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Lexikon der Ethik

Herausgegeben von Otfried Höffe


in Zusammenarbeit mit Maximilian Forschner,
Alfred Schöpf und Wilhelm Vossenkuhl

Fünfte, nenbearbeitete und erweiterte Auflage

Die philosophische Ethik findet sich dort, wo überkommene


Lebensweisen und Institutionen ihre selbstverständliche Geltung
verlieren. Das gilt genauso für ihre Anfänge im Griechenland des
5. und 4. Jahrhunderts v. Chr. wie für die zeitgenössischen Indu-
striegesellschaften. Angesichts einer solchen Situation kann die
Philosophie nicht einfach einen verlorengegangenen Konsens
über sittlich-politische Werte wiederherstellen. Sie kann jedoch
auf methodischem Weg - und ohne eine letzte Berufung auf poli-
tische und religiöse Autoritäten als solche oder auf das von alters
her Gewohnte und Bewährte - Aussagen über die menschliche
Existenz versuchen, die an der leitenden Idee eines humanen Le-
bens, eines Zusichselbstkommens der Menschen, orientiert sind.

Otfried Höffe, Maximilian Forschner, Alfred Schöpf und Wil-


helm Vossenkuhl sind ordentliche Professoren für Philosophie in
Tübingen, Erlangen, Würzburg und München. Weitere Informa-
tionen über die Autoren siehe S. 11.
VERLAG C. H .. BECK
1
Inhalt

Vorwort zur fünften Auflage


(Seite 7)

Vorwort zur ersten Auflage


(Seite 9)

Die Autoren
(Seite 11)

Abkürzungen
(Seite 12)

Artikel und Verweise


von "Abschreckung" bis "Zynismus"
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Eioheitsaufnahme
(Seite 13)
Lexikon der Ethik I hrsg. von Otfried Höffe in Zusam-
menarbeit mit Maximilian Forschner ... - Orig.-Ausg.,
5., ncubearb. und erw. Aufl. - München: Beck, 1997 Quellen der Ethik
(Heck'sehe Reihe; 152)
(Seite 349)
ISBN 3406426522

Nachschlagewerke
(Seite 363)
Originalausgabe
ISBN 3406 42652 2 Sammelbände
(Seite 365)
Fünfte, neubearbeitete und erweiterte Auflage. 1997
Umschlagentwurf: Uwe Göbel, München
© c. H. Beck'sche Verlagsbuchhandlung (Oscar Beck), München 1977
Gesamtherstellung: C. H. Beck'sche Buchdruckerei, Nördlingen
Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier
(hergestellt aus chlorfrei gebleichtem Zellstoff)
Printed in Germany
Vorwort zur fünften Auflage

Da das Grundkonzept des Lexikons vielfache Zustimmung gefunden hat,


könnte sich eine Neuauflage mit einer Durchsicht der Artikel und deren gele-
gentlicher Überarbeitung zufriedengeben. Der Fortgang der ethischen Debat-
ten, ihre Spezialisierung und Ausweitung sowie das Auftauchen neuer Posi-
tionen, macht aber immer wieder gründlichere Eingriffe erforderlich. Schon in
den früheren Auflagen sind neue Artikel hinzugekommen, zunächst Bioethik
und Epikureische Ethik, später Selbstmord, Tierschutz und Widerstandsrecht
und in der vierten Auflage Anthropozentrik-Biozentrik, Diskursethik, Morali-
sche Dilemmata und Rechtspositivismus. Außerdem wurden Artikel erweitert
und neue Verweise aufgenommen, damals u. a. Forschungsethik, Gefange-
nendilemma, Gerechter Krieg, Imperativentheorie, Kooperation und Rechts-
sowie Staatsethik. Für die fünfte Auflage sind nicht bloß die Literaturangaben
wieder auf den neuesten Stand gebracht und einige Artikel gründlich überar-
beitet worden. Es wurden auch einige Artikel neu geschrieben: Handlung,
Person, Wert, Wille. Und vor allem wurden mehr als zwanzig Artikel neu
aufgenommen: Energieethik, Feministische Ethik und Gelassenheit, Gemein-
sinn, Gentechnik, Gesellschaftsvertrag und Güter, Interkultureller Diskurs,
Kommunitarismus, Kynische Ethik, Medienethik und Paternalismus, Philoso-
phie der Befreiung, Pluralismus, Risikoethik, Schintoismus und Soziobiologie,
nicht zuletzt Subsidiarität, Technikfolgen, Verdienstlichkeit, Weltrepublik und
Willensschwäche. Dazu kommt eine Fülle neuer Verweiswörter, so daß das
Lexikon wieder zeitgerecht ist.
Ein generelles Problem werfen die nichtwestlichen Ethiken auf. Das wach-
sende Selbstbewußtsein anderer Kulturen verlangt zu Recht jenen interkul-
turellen Diskurs, zu dem das Lexikon nur eine Vorarbeit, eine erste Kenntnis-
nahme ihrer Eigenart, leisten kann, und auch sie nur exemplarisch, für einige
Beispiele.
Christoph Horn hat es freundlicherweise übernommen, einen Teil der Arti-
kel von Alfred Schöpf durchzusehen und mehrere Artikel neu zu schreiben.
Dafür sei ihm herzlich gedankt, ferner Nico Scarano für seine Mitarbeit.
Im Namen der Autoren danke ich für die vielen anerkennenden, auch kriti-
schen Hinweise und freue mich, daß das Lexikon außerhalb des deutschen
Sprachraumes Beachtung gefunden hat: Im Jahr 1993 erschien unter Feder-
führung von Lukas Sosoe und der Mitwirkung von Yvette Lajeunesse die
französische Übersetzung in zweiter Auflage; und eine russische und eine ko-
reanische Übersetzung sind in Arbeit.

Tübingen, im Dezember 1996 Otfried Höffe


Vorwort zur ersten Auflage

Fragen der Ethik stoßen heute wieder auf ein größeres Interesse. Für die wie-
dererwachte Aufmerksamkeit gibt es mannigfache Indizien und Gründe: die
Rehabilitierung der praktischen Philosophie und die Diskussion um die Sinn-
und Orientierungskrise fortgeschrittener Industriegesellschaften; die öffentli-
chen Debatten um die Grundwerte in Staat und Gesellschaft) um die Straf-
rechtsreform, den Umweltschutz und den Begriff der Lebensqualität; die Ein-
führung des Philosophieunterrichts in der reformierten Oberstufe und in
einigen Bundesländern des Ethikunterrichts. Angesichts dieser Situation will
das Lexikon der Ethik ein informierender und zugleich kritischer "Ratgeber"
sein.
Das Aufgabenfeld der Ethik wird hier nicht auf den engeren Bereich des
"Moralischen" beschränkt, dem es vor allem um die persönliche Seite rechten
Handelns geht, während der soziale und politische Aspekt weitgehend ausge-
klammert bleibt. Ethik geht als philosophische Disziplin auf Aristoteles zu-
rück. Bei ihm und in diesem Lexikon hat Ethik die weite Bedeutung, nach der
auch Fragen der Anthropologie und der Politik (der Rechts-, Sozial- und
Staatsphilosophie), dann auch der Religionsphilosophie zu ihr gehören. Die
normativen Probleme, die sich in den persönlichen und politischen Bereichen

II und Aspekten unseres Lebens stellen, werden aufgegriffen und unter der Leit-
idee eines humanen, eines guten und gerechten Lebens reflektiert.
Zu den aufgenommenen Stichwörtern gehören sowohl zentrale ethische
Positionen und Richtungen (wie "christliche" und "stoische Ethik", "Pragma-
tismus" und "Utilitarismus") als auch die Grundbegriffe der sittlich-politi-

! schen Praxis ("Friede", "Recht", "Sittlichkeit" usf.) und ihrer wissenschaft-


lichen Reflexion (etwa "Moralprinzip" und "kategorischer Imperativ"),
schließlich auch solche für die politische Ethik oder durch die Humanwissen-
schaften bedeutsam gewordenen Begriffe wie "Angst", "Diskriminierung"

I
und "Krankheit", die in die deutschsprachige Diskussion der philosophischen
Ethik noch kaum Eingang gefunden haben. Um das Lexikon der Ethik nicht
in eine Überfülle von Kurzartikeln und Artike1chen aufzusplittern, schien es
geboten, eine Reihe von Stichwörtern unter einem einzigen Hauptstichwort
abzuhandeln (z. B. "Legalität", "Moralität", "praktische Vernunft" unter
"Sittlichkeit"). Personenartikel sind nicht aufgenommen, jedoch verzeichnet
der Anhang die wichtigsten Autoren aus der Geschichte der Ethik mit ihren
1 Hauptwerken und deren greifbare Ausgaben, so daß bei den Artikeln selbst
die "Klassiker der Ethik" nur mit dem Titel ihrer Werke verzeichnet sind.

f Ferner informiert der Anhang über allgemeine Hilfsmittel, die ebenso wie die
Literaturhinweise zu den einzelnen Artikeln dem Weiterstudium dienen.

I
r Vorwort zur ersten Auflage

Das Lexikon der Ethik will nicht einfach ein Fremdwörterbuch für Fach-
und Kunstausdrücke aus dem Umkreis der Ethik und ihrer verschiedenen
Schulen sein. Trotz der gebotenen Kürze wird der Versuch unternommen,
1
über die begriffliche und/oder historische Erläuterung des Stichwortes hinaus Die Autoren
die zugrundeliegende Sachproblematik aufzuzeigen sowie auf Schwierigkeiten
und Lösungsvorschläge aufmerksam zu machen. Überdies soll nicht bloß In-
formation, sondern auch philosophische Analyse und Kritik vermittelt wer- Otfried Höffe (0. H.), geboren 1943, ist ordentlicher Professor ~ür Philo.so-
den. Dabei werden weder fertige Rezepte oder dogmatische Lösungen ange- hie an der Universität Tübingen. Buchveröffentlichungen: PraktIsche Phdo-
boten noch wird eine enge Bindung an bestimmte Weltanschauungen einge- ;ophie - Das Modell des Aristoteles (1971, 21996); Strategien ,der Human~t~t.
gangen. Zur Ethik öffentlicher Entscheidungsprozesse (21985); Ethik und Pohttk.
Die philosophische Ethik findet sich dort, wo überkommene Lebensweisen Grundmodelle und -probleme der praktischen Philosophie (31987); ~a~ur­
und Institutionen ihre selbstverständliche Geltung verlieren. Das gilt genauso recht (Vernunftrecht) ohne naturalistischen Fehlschluß (1980); S~tthch­
für ihre Anfänge im Griechenland des 5. und 4. Jahrhunderts v. ehr. wie für politische Diskurse (1981); Immanuel Kant. Leben - Werk - WI.r~cung
die zeitgenössischen Industriegesellschaften. Angesichts einer solchen Situa- (41996); Introduction a la p~ilosop~~e pratiqu.e de K~nt (21993); Pohtlsche
tion kann die Philosophie nicht einfach einen verlorengegangenen Konsens Gerechtigkeit. Grundlegung emer knttschen PhIlosophie vo~ Recht .und Staat
über sittlich-politische Werte wiederherstellen. Sie kann jedoch auf methodi- (1987); Den Staat braucht selbst ein Volk von Teufeln. Phtloso~hI~c~e Ve.r-
schem Weg - und ohne eine letzte Berufung auf politische und religiöse Au- uche zur Rechts- und Staatsethik (1988); Kategorische Rechtsprmziplen. Em
toritäten als solche oder auf das von alters her Gewohnte und Bewährte _ ~ontrapunkt der Moderne (1990); Moral als Preis der ~oderne. Ein Versuch
Aussagen über die menschlidi'eJ;xistenz versuchen, die an der leitenden Idee über Wissenschaft, Technik und Umwelt (31995); AnstoteIes, (1996); Ver-
eines humanen Lebens, eines Zusichselbstkommens der Menschen, orientiert nunft und Recht. Bausteine zu einem interkulturellen Rechtsdiskurs (1996);
sind. Hrsg. u. a.: Einführung in die uti.Iitaristische Ethik (2199~); John Rawl~, Ge;-
Aufgrund ihrer Herkunft aus der Philosophie fühlen sich die Autoren - bei rechtiglceit als Fairneß (1977); Über Jolm Rawls' Theone der. Gerechtlgkelt
aller persönlichen Verschiedenheit - sowohl dem Reflexionsniveau der klassi- (1977); Grundlegung zur Metaphysik der Sitten. Ein koope:attver Kommen-
schen Ethik als auch dem Methodenbewußtsein der mannigfachen Strömun- tar (21993); Klassiker der Philosophie, 2 Bde. (3199~); Re;lhe .."Gro.ße De~­
gen der Gegenwart verpflichtet. Zugleich ist ihnen bewußt, daß eine gegen- ker" und "Klassiker Auslegen"; Herausgeber der "Zeitschnft fur phtiosophl-
wartsnahe Ethik nicht ohne Bezug auf die zeitgenössischen Humanwis- sehe Forschung".
senschaften auskommt. Bei der Behandlung der entsprechenden Sachbegriffe Maximilian Forschner (M. F.), geboren 1943, ist ordentlicher Professor
werden deshalb einige der für die Ethik bedeutsamen einzelwissenschaftlichen für Philosophie an der Universität Erlangen. Wichtigste Veröffentlichungen:
Forschungsergebnisse (aus der Psychoanalyse, der Verhaltensforschung, der Gesetz und Freiheit. Zum Problem der Autonomie bei I. Kant (1974);
politischen Wissenschaft usf.) aufgegriffen und zur Problematik des Sittlichen J.-J. Rousseau (1977); Die Stoische Ethik. Über den Zusammenhang von Na-
in Beziehung gesetzt. tur-, Sprach- und Moralphilosophie im altstoischen System (21995)? Mensch
und Gesellschaft. Grundbegriffe der Sozialphilosophie (1989); Uber das
München, im November 1976 Otfried Höffe Glück des Menschen. AristoteIes, Epikur, Stoa, Thomas v. Aquin, Kant
(21994); Mithrsg. der Reihe "Symposion"; Beiträge in Fachzeitschriften und
Sammelbänden.
Christoph Horn (c. H.), geboren 1964, ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter
am Philosophischen Seminar der Universität Tübingen. Veröffent1ich~ngen:
Plotin über Sein, Zahl und Einheit. Eine Studie zu den system.attschen
Grundlagen der Enneaden (1995); Augustinus (1995); Hrsg.: A~gustmus, De
civitate dei (Reihe Klassiker Auslegen, 1997); Aufsätze zur antiken und zur
praktischen Philosophie. . " .
Alfred Schöpf (A. S.), geboren 1938, ist ordenthcher Pr.ofessor fur Phtlos~­
phie an der Universität Würzburg. Wichti~ste yeröffe~thchungen: Wah~'heit
und Wissen. Die Begründung der Erkenntms bel Augustm (1965); Augustmus.
,.....-
I
Die Autoren 12

