohnen am Erdland)“,
in Bezug auf die pontischen Skythen, die sich von den Skythen am Kaspischen Meer
unterscheiden (v. 728: πρῶτοι µὲν Σκύθαι εἰσίν). Der dichterische Wortgebrauch ἀῆται (hier
mit der Bedeutung „Wind“) findet sich schon im frühgriechischen Epos und erinnert den
(antiken) Leser bzw. Zuhörer an das aus dem Epos bekannte gehobene Stilniveau52.
Eustathios (ad Dion. Per. 759) richtet seine Aufmerksamkeit darauf, dass Dionysios
eigene Verse aus seinem skythischen Exkurs (λείπουσι δὲ γαῖαν ἀήταις / χειµερίοις, vv. 676–
677) etwas verändert später in vv. 759–760 wiederholt: χθών, / χειµέριοις ἀνέµοισι
κεκλειµένη ἠδὲ χαλάζαις („ein sturmgepeitschter Boden ausgedehnt, / den Winterwinden
überlassen und den Hagelschlägen“).
Es ist kompliziert, οὔρεα πευκήεντα „die fichtenbestandenen Berge“ (v. 678) zu
identifizieren – wahrscheinlich sollten sie einfach der freien Äußerung der dichterischen
Bildlichkeit zugeschrieben werden53. In einigen Manuskripten der Periegese des Dionysios
findet man eine Lesart, die auch später in v. 1183 wiederkehrt und wörtlich einen Ausdruck
des Hesiod mit einem unhomerischen Beiwort in derselben metrischen Position wiederholt:
οὔρεα βησσήεντα (Hesiod. Theog. 130; vgl. auch in Erga. 389 und 530; F 26, 11 M.-W.)54.

7.4 Zusammenfassung
In diesem Kapitel wurde die dionyseïsche Darstellung des Klimas und der Landschaft des
nördlichen Schwarzmeergebietes untersucht. Das Thema ist indirekt mit der Frage über die

51
Im Manuskript V¹, s.: TSAVARI (1990b) 84; RASCHIERI (2004) 104. Für eine spätere
Allusion auf das Verb vgl.: Quint. Smirn. III 704: θοῇ θυίοντας ἀέλλῃ. S. auch den Komm.
zur Theogonie: WEST (1966) 396.
52
Hom. Il. XIV 254, Od. IV 567, IX 139; Hesiod. Erga 621, 645, 675; vgl. Plato Crat. 410 b
3 f.: οἱ γὰρ ποιηταί που τὰ πνεύµατα ἀήτας καλοῦσιν.
53
Vgl. πιτυῶδες ὄρος, Strabo XIII 1, 15 C 588; νῆσον πευκήεσσαν, Orph. Argon. 1189.
54
S. den Komm. ad loc.: WEST (1978) 257. Zu den verschiedenen Lesarten in den
Handschriften der Periegese s.: TSAVARI (1990b) 84.

- 225 -
Teil II. Kap. 7. Klima und Landschaft

Vertrautheit des Dionysios mit den Methoden der mathematischen Geographie und der
astronomischen Beobachtungen verbunden. Seine über das Gedicht verstreuten Bemerkungen
zu klimatischen Erscheinungen zeigen, dass Dionysios mit diesen Disziplinen wahrscheinlich
bekannt war. In seinem Gedicht orientiert er sich aber vor allem an der poetischen Tradition.
Dasselbe gilt für seine Darstellung des schrecklichen Winters in Skythien: Mit Mitteln der
rhetorischen Ekphrasis in einer detaillierten Beschreibung lässt der Dichter im Leser bzw.
Zuhörer ein Abbild der skythischen Kälte entstehen. Die von Dionysios dargelegten Angaben
über das „nördliche“ Klima in Skythien haben meistens kompilatorischen Charakter und
enthalten Anspielungen und Reminiszenzen auf die frühere epische Tradition (vor allem
Hesiod). Die mit der Zeit stereotyp gewordenen Daten über die klimatischen Besonderheiten
im Gebiet des nördlichen Pontos dienten als Grundlage für einen dichterisch-rhetorischen
topos, der später auch in römischen Werken zu finden ist55.

55
Verg. Georg. III 354–356; 366; Horat. Carm. I 22, 15–22; Ovid. Tr. III 10, 9–50; V 10, 1–
2; Sen. Herc. Fur. 633–641; Lucan. I 17–18, vgl. auch II 640–641, V 436–441; mehr dazu s.:
PODOSSINOV (1987) 76 ff., 123 ff.; BRODERSEN (1995) 102–103.

- 226 -
Teil II. Kap. 8. Pontische Völker und Stämme

Kapitel 8. Pontische Völker und Stämme

8.0 Einführung
8.1 Die erste Route: Das nördliche Istros-Ufer entlang in Richtung Maiotis-Mündung (vv. 302–310)
8.2 Die zweite Route: Um die Maiotis herum und die nordöstliche (kaukasische) Küste des Pontos
entlang (vv. 652–689)
8.3 Die dritte Route: Den Landstreifen zwischen dem Euxeinischen (Schwarzen) und dem
Hyrkanischen (Kaspischen) Meer entlang (vv. 695–705)
8.4 Die vierte Route: Vom Phasis und den Kolchern aus, der südlichen Küste des Pontos entlang bis
zum Thrakischen Bosporos (vv. 762–798)

Die ethnogeographischen Angaben des Dionysios Periegetes über Völker und Stämme, die
einst die Küste und das Hinterland des Pontos Euxeinos besiedelten, beruhen auf Zeugnissen
aus der früheren Zeit1. Im Laufe der Jahrhunderte griffen antike Autoren in verschiedenen
Gattungen traditionelle Details der ethnographischen Berichte auf, die längst vor ihren Zeiten
geschrieben wurden2. Das gilt auch für Dionysios und für seine Art der Quellenbenutzung:
Die Daten der Periegese werden in die literarische Tradition integriert (sowie dieser Tradition
entnommen), die einerseits auf das frühgriechische Epos, andererseits auf historisch-
geographische Werke zurückgeht.
Bei der Aufzählung der pontischen Stämme und Völker folgt Dionysios den
ethnographischen „Schemata“, die schon von Herodot und später von Strabon und von den
anderen Autoren verwendet wurden: Er beschreibt nämlich (allerdings sehr knapp) die Lage
der äußersten Völker, möglicherweise ihre Herkunft, merkwürdige Lebensart und
ungewöhnlichen Bräuche3. Seine ethnogeographische Information ordnet Dionysios anhand
der für antike Menschen spezifischen Raumwahrnehmung: die für die antike Periegese
charakteristische Weise der Routen-Beschreibung. Die in Bezug auf bestimmte Strecken
(„Routen“) geordneten Informationen über Völker, Stämme oder Länder sind ursprünglich in
den frühionischen Periploi und Periegesen zu finden und werden für die alltäglichen
praktischen Ziele der Reisenden bzw. Seeleute benutzt4. Dieses lineare Schema des
geordneten Raums bzw. das hodologische Schema (von altgriech. ὁδός) kann man schon im
frühgriechischen Epos und dann in der späteren griechischen Literatur finden5. Trotz der

1
Zur Quellenfrage und Dionysios’ Mittelquellen s. z. B.: GÖTHE (1875) passim; KNAACK
(1903) 918 f.; BERNAYS (1905) 32 ff.; WILAMOWITZ-MÖLLENDORFF (1971) 219 f. S auch
oben: Teil I. Kap. 2. Das Weltbild des Dionysios Periegetes (Die Quellenfrage).
2
Ausführlicher dazu s. z. B.: VINOGRADOV (1996) 427–438; PODOSSINOV (1996) 415–426.
3
ROMM (1992) 45 ff.; KARTTUNEN (2002) 457–474.
4
Zum Problem der Routen-Beschreibungen in der Antike seien hier die einflussreichsten
Arbeiten erwähnt: GISINGER (1937b); GÜNGERICH (1950); JANNI (1984) 95 ff.; OLSHAUSEN
(1991) 81 ff.; PRONTERA (1993) 27–44; BRODERSEN (1995) passim.
5
Mehr dazu bei: KULLMANN (1993) 130 ff.; WEST (1985) 52 ff.

- 227 -
Teil II. Kap. 8. Pontische Völker und Stämme

Leistungen in Astronomie, Geometrie und Physik behält die deskriptive Geographie – im


Unterschied zur mathematischen Geographie – dieses Schema der Raumorientierung bei und
es ändert sich bis in die Kaiserzeit grundsätzlich nicht6.
Dionysios bewegt sich bei seiner Erzählung entlang der impliziten Wasser- bzw.
Landlinien – dem frühionischen periploitischen Schema entsprechend – und zählt dabei die
Völkernamen und ihre Wohnsitze auf: (1) das nördliche Istros-Ufer entlang in Richtung
Maiotis-Mündung (vv. 302–310), (2) um die Maiotis herum und die nordöstliche
(kaukasische) Küste des Pontos entlang (vv. 652–689), (3) den Landstreifen zwischen dem
Euxeinischen (Schwarzen) und dem Hyrkanischen (Kaspischen) Meer entlang (vv. 695–705),
(4) vom Phasis und den Kolchern, der südlichen Küste des Pontos entlang bis zum
Thrakischen Bosporos (vv. 762–798). Bei der Aufzählung der pontischen Völker geht
Dionysios im Uhrzeigersinn vor, was eigentlich für die älteren Periploi kennzeichnend ist:
Ähnlich beschreiben Ps.-Skylax (4. Jh. v. Chr.) und Ps.-Skymnos (2. Jh. v. Chr., aufgrund der
Angaben des Ephoros, 4. Jh. v. Chr.) die Mittelmeerküste und den Pontos Euxeinos
einschließlich der Maiotis. Eine große Rolle spielen im hodologischen Schema die Fix-,
Ausgangs- und Endpunkte, die Streckenrichtungen präzisieren und imaginäre Grenzen
darstellen; sie werden durch die Präpositionen µετά (vv. 685, 688, 772), ἐπί (vv. 656, 686,
698, 768, 784), παρά (v. 688), ὑπέρ (v. 308), πρός (vv. 302, 695), ἀπό (v. 683), ἄγχι (v. 652,
767, 793) u. a. markiert. Zahlreiche Präpositionen, die dieses „sequentiell-hodologische
Vorgehen“ zeigen, gibt es schon in Passagen des ionischen Geographen Hekataios von Milet
(6. Jh. v. Chr.)7.
Die Reihenfolge der pontischen Völker bei Dionysios ähnelt der durch Hekataios und
durch Ps.-Skylax repräsentierten geographischen Tradition8, besonders viele Parallelen finden
sich aber in der Geographie Strabons. Dies lässt auf gemeinsame Quellen für die Pontos-
Abschnitte des Strabon und des Periegetes schließen, die auf die ionische Tradition
zurückgehen9. Einzelne Völkernamen tauchen bei Dionysios als traditionelle, rein
geographische Begriffe auf, ohne einen ethnographischen Inhalt zu tragen – was auch mit den
antiken historiographischen Angaben in Einklang steht.
Die räumlichen Darstellungen der barbarischen Stämme werden bei Dionysios in
Form einer Aufzählung bzw. eines Katalogs geschildert10. Die dionyseïschen Kataloge
präsentieren in ihren einzelnen Begriffsreihen bestimmte Teile des Schwarzmeerraums. Der

6
GEHRKE (1998) 163–192. Zu dieser Weise der Raumorientierung in der Erdbeschreibung s.
oben: Teil I. Kap. 2. Das Weltbild des Dionysios Periegetes (Raumerfassung im Gedicht des
Dionysios Periegetes).
7
Vgl. FGrHist 1 Jacoby: µετά (F 43, 48, 73, 88, 106, 113a, 148, 166, 265, 266, 275); ἐς/µέχρι
(F 207, 222, 299); ἐπί (F 217); ἐκ – ἐς (F 335); ἀπό – µέχρι (F 289, 299); παρά (F 234, 255,
299); περί (F 291); κατά (F 141); ὑπέρ (F 73, 169); mehr dazu s.: GEHRKE (1998) 178–179.
8
Vgl. COUNILLON (2004b).
9
Mehr zu Parallelen zwischen den Geographika und der Erdbeschreibung s. oben: Teil I.
Kap. 2. Das Weltbild des Dionysios Periegetes (Die Quellenfrage: Strabon).
10
Mehr zur Form des Katalogs im Gedicht des Dionysios s. oben: Teil I. Kap. 3.
Gattungsaspekte (Die Erdbeschreibung des Dionysios als didaktisches Werk).

- 228 -
Teil II. Kap. 8. Pontische Völker und Stämme

katalogisierten Art der Dionysios-Erzählung entspricht der Aufbau des vorliegenden Kapitels:
Es wird im Folgenden nach den vier dionyseïschen pontischen Routen gegliedert, je mit der
analysierten griechischen Passage und mit einem knappen Überblick der geographischen
Vorstellungen des Dionysios über jede einzelne Route; es folgen ausführliche Überlegungen
zu jedem Bestandteil des Katalogs, wobei insbesondere die bei Dionysios auftretenden
Unterschiede zur früheren Tradition betont werden.

8.1 Die erste Route: Das nördliche Istros-Ufer entlang in Richtung


Maiotis-Mündung (Dion. Per. 302–310)

302 τοῦ µὲν πρὸς βορέην τετανυσµένα φῦλα νέµονται


πολλὰ µάλ' ἑξείης Μαιώτιδος ἐς στόµα λίµνης,
Γερµανοὶ Σαµάται τε Γέται θ' ἅµα Βαστάρναι τε,
305 ∆ακῶν τ' ἄσπετος αἶα καὶ ἀλκήεντες Ἀλανοί,
Ταῦροί θ', οἳ ναίουσιν Ἀχιλλῆος δρόµον αἰπὺν,
στεινὸν ὁµοῦ δολιχόν τε, καὶ αὐτῆς ἐς στόµα λίµνης.
Τῶν δ' ὑπὲρ ἐκτέταται πολυΐππων φῦλον Ἀλανῶν.
Ἔνθα Μελάγχλαινοί τε καὶ ἀνέρες Ἱππηµολγοί,
310 Νευροί θ' Ἱππόποδές τε Γελωνοί τ' ἠδ' Ἀγάθυρσοι
„Von diesem aus (sc. dem Istros) nun nach Norden erstreckt, liegen Stämme
hingegossen,
viele, ganz der Reihe nach bis an die Einmündung des Maiotischen Sees:
Germanen und Samaten, Geten und Bastarner zusammen,
und der Daker unsägliches Land und die wehrhaften Alanen
und die Taurer, welche wohnen auf dem schroffen Achilleuslauf,
dem engen und zugleich langen, und bis zur Einmündung des Sees selbst.
Über diese aber hinaus liegt der Stamm der pferdereichen Agaven ausgebreitet;
Da sind auch die Melanchlänen und die Hippemolgenmänner,
die Neurer und Hippopoden, Gelonen und Agathyrsen (Dion. Per. 302–310).

Im Weltbild des Dionysios fließt „der heilige Istros“ (heute Donau) gerade von
Westen nach Osten11. Dementsprechend tritt der Istros bei Dionysios als eine gedachte Breite
auf (wobei der in den Nordozean mündende Rhein eine Länge darstellen soll) und bildet den
Beginn einer „Route“; auf den beiden Seiten dieser Route werden dann die nördlichen (Dion.
Per. 302–320) und südlichen (Dion. Per. 321–329) Gebiete und in ihnen siedelnde Völker
beschrieben. Dies ähnelt im höchsten Grade dem Vorhaben des Strabon, der am Anfang
seines 7. Buches den östlichen Teil Europas zu beschreiben beginnt: Es geht ebenfalls zum
einen um das Gebiet jenseits des Rheins bis zum Tanais und der Mündung der Maiotis, zum

11
Ῥήνῳ δ' ἑξείης ἐπιτέλλεται ἱερὸς Ἴστρος / αὐτός, ἐς ἀντολίην τετραµµένος ἄχρι θαλάσσης
/ Εὐξείνου (Dion. Per. 298–300); anders bei Apoll. Rhod. IV 285–293: von Norden nach
Süden; bei Strabon VII 1, 1 C 289: zuerst nach Süden, dann in einer scharfen Biegung in
west-östlicher Richtung zum Pontos und kurz darauf wieder nach Norden. Mehr zum Istros in
der Erdbeschreibung s. unten: Teil II. Kap. 9. Pontische Gewässer und Gebirge.

- 229 -
Teil II. Kap. 8. Pontische Völker und Stämme

anderen um alles, was der Istros zwischen der Adria und der linken Seite des Pontos nach
Süden bis nach Griechenland und zur Propontis abtrennt (Strabo VII 1, 1 C 289).
Dionysios zählt nun die (Ost)germanen, die Sa[r]maten, die Geten, die Bastarner, die
Daker, die Alanen und die Taurer auf, die die Gegend am nördlichen Istros-Ufer und ferner an
der Nordküste des Pontos Euxeinos bis zur Maiotis-Mündung bewohnen; ihnen folgen die
Agaven die Melanchlänen, die Hippemolgen, die Neurer, die Hippopoden, die Gelonen und
die Agathyrsen, die ihren Wohnsitz im Binnenland haben – die sie beschreibende Route
verläuft nach Dionysios von der Maiotis-Mündung in nordwestliche Richtung weiter. Die
Raumorientierung erleichtern die dispositionellen Bemerkungen im dionyseïschen Text, die
für das hodologische Schema kennzeichnend sind (πρὸς βορέην, v. 302; ἑξείης ... λίµνης, v.
303; τῶν δ᾿ ὑπέρ, v. 308). Ähnlich erwähnt Strabon die nördlich vom Istros platzierten
„galatischen und germanischen Völker bis zu den Bastarnern, den Tyregeten und dem Fluss
Borysthenes und alle Völker, die sich zwischen diesem und dem Tanais und der Mündung des
Maiotischen Meeres ins Binnenland hinein bis zum Ozean erstrecken und vom Schwarzen
Meer bespült werden“ (Strabo VII 1, 1 C 289, Übers. v. S. Radt). Das 7. Buch des Strabon ist
fragmentarisch überliefert, was eine vollständige Analyse verhindert – die knappe
Inhaltsübersicht bei Strabon (VII 1, 1 C 289) lässt aber auf bestimmte Parallelen zwischen
den beiden Texten schließen.
Dionysios beginnt seine Aufzählung mit den Germanen (Γερµανοί, v. 304); dabei
unterscheidet er in seinem Werk die hier genannten Ostgermanen von den Westgermanen, den
Nachbarn der Bretaner (v. 285)12. Unter dem gemeinsamen Namen „Germanen“ sind hier
mehrere germanische Stämme in der Gegend östlich vom Rhein und in der Nähe der Istros-
Quellen gemeint13. Nach der altgriechischen geographischen Tradition bewohnten die Völker
der Kelten und Skythen Nordeuropa; in der hellenistischen und römischen Zeit14 wurden die
antiken Vorstellungen über den Wohnsitz und die Zahl der germanischen Völker erweitert. In
der Kaiserzeit wurden die Grenzen der germanischen Völker durch Agrippas Chorographie
endgültig festgelegt: Im Süden diente als Grenze der Fluss Istros (die heutige Donau), im
Westen der Rhein (Tac. Germ. 1, 2), im Norden der Ozean, im Osten der Fluss Visla15.
Die Form Γερµανοί stellt ein Lehnwort vom lateinischen Germanus dar16, das als
Verwandschaftsterminus benutzt wurde17. Bezeichnenderweise erklärt Strabon den Namen

12
S. ähnlich bei Strabon: „Von den Germanen wohnen, wie ich sagte, die nördlichen am
Ozean (...) zwischen dem Meer und den östlichen Germanen...“ (VII 2, 4 C 294, Übers. v. S.
Radt).
13
Vgl. ihre Aufzählung bei Strabon: VII 1, 3–5 C 290–292.
14
Insbesondere nach den Notizen des Cäsar: BG I 37, 3 f.; I 54, 1; IV 1–4; IV 16, 5; IV 19, 1–
4; VI 29, 1.
15
Vgl. Strabo I 2, 1 C 14; II 5, 28–30 C 128–129; IV 4, 2–5 C 195–198; VII 1, 1 C 289; VII
2, 3–4 C 294; Mela I 19; III 24–33; Plin. nat. hist. IV 80–81; IV 97–100; Ptol. Geogr. III 5, 1;
Demens. prov. 8, 19. S. auch: CÜPPERS, GROSSE (1967) 762–766; WIEGELS, SPICKERMANN,
BARCELÓ (1998) 954–963, s. auch: DOBESCH (1982) 77–99.
16
Vgl. Germani, Avien. Descr. 442; Germanique truces, Prisc. Per. 294; Γερµανοί, Eust. ad
Dion. Per. 302.
17
BENVENISTE (1969) 213.

- 230 -
Teil II. Kap. 8. Pontische Völker und Stämme

Γερµανοί ähnlich über das lateinische germani: „(…) scheinen mir die Römer ihnen [sc. den
Germanen] auch diesen Namen gegeben zu haben, als hätten sie sie als echte Galaten
bezeichnen wollten (in der Sprache der Römer bedeutet ‚Germanen’ nämlich ‚die Echten’“
(Strabo VII 1, 2 C 290; Übers. v. S. Radt, Hervorhebung E. I.). Falls diese Meinung akzeptiert
würde, so müsste Γερµανοί im dionyseïschen Kontext als Beiwort zum Ethnonym „Sarmaten“
betrachtet werden. Die kopulative Partikel τέ wird aber normalerweise bei der Aufzählung
von gleichartigen Substantiven oder Adjektiven verwendet. Auf diese Weise lassen sich die
hier von Dionysios erwähnten Ethnonyme in Gruppen aufteilen: z. B. „Germanen und
Sa[r]maten“ (was die Variante „germanische Sa[r]maten“ ausschließt), „Geten und
Bastarner“, „Daker und Alanen und Taurer“ usw.
Den Germanen benachbart befinden sich die Sa[r]maten (Σαµάται, v. 304). Das
Ethnonym „Sarmaten“ kommt zum ersten Mal bei Ps.-Skymnos vor (Ps.-Scymn. F 16
Marcotte = 874-885 Müller: Σαρµάται) und wird nicht mit den Syrmatai (Συρµάται) des Ps.-
Skylax (68) gleichgesetzt18. Die Sarmaten unterscheiden sich auch von den Sauromaten
(Σαυροµάται)19, die die Gegend im Nordosten vom Tanais (Herod. IV 21, IV 57) besiedeln.
Dionysios erwähnt in seiner Periegese sowohl die Sarmaten (v. 304) als auch die Sauromaten
(vv. 14, 652 ff., 680 ff.), wobei einige Autoren der Kaiserzeit (z. B. Plinius der Ältere)20 beide
Ethnonyme vereinigen. In der römischen Zeit war der Terminus „Sarmaten“ weit verbreitet:
Er bezeichnete meistens Stämme, die nach der Expansion der Sarmaten weit nach Westen
vom Tanais vorrückten21.
Wegen des Versmaßes lässt Dionysios das griechische ρ fallen: Σαµάται. Der
byzantinische Kommentator seines Gedichtes, Eustathios von Thessalonike bemerkt:
„Samaten, d. h. die Sarmaten (infolge eines weggelassenen unveränderten ρ)“ (Eust. ad Dion.
Per. 302)22. In den lateinischen Übersetzungen der Periegese trifft man Sarmata (Avien.
Descr. 442) und Sarmata bellax (Prisc. Per. 294).
Zwischen den miteinander verwandten Geten und Dakern platziert Dionysios die
Bastarner (Βαστάρναι, v. 304), die sich zum ersten Mal im Periplus des Ps.-Skymnos finden
(Βαστάραναι ἐπήλυδες, Ps.-Scymn. F 8 Marcotte = 797 Müller)23. Seit dem 3. Jh. v. Chr.
verbreiteten sich die bastarnischen Stämme in der Gegend zwischen Olbia und dem Istros-
Delta24. Aufgrund verschiedener antiker Zeugnisse25 werden die Bastarner entweder zum

18
MARCOTTE (2002) 251–252.
19
ROSTOVTSEF (1922) 114; BASCHMAKOFF (1948) 27; COUNILLON (2004a) 78.
20
Plin. nat. hist. VI 16, VI 19, IV 80: Sarmatae Graecis Sauromatae.
21
Polyb. XXVI 6, 13; Polyaen. VIII 56; vgl. bei Strabon: nordwestlich vom Borysthenes, VII
3, 17 C 306. S. auch: RIESE (1881) 211–214 ; KRETSCHMER (1920) 2542–2550; SULIMIRSKI
(1970); VOLKMANN (1972) 1575; V. BREDOW (2001a) 83–85.
22
Σαµάται, ἤτοι Σαρµάται, κατὰ ἔλλειψιν τοῦ ρ ἀµεταβόλου, ὡς προγέγραπται (Eust. ad
Dion. Per. 302). Vgl.: „man musste ‚Sarmaten’, und nicht ‚Samaten’ sagen, die Kraft des
Metrums hat aber ρ hinausgestoßen (...)“ (Σαρµάται ἔδει εἰπεῖν καὶ οὐ Σαµάται; ἀλλ᾿ ἡ τοῦ
µέτρου βία ἐξώθησε τὸ ρ (...), Schol. ad Dion. Per. 304).
23
MARCOTTE (2002) 243.
24
IOSPE I² 32; Pomp. Trog. 28; vgl. Strabo VII 3, 17 C 306, wo ein Teil des Volkes die Insel
Peuka besiedelt . S. auch: v. BREDOW, TOKHTASJEV (2001) 487.

- 231 -
Teil II. Kap. 8. Pontische Völker und Stämme

germanischen oder keltischen, oder zum sarmato-thrakischen oder illyrischen


Stammesverband gezählt26.
Die Nachbarschaft der Bastarner zu den Germanen und Geten bei Dionysios erinnert
in gewissem Maße an den Bericht des Strabon: „Im Binnenland [sc. im Zwischenraum
zwischen dem Borysthenes und dem Istros] wohnen einmal die Bastarner, die an die
Tyregeten und Germanen grenzen und auch selber mehr oder weniger zu dem germanischen
Volksstamm gehören, in mehrere Stämme unterteilt“ (VII 3, 17 C 306, Übers. v. S. Radt). So
kann man vermuten, dass die Bastarner auch bei Dionysios eher im Binnenland platziert
werden müssen. Im Kommentar des Eustathios von Thessalonike gibt es keine zusätzlichen
Angaben zu den Bastarnern; sie werden von ihm nur in einem Zitat aus dem dionyseïschen
Gedicht erwähnt (Βαστάρναι: Eust. ad Dion. Per. 302)27.
Über den nordthrakischen Stamm der Geten schreiben schon Herodot (IV 93–97)28
und Strabon (VII 3, 11–12 C 303–304 u. a.), deren Zeugnisse Eustathios in seinem
Kommentar nacherzählt (Eust. ad Dion. Per. 304)29. Die Geten (Γέται τε..., Dion. Per. 304)
besiedelten die pontische Küste bei der unteren Strömung der Donau, die ihnen verwandten
Daker (∆ακῶν τ᾿ ἄσπετος αἶα, Dion. Per. 305) nahmen die kontinentalen Gebiete ein: „Es
gibt noch eine andere Einteilung des Landes [sc. der Geten], die sich von alters her erhalten
hat. Man bezeichnet die Einwohner nämlich teils als Daker teils als Geten: Geten nennt man
die zum Schwarzen Meer hin und nach Osten, Daker die in entgegengesetzter Richtung nach
Germanien und den Quellen des Istros sich Erstreckenden“ (Strabon VII 3, 12 C 304, Übers.
v. S. Radt)30. Um die Zeitenwende und in der römischen Zeit werden die beiden ethnischen
Bezeichnungen, „Geten“ und „Daker“, langsam gleichgesetzt: Es ist eine bekennzeichnende
Präzisierung des Plinius des Älteren über die am Istros lebenden Geten bekannt, die „die
Römer Daker nennen“ (Getai, Daci Romanis dicti) (nat. hist. IV 80). Die Daker wurden mit
den Thrakern identifiziert und zu den mit den Geten verwandten Stämmen gezählt31.
Periegetes aber unterscheidet Geten und Daker, der alten vorrömischen Tradition
entsprechend: Er platziert zwischen den beiden Stämmen die Bastarner und spricht von einem

25
Posid. F 277a Edelstein – Kidd; Polyb. XXV 6; Diod. XXX 19, XXXI 14; Strabo VII 3, 17
C 306; Plut. Aem. Paul. 9, 12, 13; Tac. Germ. 46; Plin. nat. hist. IV 80–81; Liv. XLIV 26–27,
XL 5, 57–58; App. Mithr. XV 69, 71; Cass. Dio 51, 23.
26
IHM (1897) 110–113; CÜPPERS (1964) 838–839.
27
Vgl.: Basternaeque feroces (Avien. Descr. 442), Bastarnae semina gentis (Prisc. Per. 295);
die lateinische Form des Ethnonyms ist verschieden überliefert: bastarnae (Liv. XL 5, 57, 58;
XLI 19, 23, XLIV 26; Mon. Ancyranum, CIL XIV 3608; Tac. Germ. 46, vgl. Ann. II 65:
basternas); batarnas (Val. Flacc. VI 96); basternae (Trog. Pomp. prol. 28, 32; Ovid. Tr. II
198; Plin. nat. hist. IV 100, vgl. basternaei IV 81; bastrenis VII 98; SHA Probus 18; Eutrop.
IX 25; Oros. IV 20, 34); blastarni (Tab. Peut.).
28
ASHERI (1990) 152.
29
S. auch bei: Thuc. (II 96–98); Ps.-Scymn. F 8 Marcotte = 797 Müller; Mela II 16; Serv. ad
Verg. Aen. III 35; Schol. ad Hor. carm. III 24, 11.
30
WEISS (1912) 1330–1334; DANOFF (1967b) 787–789; V. BREDOW (1998a) 1025–1027;
BOSHNAKOV (2004) 206, 210 u. a.
31
Strabo VII 3, 11 und 13 C 304 und 305; Iustin. XXXII 3, 16. S. auch: BRANDIS (1901)
1948–1976; BURIAN, KRAMER (1997) 277–280.

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Teil II. Kap. 8. Pontische Völker und Stämme

„unendlichen Land der Daker“ (∆ακῶν τ᾿ ἄσπετος αἶα, v. 305), d. h. Dionysios lokalisiert die
Daker in einem weitläufigen Gebiet fern von der Meeresküste32.
Die darauf folgenden Alanen (Ἀλανοί, v. 305)33 waren ein irano-sarmatisches
Nomadenvolk, das ursprünglich eine Steppenregion nördlich vom Kaukasus und vom
Kaspischen Meer bewohnt hat (s.: Arr. Acies contra Alanos)34. Der Name „Alanen“ geht auf
*Aryana- zurück, d. h. eine Variante der altertümlichen Form ārya, die im iranischen Areal
als Ethnonym verwendet wurde35. Einige alanische Stämme waren bis zu den Istros-
Mündungen vorgerückt, von wo aus sie gelegentlich Streifzüge in die römischen Provinzen
unternahmen36.
Bei Dionysios werden die Alanen westlich von der Rennbahn des Achilles,
wahrscheinlich in den Gebieten westlich vom Borysthenes lokalisiert37. Der Beiname
ἀλκήεντες („starke“) findet sich nochmals bei Dionysios an derselben metrischen Position in
einem ähnlichen Katalog der pontischen Völker, bei der Erwähnung der Achaier (ἀλκήεντες
Ἀχαιοί, v. 682), und stellt vielleicht eine Parallele zu den pindarischen ἀλκάεντας ∆αναούς
(Pind. Ol. IX 72) dar.
Den Küsten-Teil der Route beendet Dionysios mit den Taurern (Ταῦροι, v. 306). Sie
werden gewöhnlich als die ältesten Bewohner der Gebirgsteile der heutigen südwestlichen
Krim, der Halbinsel Taurica, angesehen, die von der Räuberei lebten38. Dionysios siedelt die
Taurer im Gebiet vom Achilleos Dromos bis zur Maiotischen Mündung an (vgl. den Stamm
der Taphrier – Τάφριοι – auf dem Achilleos Dromos bei Strabon VII 3, 19 C 308). Der
Ἀχιλλῆος δρόµος („Rennbahn des Achilles“) wird mit den heutigen Landzungen Tendera und

32
Die Lage Dakiens ist aus der plinianischen Nacherzählung der Chorographie des Agrippa
(Plin. nat. hist. IV 81) und aus einem lateinischen geographischen Traktat (Divisio orbis
terrarum 14 Riese) bekannt; vgl. auch die Erwähnungen von Geten und Dakern in den
lateinischen Übersetzungen der dionyseïschen Periegese von Avienus und Priscianus: Geta …
Dacorumque ... populi (Avien. Descr. 442–443), Getae … Dacorumque manus (Prisc. Per.
295–296).
33
In der Pariser Handschrift, die den Text des Dionysios überliefert (Suppl. gr. 388, 10. Jh.),
wird das Ethnonym „Alanen“ zweimal angegeben: In v. 305 mit einem Beiwort „starke
(Alanen)“, und in v. 308 „der Stamm rossreicher Alanen“. Diese Lesart bestätigt die
Bemerkung des Eustathios zum Vers 305: „Alanos heißt ein Berg in Sarmatien, wovon
anscheinend auch die Alanen den Namen bekommen haben sollen, die Dionysios stark und
rossreich nennt“ (Eust. ad Dion. Per. 305). In anderen Manuskripten (V1 – Vatic. gr. 1702,
saec. XIII/XIV; V24 – Vatic. gr. 902, saec. XIV; λ – Laur. Conv. Soppr. 158, saec. XIV; F –
Paris. gr. 2562, saec. XIV/XV) aber liest man statt „der Stamm rossreicher Alanen“ „der
Stamm rossreicher Agauen“ (ausführlicher dazu s. unten vv. 308–309). Diese Lesart bestätigt
der lateinische Text des Priscianus (martia pectora Alani, Per. 296 und equites supra celeres
Agaui, Per. 299); bei Avienus finden sich nur die Alanen: acer Halanus (Descr. 443).
34
TOMASCHEK (1893²) 1282–1285; V. BREDOW (1996b) 431–432.
35
BENVENISTE (1969) 241.
36
Plin. nat. hist. IV 80; Lucian. Tox. 51; SHA IV 22, 1; III 5, 5; XIX 4, 5; Amm. Marc. XXVI
11, 6; vgl. Ptol. Geogr. III 5, 7, wonach die Alanen zur Gegend des Uralflusses gehörten.
37
S.: ALEMANY (2000) 133–134; MILLAR (1967) 288.
38
Vgl. Herod. IV 103; Ps.-Scymn. F 12 Marcotte = 822-834 Müller; Diod. III 43, 5; Mela II
11; Parad. Vat. 60 Gianinni.

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Teil II. Kap. 8. Pontische Völker und Stämme

Djarilgač bei der Dnepr-Mündung identifiziert39. Dass Dionysios aber bei der Rennbahn des
Achilles den Stamm der Taurer lokalisiert, lässt möglicherweise auf eine Identifizierung der
Rennbahn des Achilles mit der südlichen oder westlichen Küste der Krimhalbinsel
schließen40. Ausführliche Nachrichten über die Lage der Rennbahn des Achilles findet man
bei Strabon (VII 3, 19 C 307-308), worauf Eustathios in seinem Kommentar verweist (Eust.
ad Dion. Per. 306). Bei Eustathios findet sich auch eine Legende über die Herkunft des
Ethnonyms „Taurer“: „Der Stamm der Taurer soll den Namen vom Stier bekommen haben,
da Osiris dort einen Stier eingespannt und gepflügt hat … Artemis heißt auch Tauropolos
anscheinend von diesen Taurern, da die Göttin sie wohl förderte, dass diese für sie die
Fremdlinge töteten“ (Eust. ad Dion. Per. 306)41.
Auf verschiedene Weise übersetzen überliefern Avienus und Priscianus diese Passage
des Dionysios: incola Taurisci Scytha litoris (Avien. Descr. 444) – atque Dromon Tauri
retinentes fortis Achilli / angustum et longum, Maeotidis ostia iuxta (Prisc. Per. 297-298).
Wahrscheinlich sieht man hier die widersprüchliche antike Tradition über die Herkunft und
die ethnische Zugehörigkeit der Taurer: So unterscheidet Herodot die Taurer von den
Skythen, Strabon aber nennt die Taurer einen „skythischen Stamm“ (Strabo VII 4, 2 C 308
und 5 C 310-311)42.
Die von Dionysios am Anfang des Verses 308 verwendete Konstruktion mit der
Präposition ὕπερ+gen. (τῶν δ᾿ ὕπερ) bezeichnet in diesem Fall „über, jenseits, oberhalb“, d.h.
verweist auf die Richtung weiter landeinwärts. Deshalb wohnen die im Weiteren
beschriebenen Stämme in den inneren Gebieten und nicht an der Küste, wobei auch ab v. 308
ihre Aufzählung von Osten (von der Grenze „des europäischen Teiles“ der Oikumene, von der
Maiotis und vom Tanais) nach Nordwesten geht.
Wie schon oben bemerkt wurde, wird im Codex Paris. Suppl. gr. 388 (10. Jh.) und im
Kommentar des Eustathios in v. 308, wie auch oben in v. 305, die Lesart Ἀλανῶν (sc. φῦλον)
(„Alanen“) überliefert; in den übrigen späteren Manuskripten steht an dieser Stelle Ἀγαυῶν
(πολυΐππων φῦλον Ἀγαυῶν, v. 308)43. Es scheint vernünftig, dieses Volk der Agaven mit den
weiter unten aufgezählten Hippemolgen (πολυΐππων φῦλον Ἀγαυῶν ... καὶ ἀνέρες
Ἱππηµολγοί, vv. 308-309) gemeinsam zu analysieren, da die dionyseïschen Verse 308-309
offenkundig eine homerische Passage aufgreifen:
39
TOMASCHEK (1894) 221.
40
Vgl. Herod. IV 55; IV 76; Ps.-Scyl. 68; Ps.-Scymn. F 11 Marcotte = 820–821 Müller; Diod.
III 44; Plin. nat. hist. IV 83; Mela II 5; Arr. PPE 21 ff.; Anom. PPE 53; Amm. Marc. XXII 8,
41.
41
Οἱ δὲ Ταῦροι τὸ ἔθνος ἀπὸ τοῦ ταύρου τοῦ ζώου, φασὶ, καλοῦνται, διὰ τὸ ἐκεῖ τὸν Ὄσιριν
ζεύξαντα βοῦν ἀρόσαι γῆν. (...) Καὶ ἡ Ἄρτεµις δὲ Ταυροπόλος ἀπὸ τούτων δοκεῖ τῶν Ταύρων
λέγεσθαι, οἷς ἔχαιρεν ὡς ξενοκτονοῦσιν ἐπ' αὐτῇ (Eust. ad Dion. Per. 306). Vgl.: Eust. ad
Hom. Il. II 48, über die Herkunft des Namens „Tauroi“ und die Epiklese der Artemis; s. auch:
HALL (1987) 427–433.
42
Vgl. Nic. Dam. F 42 Giannini; Plin. nat. hist. IV 85; Ptol. Geogr. III 5, 25. S. auch:
HERRMANN (1934) 20–24; DANOFF (1962) 866–1175; DANOFF (1975b) 544; V. BREDOW
(2002b) 56.
43
Vgl. die Alanen bei Amm. Marc. XXII 8, 31 in einer Liste mit den Melanchlänen, Gelonen
und Agathyrsen. S. auch: NICOLAI (1992) 482.

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Teil II. Kap. 8. Pontische Völker und Stämme

αὐτὸς δὲ (sc. Ζεύς) πάλιν τρέπεν ὄσσε φαεινὼ


νόσφιν ἐφ' ἱπποπόλων Θρῃκῶν καθορώµενος αἶαν
Μυσῶν τ' ἀγχεµάχων καὶ ἀγαυῶν ἱππηµολγῶν
γλακτοφάγων Ἀβίων τε δικαιοτάτων ἀνθρώπων
„Er selbst (sc. Zeus) aber wandte ab die leuchtenden Augen,
Herabblickend fern auf das Land der rossepflegenden Thraker
Und der Myser, der Nahkampfstreiter, und der erlauchten Hippemolgen,
Der milchtrinkenden, und der Abier, der gerechtesten der Menschen.“
(Hom. Il. XIII 3-6, Übers. v. W. Schadewaldt)

Wie man sieht, werden in der Ilias (XIII 5-6) zwei Völker erwähnt: das eine „der erlauchten
Hippemolgen, der milchtrinkenden“ (ἀγαυῶν ἱππηµολγῶν γλακτοφάγων), wo ἀγαυοί
(„erlauchte, ehrwürdige, edle“) als Formelbeiwort auftritt, und das andere Volk „der Abier,
der gerechtesten der Menschen“ (ἀβίων δικαιοτάτων ἀνθρώπων)44. Dionysios übernimmt das
homerische Epitheton ἀγαυῶν und verwendet es als Ethnonym φῦλον Ἀγαυῶν („Agaven“).
Das dionyseïsche Epitheton der Agaven πολυΐππων („rossreiche“) seinerseits stellt
möglicherweise eine Kontamination vom homerischen Beiwort der Thraker ἱπποπόλων (Hom.
Il. XIII 4) dar.
Entsprechend wird das homerische hapax legomenon ἱππηµολγοί (aus ἵππος und
ἀµέλγω, d.h. „Stutenmelker, milchtrinkende“, Hom. Il. XIII 5; vgl. die Diskussion darüber bei
Strabon VII 3, 2 C 296) bei Dionysios zum Ethnonym Ἱππηµολγοί (vgl. Σκύθαι ἱππηµολγοί,
Hesiod. F 150 Merkelbach-West; ἱππηµολγῶν Κιµµερίων, Call. h. III 252-253; Ἱππηµολγοί
Strabo VII 3, 2 C 296 u.a.; σκυθικαῖς ἱππηµολγίαις, Anon. PPE, р. 167 Hoffmann).
Zwischen den Agaven und den Hippemolgen platziert Dionysios die Melanchlänen
(Μελάγχλαινοι, v. 309). Hekataios hielt sie für Skythen (FGrHist I F 185 Jacoby = Steph.
Byz. s.v.), Herodot jedoch für einen nichtskythischen Stamm (IV 20)45. Ihren Wohnsitz setzt
Herodot 20 Tagesreisen nördlich von der Pontosküste, nördlich von den königlichen Skythen
(IV 20, 101), östlich von den Androphagen (IV 20, 100, 102) und westlich von den Gelonen
und Budinen (IV 20, 102) an. Einige antike Autoren erwähnen die Melanchlänen in der
Gegend zwischen dem Borysthenes und der Maiotis (Amm. Marc. XXII 8, 31), die anderen
an der Küste von Kolchis46.
Über die Melanchlänen, die von Dionysios in einer Reihe mit den Agaven und
Hippemolgen erwähnt werden, wird in den Scholien Folgendes berichtet: „Es sind
Bezeichnungen der Völker; es kann sein, dass sie die Bezeichnungen aus den tatsächlichen

44
S. dazu: IVANCHIK (2005) 18–22; eine andere Interpretation s. bei: RENGAKOS (1993) 146.
45
HARMATTA (1941) 38 ff.; PLEZIA (1959–1960) S. 21–35.
46
Vgl. Ps.-Scyl. 79; Ps.-Scymn. F 20 Marcotte = 929-937 Diller; Mela I 110, II 14; Plin. nat.
hist. VI 15; Ptol. Geogr. V 8, 17-25. S. dazu: COUNILLON (2004a) 88–89, sowie: HERRMANN
(1931) 407; DANOFF (1969c) 1161; v. BREDOW, TOKHTASJEV (1999) 1167. Avienus lässt
Agauen und Hippemolgen aus und erwähnt nur Melanchlänen: Indeque rursum / Dira
Melanchlaeni gens circumfusa vagatur (Descr. 444–445). Bei Priscianus sind alle drei
Stämme aufgezählt: Hos equites supra celeres funduntur agavi, / atque melanchlaenum
populus metuendus in arcu; / post hippemolgi sunt… (Per. 299–301).

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Teil II. Kap. 8. Pontische Völker und Stämme

Gründen bekommen haben. Sie wurden auch von Homer erwähnt, als er über die Mysier
sprach. Die einen meinten, dass die Melanchlänen aufgrund ihrer Kleidung, die anderen
aufgrund ihrer Nahrung, und die dritten aufgrund ihrer Hautfarbe so genannt wurden“ (Schol.
ad Dion. Per. 309)47. Der Scholiast irrt sich: Bei Homer findet man keine Erwähnung der
Melanchlänen. Es ist doch interessant, dass die Scholien, wo die Melanchlänen zusammen mit
den Agaven und den Hippemolgen aufgelistet werden, dadurch nochmals eine Abhängigkeit
des dionyseïschen Abschnittes von der homerischen Passage bestätigen.
Das auf die Melanchlänen und die Hippemolgen folgende Volk der Neurer (Νευροί,
v. 310) ist nach Herodot entlang der Hypanisströmung und westlich vom Borysthenes zu
lokalisieren, in der so genannten Νευρίδα γῆ (Herod. IV 51, 125). Es kann sein, dass die
Neurer kein skythisches Volk sind: Herodot nennt sie unter den Stämmen, die an den Grenzen
mit Skythien landeinwärts vom Istros wohnen48. Die Forschung zählt die Neurer entweder zu
den vorslavischen Völkern, oder zu den Normannen, den Kelten oder den Balten49.
In seinem Kommentar berichtet Eustathios, dass die Neurer einst ihr Land wegen der
Schlangen verlassen hätten und als Zauberer gälten. Nach Herodot (IV 105) wird jeder Neurer
einmal pro Jahr für ein paar Tage in einen Wolf verwandelt und danach wieder in einen
Menschen. Eustathios bemerkt auch, dass man νεβρός („der junge Hirsch“) mit β schreibt,
während der Volksname Νευροί oder Νευρίται mit dem Diphthong ευ geschrieben wird (Eust.
ad Dion. Per. 310)50. Die letzte Bemerkung lässt sich wahrscheinlich dadurch erklären, dass
der Dionysios-Text im 12. Jh. immer noch fürs Vorlesen bestimmt war.
Der Stamm der „Pferdefüßer“, der Hippopoden (Ἱππόποδες, v. 310), wohnt nach
Dionysios anscheinend in den Steppen des europäischen Sarmatien (ähnlich bei Ptol. Geogr.
III 5, 10). Im 1. Jh. erwähnt Pomponius Mela die Hippopoden auf den namenlosen Inseln im
Nordozean gegenüber der europäischen Küste (Mela III, 56; vgl. Plin. nat. hist. IV 95). In der
späteren Tradition tritt dieser Name als Inselbezeichnung auf: Hippopodes insula (Iul. Honor.
Cosmograph. 3: im Ostteil des Ozeans, und 29: im Norden des Ozeans; hrsg. v. Riese; Iordan.
Get. I; Anon. Rav. V 29)51. Es ist auch ein skythisches Volk γύποδαι bzw. γυµνόποδαι aus
den späteren Scholien zum Prometheus des Aischylos bekannt (Schol. ad Aesch. 712).
Avienus schreibt in seiner lateinischen Nacherzählung der dionyseïschen Periegese nichts

47
Ὀνόµατα ταῦτα ἐθνών· καὶ ἴσως ἐκ τοῦ συµβεβηκότος ἐκλήθησαν. Τούτων δὲ καὶ ὁ
Ποιητὴς ἐµνήσθη, ὅτε καὶ περὶ τῶν Μυσῶν ἔλεγεν. Ἄλλοι δὲ ἀπὸ τῆς ἐσθῆτος, οἱ δὲ ἀπὸ τῆς
τροφῆς, ἕτεροι δὲ ἀπὸ τοῦ χρώµατος τούτους ὀνοµασθῆναι ὑπενόησαν (Schol. ad Dion. Per.
309).
48
Agathyrsen, Neurer, Androphagen, Melanchlänen – IV 100; 102; 119; vgl. Mela II 7; Plin.
nat. hist. IV 88; Solin. XV 1.
49
TAKHTAJAN (2001) 225–241. Das Ethnonym „Neurer“ wurde verschieden überliefert:
Νευροῦται (Ps.-Scymn. 104), Neuri (Mela II 7, 14), Neuroe (Plin. nat. hist. IV 88), Nerui
(Amm. Marc. XXXI 2, 14), Νεῦροι, Νευρίται (Suid. s.v.). Ausführlicher s.: HERRMANN
(1936a) 158–161; DANOFF (1972) 86; v. BREDOW (2000) 880. Vgl.: Proxima Neurorum regio
est (Avien. Descr. 446), Geloni cum Neuris (Prisc. Per. 302).
50
Σηµείωσαι δὲ ὅτι νεβρός µὲν τὸ γέννηµα τῆς ἐλάφου διὰ τοῦ β γράφεται, Νευροί δὲ τὸ
ἐθνικὸν, οἱ καὶ Νευρῖται, διὰ τῆς ευ διφθόγγου (Eust. ad Dion. Per. 310).
51
S.: KIESSLING (1913b) 1913.