Einführung in sein Philosophieren (1970); Sigmund Freud (1982); Hrsg.: Stu-


dien zur Anthropologie 11 Bde. (1981 ff); Phantasie als anthropologisches
Problem (1981); Aggression und Gewalt (1985); Mithrsg.: Wie erkennt der
Mensch die Welt? Geistes- und Naturwissenschaftler im Dialog (1984); Bei- A Indikationenmodell zur Anwendung,
träge in Fachzeitschriften und Sammelbänden. sofern die schriftliche Zustimmung
Wilhelm Vossenkuhl (W. V.), geboren 1945, ist ordentlicher Professor für Abschreckung i Strafe. der Schwangeren u. ein Gutachten
Philosophie an der Universität München. Wichtigste Veröffentlichungen: eines zweiten, behördlich ermächtig-
Anatomie des Sprachgebrauchs. Über die Regeln, Intentionen und Kon- Absicht i Gesinnung. ten Facharztes vorliegen, während in
ventionen menschlicher Verständigung (1982); Wittgenstein (1995); Hrsg.: Österreich (§ 97 StGB) die A. ent-
Von Wittgenstein lernen (1992); Mithrsg.: Bedingungen der Möglichkeit. Absolutes i Gott. sprechend dem Fristenmodell straf-
Transcendental ArguI?ents und Transzendentales Denken (1984); Reading frei bleibt. - Für die Freigabe der A.
Kant (1989); Die Gegenwart Ockhams (1990); Moralische Entscheidung und Absurd t Existentialistische E. werden als pragmatische Argumente
rationale Wahl (1992); Beiträge im Bereich von Sprachphilosophie, Hand- die hohe Zahl illegaler A., die mit
lungstheorie, Ethik und Sozialphilosophie in Fachzeitschriften und Sammel- Abtreibung t wird der Abbruch der ihnen verbundene Gefahr für das
bänden. Schwangerschaft u. der Entwicklung Leben der Frau, deren Konfliktsitua-
embryonalen t
Lebens nach dem tion bei ungewollter Schwangerschaft
dreizehnten Tag der Empfängnis ge- durch die Strafandrohung des StGB,
nannt, nach dem sich das befruchtete die weitgehende Wirkungslosigkeit
Abkürzungen e.~.~ Ei in die Gebärmutter eingenistet hat der Strafandrohung und als prinzi-
Innerhalb der einzelnen Artikel wurde das jeweilige Stichwort abgekürzt. (Nidation). Nach diesem Zeitpunkt pielles Argument das Selbstbestim-
Außerdem: E :;: Ethik; e = ethisch; sittl. :;: sittlich. gilt das ungeborene Leben als zu mungsrecht der Frau angeführt. Die
schützendes Rechtsgut. Die grund- Gegner der A. wenden sich mit sittl.
sätzliche Straffreiheit der A. inner- u. verfassungsrechtlichen Argumen-
halb von 12 Wochen nach der Emp- ten gegen den generellen Vorrang des
fängnis durch einen Arzt mit der Ein- Selbstbestimmungsrechts der Frau
willigung der Schwangeren nach vor- gegenüber dem Rechtsgut des Em-
heriger Beratung (Fristenmodell bryos, verweisen auf die norm-
§ 218 a StGB) lehnte das Bundesver- bildende Kraft strafrechtlicher Sank-
fassungsgericht trotz mehrheitlicher tionen u. betonen den vollgültigen
Befürwortung durch den Bundestag Schutzanspruch des werdenden Le-
als verfassungswidrig ab. Nach dem bens. Im Gegensatz zu dieser Argu-
Indikationenmodell (§ 218 b StGB) mentation der A.-Gegner steht der
kann die Schwangerschaft nach umstrittene Einwand, die Identität
12 Wochen zeitlich unbegrenzt bei des Kindes u. das t Recht auf Leben
unzumutbarer körperlicher u. seeli- seien erst Resultat eines sozialpsy-
scher Schädigung der Frau (medizi- chologischen Prozesses u. weder der
nische Indikation), innerhalb von Embryo noch das Kleinkind ein
22 Wochen bei einer Schädigung des Rechtsgut. Für die sittl. Argumente
Kindes (genetische Ind.) u. innerhalb spricht die verfassungsrechtliche Ab-
von 12 Wochen nach der Empfäng- sicherung des t Grundrechts auf Le-
nis durch ein Sexualdelikt (e Ind.) ben (Art. 2, 2 GG). Der Gesetzgeber
mit Einwilligung der Frau durch ei- kann daher Rechtfertigungsgründe
nen Arzt abgebrochen werden. In der für die A. nur als letztes Mittel, nicht
Schweiz (Art. 120 StGB) kommt ein aber prinzipiell anerkennen, um tat-
Abulie 14 15 Anthropozentrisch

sächliche Gefahren für das Leben u. Agape i Liebe. Jedigten Spannungen im Seelenleben stenzform, die im Besorgen der Din-
die körperliche und seelische Ge- äußern. Von seiten der Realität grün- ge u. im Man aufgeht, diese A. ver-
sundheit der Schwangeren u. des Aggression t Gewalt. det sie sich zuerst auf die Erfahrung deckt ist, wird sie in der existen-
Kindes unter Berücksichtigung aller wirklicher Gefahren, etwa des dro- tiellen Wahl in der Sorge um die ei-
Lebensumstände abzuwenden. Altern i Lehen, henden Liebesverlustes (Real.-A.), gene Existenz angesichts des Todes
Ein dieser Gefahrensituation voraus- offengelegt.
Lit.: G. Rüpke, Persönlichkeitsrecht u. Altruismus i Wohlwollen gehendes Ereignis wird künftig als
Schwangerschaftsunterbrechung sowie A.signal wahrgenommen, das zur
R. Spaemann, Am Ende der Debatte Lit.: S. Kierkegaard, Der Begriff der A.;
um § 218 u. Haben Ungeborene ein
Amoralismus i Nihilismus. Vermeidung der Situation mahnt. In S. Freud, Hemmung, Symptom und A.;
Recht auf Leben? in: Zeitschrift für jedem Fall ist damit eine Einschrän- M .. Heidegger, Sein und Zeit, Tübin-
Rechtspolitik (1974); W. Vossenkuhl, Analytische E i Metaethik, Metho- kung der inneren oder äußeren Be- gen 91960, § 40 f; W. v. Baeyer,
A. aus e Sicht, in: Mündlener Mediz. den der E. wegungsfreiheit des Handelnden ver- W. v, Baeyer-Kaue, A., Frankfurt/M.
Wochenschrift (1981); H. Poettgen bunden. Die klinische Erfahrung ver- 1973; H. W. Krohne, Theorien der A.,
Stuttgart 1976; F. Riemann, Grund-
(Hrsg.), Die ungewollte Schwanger- Anarchismus i Herrschaft. anlaßte die Psychoanalyse, als
formen der A" München u. a. 1984;
schaft, Köln-Lövenich 1982; P. Singer, Grundtendenzen die A. vor mit-
Praktische E, Stuttgart 1984, Kap, 6; F, Strian, A. u, A.krankheiten, Mün-
Anerkennung i Kommunikation. menschlicher Nähe (schizoide A.), chen 1995; H Lang, H. Faller (Hrsg.),
ders. Rethinking Life and Death, Ox- vor Näheverlust (depressive A.), vor
ford 1994, Kap. 5; J. Glover, Causing Das Phänomen A., Frankfurt/M.
Death and Saving Lives, ~Qndon Angeborenes Verhalten i Instinkt. Wandel u. Veränderung (zwanghafte 1996. A. S.
21990, chap. 9-11; R. DworkiIi;"Die A.), vor dem Bleibenden u. Beständi-
Grenze des Lebens, Hamburg 1994; Angewandte E i Kasuistik, medizi- gen (hysterische A.) zu unterschei- Anomalie i Norm.
M. Kindl, Philosophische Bewertungs- nische E. den. Mehr oder weniger ausgeprägt
möglichkeiten der A., Berlin 1996; bilden sie den unbewußten Erfah- Anomie i Gesellschaft.
R. Spaemann, Personen, Stuttgart 1996; Angst i Unter A. verstehen wir das rungshintergrund allen menschlichen
A. Kuhlmann, A. u. Selbstbestimmung, Gefühl, in unserer ganzen Existenz Handeins. Sie können jedoch in ei- Anpassung i Konformität.
Frankfurt/M. 1996. W. V. ausgesetzt u. bedroht zu sein. Im Un- nem derart bedrohlichen Maße an-
Abulie heißt die weitgehende struk-
terschied zur Furcht, die das Woher wachsen, daß sie die normalen Le- Anstand t Moralu. Sitte.
der Bedrohung als bestimmte Gefahr bensäußerungen (i Liebe, i Arbeit,
turelle Unfähigkeit, das eigene Le- lokalisieren kann, bleibt es in der A. i Genuß u. t Freude) erheblich ein- Anthropologie t Mensch.
t
bensschicksal in freiwilliger Weise anonym u. unbestimmbar. Für die schränken. Die sitt!. Verantwortung
zu gestalten. Sie katm vorwiegend Besinnung auf das sittl. Handeln ist kann dann nur darin bestehen, ihre Anthropozentrisch heißt ein Denken,
physiologische Ursachen haben (z. B. dieses Phänomen deshalb bedeutsam, Wiederherstellung durch i Psycho- das den t Menschen (griech. an-
hirnorganische Schädigungen), eben-
weil durch es der i Handlungs- u. therapie anzustreben. Diese ist al- thropos), biozentrisch eines, das je-
so kölmen psychologisch-soziologi- Entscheidungsspielraum des Men- lerdings nicht in der Lage, den Men- des i Leben (griech. bios) in den
sche Gesichtspunkte in den Vorder- schen entscheidend vorbestimmt schen a.frei zu machen, sondern nur Mittelpunkt stellt. Die oft emotional
grund rücken (wie bei t Suchter- wird. Nach Freud machen vor allem die Bedingungen zu schaffen, daß er geführte Debatte übersicht in der
krankungen, bei Neurosen u. Psy-
chosen: t Krankheit).

Achtung t Gefühl, Pflicht.


A. S.
die bedrohliche Einengung der
menschlichen Existenz, der Verlust
an bewußter Entscheidungsfähigkeit
I A. relativ eigenverantwortlich über-
nehmen kann, In bestimmter Hin-
sicht ist nach Heidegger die A. eine
Regel, daß kein Entweder-Oder vor-
liegt, vielmehr sind gemäßigte For-
men a. u. b. Denkens durchaus mit-
die A. zum Grundphänomen. der notwendige Bedingung menschlicher einander verträglich. Der Mensch
Ärgernis t Moral u. Sitte. Neurose (i Krankheit). Von selten t Entscheidungsfähigkeit, da in ihr kann, wie das b. Denken annimmt,
des unbewußt-libidinösen Verlangens die Unwiderruflichkeit u. Einmalig- in einem Kontinuum von Gemein-
Ästhetische Moral t Spiel. erscheint die A. als Kehrseite des keit jeder zeitlichen Handlung be- samkeiten mit anderen Naturwesen
nicht befriedigten Wunsches. Sie ist wußt wird (t existentialistische E). stehen u. trotzdem, wie das a. Den-
Affekt t Leidenschaft. die Art u. Weise, wie sich die uner- Während in der alltäglichen Exi- ken sagt, einen signifikanten Vor-
Anthropozentrisch 16 17 Arbeit