- 236 -
Teil II. Kap. 8. Pontische Völker und Stämme

über die Hippopoden, sie werden aber von Priscianus erwähnt: Hippopodesque potentes (Per.
301). Eustathios identifiziert die Hippopoden mit den Chazaren (Eust. ad Dion. Per. 302).
Die erste pontische Route des Dionysios wird mit den skythischen Stämmen der
Gelonen und der Agathyrsen (Γελωνοί τ᾿ ἠδ᾿ Ἀγάθυρσοι, v. 310) beendet. Bei Herodot
kann man den wichtigsten Bericht über die beiden Stämme52 finden53. Eustathios stützt sich
auf die Version des Herodot: „Gelonos und Agathyrsos waren Söhne des Herakles; von ihnen
stammen die Stämme Gelonen und Agathyrsen, die nördlich des Istros wohnen“ (Eust. ad
Dion. Per. 310)54. Nach Herodot55 sind die Agathyrsen die nächsten Nachbarn der Skythen
und der Neurer. Herodot berichtet auch, dass im Gebiet der Agathyrsen der Fluss Maris (heute
Maroš) fließt (IV 48); das lässt einige Forscher die Agathyrsen in Siebenbürgen lokalisieren
und sie für Thrakier, Vorfahren der Geten (Daker), halten56.
Dionysios aber siedelt die Agathyrsen im äußersten Norden Europas an: Darauf
weisen die nächsten Verse der Periegese hin, in denen der nördliche Teil der Oikumene mit
den Rhipäischen Bergen und den Flüssen Aldeskos und Pantikapes beschrieben wird (vv.
311-319)57. Kennzeichnend dabei ist auch das feste Eigenschaftswort der zum zweiten Mal
erwähnten Agathyrsen: ψυχροὶ Ἀγάθυρσοι („die kalten Agathyrsen“, v. 319), das von
Dionysios im geographischen Sinne benutzt wird und die nördliche (bzw. zum Norden
gehörende) Lage des Volkes betont. Der ganze Kontext dieser Passage weist darauf hin, dass
die Agathyrsen sich an der Länge Borysthenes–Kyaneen im Norden, am Rhipäischen Gebirge
befinden. In seiner dichterischen Paraphrase schreibt Avienus über die Gelonen und
Agathyrsen: Celeresque geloni, / Praecinctique sagis semper pictis agathyrsi (Descr. 446-
447), die für Hirten und Reiter spezifische Kleidung (sagum) beachtend. Im Unterschied zu
Avienus bemerkt Priscianus die Körperbemalung bzw. Tätowierung der Agathyrsoi: Atque
gelonus cum neuris pictique agathyrsi (Per. 302)58.

52
Gelonen: IV 108–109; s. auch: IV 102, 119–123, 136; Agathyrsen: IV 100; 102; 119; 125
u.a.
53
Vgl. die Erwähnungen bei Ps.-Scylax (80); Ephor. FGrH 70 F 158 und 159 Jacoby = Eux.
11 V 30 (§ 49 Müller) und 11 R 14–20 (§ 44-45 Müller); Plin. nat. hist. IV 80, 88, VI 14–16,
21, 88; Mela I 110, 116; II 2, 14; Solin. 15, 3; Amm. Marc. XXII 8, 29 (der aber in XXXI 2,
13 die Gelonen östlich des Tanais ansiedelt). Ausführlicher dazu s.: KIESSLING (1912) 1014–
1018; DANOFF (1967a) 730.
54
Ὅτι Ἡρακλέος υἱοὶ Γελωνὸς καὶ Ἀγάθυρσος, ἐξ ὧν ἔθνη βορειότερα τοῦ Ἴστρου οἱ
Γελωνοί τε καὶ οἱ Ἀγάθυρσοι (Eust. ad Dion. Per. 310).
55
IV 100; 102; 125; vgl. Ephor. FGrH 70 F 158 und 159 Jacoby.
56
TOMASCHEK (1893a) 764–765, bes. 764; vgl. auch: DANOFF (1964) 122; v. BREDOW (1996a)
243.
57
Ausführlicher zum Klima und zur Landschaft des nördlichen Teils s. oben: Teil II. Kap. 7.
Klima und Landschaft des nördlichen Schwarzmeergebiets.
58
Vgl.: picti Agathyrsi (Verg. Aen. IV 146) und pictosque Gelones (Verg. Georg. II 115); s.
auch die ähnlichen Zeugnisse bei Mela (II 10: ora artusque pingunt), Plinius d. Älteren (nat.
hist. IV 26), Solin (20), Ammianus Marcellinus (XXII 8, XXXI 2, 14), Claudianus in Rufin. I
113, die alle wahrscheinlich auf die Nachrichten des Herodot (V 6) über die Körperbemalung
der Thrakier zurückgehen. Aufgrund dieser antiken Zeugnisse vermutet CL. SALMASIUS
(1689, 133 E), dass die Agathyrsen ihre Körper mit blauen und roten Farben bemalten.

- 237 -
Teil II. Kap. 8. Pontische Völker und Stämme

Also kann man sehen, dass die Beschreibung der ersten pontischen Route bei
Dionysios eine gemischte Form darstellt: Hier gilt sowohl ein periploitisches Schema – die
Küste entlang, als auch ein chorographisches – im Binnenland.

8.2 Die zweite Route: Um die Maiotis herum und die nordöstliche
(kaukasische) Küste des Pontos entlang (Dion. Per. 652–689)
Auf den dionyseïschen Katalog der entlang dem Istros wohnenden Völker folgen die
Beschreibungen des südlichen Europas (Iberiens, Italiens und Griechenlands) und der Inseln
im Mittelmeer und im Ozean. Danach kommt Dionysios zur Erzählung über den asiatischen
Teil der Oikumene. Seine Aufzählung der Völker Nordasiens beginnt der Perieget traditionell
vom westlichsten Punkt des Kontinents aus59, nämlich vom Maiotischen See und vom Tanais-
Gebiet – da nach den meisten antiken Vorstellungen Asien von Europa durch den Tanais
getrennt wird60. Zwei Teile dieser Völkerreihe werden durch einen Exkurs über den
skythischen Winter am Tanais unterbrochen61.

652 ἤτοι µὲν λίµνης Μαιώτιδος ἄγχι νέµονται


αὐτοὶ Μαιῶταί τε καὶ ἔθνεα Σαυροµατάων,
ἐσθλὸν ἐνυαλίου γένος Ἄρεος· ἐκ γὰρ ἐκείνης
655 ἰφθίµης φιλότητος Ἀµαζονίδων ἐγένοντο,
τήν ποτε Σαυροµάτῃσιν ἐπ' ἀνθρώποισι µίγησαν,
πλαγχθεῖσαι πάτρηθεν ἀπόπροθι Θερµώδοντος.
τοὔνεκα καὶ παῖδες µεγαλήτορες ἐξεγένοντο,
ὕλην ναιετάοντες ἀπείριτον, ἧς διὰ µέσσης
660 συρόµενος Τάναϊς Μαιώτιδος ἐς µέσα πίπτει (...)

680 Σαυροµάτας δ' ἐπέχουσιν ἐπασσύτεροι γεγαῶτες


Σινδοὶ Κιµµέριοί τε καὶ οἱ πέλας Εὐξείνοιο
Κερκέτιοι Τορέται τε καὶ ἀλκήεντες Ἀχαιοί,
οὕς ποτ' ἀπὸ Ξάνθοιο καὶ Ἰδαίου Σιµόεντος
πνοιαὶ νοσφίσσαντο νότοιό τε καὶ ζεφύροιο,
685 ἑσποµένους µετὰ δῆριν Ἀρητιάδῃ βασιλῆϊ.
τοῖς δ' ἐπὶ ναιετάουσιν, ὁµούριον αἶαν ἔχοντες,
Ἡνίοχοι Ζύγιοί τε, Πελασγίδος ἔκγονοι αἴης.
πὰρ δὲ µυχὸν Πόντοιο, µετὰ χθόνα Τυνδαριδάων,
Κόλχοι ναιετάουσι, µετήλυδες Αἰγύπτοιο,
690 Καυκάσου ἐγγὺς ἐόντες (...)

59
Zur Raumorientierung des Dionysios s. oben: Teil I. Kap. 2. Das Weltbild des Dionysios
Periegetes (Die Raumerfassung).
60
Vgl.: „Wenn man bei der Erdbeschreibung von Europa zu Asien übergeht, dann ist der
nördliche Teil der erste der Zweiteilung; daher soll mit ihm angefangen werden. Von diesem
seinerseits ist das erste das Gebiet am Tanais, den wir als Grenze zwischen Europa und Asien
angesetzt haben“ (Strabo XI 1, 5 C 491; Übers. v. S. Radt).
61
Zum Klima in Skythien s. oben: Teil II. Kap. 7. Klima und Landschaft des nördlichen
Schwarzmeergebiets.

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Teil II. Kap. 8. Pontische Völker und Stämme

„Wohlan nun, nahe dem Maiotischen See siedeln


die Maioten selbst und die Völker der Sauromaten,
das wackere Geschlecht des kriegerischen Ares: denn aus jener
gewaltigen Liebe der Amazonen sind sie hervorgegangen,
in welcher diese sich einst mit den Sauromatenmännern vereinigten,
verschlagen von der Heimat, fernab des Thermodon.
Deswegen sind auch die Kinder als hochbeherzte entsprossen,
bewohnend einen endlosen Wald, mitten durch welchen
sich hinziehend, der Tanais in die hintersten Winkel der Maiotis stürzt (...)

Die Sauromaten aber neben sich haben, dicht aneinander gelegen,


die Sinder, die Kimmerier und die Nachbarn des Euxeinos:
die Kerketer, die Toreter und die wehrhaften Achaier,
welche einst vom Xanthos und vom Idäischen Simoeis
die Böen des Notos und des Zephyros entfernten,
nachdem sie zum Zwecke des Streites Gefolgschaft geleistet hatten dem König aus Ares’
Geschlecht.
Auf diese aber folgend wohnen, das angrenzende Land einnehmend,
die Heniocher und Zyger, Abkömmlinge des Pelasgischen Landes.
Entlang wiederum des hintersten Winkels des Pontos, nach dem Boden der Tyndariden,
wohnen die Kolcher, umgezogen von Ägypten,
dem Kaukasus nahe befindlich (...) (Dion. Per. 652–660, 680–690).

Die Völker an den Maiotis-Küsten (die Maioten und die Sauromaten) und die an der
nordöstlichen Küste des Pontos (die Sinder, die Kimmerier, die Kerketer, die Toreter, die
Achaier, die Heniocher, die Zyger, die Tyndariden und die Kolcher) beschreibt Dionysios von
Westen nach Osten im Uhrzeigersinn, was für die älteren Periploi kennzeichnend ist. Die
dabei erwähnten zusätzlichen geographischen Objekte (wie der Fluss Tanais oder der
Kaukasus-Berg) helfen den Wohnsitz der einzelnen Völker zu präzisieren; außerdem hilft
Dionysios traditionell seinem Leser bei der Orientierung mit didaktischen dispositionellen
Bemerkungen, die die Streckenrichtung und die imaginären Grenzen präzisieren (λίµνης ...
ἄγχι, v. 652; πέλας Εὐξείνοιο, v. 681; τοῖς δ᾿ ἐπί, v. 686; πὰρ δὲ µυχόν ..., µετὰ χθόνα ..., v.
688; Καυκάσου ἐγγύς, v. 690).
Die ganze dionyseïsche Völkerreihe ähnelt einer Liste bei Strabon (XI 2, 1 C 493); die
Aufzählung der Völker an der nordöstlichen pontischen Küste erinnert auch an die Angaben
des Artemidoros von Ephesos (Artemid. F 138 Stiehle = Strabo XI 2, 14 C 497) – wobei alle
drei Autoren einzelne Völkerschaften erwähnen, die sich bei den anderen nicht finden62. Dies
lässt auf eine frühere gemeinsame Quelle für alle drei Autoren schließen.

62
“Um den See die Maioten; am Meer liegt der asiatische Teil des Bosporos und der
Sindische (Bucht), danach kommen die Achaier, die Zyger und die Heniocher, die Kerketer
und die Makropogonen (...); nach den Heniochern kommt Kolchis, das am Fuß der
Kaukasischen und der Moschischen Berge liegt“ (Strabo XI 2, 1 C 493, Übers. v. S. Radt);
„Nach Bata kommt laut Artemidor die Küste der Kerketer mit Ankerplätzen und Dörfern,
etwa achthundertundfünfzig Stadien lang, dann die der Achaier, fünfhundert Stadien, dann die
der Heniocher, tausend Stadien, dann Pitius (...) bis Dioskurias“ (Artemid. F 138 Stiehle =
Strabo XI 2, 14 C 497, Übers. v. S. Radt).

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Teil II. Kap. 8. Pontische Völker und Stämme

Die Liste der Völker an der Maiotis beginnt Dionysios mit zwei großen Völkerschaften,
nämlich mit den Maioten und Sauromaten. Unter dem Sammelbegriff der Maioten
(Μαιῶται, v. 653) werden mehrere Stämme an der östlichen Küste der Maiotis und am
Unterlauf des Hypanis (heute Kuban) verstanden63. Zu den Maioten werden von
verschiedenen Autoren unter anderen die iranischen und kaukasischen Stämme der Iasamaten,
der Sauromaten, der Sinder, der Kerketer, der Toreter u. a. zugeschrieben64; Dionysios
unterscheidet jedoch in seiner Aufzählung die Maioten von den anderen Stämmen (vgl. v. 653
und die einzeln beschriebenen anderen Ethnonyme). Nach den antiken Angaben bildeten
Ackerbau und Fischfang den hauptsächlichen Lebensunterhalt der Maioten65.
Die Form des Ethnonyms ist in den antiken Texten auf verschiedene Weise
überliefert: Μαιῆται (Herod. IV 123); Μαιῶται Σκῦθαι (Hellan. FGrHist 4 F 69 Jacoby =
Schol. Apoll. Rhod. IV 32); Μαιῶται (Ps.-Scyl. 71); Μαιωτῶν γένος (Ps.-Scymn. F 16
Marcotte) oder Μαΐται in den bosphoranischen Inschriften (Corpus der Bosphoranischen
Inschriften (Moskau) 971, 972)66. Eustathios verbindet in seinem Kommentar ad loc. die
Herkunft des Seenamens mit dem Namen des seine Küste bewohnenden Volkes: „Am oben
schon beschriebenen Maiotischen See wohnen die Maioten selbst, die ihren Namen also von
der Maiotis bekommen haben sollen, oder eher wurde der Maiotische See nach dem Volk
genannt“ (Eust. ad Dion. Per. 652)67.
Die den Maioten benachbarte Völkerschaft der Sauromaten (ἔθνεα Σαυροµατάων,
vv. 652–658) tritt in der spätantiken Tradition als „Sarmaten“ auf. Dionysios aber
unterscheidet die beiden Völker voneinander (vgl. Σαυροµάται, Dion. Per. 14–15, 680–681
und Σα[ρ]µάται, Dion. Per. 302), sowie auch einige andere Autoren68. Die archaisierende
Verwendung des Ethnonyms „Sauromaten“ kann einerseits auf eine frühere Quelle verweisen,
die von Dionysios dafür benutzt wurde. Andererseits wird die ganze Herkunftsgeschichte der
Sauromaten aber von Dionysios durch den Gebrauch der homerischen Beiwörter (ἐσθλὸν

63
Vgl.: „die Maioten (...) sind in mehrere Stämme eingeteilt“, Strabo XI 2, 4 C 493; die
Stämme selbst wurden von Strabon aufgezählt in XI 2, 11 C 495. S. auch die Berichte über
die maiotischen Stämme bei Herod. IV 123; Ps.-Scyl. 71; Ps.-Scymn. F 16, 18 Marcotte.
64
Vgl. Plin. nat. hist. VI 19; Mela I 14. S. auch: HERRMANN (1928a) 590; DANOFF (1969b)
903–904; V. BREDOW (1999a) 717.
65
Vgl. darüber auch bei Strabon XI 2, 4 C 493.
66
S. dazu auch bei: COUNILLON (2004a) 83. Die lateinische Form ist folgenderweise
überliefert: Maeotici (Plin. nat. hist. VI 19, Mela I 14, 114, 116); Maeotae (Plin. nat. hist. IV
88); Maeotidae (SHA Aurel. 16); vgl. in den lateinischen Übersetzungen der dionyseïschen
Periegese: Maeotae primi salsam cinxere paludem (Avien. Descr. 853), Maeotae primi
tangent Maeotidis undas (Prisc. Per. 644).
67
Ὅτι περὶ τὴν προϊστορηθεῖσαν Μαιῶτιν αὐτοί τέ εἰσιν οἱ Μαιῶται, οἱ τῆς Μαιώτιδος
δηλονότι παρώνυµοι, ἢ καὶ τυχὸν ἐξ ὧν ἡ Μαιῶτις λίµνη κέκληται (…) (Eust. ad Dion. Per.
652); vgl. eine ähnliche Aussage: Eust. ad Dion. Per. 549.
68
Vgl. Ps.-Scymn. F 16 Marcotte = 874–885 Müller; Polyb. XXVI 6, 13. Ausführlicher s. bei:
ROSTOVTSEV (1922) passim; HARMATTA (1970); SMIRNOF (1980) 139–153; JOUANNA (2001)
23–39.

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Teil II. Kap. 8. Pontische Völker und Stämme

γένος, v. 654; ἐνυάλιος Ἄρης, v. 654; ἰφθίµη φιλότης, v. 655; παῖδες µεγαλήτορες, v. 658)69
anscheinend absichtlich archaisierend gestaltet, was aber die Geschichte selbst auf keinen Fall
zu einem Märchen macht: Kennzeichnend sind dabei die von Dionysios erwähnten
Amazoniden als historische Nachkommen der Amazonen70. Eustathios bemerkt dazu, dass die
von Dionysios verwendete Form Ἀµαζονίδες statt der traditionellen Ἀµαζόνες (wie bei
Homer – Il. III 189; VI 186) keine Diminutivform sei, sondern das Beispiel einer Paragoge
(d. h. eines Silben- oder Buchstabenzuwachs) darstelle, was auf eine Rationalisierung des
Mythos hinweise. Die schon seit Herodot (IV 110–116) bekannte Sage über die
Eheschließung zwischen den Amazonen (bei Dionysios stattdessen Amazoniden) und
Sauromaten wiederholt sich in der späteren antiken Tradition71; als Folge tritt der topos über
den Kampfgeist der sauromatischen Frauen auf72. Eustathios präzisiert in seinem Kommentar,
die Sauromaten hätten ihr Geschlecht von den Amazonen geführt, die nach ihrer Niederlage
im Kampf gegen Herakles und seine Gefährten vom südpontischen Thermodon nach Skythien
gekommen seien (Eust. ad Dion. Per. 653)73.
Herodot lokalisiert die sauromatischen Stämme nord-ostwärts von der Maiotis, am
linken Ufer des Tanais, d. h. im asiatischen Teil der Oikumene74. Im Gegensatz zu Herodot
werden die Sauromaten von Ephoros zu den Skythen gezählt, die an der europäischen Seite
des Tanais wohnen75. Die Sauromaten „umwohnen rings den Fluss Tanais“, nach Dionysios
(v. 679), d. h. an seiner Mündung oder auch im Mittellauf. Es kann sein, dass Dionysios sich
dabei auf die Angaben des Ephoros oder die des Ps.-Skymnos stützt und die Sauromaten mit
den Skythen verwechselt; vgl. die dionyseïsche Erwähnung der Skythen in dem näheren
Gebiet: „Von diesem (sc. Pontos) noch gegen Norden hin liegen die Wasser des Maiotischen
Sees / eingegossen; um diesen nun herum siedeln rings die Skythen, / Menschen ohne Grenze
und Zahl“ (vv. 163–165)76. Da die Maioten und die Sauromaten aber die dionyseïsche
69
In der homerischen Ilias findet sich auch eine Parallele zur Wortverbindung: φιλότητος ... /
τήν ποτε ... µίγησαν (Dion. Per. 655–656) ~ φιλότης ... / ἣν ἐµίγης (Hom. Il. XV 32–33)
(RASCHIERI (2004) 102).
70
In Zusammenhang mit der Herkunftsgeschichte der Sauromaten scheinen die Angaben des
Ps.-Plutarch (2. Jh.) über den alten Namen des Tanais zu stehen: „Tanais heißt der Fluss in
Skythien. Früher wurde der Fluss Amazonius genannt, da in dem Fluss die Amazonen
gebadet hatten“ (Ps.-Plut. de fluv. 14, 1). Mehr zu den Amazon(id)en bei Dionysios s. unten in
diesem Kapitel.
71
Vgl. bei Mela I 116; Ps.-Arr. 72; Amm. Marc. XXII 8, 27.
72
Schol. Graeca ad Hom. Il. XVIII 515; Ps.-Scyl. 70; Ps.-Scymn. F 16 Marcotte; Plin. nat.
hist. VI 19: Sauromatae gynaecocratumenoe, Amazonum conubia, „die
gynaikokratumenischen Sauromaten, mit denen die Amazonen Ehen schließen“ (Übers. K.
Brodersen). Zu den sauromatischen Frauen s. auch bei: ROSTOVTSEV (1931); MARCOTTE
(2002) 251–252; COUNILLON (2004a) 83.
73
Vgl. ähnliche Angaben bei: Pind. F 172; Herod. IV 110; Diod. IV 16, 28; Apollod. II 5, 9.
74
Herod. IV 21, 57, 102 u. a.; vgl. Mela I 14.
75
Ephor. FGrH 70 F 42 Jacoby = Strabo VII 3, 9 C 302; vgl. Ephor. FGrH 70 F 160 = Ps.-
Scymn. F 16 Marcotte, wonach die Sauromaten dem maiotischen Stamm der Sarmaten am
Tanais benachbart sind.
76
Vgl. einige Details in den lateinischen Übersetzungen der dionyseïschen Periegese: (...) trux
Sarmata, bellica quondam / gentis Amazonidum suboles: nam cum prius illae / egissent vasti

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Teil II. Kap. 8. Pontische Völker und Stämme

Aufzählung der asiatischen Völker beginnen, lässt dies auf den Wohnsitz der beiden
Völkerschaften am linken (asiatischen) Ufer des Tanais schließen.
Nach einer ausführlichen rhetorischen Beschreibung der Landschaft und des Klimas
im Tanais-Gebiet77 setzt Dionysios seinen Völkerkatalog mit den Sindern (Σινδοί, v. 681)
fort, die gewöhnlich an der asiatischen Seite des Bosporos Kimmerios und an der daran
angrenzenden pontischen Küste lokalisiert werden78. Die Hauptsiedlung der Sinder hatte in
der Antike zwei Namen: Sindika in der vorgriechischen Zeit bzw. die Sindische Bucht79 und
Gorgippia (gegründet zwischen 389 und 349 v. Chr.)80. Mit der Zeit wird Gorgippia zu einem
der wichtigsten Handelspunkte des Bosporanischen Reiches und weitete neben Phanagoria,
Hermonassa, Kepoi und Batoi (Patai bei Ps.-Skylax) den griechischen Einfluss auf die von
den Sindern besetzte Gegend (auf der Halbinsel Taman) und auf die nahe liegenden
bosporischen Gebiete aus81. Es ist schwierig, von der ethnischen Zugehörigkeit der Sinder zu
sprechen: Sowohl Hellanikos (FGrHist 4 F 69), Ps.-Skylax und Polyainos (Polyaen. VIII 55),
als auch Dionysios unterscheiden anscheinend die Sinder von den Maioten; Strabon jedoch
hält sie für ein „maiotisches“ Volk, wie auch die ihnen ethnisch nahen Toreter und Kerketer
(im Süden), die Dandarier (im Norden) und die Psesser (im Osten, am Hypanis) (Strabo XI 2,
11 C 495)82.
Eustathios richtet seine Aufmerksamkeit auf das von Dionysios benutzte homerische
Verb ἐπέχουσι (‚daraufhaben; einnehmen‘, v. 680) und bemerkt auch, dass die Sinder in
einigen Quellen mit einem Stamm der Zikcher identifiziert werden: „An die Sauromaten
grenzen (ἐπέχουσι) die Sinder an, die von einigen [Autoren] auch die Zikcher genannt
werden. [Dionysios] verwendet [das homerische Verb] ἐπέχουσι statt
διαδέχονται (‚übernehmen; erben’) oder µετ᾿ αὐτοὺς τὴν γῆν ἔχουσιν (‚nach ihnen das Land

prope flumina Thermodontis / Threicio de Marte satae, iunxere profectae / concubitus.


Longas exercet Sarmata silvas, / ex quibus elapsus Tanais procul arva pererrat / barbara, et
in salsam protendit terga paludem. (Avien. 854–860); (...) Sauromataeque truces, gens
aspera Martis in armis, / sanguis Amazonidum fortis quos protulit olim, / Sauromatis mixtae
quae Thermodonte relicto / ingentes genuere viros belloque potentes : / innumeras habitant
qui silvas, gurgite vasto / inter quas Tanais Maeotidis intima pulsat (Prisc. Per. 645–650).
77
Mehr dazu s. oben: Teil II. Kap. 7. Klima und Landschaft des nördlichen
Schwarzmeergebiets.
78
Herod. IV 28; Ps.-Scyl. 72; Ps.-Scymn. F 18 Marcotte. Eine ungewöhnliche Lokalisation
der Sinder schlägt Apollonios Rhodios vor, die weder mit den früheren noch mit den späteren
antiken Angaben übereinstimmt: Nach Apollonios bewohnen die Sinder die Ebene von
Laurion (τὸ Λαύριον πεδίον) in Skythien, an der Istros-Mündung (Apoll. Rhod. IV 321). Zu
den Sindern s. auch: KRETSCHMER (1927) 226–228; DANOFF (1975a) 207; V. BREDOW (2001b)
582–583.
79
Ps.-Scymn. F 17b Marcotte = 886–895 Müller; Strabo II 2, 14 С 496.
80
Strabo II 2, 14 С 495.
81
MARCOTTE (2002) 253–254; COUNILLON (2004a) 85.
82
Vgl. HIND (1983) 90; ROSTOVTZEFF (1993) 78, 98–99.

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Teil II. Kap. 8. Pontische Völker und Stämme

besitzen’). Homer (Od. XIХ 71) benutzt aber ἐπέχειν statt κατά τινος ἔχειν (‚auf etw.
losfahren, andringen’) und zwar in einer Dativ-Konstruktion“ (Eust. ad Dion. Per. 680)83.
Nach den Sindern kommen dann die Kimmerier (Κιµµέριοι, v. 681). Zum ersten Mal
wird das Volk der Kimmerier in der homerischen Odyssee erwähnt, wo sie am Eingang der
Unterwelt, an der Grenze „des tiefströmenden Okeanos“, platziert werden84. Aus dieser
homerischen Darstellung des kimmerischen Wohnsitzes hat sich die spätere mythologisierte
Vorstellung über die Kimmerier am Rande der Oikumene entwickelt: Ephoros lokalisiert das
Volk der Kimmerier im südwestlichen Italien, an der Aornos-Bucht85; ähnliches findet sich in
der Alexandra des Lykophron (v. 695), wo der Wohnsitz der Kimmerier sich im italischen
Kyme befindet86. Die homerische Passage über die langen Winternächte des Nordens hat
möglicherweise den Bericht des Poseidonios beeinflusst, wonach die Kimmerier von den
Griechen mit dem germanischen Stamm der Kimbern am Nordozean identifiziert würden87;
das findet eine Parallele in den anonymen orphischen Argonautika (v. 1119 ff.), wo die
Argonauten bei den Kimmeriern im westlichen Ozean vorbeikommen88. Die Gestalt des
düsteren kimmerischen Landes, worauf niemals die strahlende Sonne blickt (vgl. Hom. Od.
XI 15), war so beeindruckend, dass die gelehrten Philologen des 2. Jhs. v. Chr., Aristarchos
von Samothrake und Krates von Mallos, bei der Erklärung des homerischen Textes (Od. XI
14: ἔνθα δὲ Κιµµερίον ἀνδρών δῆµός τε πόλις τε) im Ernst die Lesart Κερβέριον statt
Κιµµέριον vorgeschlagen haben (Schol. HPV Od. 14)89.
Die Angaben über die historischen Kimmerier an der Schwarzmeerküste gehen auf die
ionische Tradition zurück und stammen von Kallinos von Ephesos (F 4 West) und Herodot
(IV 12 f.). Die bei Herodot (IV 13) überlieferten Zeugnisse aus dem Gedicht Arimaspeia des
Aristeas von Prokonnesos (6.-5. Jh. v. Chr.) und die der anderen Autoren – von Herodot bis
Strabon – lassen die historischen Kimmerier der vorskythischen Zeit auf der Halbinsel Kerč
und auf der Halbinsel Taman lokalisieren90. Keine der Kulturen der späteren
Bronzezeitperiode kann man jedoch mit der Kultur der Kimmerier zuverlässig verbinden:
Anscheinend wurden die Kimmerier von den skythischen Völkern aus dem nördlichen
Schwarzmeergebiet vertrieben und teilweise assimiliert, so dass es unmöglich scheint, die
archäologischen Reste der beiden Kulturen zu unterscheiden91. In der Forschung wird die

83
Ὅτι Σαυροµάτας ἐπέχουσι Σινδοὶ, οἱ καὶ Ζικχοὶ κατά τινας. Λέγει δὲ τὸ ἐπέχουσιν ἀντὶ τοῦ
διαδέχονται, καὶ µετ' αὐτοὺς τὴν γῆν ἔχουσιν (Eust. ad Dion. Per. 680).
84
Hom. Od. XI 13–22; s. auch: Eust. ad Hom. Od. XI 14.
85
Ephor. FGrHist 70 F 134 = Strabo V 4, 5 C 244.
86
Komm. zum Gedicht des Lykophron s.: V. HOLZINGER (1895) 274 (Komm. ad loc.).
87
Poseid. FGrHist 87 F 31 = F 272 Ed.-Kidd = Strabo VII 2, 2 C 293.
88
Vgl.: Diod. IV 32; Plut. Mar. 11; Schol. Graeca ad Hom. Od. XI 17; Eust. ad Hom. Od. X
86, 544. Mehr zur Gestalt der Kimmerier bei Homer und in der sonstigen mythologischen
Tradition s. bei: LEHMANN-HAUPT (1921) 425–434.
89
Zu den alexandrinischen Studien zu den homerischen Epen s. u. a. bei: LUDWICH (1884–
1885) 585 f.; METTE (1936) 88, 92 f; PFEIFFER (1968) 214 f.; 239 f.
90
Zu den antiken Angaben s.: LEHMANN-HAUPT (1921) 397–434; KAMMENHUBER (1969)
210–211; V. BREDOW (1998b) 458–460.
91
S. z. B. bei: GRAKOW (1978).

- 243 -
Teil II. Kap. 8. Pontische Völker und Stämme

Frage nach der Verwandtschaft oder sogar nach der Identität der Kimmerier und der Skythen
(vgl. bei Eust. ad Hom. Od. XI 14: „der skythische Stamm der Kimmerier“) diskutiert92. Die
griechischen Kolonisten aus Ionien haben die von ihnen am Bosporos gefundenen
Siedlungsreste und örtlichen Nekropoleis möglicherweise mit den Kimmeriern verbunden, die
im 8.-7. Jh. v. Chr. in Kleinasien eingedrungen waren93, und die „kimmerische“ Toponymik
auf die Lokalobjekte übertragen.
Der Gebrauch des Ethnonyms Κιµµέριοι zeigt einerseits, dass Dionysios hier als
Homerinterpretator hervortritt, andererseits, dass Dionysios sich bei der Lokalisation des
Volkes offensichtlich an der historischen Tradition über die Kimmerier orientiert94. Die
Kimmerier werden in der Periegese des Dionysios zweimal erwähnt – in den Versen 167–168
finden wir: „(...) durch den Kimmerischen Bosporos, an welchem viele / Kimmerier wohnen
unten am kalten Fuss des Tauros“95. In diesem Zusammenhang vermutet Eustathios von
Thessaloniki, Dionysios verstehe unter dem Tauros nicht das Kaukasos-Gebirge, sondern die
Taurische Halbinsel, die sich im Westen der Maiotis-Mündung befindet; dementsprechend
lokalisiert der Kommentator die von Dionysios zweimal erwähnten Kimmerier in
verschiedenen Gebieten und nennt die ersten davon „die Tauroskythen“ (Eust. ad Dion. Per.
163). Es scheint aber glaubwürdiger, dass die beiden Ethnonyme bei Dionysios identisch sind
und dasselbe Volk bezeichnen; nach der dionyseïschen Darstellung müssen die den Sindern
benachbarten Kimmerier an der asiatischen Seite des nach ihnen benannten Bosporos, in der
Nähe von den Kaukasischen Bergen, wohnen – und möglicherweise nicht nur an der Küste,
sondern auch im Binnenland96.
Mit der weiteren Redewendung πέλας Εὐξείνοιο „die Nachbarn des Euxeinos“ (v.
681) geht Dionysios vom Katalog der an der Maiotis wohnenden Völker zur Aufzählung der
an der pontischen Küste lokalisierten Völker über; darunter nennt er zuerst die Kerketer und
die Toreter (Κερκέτιοι Τορέται τε, v. 682). Für das traditionell an der nordöstlichen Küste

92
Die letzten Forschungspublikationen zum Thema: IVANCHIK (1993); TOKHTASJEV (1996)
1–46; IVANTCHIK (2005) 53–66.
93
Die Angaben über den Kriegszug der Kimmerier finden sich bei: Herod. I 16; Strabo I 3, 21
C 61, III 2, 11 C 149, XIV 1, 40 C 647; Arr. FGrH 156 F 60, 76 Jacoby; Polyaen. VII 2, 1.
94
Interessant ist, dass in ähnlicher Weise Kallimachos in seinem Artemis-Hymnos auf den
Bericht des Herodot über die historischen Kimmerier anspielt: Call. h. III 252–254 (darüber
bei: SISTAKOU (2002) 151–152).
95
(... ) Κιµµερίου διὰ Βοσπόρου ᾧ ἔνι πολλοὶ / Κιµµέριοι ναίουσιν ὑπὸ ψυχρῷ ποδὶ Ταύρου
(Dion. Per. 167–168).
96
Im Vergleich zu der Reihefolge bei Dionysios und bei Priscianus ändert Avienus die
Aufzählung der pontischen Völker, so dass die Kimmerier sogleich auf die Sarmaten folgen
und erst dann die Sinder kommen: Proxima (sc. trucis Sarmatae) rursus / Cimmerii Sindique
colunt (Avien. Descr. 865–866); vgl. bei Priscianus: Hi Tanain habintant fluvium prope
Sauromatarum. / Cui sunt vicini Sindi quoque Cimmeriique (Prisc. Per. 661–662). Was den
Kommentar des Eustathios zu den Kimmeriern an der Maiotis betrifft, so verweist er auf die
homerische Odyssee und wahrscheinlich auf seinen Kommentar zur entsprechenden Passage:
„Nach den Sauromaten folgen dann auch die Kimmerier, über die mehr in der Odyssee (s.
Eust. ad Hom. Od. XI 14) erzählt wurde”, Ὁµοίως µετὰ Σαυροµάτας εἰσι καὶ οἱ Ὀδυσσείᾳ
πλατύτερον ἱστορηθέντες Κιµµέριοι (Eust. ad Dion. Per. 680).

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Teil II. Kap. 8. Pontische Völker und Stämme

des Pontos platzierte Volk der Kerketer97 benutzt Dionysios die durch das Metrum bedingte
Form Κερκέτιοι – im Unterschied zu der gewöhnlichen Form Κερκέται, z. B. bei Ps.-Skylax
(v. 73). Eine der frühesten Erwähnungen der Kerketer findet sich bei Hellanikos von Mitylene
(5. Jh. v. Chr.), wonach dieses Volk sich neben den Moschern und den Charimaten, aber vor
den Heniochern befindet (FHG I 59 F 109). Strabon setzt die Kerketer zwischen den
Heniochern und den Makropogonen (XI 2, 1 C 492) bzw. den Moschern (XI 2, 14 C 497) an.
Plinius d. Ältere berichtet über den Fluss Ikaros, der an der kerketischen Küste in den Pontos
münde (VI 17). Bei Ptolemaios wird der „Kerketische Golf“ erwähnt (Κερκετίδος
κόλπος, Ptol. Geogr. V 9, 9). Im Hesychios-Lexikon (s.v.) sind die Kerketer unter den
sindischen Stämmen genannt (ἔθνος Σινδικόν)98.
In der Lokalisation der Toreter sind praktisch alle antiken Quellen einer Meinung:
Schon einer der frühesten Autoren, Ps.-Skylax, setzt die Toreter nach dem Sindischen Hafen
und nach den Kerketern an (F 73–74), was mit den Angaben des Dionysios völlig
übereinstimmt99. Als ein pontisches Volk bezeichnet Apollodor von Athen die Toreter 100.
Nach Plinius d. Älteren (VI 5, 17) hätten die Toreter die Gebirgsgebiete neben dem Kap
Crunoe und der Gegend der Sinder besiedelt. In den griechischen Inschriften vom Bosporos
aus dem 4.-3. Jh. v. Chr. werden die Toreter unter den maiotischen Stämmen erwähnt, was
auch eine Parallele bei Strabon findet: „Zu den Maioten gehören die Sinder selber sowie die
Dandarier, Toreter, Agrer und Arrhecher (...) und mehrere Andere“ (XI, 2, 11 C 495; Übers.
v. S. Radt). Bis zum 1. Jh. n. Chr. sind die Toreter jedoch gemäß den epigraphischen Angaben
zu einem von den Maioten getrennten Volk geworden (vgl. auch bei Mela I 110).
Der anonyme Autor des Periplus Ponti Euxini identifiziert die Kerketer und die
Toreter und zählt sie zu den hervorragenden Seeleuten (FHG V 182, PPE 24 Müller); die
Kerketer kommen aber in keinem einzigen epigraphischen Text vor. Dies lässt vielleicht E.
DIEHL die dionyseïschen Κερκέτιοι als Beiwort zu den Toretern betrachten: Seiner Meinung
nach nennen die nach dem Gesetz der wachsenden Glieder gebauten Verse je zwei Völker –
„die Sinder und die Kimmerier“, „die kerketischen Toreter und die kraftvollen Achaier“101.
Die von Avienus und Priscianus verwendeten Ethnonymsformen Oretarum (Avien. Descr.
867) und Oretae (Prisc. Per. 664) lassen aber vermuten, dass es in den ihnen vorliegenden
Handschriften der dionyseïschen Periegese die Lesart Κερκέτιοι τ᾿ Ὀρέται τε gab. Die
kopulative Partikel τέ wird in den griechischen poetischen Texten bei der Aufzählung von

97
Vgl. Mela I 110; Amm. Marc. XXII 8, 25.
98
Zu den Kerketern in der antiken Überlieferung s. bei: KROLL (1921) 291–292; DANOFF
(1969a) 200; BRENTJES, DANOFF (1998) 443; DANOFF (1962) 1017 ff.; COUNILLON (2004a) 89,
n. 273.
99
Zu den Angaben des Ps.-Skylax s.: COUNILLON (2004a) 38–39.
100
Τορέται; ἔθνος Ποντικόν, Apollod. F 10 Marcotte = FGrHist II B F 319 Jacoby. Auch im
vorangehenden Fragment des Apollodor von Athen hat L. HOLSTENIUS die Lesart „Toreter“
für die beschädigte Passage mit den Toponymen „Hermonassa“, „Kepoi“ und einem
Ethnonym „Psesser“ vorgeschlagen: ἔπειτα δ᾿ Ἑρµώνασσα καὶ Κήπος <πόλις> † τυρί δὲ † τὸ
Ψησσῶν ἔθνος (Apollod. F 9 Marcotte = FGrH II B F 318 Jacoby).
101
DIEHL (1937) 1749.

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Teil II. Kap. 8. Pontische Völker und Stämme

gleichartigen Gliedern benutzt102; dies verweist darauf, dass Κερκέτιοι im Text des Dionysios
(v. 682) kein Beiwort, sondern ein Substantiv bzw. ein selbstständiges Ethnonym darstellt.
Auf solche Weise widerspiegeln die bei Dionysios erwähnten Ethnonyme die frühere
Tradition und sprechen für die Existenz von zwei verwandten Völkerschaften, nämlich der
Kerketer und der Toreter.
Im Kommentar zur dionyseïschen Periegese spricht Eustathios gleichfalls von den
Kerketern und Oretern, wobei er beachtet, die Oreter (Ὀρέται) sollte man ohne das „s“
schreiben, da die Orester mit „s“ das Volk der Molosser in Europa darstellten und nach dem
Orestes, Sohn des Agamemnos, so genannt würden (Eust. ad Dion. Per. 680)103. Dies lässt auf
zumindest zwei von Eustathios benutzte Handschriften der Periegese schließen, wo sich die
Lesarten Ὀρέται und Ὀρέσται statt Τορέται fanden104.
Über die darauf folgenden „starken Achaier“ (ἀλκήεντες Ἀχαιοί, v. 682) erzählt
Dionysios einen kurzen Herkunftsmythos. Nach den antiken Zeugnissen werden die
pontischen Achaier zwischen den Kerketern und Heniochern angesetzt, nämlich im Gebiet
des heutigen Abchasien105. Wegen der Namensähnlichkeit mit den griechischen Achaiern
wurden auch die pontischen Achaier von den Griechen abgeleitet106: Nach der einen Version
des Strabon hätten die Phthiotischen Achaier von Iasons Heer die pontische Küste besiedelt,
was also eine Verbindung mit dem Argonauten-Mythos herstellt (Strabo XI 2, 12 С 495);
nach der anderen waren es die Kolonisten aus dem böotischen Orchomenos unter der Führung
des Ialmenos, was mit dem Trojanischen Zyklus verbunden ist (Strabo IX 2, 42 С 416)107.
Nach Appianos von Alexandria – sowie nach Dionysios – wurden die Achaier mit den
Winden in den Pontos mitgeführt, als sie auf dem Rückweg vom Trojanischen Krieg
waren108. Trotz der griechischen Herkunft schreiben die antiken Quellen den pontischen

102
Vgl. oben einen ähnlichen Fall mit den Germanen und Sarmaten im Text des Dionysios (v.
304) mit einem Verweis auf das Buch von RUIJGH (1971).
103
Ὁµοίως µετὰ Σαυροµάτας εἰσὶ καὶ οἱ ἐν Ὀδυσσείᾳ πλατύτερον ἱστορηθέντες Κιµµέριοι,
καὶ οἱ Ὀρέται δίχα τοῦ σ· οἱ γὰρ µετὰ τοῦ σ Ὀρέσται ἔθνος εἰσὶν Εὐρωπαῖον, Μολοσσικὸν,
ἀπὸ τοῦ Ἀγαµεµνονίδου Ὀρέστου καλούµενοι (Eust. ad Dion. Per. 680).
104
Zur Präzision der Handschriften s. den kritischen Apparat ad loc. bei: TSAVARI (1990b) 84.
105
S. bei Ps.-Scyl. 75 (zwischen den Toretern und den Heniochern); Artemid. F 138 Stiehle =
Strabo XI 2, 14 C 497; Strabo XI 2, 12 C 495; Mela I 110; Plin. nat. hist. VI 16–17, VI 30;
Ptol. Geogr. V 9, 25; Rav. Anon. II 12; TP IX 2); zu den antiken Angaben über die Achaier s.
bei: TOMASCHEK (1893) 204–205; DANOFF (1962) 1011; LAFOND, TOCHTASJEV (1996) 69.
106
Diese Version findet sich bei: Pherekydes FGrH 3 F 147 Jacoby; Ps-Scymn. F 18 Marcotte
= 899–913 Diller; Strabo IX 2, 42 C 416; XI 2, 12 C 495–496; App. Mithr. 67, 102; Amm
Marc. XXII 8, 25; Eust. ad Hom. Il. p. 272.
107
Vgl. Eust. ad Hom. Il. II 511: über die pontischen Achaier, die auch bei Periegetes erwähnt
werden.
108
App. Mith. 102; vgl. Amm. Marc. XXII 8, 25, der die dionyseïsche Periegese als eine
seiner Quellen benutzt hat.

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Teil II. Kap. 8. Pontische Völker und Stämme

Achaiern traditionell eine „barbarische“ Lebensart zu109 und beobachten sie die Wildnis
dieses Volkes110.
Das Beiwort ἀλκήεντες („stark, wehrhaft“, v. 682) findet sich bei Dionysios an
derselben metrischen Position im Katalog der Völker am Istros, bei der Erwähnung der
Alanen (ἀλκήεντες Ἀλανοί, v. 305), und kann vielleicht eine Parallele zu den pindarischen
ἀλκάεντας ∆αναούς (Pind. Ol. IX 72) darstellen. Durch die hier erwähnten Flüsse Xanthos
und Simois, den Nebenfluss des Skamandros, am Fuß des Ida-Berges verbindet Dionysios die
Herkunft der pontischen Achaier mit dem mythologischen Zyklus über den Trojanischen
Krieg111. Grosse Diskussion hat der rätselhafte „König aus Ares’ Geschlecht“ bzw. „der
kriegslustige König“ (Ἀρητιάδῃ βασιλῆϊ, v. 685) hervorgerufen: Wen meint Dionysios unter
dieser Bezeichnung? Wird mit Ἀρητιάδης die Verwandtschaft112 oder der Charakter
(„kriegerisch, kampflustig“) beschrieben? Eustathios schlägt einerseits vor, darunter
Agamemnon oder Menelaos, Achilles oder Ialmenos zu verstehen – also eine mythologische
Version; andererseits führt er eine historische Version an, nach der mit dem „kriegslustigen
König“ Pompeius Magnus gemeint sei, der zusammen mit den Skythen – darunter auch mit
den pontischen Achaiern – den Bürgerkrieg gegen Caesar geführt habe (Eust. ad Dion. Per.
680). Die „Trojanische Version“ scheint aber glaubwürdiger zu sein: Nicht ohne Grund wird
hier von Dionysios das homerische Verb νοσφίζοµαι verwendet113.
Nach seinem kleinen Exkurs über die Achaier kehrt Dionysios zu den anderen Völkern
zurück und markiert den Übergang mit der Konstruktion τοῖς δ᾿ ἐπί („auf diese folgend“, v.
686), die im Kontext der Periegese traditionell auf die weiter folgenden Objekte bei einer
Aufzählung hinweist114. Der Katalog der pontischen Völker wird mit den Heniochern und
Zygern fortgesetzt (Ἡνίοχοι Ζύγιοί τε ..., v. 688). Die Heniocher (wörtlich „die
Wagenlenker, Kutscher“) haben die nordöstliche, kaukasische, Küste des Pontos bewohnt115.
Im ältesten Bericht des Ps.-Skylax werden die Heniocher – ähnlich wie bei Dionysios – nach
den Sindern, Kerketern, Toretern und Achaiern genannt (Ps.-Scyl. 71–80)116. Ps.-Skymnos
beschreibt sie als ein ungastfreundliches Volk und führt den Volksnamen auf die
109
Ἀχαιοὶ οὕ δὴ λέγουσιν ὄντας Ἕλληνας γένει καλεῖσθαι Ἀχαιοὺς ἐκ βαρβαρωµένους, Ps.-
Scymn. F 18 Marcotte.
110
Arist. Pol. VIII 4, 1338b 20; Dion. Hal. I 89; Sall. Hist. F III 48 = Schol. Iuv. XV 115;
Strabo IX 2, 42 C 416. Mehr dazu s. bei: ASHERI (1998) 265–285; MARCOTTE (2002) 255.
111
Außer solchen Details wie z. B. „Ascalaphus“ und „lar“ stimmen die lateinischen
Übersetzungen mit dem Text der Periegese überein: indeque Achaei: / ab Xanthi ripis atque
Idaeo Simoente / inter cauricrepas et scruposas convalles / transvexere larem (Avien. Descr.
867–870); et qui Troianae post praelia gentis Achaei, / Ascalaphi regis victricia signa
sequentes, / dispulsi ventis istas venere sub oras (Prisc. Per. 665–667) (vgl. Hom. Il. II 512:
Askalaphos, Sohn des Ares).
112
„Von Ares stammend“: von der jambischen Form Ἄρης, Ἄρητος, so Eust. ad Dion. Per.
680.
113
Hom. Il. II 81, XXIV 222: νοσφιζοίµεθα, vgl. Od. XXIII 98: νοσφίζεαι.
114
Vgl. vv. 186, 195, 215, 288, 350, 378, 426, 494, 533, 746, 768, 822, 877, 1140 u. a. Alle
Fälle mit ἐπί im Text der Periegese s. bei: TSAVARI (1992) 92–94.
115
KIESSLING (1913a) 259–280; PLONTKE-LÜNING (1998) 346–347; ASHERI (1998) 265–285.
116
Zu den Angaben des Ps.-Skylax über die Heniocher s.: COUNILLON (2004a) 86–89.