rang einnehmen u. durchaus die Herrschaftsdenkens zu lesen; ihm zu- Ansprüche lediglich dem Menschen sehung. Die gnadenlosen Folgen des
"Krone der Schöpfung" sein. Außer- folge obliegt dem Herrscher, als zugute kommen können oder sollen, Christentums, Hamburg 1972; C. We-
dem übersieht man den Unterschied, Statthalter Gottes, die Sorge für die stermann, Genesis, Neukirchen 1974;
weshalb es Pflichten nicht "gegen" O. Steck, Welt u. Umwelt, Stuttgart
der zwischen einer bloß theoreti- Armen u. die Schwachen. Ähnlich zu Tiere, sondern nur "in Ansehung u. a. 1978; H. Jonas, Das Prinzip Ver-
schen Interpretation u. den prakti- modifizieren ist die Interpretation von" Tieren gebe (Kant). Scholl um antwortung, Frankfurt/M. 1979;
schen Folgerungen besteht; dort geht des fast schon berüchtigten Descar- des Menschen willen (aus ästhet., D. Birnbacher (Hrsg.), Ökologie u, E,
es um einen bloßen Vorrang, hier tes-Wortes von den Menschen als auS pädagog., aus Ressourcen-Grün- Stuttgart 1980; K. M. Meyer-Abich,
um Vorrechte; von t sittl. Belang ist "Herren u. Besitzern der Natur". den usw,j, aber nicht nur um sei- Wege zum Frieden mit der Natur,
unmittelbar nur ein praktischer~ Herr ist, wer sich in den Naturkräf- netwillen verdient alles Leben Schutz München 1984; ders., Aufstand für die
nicht ein theoretischer A.ismus. ten - immer: zum Wohl des Men- (gemäßigter B.ismus); je nach ihrer Natur, München 1990; F. Ricken,
Nach Ansicht mancher t Tier- schen, also humanitärer A.ismus - A.ismus oder B.ismus? in: Theologie u.
Qrganisationshöhe verdienen Lebe- Philosophie 62 (1987) 1-21; O. Höffe,
schutz- u. t UmweltschutzE trägt auskennt (wobei es Descartes auf wesen aber einen größeren Schutz, Moral als Preis der Moderne, Frank-
das a. Denken - mit seinen t jüdi- t Medizin u, Ingenieurkunst an- Tiere z. B., die schmerz- u. leidens- hut/Mo 31995, bes. Kap. 12; A. Krebs
t
schen u. christlichen Wurzeln (die kommt), Besitzer, wer sich die Natur fähig sind, einen höheren Schutz als (Hrsg.), NaturE, Frankfurt/M. 1996.
Rede ist sogar von deren "gnaden- zunutze machen darf. Dabei versteht Tiere, die es nicht sind. Nach dem- O.H.
losen Folgen": Amery) u. der neu- es sich - in der Aufldärungsepoche selben Kriterium gebührt aber dem
zeitlichen Verschärfung - die größte generell -, daß nur eine schlichte Menschen ein nochmals höherer Antiautoritäre Erziehung t Autori-
t Verantwortung an der einschlägi- Nutznießung u, kein despotischer Schutz. - Das in b. Denken beliebte tät, Erziehung.
gen "Unterdrückung u. Ausbeutung" A.ismus erlaubt ist. Wort von der "Heiligkeit des Le-
der t Natur. Derartige Genealdgien Kritiker des a. Denkens halten es bens" hat vielleicht dieselbe Intenti- Antipathie t Liebe.
sind aber schon deshalb simplifizie- für einen Gattungsegoismus, der on, bleibt trotzdem eine Verlegen-
rend, weil einerseits für die heutigen ebenso verwerflich wie Rassismus heit. Denn in der subhumanen Natur Antisemitismus t Diskriminierung.
Umwe!tprobleme weit mehr Fakto- sei. Kritiker des b. Denkens sehen lebt Leben vom Leben; u. um des
ren zuständig sind, z. B. auch die dagegen kulturelle Errungenschaften bloßen Überlebens willen kann der Antizipation t Utopie.
frühneuzeitliche Umwertung sittl. il- bedroht, namentlich den t Personen- Mensch zwar auf tierische, aber
legitimer Leidenschaften in sitt!. neu- charakter des Menschen. Zumindest nicht auf pflanzliche Nahrung ver- Apathie t Stoische E.
trale, sogar positive Interessen; etwa in einer Hinsicht ist a. Denken un- zichten. Im übrigen gebührt Heilig-
wird aus Habgier jetzt Gewinnstre~ aufgebbar u. die Gegenposition, ein keit - u. ebenso Ehrfurcht -lediglich Arbeit, wiewohl im Alltag, in My-
ben. Außerdem gibt es hinsichtlich radikaler B.ismus~ zu verwerfen: t Gott; nach Überwindung des thos u, Dichtung der meisten Kultur-
der Naturbeziehung sowohl im Chri- Ohne einen überlegenen Rang des Animismus durch den Monotheis- sprachen ein häufig gebrauchtes
stentum (Franziskus oder A. Menschen kann man von ihm nicht mus ist dem Menschen diese Einstel- Wort mit wechselnder u. vieLfältiger
Schweitzer) wie in der Aufklärungs- fordern, was für eine Tierschutz- und lung gegenüber allem natürlichen Bedeutung, wurde erst spät zu einem
epoche (Montaigne) "Häretiker". UmweltschutzE unverzichtbar, der Leben versperrt. Terminus der philos. Reflexion (im
Vor allem bestätigt eine nähere In~ Natur als Natur aber fremd ist, sich Übergang von der auf agrarisch-
terpretation der biblischen Texte nämlich auch gegen Nichtartgenos~ Lit.: Montaigne, Essay de cruaute, in: handwerldicher Grundlage ruhenden
(Gen., Kap. 1-9, Hiob, Kap. 38-39 sen sitd. zu verhalten. Insofern wir Essais; Descartes, Abhandlung über die Gesellschaft zur modernen industriel-
u. Psalm 72 u. 104) zwar deren a,es nur ein einziges animal morale ken- Methode, 6. Kap.; 1. Kant, Kritik der len Welt, v.a, durch J. Locke, J.-J.
Denken (trotz Prediger 3,19), sieht nen, verdient der Prototyp des a. Urteilskraft, §§ 61-68; ders., Meta- Rousseau, A, Smith, G. W, F. Regel,
aber auch, daß sie gegen die Natur, Denkens in der Moderne, Kant, Zu- phys. Anfangsgründe der Tugendlehre, K. Marx, F, Engels). Der vorphilos.
immerhin Gottes Schöpfung, ein stimmung: sitt!. Subjekt ist allein der § 17; A. Schweitzer, Kultur u. E, Mün- Sprachgebrauch verweist auf drei
chen 1960, bes. Kap. XXI-XXII; ders.,
Verhältnis der Hege u, Pflege gebie- Mensch. Aus dieser Einsicht eines Die Lehre von der Ehrfurcht vor dem grundlegende Bedeutungen: A. als
ten. U. das sog. Dominium terrae fundamental-e oder gemäßigten Leben, Berlin 1963;]. Passmore, Man's Mühsal, Not, Beschwerde, A. als ge-
("machet euch die Erde untertan") A.ismus folgt allerdings nicht ein Responsibility for Nature, London wollte U. bewußte Tätigkeit zur Si-
ist im Zusammenhang altoriental. radikaler A.ismus, demzufolge sittl. 21970; C. Amery, Das Ende der Vor- cherung des Lebensunterhaltes U.
Arbeit 18 Autorität
19
Verbesserung der Lebensbedingun- menten, in denen sich die generali- lung interpretiert (i Berufsethik), so logie', Frankfurt/M. 21968; M. Riedei,
gen u. A. als Resultat dieser Anstren- sierten Erfahrungen des Arbeitenden Art. A., Handb. philos. Grundbegriffe,
überanstrengt auch die Philosophie
Bd. I; W. Cünze, Art. A., Geschichtli-
gung: als Leistung, Werk. A. im heu- mit seinem Objekt niederschlagen, einen Begriff, wenn sie die "Erzeu- che Grundbegriffe, Bd, 1; Th Ebert,
tigen Sprachgebrauch, in dem die einen Großteil von A. ab, wenn auch gung einer gegenständlichen Welt" Poiesis u. Praxis, Zeitsehr. f. philos.
Widerfahrnisbedeutung von A. ver- A. sich nicht in Herstellen u. instru- im Prozeß der A., die produktive Forsch. Bd. 30, 1976; ]. Moltmann
lorengegangen ist, meint Tätigkeit mentellem Handeln erschöpft (vgl. Tätigkeit zum entscheidenden "Gat- (Hrsg.), Recht auf A. - Sinn der A.,
des Menschen in Abhängigkeit von etwa Sammeln u.- Jagen, Dienstlei- tungscharakter des Menschen" München 1979; S. Müller, Phänomeno-
Natur u. natürlicher Bedürftigkeit stungen etc.). (Marx) macht. Eine Entmythologisie- logie u. philosophische Theorie der A.,
zum Zweck der Lebensunterhaltung Bestimmt man A. indessen von ih- rung des A.begriffs u. die Differen- 2 Bde., Freiburg/München 1992, 1994.
M.F.
u. -verbesserung. Durch planvolle rem Zweck her als jegliche planvolle zierung des t Handlungsbegriffs ist
Aneignung, Indienstnahme u. Aufbe- Leistung zur Sicherung des Lebens- um so dringender, als die A. in der
reitung der Natur, durch ,Produk- unterhaltes u. Verbesserung der Le- technisch-industriellen Welt durch
Arbeitsethos i Arbeit.
tion' von Werkzeugen, von Ge- bensbedingungen, so muß sie nach die Einführung von Teilfertigung, des
brauchs- u. Verbrauchsgütern unter- wie vor als Grundbedingung mensch- mechanisch-normierten A.rhythmus
Argumentation i Begründung.
scheidet sich der Mensch vom Tier. lichen Lebens u. Fundament aller u. der lückenlosen Kontrolle sowie
So gesehen wird die Genese des Wor- Kulturleistungen angesehen werden. das komplexen Systems der Dienst-
Armut i Eigentum, Verzicht.
tes (1at. arvum: Ackerland) ebenso Aber das Recht der tradierten Ab- leistungen für den einzelnen ( i Indi-
wie die späte begriffliche Präzisie- grenzung von A. u. Muße (freie viduum)eine immer geringere Mög-
Askese t Verzicht.
rung u. Interpretation des Rh~n,9- Zeit), von A. H. i Kommunikation, lichkeit der Selbstrealisierung u. Be-
mens A. verständlich (Rousseau etwa von A. u. i Spiel bleibt gewahrt.
Asozial i Sozialisation.
friedigung bietet.
spricht von A. erst im Zusam- Während man immer auch arbeitet,
Lit.: A. Smith, Der Wohlstand der Na-
Ataraxie i EpikureischeE,stoische E.
menhang der Agrikultur, 2. Disc., um zu leben (das Moment möglicher
2. Teil): Sie orientiert sich einseitig Selbstverwirklichung in der A. ist da- tionen; G. W. F. Hege!, Jenenser Real-
am Modell des Bearbeitens von mit keineswegs geleugnet), haben philosophie; ders., Phänomenplogie ~es Atheismus t Gott.
Grund u. Boden u. von Naturdingen, Mußetätigkeiten, Spiel, z. T. auch Geistes, Abschnitt B: Selbstbewußtsem;
ders.,Rechtsphilosophie,III. Teil, 2. Ab- Aufklärung t Moralkritik.
nach dem Modell handwerklicher kommunikative Praxis ihren Zweck
sehn. A: Das System der Bedürfnisse;
Tätigkeit, in der das arbeitende Sub- in sich selbst. A. in Gestalt hand- K. Marx, Ökonomisch-philosophische Ausbeutung i Entfremdung.
jekt einen Stoff formiert. Sowohl die werklich-technischen Hervorbrin- Manuskripte aus dem Jahre 1844; ders.,
antik-mittelalterliche Unterscheidung gens kann nicht zum Paradigma Das Kapital, MEW Bd. 23-25; Ausnahmesituation i Notsituation.
von knechtischer A. u. freier Tätig- menschlichen Tätigseins überhaupt F. Engels, Anteil der A. an der Mensch-
keit, von mühsamer Aufbereitung gemacht werden (so etwa bei werdung des Affen, MEW Bd. 20; Autarkie i Glück.
widerständiger Natur (opera servilia) F. Engels), zwischen sprachlichem M. Scheler, A. und E. (1899), in: Frühe
Schriften, Bcrn 1971; F. Giese, Philoso-
u. von freier Betätigung in Kunst, Handeln, kommunikativem Handeln
phie der A., Halle 1932; H. Marcuse, Autonomie i Freiheit.
i Wissenschaft, Kult u. Staatsdienst u. A. ist zu unterscheiden, erst aus Die philosophischen Grundlagen des
(opera liberalia) wie der neuzeitliche ihrem dialektischen Zusammenspiel wirtschaftswissenschaftlichen A.begriffs Autorität nennen wir die natürliche
Gedanke der Selbstschöpfung im u. nicht durch Reduzierung der In- (1932), Kultur u. Gesellschaft, Bd. 11, oder erworbene Überlegenheit von
Prozeß der Aneignung u. Unterwer- teraktion auf A. kann die Konstituti- Frankfurt/M. 1965; M. D. Chenu, Pour Personen oder Institutionen, die eine
fung von Natur, in dem der Mensch onsgeschichte des Menschen u. der une theologie du travail, Paris 1955; Anerkennung ihres Vorranges u. ein
sich in seinen Produkten vergegen- Gesellschaft zureichend verstanden J. Huizinga, Homo ludens. Vom Ur- Befolgen ihrer Anordnungen (Gehor-
ständlicht u. aus der Naturabhän- werden. Wie jener theologische Ge- sprung der Kultur im Spiel, Hamburg sam) erwarten. In der t Sozialisation
gigkeit zu sich selbst befreit u. her- danke, der A. als Fortführung u. 1956; H Arendt, Vita activa oder vom erfährt der heranwachsende Mensch
tätigen Leben, Stuttgart 1960; R. C.
ausbildet, haben hier ihre Wurzel. In Vollendung göttlicher Schöpfungstat eine strukturelle Überlegenheit der
Kwant, Philosophy of Labour, Pitts-
der Tat deckt die Bearbeitung von u. A.ethos, Berufsethos, Fleiß als Sig- burg 1960; J. Habermas, A. u. Interak- Erziehungspersonen, weiler bestimm-
Natur u. die Herstellung von Instru- num sich bewährender Auserwäh- tion, Technik u. Wissenschaft als ,Ideo- te Funktionen zur Sicherung der ei-
f -,-
Axiologic 20 21 Bedürfnis