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Teil II. Kap. 8. Pontische Völker und Stämme

Wagenlenker (ἡνιόχων) der Dioskuren, Amphitos und Telchios, zurück (Ps.-Scymn. F 19


Marcotte)117. Bei Strabon werden stattdessen als Eponyme die Wagenlenker Rhekas und
Amphistratos genannt (seine Zeugnisse zitiert auch Eustathios: ad Dion. Per. 680)118; der
Geograph spricht auch von der Seeräuberei der Heniocher, wobei sie schmale und leichte
Boote (kamarai) benutzen (Strabo XI 2, 12 С 495). Diodor von Sizilien erwähnt die
Heniocher gleichfalls als Seeräuber und berichtet dann vom bosporanischen Herrscher
Eumelos, der im 4. Jh. v. Chr. infolge eines Krieges gegen die barbarischen Stämme der
Heniocher, Taurer und Achaier das Meer für Seefahrten sicher gemacht hätte (Diod. XX 25,
2). Nach den Angaben des Plinius d. Älteren hätten die Heniocher die Polis Pityus (h.
Pizunda) geplündert (Plin. nat. hist. VI 16); bei ihm findet sich auch die Erwähnung der
„Heniochischen Berge“ (Plin. nat. hist. VI 26), die wahrscheinlich mit der Kaukasischen
Landenge identifiziert werden können119, und die Heniocher wohnen „von den Kaukasischen
Toren an bis zum Pontos hin“ (Plin. nat. hist. VI 30; vgl. Mela I 110). In der Regierungszeit
Hadrians sind die Heniocher unter die römische Macht geraten (Arr. PPE 15).
Der Wohnsitz der Zyger120 an der nordöstlichen (kaukasischen) Küste des Pontos wird
von einer Reihe von antiken Quellen bestätigt121. Strabon schreibt, dass nach dem Sindischen
Hafen „die Achaier, die Zyger und die Heniocher, die Kerketer und die Makropogonen ...
nach den Heniochen ... Kolchis“ kommen (Strabo XI 2, 1 С 492; Übers. v. S. Radt), und
bezeichnet die Zyger – wie auch die Heniocher und die Achaier – als Seeräuber (Strabo XI 2,
12 С 496). Bei Plinius d. Älteren treten die Zyger aber unter den Völkern am Tanais auf (Plin.
nat. hist. VI 19).
Der Versbau des Dionysios lässt die Redewendung Πελασγίδος ἔκγονοι αἴης
(„Abkömmlinge des Pelasgischen Landes“, v. 687) nicht nur den Zygern, sondern auch den
Heniochern – und vielleicht auch den Achaiern – zuschreiben. Der archaisierende
Wortgebrauch „Pelasgia, Pelasgisches Land“ soll im dichterischen Kontext Griechenland,
Hellas, bezeichnen (vgl.: „die Stämme der Pelasger, / welche einst, nachdem sie vom Kyllene
aus aufs westliche Meer hin geschritten, / allhier sich ansiedelten“, Dion. Per. 347–349). Auf
solche Weise stimmen die Daten des Dionysios mit dem Bericht des Strabon überein, der die
Zyger mit den Heniochern und den Achaiern vereint und ihre Lebensart und den Wohnsitz
ähnlich beschreibt (Strabo XI 2, 12 С 496). Die stereotype Charakteristik der Zyger als wilde
Barbaren findet sich auch im Kommentar des Eustathios: οἱ Ζύγοι, ἔθνος ἀγριώτατον (Eust.
ad Dion. Per. 687). Dem Text des Dionysios folgend teilen die beiden Übersetzer des

117
Zu den Angaben des Ps.-Skymnos s.: MARCOTTE (2002) 255.
118
Anders bei: Justin. 42, 3, 3 (Erigios und Amphistratos); Plin. nat. hist. VI 16 (Amphitos
und Telcheios – dieselben Namen finden sich bei seinem Kompilator Solin, XV 17); vgl. Ps.-
Scymn. F 19 Marcotte; Charax 103 FGrH F 36 Jacoby; Amm. Marc. XXII 8, 24 (die
Spartaner Amphitos und Cercios).
119
Ps.-Scymn. F 19 Marcotte: „jenseits der Heniocher liegt im Binnenland das Meer, welches
das Kaspische heißt“.
120
Wegen des Metrums benutzt Dionysios die Form Ζύγιοι statt Ζύγοι – so bei Strabo XI 2, 1
C 492; Ζιλχοί – Arr. PPE. 27; Ζιγχοί – Ptol. Geogr. V 9, 18.
121
Mehr dazu s. bei: ZIEGLER (1972) 446.

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Teil II. Kap. 8. Pontische Völker und Stämme

Gedichtes ins Lateinische die Meinung über die Abkunft der Heniocher und der Zyger von
den Pelasgen, d. h. von den Griechen: Iuxta gens aspera degit / Heniochi, Zygiique dehinc,
qui regna Pelasgum / linquentes quondam tenuerunt proxima Ponti (Avien. Descr. 870–872)
und Post hos (sc. Achaeos) Heniochi, genuit quos Graecia tellus; / et Zygii iuxta vivunt
regione sub una (Prisc. Per. 668–669).

Bevor er die Kolcher, die letzten in dieser Völkerreihe, nennt, erwähnt Dionysios den
„Boden der Tyndariden“ (χθόνα Τυνδαριδάων, v. 688). In der mythologischen Tradition sind
die Nachrichten über die Tyndariden erhalten122, d. h. die Nachkommen des spartanischen
Königs Tyndareos, die Dioskuren-Zwillinge Kastor und Polydeukes, die an dem Argonauten-
Zug teilgenommen haben (Apoll. Rhod. II 1–97). Den Angaben des Charax von Pergamon
folgend (Charax. Hell. F 15), berichtet Eustathios von einigen Schiffen der Argonauten, die
sich unterwegs nach Kolchis im Pontos verirrt hätten – auf einem davon fuhren „die
Wagenlenker der Tyndariden, d. h. der Dioskuren (τοὺς τῶν Τυνδαριδῶν ἡνιόχους, ἤτοι τοὺς
τῶν ∆ιοσκούρων), nach denen dann die Völker der Heniocher („Wagenlenker“), der
Tyndariden und Dioskurias selbst (...) genannt wurden“ (Eust. ad Dion. Per. 687). Die
historischen „Tyndariden“ stellen wahrscheinlich die gräzisierte Form eines lokalen
Volksnamens unbekannten Ursprungs dar. Die antiken Quellen setzen die Tyndariden
entweder unter den Völkern an der Maiotis (Plinius d. Ältere verwendet die Form Tindari und
lokalisiert sie am Tanais, nach den Zygern: Plin. nat. hist. VI 19), oder an der kaukasischen
Küste bei Dioskurias an123. Neben dem archäologisch festgestellten Gründungsdatum von
Dioskurias im 6. Jh. v. Chr. lässt dieser Bericht die Existenz der historischen Tyndariden ins
6.-5. Jh. v. Chr. datieren124.
Es kann auch sein, dass die Redewendung χθόνα Τυνδαριδάων („der Boden der
Tyndariden bzw. der Dioskuren“, v. 688) im Text des Dionysios als metonymische
Bezeichnung für Dioskurias, das älteste gräzisierte Toponym an der kaukasischen Küste,
dient125. In diesem Fall kann die dionyseïsche Charakteristik der Kolchis „am hintersten
Winkel des Pontos“ (πὰρ δὲ µυχὸν Πόντοιο, v. 688) auch auf „den Boden der Tyndariden /
Dioskuren“ Dioskurias bezogen worden sein126. Interessanterweise gibt es keine Erwähnung
der Tyndariden oder Dioskurias bei Avienus – nach dem Volk der Zyger nennt er sofort die
Kolcher. Priscianus spricht kurz von den „Grenzen der Tyndariden“ (fines Tyndaridarum, v.
670), wonach er dann die Kolcher lokalisiert; möglicherweise soll dies auch metonymisch auf

122
Hom. Il. III 237–238, Od. XI 298–304; Apollod. III 10, 7.
123
DIEHL (1948) 1775; EHRHARDT (1983) 84–85.
124
Zum Eindringen der Griechen in die kaukasische Küste s. bei: BRAUND (1994) 103 ff.
125
Vgl. die dionyseïsche Art der metonymischen Stadtbenennungen: Sinope („Asopostochter,
die Sinope (...), eine nach dieser zubenannte Stadt haben die Menschen inne“, vv. 772–779)
und Herakleia am Pontos (vv. 788–791), Alexandria („die Makedonische Stadt“, vv. 254–
259) und Athen („der Attische Boden (...) von wo auch Boreas einst die Oreithyia fortriss“,
vv. 423–425).
126
Vgl. die Bemerkung des Strabon: „Dioskurias indessen wird, da es in einer solchen Bucht
liegt und den östlichsten Punkt des gesamten Meeres einnimmt, als innerster Winkel des
Schwarzen Meeres und als fernste Fahrt bezeichnet“ (XI 2, 16 C 498; Übers. v. S. Radt).

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Teil II. Kap. 8. Pontische Völker und Stämme

den Polisnamen Dioskurias hinweisen. Die oben angeführte Bemerkung des Eustathios über
die Etymologie des Ethnonyms „Tyndariden“ und „des Bodens der Tyndariden“ (Eust. ad
Dion. Per. 687) kann vielleicht doch als weiteres Argument für die wirkliche Existenz des
Volkes der Tyndariden an der nordöstlichen bzw. östlichen Küste des Pontos dienen127.
Es ist auch nicht auszuschließen, dass die Bezeichnung „Tyndariden“ eine beschädigte
Form des Ethnonyms „Dandarier“ (∆ανδάριοι) darstellt – der Stamm wird von Strabon unter
den maiotischen Völkern (der Sinder, Toreter, Agrer, Arrhecher u. a.) am Unterlauf des
Hypanis (heute Kuban) angesetzt (Strabo XI 2, 11 С 495) und wird mehrmals in den
epigraphischen Texten unter den bosporanischen Herrschern (Corpus der Bosporanischen
Inschriften, 6, 6а, 1014, 1037, 1038) erwähnt128. Plutarch berichtet von einem dandarischen
Herrscher namens Oltakos in Mithridates’ Heer und bezeichnet dann die Dandarier als
barbarischen Stamm an den Maiotis-Küsten (Plut. Luc. 16); dies lässt auf ein Bündnis des
Mithridates Eupator mit lokalen Völkern, darunter auch mit den Dandariern, während seines
Krieges gegen Pompeius schließen. Der Name des Oltakos findet sich auch bei Appian, der
ihn aber „kolchischen Herrscher“ nennt (App. Mithr. 117). Nach Strabon soll Pharnakes, der
Sohn des Mithridates, einmal den Hypanis durch das Gebiet der gegen die bosporanischen
Herrscher aufgetretenen Dandarier gelenkt und es überschwemmt haben (Strabo XI 2, 11 C
495). Tacitus schreibt über den dandarischen Herrscher Kotis, der 44/45 am Bosporos regiert
hat, und erwähnt ein oppidum Dandaricum (Ann. XII 16)129.
Die zweite pontische Route des Dionysios wird mit den Kolchern (Κόλχοι, v. 689)
beendet, die den „hintersten Winkel des Pontos“ (für die Einreisenden von der Propontis her:
πὰρ δὲ µυχὸν Πόντοιο, v. 688) besiedeln. Die antiken Quellen sind sich in der Lokalisation
des Volkes an der östlichen Küste des Pontos einig, dies stimmt auch mit den Angaben des
Dionysios überein130. Die „dunkelhäutigen Kolcher“ am Phasis werden schon bei Pindar
erwähnt (κελαινώπεσσι Κόλχοισιν, Pyth. IV 212). Die Behauptung des Dionysios, die
Kolcher stammten von den Ägyptern ab (µετήλυδες Αἰγύπτοιο, v. 689), geht wahrscheinlich
auf das Zeugnis des Herodot zurück (Herod. II 104)131. Diese Abhängigkeit des Dionysios
von Herodot wurde schon von Eustathios bemerkt, der weiter in seinem Kommentar die
Angaben des Strabon anführt: „Nach den Heniochern kommt Kolchis, das am Fuß der

127
Καὶ ἡ Τυνδαριδῶν δὲ χώρα πρὸς αὐτῷ ἐστι τῷ τοῦ Πόντου µυχῷ, ἤτοι τοῦ Εὐξείνου. Περὶ
ὧν καὶ διὰ τί Τυνδαρίδαι λέγονται, ἀνωτέρω εἴρηται (Eust. ad Dion. Per. 687).
128
Zum Stamm der Dandarier s. bei: TOMASCHEK (1901) 2099–2100.
129
Das Toponym Dandarius findet sich auch in den späteren Texten, z. B. an der pontischen
Küste zwischen Alecturum (sc. Alectros) und Olubium (sc. Olbia), so bei Rav. Anon. IV 5.
130
Die kaukasische Lokalisation wird bestätigt bei: Herod. II 104–105, III 97, IV 37, IV 40,
VII 79; Ps.–Scyl. 81; Ps.-Scymn. F 20 Marcotte; Strabo XI 2, 1 C 492, XI 2, 14–18 C 497–
499; Amm. Marc. XXII 8, 24. S. auch: RUGE (1921) 1070-1071; LORDKIPANIDZE (1974) 899–
915; LLOYD (1988) 16–37; DEN BOEFT etc. (1995) 207 f.; COUNILLON (2004a) 90–91.
131
„Offenbar sind die Bewohner von Kolchis Ägypter; ich habe das bemerkt, bevor man mir
darüber von fremder Seite Auskunft gab. Als mir dieser Gedanke einfiel, fragte ich bei den
beiden Völkern nach. Die Kolcher erinnerten sich lebhafter an die Ägypter als die Ägypter an
die Kolcher“ (Herod. II 104; Übers. v. J. Feix). Vgl. darüber auch bei: Diod. I 53–58; Amm.
Marc. XXII 8, 24. S. dazu auch: IVANTCHIK (1999) 395–441.

- 250 -
Teil II. Kap. 8. Pontische Völker und Stämme

Kaukasischen und der Moschischen Berge liegt“ (XI 2, 1 С 492; Übers. v. S. Radt), und die
Etymologie des Volksnamens von Kolchos, dem Sohn des Phasis, herleitet (Eust. ad Dion.
Per. 689)132. Apollonios Rhodios spricht von einem ägyptischen Herrscher, ohne seinen
Namen zu nennen, der mit seinem Heer in Europa und Asien gewesen sei und eine Menge
Städte gegründet habe – darunter auch Aia, die Stadt der Kolcher (IV 272–281)133. Dionysios
nennt keine Städte in Kolchis, seine kurze Beschreibung der Gegend ist aber ziemlich
umfangreich: Er erwähnt seine Lage („entlang des hintersten Winkels des Pontos“, v. 688),
den nah liegenden Kaukasus (v. 690) und den Fluss Phasis, der in den Armenischen Bergen
beginnt, durch das „Kirkeische Tal“ fließt und in den Pontos mündet (vv. 691–694)134. Aus
dem Text des Dionysios sind auch die Nachbarn der Kolcher bekannt: die Tyndariden im
Norden (v. 688) und die Byzerer im Süden (v. 765), mit denen der Perieget seine vierte
pontische Route beginnt (s. unten 3.4.).
Die dionyseïsche Beschreibungsart der zweiten pontischen Route ähnelt also einem
periploitischen Schema: Es werden hier die Völker an den Küsten der Maiotis und des Pontos
beschrieben, ohne Gebiete im Binnenland zu betrachten.

8.3 Die dritte Route: Den Landstreifen zwischen dem Euxeinischen


(Schwarzen) und dem Hyrkanischen (Kaspischen) Meer entlang (Dion.
Per. 695–705)
Nach einer periploitischen Aufzählung der Völker an der nordöstlichen Küste des Pontos
beschreibt Dionysios den Isthmus zwischen dem Euxeinischen und dem Hyrkanischen
Meer135:

695 τοῦ δὲ πρὸς ἀντολίην βορέην ἐπικέκλιται ἰσθµός,


ἰσθµὸς Κασπίης τε καὶ Εὐξείνοιο θαλάσσης.
τῷ δ' ἐνὶ ναιετάουσιν ἑωθινὸν ἔθνος Ἰβήρων,
οἵ ποτε Πυρήνηθεν ἐπ' ἀντολίην ἀφίκοντο,
ἀνδράσιν Ὑρκανίοισιν ἀπεχθέα δῆριν ἔχοντες,
700 καὶ Καµαριτάων φῦλον µέγα, τοί ποτε Βάκχον
Ἰνδῶν ἐκ πολέµοιο δεδεγµένοι ἐξείνισσαν

132
Die beiden Übersetzer der Periegese in die lateinische Sprache erwähnen gleichfalls die
ägyptische Herkunft der Kolcher, Avienus nennt sie aber sogleich nach den Zygern und
Priscianus nach den Tyndariden: Impiger hos (sc. Zygios) propter Colchus colit: iste feraci /
exul ab Aegypto celsae serit aspera rupis (Avien. Descr. 873–874); Intima sed Ponti, post
fines Tindaridarum, / Aegypto missi Colchi tenuere coloni … (Prisc. Per. 670–673).
133
Vgl. Schol. ad Apoll. Rhod. III 1074: Νῆσος ἐν τῷ Φάσιδί ἐστιν ἡ Αἰαία ... Αὕτη δέ ἐστι
Κόλχων µητρόπολις; und auch: Herod. II 103; Diod. I 55; Steph. Byz. s.v. Αἶα; dazu s.:
MARCOTTE (2002) 255–256; DRÄGER (2002) 520; BURTON (1972) 1–34, bes. 26–29.
134
Mehr zum Kaukasus, dem Phasis, dem Armenischen Berg und dem Kirkeischen Tal s.
unten: Teil II. Kap. 9. Pontische Gewässer und Gebirge.
135
Vgl. die Diskussion über das Trennungsprinzip des Eratosthenes bei Strabon: Eratosth. F II
C 22 Berger = Strabo I 4, 7 C 65; Agath. Geogr. inf. I 3.

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Teil II. Kap. 8. Pontische Völker und Stämme

καὶ µετὰ Ληνάων ἱερὸν χορὸν ἐστήσαντο,


ζώµατα καὶ νεβρῖδας ἐπὶ στήθεσσι βαλόντες,
εὐοῖ Βάκχε λέγοντες· ὁ δὲ φρεσὶ φίλατο δαίµων
705 κείνων ἀνθρώπων γενεὴν καὶ ἤθεα γαίης
„Gegen dessen (sc. des Phasis) Osten und Norden hin aber ist eine Landenge angelehnt,
die Landenge zwischen dem Kaspischen und dem Euxeinischen Meer.
Auf dieser nun wohnen das östliche Volk der Iberer,
welche einst von der Pyrene nach Osten hergelangten,
wobei sie einen hassvollen Kampf führten mit den Hyrkanischen Leuten,
und der große Stamm der Kamariter, welche einst den Bakchos
aus dem Krieg gegen die Inder aufgenommen hatten und gastlich bewirteten,
und mit den Lenen den heiligen Reigen aufstellten,
Schärpen und Hirschkalbfelle um die Brust geworfen,
„euoi Bakchos!“ rufend; er aber, der Gott, fasste Zuneigung in seinem Herzen
für das Geschlecht jener Menschen und die Stätten des Landes“ (Dion. Per. 695–705).

Unter dem Isthmus zwischen dem Euxeinischen und dem Kaspischen Meer versteht
Dionysios den nördlichen Teil der Tauros-Bergkette (vgl. vv. 168 f.), der mit dem
Kaukasischen Gebirge gleichzusetzen ist136. Schon in den einführenden Versen zu seiner
Periegese erwähnt Dionysios eine alte geographische Theorie der Erdteilung durch
Landengen. Nach dieser sogenannten „Kontinenten-Theorie“ ist Asien von Libyen durch den
Landstreifen „zwischen dem Arabischen Golf und Ägypten“ (vv. 23–25) und von Europa
durch den Isthmus „zwischen dem Kaspischen und Euxeinischen Meer“ (vv. 20–22) zu
trennen137, der „um und um sich in weiten Ebenen“ ausdehnt (v. 637)138.
Auf der Kaukasischen Landenge setzt Dionysios zwei Völker an: Das eine der
kriegerischen östlichen Iberer und das andere der gastfreundlichen und gottesfürchtigen
Kamariter. Mit diesem Unterschied der Hauptcharakteristiken der beiden Völker schafft
Dionysios auch eine rhetorische Opposition, die die Bevölkerung der Landenge einander
entgegensetzt.
Die kaukasischen Iberer (ἑωθινὸν ἔθνος Ἰβήρων, vv. 697–699) sind ein alter
Stamm im Berggebiet östlich des Kolchischen Tieflands (heutiges Ostgeorgien)139. Ps.-
Skymnos erwähnt neben den Iberern auf der Pyrenäischen Halbinsel (F 199, 268 Marcotte)
136
Vgl. bei Strabon: „Dieses Gebirge (sc. der Kaukasus) erhebt sich über die beiden Meere,
das Schwarze und das Kaspische, und durchzieht wie eine Mauer die Landenge die sie trennt“
(XI 2, 15 C 497; Übers. v. S. Radt).
137
Vgl. die Diskussion über das Trennungsprinzip aus Eratosthenes bei Strabon: Eratosth. F II
C 22 Berger = Strabo I 4, 7 C 65; Agath. Geogr. inf. I 3 (mehr zum Problem s. bei GISINGER
(1937a) 2171). Mehr zu den geographischen Vorstellungen des Dionysios s. oben: Teil I. Kap.
2. Das Weltbild des Dionysios Periegetes (Die Form der Landmasse und ihr Aufbau).
138
Die Angaben über den Landstreifen zwischen dem Pontos und dem Kaspischen Meer sind
bei Kleitarchos (FGrHist 137 F 13), Ps.-Skymnos (F 19 Marcotte), Poseidonios Rhodios (F
206 Edelstein–Kidd) und Strabon (XI 1, 5 C 491) überliefert; möglicherweise gehen sie auf
die Daten des Eratosthenes und des Patrokles zurück (Eratosth. F II A, 11 Berger = Strabo XI
11, 7 C 518; Eratosth. F III B 67 Berger = Strabo XI 7, 3 C 509 = Patrokl. 712 FGrHist F 5
Jacoby).
139
PLONTKE-LÜNING, SCHWARCZ (1998) 879; BRAUND (1994) passim.

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Teil II. Kap. 8. Pontische Völker und Stämme

auch die kaukasischen Iberer: „(Der Fluss Phasis) läuft hier, fließend aus Armenien, daneben
wohnen die aus Iberien [sc. von den Pyrenäen] nach Armenien ausgesiedelten Iberer“ (F 20
Marcotte)140. Strabon platziert die kaukasischen Iberer zwischen den Kolchern und den
Armeniern (XI 2, 18 C 499) und erklärt die Ethnonymbezeichnung, die mit der Bezeichnung
der westlichen Iberer identisch ist, mit den Goldgruben in den beiden Ländern (XI 2, 19 C
499). Der Geograph beschreibt auch ausführlich die geographische Beschaffenheit des Landes
der kaukasischen Iberer, ihre Lebensart und Gesellschaft (Strabo XI 3, 3–6 C 499–501; vgl.
Plin. nat. hist. VI 29) und bemerkt dabei, dass die Iberer im Bergland kriegerisch sind,
während die Iberer in der Ebene Landwirtschaft betreiben und zu friedlichem Leben neigen
(Strabo XI 3, 3 С 500).
Eustathios berichtet in seinem Kommentar zur dionyseïschen Periegese von der Lage
der Iberer, wobei er sich auf Strabon stützt (XI 2, 15 C 497): „Dieser Kaukasus erhebt sich
über das Kaspische Meer, durchzieht wie eine Mauer die Landenge, die sie trennt; er bildet
die Grenze zwischen den Albanern und den Iberern im Süden und den Sarmaten im Norden“
(Eust. ad Dion. Per. 689)141. Weiter präzisiert Eustathios, dass Pyrene, von wo die Iberer
ostwärts ausgewandert sind, „auch der Pyreneische Berg genannt wird, wie es uns bekannt
ist“ (ἣν δὴ Πυρήνην καὶ Πυρηνεῖον οἴδαµεν ὄρος λέγεσθαι)» (Eust. ad Dion. Per. 695). Die
Stadt Pyrene ist bereits seit Herodot bekannt: „Dieser (sc. der Istros – E. I.) entspringt im
Lande der Kelten bei der Stadt Pyrene (Πυρήνης πόλιος)“ (II 33). Gemäß Dionysios haben die
angekommenen Iberer einen Krieg mit den örtlichen Hyrkaniern begonnen142, die durch die
antiken Geschichtsschreiber an der südöstlichen Küste des Kaspischen Meeres platziert
wurden143.
Das äußerst seltene, vielleicht sogar halbmythische, Ethnonym der an derselben
Landenge zwischen dem Schwarzen und dem Kaspischen Meer wohnenden Kamariter
(Καµαριτάων φῦλον µέγα, vv. 700–705) ist unklar144. Eustathios stützt sich auf die Daten
des Strabon (XI 2, 12 C 495) und leitet den Völkernamen vom Wort καµάραι („bedeckte
Boote“) ab, die durch die Seeräuber im östlichen Pontos benutzt wurden und Platz für an die

140
(Φᾶσις ποταµός) τὸ ῥεῦµ᾿ ἔχει φερόµενος ἐκ τῆς Ἀρµενίας, οὗ πλησίον οἰκοῦσι
µεταναστάντες ἐξ Ἰβηρίας εἰς Ἀρµενίαν Ἴβηρες (Ps.-Scymn. F 20 Marcotte).
141
καὶ ὅτι ὑπέρκειται ὁ Καύκασος οὗτος τοῦ Κασπίου πελάγους, διατειχίζων τὸν αὐτόθι
ἰσθµὸν, καὶ ἀφορίζων πρὸς µὲν νότον Ἀλβανοὺς καὶ Ἴβηρας, πρὸς δὲ ἄρκτον Σαρµάτας
(Eust. ad Dion. Per. 689).
142
Vgl. die Erwähnungen der legendären Migration der Iberer von den Pyrenäen in den
Kaukasus in den lateinischen Übersetzungen der dionyseischen Periegese: Avien. Descr. 882–
885; Prisc. Per. 679–681, und die über den Zusammenstoß zwischen den Iberern und den
Hyrkanern: Mela I 13, III 39; Plin. nat. hist. VI 46; 113.
143
Herod. III 117, VII 62; Strabo XI 7, 1–5 C 508–510; Plin. nat. hist. XXXI 43; vgl. auch:
Ptol. Geogr. VI 9. S. auch: KIESSLING (1914b) 454–526; TREIDLER (1967) 1293–1295;
WIESEHÖFER (1998) 824–826.
144
Die Volksbezeichnung ist noch in den lateinischen Übersetzungen der dionyseïschen
Periegese (gens Camaritarum: Avien. Descr. 885–890; Prisc. Per. 682–683) und bei Amm.
Marc. (XXII 8, 23–24) zu finden.

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Teil II. Kap. 8. Pontische Völker und Stämme

30 Menschen boten (Eust. ad Dion. Per. 700)145. In diesem Fall kann man vielleicht den
Völkernamen als eigenartige Berufsbezeichnung verstehen: „diejenigen, die Kamarai
benutzen“ (wie die Chalyber, die Mossyniker; über diese s. unten). Andererseits ist es
möglich, dass die Kamariter des Dionysios mit dem Volk der Komaren identisch sind, die von
den antiken Autoren an der südlichen Küste des Kaspischen Meeres oder am asiatischen Fluss
Jaxartes (heute Syrdarja) lokalisiert wurden146. Nach einer anderen Vermutung könnte es sein,
dass die Kamariter/ Komaren am Kaspischen Meer mit den Bewohnern des Emporiums
Καµάρα am Indischen Ozean (heute Hafen Kārikāl an der Mündung des Flusses Kaveri)147
verwechselt wurden.
Das Volk der gastfreundlichen Kamariter ist bei Dionysios vor allem mit dem Kult des
Bakchos verbunden148. In hellenistischer Zeit hat der Dionysos-Kult einen offiziellen Rang
am Pontos bekommen; dabei weist die Forschung im Kult sowohl griechische als auch
kleinasiatische und iranische Komponenten nach149. Die Anfänge der Sage vom
welterobernden, vor allem aber in den Orient vordringenden Dionysos lassen sich bereits im
5. Jh. v. Chr. nachweisen. Bei Euripides erreicht Dionysos, begleitet von einer Schar lydischer
Frauen, nach seiner Siegesfahrt durch Persien, Baktrien, Medien, Arabien und Asien
schließlich Theben150. Dionysios Periegetes erwähnt jedoch die Legende von dem indischen
Triumphzug des Dionysos, die in Verbindung zu den Kriegszügen Alexanders des Großen
steht und vor diesen nicht nachzuweisen ist: Die indische Dionysos-Sage findet sich zuerst bei
den Alexanderhistorikern151; Alexander wurde sogar mit Dionysos verglichen.
Eine ähnliche Beschreibung vom Gott Dionysos findet sich in den Argonautika des
Apollonios Rhodios (II 904–910) – hier findet sich dasselbe Motiv der Heimkehr des

145
Vgl. die Beschreibung der ähnlichen Boote bei Tacitus (Hist. III 47, 3) und bei Aulus
Gellius (X 25, 6). Καµάρα bedeutet eigentlich „Gewölbe“ (vgl. avest. kamara „Gürtel“, lat.
camur, -a, -um); mit diesem Wort werden bei Herodot babylonische bedeckte Wagen (I 199),
bei Strabon bedeckte Boote der Seeräuber (XI 2, 12 C 495) und bei den späteren Autoren eine
Kammer oder ein Grabgewölbe (Agath. 62; Phlegon. De mirab. F 1, 9 Giannini) bezeichnet.
146
Comari (Mela I 13), Commori (Plin. nat. hist. VI 47), Κόµαροι am Fluss Jaxart (Ptol.
Geogr. VI 13), vgl. Κάρµαρα in Indien (Ptol. Geogr. VII 1, 91), Kap Τάµαρον am Kaukasus
(Strabo XI 11, 7 C 519), Oros. Hist. I 5 Riese: Kap Samarae; Expositio totius mundi et
gentium 4 Riese: Gentes aiunt esse Camarinorum in partibus orientis, cuius terram Moyses
Eden nominando descripsit.
147
Anon. PME 20 Casson; s. dazu: CASSON (1989) 51–93; DE ROMANIS (1996) 80–160, bes.
115.
148
Vgl. die Erwähnungen der Kamariter bei Avienus (Descr. 885–890) und Priscianus (Per.
682–683).
149
S.: ROBERT (1970) 286. Darstellungen des Dionysos und seiner Attribute sind auf den
Münzen mehrerer pontischer Städte zu finden; der Pontos-Herrscher Mithridates Eupator sah
sich als Verkörperung dieses Kults und fügte seinem Epitheton den Gottesnamen hinzu.
150
Eurip. Bacch. 13–25, vgl. Strabo XV 1, 7 C 687, der auf diese Verse des Euripides
hinweist.
151
Megasth. FGrHist 715 F 4, 12, 14 J. = Diod. II 38–39; Strabo III 5, 5–6 C 171; Ovid. fast.
III 719–720: Sithonas et Scythios longum est narrare triumphos et domitas gentes, turifer
Inde, tuas.

- 254 -
Teil II. Kap. 8. Pontische Völker und Stämme

Dionysos von seinem indischen Triumphzug und der Einführung seines Kults in den
pontischen Gebieten:

II 904 ὦκα δὲ Καλλιχόροιο παρὰ προχοὰς ποταµοῖο


ἤλυθον, ἔνθ' ἐνέπουσι ∆ιὸς Νυσήιον υἷα,
Ἰνδῶν ἡνίκα φῦλα λιπὼν κατενίσσετο Θήβας,
ὀργιάσαι, στῆσαί τε χοροὺς ἄντροιο πάροιθεν
ᾧ ἐν ἀµειδήτους ἁγίας ηὐλίζετο νύκτας·
ἐξ οὗ Καλλίχορον ποταµὸν περιναιετάοντες
910 ἠδὲ καὶ Αὔλιον ἄντρον ἐπωνυµίην καλέουσιν.
„Und schnell kamen sie an die Fluten des Flusses Kallichoros, wo, wie man sagt, der
Nyseische Sohn des Zeus, als er nach Verlassen der Stämme der Inder sich in
Theben ansiedelte, seinen Geheimkult gefeiert und Reigentänze vor der Höhle
veranstaltet hat, in der er die ohne Lachen geweihten Nächte verbrachte; daher
nennen die Umwohnenden den Fluss „Kallichoros“ („Schönreigen“) und die Höhle
„Aulion“ („Herberge“) mit Beinamen“ (Apoll. Rhod. II 904–910; Übers. v. P.
Dräger).

Die beiden Erzählungen des Apollonios und des Dionysios gehören zu den
Epiphaniesagen, in denen der Gott den Menschen erscheint – hier außerdem als Sieger und
Triumphator. Bei Dionysios wird dies gleichzeitig mit einer anderen Variante kombiniert, der
zufolge der Gott bei seiner Ankunft von den Menschen freundlich aufgenommen wird und sie
deshalb mit seiner Zuneigung beschenkt.
In den Versen des Apollonios ist der Gottesname in einer Periphrase verborgen (∆ιὸς
Νυσήιον υἷα „der Nyseische Sohn des Zeus“, II 905 = Apoll. Rhod. IV 1134), während
Dionysios den Gott mit dem typisch poetischen Beiwort Βάκχος bezeichnet (vv. 700, 704,
und noch zweimal im Gedicht in vv. 572 und 1153). Die Mythosversion des Apollonios stellt
eine aitiologische Erzählung über den südpontischen Fluss Kallichoros dar; der Rhodier
präzisiert den Namen des an diesem Fluss wohnenden Volkes nicht (er sagt nur
περιναιετάοντες „die Umwohnenden“) und erwähnt dann die Hauptelemente eines
dionysischen Kults – die Orgien und Reigentänze – dies alles aber nur, um die lokale
Flussbenennung zu erklären. Wegen der an seinen Ufern stattfindenden dionysischen
Festlichkeiten soll der Fluss den Namen Καλλίχορος „Schönreigen” bekommen haben (von
κάλλος „Schönheit“ oder καλός „schön” und χορός „Reigen”)152. Hier wird auch die heilige
Höhle des Dionysos erwähnt, in welcher der Gott „die geweihten Nächte verbrachte“ (II 908)
und die seitdem Αὔλιον genannt wird (Apoll. Rhod. II 910); die Höhle wird in der neueren
Forschung als Heiligtum der Großen Mutter identifiziert153.
In den Mythenversionen über Dionysos werden traditionell Mänaden erwähnt, die den
Gott in wildem Taumel und ausgelassener Lust umgeben; mit ihnen zieht er durch die Länder.

152
Der Fluss mit dem Namen Kallichoros in Paphlagonien ist auch bei Ps.-Skyl. (v. 90); Plin.
nat. hist. VI 5 zu finden.
153
S.: VIAN–DELAGE (1974) 219, n. 2, wo Aulion mit Aulia oder Metroon identifiziert wird,
einem Heiligtum der Großen Mutter 80 Stadien östlich von Herakleia Pontika sowie 130 oder
180 Stadien westlich vom Fluss Oxinas (vgl. Arr. PME 13, 3–4; Anon. PPE 8v12 Diller).

- 255 -
Teil II. Kap. 8. Pontische Völker und Stämme

Während die Mänaden bei Apollonios nicht direkt genannt sind (eventuell nur hinter dem
Verb ὀργιάσαι zu vermuten sind), so spricht Periegetes von den „Lenen“ (µετὰ Ληνάων),
einer der vielen Bezeichnungen der Bakchantinnen154. Die vom Periegeten erwähnten Lenen,
die Begleiterinnen des Dionysos, haben eine eigenartige Rüstung, die von den feiernden
Kamaritern nachgeahmt wird: ζώµατα καὶ νεβρῖδας ἐπὶ στήθεσσι („lederne Gürtel (bzw.
Panzerschürzen) und Hirschkalbfelle um die Brüste“, v. 703). Vielleicht erklärt die
kriegerische Gestalt (ζώµατα als Panzerschürzen finden sich bereits in den homerischen Epen:
Il. IV 187, 216, XXIII 683, Od. XIV 482) eine weitere Passage aus der Periegese, in der
Dionysios sozusagen die Vorgeschichte der Ankunft des Dionysos bei den Kamaritern
erzählt:

1152 ἔστι δέ τις θηητὸς ἐϋρρείτην παρὰ Γάγγην


χῶρος τιµήεις τε καὶ ἱερός, ὅν ποτε Βάκχος
θυµαίνων ἐπάτησεν, ὅτ' ἠλλάσσοντο µὲν ἁβραὶ
Ληνάων νεβρῖδες ἐς ἀσπίδας, ἐς δὲ σίδηρον
θύρσοι µαιµώοντο καὶ ἐς σπείρηµα δρακόντων
ζωστῆρές θ' ἕλικές τε πολυγνάµπτης ἑλίνοιο,
1158 ἦµος ὅτ' ἀφραδίῃσι θεοῦ ἀτίτησαν ἑορτήν.
„Es gibt aber am schönfliessenden Ganges einen bestaunenswerten
Ort, verehrt und heilig, welchen einst Bakchos
Zürnend betrat, als sich wandelten die zarten
Hirschkalbfelle der Lenen zu Schilden, zum Stahle
Zustrebten ihre Thyrsosstäbe und zur Windung von Schlangen
Ihre Leibgurte und die Ranken der vielgebogenen Weinrebe –
Damals, als sie aus Unverstand das Fest des Gottes nicht ehrten“ (Dion. Per. 1152–1158).

Anhand dieser Passage lässt sich erkennen, dass Dionysios die Lenai mit ihren νεβρῖδες am
Zug des Dionysos nach Indien teilnehmen lässt und die Verwandlung ihrer Kleider in
Kriegsbewaffnung durch den Widerstand der Inder erklärt. Dadurch setzt Periegetes auch der
Torheit der Inder, die einst sein Fest verachtet haben, die Freundlichkeit der Kamariter, die
den Gott Dionysos gastfreundlich empfangen haben, entgegen.
Trotz dieses Unterschiedes in der Lokalisierung der dionysischen Festlichkeiten findet
sich in den Passagen des Dionysios und des Apollonios Rhodios eine große Ähnlichkeit in
den Einzelheiten (die Heimkehr des Dionysos vom indischen Feldzug, Reigentänze, Orgien),
was erneut die Orientierung des Periegetes an den Argonautika beweist. Der Gott Dionysos
übernimmt beim Rhodier und bei Periegetes nicht nur eine rein religiöse Funktion, sondern
wird auch mit der geographischen Raumeroberung und mit der Verbreitung der griechischen
Kultur in den neu entdeckten Ländern assoziiert.

154
Die Bezeichnung kommt jedoch nur selten vor; wahrscheinlich findet sich die erste
Erwähnung bereits bei Heraklit. 14; vgl. Strabo X 3, 10 C 468; Theocr. Id. 26: „Λῆναι ἢ
Βάκχαι“ (als Titel).

- 256 -
Teil II. Kap. 8. Pontische Völker und Stämme

8.4 Die vierte Route: Von Phasis und den Kolchern aus, entlang der
südlichen Küste des Pontos bis zum Thrakischen Bosporos (Dion. Per.
762–798)
Nach der Erwähnung der Iberer, die auf einer Landenge zwischen dem Pontos und dem
Kaspischen Meer wohnen, und der Kamariter (vv. 695–705) geht Dionysios zur ausführlichen
Beschreibung des Kaspischen (Hyrkanischen) Meeres und der an seiner Küste wohnenden
Völker über (vv. 706–761). Danach kehrt der Perieget gedanklich zum Fluss Phasis an der
östlichen Küste des Pontos und zu den an diesem Fluss siedelnden Kolchern zurück. Von dort
aus bewegt er sich mit seiner Schilderung in westliche Richtung, entlang der südlichen Küste
des Schwarzen Meeres, wobei er in Form eines Kataloges Völker und Stämme, Flüsse und
Berge bis zum Thrakischen Bosporos aufzählt und damit seinen „Periplus Ponti Euxini“
beendet:

762 φράζεο δ᾿ ἐκ Κόλχων καὶ Φάσιδος ἐς δύσιν ἤδη,


Εὐξείνου παρὰ χεῖλος, ἐπιλαδὸν ἔθνεα Πόντου
ἄχρι Θρηϊκίου στόµατος, τόθι Χαλκὶς ἄρουρα.
765 Βύζηρές τοι πρῶτα καὶ ἀγχόθι φῦλα Βεχείρων,
Μάκρωνες Φίλυρές τε καὶ οἳ µόσσυνας ἔχουσι
δουρατέους· τῶν δ᾿ ἄγχι πολύρρηνες Τιβαρηνοί·
τοῖς δ᾿ ἐπὶ καὶ Χάλυβες στυφελὴν καὶ ἀπηνέα γαῖαν
ναίουσιν, µογεροῦ δεδαηκότες ἔργα σιδήρου,
770 οἵ ῥα, βαρυγδούποισιν ἐπ᾿ ἄκµοσιν ἑστηῶτες,
οὔποτε παύονται καµάτου καὶ ὀϊζύος αἰνῆς.
τοὺς δὲ µετ᾿ Ἀσσυρίης πρόχυσις χθονὸς ἐκτετάνυσται,
ἔνθα δ᾿ Ἀµαζονίδεσσιν ἀπ᾿ οὔρεος Ἀρµενίοιο
λευκὸν ὕδωρ προΐησιν ἐνυάλιος Θερµώδων,
775 ὅς ποτ᾿ ἀλωοµένην Ἀσωπίδα δέκτο Σινώπην
καὶ µιν ἀκηχεµένην σφετέρῃ παρενάσσατο χώρῃ
Ζηνὸς ἐφηµοσύνῃσιν· ὁ γὰρ φιλότητος ἐραννῆς
ἰσχανόων, πάτρης ἀπενόσφισεν οὐκ ἐθέλουσαν·
ἐκ τῆς καὶ πτολίεθρον ἐπώνυµον ἄνδρες ἔχουσιν.
780 κείνου δ᾿ ἂν ποταµοῖο περὶ κρυµώδεας ὄχθας
τέµνοις κρυστάλλου καθαρὸν λίθον, οἶά τε πάχνην
χειµερίην· δήεις δὲ καὶ ὑδατόεσσαν ἴασπιν.
Ἶρις δ᾿ ἑξείης καθαρὸν ῥόον εἰς ἅλα βάλλει.
τῷ δ᾿ ἐπὶ µορµύρουσι ῥοαὶ Ἅλυος ποταµοῖο,
785 ἑλκόµεναι βορέηνδε Καραµβίδος ἐγγύθεν ἄκρης,
ἀρξάµεναι τὸ πρῶτον ἀπ᾿ οὔρεος Ἀρµενίοιο.
Παφλαγόνες δ᾿ ἐπὶ τοῖοσιν ἐπ᾿ ἠϊόνεσσι νέµονται,
καὶ Μαριανδυνῶν ἱερὸν πέδον· ἔνθ᾿ ἐνέπουσιν
οὐδαίου Κρονίδαο µέγαν κύνα χαλκεόφωνον,
790 χερσὶν ἀνελκόµενον µεγαλόφρονος Ἡρακλῆος,
δεινὸν ἀπὸ στοµάτων βαλέειν σιαλώδεα χυλόν,

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Teil II. Kap. 8. Pontische Völker und Stämme

τὸν µὲν ἐδέξατο γαῖα καὶ αὐτόθι πῆµ᾿ ἐφύτευσεν.


ἄγχι δὲ Βιθυνοὶ λιπαρὴν χθόνα ναιετάουσι,
Ῥήβας, ἔνθ᾿ ἐρατεινὸν ἐπιπροΐησι ῤέεθρον,
795 Ῥήβας, ὃς Πόντοιο παρὰ στοµάτεσσιν
Ῥήβας, οὗ κάλλιστον ἐπὶ χθονὶ σύρεται ὕδωρ.
τόσσοι µὲν Πόντοιο περικτίται ἄνδρες ἔασι·
798 κεῖνα δέ τοι Σκυθίης προλελεγµένα φῦλα πελέσθω.
„Doch merke auf – von den Kolchern und vom Phasis aus nunmehr nach Westen
An des Euxeinos Lippe entlang – in dichter Reihe die Völker des Pontos
Bis zur Thrakischen Meeresöffnung, wo die Chalkische Ackerflur!
Die Byzerer freilich zuerst und nahebei die Stämme der Becheirer,
die Makronen und Philyrer und die, welche die Türme innehaben,
die hölzernen; diesen wiederum nahe die schafreichen Tibarener;
neben denen aber bewohnen ein hartes und abweisendes Land
auch die Chalybes, gelehrt in der Bearbeitung des Mühe bereitenden Eisens,
welche denn, an den dumpfdröhnenden Ambossen stehend,
niemals ablassen von der Anstrengung und der schrecklichen Mühsal.
Nach diesen wiederum liegt das Schwemmland des Assyrischen Bodens ausgedehnt,
wo den Amazonen vom Armenischen Bergland her
sein weißes Wasser entsendet der mörderische Thermodon,
welcher einst die umherirrende Asopostochter aufnahm, die Sinope,
und sie, die betrübte, wohnen ließ neben seinem eigenen Land –
auf des Zeus Gebote hin: denn er, ihre liebreiche Liebkosung
begehrend, hatte sie von der Heimat entfernt, obwohl sie nicht wollte;
auch eine nach dieser zubenannte Stadt haben die Menschen inne.
Rings aber an jenes Flusses frostigen Uferhügeln
Könntest du wohl den klaren Stein des Kristalles schneiden, gleichsam Eis,
winterliches; du wirst aber auch den wasserfarbenen Jaspis finden.
Der Iris anschließend wirft seine klare Flut ins Salzmeer.
Auf diesen folgend murmeln die Fluten des Halysflusses,
sich hinziehend nach Norden nahe der Landspitze Karambis,
nachdem sie zunächst vom Armenischen Bergland aus ihren Anfang genommen haben.
Die Paphlagonen aber, auf diese folgend, siedeln an den Meeresufern –
Und der Mariandyner heiliger Boden: da, so künden sie,
habe der große, mit eherner Stimme begabte Hund des unterirdischen Kroniden,
als er emporgezogen wurde von den Händen des hochbeherzten Herakles,
aus seinen Mäulern einen schrecklichen Speichelsaft ausgeworfen;
diesen nun nahm die Erde auf und pflanzte den Menschen Unheil.
Nahebei aber bewohnen die Bithynen einen fetten Boden,
wo der Rhebas seinen lieblichen Strom vorantreibt,
der Rhebas, welcher an den Einmündungen des Pontos seines Weges wandelt,
der Rhebas, dessen Wasser als schönstes auf Erden sich hinzieht.
Soviele nun sind die den Pontos umwohnenden Menschen.
Jene zuvor genannten Stämme aber fürwahr sollen Skythien angehören!“
(Dion. Per. 762–798).