genen Bedürfnisbefriedigung noch (1957); Th. Eschenburg, Über A., die Selbsterhaltung zu sichern. Diese renzierter zu organisieren, so Z. B.
nicht selbst übernehmen u. daher Frankfurt/M. 1965; H;. Marcuse, Studie körperlichen Vorgänge auf der seine Befriedigung aufzuschieben, zu
noch nicht gleichberechtigt interagie- über A. u. Familie, in: Ideen zu einer Grundlage von Instinktresten, worin i verzichten, um sie durch Zwi-
fen kann. Wenn sich die Erzie- kritischen Theorie der Gesellschaft, der Mensch Gemeinsamkeiten mit schenschritte des Denkens u. Han-
Frankfurt/M. 1969; M. Horkheimer, A.
hungspraxis an der Abwendung wirk- u. Familie, Ges. Sehr. Bd. 3, Frank- dem Tier hat, spiegeln sich auch in delns zu erarbeiten. Dabei ist es ab-
licher Gefahren für das Kind u. an furt/Mo 1988, S. 326--417. A. S, seinem Erleben (psychische Reprä- hängig von dem, was durch die
den realen Möglichkeiten der Be- sentation) wider. In den Vorstellun- Pflege personen an B.en gesellschaft-
dürfnisbefricdigung orientiert, be- Axiologie i Wert. gen u. Affekten ( t Leidenschaft) des lich akzeptiert wird u. möglich ist.
gründet sie natürliche A., die zu Menschen drücken sich seine B.e Die Diskrepanz zwischen den eige-
Recht ein 5icheinfügen fordern kann, aus. Wir nennen diese psychologi- nen B.en u. dem gesellschaftlich Er-
sich aber in autoritäre oder antiau- B sche Seite der menschlichen B.e seine laubten wird verinnerlicht u. führt zu
toritäre Erziehung pervertiert, wenn Wünsche. Triebreize U. Wünsche zu- einer psychologischen Aufgliederung
sie an deren Stelle das eigene Macht- Barmherzigkeit t Christliche E.· sammen, d. h. die psychophysische der B.e in solche, die nie zugelassen
streben oder die Indifferenz u. Belie- Einheit der menschlichen B.e, nennt oder wieder verdrängt wurden (die
bigkeit setzt. Im gesellschaftlich-poli- Bedeutung t Gesinnung, MetaE. Freud Trieb. Allein von seiner t in- Esbedürfnisse), solche, die gegenüber
tischen Leben ist die A. dann legitim, stinktiven Basis u. seiner Naturaus- der Realität vertretbar sind (die lch-
wenn der einzelne aufgrund eigener Bedürfnis. Das menschliche Handeln stattung her wäre der Mensch nicht bedürfnisse oder Interessen), solche,
Entscheidung an ihr partizipieren ist von B.en bestimmt. Im Unter- in der Lage zu überleben. Seine bio- die die gesellschaftlichen Verbote re-
kann (formale Anerkennung 5~Wi' schied zum Tier, bei dem ein großer logische Undifferenziertheit, die präsentieren (die Über-lch-, Schuld-
Autorisierung: t Demokratie) u. sei- Teil durch angeborene Auslöse- Gehlen als Mängelwesen interpre- oder Strafbedürfnisse). Da sogar ein
ne wesentlichen Bedürfnisse in ihr mechanismen u. Umwe1tfaktoren de- tiert, kann er nur durch die psychi- großer Anteil der Ich-b. oder Interes-
befriedigt findet (inhaltliche Aner- terminiert ist u. kausal die Reaktio- schen Funktionen des Gedächtnisses, sen dem einzelnen gesellschaftlich
kennung). Legitime A. u. Einsicht be- nen bestimmt, hat der Mensch durch der Phantasie, des Denkens u. Han- vermittelt wird, ohne daß ihm dies
dingen sich gegenseitig. Institutionen Denken u. Sprache die Möglichkeit, delns ausgleichen, um seine B.be- bewußt wird, ist es schwierig, seine
werden dann autoritär, wenn sich der sie als Motive seiner i Handlungen friedigung zu sichern. Dem Einzel- wahren B.e u. Interessen zu erken-
Herrschaftsanspruch einzelner oder aufzunehmen, sie zu verwirklichen, menschen gelingt es nicht, sie sicher- nen. Zum Teil sind sie im Prozeß ge-
weniger von der Zustimmung aller zu modifizieren oder zu unterdrük- zustellen, vielmehr ist er zur Interak- sellschaftlicher Entwicklung zurück-
ablöst (Hierarchisierung der Macht) ken. Dadurch gewinnt er ein freieres tion mit seinen Mitmenschen ge- geblieben U. zu unbewußten Es-An-
u. über ihre, Bedürfnisse hinwegsetzt U. t willendicheres Verhältnis zu ih- nötigt. Obgleich die Inhalte der teilen geworden (Adorno). Damit
( i Entfremdung). Die antiautoritäre nen. Bedeutsam wird die Frage nach menschlichen B.e biologisch VOl'- aber sind sie dem reflexiven Wissen
Reaktion dagegen betont abstrakt den B.en unter dem Blickwinkel, daß strukturiert sind, liegen sie nicht end- um sich so lange unzugänglich, als
die Freiheit des einzelnen gegen alle t sitd. Handeln die wahren, die gültig fest, sondern werden durch ge- sie nicht durch affektive Erfahrung
gesellschaftliche Bindung (Anarchie). "vernünftigen" B.e des Menschen sellschaftliche Prozesse u. die psychi- wiederbelebt u. in die Einheit der
Beide Positionen schließen sitt1. Han- aufgreifen und realisieren müsse. Die sche Verarbeitung des Einzelmen- t Person reintegriert werden. - Die
deln aus, die eine aufgrund mangeln- Bedürftigkeit des Menschen ist bio- schen modifiziert U. weiterentwik- B.befriedigung kann allein in Aus-
der Selbstbestimmung des einzelnen, logisch in der Notwendigkeit be- kelt. einandersetzung mit der Natur u.
die andere aufgrund fehlender Über- gründet, sich selbst erhalten U. fort- Der frühkindliche Versuch, die Be- den Mitmenschen erreicht werden,
einstimmung u. i Sitte. pflanzen zu müssen. Wird der ho- friedigung in ungeschiedener Einheit d. h. sie ist durch i Arbeit vermittelt.
möostatische Gleichgewichtszustand U. unmittelbar von den Pflegeperso- Die Abhängigkeit der Arbeit des ein-
Ut.: Th. Hobbes, Leviathan, Kap. 14-
20; H. G. Gadamer, Wahrheit und Me- des Organismus mit seiner Umwelt nen zu erhalten, wird schon früh ver- zelnen von der aller anderen führt zur
thode, Tübingen 21965, S. 261 f; unter- oder überschritten, dann tre- sagt. Je nach Stand der körperlichen Arbeitsteilung U. zugleich zu einer
H. Arendt, Was ist A.? in: Fragwürdige ten Triebreize im Körperinnern auf, Reifung u. psychologischen Entwick- Weiterdifferenzierung der B.e (He-
Traditionsbestände im politischen Den- die wie Hunger, Durst u. sexuelle lung muß das Kind lernen, seine gel). Die Frage, ob jeder Arbeitende
ken der Gegenwart, Frankfurt/M. o. J. Reize auf Befriedigung drängen, um B.friedigung von Stufe zu Stufe diffe- für seine eigenen B.e produziert,
Befindlichkeit 22 23 Begründung

scheint nur so lange positiv beant- Befreiung i Philosophie der Befrei- disch mehrfach differenzierter Pro- achter wählen bzw. die aus einer
wortbar, wie er in geeigneter Form ung, zeß (i Methoden der E). Der erste idealen Beratungssituation (Rawls,
den Produktionsprozeß mitbestim- Teil ist reduktiv: Nach der Vorfrage, i konstruktive E, i kritische Theo-
men kann. Wo dies nicht der Fall ist, Begegnung i Kommunikation. warum es überhaupt normative An- rie) hervorgehen würde.
wie bei der Entgegensetzung von forderungen braucht, sucht man in Der zweite Teil der B. ist deduktiv:
Kapital u, Arbeit zu Zeiten der er- Begierde i Leidenschaft. einer Selbstreflexion des sittl. Be- Mit Hilfe der genannten Kriterien
sten industriellen Revolution (Marx) wußtseins dieses auf sein Prinzip u. kann man Handlungsmaximen, so-
oder in gegenwärtigen ökonomischen Begründung, Welches Handeln sittl. Kriterium zuriickzuführen. Dazu mit auch unsere moralischen All-
Organisationsformen ohne geeignete geboten, verboten oder erlaubt ist - muß man bei einem konkreten sittli- tagsurteile auf die Sittlichkeit hin
Mitbestimmung, erhebt sich die Fra- dessen sind sich die Menschen nicht chen Urteil (der Synthesis einer sittl. prüfen u. sie bestätigen oder revidie-
ge,obsichnicht die ökonomische Ent- immer sicher, u. noch weniger sind Maxime mit den wechselnden Situa- ren. Im Gegensatz zur Vorstellung
wicklung von der eigentlichen B.lage sie sich untereinander darüber einig. tionsbedingungen) vom nicht-sitt!. einer mechanischen Subsumptions-
der Menschen entfernt, künstliche B.e In drei Stufen zunehmender Radika- Element (den Situationsbedingungen, möglichkeit schreiben die entspre-
produziert u. zur Luxus- oder Kon- lität beziehen sich Unsicherheit u. auch von geschichtlich-gesellschaft- chend begründeten Maximen in der
sumgesellschaft fortschreitet. Die ge- Uneinigkeit entweder auf die An~ lichen Vorgaben) abstrahieren, eben- Regel noch kein konkretes Handeln
sellschaftliche Seite der B.entwick- wendung einer Handlungsmaxime so von den verschiedenen Inhalten vor. Sie ha ben vielmehr die methodi-
lung verlangt vom sitt!. Handelnden ( i Norm) in einer konkreten Situati- der Maximen, so daß nur eine for- sche Bedeutung von normativen
zu prüfen, ob die wahren menschli- on oder auf die Sittlichkeit der Ma- male Gleichheit, die Qualität des Leitprinzipien, die (wie: Versprechen
chen B.e mit den sozial anerkanl1fen xime oder das Kriterium u. Prinzip Sittl. selbst, übrigbleibt. Das ist der zu halten, anderen in Not zu helfen,
übereinstimmen oder nicht. der Sittlichkeit, dabei auch auf die Begriff einer Verpflichtung, die aber auch wie das Prinzip des
Grundfrage, warum man sich über- schlechthin oder unbedingt gültig ist, i Utilitarismus oder die i Goldene
Lit.: G. W, F. Hege!, Grundlinien der haupt auf den Standpunkt der d. h. unabhängig von den zufälligen Regel) einen weiteren methodischen
Philosophie des Rechts, §§ 188-200; i Sittlichkeit stellen u. nicht auf dem Gegebenheiten individueller, ge- Schritt erfordern. Aufgrund von oft
S. Freud, Triebe u. Triebschicksale;
A. Gehlen, Der Mensch, Frankfurt/M. des i Selbstinteresses verbleiben soll. schichtlich-gesellschaftlicher, selbst umfangreichen empirischen Kennt-
1971; Th. W. Adorno, Zum Verhältnis Diese Fragen zu beantworten ist das gattungsmäßiger Natur. Sirtl. Gebote nissen u. teilweise recht komplizier-
von Soziologie u. Psychologie, Schriften Ziel der (Normen-}B. Sie ist nur dort oder Verbote sind objektiv, notwen- ten Beurteilungsprozessen (z. B. gilt
Bd. 8, Frankfurt/M. 1972, S. 42 f; belanglos, wo man glaubt, sittl. Ur- dig u. allgemein (für jedes Vernunft- es, die fremde Not zu erkennen, sie
D. Claessens, Instinkt, Psyche, Geltung, teile aufstellen zu können, ohne sie wesen) gültig, Sie haben ihren Ur- genau zu diagnostizieren u. die rech-
Köln-Opladen 21970; S. Moser u. a. selbst oder ihre Kriterien zu überprü- sprung in der Selbstbestimmung des ten Mittel der Hilfe zu finden) sind
(Hrsg.), Die wahren B.e, Stuttgart 1977; fen. Im Gegensatz zu einem solchen Willens (Prinzip i Freiheit im Sinne die Leitprinzipien i situationsgemäß
W. Vossenkuhl, Zur Legitimationsfunk- Dogmatismus sucht die jE seit der von Autonomie). Letztlich ist man anzuwenden.
tion sozialer B.e, in: C. Hubig u. a.
(Hrsg.), Konsequenzen kritischer Wis- griechischen Aufklärung (Sophisten, nicht deshalb sitt!., weil es dem lang- Dmch die B. wird weder der sitt!.
senschaftstheorie, Berlin 1978; Sokrates) auch im Bereich von fristigen eigenen oder gemeinsamen Standpunkt noch ein konkretes sitt!.
K. Meyer-AbichlD. Birnbacher (Hrsg.), i Mor-al u. Sitte nach rationaler Ar- Wohlergehen (i Utiliarismus) dient, Urteil aus dem Nichts hervorge-
Was braucht der Mensch, um glücklich gumentation, nach B. oder Rechtfer- sondern weil man nur beim sittL bracht. Eine gelebte Mora~ ein
Zu sein? München 1979; H. Stacho- tigung. Zwar findet man häufig so- Handeln selbstgesetzten Geboten schon vorhandenes sittL Bewußtsein
wiak, B.e, Werte u. Normen im Wan- wohl Gründe für als auch wider die folgt, also im strengen Sinn frei ist. werden vielmehr über sich selbst
del, München u. a. 1982; K.-O. Hon- Richtigkeit gewisser Maximen. Aber Das Kriterium für die Autonomie ei- aufgeklärt, evt!. auch kritisiert
drich/R. Vollmer (Hrsg.), B.e, Stabilität daraus folgt noch nicht, daß der Be- nes HandeIns ist die Verallgemeiner- ( t Moralkritik). Durch die Erkennt-
u. Wandel, Opladen 1983; D. Wiggins,
Needs, Valucs, Truth, Oxford 1987; reich des Praktischen einem objekti- barkeit der Maxime, der das Han- nis des Prinzips sieht man, daß sittl.
D. Braybrooke, Meeting Needs, Prince- ven Erkennen nicht zugänglich sei (e deln folgt (i kategorischer Impera- Gebote nicht eine Sache willkürlicher
ton 1991. A. S. Skeptizismus). tiv). Ebenso kann man sagen, daß ei- Dezision oder persönlichen Gefühls,
Eine philosophisch zufriedenstel- ne Maxime sitt1. ist, die ein idealer nicht eine Frage der Herkunft, des
Befindlichkeit i Existentialistische E. Iende B. ist ein zweiteiliger, metho- (unparteiischer u. rationaler) Beob- Taktes oder der eingespielten Kon-
Behaviorismus 24 25 Belohnen u. Bestrafen