Die Aufzählung der südpontischen Stämme und Völker beginnt Dionysios mit einer Anrede
an den imaginären Leser/ Zuhörer: φράζεο δ᾿ „Doch merke auf“ (Dion. Per. 762). Solche
Formeln sind für die frühepische Tradition typisch; Periegetes verwendet sie als ein

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Teil II. Kap. 8. Pontische Völker und Stämme

lexikalisches Zeichen, das den Beginn einer ausführlichen Erzählung (hier wiederum in Form
eines Katalogs) markiert155.
Dionysios übernimmt ein traditionelles Stilmittel der antiken Periploi, indem er die
Ausgangs- und Endpunkte seiner „Route“ der südpontischen Küste entlang bezeichnet: Von
den Kolchern und dem kaukasischen Fluss Phasis (ἐκ Κόλχων καὶ Φάσιδος ἐς δύσιν, v. 762)
die pontische Küste entlang (Εὐξείνου παρὰ χεῖλος, v. 763) bis zu Chalkis auf dem
asiatischen Ufer des Thrakischen Bosporos (τόθι Χαλκὶς ἄρουρα, v. 764)156. Sowohl die
Mündung des Phasis und die Straße des Bosporos als auch die Mündungen anderer Flüsse –
des Thermodon, des Iris, des Halys, des Rhebas – und das Kap Karambis spielen bei
Dionysios eine wichtige Rolle als Markierungen und strukturieren den geographischen Raum
der „Route“. Eine Behelfsfunktion haben dabei die von Dionysios benutzten Präpositionen
und Adverbien, die die Lokalisierung der geographischen und ethnischen Objekte präzisieren
und den „hodologischen“ Charakter der Raumwahrnehmung betonen: ἀγχόθι (v. 765), τῶν δ᾿
ἄγχι (v. 767), τοῖς δ᾿ ἐπί (v. 768), τοὺς δὲ µετ᾿ (v. 772), ἔνθα δ᾿ (v. 773), ἐξείης (v. 783), τῷ δ᾿
ἐπί (v. 784), δ᾿ ἐπὶ τοῖσιν (v. 787), ἄγχι δέ (v. 793), ἔνθα (v. 794)157.
Neben der Redewendung παρὰ χεῖλος „an des Euxeinos (sc. Meeres) Lippe entlang“
(v. 763)158 verwendet Dionysios das Stilmittel der Auslassung für die metaphorische
Bezeichnung der Küste, da eigentlich das Wort „Meer“ im Vers fehlt (vgl. das gleiche
Stilmittel in v. 681: Εὐξείνοιο, in Endposition). Gleichzeitig entspricht dem Adjektiv
Εὐξείνου am Anfang des Verses 763 das Nomen Πόντου am Ende desselben Verses (das
formal zu einem anderen Lexem gehört: ἔθνεα Πόντου), was ein optisches Wortspiel darstellt.
Dieses Beispiel lässt auch erkennen, dass Dionysios’ Gedicht auch zum visuellen Lesen und
nicht nur zum Zuhören gedacht war, was ein bestimmtes kulturelles Niveau und einen
ästhetischen Geschmack der Leser vermuten lässt, die die Stilexperimente des Dionysios
bewerten konnten. Auf ähnliche Weise stellt die Redewendung ἄχρι Θρηϊκίου στόµατος „bis
zur Thrakischen Meeresöffnung“ (v. 764) eine weitere Auslassung dar: Damit ist hier „der
Thrakische Bosporos“ gemeint (wie z.B. in v. 140: ἐπὶ Θρηϊκίου στόµα Βοσπόρου). Die

155
S. z. B.: Hom. Il. XVI 446, XVII 144, XXIV 354 u. a., Od. IV 71, XV 167; vgl. Apoll.
Rhod. III 1026, IV 411; Dion. Per. 130, 331, 894, 1089, 1128: immer am Anfang des Verses.
156
Zur Schreibweise des Toponyms Chalkis s. z. B.: Ctes. FGrHist 688 F 13 J. = Phot. Bibl.
72, p. 38b: Χαλκηδόνιοι; Strabo XII 3, 2 C 541: Χαλκηδόνος; vgl. Dion. Per. 803: χαλκιδέες;
bei Herod. VI 33 und Ps.-Scymn. 741 Marcotte jedoch καλχεδόνιοι. Eustathios von
Thessaloniki erzählt eine Passage Herodots nach, in der es darum geht, dass die Chalkedoner
ihre Polis 17 Jahre früher als die der Byzantiner auf dem gegenüberliegenden Ufer gegründet
hätten (Herod. IV 144), und zitiert andere Verse des Dionysios, in denen man eine
Reminiszenz an Herodot hören kann (Dion. Per. 803-804) (Eust. ad Dion. Per. 764). Zur
Passage Herodots s. z. B.: DANDAMAEV (1989) 136-140; zu einer anderen Angabe des
Eustathios über Byzantion und Chalkis, die eine von Herodot unabhängige Version überliefert
(Eust. ad Dion. Per. 803), s.: BOSHNAKOV (2004) 152.
157
Über die Präpositionen bei Dionysios s.: MOMMSEN (1895) 201-202, 806-824; über die
altgriechischen Präpositionen im “hodologischen” Kontext s.: GEHRKE (1998) 178.
158
Vgl. Herod. II 70: ἐπὶ τοῦ χειλέος τοῦ ποταµοῦ; Apoll. Rhod. III 1277: παρὰ χεῖλος
ἑλισσοµένου ποταµοῖο.

- 259 -
Teil II. Kap. 8. Pontische Völker und Stämme

periphrastische Bezeichnung der Polis Chalkis (heute Istanbul-Kadiköy)159, die am asiatischen


Ufer der Meerenge gegenüber von Byzantion liegt, wird von Dionysios mit der
Wortverbindung τόθι Χαλκὶς ἄρουρα „wo die Chalkische Ackerflur“ (v. 764) ausgedrückt160.
Wahrscheinlich tritt die Wendung Χαλκὶς ἄρουρα – wie auf ähnliche Weise Λοκρὶς ἄρουρα
(v. 426) und Φωκὶς ἄρουρα (v. 437) – als eine Stilspielerei auf, in dem Dionysios den
frühepischen Wortschatz161 mit einer konkreten Lokalisierung der geographischen Objekte
verbindet. Die Bezeichnung ἔθνεα Πόντου „die Völker des Pontos“ (v. 763) wird von
Dionysios als allgemeiner Name gebraucht162.
Es wurde bereits des Öfteren bemerkt, dass der ethnogeographischen Beschreibung
des südlichen Pontos bei Dionysios (vv. 762–798) sowohl eine Passage aus den Argonautika
des Apollonios Rhodios, in der der Weissager Phineus den Argonauten ausführlich über die
bevorstehende pontische Route vom Thrakischen Bosporos zur kaukasischen Kolchis erzählt
(Apoll. Rhod. II 317–401) als auch die darauf folgende Beschreibung dieser Reise der
Argonauten (Apoll. Rhod. II 549–1280) zugrunde liegen163. Der Abschnitt der Argonautika
mit der Phineus-Prophezeiung stellt einen stilisierten Periplus des Südpontos dar, in dem sich
Angaben über die seine Küste besiedelnden Völker, über die in der Nähe liegenden Inseln,
über Flüsse und Gebirge finden lassen164. Bei der Beschreibung der Argonautenfahrt entlang
der südpontischen Küste hat Apollonios Rhodios außer der mythopoetischen Tradition auch
vielfältiges ethnographisches und geographisches Material herangezogen165.
In den Texten des Apollonios Rhodios und des Dionysios findet sich eine markante
Ähnlichkeit der Ethnonyme, Toponyme und Hydronyme der südpontischen Küste166. Die

159
Vgl. ihre Beschreibung in der Überlieferung des Strabo: XII 3, 2 С 541 u.a.
160
Mehr zur Polis Chalkis s. z. B. bei: MERLE (1916).
161
Vgl. Hom. Il. II 537, 640; Od. XV 295 ἄρουρα, womit die Poleis von Hellas gemeint sind.
162
Vgl. Mela I 13: Circa Pontum aliquot populi alio alioque fine uno omnes nomine Pontici.
Ad lacum Maeotici; Pontici und Maeotici werden hier nicht als ethnische, sondern als rein
geographische Bezeichnungen für die an der Küste des Pontos wohnenden Völker verwendet.
163
Die wichtigsten Bemerkungen dazu finden sich bei: GÖTHE (1875) 36–37; s. auch:
SCHNEIDER (1882) 21–24; BERNAYS (1905) 34–46; VIAN (2001) 285–308; GREAVES (1994)
115–121; HUNTER (2003) 343–356, bes. 343.
164
Zur Phineusrede s.: FRÄNKEL (1968) 178 ff.; s. auch: MEYER (1998a) 214; MEYER (2001)
217–235.
165
Mehr zu den unterschiedlichen Quellen der Argonautika des Apollonios Rhodios, z. B. zu
Hekataios von Milet, Pherekydes, Ephoros, Ps.-Skylax, Nymphodor, Nymphis von Herakleia,
s.: HÖFER (1904) 542–564 (über Ephoros von Kyme als Quelle für Apollonios Rhodios);
DELAGE (1930) 277–280; PEARSON (1938) 443–459 (bes. 448–450: hier wird nachgewiesen,
dass Apollonios Rhodios sich in seinen geographischen Passagen auf Angaben des Hekataios
von Milet gestützt hat); SCHNEIDER (1950) 42–43; DESIDERI (1967) 381 ff.; HUNTER (2004)
223.
166
Beim Vergleich der Texte der Argonautika und der Periegese kann man nur wenige
Abweichungen finden. So fehlen in der dionyseïschen Aufzählung der bei Apollonios
erwähnte Stamm der Sapirer (Saspirer) (Apoll. Rhod. II 395), die Ares-Insel (Apoll. Rhod. II
384), das Genetaiische Kap (Apoll. Rhod. II 377, 1009), die Ebene des Doias (Apoll. Rhod. II
373, 988), das Große Gestade (Apoll. Rhod. II 364–365, 944–945), der Fluss Acheron (Apoll.

- 260 -
Teil II. Kap. 8. Pontische Völker und Stämme

Reihenfolge der Aufzählung bei Dionysios unterscheidet sich aber von der im Epos des
Rhodiers: Die Argonauten des Apollonios bewegen sich von West nach Ost, vom
Thrakischen Bosporos (Apoll. Rhod. II 1–2) bis zu der kaukasischen Kolchis und dem Fluss
Phasis (Apoll. Rhod. II 1277)167, während die südpontischen Völker und Stämme bei
Dionysios von Ost nach West, d.h. im Uhrzeigersinn beschrieben werden (Dion. Per. 762–
764), was für die periploitische Literatur früherer Zeiten kennzeichnend war168.
Das Verzeichnis der ältesten Völkernamen bei Apollonios Rhodios und bei Dionysios
geht auf den Argonauten-Zyklus zurück und spiegelt die ethnographische Situation am Pontos
vor dem Trojanischen Krieg wider; dies lässt sich auf die Vorliebe der beiden Autoren
zurückführen, sich nach alexandrinischer Tradition am „archaischen“ Altertum zu orientieren
und außer Homer, Hesiod und Pindar auch andere, vielleicht heute nicht mehr erhaltene,
Quellen zu benutzen. Es muss aber angemerkt werden, dass die Namen dieser südpontischen
Völker auch in späteren Zeiten kaum wichtige Veränderungen erfahren haben und in
verschiedenen Kombinationen von einem historisch-geographischen Werk ins andere bis zur
Kaiserzeit überliefert werden169.
Im Folgenden möchte ich einerseits die Daten des Dionysios über die südpontischen
Völker und Stämme vor dem Hintergrund der geographischen Tradition untersuchen.
Andererseits werde ich sie wieder mit den entsprechenden Passagen aus den Argonautika des
Apollonios Rhodios vergleichen. Bei der Analyse des „südpontischen Katalogs“ des
Dionysios sollen auch die Stilbesonderheiten der dichterischen Sprache des Dionysios
ermittelt werden.
Die Liste der südpontischen Völker bei Dionysios beginnt mit den Byzerern
(Βύζηρές τοι πρῶτα, v. 765), einem der kaukasischen Stämme, den die griechische
geographische Tradition an der Pontosküste zwischen den Kolchern und den Becheirern
lokalisiert170; das Ethnonym ist auch später in der römischen Tradition anzutreffen171. In
seinem Kommentar zur Periegese des Dionysios wiederholt Eustathios von Thessaloniki die

Rhod. II 355), das Acherusische Kap (Apoll. Rhod. II 354), die Tyneische Insel (Apoll. Rhod.
II 350) und das Dunkle Kap (Apoll. Rhod. II 651).
167
Vgl. die Liste der südpontischen Völker bei Strabon, die bei der Aufzählung auf ähnliche
Weise gegen den Uhrzeigersinn vorgeht: Strabo XII 3, 2 С 541.
168
Vgl. z.B. Ps.-Scyl. 70–104: Der Liste der Völker und Stämme an der pontischen Küste im
Periplus des Ps.-Skylax ähnelt im Grossen und Ganzen die Aufzählung der pontischen Völker
bei Dionysios (vv. 650–880); man kann jedoch nicht behaupten, dass die Angaben des Ps.-
Skylax als Quelle für Dionysios dienten – trotz der merkbaren Ähnlichkeit einiger
Besonderheiten haben die beiden Texte ihre eigene Spezifik, die sich vor allem in den
lexikalischen Unterschieden zeigt. Mehr dazu s.: MARCOTTE (2002) LV–LXXI.
169
Vgl. Hecat. FGrHist. 1 F 202–208 J.; Herod. I 28; Ps.-Skyl. 81–92; Strabo XII 3, 2 С 541;
Plin. nat. hist. VI 9–12; Mela I 105–108.
170
Ps.-Scyl. 82: als Βούσηρες; Apoll. Rhod. II 396, II 1244; Strabo XII 3, 18 C 549; s. auch:
TOMASCHEK (1897) 1159; mehr zu den Angaben des Ps.-Skylax s.: COUNILLON (2004a) 97-
99.
171
Val. Flacc. V 157, 175: Buxeri / Buxedi; Mela I 107: Buxeri / Buxedi; Plin. nat. hist. VI 11:
Buxeri; Amm. Marc. XXII 8, 21: Byzares; auch in den lateinischen Übersetzungen der
dionyseïschen Periegese: Avien. Descr. 946 und Prisc. Per. 739.

- 261 -
Teil II. Kap. 8. Pontische Völker und Stämme

Angaben des Stephanos von Byzanz (Steph. Byz. s.v. Βύζηρες), indem er vom Byzerischen
Hafen (Βυζηρικὸς λιµήν) spricht, der seinen Namen vom Stamm der Byzerer bekommen habe
(Eust. ad Dion. Per. 762). Mit den Byzerern werden manchmal die ∆ίζηρες des Hekataios
von Milet identifiziert, die der Geograph östlich von den Becheirern und Choern lokalisiert
(FGrHist 1 F 207 J. = Steph. Byz. s. Χοί)172. Der Zeitgenosse des Dionysios Arrian hatte das
Schwarze Meer nach seiner Seeexpedition beschrieben und Xenophon folgend (Anab. IV 8,
22–24) alle Stämme auf der Strecke von Trapezus bis Apsaros mit dem allgemeinen Namen
„Kolcher“ bezeichnet, unter die er die Macheloner, die Heniocher und die Zydriter fasst – die
Byzerer werden nicht genannt173.
Apollonios Rhodios erwähnt die Byzerer an zwei Stellen (Apoll. Rhod. II 396:
Βύζηρες; II 1244: Βύζηρας), jeweils zu Beginn des Verses, ähnlich wie bei Dionysios; die
einzige Charakteristik der Byzerer im Text der Argonautika stellt ihre Lokalisierung zwischen
den Sapirern (westlich von den Byzerern) und den Kolchern (östlich von den Byzerern)
dar174.
Neben den Byzerern siedeln die Becheirer (φῦλα Βεχείρων, v. 765); über ihr Land
spricht bereits Hekataios von Milet (ἡ Βεχειρική, FGrHist 1 F 207 J.), weshalb angenommen
werden kann, dass Dionysios die frühionische geographische Tradition fortsetzt. Ps.-Skylax
erwähnt nicht nur den Stamm der Becheirer, sondern berichtet auch vom Becheirischen Hafen
und von der griechischen Polis Becheiras175. Anscheinend bewohnten die Becheirer die
Küstengebiete am Südpontos und teilweise die inneren Gegenden im Vorgebirge des
Kleinkaukasus176. Eustathios von Thessaloniki bemerkt seinerseits, die Becheirer seien ein
pontischer und skythischer Stamm (Eust. ad Dion. Per. 762)177.
Apollonios von Rhodos setzt in der Phineusprophezeiung über die Fahrt der
Argonauten die Völkerbezeichnungen „Becheirer“ und „Byzerer“ jeweils an den Anfang
eines Verses (φῦλα Βεχείρων, Apoll. Rhod. II 394; vgl. unten II 1242: Βεχείρων auch am
Anfang des Verses) und ans Ende eines anderen (Βύζηρες, Apoll. Rhod. II 396). Dionysios
ahmt das Stilmittel des Apollonios augenfällig nach und zeigt seine eigene dichterische
Technik, indem er seinen Vers mit der Erwähnung des Namens „Becheirer“ beginnt und
denselben Vers mit der Bezeichnung „Byzerer“ beendet – in einer Redewendung, die wörtlich
die Phraseologie des Rhodiers wiederholt (Βύζηρές τοι πρῶτα καὶ ἀγχόθι φῦλα Βεχείρων,
Dion. Per. 765; vgl. Orph. Arg. 744)178.

172
TOMASCHEK (1897) 1159.
173
Arr. PPE 11, 2: Μαχελόνων καὶ Ἡνιόχων ἐχόµενοι Ζυδρεῖται.
174
DELAGE (1930) 181; FRÄNKEL (1968) 178 ff.: zur Phineusrede; VIAN–DELAGE (2002) 235.
175
Βεχειρικὸς Λιµήν, Βεχειρὰς πόλις Ἑλληνίς, Ps.-Scyl. 84. Mehr zu den Angaben des Ps.-
Skylax s.: COUNILLON (2004a) 97–99.
176
TOMASCHEK (1897) 181.
177
In der lateinischen Tradition findet sich der Stamm der Becheirer bei Mela (I 107: Bechiri /
Discheri) und Plinius d. Älteren (nat. hist. VI 11: gentes Bechires), die den Stamm in der
Nähe von Trapezous lokalisieren; vgl. die Übersetzungen des dionyseïschen Textes (Avien.
Descr. 946; Prisc. Per. 739; vgl. Tab. Peut.: Becheirice).
178
TSAVARI (1990b) 90; GREAVES (1995) 118; RASCHIERI (2004) 29–31.

- 262 -
Teil II. Kap. 8. Pontische Völker und Stämme

Der darauf folgende Stamm der Makronen (Μάκρωνες, v. 766) findet sich ebenso
bereits bei Hekataios von Milet (FGrHist I F 206 J. = Steph. Byz. s. Μάκρωνες)179. In der
griechischen Tradition sind die Makronen vor allem als ein kriegerischer Stamm an der
südöstlichen Küste des Schwarzmeergebiets bekannt: Herodot teilt mit, dass die Makronen
den Leukosyrern benachbart seien, die an den Flüssen Thermodon und Parthenios leben
(Herod. II 104), und dass die Makronen neben den anderen pontischen Völkern einen
Bestandteil des Xerxes-Heeres darstellten180. Manchmal identifizieren die griechischen
Autoren die Makronen mit den Makrokephalen181. Im Corpus Hippocraticum wird von einer
Sitte der Makronen berichtet, wonach die Makronen die Köpfe der Neugeborenen abbinden,
weswegen dieser Stamm den Namen „Makrokephaler“ bekommen hätte (Ps.-Hipp. De aere
14, 1–2)182. Strabon erwähnt die Sanner, die „im Altertum den Namen Makronen“ gehabt
hätten (Strabo VII 3, 18 С 548); eine ähnliche Behauptung findet sich im Kommentar des
Eustathios, der Strabon und Stephanos von Byzanz (Steph. Byz. s. Μάκρωνες) folgend die
Makronen mit den Sannern oder mit den Tsanern gleichsetzt (τούτους νῦν Σάννους φάµεν,
ἰδιωτικώτερον δὲ Τζάνους, Eust. ad Dion. Per. 765)183.
Bei Apollonios von Rhodos werden die Makronen – wie auch bei Dionysios –
zwischen den Philyrern und den Becheirern lokalisiert (II 394, 1242)184, der in den
Argonautika (II 394 Μάκρωνες in Anfangsposition) genannte Name des Stammes wird dann
wörtlich von Dionysios wiederholt (766: Μάκρωνες am Anfang des Verses). Es ist nicht
auszuschließen, dass Dionysios zwei exotische Ethnonyme (766: Μάκρωνες Φίλυρές τε) zu
Zwecken des Metrums verwendet.
Die Bezeichnung der benachbarten Philyrer (Φίλυρές τε, v. 766) findet sich zum
ersten Mal in den Argonautika des Apollonios Rhodios (II 393: Φίλυρες· Φιλύρων in der
mittleren metrischen Position)185; die Erwähnung dieses Stammes im Katalog des Dionysios
beweist nochmals die Nähe des Periegetes zum Text des Apollonios von Rhodos. Die Philyrer
werden an der südpontischen Küste in der Nähe vom Kap Zephyrion, östlich vom Heiligen
Berg, lokalisiert (vgl. Apoll. Rhod. II 1015 ff.). Der Stamm der Philyrer hat seinen Namen
wahrscheinlich von der Okeanide Philyra, der Mutter des Kentauren Cheiron bekommen
(Pherekydes FGrHist 3 F 50 J. = Schol. Apoll. Rhod. II 1231–1241a), ebenso die

179
S. auch: HERRMANN (1928b) 815; DANOFF (1979e) 923; V. BREDOW (1999c) 761.
180
Herod. VII 78; vgl. Xen. Anab. IV 8, 3; V 5, 18: die barbarischen Makronen sind
Bündnispartner der griechischen Sinope.
181
Ps.-Scyl. 85: Μετὰ δὲ Βέχειρας, Μακροκέφαλοι ἔθνος; Ps.-Scymn. F 21 Marcotte: ἔθνος
οἱ λεγόµενοι Μάκρωνες ἤτοι Μακροκέφαλοι.
182
D. Marcotte meint, der Name „Makrokephaler“ sei ein Beiname und kein Völkername:
MARCOTTE (2002) 144, Anm. 21, was tatsächlich sehr glaubwürdig scheint.
183
Vgl. in der lateinische Tradition: Plin. nat. hist. VI 11: Machorones; Val. Flac. V 151;
Amm. Marc. XXII 8, 21; Avien. Descr. 946; Prisc. Per. 740.
184
In den Anmerkungen zu dieser Stelle bei VIAN / DELAGE (³2002, P. 165) wird der Stamm
der Makroner in der Gegend um Trapezous lokalisiert; s. auch: DELAGE (1930) 180.
185
Zur lateinischen Tradition über die Philyrer s. bei: Val. Flac. V 152 (vgl. Orph. Arg. 756
ff.); Avien. Descr. 946; Prisc. Per. 740; Amm. Marc. XXII 8, 21. S. auch: RUGE (1941) 214.

- 263 -
Teil II. Kap. 8. Pontische Völker und Stämme

Analogiebildung „die Philyreische Insel“, die dem Gebiet der Philyrer gegenüber liegt (Apoll.
Rhod. II 1231–1241)186.
Den nächsten Stamm, den der Mossyniken, beschreibt Dionysios periphrastisch:
Anstatt des allgemeinen Μοσσύνοικοι schreibt der Dichter οἳ µόσσυνας ἔχουσι δουρατέους
“die Holzturm-Bewohner” (Dion. Per. 766–767). Den Namen des Stammes Μοσσύνοικοι
führt die antike Tradition auf das (wohl iranische) Wort µόσ(σ)υν zurück, das dem
altgriechischen πυργός „Turm“ entspricht187. Die Mossyniken sind den antiken Autoren
bereits seit Hekataios von Milet (FGrHist I F 204–205 J. = Steph. Byz. s. Χοιράδες, Μάρες)
bekannt, der sie neben den Maren und den Tibarenern platziert188. Nach dem Zeugnis des Ps.-
Skylax (86) seien die Mossyniken ein Bergvolk, das neben den Tibarenern lebte189. Die
barbarischen Sitten und die Lebensweise der Mossyniken schildert ausführlich Xenophon von
Athen (Anab. V 4, 1–30); dessen Angaben werden durch die Daten des Herodot (III 94, VII
78), des Ephoros (FGrHist 70 F 43 = Steph. Byz. s.v. Τιβαρηνία und Ephor. FGrHist 70 F
161b = Ps.-Scymn. F 22 Marcotte)190, des Strabon (XI 14, 5 C 528, XII 3, 18 C 549) und der
Paradoxographen Ps.-Aristoteles (Arist. Mir. 62 Giannini) und Nikolaos von Damaskos (F 8
Giannini: Μόσυνοι) ergänzt 191.
Der Exkurs des Apollonios Rhodios über die Mossyniken (II 1016–1029) enthält viele
Daten des Xenophon von Athen; der Autor der Argonautika schildert aber besonders die
ethnographischen Kuriositäten der Mossyniken im Geiste der „verkehrten Welt“192. Dionysios
verzichtet sowohl auf die Einzelheiten der Lebensart des Stammes als auch auf die
Charakteristik der Mossyniken als Bergvolk, die zweimal in den Argonautika anzutreffen ist
(II 379–380, 1016). Apollonios Rhodios berichtet von den ungewöhnlichen Häusern der
Mossyniken auf „hölzernen Pfahlwerken“ (δουρατέοις στύλοισιν, Apoll. Rhod. II 381) und
benutzt dabei das homerische Adjektiv δουράτεος „hölzern“193. Dionysios ahmt den Rhodier
nach und entlehnt das Eigenschaftswort δουράτεος. Wie auch Apollonios setzt er es an den
Anfang des Verses, verwendet aber dieses homerische Attribut in Bezug auf die Häuser selbst
und nicht auf ihre Bestandteile: µόσσυνας ... δουρατέους „hölzerne Mossyne bzw.
Holztürme“ (vgl. Eust. ad Dion. Per. 765), d.h. benutzt hier das Stilmittel der übertragenen
Epitheta.

186
DELAGE (1930) 179. Über Nymphodor als eine der frühhellenistischen Quellen für diese
Stelle des Apollonios Rhodios s.: HÖFER (1904) 558–560.
187
Apoll. Rhod. II 381a-381b; II 1016-1017; Dion. Hal. I 26, 2; Strabo XII 3, 18 C 549: ἀπὸ
µοσύνων; Eust. ad Dion. Per. 765.
188
SCHACHERMEYER (1933) 377–379; DANOFF (1979f) 1439; OLSHAUSEN (2000) 419.
189
Zu den Angaben des Ps.-Skylax s.: COUNILLON (2004a)100–103.
190
MARCOTTE (2002) 256.
191
HÖFER (1904) 544-546. Der Stamm der Mossyniken ist auch in der lateinischen Tradition
bekannt: Plin. nat. hist. V 126: Mossyni, Curt. Ruf. VI 4, 17, Val. Flacc. V 151, Mela I 19,
Amm. Marc. XXII 8, 21: Mossynoeci.
192
FRÄNKEL (1968) 177, 262.
193
Hom. Od. VIII 492–493: ἵππου ... δουρατέου, Od. VIII 512: δουράτεον ... ἵππον.

- 264 -
Teil II. Kap. 8. Pontische Völker und Stämme

Die Tibyrener (πολύρρηνες Τιβαρηνοί, v. 767), die schon bei Hekataios von Milet
(FGrHist I F 204) und bei Ps.-Skylax (87)194 erwähnt wurden, sind vermutlich skythischer
Abstammung (Schol. Apoll. Rhod. II 1010) und werden gewöhnlich an der pontischen Küste
im Osten neben den Mossyniken, im Westen und Süden neben den Chalybes lokalisiert195.
Herodot schildert kurz die Ausrüstung der Tibarener: kleine Schilde und Speere mit langen
Spitzen (Herod. VII 78; vgl. III 94). Xenophon von Athen spricht von der griechischen Polis
Kotyora, einer Kolonie von Sinope im Land der Tibarener, und identifiziert die Tibarener
sogar mit den Kotyorern (Xen. Anab. V 5, 4–5)196. Eustathios von Thessaloniki verortet die
Tibarener – Strabon folgend – neben den Chaldeen (d. h. Chalyben) und Sannern (d. h.
Makronen) in der Nähe von Kleinarmenien und bemerkt, dass der Stamm nun (d. h. im 12.
Jh.) Τιβρανοί genannt werde (Eust. ad Dion. Per. 767).
Die Wortverbindung des Dionysios ἄγχι πολύρρηνες Τιβαρηνοί (am Ende des Verses
767) wiederholt fast wörtlich den Wortgebrauch aus den Argonautika des Apollonios von
Rhodos ἄγχι δὲ ναυετάουσιν πολύρρηνες Τιβαρηνοί (Apoll. Rhod. II 376, ebenso in
Endposition)197. Die beiden Dichter verwenden dabei wieder ein homerisches Adjektiv:
πολύρρηνες „herdenreich“198; aufgrund des homerischen Eigenschaftswortes lässt sich nicht
auf den tatsächlichen Charakter der Tätigkeit der Tibarener schließen, wenn auch nach den
Angaben einiger antiker Autoren die Naturbedingungen in dieser Gegend für Herdenhaltung
geeignet waren199.
Die frühesten Daten über die Chalybes (Χάλυβες, Dion. Per. 768–770) finden sich
bei Hekataios von Milet (FGrHist 1 F 203 = Steph. Byz. s. χάλυβες) und Ps.-Skylax (88:
Μετὰ δὲ Τιβαρηνούς, χάλυβές εἰσιν ἔθνος)200. Der Stamm der Chalybes wird normalerweise
entweder an der Südküste des Pontos von der Halysmündung im Westen (Herod. I 28) bis zu
den inneren Berggebieten in der Nähe der griechischen Städte Pharnakia und Trapezous im
Osten201, oder – wie auch bei Dionysios – zwischen dem Fluss Thermodon und der
griechischen Polis Kotyora lokalisiert, westwärts vom benachbarten Stamm der Tibarener202.
Aischylos’ Angaben über die Chalybes tragen wenig zur Erhellung dieses Problems bei,
sondern führen zu Widersprüchen: Aus dem Kontext der Verse λαιᾶς δὲ χειρὸς οἱ

194
COUNILLON (2004a) 103.
195
Über die Tibarener s.: HERRMANN (1936b) 764; DANOFF (1979j) 811; OLSHAUSEN (2002c)
528–529.
196
Angaben über die Tibarener finden sich bei Ephoros (FGrHist 70 F 43 = Steph. Byz. s.v.
Τιβαρηνία), Ps.-Skymnos (F 24 Marcotte; s. dazu auch: MARCOTTE (2002) 257), Strabon (XII
3, 18 C 549 u.a.), und in der lateinischen Tradition bei Mela (I 106: Tibarani) und Plinius d.
Älteren (nat. hist. VI 11).
197
RASCHIERI (2004) 31.
198
Hom. Il. IX 154, 296 – ἄνδρες πολύρρηνες, Od. XI 257 – über Pelias.
199
Vgl. z. B. bei Xen. Аnab. V 5, 2.
200
COUNILLON (2004a) 104–106.
201
Ephor. FGrHist 70 F 162 = Strabo XIV 5, 24 C 679; Strabo XII 3, 19 ff. C 549 ff.
202
Xen. Anab. IV 5, 34; IV 6, 5; IV 7, 15 etc.; Plin. nat. hist. VI 11, vgl. aber Plin. nat. hist.
VI 12: armenochalybes im Trapezous-Gebiet; Mela I 105 lokalisiert im Land der Chalybes
die griechischen Städte Sinope und Amisos. S. auch: RUGE (1899) 2099–2100; DANOFF
(1979b) 1127; OLSHAUSEN (1997/1999) 1091–1092.

- 265 -
Teil II. Kap. 8. Pontische Völker und Stämme

σιδηροτέκτονες / οἰκοῦσι Χάλυβες, οὓς φυλάξεσθαί σε χρή· /®ἀνήµεροι γὰρ οὐδὲ πρόσπλατοι
ξένοις (Aesch. Prom. 714–716) bleibt unklar, wo der Tragiker die Chalybes lokalisiert – an
der Pontosküste in Skythien oder im südlichen Schwarzmeergebiet (in v. 717 findet sich die
Wortverbindung ὐβριστὴν ποταµόν, wörtlich “den brausenden Fluss“, wobei ὐβριστήν ein
Appellativ darstellt und dementsprechend mit jedem pontischen Fluss identifiziert werden
kann, z. B. mit dem kaukasischen Phasis). Die weitere Passage des Aischylos bringt ebenfalls
keine Klarheit: χάλυβος Σκυθῶν ἄποικος „der aus Skythien gebrachte Stahl“ (Aesch. Sept.
728; s. auch: Val. Flacc. IV 600 f., V 105 f.), lässt aber einige Wissenschaftler auf eine
Verwandtschaft der Chalybes mit den Skythen schließen, weshalb sie die Chalybes ein
skythisches Volk nennen203. Es scheint glaubwürdig zu sein, dass „Chalybes“ kein Ethnikon,
sondern einen Beinamen derjenigen darstellt, die sich mit Verhüttung oder Eisenbearbeitung
beschäftigten (vgl. Eudox. F 282 Lasserre und ähnliche Meinungen in Bezug auf die oben
genannten Ethnika der Mossyniken und der Makronen)204.
Bereits im Altertum entstand die Diskussion, ob die im homerischen Schiffskatalog
erwähnten Halizones (ἁλιζῶνες, Hom. Il. II 856–857) mit den Chalybes (oder sogar mit den
Amazonen) identifiziert werden könnten, und wo diese gelebt hätten205. Die antike Tradition
schrieb den Chalyben aber nicht nur die Eisenverhüttung, sondern auch die Silberförderung
zu206, wodurch Kleinarmenien in der Antike berühmt war207.
Bei der Erwähnung der Chalybes stützt sich Dionysios auf den Text der Argonautika:
ἀλλὰ σιδηροφόρον στυφελὴν χθόνα γατοµέοντες / ὦνον ἀµείβονται βιοτήσιον, Οὐδέ ποτέ
σφιν / ἠὼς ἀντέλλει καµάτων ἄτερ, ἀλλὰ κελαινῇ / λιγνύι καὶ καπνῷ κάµατον βαρὺν
ὀτλεύουσι (Apoll. Rhod. II 1005–1008) und spielt meisterhaft auf den Sprachgebrauch des
Apollonios Rhodios in seinen Versen an: (...) Χάλυβες στυφελὴν καὶ ἀπηνέα γαῖαν
/®ναίουσιν, µογεροῦ δεδαηκότες ἔργα σιδήρου, / οἵ ῥα, βαρυγδούποισιν ἐπ᾿ ἄκµοσιν ἑστηῶτες,
/®οὔποτε παύονται καµάτου καὶ ὀϊζύος αἰνῆς (Dion. Per. 768–769)208. Augenfällig findet die
Redewendung δεδαηκότες ἔργα σιδήρου eine Parallele in derselben metrischen Position bei
Kallimachos (Call. F 701, 1 Pf.: δέδαεν δὲ λαχαινέµεν ἔργα σιδήρου) und bei Apollonios von
Rhodos (II 376: σιδήρεα ἔργα)209. Es ist zu bemerken, dass der naturgeschichtlich-

203
S.: LUPAŞ, PETRE (1981) 234; IVANCHIK (2005) 32.
204
PLANHOL (1963) 300–309.
205
Hecat. FGrHist 1 F 217 = Strabo XII 3, 22 C 551; Ephor. FGrHist 70 F 114 a = Strabo XII
3, 21 C 550 und F 114 b = Steph. Byz. s. ἁλιζῶνες; die Einzelheiten der Diskussion bei
Strabon XII 3, 19–27; XIV 5, 22–29; Eust. ad Dion. Per. 767. S. auch: HOPE SIMPSON &
LAZENBY (1970) 177–178, 180; GINDIN (1999) passim.
206
Wie bei Hom. Il. II 857: ἔς Ἀλύβης, ὄθεν ἀργύρου ἐστὶ γενέθλη.
207
Strabo XII 3, 19 C 549: ἐκ δὲ τῆς γῆς τὰ µέταλλα νῦν µὲν σιδήρου πρότερον δὲ καὶ
ἀργύρου; vgl. Hecat. FGrHist I F 203: Χαλύβοισι πρὸς νότον Ἀρµένιοι ὁµουρέουσι; Arist.
Mir. 26 Giannini: über das ungewöhnliche Entstehen des chalybischen Eisens – γένεσιν
σιδήρου τοῦ Χαλυβικοῦ – das äußerlich dem Silber ähnelt. Mehr dazu bei: BRYER (1982)
133–150; CAMASSA (1984) 157–186.
208
GREAVES (1994) 119; RASCHIERI (2004) 110–111.
209
Vgl. Aesch.: οἱ σιδηροτέκτονες (...) Χάλυβες (Prom. 714–715). Über die Chalybes bei
Apollonios Rhodios s.: DELAGE (1930) 173–175; zur Entlehnung des Dionysios: BERNAYS
(1905) 42–43; RASCHIERI (2004) 24 und 111.

- 266 -
Teil II. Kap. 8. Pontische Völker und Stämme

paradoxographische Charakter der Berichte über das chalybische Eisen, das angeblich aus der
Erde wächst, sich bereits in der griechischen narrativen Tradition finden lässt210.
In v. 770 βαρυγδούποισιν ἐπ᾿ ἄκµοσιν entlehnt Dionysios das seltene
zusammengesetzte Adjektiv βαρύγδουπος, das in der früheren Tradition erst bei Pindar
anzutreffen ist (Ol. VI 81: σὺν βαρυγδούπῳ πάτρι; Ol. VIII 44: βαρυγδούπου ∆ιός; Pyth. IV
210: βαρὺγδούπων ἀνέµων στίχες)211. Während Dionysios auf den Wortgebrauch des Pindar
anspielt (Dion. Per. 770: ἐπ᾿ ἄκµοσιν, vgl. Pind. Pyth. I 86: πρὸς ἄκµονι χάλκευε γλῶσσαν),
benutzt er gleichzeitig das homerische Wort ἄκµων212.
In der Gegend am Fluss Thermodon (in Kappadokien) lokalisiert Dionysios die
Amazoniden (Ἀµαζονίδεσσιν, v. 773), das Land am Thermodon (v. 774)213 nennt er das
(pontische) Assyrien (v. 772; vgl. 975: Ἀσσύριοι δ᾿ ἀλὸς ἄγχι παρὰ στόµα Θερµώδοντος) und
verortet hier die Polis Sinope (v. 779). Eustathios von Thessaloniki bemerkt, dass die von
Dionysios verwendete Form Ἀµαζονίδες (in v. 655 und 773) statt der traditionellen Ἀµαζόνες
(wie bei Homer – Il. III 189; VI 186)214 davon spreche, dass es sich hier um die historischen
Nachkömmlinge der Amazonen handle (Eust. ad Dion. Per. 653). Die dionyseïsche Form
Ἀµαζονίδεσσιν wird von Periegetes aus dem Amazonen-Abschnitt in den Argonautika
entlehnt, vgl. Apoll. Rhod. II 374: Ἀµαζονίδων oder II 965: Ἀµαζονίδων; Apollonios
wiederholt vielleicht seinerseits die Wortbildung des Kallimachos (Ἀµαζονίδες, h. III 237).
Nach einer Variante des Mythos ist eine der Amazonen namens Sinope Stammesmutter der
Syrer bzw. Leukosyrer215. Es ist zu bemerken, dass ähnliche Mythen über die nymphischen
Stammesmütter gewöhnlich mit dem Ursprung der dortigen barbarischen Völker und nur
selten – in späterer Zeit – mit der Koloniegründung verbunden wurden216. Unter der
periphrastischen Bezeichnung der Amazoniden im pontischen Assyrien sind also bei
Dionysios die Syrer bzw. Leukosyrer als die historischen Nachkömmlinge der Amazonen zu
verstehen. In der antiken Tradition sind die „Leukosyrer“ (Bewohner der Küstengebiete)
sowie die „Kappadokier“ (in den inneren Gegenden Assyriens/ Leukosyriens) bekannt:
Herodot zufolge nennen die Hellenen die Kappadokier Syrer (Herod. I 72, auch in V 49; vgl.

210
Vgl. Call. F 110, 49–50 Pf. Χάλυβες σίδηρον; Arist. Μir. 26 Giannini (die Paradoxie vom
Eisen als einem Erdgewächs).
211
Zu den zusammengesetzten Adjektiven bei Dionysios s. Teil II. Einleitung.
212
Hom. Il. XV 19, XVIII 410, 476, Od. III 434, VIII 274.
213
Auch in vv. 657, 975; mehr dazu s. unten: Teil II. Kap. 9. Pontische Gewässer und
Gebirge.
214
Die Amazonen sind schon seit Homer (Il. III 189, VI 186, vgl. II 814) bekannt, der sie nur
in Asien lokalisiert und sie nicht in Verbindung zu den Skythen setzt (s.: HUXLEY (1960) 122–
124). Zusammen mit den Skythen werden die Amazonen erst seit dem 5. Jh. v. Chr. erwähnt
(Herod. IV 110–117). Mehr zu den Amazonen s.: VON GEISAU (1979) 291–293; TYRELL
(1984); BLOK (1995) 410–419.
215
Der Mythos findet sich in verschiedenen Variationen bei Corinna F 654 II 39 Page;
Philosteph. F 3 Müller; Diod. IV 72; Plut. Luc. 23, 5; vgl. Pind. F 173 = Strabo XII 3, 9 С
544: über die Amazonen, die über die Leukosyrer herrschten; Ps.-Scymn. F 27 Marcotte: wo
die Syrer zu Sinope in Verbindung stehen.
216
MILLER (1997) 87.

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Teil II. Kap. 8. Pontische Völker und Stämme

III 90, in dem nur die Syrer erwähnt sind)217. Das Wort Καππαδοκία stellt die gräzisierte
Form des altiranischen Katpatuka dar, das sich in den achämenidischen Inschriften finden
lässt218. In einer anderen Passage nennt Dionysios das pontische Assyrien/ Leukosyrien/
Syrien „das andere Syrien“ und lokalisiert es an der pontischen Küste ostwärts vom Berg
Libanon in Richtung Sinope (Dion. Per. 970–973); weiter präzisiert der Perieget, dass in
diesem Land die Assyrer (v. 975), d. h. die Syrer/ Leukosyrer, wohnen, die man auch als
Kappadokier bezeichnet (Καππαδόκαι, v. 974). Dionysios führt auch eine andere Version des
Mythos über die Nymphe Sinope, die Tochter des Asopos, an, die ihre Keuschheit als
Geschenk von Zeus bekommen habe und nach deren Namen die Stadt benannt wurde: Damit
erwähnt Dionysios periphrastisch das griechische Sinope in Leukosyrien, eine der frühesten
Kolonien im Südpontos (vv. 775–779).
Der poetische Ausdruck Ἀσσυρίης πρόχυσις χθονός „die Anschwemmung des
[pontischen] Assyrischen Landes“ (Dion. Per. 772) wiederholt wörtlich die Verse des
Apollonios (Ἀσσυρίης πρόχυσις χθονός, Apoll. Rhod. II 964)219 und bezeichnet eigentlich
Leukosyrien oder den mittleren Küstenteil des Südpontos von der Thermodon-Mündung bis
zu den inneren Gebieten in Kappadokien bzw. bis zur Thermodon-Quelle in den Armenischen
Bergen (ἀπ᾿ οὔρεος Ἀρµενίοιο, Dion. Per. 773). Das bei Dionysios verwendete Wort πρόχυσις
(Dion. Per. 772) bedeutet „Anschwemmung, Schlick“, wenn aber diese Bezeichnung im
Kontext des Apollonios-Textes betrachtet wird (Ἀσσυρίης πρόχυσις χθονός, Apoll. Rhod. II
964 ~ Dion. Per. 772), ist zu vermuten, dass Dionysios damit eigentlich „die Ausbuchtung“
des Thermodon-Deltas meint, von der an anderer Stelle der Argonautika die Rede ist (κεῖθεν
δὲ πρωτέροσε µέγας καὶ ὑπείροχος ἀγκών, Apoll. Rhod. II 369) und die eine Parallele bei
Homer, Pindar u.a. hat220.
An die Völker Assyriens grenzen nach Dionysios die Paphlagonen (Παφλαγόνες, v.
787), d. h. die Bewohner des Küstenstrichs in Paphlagonien (ihr Siedlungsort an der Küste
wird bei Dionysios durch die Redewendung ἐπ᾿ ἠϊόνεσσι, v. 787, betont), im Gegensatz zu
den Bewohnern der Berge Paphlagoniens221. Die ethnische Zugehörigkeit der Paphlagonen ist
unklar; Eponym des Volkes war der Sage nach ein gewisser Äolier namens Paphlagonos,
Sohn des Phineus (Eust. ad Dion. Per. 787). Die Paphlagonen waren von den benachbarten
Leukosyrern durch den unteren Lauf des Halys abgegrenzt (Herod. I 6 und 72; Ps.-Scymn.
389, F 25 und F 26; Dion. Per. 784)222. Die Paphlagonen werden zum ersten Mal im
Schiffskatalog der Ilias erwähnt (Hom. Il. II 853–855, in dem vier Toponyme an der Küste
Paphlagoniens aufgezählt sind – Kytoros (Κύτωρος), Sesamos (Σήσαµος), Kromna

217
Vgl. ähnliche Zeugnisse bei: Meandr. FGrHist 491 F 4 J. = Strabo ΧΙΙ 3, 25 C 552; Ps.-
Scyl. 89: Μετὰ δὲ Χάλυβας, Ἀσσυρία ἐστίν ἔθνος καὶ ποταµὸς Θερµώδων; Strabo XII 3, 9 С
544; XVI 1, 2 С 737; Ptol. Geogr. V 6, 2. S. auch: NÖLDEKE (1871) 443.
218
KENT (1953) 178, s.v.; MARCOTTE (2002) 68.
219
DELAGE (1930) 166–170; zur dionyseïschen Entlehnung aus den Argonautika s.: GREAVES
(1994) 119; RASCHIERI (2004) 31.
220
Vgl. FRÄNKEL (1968) 251 f.; anders: DELAGE (1930) 166–170; VIAN–DELAGE (2002) 281.
221
Über Paphlagonien s.: RUGE (1949) 2486–2550; DÖRNER (1979) 1585–1586; s. auch:
LEONHARD (1915) 288–308.
222
Zu Ps.-Skymnos s.: MARCOTTE (2002) 199, 257–259.

- 268 -
Teil II. Kap. 8. Pontische Völker und Stämme

(Κρῶµνα), Ägialos (Αἰγιαλός)), diese Passage wird aber von der Forschung als
posthomerische Interpolation betrachtet: Die Anhänger dieser Theorie halten es für kaum
glaubwürdig, dass die griechischen Kolonien in Paphlagonien bereits in der zweiten Hälfte
des 8. Jhs. bzw. am Anfang des 7. Jhs. v. Chr. gegründet worden sein könnten223. Auf jeden
Fall ist die Frage nach Paphlagonien und den Paphlagonen eng mit der Frage nach früheren
Kontakten der Griechen mit der Südküste des Pontos verknüpft. Nach Apollodor habe Homer
über die Paphlagonen von den Reisenden erfahren, die das Volk über das Festland erreicht
hätten (Apollod. 244 FGrHist F 157b J. = Strabo XII 3, 26 C 553); Ephoros erwähnt ebenfalls
die Paphlagonen unter den südpontischen Völkern (Ephor. FGrHist 70 F 162 J. = Strabo XIV
5, 23 C 678)224.
Apollonios Rhodios übernimmt wahrscheinlich die homerischen Toponyme aus dem
Schiffskatalog (Σήσαµος, Κρωµβίαλος / Αἰγιαλός, Κρῶµνα, Κύτωρος, Apoll. Rhod. II 941–
942)225 sowie die Schreibweise des Stammes der Paphlagonen, wobei der Rhodier das
Ethnonym in derselben metrischen Position erwähnt (vgl. Παφλαγόνων, Hom. Il. II 853,
Παφλαγόνων, Apoll. Rhod. II 358). Dionysios zeigt seine Belesenheit und setzt die
Παφλαγόνες an den Anfang des Verses, wie auch Homer und Apollonios Rhodios; der
Perieget verzichtet zwar auf die Angaben des Apollonios über den Eneter Pelops, den
Stammvater der Paphlagonen (Apoll. Rhod. II 358–359, 790), und über den Grenzfluss
Billaios in ihrem Land (Apoll. Rhod. II 791), bezeichnet aber seinerseits ziemlich genau die
Lage des Volkes: „danach (sc. nach den Flüssen Iris und Halys) an der Küste“ (Dion. Per.
787).
Auf die Paphlagonen folgen die Mariandynen (Μαριανδυνῶν ἱερὸν πέδον, v. 788),
die der narratologischen Tradition folgend226 in frühester Zeit die Gegend um Herakleia
Pontika, in der Nähe des Hades-Eingangs bewohnten227. Den Zeugnissen des Domitios
Kallistratos und den Scholien zu den apollonischen Argonautika nach zu urteilen, wäre der
sagenhafte Stammvater Mariandynos ein Sohn des Kimmerios, also selbst ein Kimmerier
(Callist. FGrHist 430 F 1 = 433 F 2 = Schol. Apoll. Rhod. I 1126–1131a; II 140a, 723, 780–
783a)228. So wurden die Nachkommen des Kimmerios (d. h. die Kimmerier, die am Eingang
des Hades wohnten nach Homer, Od. XI 13–22) durch die eingewanderten Mariandynen
abgelöst.
223
KIRK (1985) ad loc.; s. auch: COUNILLON (1997) 127–128, wo der Autor diese
griechischen Kolonien am Südpontos erst ins 5. Jh. v. Chr. oder in spätere Zeit datiert und
vermutet, dass ihre Namen dann aus dem homerischen Abschnitt (Il. II 853–855) genommen
wurden, um sie für das Prestige dieser Städte in die „homerische“ Geschichte einzuordnen.
224
Zum Problem der frühgriechischen Kontakte mit dem Südpontos und den Angaben bei
Homer s.: COUNILLON (2004b) 1–15.
225
Zu Paphlagonien in der Beschreibung des Apollonios von Rhodos und zum Problem der
Identifikation von Krombialos und Ägialos s.: DELAGE (1930) 155–166.
226
Herod. VII 72; Ps.-Scyl. 91; Ps.-Scymn. F 31–32: über Herakles; Ephor. 70 FGrHist F 162
J. = Strabo XIV 5, 23 C 678; Xen. Anab. VI 2, 1; Strabo XII 3, 4 C 544.
227
Zur Geschichte von Herakleia Pontika und der Mariandynen s. u.a.: RUGE (1930) 1744–
1749; ZIEGLER (1979b) 1024–1025; ASHERI (1972) 17–23; BURSTEIN (1976) 6–11 (über die
Mariandynen); SAPRIKIN (1997) passim.
228
IVANCHIK (2005) 130.

- 269 -
Teil II. Kap. 8. Pontische Völker und Stämme

Fünf Verse in den Argonautika über das Land der Mariandynen (Apoll. Rhod. II 353–
229
357) entsprechen fünf Versen bei Dionysios, in denen er den Mythos von Herakles und
Kerberos erwähnt und damit periphrastisch eine weitere wichtige griechische Kolonie
bezeichnet, und zwar Herakleia am Pontos (vv. 788–792). Nach der bei Dionysios
angeführten Mythosversion sei dem Kerberos bei seiner Vertreibung aus dem Hades durch
Herakles der Geifer aus dem Rachen gelaufen, woraus später das giftige Kraut Akoniton
gewachsen sei230. Dionysios bezeichnet das Land der Mariandynen als ἱερὸν πέδον („die
heilige Ebene“)231, was als indirekter Hinweis auf den dort liegenden Eingang ins
unterirdische Hadesreich betrachtet werden kann (der Hades wird schon im nächsten Vers
periphrastisch genannt: „<der riesige bassstimmige Hund> des unterirdischen Sohnes des
Kronos“)232. Der Ausdruck ἱερὸν πέδον ist auch bei Apollonios anzutreffen, wenn er “die
heilige Ebene” des Ladon schildert, eines Drachens, der am Rande der Oikumene die
Hesperidenäpfel bewachte und von Herakles mit seinen giftigen Pfeilen getötet wurde (Apoll.
Rhod. IV 1396). Die in den beiden Abschnitten erwähnten chthonischen Geschöpfe (der
unterirdische Hüter Kerberos bei Dionysios ~ die wachende Schlange Ladon bei Apollonios),
die Gifte (der Geifer des Kerberos bzw. das giftige Kraut Akoniton ~ die mit dem Gift der
Lernäischen Hydra durchtränkten Pfeile des Herakles), und die Zugehörigkeit der beiden
Passagen zum Mythenzyklus über Herakles lassen wahrscheinlich nicht nur auf eine
lexikalische, sondern auch auf eine semantische Verbindung des dionyseïschen Abschnittes
mit dem Text der Argonautika schließen.
Den „südpontischen Katalog“ des Dionysios beenden die Bithynen (Βιθυνοί, v. 793),
die die südliche Küste des Pontos am Fluss Rhebas (der eigentlich die östliche Grenze ihres
Landes bildet, Dion. Per. 794–796) bis zum Thrakischen Bosporos (an ihrer westlichen
Grenze) bewohnen233. Nach Arrian sei Bithynos, der Eponym der Bithynen, ein Adoptivsohn
des Bosporos-Königs Phineus und Stiefbruder des Paphlagonos (Arr. FGrHist 156 F 77 J. =
Eust. ad Dion. Per. 793). Arrian identifiziert die Bithynen auch mit den homerischen
Halizones (Arr. FGrHist 156 F 97 J.) und datiert so die Auswanderung der Bithynen aus
Thrakien nach Kleinasien auf die vortrojanische Zeit234. Der Sagentradition folgend seien die
Bithynen mit den Thynen verwandt, die ebenfalls aus Thrakien ausgewandert waren (Herod. I

229
DELAGE (1930) 140–155; VIAN–DELAGE (2002) 156–163 (die Tradition über Herakleia
Pontika).
230
Dieselbe Mythosversion mit einigen Variationen s. bei Plin. nat. hist. XXVII, 4; Ov. Met.
VII 408–419; Mela I 103; Schol. Nicandr. Alex. 13; Schol. Apoll. Rhod. II 353–356 b; Serv.
Georg. II 152.
231
Zum Epitheton ἱερός in der epischen Sprache s.: WÜLFING (1960) 298; LOCHER (1963).
232
Zum Gebrauch des Adjektivs οὐδαιός (Κρονίδος) vgl.: Call. F 714, 2 Pfeiffer: οὐδαίῳ
Ζανί; Lycoph. Alex. 698, vgl. Lycoph. Alex. 49; s. auch: WEST (1978) 327.
233
Über Bithynien s.: BRANDIS (1897) 507–539; MEYER (1898) 512–514; DÖRNER (1979)
908–911.
234
BURSTEIN (1976) 102, Anm. 81; IVANCHIK (2005) 133.

- 270 -
Teil II. Kap. 8. Pontische Völker und Stämme

28: Θρήκης Θυνοί τε καὶ Βιθυνοί, vgl. VII 75; Eust. ad Dion. Per. 793)235; Xenophon
erwähnt die feindliche Beziehung der bithynischen Thrakier zu den Griechen (Anab. VI 4, 2).
In hellenistischer Zeit wurden die Stämme der Thynen und der Bithynen innerhalb des
Bithynischen Reiches vereinigt (Mela II 98; Plin. nat. hist. V 151). Ps.-Skylax spricht von
drei Flüssen in Bithynien (Σαγάριος , Ἀρτώνης, Ῥῆβας, 92)236.
Bei Apollonios Rhodios werden die Bithynen und ihr Land mehrmals genannt
(Βιθυνῶν ... γαῖα, II 347, 788; Βιθυνὶς γαῖα, II 619; vgl. Βιθυνὶς ἅλς, II 730), immer
zusammen mit dem Fluss Rhebas, der durch ihr Gebiet fließt237. Dionysios spielt darauf an
und wiederholt dreimal anaphorisch den Namen des angrenzenden Flusses Rhebas (vv. 794–
796), womit er gleichzeitig den Abschluss seiner südpontischen oder ganzen pontischen
Beschreibung markiert: der Rhebas ist der Endpunkt der Route.
Als Ergebnis des Vergleichs der dionyseïschen Angaben über die südpontischen
Völker mit den entsprechenden Passagen aus den Argonautika des Apollonios Rhodios
einerseits und mit der bisherigen geographischen Tradition andererseits wird die
Aufmerksamkeit auf folgende Aspekte gerichtet.
Trotz der offensichtlichen Nähe des Periegetes zum Text der Argonautika werden die
Angaben des Apollonios Rhodios durch Dionysios verarbeitet und zu dem ihn
kennzeichnenden pragmatischen Stil versammelt. Dionysios verzichtet auf die umfangreichen
Schilderungen aus den Passagen des Rhodiers mit den märchenhaften Charakteristika der
barbarischen Stämme und richtet seine Aufmerksamkeit auf praktische Daten. Die durch
Dionysios getroffene Auswahl ist durch zwei Anforderungen bedingt. Einerseits muss der
Dichter nach der frühionischen geographischen Tradition die Ausgangs- und Endpunkte der
„Route“ markieren und die Lokalisierung der Völker hinsichtlich der dortigen Landschaft (der
Kaps, Gebirge, Gewässer usw.) möglichst präzisieren. Dabei ist es nicht auszuschließen, dass
Dionysios außer dem Text des Apollonios Rhodios einige frühere Quellen benutzt hat, wie
den anonymen Periplus des Pontos Euxeinos u.ä.238. Andererseits zwingt die durch Dionysios
nach der epischen Tradition ausgewählte Form des Katalogs ihn, die Information möglichst
kompakt zu bieten und Ethnonyme, Toponyme, Hydronyme und Oronyme so zu setzen, dass
die belehrenden Ziele seines Abschnittes richtig betont werden. Dionysios verwendet den
Text des Apollonios nicht nur als seine Quelle, sondern auch als ein dichterisches Muster, was
dem Periegeten die Möglichkeit gibt, das intertextuelle Wesen seiner Passage zu zeigen.
Indem Dionysios den Wortschatz des Apollonios Rhodios entlehnt (z. B. das Adjektiv
δουράτεος „hölzern“), vermehrt der Dichter gleichzeitig seinen eigenen Bilderreichtum.
Manchmal setzt Dionysios die Ethnonyme in dieselbe metrische Position wie Apollonios
(Παφλαγόνες an den Anfang des Verses, πολλύρρηνες Τιβαρηνοί ans Ende des
Verses, Βύζηρες ... φῦλα Βεχείρων jeweils an den Anfang und ans Ende) und spielt dabei

235
Über die Thynen s.: LENK (1936) 734. Man darf die thrakischen Thynen nicht mit den
skythischen Thynen (Θῦνοι) verwechseln, die die Küste des Kaspischen Meeres besiedelten
(s. Dion. Per. 730), vgl. BERNAYS (1905) 66–67.
236
COUNILLON (2004a) 133.
237
DELAGE (1930) 136–140.
238
BERNAYS (1905) 65.

- 271 -
Teil II. Kap. 8. Pontische Völker und Stämme

absichtlich auf den Text der Argonautika an. Dionysios verwendet das aus dem apollonischen
Text entlehnte Lexem „Amazoniden“ periphrastisch und bezeichnet mit diesem Namen die
historischen Leukosyrer, die das pontische Assyrien besiedelten. Der Perieget führt lokale
Mythen und Sagen (von der Nymphe Sinope und Zeus, von Herakles und Kerberos) an, die
durch die Tradition mit der Lokalisierung der griechischen Apoikien (Sinope, Herakleia am
Pontos) in Verbindung gebracht wurden.
Dabei kann man nicht ausschließen, dass Dionysios auch mit den anderen
geographischen und/oder historischen Quellen bekannt war, woraus er seine Kenntnisse über
das Schwarzmeergebiet schöpfte. Ähnliche Namenslisten mit den Völkern an der Südküste
des Pontos lassen sich bei Hekataios von Milet (die Kolcher, die Dizyrer, die Choer, die
Becheirer, die Makronen, die Marer, die Mossyniken, die Tibarenen, die Chalybes, die Sirier
– FGrHist 1 F 202–208), bei Ps.-Skylax (die Kolcher, die Byzerer, die Ekecheiriden, die
Becheirer, die Makrokephaler, die Mossyniken, die Tibarenen, die Chalybes, Assyrien,
Paphlagonien, die Mariandynen, die Bithynen – 81–92), bei Strabon (die Bithynen, die
Mariandynen, die Paphlagonen, die pontischen Kappadokier – XII 3, 2 С 541), bei Mela und
bei Plinius d. Älteren finden (die Kolcher, die Buxerer, die Becheirer, die Makrokephaler, die
Mossyner, die Tibarenen, die Chalybes, die Leukosyrer – Mela I 105–108, Plin. nat. hist. VI
9–12)239. Dies lässt darauf schließen, dass Dionysios im Fall des Katalogs der südpontischen
Völker und Stämme gerade diese geographische Tradition fortsetzt.

239
COUNILLON (2004a) 97.

- 272 -
Teil II. Kap. 9. Pontische Gewässer und Gebirge

Kapitel 9. Pontische Gewässer und Gebirge

9.0 Einführung
9.1 Die Funktionen der Gewässer und Gebirge in der Periegese des Dionysios Periegetes
9.2 Das allgemeine Schema der Flussbeschreibung
9.3 Die pontischen Gewässer in der Erdbeschreibung
9.4 Die pontischen Gebirge im Gedicht des Dionysios

Im archaischen Weltbild wird der Naturraum durch Flüsse, Berge sowie andere Naturobjekte
geordnet und strukturiert, was ihn sozusagen vergegenständlicht. In der frühepischen
Tradition treten Gewässer und Gebirge als wichtige Elemente der mythischen Geographie
hervor1. Der Ozean umgibt die Oikumene und ist die Grundlage aller Dinge (Hom. Il. XIV,
246), vor allem aller Quellenarten (Hom. Il. XXI 195–197)2; den Olympos identifiziert
Homer mit dem Göttersitz3. Bei Hesiod ist der Helikon der Sitz der Musen (Theog. 1 ff., vgl.
129–130), während die Flüsse die Söhne des Ozeans und der Tethys sind und männliche
Gottheiten darstellen (Hesiod. Theog. 337–345). Im hesiodeïschen „Flusskatalog“ werden die
„nichtgriechischen“ Ströme Nil und Eridanos, die griechischen Flüsse Acheloos, Alpheios,
Peneios, Ladon, Haliakmon, Euenos, die kleinasiatischen Mäander, Hermos, Kaikos, die
Flüsse der Troas – Skamander, Simois, Aisepos, Rhesos, Heptoporos, Rhodios, Granikos –,
die Flüsse des ägäischen Thrakiens – Strymon, Nessos – und die pontischen Flüsse – Ister,
Aldeskos, Phasis, Sangarios, Parthenios – aufgelistet (Hesiod. Theog. 337–345)4. Seit der Zeit
des Hellenismus dient die Erwähnung des göttlichen Wesens der Gewässer und Gebirge der
künstlerischen Instrumentalisierung des Mythos in den dichterischen Werken, wodurch die
Sakralfunktion dieser Elemente durch die natürliche bzw. rein geographische Funktion ersetzt
wird5. In der poetischen Tradition sind Berge (sowie Felsen, Kaps, Bergspitze u. ä.) wegen
ihrer Höhe und schwierigen Erreichbarkeit von der Menschenwelt getrennt; sie verändern sich
nicht – im Unterschied zum fließenden Gewässer –, sondern stellen massive Schranken dar.
Im schematischen Weltbild treten die Flüsse als horizontale und die Berge als vertikale Linien

1
HÜBNER (2000) 24–27; GÜNTHER (im Druck).
2
Vgl. Aesch. F 192 Radt: der Ozean als λίµνα παντοτρόφος; Arist. Met. I 14; Polyb. IV 39, 2;
Sen. QN IV 2, 29.
3
Z. B.: Hom. Il. V 360, 367, 867, VIII 456 (der Olympos als ἀθανάτων ἕδος bezeichnet), I
18, 221, II 13, 30, 48, V 383, 404, u. a. (als Versammlungsort der Götter, ihr Sitz, Zeus’
Palast).
4
S. auch den Komm. dazu: WEST (1966) 259–260.
5
So wird z.B. der Flussgott Halys im Epos des Apollonios Rhodios nur einmal erwähnt, in
der Nacherzählung des Mythos von Sinope (II 953), während alle anderen Flüsse vom
geographischen Gesichtspunkt aus beschrieben werden; ausführlicher dazu s.: WILLIAMS
(1991) 109–129 (über die Flüsse in den Argonautika) und 79–107 (über die Berge in den
Argonautika).

- 273 -
Teil II. Kap. 9. Pontische Gewässer und Gebirge

auf, wodurch sie den Naturraum als Orientierungspunkte (“landmarks”) strukturieren und das
zweidimensionale Raumbild in ein dreidimensionales verwandeln.

9.1 Die Funktionen der Gewässer und Gebirge in der Periegese des
Dionysios Periegetes
In seinem Gedicht verarbeitet Dionysios die geographischen Angaben der hellenistischen
Dichter (Kallimachos, Apollonios Rhodios) und Gelehrten (Eratosthenes, Poseidonios), ohne
zu vergessen, auch die Daten der homerischen und hesiodeïschen Epen zu verwenden6.
Dionysios entwirft dabei ein detailliertes Bild der Welt, in dem Gewässer und Gebirge die
Hauptelemente des geographischen Raums darstellen. So nennt er im Prolog und im Epilog
bei den Hauptthemen seines Gedichtes neben den Kontinenten, Meeren und Völkern die
Fluss- und Bergbeschreibungen (vv. 1 f.; 1181 ff.)7; die Beschreibung eines Landes sei ja
unmöglich, ohne dessen Flüsse und Berge zu erwähnen (vgl. v. 1053 ff.)8.
Vor der ausführlichen Analyse der pontischen Gewässer und Gebirge bei Dionysios
möchte ich die von mir entdeckten Hauptfunktionen der Fluss- und Bergbeschreibungen in
der Periegese aufzählen:
1) Flüsse und Berge als Grenzen
а) zwischen den Kontinenten und Ländern
b) zwischen den Völkern und Stämmen
2) Flüsse und Berge als Element der Raumorientierung (d. h. als festgelegte Meridiane
und/oder als geographische Referenzpunkte)
3) Flüsse und Berge, die das Siedlungsgebiet eines Volkes bestimmen
4) Flüsse und Berge, die die Lage einer Polis bestimmen
5) Bezug der Flüsse zu den Mythen
6) Bezug der Flüsse und Berge zum religiösen Dionysos- (bzw. Bakchos-)Kult

Betrachten wir diese Funktionen anhand eines Beispiels aus dem Text des Dionysios:
(1) Die Funktion der Gewässer und Gebirge als (a) Grenzen zwischen den
Kontinenten oder zwischen den Ländern ist bei Dionysios mit den Annahmen der
mathematischen Geographie verbunden, mit denen er möglicherweise durch die Werke des

6
Zu den literarischen Parallelen s. oben: Teil I. Kap. 4. Die poetische Technik des Dionysios
Periegetes (Intertextualität); zu den geographischen Quellen s. oben: Teil I. Kap. 2. Das
Weltbild des Dionysios Periegetes (Die Quellenfrage).
7
ἀρχόµενος γαῖάν τε καὶ εὐρέα πόντον ἀείδειν / καὶ ποταµοὺς πτόλιάς τε καὶ ἀνδρῶν ἄκριτα
φῦλα [...], „Beginnend die Erde und das breite Meer / und die Flüsse und die Städte und die
zahllosen Stämme der Menschen zu besingen [...]“ (vv. 1–2); χαίρετε [...] / καὶ ποταµοὶ
κρῆναί τε καὶ οὔρεα βησσήεντα, „Ihr aber [...] lebt wohl, / [...] ihr Flüsse und Quellen und
waldbedeckte Gebirge“ (v. 1181 ff.).
8
εἰ δέ σε καὶ Πέρσας ἰδέειν γλυκὺς ἵµερος αἱρεῖ, / εὐφραδέως ἄν σοι καὶ τῶν γένος
αὐδήσαιµι, / καὶ πόρον ἀενάων ποταµῶν ὀρέων τε κελεύθους, „Wenn dich aber das süße
Vergnügen einnimmt, auch die Perser zu erschauen, / werde ich dir wohl auch über deren
Geschlecht leicht fasslich verkündigen / und den Lauf der stets fließenden Flüsse und der
Gebirge Pfade“ (vv. 1053–1055).

- 274 -
Teil II. Kap. 9. Pontische Gewässer und Gebirge

Eratosthenes, des Poseidonios u. a. bekannt war9. Bei der Beschreibung des schematischen
Weltbildes verwendet Dionysios die Angaben sowohl der so genannten „Inseln-Theorie“ (der
zufolge die Oikumene durch Flüsse geteilt wird) als auch der so genannten „Kontinenten-
Theorie“ (der Teilungsnorm durch Landengen)10. So werden Europa und Asien einerseits vom
südwärts fließenden Tanais voneinander abgetrennt (vv. 14–15, 661–662), während der ihm
gegenüber nordwärts fließende Nil Libyen von Asien trennt (vv. 18, 230–231, 262–264, 893).
Andererseits trennt der Kaukasus Europa von Asien (vv. 20–22, vgl. 636, 695), Libyen
hingegen wird von Asien durch die Landenge zwischen dem Mittelmeer und dem Arabischen
Meer, d. h. durch die heutige Landenge von Suez, abgetrennt (vv. 23–25). Der sich von West
(vom Mittelmeer) nach Ost (bis zu den Indern) ausdehnende Tauros (vv. 638 ff.) bildet die
Grenze zwischen Nord- und Südasien. Auf ähnliche Weise stellen die Flüsse Indos und
Ganges die westliche respektive östliche Grenze Indiens dar, während ihre nördliche Grenze
dem Tauros entlang verläuft (vv. 1131–1134); der Fluss Sangarios trennt Klein-Phrygien von
Gross-Phrygien (vv. 810–811), zwischen den Flüssen Euphrates (im Westen) und Tigris (im
Osten) liegt Mesopotamien (vv. 992–993), die Berge Kasios und Libanon stellen
entsprechend die westliche und östliche Grenze Koilesyriens dar (vv. 900–901).
(b) Entlang der Flussläufe und Gebirgsrücken wurden traditionell auch die Grenzen
zwischen den Völkern und Stämmen gezogen. So wird das rechte Ufer des Peukenter Silaros
von den Kampaniern besiedelt, das linke Ufer von den Leukanern (vv. 360 ff.); der ins
Kaspische Meer mündende Fluss Mardos trennt die Derkebier von den Baktrern (v. 735); auf
der einen Seite des Pyrenäen-Gebirges leben die Iberer, auf der anderen die Kelten (v. 288).
(2) Seit jeher dienten Flussläufe und Gebirgsketten (neben astronomischen
Erscheinungen wie dem Lauf der Sonne und der Sterne) den Menschen zur räumlichen
Orientierung. Dionysios benutzt Gewässer und Gebirge als festgelegte Längen- und
Breitengrade in seinem Weltschema, die seinem Leser/Zuhörer helfen, die Lage der nächsten
geographischen Objekte zu korrelieren. So fließen die einen Flüsse in seinem schematischen
Weltbild strikt von Nord nach Süd (der Indos, v. 1090), die anderen von Süd nach Nord (der
Rhein, v. 296 f.), der Istros bewegt sich von West nach Ost (vv. 298 ff.); die Tauros-Kette
dehnt sich in die Richtung von Westen nach Osten aus (vv. 638 ff.), die italische Halbinsel
wird durch die Apenninen in zwei Teile von Nord nach Süd durchschnitten (vv. 340 ff.).
Mit den einzelnen Punkten (d.h. mit den geographischen Referenzpunkten) auf dem
festgelegten Meridiannetz identifiziert Dionysios manchmal die Flussmündungen oder die
Bergspitzen. So liegen die Borysthenes-Mündung und die Kyaneen auf demselben Meridian
(vv. 311–313); der Berg Alybe als eine der Herkules-Säulen stellt den äußersten Punkt im
Westen der Oikumene dar (vv. 335–336), mit dem Dionysios stets seine Beschreibung des
Ozeans, des Mittelmeeres, Libyens, Europas und Iberiens beginnt; auf ähnliche Weise sind
die Dionysos-Säulen auf dem indischen Berg Emodos der äußerste Punkt im Osten der
Oikumene (vv. 1162 ff.).

9
Mehr über Dionysios’ mögliche Kenntnisse der Grundlagen der mathematischen Geographie
s. oben: Teil I. Kap. 2. Das Weltbild des Dionysios Periegetes.
10
Mehr zu den geographischen Vorstellungen des Dionysios s. oben: Teil I. Kap. 2. Das
Weltbild des Dionysios Periegetes.

- 275 -
Teil II. Kap. 9. Pontische Gewässer und Gebirge

(3) In anderen Fällen wird durch die Erwähnung eines Flusses oder Berges auch eine
Gegend mit den dort wohnenden Völkern bezeichnet. So fließt der Fluss Alpheios durch das
Land der Eleier und der Eurotas über das Land der Amykläer (vv. 410–413), an den Ufern des
Jaxartes wohnen die Saker, die Tocharer, die Phrurer und die Serer (vv. 749 ff.), die Ufer des
Xanthos besiedeln die Lykier (vv. 847–848); die Kimmerier wohnen am Fuß des Tauros (v.
168), die Germanen ziehen durch das Gebirge des Herkynischen Waldes (vv. 285–286), die
Arkader-Apidaneer wohnen auf dem Berg Erymanthos (v. 415) usw.
(4) An Flussmündungen, Bergfüßen oder Bergflanken befinden sich oft Städte: Der
Tiber fließt durch Rom und schneidet die Stadt in zwei Teile (vv. 352–355), Kroton liegt an
der Aisaros-Mündung (vv. 369–370), am kleinasiatischen Aspendos fließt der Eurymedon (v.
852), Sidon befindet sich am Fluss Bostrenos (vv. 912–913); am Fuß des Ida-Berges liegt
Ilion (vv. 814 ff.), am Parnasos befindet sich das Delphische Heiligtum (vv. 439 ff.).
(5) Manchmal verbindet Dionysios die Flussbezeichnung mit einem kurzen
mythologischen Exkurs, der mit diesem Fluss verbunden ist (bei den Beschreibungen der
Gebirge finden sich hingegen keine ähnlichen Fälle eines mythologischen Exkurses), und
schafft damit eine temporale Opposition zwischen der Vergangenheit (dem alten Mythos) und
der Gegenwart (dem heute fließenden Fluss). In der Regel handelt es sich um weit verbreitete
Mythen, wie z.B. um den über die Heliaden, die einst am Eridanos-Ufer um Phaethon weinten
(vv. 290 ff.), oder über die Nymphe des Kios-Flusses, die den schönen Hylas raubte (vv. 806–
807). Hinter den Flussbezeichnungen verbirgt Dionysios manchmal in einer Periphrase die
Stadtnamen: So schafft z.B. der mit Kadmos und Harmonia verbundene Fluss Ismenos eine
Assoziation mit dem böotischen Theben (vv. 391 ff.)11, während es sich bei dem durch den
Mythos über die Entführung der Oreithyia durch Boreas bezeichneten Ort wahrscheinlich um
Athen handelt (vv. 424–425)12.
(6) In verschiedenen Teilen der Oikumene stellen einzelne Flüsse und Bergspitzen
einen Kultraum dar, der mit dem Namen des Dionysos-Bakchos verbunden ist: Die Kulte des
Gottes finden am thrakischen Fluss Apsynthos (vv. 575–576) sowie an den indischen Flüssen
Ganges (vv. 577, 1152 ff.), Hypanis und Magars (v. 1145) statt; nachdem Bakchos auf dem
indischen Berg Emodos die Dionysos-Säulen aufgestellt hat, kehrt er vorbei an den
gastfreundlichen Kamaritern, die den Gott im kaukasischen Gebirge verehren (vv. 700 ff.),
zum Fluss Ismenos zurück (vv. 1162 ff.). Die Rolle des Flusses als eines religiösen Kultortes
lässt sich mit der Grenzfunktion des Flusses zwischen dem „eigenen“ und dem „fremden“
Raum erklären.

11
τύµβον, ὃν Ἁρµονίης Κάδµοιό τε φῆµις ἐνίσπει· / κεῖθι γὰρ εἰς ὀφίων σκολιῶν γένος
ἠλλάχθησαν, / ὁππότ' ἀπ' Ἰσµηνοῦ λιπαρὸν µετὰ γῆρας ἵκοντο, „das Grabmal, welches die
Kunde als das der Harmonia und des Kadmos vermeldet: / dort nämlich verwandelten sie sich
in die gekrümmte Leibesgestalt von Schlangen, / als sie vom Ismenos gekommen waren nach
einem behaglichen Greisenalter“ (Dion. Per. 391–393).
12
πρὸς αὐγὰς Ἀττικὸν οὖδας, / τοῦ διὰ θεσπεσίου φέρεται ῥόος Ἰλισσοῖο, / ἔνθεν καὶ Βορέης
ποτ' ἀνήρπασεν Ὠρείθυιαν, „nach Osten zu (liegt) der Attische Boden, / durch welchen sich
die Flut des göttlichen Ilissos trägt, / von wo auch Boreas einst die Oreithyia fortriss“ (Dion.
Per. 423 n–425). Ausführlicher dazu s. bei OUDOT (2004) 247–262.

- 276 -
Teil II. Kap. 9. Pontische Gewässer und Gebirge

9.2 Das allgemeine Schema der Flussbeschreibung


In der Antike waren zwei Ansichten über die Entstehung der Flüsse verbreitet: So meinte
Herodot, die Flüsse flössen aus den Seen oder Teichen heraus (Herod. IV 54: über den
Pantikapes, Herod. IV 57: über den Tanais); nach der Theorie des Aristoteles strömen die
Flüsse von den Bergen herab (Arist. Meteor. I 13, 20, 350 а–b). Die meisten Flüsse waren den
Griechen in ihrem unteren Lauf bekannt, da die Ansiedler es bevorzugten, ihre Kolonien an
den Mündungen zu gründen. Außerdem stellte eine Fahrt flussaufwärts oftmals eine gewisse
Gefahr dar, da ein Zusammenstoß mit den Einheimischen im Hinterland möglich war. In der
Periplus-Literatur werden die Mündungen (neben den Kaps, Bergspitzen und Anlegeplätzen)
zu den markanten Punkten bei der Weg-Beschreibung.
Diesen zwei Vorstellungen entsprechend kann man auch bei Dionysios von einem
traditionellen Schema der Flussbeschreibung sprechen: In der Regel erwähnt er die Mündung,
manchmal versucht er etwas über die mögliche Lage der Quelle zu sagen (die Quellen der
meisten von Dionysios erwähnten Flüsse liegen dabei in den Bergen). Außerdem merkt
Dionysios an, dass man im Flusswasser des Öfteren Halb- und Edelsteine finden kann
(Adamanten, Jaspis u. ä.); hier spielen auch die Mythen. Das Streben des Dionysios, seinen
Leser/Zuhörer zu überraschen oder gar zu erstaunen (besonders wenn es sich um ferne Länder
der Oikumene handelt), entspricht den Tendenzen, die im Umfeld seiner Zeitgenossen und
Vorgänger sehr verbreitet waren. Die Autoren verwendeten solche Effekte, um den Leser zu
unterhalten und der Schilderung eine ungewöhnliche Färbung zu geben.

9.3 Die pontischen Gewässer in der Erdbeschreibung


Die Vorstellungen des Dionysios über die Landschaft des Schwarzmeerraums – unter
anderem über die pontischen Gewässer und Gebirge – entwickelten sich basierend auf
Angaben zeitlich und thematisch unterschiedlicher antiker narrativer Quellen aus der
Kolonisationszeit des 7.-4. Jhs. Von den pontischen Flüssen, Straßen und Seen werden bei
Dionysios Periegetes der Istros (heute Donau), der Borysthenes (Dnjepr), der Aldeskos und
der Pantikapes (nicht identifiziert), der Tanais (Don), die Maiotis (das Asowsche Meer), der
Bosporos Kimmerios (die Straße von Kertsch), der Phasis (Rioni–Qvirila), der Thermodon
(Terme Çayi), der Iris (Yeşil Irmak), der Halys (Kisil Irmak) und der Rhebas (Riva Deresi)
erwähnt.
Es muss angemerkt werden, dass sich die meisten der oben aufgezählten Hydronyme
ziemlich einfach identifizieren lassen, bei einigen aber die Identifikation gewisse
Schwierigkeiten bereitet (z. B. der Aldeskos und der Pantikapes). Dies geschieht aufgrund des
prinzipiellen Unterschieds zwischen der geographischen Terminologie eines antiken Autors
und den heutigen Hydronymen und Oronymen. Außerdem ändern sich die geographischen
Namen im Laufe der Zeit und werden sie in verschiedenen Epochen von den antiken Autoren
auf unterschiedliche Weise bezeichnet.
Die Flüsse des Schwarzmeergebiets werden bei Dionysios nicht nacheinander
aufgezählt, sondern sind über das ganze Gedicht in verschiedenen Beschreibungen verstreut.

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Teil II. Kap. 9. Pontische Gewässer und Gebirge

Im ganzen Werk hält sich Dionysios an das Prinzip, die geographischen Objekte von West
nach Ost zu beschreiben; das trifft auch für die pontischen Gewässer zu: Sie werden von
Dionysios zunächst am nordwestlichen Punkt des Schwarzen Meeres erwähnt, dabei beginnt
er mit der Beschreibung des Istros:

298 Ῥήνῳ δ' ἑξείης ἐπιτέλλεται ἱερὸς Ἴστρος


αὐτός, ἐς ἀντολίην τετραµµένος ἄχρι θαλάσσης
Εὐξείνου, τόθι πᾶσαν ἐρεύγεται ὕδατος ἄχνην,
301 πενταπόροις προχοῇσιν ἑλισσόµενος περὶ Πεύκην
„An den Rhenos aber anschließend erhebt sich der heilige Istros,
der Istros, nach Osten gekehrt bis zum Meer,
zum Euxeinischen, wo er allen Schaum seines Wassers ausspeit,
in fünfpfadigen Strömungen sich windend rings um Peuke“ (Dion. Per. 298–301)

Dionysios zufolge fließt der Istros in West-Ost-Richtung13; dementsprechend tritt der Istros
im schematischen Weltbild als festgelegte Parallele auf (wobei der in den Nordozean
mündende Rhein einen Meridian darstellen soll) und bildet eine von den „Routen“, auf deren
beiden Seiten im Weiteren die nördlichen (vv. 302–320) und südlichen (vv. 321–329)
Gebiete, Völker und Grenzen beschrieben werden. Dies ähnelt im höchsten Grad dem
Vorhaben des Strabon, der am Anfang seines siebten Buches den östlichen Teil Europas
beschreibt: Dabei handelt es sich zum einen um das Gebiet jenseits des Rheins bis zum Tanais
und der Mündung der Maiotis, zum anderen um alles, was der Istros zwischen der Adria und
der linken Seite des Pontos nach Süden bis nach Griechenland und zur Propontis abtrennt
(Strabo VII 1, 1 C 289).
Die Form Ἴστρος findet sich zum ersten Mal bereits im frühgriechischen Epos14. In
der römischen Zeitperiode wurde damit meistens der Unterlauf des Flusses bezeichnet15. Als
„Istros“ benannten die Thraker den Fluss, woher dann die Griechen und nach ihnen die
Römer ihre Formen Ἴστρος bzw. Ister und Hister übernahmen (Iord. Get. 12, 75)16. Zu
Zeiten des Kaisers Augustus wurden bereits die Quellen des Istros erforscht, die Angaben des
Dionysios zu ihrer Lage in den Alpen neben den Quellen des Rheins gehen jedoch noch auf
die Vorstellungen des Herodot zurück17, er beruft sich also auf noch frühere Daten.
Wenn Dionysios beschreibt, dass der Istros in den Pontos Euxeinos gegenüber der
Insel Peuke mündet und dort fünf Mündungen bildet, folgt er möglicherweise dem Zeugnis

13
Anders in den Argonautika: von Nord nach Süd (Apoll. Rhod. IV 285–293); bei Strabon
fließt der Istros zuerst nach Süden, dann in einer scharfen Biegung in west-östliche Richtung
zum Pontos und kurz darauf wieder nach Norden (VII 1, 1 C 289).
14
Hesiod. Theog. 339; s. auch: Aеsch. F 155 Radt; Pind. Ol. III 14; Herod. II 33; Ps.-Scyl. 20;
Arist. Meteor. I 13, 36, 350 a; Ps.-Scymn. F 7 a Marcotte = 773–791 Müller.
15
S. bei: Strabo VII 3, 13 C 305; Ovid. Met. II 241; Mela II 1; Plin. nat. hist. IV 79; Ptol.
Geogr. III 10, 1.
16
Vgl. BRANDIS (1901a) 2103–2106; SPOERRI (1979) 1477; CABANES (1998) 1149–1150.
17
Herod. II 33, 3 und IV 49, 3; vgl. Arist. Meteor. 350 a 36 – b 2 und Ps.-Scymn. F 7 a
Marcotte: Die beiden Autoren sprechen vom Lauf des Istros vom Westen her, aus dem
Keltenland.

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Teil II. Kap. 9. Pontische Gewässer und Gebirge

des Herodot (IV 47: „der Istros mit fünf Mündungsarmen“) oder einer Quelle aus der
ionischen Tradition über die fünf Mündungen des Istros18. In der Geographie der römischen
Zeit war die Vorstellung von den sieben Mündungen des Istros verbreitet, ähnlich dem Nil19,
wodurch wahrscheinlich der literarischen Tradition Tribut gezollt werden sollte. Die moderne
Forschung zeigt, dass sich das Istros-Delta wegen des Verschwindens alter und der
Entstehung neuer Mündungen ständig veränderte20.
Dionysios benutzt in seiner Beschreibung das Verb ἐπιτέλλεται „erscheinen, sich
zeigen“ mit der zusätzlichen Bedeutung „in die Richtung (+ Dat.)“21, was im geographischen
Kontext ein Wortspiel darstellt. Eustathios bemerkt dazu: „Istros ἐπιτέλλεται nahe dem
Rhenos, d. h. entspringt von unten“ und führt weiter eine Etymologie des Namens an (dabei
wiederholt der Kommentator den Stephanos fast wörtlich): Der Fluss Istros habe zunächst
Ματόας („Glücksfluss“) geheißen, aber als den Skythen, die früher immer ohne Schaden den
Fluss überquert hätten, ein Unglück zugestoßen sei, habe der Fluss den Namen ∆άνουβις
(„Unglücksfluss“) bekommen. Als Quelle für diese Etymologie nennt Eustathios Strabon, in
dem heute erhaltenen Strabontext findet sich diese Stelle jedoch nicht (Eust. ad Dion. Per.
298 = Strabo VII F 65).
Den Fluss Istros nennt Dionysios ἱερός „heilig“22; vielleicht möchte Periegetes damit
auf seine führende Rolle unter den europäischen Flüssen hinweisen (ἱερὸς Ἴστρος αὐτός, vv.
298–299, vgl. auch: Strabo VII 1, 1 С 289)23. In diesem Zusammenhang schreibt Eustathios,
Dionysios habe Respekt vor dem Fluss, indem er den Namen zweimal betone (Eust. ad Dion.
Per. 298). Die Redewendung des Arat τετραµµένος ἄχρι verwendet Dionysios in seinem
Gedicht dreimal (vv. 299, 926, 1034): In den Phainomena weist die Redewendung immer auf
eine Wendung bzw. Richtung zu einer bestimmten Seite hin24; im Kontext der Periegese
gehört sie zu den geographischen Objekten, unter anderem zum Fluss Istros, der sich bis zum
Pontos Euxeinos ausdehnt.

18
Vgl. Ephor. 70 F 157 Jacoby; Ps.-Scymn. F 7 a Marcotte = 773–791 Müller; s. auch:
MARCOTTE (2002) 242–243; KORENJAK (2003b) 233–234.
19
Strabo VII 1, 1 С 289, VII 3, 15 C 305; Verg. Aen. VI 800; Ovid. Trist. II 189; Mela II 8;
Stat. Silv. V 2, 136; Ptol. Geogr. III 10, 1; Solin. XIII 1; Amm. Marc. XXII 8, 44–45.
20
Mehr zu den verschiedenen Anzahlen der Istros-Mündungen in den antiken Angaben s. bei:
PETRESKU (1963) 153; PIPPIDI (1971) 39.
21
Vgl. Hom. Il. II 551, VIII 404, Od. XI 295 in Bezug auf die Zeit; h. Hom. II 445, h. Hom.
IV 371; Hesiod. Erga. 383, 567; Alc. F 347, 352. Ein ähnliches Verb findet sich bei Arat –
περιτέλλεται im Sinne „im Kreise umlaufen; seinen Kreis vollenden“ (Arat. Phaen. 215, 232,
329, 509, 693, 709, 739, 1128), das meistens bei der Beschreibung der gegenseitigen Lage der
Sternbilder zu finden ist (MAASS (1892) 257–258).
22
Vgl. bei Strabo VI 6, 1 С 319, wo einer der Istros-Arme als „heilig“ bezeichnet wird.
23
Dabei ist der Laut ι im ἱερός lang wie in den anderen hexametrischen Endungen, vgl. Hom.
Il. VIII 66: ἱερὸν ἦµαρ, XVI 407: ἱερὸν ἰχθύν, Hes. Op. 597, 805: ἱερὸν ἀκτήν, Call. E. 9, 1:
ἱερὸν ὕπνον, F 803: ἱερὸς ὄρνις. S. auch: LSJ fin., WÜLFING–v. MARTITZ (1960) passim, bes.
289; LOCHER (1963) 62 und 72; WYATT, jr. (1969) 155.
24
Bei Arat findet sich die Redewendung in v. 298 (über ein Ufer), v. 853 (über die Sonne), v.
344, 575 (über die Sternbilder, die sich drehen) (MAASS (1892) 257–258).

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Teil II. Kap. 9. Pontische Gewässer und Gebirge

Weiter spricht Dionysios von drei Flüssen: vom Borysthenes, der in den Pontos
mündet, und von den skythischen Flüssen Aldeskos und Pantikapes, die in den Nordozean
münden. Die Erwähnung aller drei Flüsse dient der Lokalisierung der in der Nähe siedelnden
Stämme; die Funktion der geographischen Markierung findet sich besonders ausgeprägt in der
Passage über den Borysthenes:

311 Ἡχι Βορυσθένεος ποταµοῦ τετανυσµένον ὕδωρ


µίσγεται Εὐξείνῳ Κριοῦ προπάροιθε µετώπου,
313 ὀρθὸν ἐπὶ γραµµῇ κατεναντία Κυανεάων.
„Da mischt sich das ausgedehnte Wasser des Borysthenesflusses
mit dem Euxeinos, vor dem Kriumetopon,
geradewegs auf einer Linie den Kyaneen gegenüber“ (Dion. Per. 311–313)

Die Mündung des Borysthenes befindet sich nach Dionysios zwischen dem Istros und
dem krimeischen Kap Kriu Metopon25 und auf einer Linie gegenüber den Kyaneen, d.h. den
Felsen an beiden Seiten des Thrakischen Bosporos am Eingang in den Pontos Euxeinos.
Somit stellen die Mündung des Borysthenes und die Kyaneen geographische Punkte dar, die
auf demselben Meridian liegen sollen. H. Berger schreibt diese Verse des Dionysios über den
Borysthenes und die Kyaneen dem Zeugnis des Eratosthenes (F III A 38) zu26. Der ganze
Kontext der Periegese weist darauf hin, dass auf demselben Meridian „Borysthenes –
Kyaneen“ auch der Stamm der Agathyrser wohnt, jedoch weiter im Norden, an den
Rhipäischen Bergen (v. 310).
Der Borysthenes (der heutige Dnjepr) ist nach dem Istros der größte Strom Skythiens,
genauer bekannt erst seit Herodot27. Den Fluss Borysthenes erwähnt auch Ephoros bei Ps.-
Skymnos (F 15a Marcotte = 835–859 Müller), dessen Zeugnis möglicherweise auf Hekataios
(FGrHist I F 184–190 J.) zurückgeht28. Die Quellen des Borysthenes konnten in der antiken
Tradition nicht angegeben werden29.
Es gibt keine glaubwürdigen Angaben in der antiken geographischen Tradition über
die Quellen der nordpontischen Flüsse, was wahrscheinlich auf die Schwierigkeiten des
Flussverkehrs zwischen den griechischen Kolonien an der pontischen Küste und den
nördlichen Ländern zurückzuführen ist. Im Fall der skythischen Flüsse Aldeskos und
Pantikapes kann man jedoch ihre Quellen in den nördlichen Bergen vermuten, nach der
dionyseïschen Beschreibung liegen sie im Rhipäischen Gebirge30:

25
Über das Kap Kriumetopon s. unten.
26
BERGER (1880) 206.
27
Herod. IV 53; vgl. IV 5, 17, 18, 47, 54, 56, 71, 81, 101; Ps.-Scymn. F 10 Marcotte = 813–
819, 804–812 Müller; Eust. ad Dion. Per. 311. S. auch: TOMASCHEK (1897); DANOFF (1979a)
931; V. BREDOW (1997/1999) 750.
28
MARCOTTE (2002) 248.
29
Herod. IV 53; Strabo II 4, 6 C 107; Mela II 6; Ptol. Geogr. III 5, 6.
30
Über das Rhipäische Gebirge s. unten.

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Teil II. Kap. 9. Pontische Gewässer und Gebirge

314 κεῖθι καὶ Ἀλδήσκοιο καὶ ὕδατα Παντικάπαο


Ῥιπαίοις ἐν ὄρεσσι διάνδιχα µορµύρουσι.
τῶν δὲ παρὰ προχοῇσι πεπηγότος ἐγγύθι πόντου
ἡδυφαὴς ἤλεκτρος ἀέξεται, οἷά τις αὐγὴ
µήνης ἀρχοµένης· ἀδάµαντα δὲ παµφανόωντα
319 ἐγγύθεν ἀθρήσειας ὑπὸ ψυχροῖς Ἀγαθύρσοις.
„Dort murmelt auch des Aldeskos und des Pantikapes Wasser
zweigeteilt in den Rhipäischen Bergen.
An deren Mündungen aber, nahe dem Erstarrten Meer,
wächst der lieblich glänzende Bernstein, gleichsam ein Schimmer
des neu zunehmenden Mondes; und den allüberstrahlenden Diamanten
magst du in der Nähe erschauen, bei den kalten Agathyrsen“ (Dion. Per. 314–319).

Das Hydronym Aldeskos, ein nach Norden fließender Fluss, findet sich nur bei
Dionysios. Die Bezeichnung „Aldeskos“ kann man auch bei Eustathios in seinem Kommentar
zur homerischen Odyssee finden, wenn der byzantinische Gelehrte das Verb
ἀλδαίνειν erklärt: „ἀλδαίνειν [bedeutet] ‚stärken, mehren’, geht zurück auf ἀλδῶ', ἀλδήσω,
woher auch ἀλδήσκω stammt; [es gibt] irgendwo auch einen Fluss Ἄλδησκος, der Haustiere
heilt“ (Eust. ad Hom. Od. XVIII 70). Hesiod erwähnt Ἄρδησκος in seinem „Flusskatalog“
neben dem Istros, dem Phasis u.a. (Theog. 345). Im Hydronym „Ardeskos“, das von den
Scholiasten in Skythien lokalisiert wird, kann man eine beschädigte Schreibung des Flusses
Aldeskos oder eine der Varianten der Lesarten sehen31; vgl. die von Avienus und Priscianus
verwendete Form Ardiscus32. Bei Herodot wird der Fluss Ἀρτησκός (nach den anderen
handschriftlichen Varianten Ἀρτισκός, Ἀρτικός) erwähnt, der in Thrakien durch das Land der
Odrysen fließt (Herod. IV 92); die Richtung des Flusses gegen Norden weist auf eine
mögliche Analogie mit dem von Dionysios erwähnten Aldeskos hin.
Nach den Versen des Dionysios zu urteilen, muss man den Fluss Pantikapes ähnlich
wie den Aldeskos nicht weit vom Borysthenes lokalisieren. Herodot nennt „Pantikapes“ einen
der Flüsse in der unteren Borysthenes-Strömung bzw. einen Nebenfluss des Borysthenes, der
von Norden aus einem See fließt33. Ps.-Skymnos erwähnt den Fluss Pantikapes „jenseits
dessen das Volk der Limneer wohnt“34. Nach einer Version teilt der Pantikapes die Nomaden
und die Georgen, nach einer anderen verbindet der Fluss Olbia mit dem Borysthenes35. Nach
den Angaben des Stephanos von Byzanz (s. v. Παντικάπαιον) hat der sich auf der Kertsch-
Halbinsel befindende Fluss Pantikapes der Stadt Pantikapaion den Namen gegeben (vgl. Eust.
ad Dion. Per. 311). Herodot (IV 18) und nach ihm auch Ammianus Marcellinus (XXII 8, 30)
identifizieren den Pantikapes mit der Meerenge, die die Maiotis mit dem Pontos Euxeinos
verbindet, d.h. mit dem Kimmerischen Bosporos. Dionysios jedoch lokalisiert die Pantikapes-

31
Schol. in Hesiod. Theog. 338: „Istros [in] Skythien, Phasis [bei den] Kolchern, Ardeskos
[in] Skythien“.
32
Avien. 450; Prisc. 306.
33
Herod. IV 18; 19; 47; 54.
34
Ps.-Skymn. F 15 a Marcotte = 835–859 Müller.
35
So bei Plin. nat. hist. IV 83.