vention u. letztlich auch nicht bloß mit einem Nachteil verbindet. Die reitstellen von Speisen belohnt wur- sich der Sinn von B. u. B. Es ist dann
Gebote einer religiösen Instanz sind. Aspekte von B. U. B. sind ansatzwei- de. Die Theorie des operanten Kon- nicht mehr wissenschaftlich gleich-
Der Mensch wird sich vielmehr sei- se in allen menschlichen Interak- ditionierens (Skinner) erweiterte die- gültig, welcher Art die gesellschaftli-
ncr Autonomie bewußt. Zugleich tionen zu finden, besonders in jenen se mechanische Art des Lcrnens chen Forderungen sind, die durch
gewinnt er das Kriterium, nach dem Bereichen, in denen die natürliche durch B. u. B. auf alles Verhalten. Belohnung U. Bestrafung den Cha-
sich die Autonomie seines Handelns oder erworbene Überlegenheit be- Jedes zufällig auftretende (= operan- rakter von Sanktionen erhalten, U. es
prüfen läßt. stimmter Personen oder Gruppen te) Verhalten kann demzufolge in der ist nicht nur eine Frage der Effektivi-
( i Autorität) die Beziehungen be- Häufigkeit seines Auftretens (Emis- tät, wie das Verhalten des i Indivi~
Lit.: 1. Kant, Grundleg. z. Metaphysik stimmt: in i Sozialisation u, i Er- sionsrate) gesteigert wcrden, wenn duums am besten gesteuert werden
der Sitten; ders., Kritik der praktischen ziehung, t Krankheit u. Therapie ihm nachfolgend entweder Beloh- kann. Die Psychoanalyse unterschei-
Vernunft; V. Kraft, Die Grundlagen der
Erkenntnis u. der Moral, ßerlin 1968, ( i Psychotherapie) sowie im politi- nung (Darbieten eines positiven oder det zwischen autoritativen Forde-
2. Teil;]. Rawls, Ein Entscheidungsver- schen Leben. Zur Frage der sitt!. Be- Entzug eines negativen Verstärkers) rungen, die dem Individuum einen
fahren f. d. normat. E, Texte zur E, rechtigung ist es nötig, verschiedene oder Bestrafung (Darbieten eines ne- überflüssigen i Verzicht abnötigen,
München 1976; ders., Gerechtigkeit als Auffassungen von B. U. B. zu unter- gativen oder Entzug eines positiven u. den Anforderungen der Realität,
Fairneß, Freiburg-München 1977, scheiden. Eine erste enthüllt sich, Verstärkers) erfolgt. Als Verstärker die den Stand des natürlich U. gesell-
S. 34 ff; K. Baier, Der Standpunkt der wenn wir die Dimension menschli- gelten dabei alle pragmatisch gese- schaftlich Notwendigen repräsentie-
Moral, Düsseldorf 1974; R. M. Hare, chen Handelns auf die Unterschicht hen erfolgreichen Stimuli. Eine philo- ren. Während ß. u. B. im Dienste der
Freiheit u. Vernunft, Düsseldorf 1973; der i Bedürfnisbefriedigung u, hier sophische Theorie, die ihre Erklä- Unterdrückung (punitiver Begriff von
O. Höffe, E u. Politik, Frankfurt/Jv1.
31987, Kap. 2, 3, 8; ders., Kategori~he-' ausschließlich auf die physiologische rung von Mensch U. Gesellschaft B. u. B.) die Einschränkung des Selbst
Rechtsprinzipien, Frankfurt/M. 1990; Schicht des Organismus im Verhält- ausschließlich auf dieses von der durch innerpsychischen Zwang be-
F. Kambarte! (Hrsg.), Praktische Philo- nis zu seiner Umwelt reduzieren. Die Umwelt bestimmte Vcrhalten stützt, treiben, ermöglichen B. U. B. im
sophie u. konstruktive Wissenschafts- Verhaltenspsychologie nimmt an, heißt Behaviorismus (eng!. behavior: Dienste der Realität die Entwicklung
theorie, Frankfurt/M. 1974; W. Oel- daß der menschliche Organismus in Verhalten, Betragen). Diese Richtung eines Spielraums an eigener Verar-
müller (Hrsg.), Materialien zur Nor- einer dem Tier vergleichbaren Weise wurde durch J. B. Watson begriin- beitungsmöglichkeit u, ein relativ ei-
mendiskussion, 3. Bde., Paderborn gemäß dem kausalen Reiz (Stimu- det, B. U. B. erscheinen durch die Ab- genständiges Selbst. Weil sie sich an
1978-79; A. Pieper, Pragmat. u. e lus)-Reaktionsmuster (S-R-Schema) eigene Einsicht U. i freie Stellungnah-
straktion vom psychischen Erleben,
Normenb., FreiburglMünchen 1979;
J. Habermas, Moralbewußtsein u. auf seine Umwelt reagiert. Alle Lcrn- insbesondere von der Symbolisie- me wenden, äußern sie sich sprachlich
kommunikatives Handeln, Frank- fortschritte im Verhalten entstehen rungsfähigkeit sprachlichen Erlebens, in Zustimmung u. Ablehnung, emo-
furt/Mo 21985; D. Brink, Moral Rea- durch B. u. B. von seiten der Um- als Moment eines i deterministi- tional in Liebeszuwendung oder -ent-
lism and the Foundations of Ethics, welt. Die Theorie der klassischen schen Umweltverhältnisses u. schlie- zug (permissiver Begriff von B. u. B.).
Cambridge 1989; A. Gibbard, Wise Konditionierung (Pawlow) bediente ßen Steuerung (Dressur) ein. Die In diesem Falle sprechen wir eher
Choiees, Apt Feelings. A TheOl'Y of sich der sog. bedingten Reflexe des sittl. Fragwürdigkeit dieser Auffas- von Lob u. Tadel (Aristoteles),
Nonnative Judgement, OxfordlNew Organismus (z. B. Magensaftsekreti- sung besteht darin, daß sie sich me- Im Bereich der i Sozialisation, in
York 1990. O. H. on beim Anblick von Speisen, Schlie- dem wir die künftige Selbständigkeit
thodisch "jenseits von Freiheit u.
Behaviorismus i Belohnen U. Bestra- ßen der Augenlider bei Gefahr), um Würde" (Skinner) weiß u. daher des Menschen antizipieren müssen,
fen, Strafe. dem natürlichen Auslöser (z. B. Spei- leicht zur Manipulation des Men- wird eine realitätsgerechte Erziehung
se) einen anderen künstlichen zu un- schen verwandt werden kann. sich an der permissiven Form von B.
Belohnen u. Bestrafen sind mit- ,terschieben (z. B. Läuten einer Glok- Wenn wir jedoch die Abstraktion u. B. orientieren. Im Bereich von
menschlich-gesellschaftliche Tätig- ke; neutraler Stimulus). Durch die der Verhaltenspsychologie aufheben i Krankheit U. i Therapie verlangt
keiten, in denen eine Seite ihre For- Paarung beider Stimuli lernt der Or- u. in das Verhältnis des Organismus es die i Verantwortung gegenüber
derungen gegenüber der anderen ganismus auch auf das Läuten hin zu seiner Umwelt die spezifisch dem Kranken, so lange mit seiner
dadurch wirksam zu machen ver- mit Magensaftsekretion zu reagieren menschlichen Fähigkeiten der Verar- Einsicht u, Selbständigkeit zu arbei-
sucht, daß sie die Erfüllung mit ei- (konditionierter Stimulus), weil er beitung von Erlebnissen durch Den- ten, als noch Ansätze dafür vorhan-
nem Vorteil bzw. die Nichterfüllung sozusagen über lange Zeit durch Be- ken u. Sprache einbeziehen, wandelt den sind (i Medizin u. E). Die Tech-
Beratung 26 27 Besonnenheit

niken der Verhaltenssteuerung be- sehen E entwickelt. Der klassischen gabe das funktionale Spie1regelsy- aristotelischen Tradition) enger ge-
dürfen der Zustimmung des Kranken griechischen Philosophie ist der Ge- stern der Tausch- u. Marktgesell- faßt: B. als Tugend des rechten Ma-
oder können (z. B. bei schweren hirn- danke einer B. fremd, wohl durch schaft transzendiert (Arzt, Wissen- ßes bezüglich leiblicher Begierde u.
organischen Schädigungen) in stell- mangelnde positive Arbeitsgesinnung schaftler, Politiker, Künstler, etc.: Lustempfindung. Das griechische
vertretender Verantwortung für un- bei der Oberschicht u. durch den i Medizin u. E, i Standes E i Wis- Wort sophrosyne meint zunächst
mündiges menschliches Leben wirk- rechtlich wie politisch unfreien Sta- sensehaftsE). ganz allgemein den ,gesunden Sinn',
sam eingesetzt werden. Im Bereich tus der arbeitenden Bevölkerung be- der sich durch die Bestimmung des
des politischen Lebens werden sich dingt. Die i teleologische Orientie- Lit.: Cicero, De officiis, Buch I; Am- Sich-selbst-Kennens, durch die Fä-
B. u. B. an der Idee des i Rechts rung der E u. die Bestimmung des brosius, De officiis ministrorum; higkeit, sich mit den Augen der an-
orientieren u. bei der Verbrechensbe- i Ziels als geglückten Lebens von E. Durkheim, Physik der Sitten u. des deren zu sehen, im objektivierenden
kämpfung vor allem die_ Angemes- Freien u. Gleichen in politischer Rechts, frz. 1950, dt. Frankfurt/M. Bewußtsein eigener Möglichkeiten u.
Handlungsgemeinschaft ließen i Ar- 1991, 1.-3. V.; A. Auer, Zum christli-
senheit der Mittel für den Zweck ei- chen Verständnis der Berufsarbeit nach Grenzen, im vernünftigen Verhalten
nes freien u. gemeinschaftlichen poli- beit als unfreie Tätigkeit nicht ins Thomas v. Aquin u. Luther, 1953; Max gegen Götter u. Menschen sowie in
tischenLebensbedenken (i Strafe). Blickfeld treten. Ebenso traten im Weber, Die protestantische E, I, Ham- der ordnenden (Selbst-) Beherr-
Urchristentum irdischer Berufseifer burg 31973; dets., Der Beruf zur Poli- schung der ,blinden' Begierden äu-
Lit.: Aristotdes, Nikomach. E, Buch III; u. Berufsethos hinter der Erwartung tik; Vom inneren Beruf zur Wissen- ßert. Platon betont vor allem den
S. Freud, Das Unbehagen in der Kultur, des nahen Endes zurück. Das frühe schaft, in: M. Weber, Soziologie. Uni- politischen Aspekt dieser Tugend. B.
Werke Bd. XIV;]. Pawlow, Die beding- Mittelalter konzentrierte sich auf den versalgeschichtliche Analysen. Politik, als "Mäßigung der Begierden"
ten Reflexe, München 1972; B. <;,!f~ privilegierten Weg geistlicher Beru- Stuttgart 51973; H. Gatzen, Beruf bei
Skinner, Wissenschaft u. menschliches (Politeia 430e) bringt sowohl in der
fung. Durch Luther wurden der M. Luther u. in der industriellen Gesell-
Verhalten, München 1953; ders., Jen- schaft, Diss. Münster 1964; A. Müller, Seele wie in der Polis das Bessere
seits von Würde u. Freiheit, Rein- weltliche Beruf zur Berufung durch B. Schnyder (Hrsg.), Berufsethische über das Schlechtere zu ordnender
beidHamburg 1973; eh. Kraiker i Gott u, der Dienst am gottgewie- Fragen, Freiburg i. U. 1969. M. F. Herrschaft. In engem Anschluß an
(Hrsg.), Handbuch der Verhaltensthe- senen Platz zum Gottesdienst. Der Platons Seelemnodell, doch nun aus-
rapie, München 21975; M. Foucault, reformierte Protestantismus Calvins Besitz i Eigentum. schließlich auf die Person des Han-
Überwachen u. Strafen, Frankfurt/M. schließlich wertete den Beruf zum delnden u. seine Leiblichkeit bezo-
1976. A. S. Feld äußerer Bewährung u. Bekun- gen, definiert Aristoteles B. als die
Besonnenheit (gr. sophrosyne, lat.
dung innerer Erwählung durch Gott, temperantia) hat seit den Anfängen Tugend jenes irrationalen Sec1enteils
Beratung i Konstruktive E. Berufseifer u. -erfolg zum zeitlichen der E ihren Ort unter den vier Kar- des Menschen, der die mit den Tie-
Signum ewigen Heils auf. Der deut- dinaltugenden, die als Grundtugen- ren gemeinsamen Kräfte, Begierden
Beruf i Arbeit. sche Idealismus säkularisierte dieses den die elementaren Dispositionen u. entsprechenden Formen des Ge-
theologisch begründete Berufsethos sitt!. Exzellenz darstellen ( i T apfer- nießens zum Zweck der Erhaltung
Berufsethik bezeichnet den Teilbe- u. verstand Berufsarbeit als Mög- keit, i Klugheit, i Gerechtigkeit). des Lebens enthält. B. ist die Tugend
reich moralphilosophischer Theori- lichkeit der Selbstentfaltung der Per- Historisch gründet sie sich auf die der Mäßigkeit im Essen, Trinken u.
en, der sich mit jenen i Pflichten be- son. Industrielle Revolution u. tech- Zurückweisung des Hochmuts (Hy- Zeugen, die gehörige Mitte hinsicht-
faßt, die sich aus den spezifischen nische Entwicklung führten zu weit- bris) in der populären griechischen E. lich leiblicher Begierde u . Lustemp-
Aufgaben der verschiedenen Berufe gehender Entmythologisierung dieser Während die umgangssprachliche findung, die Tugend vernunftgeleite-
einer arbeitsteiligen i Gesellschaft Auffassung. Beruf wird zunehmend Verwendung des Wortes B. die ter Ordnung natürlichen Begehrens
ergeben. In einem umfassenden Sinn verstanden als Ergebnis gesellschaft- i Tugend vernünftig abwägenden u, Genießens. Darin unterscheidet sie
wird von B. dann gesprochen, wenn lich notwendiger Arbeitsteilung u. Verhaltens im Gegensatz zu distanz- sich von der Tugend der Selbstbe-
eine Theroie des guten i Lebens die fachlicher Spezialisierung u. als Mit- los unmittelbarer Affektivität u. zu herrschung (enkrateia), die nicht na-
berufliche Tätigkeit als für die i tel zum Erwerb des Lebensunter- maßloser Begierde (Pleonexie) über- türliche Begierden ordnet, sondern
Sittlichkeit u. Selbstentfaltung der halts. Ein spezifisches Berufsethos haupt benennt, ist der Bedeutungs- gegen unvernünftiges Begehren an-
i Person konstitutiv erachtet. In An- wird allenfalls von jenen Berufen er- horizont von B. in der philosophi- kämpft. Diese spezifische Bedeutung
sätzen wurde B. erst von der i stoi- wartet bzw. beansprucht, deren Auf- schen Terminologie (der platonisch- von B. erhält sich über Thomas v.
Bestrafen 28 29 Böse