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Teil II. Kap. 9. Pontische Gewässer und Gebirge

Mündung „dem Erstarrten Meer benachbart“ (παρὰ προχοῇσι πεπηγότος ἐγγύθι πόντου, v.
316), d.h. im äußersten Norden36.
Zweimal erwähnt Dionysios in seinem Werk den Fluss Tanais (der heutige Don):
Zunächst als Grenzfluss zwischen Europa und Asien (vv. 14–17), später bei der Aufzählung
der pontischen Völker und Stämme an der Maiotis (vv. 652 ff.), bei der Dionysios den Lauf
des Flusses ausführlicher beschreibt (vv. 658–665):

14 Εὐρώπην δ' Ἀσίης Τάναϊς διὰ µέσσον ὁρίζει,


ὅς ῥά θ' ἑλισσόµενος γαίης διὰ Σαυροµατάων
σύρεται ἐς Σκυθίην τε καὶ ἐς Μαιώτιδα λίµνην,
17 πρὸς βορέην·
„Europa aber scheidet von Asien, mittendurch gehend, der Tanais,
welcher ja, sich windend durch das Land der Sauromaten,
sich nach Skythien hinschleppt und in den Maiotischen See
– im Norden“ (Dion. Per. 14–17);

658 τοὔνεκα καὶ παῖδες (sc. Ἀµαζονίδων) µεγαλήτορες ἐξεγένοντο,


ὕλην ναιετάοντες ἀπείριτον, ἧς διὰ µέσσης
συρόµενος Τάναϊς Μαιώτιδος ἐς µέσα πίπτει,
ὅστε καὶ Εὐρώπην ἀποτέµνεται Ἀσίδος αἴης,
ἐς δύσιν Εὐρώπην, ἐς δ' αὐγὰς Ἀσίδα γαῖαν.
τοῦ δ' ἤτοι πηγαὶ µὲν ἐν οὔρεσι Καυκασίοισι
τηλόθι µορµύρουσιν· ὁ δὲ πλατὺς ἔνθα καὶ ἔνθα
665 ἐσσύµενος Σκυθικοῖσιν ἐπιτροχάει πεδίοισιν.
„Deswegen sind auch die Kinder (sc. der Amazoniden) als hochbeherzte entsprossen,
bewohnend einen grenzenlosen Wald, mitten durch welchen
sich hinziehend, der Tanais in die hintersten Winkel der Maiotis stürzt,
welcher auch Europa sich abschneidet vom Asiatischen Land,
gen Sonnenuntergang Europa, zur Morgenröte hin aber das Asiatische Land.
Von diesem, wohlan, die Quellen zwar in den Kaukasischen Bergen
Fernhin murmeln; er selbst aber, in breitem Strom hierhin und dahin
stürmend, eilt über die Skythischen Ebenen hin“ (Dion. Per. 658–665).

Die feste Vorstellung der antiken Geographie vom Tanais als einem Grenzfluss
zwischen Europa und Asien37 entstand ziemlich früh38 und war seit der Zeit des Hellenismus
weit verbreitet39. Dionysios spielt mit der Grenzfunktion des Tanais in seinem Text, wobei er

36
Wobei Eustathios den Fluss im Süden lokalisiert: „Der Pantikapes fließt vom Norden und
fließt schließlich mit dem Borysthenes zusammen“ (Ὁ δὲ Παντικάπης ἀπὸ βορρᾶ ῥέων ἐν τῷ
τέλει συµµίσγεται τῷ Βορυσθένει, Eust. ad Dion. Per. 311). S. auch: DIEHL (1949) 826–827;
DANOFF (1979g) 478; V. BREDOW (2000) 273–274.
37
S. HERMANN (1932) 2162–2166; DANOFF (1979i) 510; V. BREDOW (2002a) 7–8; zu der
alternativen Vorstellung über die Grenze zwischen Europa und Asien durch den Phasis s.
unten.
38
Hecat. FGrHist 1 F 208, 211–216 J., vgl. Aesch. Prom. vinct. 729–735; Hippocr. De aer.
13; Agathemer. I 3 = GGM II 472 Müller.
39
Vgl. bei: Strabo VII 4, 5 C 310; Mela I 15; Plin. nat. hist. III 3; Arr. PPE. 29; Anon. PPE
42, 28; Ptol. Geogr. III 5; Oros. I 2, 5; Amm. Marc. XXXI 2, 13; Rav. Anon. II 20.

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Teil II. Kap. 9. Pontische Gewässer und Gebirge

im zweiten Abschnitt (vv. 661–662) eine symmetrische Komposition schafft40: In den


benachbarten Versen wiederholt er zweimal die Namen der Kontinente „Europa“ und
„Asien“, wodurch er die physische Symmetrie seines Weltbildes betont:

ὅστε καὶ Εὐρώπην ἀποτέµνεται Ἀσίδος αἴης,


ἐς δύσιν Εὐρώπην, ἐς δ' αὐγὰς Ἀσίδα γαῖαν.

Diese benachbarten Verse bestimmen auch die Komposition der ganzen Passage, vor und
nach ihnen finden sich jeweils drei Verse; außerdem nutzt Dionysios hier die Technik der
Lautmalerei, durch die der Vers 662 (ἐς δύσιν Εὐρώπην, ἐς δ' αὐγὰς Ἀσίδα γαῖαν) ebenso in
zwei Teile gegliedert wird41.
Nach Herodot fließt der Tanais von oben (Herod. IV 57), d. h. von Norden her, was
uns den Fluss möglicherweise mit dem heutigen Don identifizieren lässt. Dionysios
beschreibt, der Tanais fließe vom Kaukasischen Gebirge aus (v. 663), laufe durch die
Skythische Ebene und münde in den Maiotischen See (vv. 16, 660–665)42. Dieselbe
Vorstellung ist auch bei Strabon zu finden, der wahrscheinlich seinerseits ebenfalls eine der
Quellen des Dionysios benutzt (oder aber selbst eine der Quellen des Dionysios ist, was
jedoch weniger glaubwürdig ist)43: „[...] haben Manche angenommen, der Fluss habe seine
Quellen in den Kaukasischen Bergen, laufe mit großem Strom nach Norden, drehe sich dann
um und ergieße sich in den Maiotischen See (ihre Meinung teilt auch Theophanes von
Mitylene)“ (Strabo XI 2, 2 C 493; Übers. v. S. Radt). Eustathios versteht unter dem Kaukasus,
wovon der Tanais seinen Anfang nimmt, den nördlichsten Teil des Tauros, der sich bis zum
Kronischen Meer ausdehnt. Den anderen Versionen folgend – so weiter Eustathios – seien die
Quellen des Tanais entweder unbekannt (so bei Strabo XI 2, 2 C 493), oder lägen in einem
gewissen See, später münde der Tanais dann in zwei Armen in die Maiotis (Eust. ad Dion.
Per. 663)44. Die letzte Version aus dem Kommentar des Eustathios beruht auf einer
Vermutung, dass der zweite Tanais-Arm der Fluss Hypanis (die heutige Kuban) sein könnte,
der im Text des Dionysios im Unterschied zu den anderen antiken Zeugnissen nicht erwähnt
wird, aber vom Kaukasus her fließt und so mit dem Tanais verwechselt worden sein könnte45.

40
Vgl. vv. 230–231, in denen Dionysios auf ähnliche Weise im Text visuell auf die Teilung
Libyens von Asien durch den Nil anspielt.
41
Zur Anordnung der Verse in der Erdbeschreibung s. auch oben: Teil I. Kap. 4. Die
poetische Technik des Dionysios Periegetes (Stil und Mittel sprachlicher Darstellung).
42
Vgl. ähnlich bei Ps.-Scymn. F 15 b Marcotte = 860–873 Müller; Amm. Marc. XXII 8, 27.
S. auch: MARCOTTE (2002) 250–251; KORENJAK (2003b) 235–236.
43
Mehr zum Problem der Parallelstellen bei Strabon und bei Dionysios s. oben: Teil I. Kap. 2.
Das Weltbild des Dionysios Periegetes (Die Quellenfrage).
44
In der römischen geographischen Tradition war auch die Meinung verbreitet, dass sich die
Quellen des Tanais in den Rhipäischen Bergen befänden, die meistens im Norden lokalisiert
wurden (Mela I 115; Plin. nat. hist. IV 78; Oros. I 2, 4).
45
KORENJAK (2002a) 588–593.

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Teil II. Kap. 9. Pontische Gewässer und Gebirge

Mit dem Partizipialausdruck συρόµενος (v. 660, vgl. das Verb σύρεται in v. 14) ist die
Angabe des Ausgangs- bzw. Eingangspunkts und der Richtung des Tanais-Laufs bezeichnet46.
Eustathius bemerkt, dass das hier von Dionysios benutzte Verb σύρεται eine Metapher
darstellt, als ob der Fluss wie eine Schlange krieche (Eust. ad Dion. Per. 16). Zur besseren
Veranschaulichung verwendet Dionysios bei der Beschreibung des Beginns des Tanais im
Kaukasischen Gebirge das Verb µορµύρουσιν „brausen, sprudeln“ (v. 664), womit er das
Rauschen des Wassers in den Bergen wiedergibt. Durch die spezifische Konstruktion des
nächsten Verses wird von Dionysios der Lauf des Tanais mitten durch die skythische Ebene
geschildert: Σκυθικοῖσιν ἐπιτροχάει πεδίοισιν (v. 665), indem das Verb visuell die Ebene
durch die Mitte schneidet. Das hier benutzte zusammenfassende Beiwort σκυθικός
„skythisch“ verweist auf die literarische Tradition, indem es auf die nördliche Lage eines
Objektes (vgl. „der Skythische Ozean“ in v. 587, oder über den vom Eis erstarrten Tanais in
vv. 666 ff.)47 und auf die ethnische Zugehörigkeit der nah beim Tanais wohnenden Völker
hinweist, während der hyperbolisierte „unendliche Wald“ (ὕλην ... ἀπείριτον, v. 659) die
örtliche Landschaft charakterisiert. Man kann vermuten, dass es sich hier um
Waldsteppengebiete handelt, die von Nomaden besiedelt sind und deswegen keine festen
Siedlungen haben.
In den beiden Abschnitten der Periegese über den Tanais wird der Maiotische See
(das heutige Asowsche Meer) erwähnt, in den der Tanais als Grenzfluss zwischen Europa und
Asien mündet (vv. 16, 660); dementsprechend wird die Maiotis selber zur Fortsetzung dieser
Grenze zwischen den beiden Kontinenten48. Dionysios folgt der traditionellen Sichtweise und
beschreibt die Maiotis im Norden vom Pontos, mit dem Schwarzen Meer durch den Bosporos
Kimmerios (die heutige Strasse von Kertsch) verbunden49:

163 τοῦ (sc. Πόντου) καὶ πρὸς βορέην Μαιώτιδος ὕδατα λίµνης
ἀγκέχυται. τῇ µέν τε περὶ Σκύθαι ἀµφινέµονται,
ἄνδρες ἀπειρέσιοι, καλέουσι δὲ µητέρα Πόντου·
ἐκ τῆς γὰρ Πόντοιο τὸ µυρίον ἕλκεται ὕδωρ
ὀρθὸν Κιµµερίου διὰ Βοσπόρου, ᾧ ἔνι πολλοὶ
168 Κιµµέριοι ναίουσιν ὑπὸ ψυχρῷ ποδὶ Ταύρου.

46
Dasselbe Verb findet sich bei Dionysios auch in v. 46: über das Mittelmeer, das sich von
Libyen bis Pamphylien ausdehnt, v. 137: über das Ägäische Meer, das nordwärts in die
Propontis einfließt, v. 475: über die Sizilische Meeresenge, v. 1139: über den Fluss Akesinos,
der vom Gebirge bis zum benachbarten Fluss Hidaspos läuft.
47
Über die weitere Beschreibung des skythischen Winters am Tanais (Dion. Per. 666–678) s.
oben: Teil II. Kap. 7. Das Klima und die Landschaft des nördlichen Schwarzmeergebietes.
48
Die Vorstellung über den Tanais und die Maiotis als die Grenze zwischen Europa und
Asien dominiert seit der hellenistischen Zeit, geht aber bereits auf die Vermutung des
Hekataios von Milet zurück (Hecat. FGrHist 1 F 208, 211–216 J., vgl. Aesch. Prom. vinct.
729–735; Hippocr. De aer. 13; Agathemer. I 3 = GGM II 472 Müller); vgl. Dion. Per. 303,
wo die Maiotis-Mündung als Endpunkt der „Route“ auftritt, die die Völker und Stämme vom
Istros bis zur Maiotis die pontische Nordküste entlang beschreibt.
49
Zum Bosporos Kimmerios s.: ZIEGLER (1979a) 934.

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Teil II. Kap. 9. Pontische Gewässer und Gebirge

„Von diesem (sc. Pontos) noch gegen Norden hin liegen die Wasser des Maiotischen
Sees
Eingegossen; um diesen nun herum siedeln rings die Skythen,
Menschen ohne Grenze und Zahl, und sie nennen ihn Mutter des Pontos:
Denn von ihm aus zieht sich das unermessliche Wasser des Pontos hin,
geradewegs durch den Kimmerischen Bosporos, an welchem viele
Kimmerier wohnen unten am kalten Fuß des Tauros“ (Dion. Per. 163–168).

Das Hydronym Μαιῶτις λίµνη (ion. Μαιῆτις) ist eines der ältesten in der griechischen
Toponymik des nördlichen Schwarzmeergebiets50. In der antiken Tradition wurde die Maiotis
gewöhnlich als „See“ (ἡ Μαιῶτις λίµνη) bzw. „Sumpf“ (Palus Maeotis) bezeichnet51, wobei
sie nie einen geschlossenen Wasserraum darstellte und durch den Kimmerischen Bosporos
mit dem Pontos verbunden war52. Die Herkunft und die Bedeutung des Namens sind noch
nicht geklärt. Dionysios führt Maiotis anscheinend auf das griechische µαῖα zurück, was eine
Volksetymologie darstellt53. Dabei spielt Dionysios vielleicht auf die Worte des Herodot über
Maiotis „Mutter des Pontos“ an (Herod. IV 86: ἣ Μαιῆτίς τε καλέεται καὶ µήτηρ τοῦ
Πόντου)54. Plinius der Ältere nennt einen einheimischen skythischen Namen Temarunda in
der Bedeutung „Mutter des Meeres“ (nat. hist. VI 20: quo significant matrem maris); diese
Bezeichnung beruht auf der Naturbeobachtung, dass die Strömung vom Asowschen zum
Schwarzen Meer sehr stark ist55.
Der hier von Dionysios erwähnte Völkername Σκύθαι kommt nur in dieser Passage
vor und wird in einer rein geographischen Bedeutung benutzt; später beschreibt Dionysios
präziser die skythischen Völker, die am Maiotischen See wohnen (die Geloner, die
Agathyrsen, die Maioten, die Sauromaten)56. Das Wort Βόσπορος ist ein Beispiel für die
Übertragung eines geographischen Namens und stammt vom Thrakischen Bosporos, dessen

50
Aesch. Prom. 418; Herod. I 104, IV 3, IV 45; Ps.-Scyl. 69; Polyb. IV 40; Ps.-Scymn. F 15–
16 Marcotte; Strabo II 5, 23 C 125.
51
Neben diesen gebräuchlichen Namen kommen auch die Abkürzungen vor wie ἡ Μαιῶτις
(Eur. Herc. Fur. 409; Arist. meteor. II 1, 12, 13; 5, 14 u.a.), Maeotis (Cic. Tusc. V 17; Plin.
nat. hist. IV 88; Mela I 8, 10 u. a.), sowie die Weiterbildungen (Maeotica / Maeotia / palus:
Plin. nat. hist. II 168; Luc. Phars. II 641; Maeoticus lacus: Plin. nat. hist. IV 76, VI 1, 38;
Maeotium aequor: Avien. Or. mar. 32 f.). Dionysios Periegetes benutzt die verkürzte Form
nur einmal (v. 660), hingegen fünfmal die volle Form ἡ Μαιῶτις λίµνη (vv. 16, 163, 303, 551,
652).
52
BURR (1932) 37–40; COUNILLON (2004a) 76–82.
53
BURR (1932) 39.
54
Vgl. dieselbe Annahme bei: Strabo II 125; Agathem. II 14; Eust. ad Dion. Per. 163.
55
Eustathios schreibt in seinem Kommentar auch, dass der Maiotische See Mutter des Pontos
genannt werde, und er davon, wie man sagte, seinen ursprünglichen Namen bekommen hätte -
µαῖα bedeutet “Amme”. Auch seine Größe sei kaum kleiner als die des Pontos, so sage man.
Weiter bemerkt Eustathios, dass es bei den Griechen sowohl die Form Μαιῶτις mit ω vom
Verb µαιῶ, µαιώσω, als auch Μαιῆτις mit η vom Substantiv µαῖα ”Amme“ gebe (Eust. ad
Dion. Per. 163).
56
Mehr dazu s. oben: Teil II. Kap. 8. Pontische Völker und Stämme. (Die zweite Route).

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Teil II. Kap. 9. Pontische Gewässer und Gebirge

Etymologie traditionell mit dem Io-Mythos verbunden ist57. Durch den Wohnsitz des
Stammes der Kimmerier (Κιµµέριοι, v. 168) an den Ufern des Kimmerischen Bosporos
erklärt Dionysios die Bezeichnung der Meerenge58. Dionysios gibt keine Größe der Maiotis59
oder des Bosporos60 an, weil diese Hydronyme in seinem Text eine andere Funktion haben:
Die beiden stellen eine Ergänzung des Tanais dar, d.h. sie sind ebenso Grenze zwischen
Europa und Asien. Aus dem schematischen Weltbild des Dionysios geht hervor, dass der
Tanais von Norden in die Mitte der Maiotis mündet (Τάναϊς Μαιώτιδος ἐς µέσα πίπτει, v.
660, vgl. v. 16); aus der Maiotis fließt „geradewegs das unermessliche Wasser“ (τὸ µυρίον ...
ὕδωρ ὀρθόν, v. 166–167) vom Norden durch den Kimmerischen Bosporos in den Pontos ein
(vv. 163–167), so dass sich darauf schließen lässt, dass nach Dionysios die Tanais-Mündung
auf derselben Länge wie der Kimmerische Bosporos liegt; diese Vermutung beweist auch der
Gebrauch des Beiwortes ὀρθός: In jedem Kontext (vv. 114, 313, 341, 1090) handelt es sich
um die Nord-Süd-Richtung61. Die Redewendung „das gerade, rechte Wasser“ (v. 167)
beschreibt dabei wahrscheinlich gleichzeitig die Form der Meerenge. Indem Dionysios mit
der Präposition διά die Wortverbindung Κιµµερίου ... Βοσπόρου (v. 167) teilt, schildert er
visuell, wie das maiotische Gewässer über den Bosporos fließt. In Bezug auf das Maiotische
Wasser gebraucht Dionysios das Verb ἕλκεται, das in einem geographischen Kontext bereits
bei Lykophron anzutreffen ist62. Die Redewendung „am frostigen Fuß (sc. des Tauros)“ (ὑπὸ
ψυχρῷ ποδὶ (sc. Ταύρου), v. 168) kennzeichnet anscheinend die nördlichen Gebiete des
Schwarzmeerraums (τοῦ (sc. Πόντου) καὶ πρὸς βορέην, Dion. Per. 163) mit ihrem rauen
Klima, das bereits seit den Zeiten des Herodot zu einem locus communis geworden ist (vgl.
Herod. IV 28, 1: über den im Winter zufrierenden Bosporos)63.
Auf der weitesten ( = östlichsten) Seite des Pontos (πὰρ δὲ µυχὸν Πόντοιο, v. 688, sc.
für die Einfahrenden auf einem Schiff aus der Propontis) beschreibt Dionysios Dioskurias, die

57
Vgl. Aesch. Prom. vinc. 790; Call. h. III 252–254: ἐπὶ δὲ στρατὸν ἱππηµολγῶν / ἤγαγε
Κιµµερίων ψαµάθῳ ἴσον, οἵ ῥα παρ' αὐτόν / κεκλιµένοι ναίουσι βοὸς πόρον Ἰναχιώνης.
58
Vgl. Ähnliches bei Strabo VII 4, 3 C 309, XI 2, 5 C 494; Mela I 13, II 3; Plut. Mar. 11.
59
Herodot (IV 86) meint, die Maiotis sei nicht viel kleiner als der Pontos. Ps.-Skylax (68)
nimmt die Hälfte an. Meist wird sie doppelt so groß als in Wirklichkeit geschätzt: Strabo II
125, VII 310, IX 493; PPE 20; Plin. nat. hist. IV 12 und 78; Agathemer. I 3, II 14; Polyb. IV
39.
60
Nach Strabon ist der Abstand zwischen den Ufern in der Meerenge siebzig Stadien (Strabo
VII 310; XI 494). Die antiken Angaben über den Kimmerischen Bosporos s. auch bei: Herod.
IV 12; 28; 45; 100; Arist. HAV 19, 14; Ps.-Scymn. F 15 b Marcotte; Diod. IV 28; Plut. Thes.
27; Ptol. Geogr. III 6; V 9, 1; 6, 24; VIII 10, 2; 18, 2; Schol. Ad Apoll. Rhod. I 1164; II 168;
Eust. аd Dion. Per. 549. S. auch: BRANDIS (1897b) 757; BURR (1932) 36–37; DANOFF (1962)
879–881; DANOFF (1979d) 904; V. BREDOW (1999b) 717.
61
Vgl. Aesch. Prom. vinc. 790: ὅταν περάσῃς ῥεῖθρον ἠπείροιν ὅρον (über den
Kimmerischen Bosporos); s. auch: ROSE (1957) 298.
62
Lyc. Alex. 702 (TSAVARI 1990b 40); in der dionyseïschen Periegese findet sich das Verb
ἕλκοµαι auch in vv. 76, 103, 119, 199, 988.
63
Ausführlicher dazu s. oben: Teil II. Kap. 7. Das Klima und die Landschaft des nördlichen
Schwarzmeergebietes.

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Teil II. Kap. 9. Pontische Gewässer und Gebirge

Kolcher und den Fluss Phasis (Φᾶσις)64, der in seinem Text als geographischer
Orientierungspunkt auftritt: An diesem Punkt endet der Völkerkatalog der nordöstlichen
Küste des Pontos (vv. 652–690), hier beginnt zunächst die Erzählung über die Kaukasische
Landenge (vv. 695–705), später fängt von hier aus die Beschreibung der südpontischen
Völker an (vv. 762–798).

691 ... ἔνθα τε Φᾶσις,


Κιρκαίου κατὰ νῶτον ἑλισσόµενος πεδίοιο,
Εὐξείνου ποτὶ χεῦµα θοὴν ἀπερεύγεται ἄχνην,
694 ἀρξάµενος τὸ πρῶτον ἀπ' οὔρεος Ἀρµενίοιο.
„ ... und hier (sc. dort, wo die Kolcher sich befinden) der Phasis,
über den Rücken der Kirkaiïschen Ebene hinab sich windend,
verspeit er zur Ergießung des Euxeinos hin seinen hurtigen Schaum,
nachdem er zunächst vom Armenischen Bergland aus seinen Anfang nimmt“ (Dion.
Per. 691–694).

Die bereits im „Flusskatalog“ des Hesiod (Theog. 340) erwähnte Bezeichnung Φᾶσις
(die heutigen Flüsse Rioni und Qvirila) ist nicht griechisch, sondern stammt, wie man meint,
von der einheimischen Form *Pati65. Die Vorstellung vom Phasis als dem weitesten Punkt
des östlichen Pontos ist von alters her entstanden und mit den Angaben verbunden, die im
Laufe der ionischen Kolonisation der pontischen Südküste gewonnen wurden66. In der
weiteren Periplus-Literatur wurde die Phasis-Mündung zum Grenzpunkt der Route, die die
nordöstliche Pontos-Küste entlang ging (von der Maiotis bzw. dem Kimmerischen Bosporos
bis zum Phasis)67. Nach den antiken Vorstellungen, die im Mythos über die Argonauten
widerspiegelt sind, wurde der Fluss Phasis als die Grenze zwischen Europa und Asien
verstanden (dies wurde später durch die Vorstellung verdrängt, wonach die Grenze zwischen
den beiden Kontinenten durch den Tanais läuft, was auch bei Dionysios zu sehen ist)68. In der

64
Vgl. Strabo XI 2, 16 C 497, wo der Geograph Dioskurias auf ähnliche Weise an dem
“östlichsten Punkt des gesamten Meeres” platziert und dies sprichwörtlich beweist: „Zum
Phasis, wo für Schiffe endet fernster Lauf“ (εἰς Φᾶσιν, ἔνθα ναυσὶν ἔσχατος δρόµος; Übers. v.
S. Radt). Über die Identifizierung „des Landes der Tyndariden“ (χθόνα Τυνδαριδάων, Dion.
Per. 688) in der Periegese mit Dioskurias ausführlicher s. oben: Teil II. Kap. 8. Pontische
Völker und Stämme (Die zweite Route).
65
DIEHL (1938) 1893–1894 hat als erster die nicht-griechische Herkunft des Namens “Phasis”
vermutet; die Ableitung von *Pati wurde zuerst von VOGT (1938) 333 vorgeschlagen, s. auch:
SCHMIDT (1962) 27; DANOFF (1979h) 720; LORDKIPANIDZE (2000) 11–12; THÜR (2000) 758,
u. a.
66
Pind. Isthm. II 41; Eur. Androm. 651; Ps.-Scyl. 81.
67
Mehr dazu s. bei COUNILLON (2004b).
68
S. Herod. IV 45: „… als Grenzen hierfür (sc. für Europa und Asien – E.I.) der kolchische
Phasis angenommen wird. – Andere setzen für den Phasis den maietischen Tanais und die
kimmerischen Hafenplätze“ (Übers. J. Feix); vgl. die anderen Erwähnungen des Phasis bei
Herodot: I 104, II 103, IV 37–38, 86, VI 84; Aesch. F 191 Radt (vgl. F 155 Radt: ἁγνὸς
Φάσις). Einen Nachhall davon gibt es sogar in ganz späten Werken: So schreibt Prokopios
von Caesarea (6. Jh.), dass die Grenze der Kontinente der Phasis bilde, wobei er auf Herodot
hinweist (Bell. Goth. IV 6).

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Teil II. Kap. 9. Pontische Gewässer und Gebirge

Phasis-Mündung endete die Handelsstrasse aus Indien, die über das Kaspische Meer, dann bis
zu dem in dieses Meer mündenden Fluss Kyros (der heutige Kura) und über die Kaukasische
Landenge und weiter über die Phasis-Strömung bis zum Schwarzen Meer führte, wo sich
schon die Anker- und Gütersammelstellen befanden69.
Die Phasis-Quellen lokalisiert Dionysios in den Armenischen Bergen70; dies entspricht
den Angaben des Eratosthenes (F III B 75 Berger = Schol. Apoll. Rhod. II 399) und des
Strabon (XI 1, 17 C 498, vgl. auch XI 3, 4 C 500), deren Texte möglicherweise als Quellen
für Dionysios dienten71. Die von Dionysios verwendete Redewendung „Kirkeische Ebene“
(Κιρκαίοιο ... πεδίοιο, v. 692)72, durch die der Phasis fließt, verbindet die dionyseïsche
Passage mit den Argonautika des Apollonios Rhodios (II 399–401):

II 399 ἔνθα δ' ἀπ' ἠπείροιο Κυταιίδος ἠδ' Ἀµαραντῶν


τηλόθεν ἐξ ὀρέων πεδίοιό τε Κιρκαίοιο
401 Φᾶσις δινήεις εὐρὺν ῥόον εἰς ἅλα βάλλει·
„ ... wo durch das Kytaiische Festland und fern aus den
Amarantischen Bergen und der Kirkaiischen Ebene der wirbelnde
Phasis seine breite Strömung in die Salzflut einfallen lässt“ (Übers. P.
Dräger)

Beim Vergleich der Passagen der beiden Dichter fällt ihre inhaltliche Ähnlichkeit und
die Wortspielerei des Dionysios mit dem Text des Apollonios ins Auge. Trotz der
Unterschiede in der verwendeten Lexik und in den Ortsbezeichnungen beschreiben die beiden
Abschnitte den Lauf des kolchischen Flusses Phasis von seinen Quellen (im Amarantischen
Gebirge nach Apollonios oder im Armenischen Gebirge nach Dionysios), über das Flusstal
bis zur Mündung in den Pontos Euxeinos. Während der Flussname bei Apollonios an den
Anfang des Verses gesetzt ist (v. 401), stellt ihn Dionysios ans Ende seines Verses (v. 691).
Dionysios benutzt die Wortverbindung des Apollonios Κιρκαίοιο πεδίοιο „Kirkaiïsche
Ebene“, schneidet sie aber entzwei durch die Redewendung κατὰ νῶτον ἑλισσόµενος „sich
über den Rücken windend“ (v. 692), womit er visuell den Lauf des Flusses „über den
Rücken“ der Ebene, d.h. über ihre Mitte (κατὰ νῶτον), wiedergibt. Außerdem folgt Dionysios
derselben Tradition wie Apollonios, wenn er den Phasis im äußersten Teil des Pontos
lokalisiert (πὰρ δὲ µυχὸν Πόντοιο, v. 688): In den Argonautika findet man das ähnliche ἕως
µυχάτῃ κεν ἐνιχρίµψητε θαλάσσῃ „... bis ihr in den entlegensten Teil des Meeres
eingedrungen seid ...“ (Apoll. Rhod. II 398), in dem µυχός nicht „Winkel“, sondern „die
Region hinten, nahe dem anderen Ende, nahe der jenseitigen Wand“ bedeutet73. Der

69
Strabo XI 1, 17 C 498; Plin. nat. hist. VI 52; Ps.-Arr. PPE 44.
70
Mehr zu den Armenischen Bergen s. unten in diesem Kapitel: Die pontischen Gebirge.
71
Nach den anderen Versionen liegen die Phasis-Quellen auf dem Kaukasus (Arist. Meteor. I
13 27 350 a), in den Amarantischen Bergen (Apoll. Rhod. II 399) oder einfach im Gebirge
(Schol. Apoll. Rhod. II 399).
72
Genannt nach Kirke, der Schwester des Aietes und Tante Medeas (vgl. Hom. Od. X 136;
Hesiod. Theog. 957; u. a.), heute Ebene von Rioni.
73
FRÄNKEL (1968) 318, Anm. 429. Vgl. über den Phasis bei Apoll. Rhod. II 1264: ἔσχατα
πείρατα Πόντου; Ovid. Her. XVIII 157: in ultima Ponti; Vell. Pater. I 40, 1: intima Ponti.

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Teil II. Kap. 9. Pontische Gewässer und Gebirge

Wortgebrauch ἀρξάµενος wird bei Dionysios in die Konstruktion ἀπό + Gen. verbunden, was
für die nachklassische Sprache kennzeichnend ist, während in der klassischen Sprache das
Partizip ohne Präposition verwendet wird74. Dies alles spricht für eine absichtliche
Anspielung des Dionysios auf die Passage aus den Argonautika, die dem aufmerksamen Leser
seiner Periegese hilft, in den Versen des Apollonios das Muster für Dionysios zu erkennen.
An der südlichen Küste des Pontos nennt Dionysios die Flüsse Thermodon, Iris, Halys
(vv. 772–786) und Rhebas (vv. 793 –796), was ebenso eine Parallele zum Text des
Apollonios Rhodios darstellt. Dass der Text der Argonautika der südpontischen Beschreibung
des Dionysios zugrunde liegt, wurde bereits des Öfteren bemerkt75; dabei verwendet
Dionysios nur den geographischen Inhalt der Passagen des Apollonios, ohne deren Kontexte
zu beachten76. Dem Apollonios folgend (vgl. II 972–984)77 richtet Dionysios besondere
Aufmerksamkeit auf den Fluss Thermodon (der heutige Terme Çayi):

772 οὺς δὲ µετ' Ἀσσυρίης πρόχυσις χθονὸς ἐκτετάνυσται,


ἔνθα δ' Ἀµαζονίδεσσιν ἀπ' οὔρεος Ἀρµενίοιο
λευκὸν ὕδωρ προΐησιν ἐνυάλιος Θερµώδων,
775 ὅς ποτ' ἀλωοµένην Ἀσωπίδα δέκτο Σινώπην (...)

779 ἐκ τῆς καὶ πτολίεθρον ἐπώνυµον ἄνδρες ἔχουσιν.


κείνου δ' ἂν ποταµοῖο περὶ κρυµώδεας ὄχθας
τέµνοις κρυστάλλου καθαρὸν λίθον, οἷά τε πάχνην
782 χειµερίην· δήεις δὲ καὶ ὑδατόεσσαν ἴασπιν.
„Nach diesem wiederum liegt das Schwemmland des Assyrischen Landes ausgedehnt,
wo den Amazoniden vom Armenischen Berg her
sein weißes Wasser entsendet der kriegerische Thermodon,
welcher einst die umherirrende Asopostochter aufnahm, die Sinope (...),

auch eine nach dieser zubenannte Stadt haben die Menschen inne.
Rings aber an jenes Flusses frostigen Uferhügeln
könntest du wohl den klaren Stein des Kristalles schneiden, gleichsam Eis,
winterliches; du wirst aber auch den wasserfarbenen Jaspis finden“ (Dion. Per. 772–782).

74
S. KÜHNER (1898–1904) 80, Anm. 1.
75
SCHNEIDER (1882) 21–24; BERNAYS (1905) 34–46; JACOB (1990) 48–49; GREAVES (1994)
115–121; VIAN (2001) 285–308.
76
Die Reihenfolge der ethnogeographischen Aufzählung bei Dionysios unterscheidet sich
aber von der im Epos des Apollonios: Die Argonauten bewegen sich von West nach Ost, vom
Thrakischen Bosporos (Apoll. Rhod. II 1–2) bis zu der kaukasischen Kolchis und dem Fluss
Phasis (Apoll. Rhod. II 1277), während die südpontische Küste bei Dionysios von Ost nach
West, d. h. im Uhrzeigersinn, beschrieben wird (Dion. Per. 762–764), was für die Periplus-
Literatur früherer Zeiten kennzeichnend war.
77
Zum Flusssystem des Thermodon bei Apollonios s.: FRÄNKEL (1968) 252–261; DELAGE
(1930) 169–170; zur Beschreibung des Thermodon in den Argonautika „von oben“, d. h. aus
der Vogelperspektiv s.: WILLIAMS (1991) 279, MEYER (2001) 231.

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Teil II. Kap. 9. Pontische Gewässer und Gebirge

Das frühgriechische Epos kennt den Namen des Flusses Thermodon nicht78. Die
Angaben über den Fluss stammen von Herodot, der den Wohnsitz der Amazonen mit dem
Thermodon verbindet (IV 110; IX 27); seitdem tritt der Fluss Thermodon bei den späteren
Autoren als Standardort der Amazonenlokalisation auf79.
Dionysios platziert den Thermodon im Assyrischen Land80, wo die Amazoniden
wohnen: Damit bestimmt er den Wohnsitz des Volkes dank dem Fluss. Dionysios verbindet
mit dem Thermodon den Mythos über die Nymphe Sinope, nach deren Namen die
gleichnamige Stadt in Assyrien benannt wurde81. Die Thermodon-Quellen befinden sich nach
Dionysios im Armenischen Gebirge82, was möglicherweise auf das Zeugnis des Eratosthenes
zurückgeht (F III B 84 = Strabo XI C 529), der die Quelle des Thermodon nach Armenien
verlegt. In den Scholien zu den Argonautika des Apollonios Rhodios steht, dass der
Thermodon einst „Araxos“ genannt wurde, der aus Armenien floss (Schol. Apoll. Rhod. II
972–975 a); vielleicht hat Dionysios auch diese Angaben als seine Quelle benutzt.
Den stürmischen, aufschäumenden Lauf des Bergflusses gibt Dionysios mit der
dichterischen Redewendung „das weiße Wasser“ (λευκὸν ὕδωρ, v. 774, vgl. Apoll. Rhod. II
368: λευκῇσιν ... δίναις, über den Fluss Iris) und mit der homerischen Epiklese des Ares
ἐνυάλιος „Enyalios“ (Hom. Il. II 651, XIII 519, XVII 211 u. a.) wieder, die Dionysios in
Bezug auf den Thermodon im Sinne „bedrohlich, kriegerisch“ verwendet. Wie es scheint,
spielt Dionysios mit diesem Epitheton auf die Passage des Apollonios Rhodios über die
kriegerischen Amazoniden, die Nachkömmlinge des Ares an den Ufern des Thermodon (II
985–996), an und versucht nicht nur die reißende Strömung des Bergflusses zu beschreiben
(vgl. Apoll. Rhod. II 372, 978), sondern überträgt auch die Charakteristik des Amazoniden-
Volkes, die Kriegslust (vgl. Apoll. Rhod. II 990–992), auf das Epitheton des Flusses, an dem
die Amazoniden wohnen83.
Nach Dionysios kann man an den Ufern des Thermodon den Kristall und den Jaspis
finden (vv. 780–782). Seine Beschreibung der frostigen Ufer (ποταµοῖο περὶ κρυµώδεας

78
Mehr zu den Angaben bei den antiken Autoren über den Thermodon s. bei RUGE (1934)
2395–2397; OLSHAUSEN (1979) 743; OLSHAUSEN (2002b) 427.
79
Herod. IV 86 (da liegt die Stadt Themiskyra); Aesch. Prom. 725; Apoll. Rhod. II 371–372,
995; Ps.-Scymn. F 16 Marcotte; Strabo I 3, 7 C 52; Arr. PPE XV 3; Val. Flacc. IV 601–603,
u. a. S. dazu: TYRELL (1984) 55 ff.; BLOK (1991) 72–75, 235–237.
80
Vgl. Herod. II 104 (wo an den Thermodon-Ufern die Syrer lokalisiert sind); Ps.-Scyl. 89
(die Assyrer am Thermodon), s. auch den Komm. dazu: COUNILLON (2004a) 113 ff.
81
Ausführlicher zur Identifikation der Amazoniden mit den Assyrern und zu ihrer
Verbindung mit Sinope s. oben: Teil II. Kap. 8. Pontische Völker und Stämme (Die vierte
Route).
82
Dionysios folgen dabei Avien. Descr. 950, Prisc. Per. 748, Eust. ad Dion. Per. 774; vgl.
Plin. nat. hist. VI 10: der Thermodon hat seinen Anfang ad castellum, quod vocant
Phanaroean und fließt am Amazonius mons vorbei (vgl. Apoll. Rhod. II 976–977: ἐξ ὀρέων ...
ἅ τέ φασιν Ἀµαζόνια κλείεσθαι); Amm. Marc. XXII 8, 17: Armonius mons.
83
Vgl. martius über den Thermodon bei Prisc. Per. 748.

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Teil II. Kap. 9. Pontische Gewässer und Gebirge

ὄχθας, v. 780)84 stellt eine Reminiszenz an die homerische Wortverbindung ποταµοῖο παρ᾿
ὄχθας dar85 und meint anscheinend das kalte Wasser des Flusses, wenn auch der Flussname
selbst etwas Warmes andeutet (θερµός, „warm, heiß“). In diesem Zusammenhang ist ein
Bericht des Ps.-Plutarch höchst interessant: über den Fluss Thermodon in Skythien, der auf
erstaunliche Weise sogar im Sommer gefriert und daher ursprünglich Κρύσταλλος („Eis“)
geheißen habe (Ps.-Plut. De fluv. 15; vgl. Eust. ad Dion. Per. 780). Wenn Dionysios vom
Bergkristall (κρυστάλλου καθαρὸν λίθον) am Thermodon spricht, meint er natürlich den
Stein86; diese Verse des Dionysios kann man aber auch als Anspielung auf das Zeugnis des
Ps.-Plutarch über den ungewöhnlichen, im Sommer vereisten, Fluss verstehen. Den
„wasserfarbigen“ Jaspis (ὑδατόεσσαν ἴασπιν, v. 782) am Thermodon unterscheidet Dionysios
vom „luftfarbigen“ Jaspis (ἠερόεσσαν ἴασπιν, v. 724), den er bei der Beschreibung des
Kaspischen Meeres erwähnt. Vielleicht widerspiegelt das Beiwort „wasserfarbig“ die
Herkunft des Jaspis aus dem Wasser, woran die antiken Autoren glaubten87. Bei Plinius dem
Älteren wird auch der bläuliche Jaspis an den Thermodon-Ufern beschrieben (nat. hist.
XXXVII 114–115). Bemerkenswerterweise stellen diese zwei Steine, der Kristall und der
Jaspis (oder ihre Herkunft), im Text des Dionysios mehrmals eine bestimmte Kombination
dar.
Die Mündungen der nächsten südpontischen Flüssen, des Iris und des Halys, stellen
„Route“-Punkte dar, d. h. treten als markante Punkte an der von Dionysios beschriebenen
Küste auf. Bei ihrer Erwähnung benutzt Periegetes die Redewendungen, die er unter anderem
aus dem 2. Buch der Argonautika entlehnt hat. So sagt Dionysios, der Fluss Iris (der heutige
Yeşil Irmak, “Grüner Fluss”)88 „strömt sein klares Gewässer zur Salzflut“ (καθαρὸν ῥόον εἰς
ἅλα βάλλει, v. 783, vgl. dieselbe Redewendung in v. 352 über den Tiber); diese
Formelwortverbindung mit dem fixierten Endelement εἰς ἅλα βάλλει spielt auf einige Verse
des Apollonios Rhodios an: Ἴρις (...) ἑλίσσεται εἰς ἅλα (II 368–369), vgl. (sc. Φάσις) εὐρὺν
ῥόον εἰς ἅλα βάλλει (II 401), (sc. Ἀχερων) εἰς ἅλα βάλλων (II 744) und ist aus dem
homerischen Vergleich des kämpferischen Aias mit einem reißenden Fluss entlehnt: πολλὸν
δέ τ᾿ ἀφυσγετὸν εἰς ἅλα βάλλει (Hom. Il. XI 495). Bei der Erwähnung des Grenzflusses Halys
(der heutige Kisil Irmak, „Roter Fluss“)89 weist Dionysios auf seine Quellen in den
84
κρυµώδεας ist ein seltenes Wort (es kann sein, dass es ein spezielles medizinisches Wort
oder ein Terminus technicus ist), es findet sich nur bei einigen Autoren: Hipp. de diat. II 65,
Menandr. Prot. P. 47 D. ( = HGM); vgl. darüber bei: FÖGEN (2003) 42–51.
85
Vgl. Hom. Il. IV 487, XI 499, XVIII 533, Od. VI 97.
86
Vgl. über den Kristall bei Theophr. de lap. 30; Plin. nat. hist. XXXVII 115.
87
Theophr. de lap. 27, vgl. 23, 35; das Beiwort ὑδατόεις wird auch von Nikander benutzt
(Ther. 233 und 300).
88
Dionysios berichtet nichts über die Quellen und die Strömung des Iris; s. die Angaben über
den Fluss bei: Xen. Anab. V 6, 9, VI 2, 1; Apoll. Rhod. II 368, 963; Strabo XII 3, 15 С 547,
vgl. XII 3, 30 C 556 und XII 3, 39 C 561; Plin. nat. hist. VI 6; Ptol. Geogr. V 6, 2. S. auch
den RE-Artikel darüber: RUGE (1916) 2045 und DANOFF (1979c) 1453; OLSHAUSEN (1998)
1106.
89
Der Fluss teilte Lydien von Medien (Herod. I 6 und 72; Thuc. I 16), später die Kappadokier
(d. h. die Leukosyrer, vgl. Dion. Per. 772) von den Paphlagonern (Strabo XII 3, 12 C 546);
der Halys wird auch erwähnt bei: Hecat. FGrHist I F 199 J. = Strabo XII 3, 25 C 552; Ps.-

- 291 -
Teil II. Kap. 9. Pontische Gewässer und Gebirge

Armenischen Bergen90 und auf die Nahlage seiner Mündung zum Kap Karambis hin (vv.
784–785), wobei er eine weitere Redewendung aus den Argonautika verwendet: „die
Strömungen des Flusses Halys“ ῥοαὶ Ἄλυος ποταµοῖο (Apoll. Rhod. II 366).
Die Beschreibung der pontischen Südküste beendet Dionysios mit der dreifachen
Anapher mit dem Namen des Grenzflusses91 Rhebas (der heutige Riva Deresi), der in
Bithynien neben dem Thrakischen Bosporos fließt92:

793 ἄγχι δὲ Βιθυνοὶ λιπαρὴν χθόνα ναιετάουσι,


Ῥήβας, ἔνθ' ἐρατεινὸν ἐπιπροΐησι ῥέεθρον,
Ῥήβας, ὃς Πόντοιο παρὰ στοµάτεσσιν ὁδεύει,
796 Ῥήβας, οὗ κάλλιστον ἐπὶ χθονὶ σύρεται ὕδωρ.
„Nahebei aber bewohnen die Bithyner einen fetten Boden,
wo der Rhebas seinen lieblichen Strom vorantreibt,
der Rhebas, welcher an den Einmündungen des Pontos seines Weges wandelt,
der Rhebas, dessen Wasser als schönstes auf Erden sich hinzieht“ (Dion. Per. 793–796).

In den erhaltenen antiken Quellen wird der Rhebas zuerst bei Ps.-Skylax (92) erwähnt, der
drei Flüsse in Bithynien aufzählt93. Dreimal ist der Rhebas in den Argonautika des Apollonios
Rhodios zu finden, bei dem er als einer der Orientierungspunkte in Bithynien dient (Ῥήβαν
ὠκυρόην ποταµόν: II 349 = II 650, auch II 789)94. Mit der Anapher des Rhebas-Namens
markiert Dionysios den Abschluss seiner südpontischen (vv. 762–798) oder ganzen
pontischen Beschreibung95: der Rhebas, dessen Strom „an den Mündungen des Pontos läuft“
(v. 795), ist der Endpunkt der Route die ganze südpontische Küste entlang. Wie es scheint,
spielt Dionysios hier auf die homerische Beschreibung des kleinasiatischen Flusses Axios aus
dem „Katalog der Trojaner“ an, in dem auf ähnliche Weise die Wiederholung des
Flussnamens und die Redewendung „schönes Gewässer“ benutzt werden: τηλόθεν ἐξ
Ἀµυδῶνος ἀπ' Ἀξιοῦ εὐρὺ ῥέοντος, / Ἀξιοῦ οὗ κάλλιστον ὕδωρ ἐπικίδναται αἶαν (Hom. Il. II
849–850 = XXI 157–158). Das von Dionysios dabei benutzte Wort ῥέεθρον „Strom, Strahl“
ist geläufig in der Dichtung seit den homerischen Epen96, unter den Alexandrinern findet es

Scyl. 89; Xen. Anab. V 6, 9; Plin. nat. hist. VI 6, 8; Arr. PPE 21; Ptol. Geogr. V 4, 2. S. mehr
dazu: RUGE (1912) 2286–2287; TEIDLER (1979) 927; GIANOTTI (1996) 157–187; MAREK
(1998) 101–102.
90
Über die Halys-Quellen in den Armenischen Bergen berichtet auch Herodot (I 72).
91
Der Rhebas diente als Grenze zwischen den Thynen und den Bithynen (Arr. FGrHist 156 F
77 J. = Eust. Ad Dion. Per. 793).
92
S. RUGE (1914) 348; DÖRNER (1979c) 1392; STROBEL (2001) 951.
93
Ps.-Scyl. 92: Σαγάριος , Ἀρτώνης, Ῥῆβας; s. dazu auch: COUNILLON (2004a) 133.
94
S. auch: Schol. Apoll. Rhod. II 347, 349, 649, 789, 791. Vgl. die Erwähnungen des Rhebas
bei: Plin. nat. hist. VI 4; Arr. PPE. 12; Anon. PPE 3; Orph. Arg. 716 (Ῥήβαιος); Avien.
Descr. 963; Prisc. Per. 762.
95
Vgl. die übliche didaktische Abschlussformel in vv. 797–798: „So viele nun sind die den
Pontos umwohnenden Menschen. Jene zuvor genannten Stämme sollen aber fürwahr Skythien
angehören“.
96
Hom. Il. II 461, Od. VI 317; vgl. Aesch. Ag. 210 auch F 197; Eur. El. 794.

- 292 -
Teil II. Kap. 9. Pontische Gewässer und Gebirge

sich besonders oft bei Apollonios Rhodios (I 9 u. a.; II 724 u. a.; IV 227 u. a.) und Lykophron
(439, 718, 1184 u. a.)97.

9.4 Die pontischen Gebirge


Was die bei Dionysios erwähnten pontischen Berge betrifft, so sind sie praktisch alle nach
seinem schematischen Weltbild Teile der gewaltigen Bergkette Tauros (heute Toros Dağlari
in der Südtürkei)98. Im Text der Periegese äußert Dionysios die in der Antike weit verbreitete
Meinung99, die Bergkette Tauros beginne in Kleinasien, ziehe sich über den Kaukasus,
Medien und Hyrkanien bis zum Ostozean und gliedere solcherweise ganz Asien in einen
Nord- und einen Südteil:

638 µέσσα γε µὴν πάσης Ἀσίης ὄρος ἀµφιβέβηκεν,


ἀρξάµενον γαίης Παµφυλίδος ἄχρι καὶ Ἰνδῶν,
640 ἄλλοτε µὲν λοξόν τε καὶ ἀγκύλον, ἄλλοτε δ' αὖτε
ἴχνεσιν ὀρθότατον· Ταῦρον δέ ἑ κικλήσκουσιν,
οὕνεκα ταυροφανές τε καὶ ὀρθόκραιρον ὁδεύει,
οὔρεσιν ἐκταδίοισι πολυσχιδὲς ἔνθα καὶ ἔνθα.
ἐκ τοῦ ἀπειρέσιοι ποταµοὶ καναχηδὰ ῥέουσιν,
645 οἱ µὲν πρὸς βορέην, οἱ δ' ἐς νότον, οἱ δ' ἐπὶ ῥιπὴν
εὔρου καὶ ζεφύροιο· τίς ἂν πάντων ὄνοµ' εἴποι;
οὐ µὲν ἐπωνυµίην µίαν ἔλλαχεν, ἀλλ' ἐν ἑκάστῃ
οὔνοµ' ἔχει στροφάλιγγι· τὰ δ' ἂν κείνοισι µέλοιτο
649 ἀνδράσιν, οἳ κατὰ χῶρον ὁµούριον οἶκον ἔχουσι.
„Die Mittelteile nun fürwahr ganz Asiens hält ein Gebirge umfangen,
seinen Anfang nehmend vom Pamphylischen Land, bis hin zu den Indern sogar,
bald krumm und gebogen, bald wiederum
in seinen Spuren höchst gerade; Tauros rufen sie es –
deswegen, weil es stiergestaltig und spitzen Hauptes seines Weges zieht,
in ausgedehnten Gebirgen vielfach gespalten hier und da.
Aus diesem strömen mit Getöse unendlich viele Flüsse,
die einen nach Norden, andere in den Süden, andere wieder gegen den Ansturm
des Euros und des Zephyros hin: Wer möchte wohl all die Namen nennen?
Nicht freilich eine Benennung erloste es, sondern in jeder
Windung hat es einen Namen; dies aber mag wohl jene
Leute kümmern, die an einem angrenzenden Ort sich ihr Zuhause errichteten“ (Dion. Per.
638–649).

97
Vgl. Call. Del. 135, 207; Theocr. AP 9, 437, 6.
98
S. zum Randgebirgssystem Tauros: OLSHAUSEN (2002a) 59–60.
99
Ursprünglich wurde mit „Tauros“ nur das Gebirge in Kilikien und Pamphylien bezeichnet
(Strabo XI 8, 1 C 511). Als erster hat Eratosthenes die Gliederung Asiens durch den Tauros
vollzogen: „[...] der Tauros nämlich, der die gerade Fortsetzung des von den Säulen her sich
erstreckenden Meeres bilde, teile ganz Asien der Länge nach in zwei Hälften; je eine mache
er zum nördlichen, die andere zum südlichen Teil [...]“ (Eratosth. F III A 2 Berger = Strabo II
1, 1 С 68; Übers. S. Radt). Mehr dazu s. auch: BERGER (1880) 173–174.

- 293 -
Teil II. Kap. 9. Pontische Gewässer und Gebirge

Dionysios zufolge teilt die Bergkette Tauros Asien in einen nördlichen und einen
südlichen Teil, ist öfters gewunden und bildet Ausläufer, hat einen Anfangs- und Endpunkt
(von Pamphylien bis zu den Indern) und bewegt sich in die gegebene Richtung (west-östlich).
Bei der Benennung des Gebirges spielt Dionysios mit den Wörtern und erklärt dessen Namen
durch die Ähnlichkeit seiner Natur mit einem spitzhornigen Stier, wobei er das von ihm selbst
bedachte Beiwort ταυροφανές („stiergestaltig“) in der stilistischen Konstruktion der Inversion
(bzw. des Chiasmus) benutzt: ὀρθότατον Ταῦρον – ταυροφανές ... ὀρθόκραιρον (ст. 641–
642, vgl. darüber auch bei Eust. ad Dion. Per. 638).
Nach Dionysios haben zahlreiche Flüsse im Tauros ihren Ursprung (Dion. Per. 644–
649) ; dabei spielt Periegetes auf eine Passage des Hesiod an (Theog. 367–370)101, indem er
100

die hesiodeische Wortverbindung entlehnt (ποταµοὶ καναχηδὰ ῥέοντες, Hesiod. Theog. 367 ~
ποταµοὶ καναχηδὰ ῥέουσιν, Dion. Per. 644, vgl. ἔδραµες Εὐρίποιο πόρον καναχηδὰ ῥέοντος,
Call. h. IV 45)102. Diese Vorstellung über die Flussquellen im Gebirge wurde auch auf die
einzelnen Teile des Tauros übertragen, auf denen unter anderem auch die pontischen Flüsse
entspringen: So fließen vom Armenischen Berg der Phasis (v. 694), der Thermodon (v. 773)
und der Halys (v. 786) herab, während die Tanais-Quellen im Kaukasischen Gebirge liegen
(v. 663). Die Berge treten dabei als bestimmte Punkte auf und dienen zur Identifikation des zu
beschriebenen Gebietes.
Außerdem hat der lang gezogene Tauros in verschiedenen Orten verschiedene
103
Namen . So nennt Dionysios in seiner Periegese die folgenden Tauros-Teile: den Kaukasus
(v. 690), den Armenischen Berg (vv. 694, 773, 786, 978, 1016), den indischen Kaukasus (vv.
714, 1091, 1134), den indischen Parnasos (v. 737), den Emodos (vv. 748, 1146, 1162), den
Kragos (v. 850) und den Paropanis (v. 1097)104. Nur die ersten zwei Ausläufer des Tauros, der
Kaukasus und der Armenische Berg, gehören zur pontischen Landschaft.
So platziert Dionysios „am frostigen Fuß des Tauros“ den Stamm der Kimmerier, die
dem Kimmerischen Bosporos den Namen gegeben haben: ἕλκεται ὕδωρ / (...) Κιµµερίου διὰ
Βοσπόρου, ᾧ ἔνι πολλοὶ / Κιµµέριοι ναίουσιν ὑπὸ ψυχρῷ ποδὶ Ταύρου, - „(sc. die Maiotis)

100
Vgl. die ähnliche Passage aus der Geographie des Strabon über die vom Tauros fließenden
Flüsse: καὶ τῶν ποταµῶν δὲ αἱ ῥύσεις ἐνθένδε ἰοῦσαι πᾶσαι σχεδόν τι εἰς τἀναντία αἱ µὲν εἰς
τὰ βόρεια αἱ δ' εἰς τὰ νότια µέρη (τά γε πρῶτα, κἂν ὕστερόν τινες ἐπιστρέφωσι πρὸς ἀνατολὰς
ἢ δύσεις), - „Auch die Ströme der Flüsse, die fast alle von hier in entgegengesetzte Richtung,
teils nach Norden, teils nach Süden, laufen – jedenfalls anfänglich, auch wenn später manche
nach Osten oder Westen umbiegen [...]“ (Strabo XI 1, 4 C 491; Übers. S. Radt).
101
τόσσοι δ' αὖθ' ἕτεροι ποταµοὶ καναχηδὰ ῥέοντες, / υἱέες Ὠκεανοῦ, τοὺς γείνατο πότνια
Τηθύς· / τῶν ὄνοµ' ἀργαλέον πάντων βροτὸν ἄνδρα ἐνισπεῖν, / οἱ δὲ ἕκαστοι ἴσασιν, ὅσοι
περιναιετάουσι (Hesiod. Theog. 367–370).
102
Dies wurde zuerst von Eustathios bemerkt (ad Dion. Per. 638); s. auch bei: ANHUT (1888)
11; HUNTER (2004) 224–226.
103
Vgl. Ähnliches über den Tauros bei Strabon: ∆ιῄρηται δ' εἰς µέρη πολλὰ καὶ ὀνόµατα
περιγραφαῖς καὶ µείζοσι καὶ ἐλάττοσιν ἀφωρισµένα, - „Es ist in viele Teile und Namen
aufgeteilt, die sowohl größere als kleinere Gebiete umfassen“ (Strabo XI 1, 4 C 490; Übers. S.
Radt).
104
Vgl. die ähnliche Aufzählung der Tauros-Teile bei Plinius d. Älteren (nat. hist. V 97–98);
ausführlicher dazu s.: MURPHY (2004) 149 ff.

- 294 -
Teil II. Kap. 9. Pontische Gewässer und Gebirge

zieht sich das Wasser hin (...), / geradewegs durch den Kimmerischen Bosporos, an welchem
viele / Kimmerier wohnen unten am kalten Fuss des Tauros“ (vv. 166–168). Der hier
gemeinte nördliche Teil des Tauros ist mit dem Kaukasischen Gebirge zu identifizieren105,
das als eine gedachte Länge sich gegen Norden ausdehnt106; einen seiner Teile stellt auch die
Landenge zwischen dem Pontos und dem Kaspischen Meer dar (vgl. vv. 690–691: Καυκάσου
ἐγγὺς ἐόντες, ὃς Ὑρκάνιον περὶ πόντον / οὔρεσιν ἠλιβάτοισιν ἀέξεται, „der Kaukasus, der
sich rings am Hyrkanischen Meer in aufsteigenden Bergen erhebt“)107.
Am Südpontos befindet sich der Armenische Berg108, einer der Tauros-Ausläufer in
Kleinasien (wahrscheinlich das Ararathochland), wo die Quellen einiger Flüsse liegen, unter
anderem die des Phasis (v. 694), des Thermodon (v. 773) und des Halys (v. 786)109. Der
Bergname tritt praktisch im ganzen Text des Dionysios als Teil einer Formel und stets am
Ende des Verses auf: ἀπ᾿ οὔρεος Ἀρµενίοιο (vv. 694, 773, 786, 978, nicht aber in v. 1016).
Die von Dionysios mal im Norden des europäischen Oikumene-Teils erwähnten
Rhipäischen Berge (v. 315)110 sind kein Teil des Tauros. Von den Rhipäischen Bergen
fließen nach Dionysios die skythischen Flüsse Aldeskos und Pantikapes herab, die dann in
den Nordozean münden (κεῖθι καὶ Ἀλδήσκοιο καὶ ὕδατα Παντικάπαο / Ῥιπαίοις ἐν ὄρεσσι
διάνδιχα µορµύρουσι, vv. 314–315); dabei wiederholt Periegetes fast wörtlich einen Vers aus
den Argonautika des Apollonios Rhodios über die Istros-Quellen in den Rhipäischen Bergen:
Ῥιπαίοις ἐν ὄρεσσιν ἀπόπροθι µορµύρουσιν (Apoll. Rhod. IV 287). Die Rhipäen waren schon
den frühionischen Geographen bekannt: Laut ihren Mitteilungen wohnten unweit von diesen
Bergen die Hyperboreer, die Skythen und die Arimaspen111. Eustathios bemerkt, dass „in den

105
Ebenso auch in vv. 638–646, 660–663, 690, 700.
106
Als eine Parallele zum „frostigen“ Tauros-Kaukasus des Dionysios kann man auch den
Kaukasus des Aischylos anführen, der im Norden lokalisiert wurde, d.h. dort, wo man
traditionell Skythien platzierte. Vgl. Χθονὸς µὲν ἐς /τηλουρὸν ἥκοµεν πέδον, /Σκύθην ἐς
οἷµον, ἄβροτον εἰς ἐρηµίαν / ... πρὸς πέτραις / ὑψηλοκρήµνοις (Aesch. Prom. vinc. 1–6); πρὶν
ἂν πρὸς αὐτὸν Καύκασον µόλῃς, ὀρῶν / ὕψιστον, ἔνθα ποταµὸς ἐκφυσᾷ µένος / κροτάφων
ἀπ' αὐτῶν (Aesch. Prom. vinc. 719–720).
107
In Bezug auf diese Verse des Dionysios schreibt Eustathios, dass der Dichter unter Tauros
keinen Kaukasischen Berg, sondern die Taurische Halbinsel (d. h. Krim) verstehe, die im
Westen an der Mündung der Maiotis liegt, und dementsprechend lokalisiert der byzantinische
Gelehrte die Kimmerier des Dionysios fälschlicherweise auf der Krim und nennt sie
„Tauroskythen“ (Eust. ad Dion. Per. 163).
108
S. dazu den RE-Artikel: HIRSCHFELD (1896) 1187, und auch: TEIDLER (1979) 169;
MAKRIS (1999) 362.
109
Dieselbe Bezeichnung „Armenischer Berg“ wird auch in vv. 978 und 1016 erwähnt, wo es
aber anscheinend um das Kebirgebirge, nicht das Ararathochland, geht.
110
S. dazu: KIEßLING (1914) 846–916; LASSERE (1979) 1417–1419; ROMM (1992) 65;
STENGEL (2001) 992–993; MURPHY (2004) 81 ff.
111
Alcman. F 90 Page = 162 Calame; Aristeas Procon. F 1 Bolton; Herod. IV 13: nennt neben
den Hyperboreern die namenlosen Berge; Ps.-Hipp. de aere. 26: „[Skythien] liegt am
äußersten Norden an den Rhipäischen Bergen, woher Boreias weht“; Mela III 36 und Plin.
nat. hist. IV 88–89 erwähnen die Rhipäen und die nicht weit davon wohnenden Hyperboreer;
vgl. Ptol. Geogr. V 9, 13, wo ein gewisses Hyperboreisches Gebirge im nördlichen
Schwarzmeergebiet erwähnt wird.

- 295 -
Teil II. Kap. 9. Pontische Gewässer und Gebirge

Rhipäischen Bergen der Schnee niemals taut [...] hinter diesen Bergen, wie man sagt, steigen
die sogenannten Hyperboreer zum Meer herunter“ (Eust. ad Dion. Per. 311). Die mythischen
Rhipäischen Berge lassen sich nicht identifizieren: Darunter wurden bald der Tienschan, bald
das Altai-Gebirge, bald der Ural, bald der Kaukasus, bald die Karpaten, bald sogar die Alpen
verstanden. Aus dem dionyseïschen Kontext ist es schwierig zu bestimmen, in welche
Richtung er die Rhipäen ansetzt – von Westen nach Osten oder aber von Norden nach Süden.
Eine der Gebirgsarten (der Felsen, der Klippen usw.) sind die Kaps. Laut Dionysios
bestimmen das Figurenschema des Schwarzen Meeres (d. h. das des „skythischen Bogens“, v.
157) zwei Kaps: das Kap Karambis (Καράµβις, heute das Kap Kerempe Burnu, vv. 151, 159,
785) an der Südküste und das Kap Kriou Metopon (Κριοῦ Μέτωπον, das heutige Kap Sarič
bzw. Ai-Todor in der Krim, vv. 153, 312) an der Nordküste, wodurch der Pontos auch als
Doppelmeer auftritt (ἐκ τοῦ δ' ἂν καὶ Πόντον ἴδοις διθάλασσον ἐόντα, v. 156)112. Diese Kaps
dienten als wichtige Landmarken für die antiken Seeleute, deren Wege im Schwarzen Meer
durch die Hauptströmungen bestimmt wurden113. Anlässlich der schematischen Beschreibung
des Pontos wird die Entfernung zwischen den beiden Kaps Karambis und Kriou Metopon von
Dionysios in drei Tagesreisen zu Schiff angegeben (αἵτ' ἄµφω συνίασιν ἐναντίαι, οὐ µὲν
ἐοῦσαι / ἔγγυθεν, ἀλλ' ὅσον ὁλκὰς ἐπὶ τρίτον ἦµαρ ἀνύσσαι, vv. 154–155)114. Die
Entfernungsangaben in Tagesreisen sind für die hodologische Beschreibung kennzeichnend,
die zur Geradlinigkeit neigt115; dabei orientiert sich Dionysios in Vers 155 wieder an der
dichterischen Sprache der Argonautika des Apollonios Rhodios, wovon er Redewendungen
entlehnt, sie aber anders zusammenstellt: ὅσσον ἐς ἔνδιόν κεν ἐύστολος ὁλκὰς
ἀνύσσαι (Apoll. Rhod. I 603) ~ ἔγγυθεν, ἀλλ' ὅσον ὁλκὰς ἐπὶ τρίτον ἦµαρ ἀνύσσαι (Dion.
Per. 155).

112
Ausführlicher über die Form des Schwarzen Meeres in der Beschreibung des Dionysios s.
oben: Teil II. Kap. 6. Die Umrisse des Schwarzen Meeres und seine Charakteristika.
113
Vgl. Ps.-Scymn. F 28 Marcotte; Strabo II 5, 22 C 124, VII 4, 3 C 309; Plin. nat. hist. IV
86, die gleichfalls die beiden Landvorsprünge zusammen erwähnen. Wie die Forscher
bemerken, wendet sich ein Strömungsausläufer von Karambis gegen Norden zur Krim-
Halbinsel ab, der andere geht gegen Osten der Schwarzmeer-Küste entlang zum
Kimmerischen Bosporos; wobei sich die beiden kreisförmigen Strömungen gegen den
Uhrzeigersinn bewegen und endlich zur südlichen Pontos-Küste zurückkehren. So finden die
Angaben des Dionysios über „zwei Strömungen“ im Pontos eine Bestätigung bei den
gegenwärtigen Gelehrten, die sich mit der komplexen Erforschung des
Schwarzmeersaquatoriums beschäftigen (s.: DANOFF (1962) 936–938; AGBUNOW (1992) 209–
211; COUNILLON (2004a) 50–55); mehr dazu s. oben: Teil II. Kap. 6. Die Umrisse des
Schwarzen Meeres und seine Charakteristika (Charakteristik des Pontos als Doppelmeer).
114
Vgl. „der Tigris folgt mit seinem herrlichen Strom so weit entfernt, wie viel ein
raschwandelnder kräftiger Mann bis zum siebenten Tag vollenden könnte“ (vv. 985 f.).
Ähnliche Angaben in Tagesreisen s. z. B. bei Herod. I 72, III 26, IV 181 ff., V 49 (immer an
Land); Mela: II 6. 104; III 29; vgl. andersherum bei Strabon: dieselbe Strecke zwischen
Karambis und Kriou Metopon zählt ungefähr 1500 Stadien, – II 5, 22 С 125, VII 4, 3 C 309.
115
Zum Problem der antiken Entfernungsangaben s. z. B.: JANNI (1984) 44–45; BRODERSEN
(1994) 5; GEHRKE (1998) 183–184.

- 296 -
Anhang. Das Schicksal der Periegese in den späteren Jahrhunderten

Das Schicksal der Periegese in den späteren


Jahrhunderten
I. Die handschriftliche Tradition und die Editionen von Dionysios’ Werk
II. Die Überlieferungsgeschichte der Periegese und der byzantinische Kommentar des Eustathios
III. Der Einfluss der Periegese auf die spätantike und byzantinische Literatur

In der Antike war die Papyrusrolle der bevorzugte Überlieferungsträger – bis zu deren
endgültiger Ablösung durch den Pergamentcodex im 4. Jh. Im Augenblick ist uns kein Papyrus
mit dem Text des Gedichts von Dionysios bekannt. Wir besitzen keine genauen Nachrichten
davon, wie der Text der Periegese von der Zeit seiner Entstehung in der ersten Hälfte des 2. Jhs.
n. Chr. bis zum 4. Jh. n. Chr. aussah.
Seit dem 4. Jh. beginnt die uns bekannte Tradition der Periegese: Die Forschung besitzt
eine antike Vita des Dionysios, ein Scholiencorpus zum Gedicht (das in 4.-5. Jh. datiert wird),
zwei lateinische Paraphrasen des 4. und des 6. Jhs., eine Prosaparaphrase in der griechischen
Sprache (datiert ungefähr ins 9.-10. Jh.), einen ausführlichen byzantinischen Kommentar des 12.
Jhs. und zwei Fälschungen des 16. Jhs.
Im 16. Jh. ist die editio princeps des Gedichtes erschienen. Während vieler Jahrhunderte
war die Erdbeschreibung des Dionysios eines der bedeutendsten Werke in der Geographie: auf
ihn verwies man, ihn ahmte man nach, von ihm entlehnte man die Daten.

I. Die handschriftliche Tradition und die Editionen von Dionysios’ Werk


Es sind 134 uns bekannte Handschriften der Erdbeschreibung erhalten geblieben. Sie sind in dem
gründlichen Werk von ISABELLA ON. TSAVARI erforscht und beschrieben1, die auch die letzte
kritische Ausgabe von Dionysios’ Lehrgedicht veröffentlicht hat2. Ihre Untersuchung zur
Textgeschichte der Periegese besteht aus drei Hauptkapiteln, wo entsprechend die indirekte
Tradition3, die handschriftliche Tradition und die Druckausgaben besprochen werden4.
Der größte Teil der Untersuchung von IS. O. TSAVARI ist der Forschung der

1
TSAVARI (1990a).
2
TSAVARI (1990b).
3
Der indirekten Tradition werden von IS. O. TSAVARI die antike Vita des Dionysios, die
lateinischen Übersetzungen von Avienus und Priscianus, Aussagen der antiken Scholiasten,
Lexikographen und Grammatiker, die Zitatenüberlieferung sowie zwei Fälschungen von
Antonios Episcopoulos und I. Diassorinos aus dem 16. Jh. zugerechnet.
4
Zu den Druckausgaben des Dionysios Periegetes im 17. Jh. s. auch: FABRICIUS (1795) 586–606.

- 297 -
Anhang. Das Schicksal der Periegese in den späteren Jahrhunderten

handschriftlichen Tradition der Periegese gewidmet5. Man findet hier vor allem allgemeine
Listen der Abschriften in alphabetischer und in chronologischer Folge, dann werden die
Handschriften einzeln beschrieben und zu Familien vereinigt. Als Ergebnis liegt ein
gemeinsames Stemma vor, das durch 134 erhaltene und 97 rekonstruierte Handschriften
repräsentiert wird. IS. O. TSAVARI bemerkt im Einleitungskapitel (S. 22), dass von ihr eine
vollständige Kollation der Abschriften des 10.-14. Jhs. und nur eine Teilkollation der
Handschriften des 15.-16. Jhs. durchgeführt wurde (die Forscherin verglich dabei die Verse 1–
100, 550–650 und 1000–1100). Einer der Paragraphen ist dem Problem der kontaminierten
Handschriften gewidmet.
Nach IS. O. TSAVARI könnte man die handschriftliche Tradition von Dionysios’ Text
folgendermaßen rekonstruieren6: Das Original W, in dem es schon einige metrische und
orthographische Fehler gab, die man dann in allen byzantinischen Abschriften findet, verblieb
seit seiner Entstehung in der alexandrinischen Bibliothek; seine Kopie, meint IS. O. TSAVARI,
wurde bald darauf nach Hadrians Bibliothek in Athen geschickt, wo von den dortigen Philologen
weitere Änderungen vorgenommen wurden. Eine weitere Abschrift davon (W²), voll von variae
lectiones, ist ungefähr in der Mitte des 4. Jhs. in die Kaiserbibliothek in Konstantinopel (Byzanz)
gekommen. Eine andere Kopie vom alexandrinischen Original (W¹) hat man vor der zweiten
Hälfte des 4. Jhs. nach Rom gebracht; sie wurde wahrscheinlich von Avienus bei der Arbeit an
seiner lateinischen Paraphrase Descriptio orbis terrae benutzt und ist danach nach Süditalien
gelangt, wo man sie im 9. Jh. in die flüssiger lesbaren Minuskeln umgeschrieben hat. Jetzt ist
diese Handschrift als Codex Paris. Suppl. gr. 388 aus der Bibliothèque Nationale bekannt. Der
Text von Dionysios’ Periegese, den die späteren Herausgeber als „Codex A“ bezeichnen,
befindet sich auf den Blättern 89r–113v; im Text gibt es Verbesserungen nicht nur vom Schreiber
selbst (А¹), sondern auch von späteren Lesern: einer hat viele Versehen markiert (А²), zwei
andere schrieben eigene Erklärungen auf Latein zwischen den Versen auf (man bezeichnet sie
zusammen als А³), und eine Reihe von Kennzeichnungen stammt von der spätesten Hand (А4).
Es ist zu bemerken, dass diese Handschrift besonders wichtig für die Rekonstruktion des
Originaltextes des Dionysios ist und einer modernen wissenschaftlichen kritischen Edition
zugrunde liegen muss7.
Die Kopie W² von Konstantinopel haben zu ihrer Zeit Themistios, Orosios, Priscianus
(der im 6. Jh. eine weitere lateinische Übersetzung der Periegese geschaffen hat), Stephanos von
Byzanz, Georgios Choiroboskos und der Autor des Etymologicum Genuinum benutzt. Im 9.-10.
Jh. wurde von dieser Kopie eine Abschrift gemacht, die sowohl interlineare als auch marginale
Notizen enthielt und die den meisten byzantinischen Handschriften zugrunde gelegt wurde (132
von 134).

5
Die Handschriften der Erdbeschreibung werden auch erwähnt in: SINKEWICZ (1990) E–K 20.
6
TSAVARI (1990a) 211–217. S. dazu auch: BRODERSEN (1994) 20–25; RASCHIERI (2004) 19–22.
7
S.: BRODERSEN (1994) 22.

- 298 -
Anhang. Das Schicksal der Periegese in den späteren Jahrhunderten

Man könnte also, wie IS. O. TSAVARI meint, die ganze Tradition in zwei Gruppen teilen:
eine „Römische“, die in wenigen Abschriften erhalten ist, jedoch von besserer Qualität ist, und
eine „Konstantinopler“, die durch mehrere Handschriften repräsentiert wird, im Lauf der Zeit
aber an Qualität eingebüsst hat.
Die meisten frühesten Druckausgaben des Werkes von Dionysios beruhten auf zufällig
ausgewählten Abschriften, die sich viel von den früheren Handschriften und noch mehr von dem
verlorenen Original unterschieden. Erstmals wurde im Jahre 1512 von GIOVANNI MAZZOCHI in
Ferrara der griechische Text von Dionysios’ Periegese zusammen mit einer lateinischen
Übersetzung gedruckt (editio princeps)8. In Venedig erschienen in der Typographie von ALDUS
MANUTIUS viele antike Werke zum ersten Mal im Druck; unter anderen wurde hier im Jahre 1513
eine gemeinsame Ausgabe von dem Gedicht des Dionysios, den Oden Pindars, den Hymnen des
Kallimachos und der Alexandra des Lykophron herausgegeben9. 1522 druckte VALENTINUS
CURIO eine Ausgabe von Dionysios in Basel; im Jahr darauf kam eine weitere Ausgabe bei
JOHANNES BEBELIUS heraus, die in den folgenden Jahren von seinem und von anderen Häusern in
Basel, Köln und Antwerpen mehrfach nachgedruckt wurde10. Im Jahre 1547 wurde der Text der
Periegese in Paris von ROBERT ESTIENNE veröffentlicht, der ihn auch mit dem Kommentar des
Eustathios ergänzte (editio princeps von Eustathios’ Kommentar)11. HENRI II ESTIENNE, ein
anderer hervorragender Vertreter der berühmten Familie von Philologen und Herausgeber des 16.
Jhs., hat 1577 in Genf eine Druckausgabe des Dionysios realisiert; sein ganzes Leben förderte
HENRI ESTIENNE die Idee, eine klassische Ausbildung mit der griechischen Sprache und nicht mit
dem Latein zu beginnen12. Im Laufe des 16. Jhs. entstanden sieben weitere neue Dionysios-
Ausgaben.
Im 17. Jh. wurden in Europa, insbesondere in Frankreich und in den Niederlanden, eine
Menge von antiken Texten, Grammatiken und Lexika gedruckt; das hat merklich eine
Ausarbeitung von Textkritikmethoden gefördert. Es erschienen elf weitere Druckausgaben des
griechischen Textes von Dionysios; darunter war eine von 1633 speziell für die Schüler der
Elitenschule in Eton geeignet, eine andere, im Jahre 1658 in London unter der Redaktion von GU.

8
Dionysii Afri de situ orbis, opus studiosis necessarium, quo gentes, populi, urbes, maria,
flumina explicantur, Graece scriptum. Idem in Latinitatem à Rhemnio grammatico translatum,
falso hactenus Prinsciano adscriptum, in quo prope ducenta loca castigavimus, quae ex Plynio et
reliquis geographis plurimum accomodabunt. In idem annotamenta graecorum more latine
scripta, in quibus aliquot authorum castigations continentur. Coelii Calcagnini Annotatio super
Anchiale et Rhemniani carminis pensitatio. Ioannes Maciochus Bondenus imprimebat. Ferrariae.
Die XVIII. Decembris. Anno M.D.XII. Summa cum diligentia, ut caetera. S.: TSAVARI (1990a)
425–426.
9
TSAVARI (1990a) 426–427.
10
TSAVARI (1990a) 427–429.
11
TSAVARI (1990a) 430–431.
12
TSAVARI (1990a) 432–433. Zu der Verlagstätigkeit von HENRI I, ROBERT I und HENRI II
ESTIENNE s.: SCHREIBER (1982).

- 299 -
Anhang. Das Schicksal der Periegese in den späteren Jahrhunderten

HILL gedruckt, wurde zum ersten Mal mit zeitgenössischen Weltkarten illustriert13. Die von ED.
THWAITES in 1697 in Oxford veröffentlichte Ausgabe der Periegese hatte drei Handschriften aus
Eton, Oxford und Cambridge als Grundlage14.
Im Jahre 1704 hat der englische Gelehrte und Geograph ED. WELLS den Text des
Dionysios als ein praktisches Handbuch für Geographie veröffentlicht, die Ausgabe mit 16
modernen geographischen Karten versehen und den griechischen Text mit eigenen Gedichten
ergänzt, in denen Amsterdam, New York, Mexiko und die Insel Taiwan erwähnt wurden;
daraufhin wurde das Gedicht bis zu 1459 Versen länger und die Ordnung der Festländer geändert
(Europa, Afrika, Asien, Amerika und die Inseln)15. 1705 wird der griechische Text des Dionysios
in Regensburg mit einem sehr ausführlichen Kommentar in lateinischer Sprache herausgegeben,
und 1706 hat CHR. CELLARIUS die Lektüre des Dionysios als Schultext begründet16. Bis zum 19.
Jh. war der griechische Text des Dionysios als eine obligatorische Lektüre für Studenten in
Oxford aufgenommen. Die Studenten an der Leidener Universität lernten Altgriechisch nach
einer zweisprachigen Ausgabe des Dionysios von 1735 (ein Nachdruck der Antwerpener
Ausgabe von 1575 mit Paralleltext auf Griechisch und Latein).
Im Jahre 1817 unternahm CHR. FR. MATTHIAE eine weitere Ausgabe der Periegese
aufgrund einiger griechischen Handschriften; als Ergänzung schloss diese Ausgabe die
lateinische Version des Avienus, das Gedicht des Aratos über den Sternenhimmel und die
Catasterismi des Ps.-Eratosthens ein17. 1825 verwirklichte F. PASSOW eine Ausgabe des
Dionysios unter Heranziehung von mehr als zehn Manuskripten18: Immer mehr richteten nun die

13
In den erhaltenen Handschriften von Dionysios’ Werk sind keine Karten vorhanden; nur im
Codex А (fol. 112) gibt es auf dem Rand gegenüber dem Vers 1131 Marginalien in der Form
einer Raute, die wahrscheinlich die Umrisse Indiens illustrieren sollten, die nach Dionysios „mit
dem Rhombus vergleichbar sind”. In einer Handschrift mit Priscianus-Übersetzung (2. Hälfte des
11. Jhs.; London, BL, Cotton Tiberius B. V) wird eine sogenannte angelsächsische Karte (fol.
56v) dargestellt, sie widerspiegelt jedoch keine Daten aus dem Text des Priscianus. Ein anderer
Codex mit dem Text von Priscianus (14. Jh.; Arras, Bibl. Munic. Ms. 511) enthält auch eine
kleine Karte (fol. 58v). Es ist aber nicht ausgeschlossen, dass die Handschriften von den
Abschreibern selbst illustriert wurden. Wegen des sehr ausgeprägten Anschauungscharakters von
Dionysios’ Periegesis wurden in der Neuzeit mehrere Versuche untergenommen, sein Werk nicht
nur in die nationalen Sprachen zu übersetzen, sondern auch mit Karten und Bildern zu versehen.
So hat PETRUS BERTIUS im Jahre 1628 erstmals versucht, eine antike Weltkarte nach Dionysios’
Text zu rekonstruieren.
14
TSAVARI (1990a) 434–435.
15
WELLS (1704). Es ist zu bemerken, dass solche Änderungen im 16.-17. Jh. auch die
Geographica des Klaudios Ptolemaios betroffen haben: bis um 1730 wurden geographische
Atlasse gedruckt, die sich auf frei interpretierte bzw. ergänzte Daten des Ptolemaios stützten. S.
dazu: ALLEN (1992) 12–32.
16
CELLARIUS (1706).
17
MATTHIAE (1817) 79–118; TSAVARI (1990a) 436.
18
PASSOW (1825); s. auch: TSAVARI (1990a) 436–437. Zu den Lesarten des Codex A im
Vergleich zur Ausgabe des PASSOW s.: PRESSEL (1848) 345–348.

- 300 -
Anhang. Das Schicksal der Periegese in den späteren Jahrhunderten

Forscher ihre Aufmerksamkeit auf die handschriftliche Tradition. Als G. BERNHARDY auf
vorläufige Materialien von G. G. BREDOW für ein Corpus der griechischen Geografen zur
Verfügung erhalten hatte, veröffentlichte er 1828 den griechischen Text der Periegese von
Dionysios mit einer lateinischen Übersetzung, seiner eigenen Einleitung und Anmerkungen,
Eustathios’ Kommentar und Scholien19. Er benutzte 65 Handschriften und zog die Zeugnisse der
direkten Tradition, einer griechischen Paraphrase und der lateinischen Übersetzung des Avienus
heran. Neben humanistischen Kollationen hat G. BERNHARDY die Ausgaben von R. ESTIENNE
(Lutetia, 1547), von E. THWAITES (1697) und von G. G. BREDOW (1816) herangezogen20.
Gleich darauf ist eine Dionysios-Ausgabe im Bestand eines zweibändigen Corpus der
griechischen Geographen erschienen, das von KARL MÜLLER herausgegeben wurde21. Die
Müllersche Ausgabe wurde von einem umfangreichen Einleitungsartikel über die antiken
Autoren der kleinen geographischen Schriften begleitet, wovon ein Abschnitt dem Werk des
Dionysios gewidmet war (vol. II. Prolegomena, pp. XV–XL). MÜLLER hat sich auf die Ausgabe
von G. BERNHARDY gestützt und sie durch eine Kollation von 33 weiteren Pariser Manuskripten
ergänzt; so hat er den kritischen Apparat seiner Ausgabe erweitert (insgesamt wurden 77
Handschriften aufgenommen) und zum ersten Mal den Codex A (Parisinus gr. suppl. 388, olim
Mutinensis) herangezogen, der in der Folge als der beste anerkannt wurde. Außer dem Dionysios-
Werk hat MÜLLER in den zweiten Band griechische Texte von Scholien und einer griechischen
Prosaparaphrase, die lateinischen Übersetzungen der Erdbeschreibung von Avienus (4. Jh.) und
von Priscianus (6. Jh.) aufgenommen, ebenso wie auch den Kommentar des Eustathios von
Thessaloniki. Die neue Ausgabe von Dionysios’ Werk zog die Aufmerksamkeit der Forscher auf
sich und rief eine ganze Reihe von Publikationen hervor, die dem Leben des Dichters22, der
Analyse der unberücksichtigten Manuskripte des Gedichtes (manchmal mit einer kritischen
Einschätzung der Kollationen in der Ausgabe von Müller: vgl. beispielsweise den Artikel von
LUDWICH)23, dem Studium der Metrik und der Syntax des spätantiken Epos24, den stehenden
Epitheta25 und den Übersetzungen der Periegese von Avienus und Priscianus26 gewidmet waren.
Die neueste wissenschaftliche Ausgabe des Werkes von Dionysios, begleitet nicht nur

19
BERNHARDY (¹1828, ²1974).
20
TSAVARI (1990a) 437.
21
GGM (Müller) (1861) 103–176.
22
RÜHL (1874) 81–87 (die erste Publikation der anonymen Vita des Dionysios Periegeten aus
dem vatikanischen Codex Chisianus); s. auch corrigenda des Textes nach einer Kollation:
ZIPPERER (1876) 627–628; MOMMSEN (1879) (mit einer Literaturliste zum Autor).
23
RITTAU (1884) 534–539; LUDWICH (1885) 553–597 (diese Arbeit hat eine präzisere Kollation
des Codex A im Vergleich zur Müllerschen Ausgabe, eine neue Publikation der Texte von
Paraphrase und Scholien).
24
SCHNEIDER (1882, besonders was Dionysios’ Nachahmung seiner Vorgänger betrifft); RZACH
(1882); MOMMSEN (1895) 806–824; LA ROCHE (1900) 35–55; ARNOLDS (1913).
25
BRUCHMANN (1893).
26
S. z. B.: KOSTEN (1888).

- 301 -
Anhang. Das Schicksal der Periegese in den späteren Jahrhunderten

von einem kritischen Apparat, sondern auch von einer Liste der Parallelstellen, wurde 1990 von
ISABELLA ON. TSAVARI in Ioannina veröffentlicht27. Bei der Arbeit an dieser Ausgabe hat die
Forscherin 40 Handschriften als Apographen bezeichnet, die Manuskripte des 15.-16. Jhs. als
sekundäre ausgeschlossen, und auf solche Weise für ihre Ausgabe 45 Manuskripte
aufgenommen, die zwischen dem 10. und 14. Jh. datiert sind. Eine Reihe von Spezialisten hat
jedoch die Unvollkommenheit der von ihr verwendeten Methoden angesprochen, die nicht nur
der falschen Konstruktion von Stemmata der Manuskripte zugrunde gelegt wurden, sondern auch
die vereinfachte Wahl der Varianten bezeichneten28. Zu einer Fortsetzung der von TSAVARI
durchgeführten Arbeit wurde die von ihr 1992 publizierte Konkordanz zur Periegese29. Der 1994
von KAI BRODERSEN herausgegebene griechische Text des Gedichtes von Dionysios gründet sich
auf das Pariser Manuskript mit dem Codex A (Parisinus gr. suppl. 388) und wird von einer
deutschen Übersetzung von G. G. BREDOW (datiert von 1816) und von einem Einleitungsartikel
des Herausgebers begleitet; man kann diese Ausgabe als Versuch betrachten, die Arbeit von
Tsavari zu ergänzen und sie teilweise zu korrigieren30.

II. Die Überlieferungsgeschichte der Periegese und der Kommentar des


Eustathios
Eine der handschriftlichen Kopien von Dionysios’ Original wurde wahrscheinlich bei dem hohen
römischen Staatsbeamten Rufus Festus Avienus (4. Jh. n. Chr.) bewahrt; er war ein
leidenschaftlicher Anhänger der „alten Zeiten“ und des traditionellen Glaubens an die
heidnischen Götter und außerdem Teilnehmer an „gelehrten Gesprächen“, die von Macrobius in
den Saturnalia ausführlich beschrieben wurden31. Dies war derselbe Avienus, der als einer der
ersten das geographische Gedicht von Dionysios frei in lateinische Hexameter übersetzt hat;

27
TSAVARI (1990b).
28
Rec.: NOACK (1990) 411–422; COUNILLON (1991) 365–371; DEGANI (1991) 413–415; LACKNER
(1991) 121; MARTIN (1991) 21–25; REEVE (1991) 306–309; KONOMIS (1991–1992) 190–191;
GAMILLSCHEG (1992) 405–406; MUND-DOPCHIE (1992a) 53–54; MUND-DOPCHIE (1992b) 285;
NIKOLAI (1992) 478–483. S. auch: WEST (1992) 568–569; VOX (1999) 161–172. Die
handschriftliche Tradition der Periegese des Dionysios hat erneut M. D. REEVE (1994, 201–224)
erforscht, der die von TSAVARI benutzten Prinzipien der Handschriftenauswahl kritisiert hat; diese
Richtung ergänzte später D. MARCOTTE (2001, 190–221), der eine Verbindung zwischen Codex A
(Parisinus gr. suppl. 388, X в.) und Codex W (Gudianus gr. 46, XI в.) aufzeigte und daraus
schloss, dass die beiden Manuskripte der byzantinischen handschriftlichen Tradition des 13.-15.
Jhs. zugrunde lagen.
29
TSAVARI (1992).
30
BRODERSEN (1994). Im Jahre 1984 wurde von P. COUNILLON eine Dissertation zum Thema
„Edition critique, commentaire et traduction de la Périégèse de Denys“ vorbereitet, die leider
unveröffentlicht geblieben ist.
31
CAMERON (1977) 4.

- 302 -
Anhang. Das Schicksal der Periegese in den späteren Jahrhunderten

dabei hat er im Prolog und im Epilog etwas von sich selbst ergänzt32. Das Erscheinen der
Versparaphrase von Avienus unter dem Titel Descriptio orbis terrae weist auf die wachsende
Popularität des Werkes von Dionysios im westlichen Teil des Römischen Reiches33.
Die Benutzung des Gedichtes von Dionysios als Schultext hat im Laufe der Spätantike
unausweichlich zum Erscheinen der Scholien zum Werk des Periegeten geführt; nach den
späteren Handschriften kann man darauf schließen, dass die Scholien mehrfach zusammen mit
dem Haupttext abgeschrieben wurden, um ihn zu erläutern und zu kommentieren.
Etwas später ist im Byzantinischen Reich eine neue, im Vergleich zu der heidnischen
Version von Avienus vollständige, lateinische Übersetzung von Dionysios’ Gedicht erschienen;
sie stammt von dem um 500 in Konstantinopel wohnenden gelehrten Grammatiker Priscianus34.
Auf diese Übersetzung eines christlichen Autors stützten sich in der Folge die meisten
frühmittelalterlichen lateinischen Manuskripte35. Es sind auch mittelalterliche Scholien zur
Übersetzung des Priscianus erhalten geblieben, die auch als Schultext benutzt wurde36.
Nicht nur in Süditalien, sondern auch in Konstantinopel wurde der Text des Dionysios in
Minuskeln abgeschrieben; auf diese leider nicht erhaltenen Manuskripte gehen die früheren
byzantinischen Abschriften zurück. Außerdem ist in Konstantinopel eine griechische
Prosaparaphrase des Dionysios erschienen (von einigen Spezialisten in das 10.-11. Jh. datiert);
sie legt den Inhalt der Erdbeschreibung zugänglich dar und ist in ca. 50 Handschriften erhalten37.
In der zweibändigen Ausgabe der antiken Geographen von MÜLLER gibt es noch eine Paraphrase
des Gedichtes von Dionysios, die fälschlicherweise dem byzantinischen Theologen, Philosophen
und Dichter des 13. Jhs. NIKIPHOROS BLEMMIS zugeschrieben ist und wahrscheinlich eine

32
GGM (Müller) (1861) 177–189; die neuesten Ausgaben: VAN DE WOESTJNE (1961).
33
S. dazu: KOSTEN (1888); BREYSIG (1900) 565–573; CAMERON (1967) 385–399; GUALANDRI
(1982) 151–165.
34
Im Gegensatz zu Dionysios, der im Prolog sein Hauptthema andeutet, beginnt Avienus seine
Übersetzung mit einer Anrede an Apollo und die Musen-Camenae (vv. 6–7, 10) und Priscianus
mit einer Anrede an den Schöpfer (v. 1: naturae genitor). Wahrscheinlich fühlen die beiden
lateinischen Autoren, dass Dionysios’ Anfang sich vom traditionellen hellenistischen Schema
unterscheidet, sich im Proömium an eine Gottheit zu wenden bzw. sein Gedicht einer Person zu
widmen. Bei Dionysios gibt es eine Wendung zu Apollo und den Musen, die sich vor einem
Inselnkatalog in der Mitte des Gedichtes befindet (vv. 447 ff.). Andere Unterschiede zwischen
den Werken von Dionysios, Avienus und Priscianus sind durch die Benutzung verschiedener
Abschriften von lateinischen Autoren als auch durch künstlerische Besonderheiten ihrer Zeit
bedingt; s. dazu: ANHUT (1888, 15), und den kritischen Apparat in der Dionysios-Ausgabe von
TSAVARI (1990b).
35
So zitiert z.B. der irische Gelehrte Dicuil in seinem geographischen Werk De mensura orbis
terrae (9. Jh.) die Periegese des Dionysios in der Übersetzung von Priscianus (ed. PARTHEY,
1870).
36
VAN DE WOESTIJNE (1951) 133–157; zur Benutzung der Priscianus-Übersetzung als Schultext
s.: GLÜCK (1967); BEVAN (1969) XXIX. Die neueste kritische Ausgabe des Priscianus s.: VAN DE
WOESTIJNE (1953).

- 303 -
Anhang. Das Schicksal der Periegese in den späteren Jahrhunderten

Fälschung des 16. Jhs. ist38.


Ein ausführlicher Kommentar zum Gedicht des Dionysios wurde im 12. Jh. von
EUSTATHIOS VON THESSALONIKI geschrieben39, der vor seiner Amtszeit als Bischof von
Thessaloniki in Konstantinopel wohnte. Eustathios war einer der größten byzantinischen
Gelehrten aus der Epoche der späten Komnenen, eine wichtige kirchliche Person, Professor an
der Patriarchenschule40. Mit seinen Konjekturen in den antiken Texten hat er die Humanisten und
Wissenschaftler der Renaissance vorweggenommen. Außer dem Dionysios-Kommentar hat
Eustathios umfangreiche Kommentare zur homerischen Ilias und Odyssee und zu den „Oden“
Pindars geschrieben41.
Dem Kommentar des Eustathios zur Periegese geht ein Proömium an seinen Freund und
ehemaligen Schüler Iohannes Duke voran. In dem Proömium gibt Eustathios eine Definition von
Periegese, führt den Unterschied zwischen geographischen und chorographischen Schriften aus
(dabei zählt er Dionysios zu den Geographen) und gibt die Nachrichten über das Leben und die
anderen Werke des Dionysios. Die Hauptaufgabe des Eustathios-Kommentars besteht darin, für
die Leser den Sinn dieses oder jenes Verses oder Wortes aus dem Lehrgedicht des Dionysios zu
erklären, wofür er sich auf die Primärquelle stützt. Das Hauptprinzip seines Kommentars ist die
Gegenüberstellung der Texte. Eustathios benutzt Daten der antiken Scholien zu Dionysios, die
unsere Zeit nur unvollständig erreicht haben, und auch historische, geographische und literarische
Zeugnisse der antiken Autoren. Einen Teil dieser Daten führt er wörtlich an, häufiger jedoch
erzählt er sie nach42. Einige Quellen bezeichnet Eustathios direkt in seinem Text, während er
beim Zitieren von anderen einführende Formeln (z. B. „man sagt“, „man erzählt“ usw.)