Aquin bis in die deutsche Schulphilo- setzungen der menschlichen Natur- schen Lebensbedingungen u. i Be- stimmten, von religiösen Wertset-
sophie hinein. In der Neuzeit wird beziehung. Erweitert zu einer bio- dürfnissen des Menschen, seinen zungen u. sitt!. i Normen abhängi-
der Begriff zum Teil aus dem Rah- medizinischen Ethik erörtert sie sittl. Erbanlagen u. Umweltbedingungen gen Gut gemessen u. der Schwäche
men der Tugendlehre gelöst u. zur Fragen von Geburt, i Leben u. Tod, sowohl die i Normen des Handeins des menschlichen i Willens im Han-
Grundkategorie der Anthropologie insbesondere im Hinblick auf neuere wie die Prinzipien des Erkennens ab. deln angelastet. Das moralische B.
erhoben: B. als Fähigkeit zur Refle- Entwicklungen u. Möglichkeiten der Als i Weltanschauung diente der B. bedarf wie das metaphysische B. ei-
xion u. damit als Voraussetzung der biologisch-medizinischen Forschung dem Nationalsozialismus als pseu- nes bösen Willens, der sich (in seiner
Sprache (Herder), B. als Fähigkeit, u. Therapie. Sie untersucht u. a. die dowissenschaftliche Absicherung des Bosheit) bejaht u. bei absolutem Vor-
zum Augenblick Distanz zu gewin- sittl. Problematik von i Abtreibung, Rassismus (i Diskriminierung). rang der Maximen der Selbstliebe
nen, u. damit als Voraussetzung je- Sterilisation u. Geburtenregelung, des radikalen B. (Kant), der Umkeh-
von i (Gen-) Manipulation, Ster- Lit.: L. v. Bertalanffy, Das biologische rung der sittl. Ordnung, fähig ist.
der Kulturleistung (Schopf!nhauer). Weltbild, Bern 1949; G. Ewald, Der
behilfelEuthanasie u. Humanexperi- Beide Begriffe des B. bezeichnen da-
biologisch-anthropologische Aufbau
Lit.: Platon, Charmides; Aristoteles, menten ( i medizinische E), auch den der Persönlichkeit, Stuttgart 1959; her einen Konflikt eines einzelnen,
Nikomach. E, Buch III, 13-15; Thomas i Tierschutz. 1. Fetscher, Der neue B., in: M. Kil'fel, sich selbst absolut setzenden Willens
v. Aquin, S. theol. 11-11, qu. 141; ders., O. Walter (Hrsg.), Die Rückkehr der mit einem bestimmten Guten. - Es ist
Quaestio disp. de virtutibus cardinali- Lit.: T. A. Shannon (Hrsg.), Bioethics, Führer, Wien/Zürich 1989, 221-224; das GrundprobJem der Theodizee
bus; D. S. Hutehinson, The Virtues of Mahwah N. J. 31987; L. Walters, Bi- E. O. Wilson, Biologie als Schicksal, (griech. theos: Gott; dike: Recht),
Aristoteles, London 1986; A. Gehlen, bliography of Bioethics, Detroit 1977 ff; Berlin 1980; P. Singer, The Expanding
Der Mensch, Bonn6 1958, S. 86. f; W. T. Reich (Hrsg.), Encyclopedia of wie es das B. geben könne, wenn es
Circ1e. Ethics and Sociobiology, Ox- i Gott gibt. Diese "Rechtfertigung
J. Pieper, Zucht u. Maß, Münc1ie't1·' Bioethics, 5 Bde., New York 21995; ford 1981; E. Voland, Grundriß der
81960; N. North, Sophrosyne. Self- T, L. Beauchamp, J. F. Childress, Prin- Soziobiologie, Stuttgart 1993. Gottes" durch menschliche Vernunft
Knowledge and Self-Restraint in Greek ciples of Biomedical Ethics, New YorkJ w. v. (Leibniz) geht von der apriorischen
Literature, Cornell Studies in Class. Oxford 31989; 0, HöHe, Sittl.-polit. Unvereinbarkeit des B. mit dem all-
Phi!. Bd. 35, 1966; N. Van der Ben, The Diskurse, Frankfurt/M. 1981, 3. T.; Böse, das. Das B. ist als Gegensatz mächtigen, allwissenden Gott aus u.
Charmides of Plato, Amsterdam 1985; P. Singer, Praktische E, Stuttgart 1984; zum i Guten das schlechthin Ver- sucht nach Erklärungsgründen in der
O. Höffe, Moral als Preis der Moderne, H. T. Engelhardt, The Foundations of
Frankfurt/M. 31995, Kap. 10-12. Bioethics, OxfOFdiNew York 1986; H.- werfliche. Da alles, was ist, gut ist i Schuld der Menschen u. der i Frei-
M.F. M. Sass (Hrsg.), B. in den USA, Berlin (Augustinus), hat der metaphysische heit des endlichen Geistes, Gott
u. a. 1988; M.-H, Parizean (Hrsg.), Les Begriff des B. keine Eigenwirklich- schafft jedoch durch das B. das Gute
Bestrafen i Belohnen u. Bestrafen, fondements de la bioethique, Brüssel keit. Das B. ist danach nicht nur die (Luther); das B. hebt sich aufgrund
Strafe. 1992;]. Harris, Wonderwoman and Su- Verneinung oder der Mangel des Gu- seiner inneren Widersprüchlichkeit
perman: The Ethics of Biotechl1ology, ten, sondern entweder dessen radika- selbst auf (Kant) oder verschwindet
Oxford 1992; J. Ach, A. Gaidt (Hrsg.),
Bildung i Erziehung.
Herausforderung der B., Stuttgart-Bad
ler Gegensatz (dualistischer Begriff als Übergangsphänomen des subjek-
des B.: j. S. Mill) oder innerhalb ei- tiven (Moralität) im objektiven Geist
Cannstatt 1993; R. M. Hare, Essays on
Billigkeit i Gerechtigkeit. Bioethics, Oxford 1993; J. Harris, Der ner universellen Harmonie des Guten (i Sittlichkeit: HegeI).
Wert des Lebens, Berlin 1995. O. H. aufgehoben (monistischer Begriff des Die Möglichkeit des B. ist als
Die Bioethik (gr. bios, Leben) ver- B.: Spinoza). Das B. setzt sich in sei- grundsätzliche Fehlbarkeit für das
steht sich als eine interdisziplinär an- Biologismus (griech. bios: Leben) ist ner dualistischen Auffassung der ra- Wesen des i Menschen kennzeich-
gelegte Überlebenswissenschaft, die eine i Ideologie, die die natürlichen dikalen Negation des Guten selbst nend: Er verfehlt in seinem Handeln
vor allem zwischen den Geistes- u. u. organischen Bedingungen des i Le- als bejahbares "Gutes", während es immer schon die Synthese von End-
den Natur- i Wissenschaften Brük- bens, seiner Entwicklung (i evolu- nach der monistischen Auslegung lichkeit u. Unendlichkeit. Diese "Dis-
ken schlagen will. Gerichtet gegen tionistische E, Soziobiologie) u. Er- lediglich eine Folge unvollständigen proportion" u. Urschwäche (P. Ri-
eine bloß instrumentelle Beziehung haltung als Basis der gesamten physi- menschlichen Wissens ist, das, wäre cceur) macht ihn zum B. fähig. Hin-
zur i Natur, befaßt sie sich mit den schen u. geistigen Wirklichkeit des es vollkommen, keinen Begriff des ter diese Fähigkeit läßt sich das B.
wirtschaftlichen, gesellschaftlichen, i Menschen u. der i Gesellschaft be- B. kennen würde. Als moralischer nicht zurückverfolgen; es ist seinem
politischen, auch kulturellen Voraus- trachtet. Der B.leitet von den biologi- Begriff wird das B. an einem be- Ursprung nach llnaufklärbar. Das
T
Brauch 30 31 Buddhistische Ethik

Faktum des B. kann aus der Schwä- Kant, Kritik der praktischen Vernunft, gefaßt in den "Vier heiligen Wahr- von Meistern geübten Kontempla-
che des Menschen nur hervorgehen, A 101-126; ders., Die Religion inner- heiten": (1) Alles t Leben ist unab·, tion.
weil es im Handeln von ihm gesetzt halb der Grenzen der bloßen Vernunft, lässigem Leiden unterworfen, das die Letztes Ziel des heiligen Pfades ist
1.-3. Stück; G. W. F. Hegel, Rechtsphi- t Freuden so weit überwiegt, daß es
wird. Die Fähigkeit u. das Faktum das Nirwana (Sanskrit: das Verwe-
losophie, Das Gute u. das Gewissen; S.
des B. werden von der E, die eine Kierkegaard, Der Begriff Angst, Kap. 4; besser wäre, niemals geboren zu hen): die Erleuchtung u. Erlösung als
süd. t Erziehung des Menschen for- J. S. Mill, Three Essays on Religion, sein. (2) Ursprung des Leidens sind vollständiges Aufhören aller Leiden-
dert, vora usgesetzt. Im Übergang London 1875, S. 186 ff; B. Welte, Über die t Leidenschaften (die Begierde schaften, jedes Lebenstriebes. Es ist
von der Möglichkeit zur Wirklichkeit das B., Freiburg 1959; K. Lorenz, Das nach Lust, der t Wille zum t Le- ein Zustand, den der Heilige durch
des B., zur willentlichen Verfehlung, sogenannte B., Wien 1963, Abschn. 3; ben). (3) Die Befreiung von den Lei- stufenweise Vernichtung der Kar-
liegt der Grund menschlicher Schuld. ]. Hick, Evil and the God of Love, denschaften hebt alles Leiden auf. dinallaster Haß, Gier u. Wahn u.
Die t christliche E versteht daher die London 21970, Teil I; P. Ricceur, Sym- (4) Der Weg zur Aufhebung des Lei- damit verbunden der Komponenten
bolik des B., Freiburg/München 1971, dens ist der "heilige, achtfache
Sünde nicht als unumgäng;liches Fak- von Individualität erlangt, so daß
Teil I, Kap. 2, 3; A. Plantinga, God,
tum, sondern als frei gewählte u. zu Freedom and Evil, London 1975; Pfad". Er zeigt, wie man sich durch keine Wiedergeburt in einer indi-
verantwortende willentliche Ableh- A. Görres, K. Rahner, Das B., Freiburg t sittl. Selbst- t Erziehung nach u. viduellen Existenz mehr möglich (u.
nung des Guten. Auch als Verzweif- 1982; eh. Schulte, Radikal B., Mün- nach von allen Trieben u. Illusionen notwendig) ist. Vom Standpunkt
lung u. Angst vor dem B. (Kierke- chen 1988; Die Philosophie vor der freimacht: rechte Anschauung des weltlichen Menschen ist das
gaard) ist die Sünde ein Nein des Herausforderung des B.n, Studia philo- (gemäß den Lehren Buddhas), rechte Nirwana ein Nichts. Wer es aber er-
Willens zu Gott, der diese Schuld sophica, Bd. 52, Basel 1993; A. Schul- Gesinnung, rechtes Reden, rechtes reicht hat, empfindet es als eine un-
durch seinen Tod u. seine Aufer'?t@~-, ler, W. v. Rahden (Hrsg.), Die andere t Handeln, rechtes Lebens, rechtes sagbare, überweltliche Wonne: als die
Kraft. Zur Renaissance des B.n, Berlin t Streben (als beständige geistige
hung überwindet. 1993; C. eolpe, W.Schmidt-Biggemann schlechthin vollendete Stufe von
Im Unterschied zum sittL B. ist das (Hrsg.), Das B., Frankfurt/M. 1993; Wachsamkeit), rechtes Denken u. i Glück u. i Frieden.' Für die eine
Übel nicht von Willen oder sitt!. Ent- O. HöHe, A. Pieper (Hrsg.), F. W. ]. rechtes Sichversenken. Der heilige Richtung des Buddhismus, den
scheidungen abhängig, sondern auf Schelling, Über das Wesen der mensch- Pfad enthält sitt\. Grundhaltnngen Hinayana ("kleines Fahrzeug" für
Empfindungen von Unlust, Schmerz lichen Freiheit, Berlin 1995, Kap. 1 u. (t Tugenden), keine detaillierten den Weg zur Erleuchtu,ng), liegt das
u. Mangel bezogen. Übel können als 4-7. W. V. Vorschriften u. ist so für die indivi- Nirwana in der Abkehr von der
Folgen von Handlungen aus Unwis- duell u. soziokulturell wechselnden Welt. Der Mahayana ("großes Fahr-
senheit oder unter äußerem Zwang
Brauch t Moral u. Sitte. Umstände des Lebens offen. Er gilt zeug") hält dagegen mindestens gele-
durch Überlegung u. das Wissen um Brüderlichkeit t Wohlwollen. seit Buddha als der "Mittlere Weg" gentlich ein Nirwana, das "dem
die Umstände u. den Zweck des zwischen den beiden Extremen: der Verlöschen einer Lampe gleicht",
Handeins gemildert oder vermieden Buddhistische Ethik. Die im Bud- Hingabe an die weltlichen, sinnli- nur für eine niedere Form. Die wahre
werden (Aristoteles). - Als reparable dhismus (Buddha, Sanskrit: der Er- chen Leidenschaften u. Freuden ei- höchste Form ist keine negative Hal-
Entartungserscheinung in der Natur- wachte, der Erleuchtete; Ehrentitel nerseits u. der an die Selbstabtötung, tung der Weltentsagung, sondern die
geschichte der menschlichen Aggres- des Stifters Siddharta, genannt Go- die asketischen Freuden andererseits. dynamische u. aktive der Weltüber-
sion (t Gewalt) betrachtet die Ver- tama) enthaltene tE stellt weder ei- Besondere Bedeutung I kommt der legenheit, in der ein Heiliger - für
haltensforschung (K. Lorenz) das B. ne systematische Moralphilosophie Meditation ( t Spiritualität) zu, über alle Zeit von Nichtwissen, leiden-
Sie reduziert damit das B. auf ein bio- noch eine göttliche Offenbarung, deren verschiedene "Techniken" und schaft u. Leid frei - unter Auf-
logisches u. psychisches Phänomen. vielmehr den Weg zur Erleuchtnng Stufen detaillierte Anweisungen u. opferung u. Selbstverleugnung be-
Dabei bleibt unklar, in welchem Sinn dar (als der endgültigen und voll- Beschreibungen vorliegen. Für den ständig für das Wohl aller Lebewe-
der Mensch für das B., das er tut, ständigen t Freiheit von allen Fes- Zent-Buddhismus) (japan.: Selbstver- sen arbeitet: Grundprinzip u. Ideal
moralisch t verantwortlich ist. seln u. t Leiden des weltlichen, weil senkung), eine Aufnahme des chine- der b. E ist die Entwicklung einer
t individuellen Lebens), gelehrt von sischen Chan-Buddhismus, besteht Haltung des Mitleids oder t Wohl-
Lit.: Aristote1es, Nikom. E, Buch III; B. dem, der diesen Weg gegangen ist. sie im wesentlichen in der Übung der wollens, der (Nächsten-) i Liebe u.
de Spinoza, Die E, Teil I; G. W. Leib- Ausgangspunkt der b. E ist der in einer bestimmten Sitzhaltung vor- i Freundschaft zu allem Lebendigen,
niz, Die Theodizee, Hamburg 21968; I. Grundsatz vom Leiden, zusammen- genonunenen, unter der Anleitung die keinen verletzt, beleidigt, verach-
Bürgerliche Gesellschaft 32 33 Chinesische Ethik

tet usw. Diese Haltung wird verstan- nen Menschen, die deshalb keine Bürgertugend i Freundschaft, Ge- kulturelle Errungenschaften u, for-
den als Erweiterung der Grenzen sei- Selbständigkeit beanspruchen, kein meinsinn. dert weder dessen Nicht-Handeln
nes Selbst durch Niederreißen der genuines Selbst, noch ein wirklichkeitsfremdes einfa-
Grenzen zwischen sich u. anderen. ches Lehen, sondern - vor allem für
Lit,: H, V. Glasenapp, Entwicklungs- C
Man gewinnt sie vor allem durch stufen des indischen Denkens. Untersu- den Herrscher - den edlen, "voll-
Meditation. Aufgrund der meditati- chungen über die Philosophie der Brah- kommenen Menschen", der den
ven Auflösung der individuellen Exi-
Chancengleichheit i Erziehung, sozialen Schichten adäquat, d. h.
manen u, Buddhisten, Halle 1940; Gleichheit,
stenz in die sie konstituierenden Kom- T. Shcherbatsky, The Central Concep- menschlich u, gerecht handelt. Güte,
ponenten wird man vom Begriff des tion of Buddhism and the Meaning of Charakter i Tugend. i Menschlichkeit (ren), Pflichterfül-
Ego frei u. schrittweise zur schließ- the Word "dharma", London 1923, lung (yi), Loyalität (zhong) etc. sol-
lich grenzenlosen, alle Menschen, Nachdr. Kalkutta 1961; C. Regamey, Chiliasmus i Utopie. len auf dem Weg der sitt!. Ordnung
B. Philosophie, München 1950; K. E.
selbst alle Lebewesen umfassenden als der einzigen Möglichkeit der
Neumann,DieReden Gotamo Buddhas,
Ausdehnung des Selbst geführt. Chinesische Ethik faßt - unter dem Selbstentfaltung geübt werden. Kon-
3 Bde" Zürich-Wien 1956-1957;
Während sich der heilige Pfad vor E. Zücher, The Buddhist Conquest of generellen Vorbehalt der noch aus- fuzius wünscht eine i Gesellschaft,
allem an den Mönch wendet, fordert China, Leiden 1959; E. Conze (Hrsg.), stehenden Klärung ostasiatischen die von tugendhaften Menschen re-
die b. E vom "Laien" die Beachtung Im Zeichen Buddhas (b. Texte), Frank- Denkens - jene e Richtungen zu- giert wird, Er glaubt aber nicht an
von fünf Verboten: nicht zu töten, furt/M.lHamburg 1957; E, Conze, Der sammen, die in China schon vor dem die vollkommene Beseitigung des
nicht zu stehlen, nicht zu lügen, kei- Buddhismus, Stuttgart u, a. 61977; Einflug der i buddhistischen E exi- i Bösen, sondern an dessen Kon-
nen unerlaubten Geschlechtsverk~1u:_, Buddha, Reden, Aus dem Palikanon, stierten. Es handelt sich vor allem trollierbarkeit, an die Macht sittL
auszuüben u, keine berauschenden Stuttgart 21971; H. Dumoulin (Hrsg.), um drei, durchaus gegensätzliche u. Überzeugung u, Überredung, aber
Buddhismus der Gegenwart, Frei-
Getränke zu genießen. Als Grundkri- burgIB. 1970; ders., Begegnung mit dem auch in sich nicht etwa homogene, nicht durch fa, Gesetz ( i Recht) u.
terium des sittL richtigen Verhaltens Buddhismus, FreiburgIB. u. a. 1978; D. teils (kultisch-)religiös, teils philoso- i Strafe, sondern durch Sitte (ltJ u.
kennt die b, E auch die i Goldene T. Suzuki, Die große Befreiung, Einfüh- phisch, teils lebenspraktisch be- vorgelebtes Beispiel. Der Konfuzia-
RegeL - Die b. E lehnt den in der rung in den Zen-Buddhismus, Darm- stimmte Schulen: (1) 'Der Konfuzia- nismus, vor allem seine i standes-e
i hinduistischen E gelehrten Vor- stadt 71976; H. Nakamura, The Basic nismus (rujia) beruft sich auf Kon- Festigung der Familienstruktur u, der
rang der Brahmanen u, überhaupt Teachings of Buddhism, in: H. Dumou- fuzius (Kong zi, 551---479 v, Chr.) absoluten Monarchie, wurde seit Be-
das Kastenwesen als göttliche Insti- lin u. a, (Hrsg.), Buddhism in the Mo- und hat als weitere Hauptvertreter ginn des 20, Jahrhunderts u, ver-
dernWorld, New YorkiLondon 1976; Meng zi (ca. 372-289 v, Chr.) und
tution ab, Die Mönchsorden kennen stärkt durch den chinesischen Kom-
H. Dumoulin, Der Erleuchtungsweg des
deshalb keine Kastenunterschiede. Zen im Buddhismus, Frankfurt/M, Xun zi (ca, 325-238 v, Chr.), (2) Der munismus für die politische, wissen-
Gleichwohl zielt die b. E nicht auf 1976; G. Szczesny, Die eine Botschaft Daoismus, vorher Taoismus, (daofia) schaftliche u. soziale Rückständig-
Gesellschaftsreform, sondern nur auf u, die vielen Wege, Reinbek 1978; Pfad wird auf Lao zi (traditionell: 6. Jh. keit Chinas verantwortlich gemacht,
die persönliche Vollkommenheit, die zur Erleuchtung, b, Grundtexte, Düs- v, Chr.) und den ihm zugeschriebe- Grundelemente konfuzianischen Den-
Erleuchtung, ab. seidorflKöln 1978; H. Saddhatisa, Bud- nen Text Daodejing zurückgeführt u. kens behaupten sich nicht nur in
Wie in der i hinduistischen E so dhist Ethics, London 1987; R, Aitken, von Zhuang zi (ca. 369-286 v.Chr.) China und Taiwan, sondern auch in
spielen auch in der b, E die Begriffe Ethik des Zen, München 1989; R, A. fortgeführt. (3) Der Legismus oder Japan, Korea und südostasiatischen
Mall, Buddhismus - Religion der Post- auch Legalismus (fajia) mit den Staaten,
des Dharma, des Gesetzes vom rech-
moderne?, Hildesheim 1990; H. Cheng,
ten Leben, und des Karma, der Ver- Exploring Zen, New York 1991; Hauptvertretern Shang Yang (ca. (2) Im daoistischen Denken heißt
geltung der Taten, eine große Rolle, D, Keown, The Nature of Buddhist 390-:?38 v, Chr.) und Han Fei (ca. dao nicht nur der Weg, der ein Ein-
In der b, E ist das Dharma seinerseits Ethics, Londol1 1991; E. Frauwallner, 280-233 v. Chr.). treten in eine umfassende Ordnung
deren Werden u, Vergehen unter- Die Philosophie des Buddhismus, Berlin (1) Konfuzianisches Denken er- ermöglicht, sondern auch das eine
worfen, Die Kombination auf fünf 41994. O. H. strebt eine Veränderung der Welt unveränderliche, "methaphysische"
Faktoren: Körper, Empfindung, Un- zum Guten durch sittl. Prinzipien u. Prinzip der Erschaffung u. ständigen
terscheidungsvermögen, Begehren u. Bürgerliche Gesellschaft i Gesell- einen edlen Herrscher. Es wendet Formung der Welt u, des Kosmos,
Bewußtsein, ergeben die verschiede- schaft. sich nicht wie der Daoismus gegen Für den Daoismus gilt der Grund-

I
j
Chinesische Ethik 34 35 Christliche Ethik

satz, daß es in der Natur nichts gibt, eingreift. Der Daoismus verbindet recht verstanden wird. Sie sucht mit- 1987; A. C. Graham, Disputers of the
was nicht schon vollkommen wäre, damit eine t SozialE, die Luxus auf tels drakonischer Strafen selbst für Tao, Open Court, La SaUe 1989; R. L.
wenngleich es sich auch in Wand- seiten der Mächtigen bei gleichzeiti- kleine Vergehen jederart Regelver- Taytor, The Religious Dimensions of
lung befindet. Auf dieser Basis gerät ger Armut des Volkes verurteilt und Confucianism, New York 1990; S. Krie-
stoß zu verhindern und durch viel- ger, R. Trauzettel (Hrsg.), Konfuzianis-
der t Mensch aber häufig mit seinen darüber hinaus viele zivilisatorische fältige Standards eine Gesellschaft zu mus und die Modernisierung Chinas,
Zielen und selbstsüchtigem Handeln und kulturelle Errungenschaften als konditionieren, die, kontrolliert vom Mainz 1990; H. Roetz, Ethik der Ach-
in Gegensatz zu dieser Ordnung. Für Entfremdungsphänomene kritisiert. Herrscher als einem uneingeschränk- senzeit, Frankfurt/M. 1992; ders., Kon-
westliches Denken sieht die sich dar- Nach dem religiösen Daoismus ten Machtzentrum, fast automatisch fuzius, München 1995; I. Robinet, Ge-
aus ergebende Konsequenz - als die (daojiao) gewinnt Unsterblichkeit, funktionieren soll (legistisches Han- schichte des Taoismus, München 1995;
höchste sittt Maxime - wie ein Ver- wer über die spirituellen hinaus auch deln ist im Sinne des daoistischen wu M. Kaltenmark, Lao-Tzu u. der Taois-
zicht auf die der natürlichen Ord- bestimmte körperliche Übungen, wei gedacht). Der Legismus knüpft mus, Frankfurt/M. 1996. O. H./W. V.
nung zuwiderlaufende Individualität, Diätvorschriften oder auch alchimi- an konfuzianisches und daoistisches
eigenes Wünschen u. Handeln aus. stische Rezeption gewissenhaft beach- Denken an, indem er fa als Gegen- Christliche Ethik stellt insofern eine
Das einschlägige wu wei ("Nicht- tet. t Glück ist aber primär durch konzept zu li (Ritus, tSitte) bildet problematische Begriffsverbindung
Handeln") wird von Zhuang zi aber Einklang mit der inneren und kosmi- und dao (Weg) vorrangig als Weise dar, als einerseits in der Geschichte
durch ein Beispiel erläutert: Ein schen äußeren Ordnung, einer inter- des Herrschens interpretiert. des Christentums auftretende ratio-
Metzger zerteilt ein Tier derart ge- esselosen Lebendigkeit, erreichbar. nale Analysen, Argumentationen u.
nau an den richtigen Stellen, daß es Interessanterweise zählt das Daode- Lit.: J. Legge (Hrsg.), The Chinese Theorien bezüglich des sittl. u. ge-
wie von selbst zerfällt. Es ist eJ~o jing traditionell auch zu den militär- Classics, 4 Bde., Oxford 1893 ff; Shang glückten Lebens weder methodisch
nichr Passivität gemeint, sondern d~i' strategischen Schriften; Kampfsport- Yang, The Book of Lord Shang, noch inhaltlich etwas genuin Christ-
Einsatz einer Persönlichkeit, die ohne arten bzw. Formen der Selbstvertei- London 1928; R. Wilhelm (Hrsg.), liches enthalten, als zum anderen spe-
unnötige Kraftanstrengung und durch digung wie Judo (chin.: roudao), Dschuang Dsi. Das wahre Buch vom zifisch christI. Momente in den Auf-
ein Eintreten in die bestehende Ord- Gongfu u. Taijiquan haben daoisti- südlichen Blütenland, Köln 1979; ders. fassungen über Bedingungen, Mittel
nung ans Ziel kommt: Wo man die sehen Hintergrund. Letztlich lassen (Hrsg.), Li Gi. Das Buch der Riten, Sit- u. Ziele des guten Lebens wie der
richtigen Voraussetzungen oder Kon- sich philosophischer und religiöser ten u. Gebräuche, Köln 1981; ders. Methodik ihrer Erkenntnis sich dem
(Hrsg.), Mong Dsi. Die Lehrgespräche
texte schafft, tritt der Handelnde zu- Daoismus nicht scharf voneinander des Meister Meng K'o, Köln 1982; philosophischen Anspruch auf rein
gunsten der Handlung in den Hin- trennen; sie bilden vielfältigste E. Schwarz (Hrsg.), Konfuzins. Gesprä- rationale t Begründung entziehen.
tergrund. Wer das entsprechende Mischformen aus. - Wie alles tradi- che des Meisters Kung (Lun YÜ), Mün- (a) Die t Sittlichkeit des Alten wie
Ideal erreicht hat, kann die sittl. tionelle Denken (mit Ausnahme des chen 1985; J. Knoblock (Übers.), Xun- des Neuen Testaments versteht sich
t Tugenden erfüllen: frei von Ruhm, Legismus) und alle Formen der Re- zi. A Translation and Study of the Com- als gläubig-praktische Antwort des
Selbstsucht u. t Gewalt "richtig" zu ligionsausübung wurde auch der plete Works, Vol. 1-3, Stanford 1988- Menschen auf den verpflichtenden
handeln. Hinsichtlich der staatlichen Daoismus während der chinesischen 94; W. Mögling, Die Kunst der Staats- göttlichen Anspruch. Legitimations-
t Herrschaft gibt es im Daoismus führung. Die Schriften des Meisters Han
Kulturrevolution (1966-1976) un- grund der i Normen u. Verhaltens-
Fei, Leipzig 1994; H. G. Möller (Hrsg.),
zwei Momente: einerseits den anar- terdrückt, wobei insbesondere das Laotse, Tao te king. Nach den Seiden- regeln ist die Heiligkeit u. Allmacht
chistischen Gedanken einer Ableh- Moment der Opposition gegen die texten von Mawangdu~ FrankfurtiM des Gottes, das Ziel des sittJ. Lebens
nung jeglicher t Herrschaft und an- etablierte Regierung und die Veran- 1995; H. Maspero, Taoism and Chi- die beglückende Partizipation des
dererseits das Laissez-faire-Prinzip kerung des Daoismus in breiten nese Religion, Amherst 1981; K. Schip- Menschen am Heil, das i Gott selbst
der Herrschaft, das die Gesellschaft Volksschichten eine Rolle gespielt per, Le Corps taoiste, Paris 1982; Jean ist u. er allein zu verleihen vermag.
gerne in einem unzivilisierten Urzu- haben wird. Levi, Dangers du discours, Aix-en-Pro- Das biblische Ethos preist nicht den
stand sähe, mit einem "Heiligen" als (3) Das Denken der fa;ia, des Le- vence 1985; B. Schwartz, The World of trefflichen Menschen u. den Weg
Thought in Ancient China, Cambridge
Herrscher, der (ähnlich dem konfu- gismus, ist eine unmittelbar aus der
1985; A. C. Graham, Studies in Chinese
selbstrnächtiger t Tugend (dies wäre
zianischen Denken) durch Weisheit Regierungspraxis entspringende po- Philosophy and Philosophical Litera- Hochmut); es rühmt die Heiligkeit,
u. Vollkommenheit die Gesellschaft litische Lehre. Ihr Zentralbegriff ist il ture, Singapure 1986; D. Hall, R. Ames, Macht, t Gerechtigkeit, t Liebe u.
ordnet, aber selbst möglichst wenig fa, positives t Recht, das als Straf- Thinking through Confucius, Albany das Erbarmen des Herrn, der seine