37
GGM (Müller) (1861) 409–425.
38
GGM (Müller) (1861) 458–470. S. zum Problem der Fälschung auch: DILLER (1936) 126–128;
TSAVARI (1990a) 70–71; BRODERSEN (1994) 24.
39
Die erste Ausgabe des Eustathios-Kommentars wurde zusammen mit dem Text des Dionysios
von R. ESTIENNE in Paris im Jahre 1547 vorbereitet.
40
Zum Leben und Werken des Eustathios von Thessaloniki s.: BROWNING (1962) 186–193;
KAZHDAN (1984); WIRTH (1980); WILSON (1983) 196–203.
41
GGM (Müller) (1861) 201–407; Eustathii archiepiscopi Thessalonicensis Commentarii ad
Homeri Iliadem. Vol. I–IV. Lipsiae, 1827–1830; Eustathii archiepiscopi Thessalonicensis
Commentarii ad Homeri Odysseam. Vol. I–III. Lipsiae, 1825–1829; VAN DER VALK (1971); zum
Pindar-Proömium: KAMBYLIS (1992), NEGRI (2000); SAKELLARIDOU-SOTIROUDI (1995) 141–150
(kritische und exegetische Bemerkungen zu einigen Passagen im Kommentar des Eustathios zur
Periegese); SCHÖNAUER (2000) 231–241 (zum Problem der Datierung einer Handschrift, worin
sich das Proömium des Eustathios-Kommentars zu Pindaros befindet); zur handschriftlichen
Tradition des Kommentars des Eustathios zum Text des Dionysios, die bis zum 16. Jh.
ununterbrochen geblieben ist, s.: DILLER (1975) 181–207; TSAVARI (1990a) 61–65.
42
Beim Kommentieren zieht Eustathios Zeugnisse solcher Quellen wie Herodot, Xenophon von
Athen, Aristoteles, Arat, Diodor von Sizilien, Strabon, Plutarch, Ptolemaios, Arrian, Herodian,
Aelian, Athenaios, Hermias (der den Phaidros des Plato kommentiert hat), Stephanos von
Byzanz, Theophylaktos Simokatta u. a. heran.

- 304 -
Anhang. Das Schicksal der Periegese in den späteren Jahrhunderten

verwendet. Dabei verweist Eustathios die Leser oft auf Materialien seiner Kommentare zu den
homerischen Epen und zu Pindar43. Das Werk des Eustathios ist nicht nur ein philologischer und
linguistischer Kommentar, der humanistische Kommentare zu den antiken Autoren
vorweggenommen hat, sondern gilt auch als ein kultur-historisches Denkmal des 12. Jhs., in dem
die Zeichen seiner Zeit gespiegelt sind.
Im Jahre 1470 wurde die erste lateinische Priscianus-Übersetzung der Periegese gedruckt.
1477 kam in Venedig eine neue lateinische Übersetzung des Dionysios heraus; sie wurde von
ANTONIUS BECCARIUS verfasst, der mit dem Codex A arbeitete. 1488 erschien die Druckausgabe
des Avienus.
1571 wurde das Gedicht des Dionysios von T. TWAIN zum ersten Mal ins Englische
übersetzt44. Eigentlich stellt die Übersetzung von Twain eine Paraphrase dar, da er frei mit den
Details umging und den Text ergänzte, – so hat er z. B. die Versen 565–569 des Dionysios über
die Britischen Inseln auf eine ganze Seite ausgedehnt.
1597 veröffentlichte BEGNI DE SAUMAISE, Vater des hervorragenden Humanisten des 17.
Jhs. CLAUDE DE SAUMAISE (CLAUDIUS SALMASIUS), eine Übersetzung des Dionysios in die
französische Sprache45. CLAUDIUS SALMASIUS wendet sich in seinem Werk Plinianae
Exercitationes in Solinum (Paris, 1629¹; Utrecht, 1689²) öfter dem ihm wohlbekannten Text des
Dionysios zu und verwendet Dionysios’ geographische Angaben mehrfach als Argumente.

III. Der Einfluss der Periegese auf die spätantike und byzantinische
Literatur
Wie andere antike Werke wurde das Gedicht des Dionysios in handschriftlichen Kopien
verbreitet, die in der Regel von Abschreibern nach Diktat hergestellt wurden. Wahrscheinlich
konnte so der jüngere Zeitgenosse und Landsmann des Dionysios, der Historiker Appian von
Alexandria, ein Manuskript, das in Alexandria bewahrt wurde, kennen lernen. Nach der Meinung
einiger Wissenschaftler sind Dionysios’ Verse (vv. 96–100) im Prooemium des Appian zitiert
(Prooem. 3)46. Der Vorschlag von H. USENER, einen anderen Satz aus der Historia Romana des
Appian als Entlehnung aus Dionysios zu betrachten, scheint nicht vollkommen sicher zu sein, da
der Text des Appian an Einzelheiten reich ist, die bei Dionysios fehlen; wahrscheinlich nutzten
die beiden Autoren nur dieselbe Quelle47.
Mit größerer Sicherheit kann man sagen, dass der Historiker Ammianus Marcellinus (4.
Jh.) im 22. Buch seiner Res Gestae den Text des Dionysios als Quelle bei der Beschreibung des
nordischen Schwarzmeergebietes und der dort wohnenden skytho-sarmatischen Stämme

43
KUHN (1889) 247–257; COHN (1907) 1452–1489.
44
TWINE (1571).
45
Die Übersetzung von B. SAUMAISE ist in der letzten französischen Ausgabe der Periegese
zugänglich, die von CHR. JACOB (1990, 153–232) herausgegeben wurde.
46
TSAVARI (1990a) 41.
47
USENER (1870) 612–613.

- 305 -
Anhang. Das Schicksal der Periegese in den späteren Jahrhunderten

ausnutzte48.
Einzelne Sätze und Ausdrücke aus dem Gedicht des Dionysios wurden von einem
anonymen Autor des 3. Jhs. entlehnt, der ein wissenschaftliches Werk in Versen De viribus
herbarum geschrieben hat49. Auf die gleiche Weise nutzte im 3. Jh. ein gewisser Triphiodor aus
Ägypten, Autor eines kleinen epischen Gedichtes Ἅλωσις Ἰλίου, die Gedichte des Dionysios
(1114 ff.).
Aus einer Epigrammsammlung des Metrodoros (4. Jh.) sind zwei Epigramme über
Geographie erhalten geblieben (AP XIV, 121 und 129), in denen es Allusionen auf Dionysios’
Verse gibt50. Die fast gleichzeitig damit entstandenen anonymen orphischen Argonautika haben
auch einen Einfluss des Dionysios-Werkes erfahren; das folgt aus einigen Parallelstellen und aus
der Nutzung eines ähnlichen Wortschatzes. Besondere Aufmerksamkeit verdienen die
Abschnitte, wo die beiden Autoren mit ähnlichen Ausdrücken die skytho-sarmatischen Stämme
am Tanais und an der Maiotis beschreiben, sowie die Argonauten-Seefahrt im nördlichen Teil des
Ozeans51.
In der zweiten Hälfte des 4. Jhs. hat der heidnische Philosoph und Rhetor Themistios (der
später vom byzantinischen Kaiser Theodosias zum Präfekten von Konstantinopel und zum
Erzieher des Thronerben Arkadius ernannt wurde) in einer seiner Reden zum Thema „Ob es nötig
ist, sich mit der Agrikultur zu beschäftigen“ einige Verse aus dem Gedicht des Dionysios zitiert;
dabei hat er den Namen des Dionysios nicht erwähnt52. Daraus könnte man die Schlussfolgerung
ziehen, dass die gebildeten Leser zu dieser Zeit mit dem Werk des Dionysios schon gut bekannt
waren, und sein Gedicht als Schultext diente. Vieles verbindet die Erdbeschreibung des
Dionysios mit den Dionysiaca in 48 Büchern des Nonnos (5. Jh.), insbesondere in Bezug auf die
geographischen Beschreibungen Indiens53. Die spätantiken Autoren des 5. Jhs. Kolluthos (in
seinem Raub der Helena) und Musaios (in Hero und Leander) haben in ihre Gedichte einige

48
Vgl.: Amm. Marc. XXII 8, 31 ~ Dion. Per. 318–319 (über den Stamm der Agathyrsen); Amm.
Marc. XXII 8, 17 ~ Dion. Per. 773 (über den Thermodon-Fluß); Amm. Marc. XXII 8, 27 ~ Dion.
Per. 660–663 (über Amazonen am Fluß Tanais); Amm. Marc. XXII 8, 24 ~ Dion. Per. 682 (über
die Inseln Phanagoria und Hermonassa); Amm. Marc. XXII 8, 24 ~ Dion. Per. 689 (über das
Kolcher-Volk; s. auch: Herod. II 102–104; Apoll. Rhod. IV 272–278; Strabo I 3, 21); Amm.
Marc. XXII 8, 42 ~ Dion. Per. 675–678 (über die Lebensart von Skythen; s. auch: Strabo XI 2, 1;
Arr. Ind. 7, 2; Val. Fl. VI 80–83); Amm. Marc. XXII 8, 2 ~ Dion. Per. 525–526 (Kykladen; s.
auch: Callim. h. Delos. 300–316); Amm. Marc. XXII 8, 21 ~ Dion. Per. 768–769 (Chaliben; s.
auch: Xen. Anab. V 5, 1; Apoll. Rhod. II 374–376, 1002–1008). Zu den anderen Quellen des
Ammianus Marcellinus s.: MOMMSEN (1881) 602–636; GUALANDRI (1968)199–211.
49
Die Fragmente dieses Gedichtes sind zugänglich in der Ausgabe von HEITSCH (1964) 23–38.
50
S. dazu: SCHNEIDER (1882) 24–264; TSAVARI (1990a) 34–37.
51
Orph. Arg. 1064; 1081–1082; Dion. Per. 16; 30–34. S. auch: BACON (1931) 172–183.
52
Themist. Or. XXX, 838; Dion. Per. 963–969.
53
Vgl. z. B. Nonn. XXVII 150–152 und Dion. Per. 1134; Nonn. XXVII 153–155 und Dion. Per.
132–133; Nonn. XXVII 161, 159 und Dion. Per. 1133; Nonn. XXVII 160, 162–163 und Dion.
Per. 1134.

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Anhang. Das Schicksal der Periegese in den späteren Jahrhunderten

Verse aufgenommen, die der Erdbeschreibung des Dionysios sehr ähnlich sind; das gilt vor allem
für die geographischen Beschreibungen54.
Agathias Scholastikos (6. Jh.) und Paulus Silentiarius (6. Jh.) haben auch in
verschiedenem Masse einen Einfluss des Dionysios-Gedichtes erfahren. So klingt die
Beschreibung der ungastlichen Massageten bei Agathius (78–79) an die Mitteilung über diese
Stämme bei Dionysios (740) an, und als Agathius den Tanais erwähnt, der durch Skythien fließt
und Europa von Asien teilt (97), so entlehnt er direkt die Verse des Dionysios (14–16)55. Die
Zeitgenossen des Agathius, Marianos Scholastikos und Johannes von Gaza, wandten sich auch in
ihren Werken zu Reminiszenzen aus dem Text von Dionysios; eine Bekanntschaft mit der
Erdbeschreibung verraten auch die Werke des Quintus von Smyrna und des Christodoros.
Insgesamt weist alles darauf, dass die Periegese des Dionysios in der Spätantike als eine Quelle
für Geographie und als ein Muster der didaktischen Gattung galt.
Während seines längeren Aufenthaltes in Konstantinopel konnte wahrscheinlich der
römische Konsul in gotischem Dienst Flavius Magnus Aurelius Cassiodorus den Text des
Dionysios kennen lernen und dessen Möglichkeiten für die Ausbildung in den mit jedem Jahr
weiter verbreiteten Kloster- und kirchlichen Schulen bewerten. Cassiodor schrieb also in der
Mitte des 6. Jhs. in seinem Handbuch Institutia für die Mönche: Deinde pinacem Dionysii discite
breviter comprehensum… ut quod auribus in supro dicto libro (sc. Iulii Honorii) percipitur,
paene oculis intuentibus videre possitis (Cassiod. De institut. divinarum litterarum I 25, 2)56.
Obwohl Cassiodor keine Angaben über die Karte (pinax) des Dionysios macht, kann man seine
Umschreibung breviter comprehensum in dem Sinne deuten, dass die Karte (oder ihre
Beschreibung) nicht ausführlich genug waren57. So sah man im 6. Jh. im Werk des Periegeten
eine Anleitung zur Geographie, mit deren Hilfe, in den Worten von Cassiodor, man „sich
anschaulich vorstellen konnte, in welchem Erdteil sich jene oder andere Gebiet befindet, über die
es in der Heiligen Schrift geschrieben ist“ (Cassiod. De institut. divinarum litterarum I 25, 1).
Diese Erschätzung des Heiden Dionysios trug in vielem dazu bei, dass das geographische Werk
des Periegeten eine verdienstvolle Autorität in der christlichen Welt des Mittelalters erworben
hat; seinerseits trug dies zu seiner Unversehrtheit während vieler Jahrhunderte bei.
Priscianus’ jüngerer Zeitgenosse Stephanos von Byzanz (6. Jh.) benutzte die Angaben des
Dionysios in seiner Enzyklopädie der geographischen, topographischen und ethnographischen
Kenntnis mit dem Titel Ethnika recht häufig58. Einige Beispiele aus dem Dionysios-Gedicht

54
Vgl. Colluph. 281 und Dion Per. 817; Colluph. 70 und Dion. Per. 683; Mus. 16 und Dion. Per.
516; Mus. 234 und Dion. Per. 252.
55
Vgl. auch Agath. IV 3, 88 und Dion. Per. 210; Agath. 92 und Dion. Per. 146. S. auch:
MATTSSON (1942) 112–114, 117–119; AMATO (2004) 188–190.
56
MYNORS, ed. (1937). Zu Cassiodorus’Zitat und vermutliche Karte des Dionysios s. oben: Teil I.
Kap. 2. Das Weltbild des Dionysios Periegetes (Die Landkarte des Dionysios Periegetes?).
57
Siehe hierzu auch: BRODERSEN (1995) 149–151.
58
MEINEKE, ed. (1849).

- 307 -
Anhang. Das Schicksal der Periegese in den späteren Jahrhunderten

nahm der byzantinische Gelehrte Georgios Choiroboskos in seine Vorlesungen zur Orthographie
auf (davon sind nur Extrakte erhalten), der in Konstantinopel Grammatik und Philologie lehrte59.
Außerdem verweisen auf Dionysios auch andere Verfasser verschiedener Enzyklopädien und
Lexika, die die Traditionen der spätantiken Lexikographie übernommen und eine bedeutende
Rolle in der byzantinischen Schule gespielt haben60.
Das Gedicht des Dionysios wurde vom byzantinischen Bildungssystem als Pflichtlektüre
gefordert und sorgfältig in der Schule studiert – darauf weist die bis auf uns gekommene
Gedichtsammlung für das Einprägen des Nikita von Herakleia (um 1100), der bei der Hagia
Sophia in Konstantinopel lehrte. Die Grundlage der Sammlung bilden Fragmente aus dem Werk
des Dionysios, die eine Liste von Meeren, Flüssen, Seen, Stämmen, Völkern und sogar
Edelsteinen enthalten; in der Schule verlangten die rhetorischen Prozeduren des Einprägens das
Lernen von geordneten Listen, z. B. von geographischen Objekten. Das Datum eines anderen,
anonymen Werkes zur Geographie konnte nicht bestimmt werden, aber lexikalische Parallelen
mit dem Text des Dionysios zeigen überzeugend, dass der anonyme Autor die Periegese als seine
Quelle für die Beschreibung des Mittelmeeres und des Schwarzen Meeres benutzte61.
Guido von Pisa (12. Jh.) zitiert Dionysios in seiner Geographie in lateinischer Sprache.
Das schließt jedoch nicht aus, dass Guido den griechischen Text des Gedichtes kannte; er betont
selbst, dass Dionysios auf Griechisch schrieb, und gibt später eine lateinische Version der Verse
372–374 an, die sich völlig von den Übersetzungen des Avienus und des Priscianus
unterscheidet62. Den Daten des Dionysios entsprechen teilweise solche byzantinische Werke wie
die Chiliades des Iohannes Tzetzes, eines Zeitgenossen des Eustathios von Thessaloniki, ein
beliebtes Lexikon des Pseudo-Zonaras (13. Jh.), ein byzantinisches Glossar zur Alexandra von
Lykophron und ein anonymes Rhetorik-Lehrbuch. Alle diese Werke verbindet die Tatsache, dass
ihre Autoren meistens direkte Fragmente aus der Periegese des Dionysios und keine Vermittler
verwendet haben. Die aufgezählten Autoren stützten sich, außer auf Dionysios, auf ein
umfangreiches Corpus für sie zugänglicher, aber uns schon nicht mehr bekannter Denkmäler der
antiken Literatur. Darin besteht die besondere Bedeutung der byzantinischen Mitteilungen über
Dionysios Periegetes. Die Sujets und Motive der antiken Tradition aus den Werken des
Dionysios und anderer Autoren haben die byzantinischen Vorstellungen des 12.-13. Jhs.
beeinflusst und gebildet. In einem Gedicht des Meliteniotos, eines byzantinischen Gelehrten des
14. Jhs., steht Dionysios Periegetes als Geographiekenner in einer Reihe mit dem biblischen

59
Seine Lebenszeit ist unsicher – nach der Meinung einiger Spezialisten lebte er im 6. Jh., nach
anderen in der zweiten Hälfte des 8. Jhs.
60
LASSERRE – LIVADARAS (1976); GAISFORD, ed. (1848).
61
Das anonymes geographische Werk (Anonymi Geographia = Geographiae Expositio
Compendaria) wurde in der Ausgabe von C. MÜLLER veröffentlicht (GGM (Müller) (1861, 494–
509); mehr zu den lexikalischen Parallelen zwischen Anonym und Dionysios (vgl.: Anon. 51–53
und Dion. Per. 146–162 ) s.: ANHUT (1888) 21–22.
62
PINDER – PARTHEY, edd. (1860).

- 308 -
Anhang. Das Schicksal der Periegese in den späteren Jahrhunderten

Enoch, dem Schrift- und Alphabeterfinder (vv. 1404 ff.). Also hatte das geographische Gedicht
des Dionysios auch in den christlichen Ländern des mittelalterlichen Europas seinen Einfluss und
verdienten Ruhm, wovon die bis zu unserer Zeit erhaltenen 134 Handschriften der Periegese in
der griechischen Sprache zeugen.

- 309 -
Zusammenfassung

Zusammenfassung

Die vorliegende Studie zu Dionysios von Alexandria (Periegetes) hatte zum Ziel, seine
historisch-geographischen Zeugnisse über das antike Schwarzmeergebiet (Pontos) auf dem
Hintergrund des gesamten Weltbilds des Dionysios und der von ihm gewählten
didaktischen Form und poetischen Technik zu untersuchen. In meiner Forschungsarbeit
habe ich mich nur in die Analyse solcher Probleme vertieft, die m. E. heutzutage für die
Erforschung des dionyseïschen Werkes am kennzeichnendsten sind. Im Grossen und
Ganzen blieb diese Arbeit im philologischen Rahmen, wegen der inhaltlichen
Besonderheiten des geographischen Lehrgedichtes des Periegetes wurden dazu aber auch
Daten der Nachbarwissenschaften herangezogen.
Als Hauptaufgabe seines didaktischen Gedichts sah unser Autor das Ziel, das
gesamte Weltbild mit den die Oikumene besiedelnden Völkern zu schildern und dabei die
geo- und ethnographischen Kenntnisse mit den für die alexandrinische Dichtung
charakteristischen Kunstmitteln zu verwenden. Bei dem Aufbau seines kompilatorischen
Werkes hielt sich Dionysios an einen bestimmten Darstellungsplan: Nach einem kurzen
Prolog erwähnt der Dichter den Ozean, der die schleuderförmige Landmasse umspült, und
beschreibt danach die drei Kontinente – in der Richtung von Westen nach Osten, von den
Säulen des Herakles beginnend – zuerst Libyen (Afrika), dann Europa und schließlich
Asien sowie die Inseln im Mittelmeer und im Ozean. Im Epilog erklärt Dionysios die
Vielfältigkeit der Länder, Völker, Meere, Strömungen, Berge und ihrer Besonderheiten
durch den Schaffenswillen des großen Zeus und anderer Götter. Insgesamt gibt Dionysios
Periegetes eines der vollständigsten Modelle des antiken geographischen Raums, in dem
neben vielfältigen Naturobjekten auch zahlreiche Stämme und Völker koexistieren.
Das allgemeine Weltbild des Dionysios enthält die schematische Schilderung des
Ozeans und der drei Kontinente aus der Vogelperspektive. Wenn Dionysios aber zur
detaillierten Beschreibung konkreter Gegenden kommt, schildert er Länder und Völker
vom Gesichtspunkt eines imaginären Reisenden, der sich im Raum hodologisch (d. h. nach
den vom Autor vorgenommenen Routen) orientiert. Der geographische Raum der antiken
Oikumene wird im Gedicht des Dionysios in zahlreichen Namenslisten ausgedrückt, die
der Autor nach Routen anordnet. Diese Wahrnehmungsweise und Raumerfassung über die
Routen mit Ortsnamen, Landmarken und Völkern geht ursprünglich auf die
realitätsorientierte Literatur der archaischen Zeit zurück, auf die Periploi und Periegesen.
Dieses Modell lebte bis zu den späteren humanistischen Reiseführern fort, in denen sich
Daten über bestimmte Routen, Länder- und Ortsgeschichten fanden, die die lokale
Tradition manchmal bis zu den Helden Homers zurückführten. In seinem Text kombiniert
Dionysios protokartographische und periegetische Beschreibungselemente ohne die
Intention, die Beschreibung einer konkreten graphischen Karte zu geben.

- 311 -
Zusammenfassung

Im Rahmen der didaktischen Richtung bietet Dionysios eine originelle


geographische Variante der Umarbeitung von Daten seiner Vorgänger. Sein Werk steht im
Spannungsfeld zwischen Dichtung und Geographie, wobei man einerseits das Interesse des
Verfassers für eine naturwissenschaftlich begründete Darstellung der Landschaften sehen
kann, andererseits zeigt das Gedicht aber auch die Dichtkunst des Dionysios. Die
geographische Informationsdichte wird vor allem in der traditionellen Form des Katalogs
bzw. der epischen Katalogerzählung wiedergegeben, was für den Leser die Aneignung von
Kenntnis erleichtert. Das didaktische Bestreben des Autors zeigt sich auch in zahlreichen
Wendungen an den Leser, die man im Rahmen eines fiktiven Dialogs zwischen dem
Lehrer und dem Schüler betrachten soll. Das dichterische „Ich“ korreliert im Lehrgedicht
mit der Maske des in einem der Akrosticha verborgenen Hermes, der im 2. Jh. neben der
traditionellen Gestalt des reisenden Gottes auch die Züge eines Patrons der Literatur und
der Dichtung in sich aufgenommen hatte.
Die konkreten Kenntnisse im Lehrgedicht des Dionysios gehen auf die
geographischen Quellen seiner Vorgänger zurück. Die indirekten Testimonien aus den
Werken des Eratosthenes von Kyrene, des Poseidonios von Rhodos und des Strabon von
Amaseia stellen meistens keine Zitate im geläufigen Sinne des Wortes dar, sondern
Entlehnungen und Imitationen. Ausserdem zeigt Dionysios als gelehrter posthellenistischer
Dichter eine Abhängigkeit in den Formen und Redewendungen von den homerischen und
hesiodeischen Versen und orientiert sich dabei an der poetischen Technik der
Alexandriner. Die von Dionysios benutzte Kompilationsweise lässt erkennen: (1) teilweise
fast direkte Auszüge aus Quellen verschiedenen Umfanges, (2) die Möglichkeit, diese
Auszüge nach eigener Absicht neu zusammenzustellen, (3) die Umarbeitung der Quellen
und damit einigen Informationsverlust zugunsten des Gedichtsumfangs oder der
rhetorisch-poetischen Ausweitungen (vor allem metri gratia).
In der Arbeit wurden sowohl eine breite Schicht von Zitaten der Vorgänger
beleuchtet als auch das Verhältnis zwischen dem dionyseïschen Gedicht und den „fremden
Texten“ (bzw. dem „fremden Wort“) als ein inneres Strukturmerkmal der Dichtung des
Periegetes betrachtet. Seine Experimente mit der Nacherzählung der Texte seiner
Vorgänger sind einer philologischen Arbeit ähnlich und weisen auf die Muster bzw.
Prototypen. Verschiedene Arten der intertextuellen Beziehungen (Anspielungen,
Reminiszenzen, Anklänge, Nachahmungen u.ä.) stellen einen bewussten Akt des
Verweisens auf die hellenistische Poesie des Kallimachos, Aratos und Apollonios von
Rhodos durch einen gelehrten Dichter dar, der im Dialog mit dem „fremden Wort“ und den
sich dahinter befindenden ästhetischen Systemen steht. Im ständigen Wechsel von
geographischen und literarischen, im weitesten Sinne imaginierten Zusammenhängen und
realen Kenntnissen und Gegebenheiten entwickelt sich der Text des Dionysios.
Die mythologischen Passagen in der dichterischen Periegese demonstrieren
einerseits die Kontinuität der mythologischen Tradition, andererseits die Bereitschaft des
Dichters zum Experimentieren in der Bearbeitung des mythologischen Materials. Der
Raum der Oikumene ist bei Dionysios mit den für die periegetische Tradition
kennzeichnenden markanten Punkten gefüllt, die mit den geographischen loci der Götter,

- 312 -
Zusammenfassung

Heroen und legendären Stadtgründer verbunden sind. Manchmal genügt es, dass der
Dichter einen Namen oder ein Epitheton eines mythologischen Charakters erwähnt, um bei
einem belesenen Leser damit die nötige Assoziation aufzurufen. Bald hat eine solche
Anspielung auf einen bekannten Mythos eine didaktische Funktion (vgl. die mythologische
Geographie der Dionysos-Reisen), bald benutzt Dionysios die mythologischen Passagen
als ätiologische Konstruktionen (vgl. die Entstehung des Stadtnamens Tarsos von τάρσος
„(Pferde)huf“). Gleichzeitig ist es bemerkenswert, dass den Angaben des Dionysios über
die Städte- und Heiligtumsgründungen nicht selten historisch zuverlässige Zeugnisse
zugrunde liegen.
Die Passagen des Dionysios zur pontischen Thematik sowie einzelne Angaben zum
Schwarzmeergebiet in der literarischen Tradition vor ihm wurden zum Hauptgegenstand
der vorliegenden Untersuchung ausgewählt und dementsprechend ausführlicher analysiert.
Ebenso wie im Lauf des ganzen Gedichts orientiert Dionysios sich in seinen Abschnitten
über den Pontosraum auf gut gebildete Laien, die ihre Muße hatten und allgemeine
geographische Kenntnisse beherrschten. Die geographische Information im dionyseïschen
Lehrgedicht war nicht für den praktischen Nutzen bestimmt, sondern für eine
Gesichtskreiserweiterung, für die Erziehung und Bildung eines engen privilegierten
Niveaus von Adressaten, die in ihrer Freizeit vor allem eine Unterhaltung brauchten. Dies
gilt sowohl für die Angaben des Dionysios über das Schwarzmeergebiet als auch für das
ganze Werk und betont die organische Gesetzmäßigkeit des Pontosthemas innerhalb der
allgemeinen Beschreibung der Oikumene.
Dionysios verfügt anscheinend nicht über sehr viele reale Angaben über das
Schwarzmeergebiet, er handhabt sie jedoch erfolgreich und schöpferisch. Der Dichter listet
ausführlich die Namen der pontischen Stämme und Völker auf und legt ihre Siedlungsorte
sowie die Grenzen dazwischen fest. Die Information über die Völkerwelt, Flüsse, Gebirge,
Kaps, Inseln und die ganze Landschaft des Schwarzmeerraums geht dabei chronologisch
auf die uralten Zeiten zurück und wird aus den Quellen der Vorgänger geschöpft. Der
Perieget beschränkt sich auf knappe Erwähnungen von zwei griechischen Städten an der
Küste des Schwarzen Meers – Phanagoria und Hermonassa; periphrastisch werden von
ihm auch Dioskuris, Sinope und Herakleia am Pontos genannt. Völlig fehlt die
Beschreibung der westlichen Küste des Pontos, worüber uns beispielsweise aus dem
fragmentarisch erhaltenen dichterischen Werk des Ps.-Skymnos (2. Jh. v. Chr.) bekannt ist.
Dafür gibt es viele Informationen über die barbarischen Völker am Istros, die nördliche,
östliche und südliche Küste des Pontos entlang und auf dem Kaukasus. Alle Angaben vom
Istros beginnend sind in der Richtung des Uhrzeigersinns aufgezählt, was das Kernstück
der Komposition der Darlegung bildet. Als geographische Quellen des Dionysios für die
pontischen Abschnitte kommen Werke von Hekataios von Milet, Herodot, Ephor,
Eratosthenes, Poseidonios und Strabon in Frage. Außerdem konnte Dionysios auch die uns
nicht erhaltenen griechischen Werke benutzen, beispielsweise Angaben aus einem uns
unbekannten Periplus des Schwarzen Meeres. Es ist kompliziert, präzisere Aussagen zu
den möglichen Quellen des Dionysios zu machen, weil er selber im Text keine direkten
Aussagen macht, sondern nur Anklänge erraten lässt. Definitiv kann man sagen, dass in

- 313 -
Zusammenfassung

den Pontos-Abschnitten von Dionysios chronologisch unterschiedliche Zeugnisse


verwendet wurden.
Der Mangel an historischen Informationen aus der zeitgenössischen bzw.
chronologisch nahegelegenen Periode bei Dionysios ist mit den Zielen und Vorhaben
seiner Erdbeschreibung zu erklären, die in der Zeit der Zweiten Sophistik geschrieben
wurde und die Konstruktionen von imaginären Mentalitätsräumen benutzt. Dionysios geht
davon aus, dass pontische Volks- und Ortsnamen die mythologische Vergangenheit und
die Epoche der Archaik mit der frühionischen Kolonisation des Schwarzen Meeres
überdauert hatten, bleibt selber aber vollständig im 2. Jh. sowie im alexandrischen
Erklärungshorizont. Gleichzeitig wurde gezeigt, dass Dionysios die fremden Angaben in
den Namenslisten nicht wörtlich tradiert, sondern in seiner Überlieferung ändert. Die in der
Periegese erwähnten Völkernamen des Schwarzmeerraums sind ungleichartig: Meistens
sind es Volksnamen, außerdem verwendet er auch zusammenfassende Namen, wie z. B.
skythisch oder pontisch; es finden sich auch umstrittene Namen, wie Mäoten (d. h. die
geographisch den Mäotischen See Besiedelnden), Chalyben (Berufsangabe) oder
Mossyniken (Bewohner der Mossynen, d. h. Holztürme).
Zu meiner Hauptaufgabe wurde also, den zweiten Teil dieser Untersuchung zu
einer Fallstudie zu machen: Während es im ersten Teil um zusammenfassende bzw.
theoretische Aspekte des ganzen Textes der Erdbeschreibung ging, wurden konkrete
Abschnitte des Dionysios zur pontischen Gegend auf dem Hintergrund seines gesamten
Weltbildes und poetischen Technik sowie der früheren antiken geographischen Tradition
im Pontos-Teil ausgewertet. Aufgrund der dionyseïschen Angaben über das
Schwarzmeergebiet kann man die Wichtigkeit dieses zwischen Europa (im Norden) und
Asien (im Osten und Süden) liegenden Teils der Oikumene für sein gesamtes Weltbild
nachweisen.

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Liste der dionyseïschen Druckausgaben findet sich in: TSAVARI (1990a).

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Samenvatting

Studies over Dionysius van Alexandrië

Samenvatting

Het geografisch leerdicht „De beschrijving van de bewoonde wereld“ (οἰκουµένης


περιήγησις) van Dionysius van Alexandrië, bijgenaamd Periegetes, is geschreven in de 2de
eeuw na Christus in het Oudgrieks in de dactylische hexameter en bevat iets meer dan 1000
verzen. Dit is het enige in zijn geheel bewaarde geografische leerdicht uit de oudheid. Het
gedicht wordt gekenmerkt door een grote zorgvuldigheid en gedetailleerdheid: gegevens over
de in die tijd bewoonde wereld (de oecumene) en de Oceaan die haar omspoelde,
verschillende werelddelen, zeeën en bergen, evenals de in verschillende landen wonende
stammen en volkeren – zijn gedetailleerd beschreven. De belangrijkste thema’s van zijn
leerdicht geeft Dionysius al in de proloog aan: zijn doel is „het land en de brede zee, rivieren
en steden, ontelbare volkeren te bezingen“ (vs. 1–2). Daarna vertelt hij over de vorm van de
bewoonde wereld, die de vorm van een slinger heeft, en over de verdeling ervan in drie
continenten: Libië ( = Africa), Europa en Azië (vs. 5–26) om verder uitvoerig de Oceaan en
het gebied rond de Middellandse Zee (vs. 27–160), de drie continenten (Libië: vs. 174–269,
Europa: vs. 270–446, Noord-Azië: vs. 652–880 en Zuid-Azië: vs. 881–1165) en de eilanden
(vs. 447–619) te beschrijven. Een epiloog (vs. 1166–1186) sluit het gedicht af.
Het belangrijkste doel van dit proefschrift is het bestuderen van de literaire traditie
over het antieke Zwarte Zeegebied in de interpretatie van Dionysius Periegetes,
aardrijkskundige én dichter. In de antieke geschiedenis en cultuur bestond de traditie rond de
Zwarte Zee uit een verzameling van verschillende thema’s en motieven, in eerste instantie
verbonden met de grensgebieden van de oecumene. Tegelijkertijd is het evident dat de
filologische analyse van de etnografische gegevens over de regio van de Zwarte Zee in het
gedicht van Dionysius onmogelijk is zonder voorafgaand onderzoek naar het algemene
wereldbeeld van Periegetes, zonder de analyse van de bijzonderheden van de didactische
poëzie en van de dichterlijke techniek van zijn werk. Daarom vormt het eerste deel van mijn
werk een theoretische inleiding op “De beschrijving van de oecumene” en dient deze als een
voorbeschouwing van de specifieke kenmerken van Dionysius Periegetes en zijn werk. Het
tweede deel is een case-study die uitvoerig de concrete gegevens van Dionysius over het
gebied rond de antieke Zwarte Zee bestudeert.
Het totale wereldbeeld van Dionysius Periegetes omvat de Oceaan, die het
slingervormige land omspoelt, en het schematische beeld in vogelvlucht van de drie
continenten, die samen het land vormen; de omtrek van de continenten en de afgezonderlijke
landen vergelijkt de dichter volgens de traditie met geometrische figuren. Maar wanneer
Dionysius tot een gedetailleerde beschrijving van bepaalde plaatsen overgaat, beschrijft hij
landen, landschappen en volkeren vanuit het gezichtspunt van een denkbeeldige reiziger, die

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Samenvatting

de ruimte langs de door de auteur uitgestippelde “wegen” leert kennen, d.w.z. hodologisch.
De geografische ruimte van de antieke oecumene wordt in het gedicht gepresenteerd in de
vorm van vele catalogi (van de namen) van volkeren, rivieren, zeeën, bergen enz. die de
auteur rangschikt met behulp van de door hem aangegeven “wegen”. Deze vorm van
perceptie van de omringende ruimte via de wegen, met de namen van plaatsen en/ of van
volkeren, met sommige markeerpunten, met een begin- en eindpunt, voert terug op de
traditionele Griekse periploi en periegese. Dankzij het gebruik van de gemengde methodes in
zijn gedicht – deels door de hodologische routes (met behulp waarvan Dionysius de
werelddelen beschrijft en zijn informatie structureert), deels door natuurlijke “meridianen” en
“parallellen” (de natuurlijke lijnen van bergen, de richting van rivieren) en/ of gebruikte
coördinaten (bijv. Zuilen van Heracles en Zuilen van Dionysus als markeerpunten voor de
aanduiding van de resp. westelijke en oostelijke grens van de oecumene), deels door de
retorische tegenstelling van de klimatologische kenmerken van de afgelegen regio’s – creëert
Dionysius zijn “mentale” kaart, eigenlijk de verbale beschrijving die een combinatie is van
protocartografische en periegetische elementen.
Dionysius Periegetes verhult zijn opzet niet – hij wil een etnografische schets geven
van de gehele bewoonde wereld (vs. 170 en verder; vs. 888 en verder) en daarvoor gebruikt
hij andermans gegevens, concepten en schema’s – de bronnen van zijn geo- en etnografische
kennis. Nergens echter vermeldt de dichter zijn bronnen en slechts af en toe laat hij
doorschemeren dat hij andermans gegevens gebruikt. Er zijn in het leerdicht getuigenissen
gebruikt van verschillende soort en van verschillende tijden uit de werken van Eratosthenes
van Cyrene, Poseidonius van Rhodos, Strabo van Amaseia (of hun navolgers), die
ontleningen en imitaties zijn, maar geen “citaten” in de gebruikelijke betekenis van het
woord. De door Dionysius gebruikte compilatieprocedé’s veronderstellen: (1) bronuittreksels
van verschillende lengte, (2) de mogelijkheid om deze uittreksels samen te stellen volgens het
plan van de auteur, (3) de bewerking en het navertellen van de bronnen met gering
informatieverlies ten gunste van de poëtische en retorische eisen (de verandering van de
woordvolgorde metri gratia, de veranderingen ten gunste van de verklanking enz.). De door
Dionysius gebruikte gegevens tonen de veelzijdigheid en de eigenaardigheid van zijn gedicht
aan.
Uitgaande van het canonieke model van de didactische poëzie van Hesiodus, maar
vooral de latere hellenistische voorbeelden van dit genre (bijv. de poëzie van Aratus) biedt
Dionysius een originele variant aan van het omzetten en veranderen van de geografische
gegevens van zijn voorgangers. In overeenstemming met de conventies van de didactische
poëzie wordt het droge geografische materiaal toegankelijk en aantrekkelijk gemaakt voor de
lezer. In de vorm van lijsten, d.w.z. een vorm van catalogi, die al kenmerkend was voor het
vroege Griekse epos, wordt een rijkdom aan geografische informatie weergegeven als
potentiële kennis voor de geïnteresseerde lezer-liefhebber. Volgens de conventie van de
epische en met name didactische poëzie wendt Dionysius zich enkele keren tot de goddelijke
Muzen, en onderstreept daardoor dat hij tot de epische traditie behoort. In zijn aanroep van de
Muzen vraagt hij echter niet zozeer om poëtische inspiratie, maar om vertrouwelijke

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Samenvatting

geografische informatie. Dionysius gebruikt en varieert het materiaal van zijn voorgangers en
kan gezien worden als een voortzetter van de poëzie van het geleerde “alexandrinisme”.
Over Dionysius zelf weten we zo goed als niets, behalve de door hemzelf in
acrostichon gecodeerde naam van zijn geboortestad – Alexandrië (van Egypte):
∆ΙΟΝΥΣ[Ι]ΙΟΥ ΤΩΝ ΕΝΤΟΣ ΦΑΡΟΥ, “<het werk van> Dionysius <van de wonenden> aan
de andere zijde van Pharos” (vs. 112–134). Wat het poëtische “ik” betreft: dit verschuilt zich
in het andere acrostichon in het gedicht achter het masker van Hermes (ΘΕΟΣ ΕΡΜΗΣ ΕΠΙ
Α∆ΡΙΑΝΟΥ, “god Hermes ten tijde van Hadrianus”, vs. 513–532), die tegen de 2de eeuw na
Christus tegelijk met het traditionele beeld van de god van het reizen ook de
(complementaire) kenmerken aannam van de beschermer van literatuur en poëzie. Op de
belangrijkste momenten van het verhaal manifesteert zich het didactisch gedrag van de auteur
/ van het poëtische “ik” in het vaak aanspreken van de lezer in de vorm van de tweede pers.
enkelvoud die de vorm heeft van een denkbeeldige dialoog tussen een “mentor” en een
“leerling”. Dionysius is niet alleen een geografische didacticus, hij is ook een dichter wiens
artistieke ambities op de eerste plaats staan: in zijn programma stelt hij openlijk de musische
gave tegenover praktische bezigheden (vs. 707–717).
De tekst van het gedicht van Dionysius wordt in het proefschrift ook apart
geanalyseerd vanuit het gezichtspunt van zijn poëtische bijzonderheden (metriek, retorische
procedé’s enz.). Volgens de eisen van de alexandrijnse poëzie en zich bewust oriënterend op
het antiquarische “verleden” gebruikt Dionysius epitheta van Homerus en verbale formules.
Hij speelt met de motieven uit de gedichten van Hesiodus, versiert zijn verzen met zeldzame
woorden en met behulp van deze middelen, die kenmerkend zijn voor de Tweede Sofistiek, en
hij tracht in beeldende taal de vormingswaarde van de geografie aan zijn lezer duidelijk te
maken. Volgens de traditie van het didactische epos is de geografische informatie van het
gedicht niet van praktisch nut, maar bestemd voor de verbreding van de horizon van de
geprivilegieerde lezers van de dichter, die in hun vrije tijd de behoefte voelden niet alleen aan
vermaak, maar ook aan bevrediging van hun interesse in de aardrijkskunde, die leidde tot
meer sociale prestige.
In het proefschrift worden de belangrijkste citaten van Dionysius’ voorgangers
getoond en verschillende soorten van intertekstuele relaties komen ter sprake gekomen –
toespelingen, reminiscenties, imitaties, die allemaal bewuste verwijzingen zijn naar de
hellenistische poëzie van Callimachus, Aratus, Apollonius Rhodius. Zijn experimenten met de
teksten van de voorgangers hebben in wezen veel gemeenschappelijk met een filologisch
onderzoek en demonstreren het meesterschap van de dichter in, bijv. behandeling van de
mythen. De ruimte van de oecumene is bij Dionysius gevuld met markeerpunten verbonden
met de geografische loci van goden, helden en de legendarische stichters van de steden. Soms
hoeft de dichter alleen de naam of een epitheton van de mythologische figuur te vermelden
om bij een geletterde lezer de nodige associaties op te wekken. Soms vervult de verwijzing
naar een bekende mythe een didactische functie (verg. de mythologische geografie van de
reizen van Dionysus-Bacchus), en soms gebruikt Dionysius de mythologische onderwerpen
als aetiologische constructies (verg., bijv., een fragment over het ontstaan van de naam van de
stad Tarsus van het woord τάρσος “hoef”). Tegelijkertijd moet opgemerkt worden dat vaak

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Samenvatting

historisch betrouwbare feiten ten grondslag liggen aan de kennis van Dionysius over de
stichting van de steden en heiligdommen.
De gegevens van Dionysius over de etnografische situatie in het gebied rond de
Zwarte Zee worden in het proefschrift bekeken in verband met de gegevens van de andere
antieke auteurs over deze regio van de oecumene. De vergelijking die Dionysius maakt van de
contouren van de Zwarte Zee met de vorm van de Scythische boog weerspiegelt niet alleen de
antieke voorstellingen over de eenvoudigste geografische coördinaten (rechts en links, recht
en krom), maar verwijst ook naar de ligging van de voor Dionysius belangrijke geografische
objecten (Linker Pontus en Rechter Pontus, kaap Karambis en in een holte tussen de
krommingen van de boog het schiereiland De Krim met kaap Kriumetopon). De voor de
antieke auteurs traditionele vergelijking is in de tijd van het leven van Dionysius een
“gemeenplaats” (topos) geworden, die naar alle waarschijnlijkheid terug gaat op de
schematische afbeelding van de oud-Ionische plattegronden, hoewel het onduidelijk blijft in
welk stadium van de traditie de grafische door de verbale afbeelding werd vervangen.
Uit de vermeldingen in het gedicht over het klimaat en het landschap van de regio van
het noordelijke Zwarte Zeegebied valt te concluderen dat Dionysius op de hoogte was van de
theorie van de klimaatzones en bekend was met de wiskundige aardrijkskunde (astronomische
observaties inbegrepen). Tegelijkertijd houdt hij vast aan de beschrijvende geografie en
oriënteert hij zich vooral op de voorbeelden van de dichterlijke traditie. Als hij in een aparte
uitweiding een beeld geeft van de regio van het noordelijke Zwarte Zeegebied, die ten dele
geloofwaardig, maar in vele opzichten conventioneel en stereotiep is, vertigt hij de aandacht
op de wreedheid van de Scythische winter die de bewoners van deze klimaatzone dwingt hun
geboortestreek te verlaten (vs. 666–678).
De getuigenissen van Dionysius over de stammen en volkeren van het gebied rond de
Zwarte Zee zijn interessant voor de bestudering van de processen van interactie tussen
etnische groepen en de migraties van de nomaden-volkeren. Bij het benoemen van de
stammen en volkeren die het gebied rond de Pontus bevolken, maakt Dionysius gebruik van
de periegetische manier om hen te plaatsen langs de water- of land“weg”. De etnografische
gegevens zijn in het proefschrift verdeeld overeenkomstig de vier “routes” van het gedicht:
(1) langs de rivier de Ister (nu Donau) tot de Maiotis (nu de Zee van Azov), (2) rond de
Maiotis (de Zee van Azov), die in de antieke schrifttraditie de “poel” of “moeras” heette, dan
langs de zeestaat van de Kimmerische Bosphorus (nu de straat van Kertsj), en langs de
noordoostelijke (Caucasische) kust van de Pontus (Zwarte Zee), (3) langs de bergketen tussen
Pontus Euxinus (de Zwarte Zee) en de Hyrcanische (nu Kaspische) Zee, (4) van de rivier de
Phasis in Colchis (nu Rioni in Georgië) langs de zuidelijke kust van de Pontus tot de straat
van de Thracische Bosphorus (nu Bosporus), die de Zwarte Zee van de Middellandse Zee
scheidt. Alle gegevens in de beschrijving van de Zwarte Zee vanaf de Ister (Donau) zijn
beschreven in de richting van de klok, die als de compositiekern van het verhaal dient. Men
kan veronderstellen dat de geografische bronnen van Dionysius van het gebied rond de Pontus
de werken van Hecataeus van Milete, Herodotus, Ephorus, Eratosthenes, Poseidonius, Strabo
en/ of hun navolgers waren. Het is vrij waarschijnlijk dat Periegetes behalve deze Griekse

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Samenvatting

auteurs werken gebruikte die verloren zijn gegaan, met name de gegevens uit een voor ons
onbekende periplus van de Zwarte Zee.
Het moet opgemerkt worden, dat de beschrijving van de westelijke kust van de Pontus
bij Dionysius volledig ontbreekt (ten dele is deze bewaard gebleven in een anoniem
geografisch gedicht uit de 2de eeuw v. Chr., toegeschreven aan Scymnus). Ik heb rekening
gehouden met het feit dat sommige etnoniemen (onder anderen Scythen, Maioten) zuiver
geografische kenmerken weergeven en geen etnografische inhoud hebben; er zijn ook
controversiële namen van volkeren (bijv., Mossynoikoi, Chalyben), en het gebruik van een
reeks etnoniemen werd beïnvloed door het specifieke karakter van de poëtische tekst (vooral
de noodzaak om in de hexameter te blijven en de poëtische middelen te gebruiken om te tekst
retorisch te “kleuren”).
In het proefschrift zijn de belangrijkste functies van de door Dionysius opgenoemde
rivieren in het Pontusgebied (Ister – Donau, Borysthenes – Dnjepr, Aldeskos, Pantikapes,
Tanais – Don, Phasis – Rioni-Qvirila, Thermodon – Terme Çayi, Iris – Yeşil Irmak, Halis –
Kisil Irmak, Rheba – Riva Deresi) en bergen (Caucasus, Tauros, naamloze bergketen tussen
de Pontus en de Caspische Zee, Armenische berg) geschetst die als de grenzen fungeren (1)
tussen continenten en landen en / of (2) tussen stammen en volkeren. Bovendien worden de
rivieren en bergen van de regio rond de Zwarte Zee in het gedicht gebruikt als
oriëntatiepunten in de ruimte, d.w.z. of als afgesproken meridianen of parallellen, of in de rol
van een van de “routes”, aan weerskanten waarvan de plaatselijke stammen en volkeren zijn
beschreven.
In de Bijlage wordt de receptiegeschiedenis van het gedicht van Dionysius Periegetes
in de volgende eeuwen verteld, met name zijn invloed op de laat antieke en Byzantijnse
literatuur. Er worden ook vragen aangesneden over de antieke traditie van de Periegesis en
over het Byzantijnse commentaar van Eustathius van Thessaloniki en, last but not least, de
vragen over de handschrift-traditie en verschillende edities van “De beschrijving van de
bewoonde wereld” van Dionysius van Alexandrië.

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