1
,~".1
Christliche Ethik 36 37 Christliche Ethik

Herrlichkeit im Tun des gehorsamen genden der Achtung, Billigkeit, Ge- Verderbnis des Menschen unter der gegensieht, in sittl. Weltverhalten tä-
Volkes bzw. von einzelnen offenbart. rechtigkeit u. i Freundschaft (v. a. Herrschaft dämonischer Mächte ist. tig mitzugestalten. So hat die Refor-
Christl. Moral ist theonom u. theo- im Gebot der Feindesliebe Mat- Ist konkrete Sünde so Resultat freier mation keine einheitliche systema-
zentrisch (i theologische E). Im thäus 5, 44ff) iiberbietet, Diese persönlicher Wahl, so sieht c. E sie tische E, aber immer wieder Spielar-
Glauben an die historische Person i Liebe, die sich in die Teiltugenden zudem als Aktualisierung eines vor- ten eines sozial u, politisch eminent
Jesus als den gottgesandten Christus der Geduld, der Sanftmut, der Barm- gegebenen sündhaften Habitus (Erb- wirksamen Ethos entwickelt: z. B. im
gewinnt sie das Paradigma eines herzigkeit, der Friedfertigkeit, der sünde), der durch die Verfehlung Calvinismus englischer Prägung (Pu-
gottgefälligen Lebens, das zur Nach- Gelassenheit im Unrechtleiden u. des Adams auf alle Nachkommen über- ritanismus) mit seiner eigenartigen
folge verpflichtet ( Vorhild-E). Seine sich verschwendenden Einsatzes für geht und nur durch den (gnaden- Verschränkung von Bewährung des
sittl. Botschaft findet sich im Neuen andere gliedert (Matthäus 5), schafft haften) Glauben an die Erlösung Glaubens in einem asketischen Leben
Testament in Weisungen u. Parabeln, befreiende Gemeinschaft mit dem durch Christus aufgehoben werden u. energischer Weltgestaltung, oder
in i Tugend-, Lasterkaütlogen u. zum Sünder gewordenen Mitmen- kann (vgl. Paulus, Röm 5, 12ff). im Pietismus, der die Pflege gläubi-
Haustafeln ausgedrückt, Sieht man schen u. läßt sich nicht mit Mitteln In der Interpretation dieser Sünd- ger Innerlichkeit mit einem tätigen
von deren Verschränkung mit der der ,Weisheit dieser Welt', sondern haftigkeit des nichterlösten Men- Christentum verbindet.
endzeitlichen Naherwartung ab, der- nur in der gnadenhaft gläubigen schen unterscheiden sich die Kirchen. Auf der Basis der Unterscheidung
zufolge viele radikale Forderungen Teilha be am endzeitlichen Heilswerk Während der Protestantismus dieses von Natur u. Übernatur u. ihrer te-
Jesu wie der urchristlichen Gemein- Christi verstehen u. realisieren. vorgängige Sein in der Sünde als freie leologischen Beziehung in der Gna-
den als zeitbedingte Mahnungen an- (b) Das Ausbleiben der Parusie Urtat des je eigenen Willens ansieht, denlehre (die Gnade setzt die Natur
gesichts des drohenden Gerichts q)." machte den Schritt der urchristl. Ge- der gleichwohl nicht das Bleiben in voraus u. vollendet sie) kann die ka-
als Einlaßbedingungen für die nahe meinden der Heiligen in die profane Gottes Willen u. das Zurückkehren tholische i Moraltheologie eine von
Gottesherrschaft verstanden werden Geschichte notwendig. In der all- in ihn als eigene Wahlmöglichkeit den heilsgeschichtlichen Dogmen
müssen, so enthält sie wenig für das mählichen Übernahme von Theorien besitzt, betrifft im katholischen Ver- relativ unabhängige allgemeine E
Christentum Spezielles u. findet sich stoischer (etwa durch Clemens ständnis die Erbsünde substantiell entwickeln (bestehend v. a. aus stoi-
z, T. auch im hellenistischen Juden- v. Alexandria), neuplatonischer (Ire- nur die übernatürliche, nicht aber die schem i Naturrecht u. aristoteli-
tum u. in der hellenistischen Popular- näus, Augustinus) u. aristotelischer natürliche Konstitution des Men- scher Tugendlehre), die durch die
philosophie, Verallgemeinernd kann (Albertus Magnus, Thomas v. Aquin) schen. Für die protestantischen Kir- theologischen Theoreme der Heilsta-
gesagt werden, daß Jesus vor allem E dokumentiert sich das Ringen des chen stellt somit die Konfrontation, ten Gottes in Christus u. seiner Kir-
in den in der Bergpredigt gesammel- Christentums um eine Synthese von in der sich die eschatologisch erfaßte che nicht außer Geltung gesetzt,
ten Weisungen (Matthäus 5 ff; Lu- natürlichem Moralgesetz u. Evange- Person des Christgläubigen u. der in sondern positiv überhöht wird. In
kas 6) einerseits die alttestamentli- lium. Die Grundprobleme dieser c. E der profanen Welt lebende mündige diesem Sinn wird selbst dem ,Hei-
chen Gebote des Dekalogs (Exodus konzentrieren sich auf die Bestim- Mensch befindet, ein schwer lösbares den', der sich nicht bewußt u. wil-
20, i jüdische E) als Zusanunenfas- mung des Verhältnisses von Natur u. Problem dar. Die reformatorische lentlich der Gnade des Glaubens ver-
sung des Gotteswillens anerkennt Übernatur, von Sünde u. Erlösung, Absicht, sich nicht von einem gesetz- schließt, die wenn auch erschwerte
(Markus 10, 17-19), andererseits je- VOn i Freiheit u. Gnade. Im Gegen- lichen Denken, sondern allein von Möglichkeit eines guten Lebens u.
doch universalisiert, radikalisiert u. satz zur klassischen griechischen Auf- der Heilsbotschaft in Christus leiten eine (denkbare) natürliche Glückse-
verinnerlicht. Entscheidend wird das fassung, die sittl. Verfehlung als Irr- zu lassen (sola fide, sola scriptura), ligkeit im Jenseits zugestanden. Im
Doppelgebot der Gottes- u, Näch- tum bzw. Schwäche der i Vernunft versteht das jeweilige Handeln Got- Ausgang von einet rationalen, na-
stenliebe (Markus 12, 28 ff; Mat- gegenüber der t Leidenschaft be- tes als das Gebot, das je neu zu hö- türlichen E. beinhaltet dann die Mo-
thäus 21, 37ff), das sowohl seiner stimmt, versteht das Christentum im ren sei u. sich nicht auf anthropolo- raltheologie die Lehre von den reli-
(teilweisen) partikular-völkischen Be- Anschluß an alttestamentliche Ge- gische u. geschöpfliche Vorbedingun- giös-sittl. Verpflichtungen des durch
grenzung im Alten Testament (Le- danken die Sünde als freies Wollen gen stützt. Gleichwohl gilt es, das in die Taufe zum übernatürlichen Sein
viticus 19, 18; Deuteronomium 15, des i Bösen, als bewußte Auflehnung Christus bereits angebrochene Reich erhobenen Menschen. Die Aufgabe
2ff; 23, 20; Psalm 137) entledigt gegen Gott u. seine Schöpfungsord- Gottes, das in seiner erwarteten der Bewahrung u. Vermehrung der
wird als auch die ,heidnischen' Tu- nung, deren Folge die schuldhafte Wiederkunft seiner Vollendung ent- empfangenen Rechtfertigung erfüllt
Christliche Tugenden 38 39 Darwinismus

sich in der Pflege des Glaubens (u. 91959, Bd. III 101961; Max Weber, Die ßeren Sinne zu einer einheitlichen an spätantike Vorstellungen bei Vico
der Erfüllung kultischer Obligatio- protestantische E, 2 Ede Hamburg Gegenstandswahrnehmung vereint u. Shaftesbury, vor allem aber
nen), der t Hoffnung u. der tätigen 31973; D. Boohoeffer, E, München (so auch bei Thomas v. Aquin, Sum- präsent im frz. bon sens): der C. S.
31956; I-I. van Oyen, Evangelische E,
christi. Liebe. Neben der E von den 2 Bde, Basel 1952-1957; B. Häring, ma theol. I, q 1a 3 u. q 78a 4). Die- als t "Gemeinsinn" ist natürliche
notwendigen Anforderungen christI. Das Gesetz Christi, Freiburg 61961; ser psychologisch-erkenntnistheoreti- Quelle der Erkenntnis des dem Ge-
Existenz tritt schließlich noch jene R. Schnackenburg, Die sittliche Bot- sche Sinn des Wortes schwingt heute meinwesen Nützlichen wie Ursache
eines vollkommenen Status, für den schaft des Neuen Testaments, München nur noch insofern nach, als die Beru- gesellig-gesellschaftlichen Verhaltens.
die evangelischen Räte der Armut, 21962; E. Neuhäusler, Anspruch u. fung auf den C. S. sich in der Regel (d) Das deutsche Wort "gesunder
des Gehorsams u. der Keuschheit Antwort Gottes, Düsseldorf 1962; r. T. gegen erkenntnistheoretische Skepsis Menschenverstand" hat, zumindest
konstitutiv sind (Matthäus 19, 12; Ramsey (Hrsg.), Christiao Ethics and wie gegen übertriebene Spekulation seit Kant, gleichfalls eine primär
19, 21; Thomas v. Aquin, Summa Contemporary Philosophy, London richtet: die Erkenntnis der Welt praktische Bedeutung; es meint (im
1966; A. Auer, Autonome Moral u.
theo!. I-lI, q. 100a 2; -q 108a 4; christ!. Glaube, Düsscldorf 1971; durch die Sinne ist über alle theoreti- Gegensatz zur reinen Theorie) ein-
Summa c. gent. III, 30) u. in dem die F. Söckle, Fundamentalmoral, Mün- schen Probleme erhaben u. praktisch mal ein der Regeln Kundigsein in
Radikalität der eschatologischen Je- chen 1977; W. Kluxen, Philosophische legitimiert. (b) Die heute vorherr- Fällen der Anwendung, den Besitz
sus-E aufbewahrt bleibt. Seit der in- E bei Thomas v. Aquin, Hamburg schende Bedeutung von C. S. meint angemessener Begriffe "zum Zwecke
dustriellen Revolution u. der Eman- 21980; Handbuch der c. E., 3 Bde; G. den "gesunden Sinn" überhaupt, der ihres Gebrauchs" (Anthropologie
zipation des vierten Standes, die die E. M. Anscombe, Ethics, Religion and sich als theoretische u. praktische § 41), zum anderen die (unreflek-
Kirchen in einem verhängnisvollen Politics, Coll. Phi!. Pap. III, Oxford Urteilskraft im normalen Verstehen tierte, aber gesunde) sitd. Urteilsfä-
Bündnis mit bestehenden Staats"'-~ll. 1981; E. Schockenhoff, Bonum homi- higkeit des gemeinen Mannes
von u. im praktischen Umgang mit
nis. Die anthropol u. theolog. Grundla-
Gesellschaftsformen vorfanden, be-~-' Alltagsangelegenheiten dokumen- (Grund!. z. Metaph. d. Sitt., Abschn.
gen der TugendE des Thomas v. Aquin,
sinnt sich der Katholizismus schließ- Mainz 1987; J. Rohls, Geschichte der tiert: ein Sinn für das konkret Gege- 1). Der gesunde Menschenverstand
lich wieder im Anschluß an Thomas E, Tübingen 1991; O. Höffe, Moral als bene, das je Machbare, das sitt!. Ge- ist brauchbar bei Urteilen, "die in
v. Aquin auf Probleme einer christI. Preis der Moderne, Frankfurt/M. botene, der gleichsam instinktiv u. ex der Erfahrung unmittelbar Anwen-
t SozialE. In entsprechenden Enzy- 31995, Kap. 12.2; ders. Vernunft u. tempore arbeitet u. deshalb durch ein dung finden", nicht jedoch in Fragen
kliken der Päpste werden jene Nor- Recht, Frankfurt/M., Kap. 4: Christen- Wissen aus allgemeinen Prinzipien der t Wissenschaft (Prolegomena,
men entfaltet, die in allen Gesell- tum u. Menschenrechte. M. F. nicht ersetzbar ist (t Klugheit). Eine Vorrede).
schaftsformen verpflichtende Gültig- Christliche Tugenden i Christliche zentrale systematis'che Funktion er-
keit besitzen: der einzelne ist für das hielt der Begriff in der C. S.-Philo- Lit.: G. B. Vico, De nostri temporis
E, Tugend. studiorum ratione; A. Shaftesbury, Sen-
t Gemeinwohl u. die Gemeinschaft sophie der Schottischen Schule (Th.
SllS Communis; Th. Reid, An Inquiry
für das Wohl des einzelnen verant- Common Sense (Jat. sensus commu- Reid, D. Steward, J. Beattie u.a.): into the Human Mind on the Principles
wortlich (das Solidaritätsprinzip); nis, frz. sens commun, bon sens, dt. der C. S. als Quelle ursprünglicher u. of C. S.; G. E. Moore, Eine Verteidi-
was das t Individuum oder die un- Gemeinsinn, gesunder Menschenver- natürlicher Urteile bezüglich funda- gung des C. 5., Frankfurt/M. 1969;
tergeordnete Gruppe zu leisten ver- stand) benennt ein Urteilsvermögen, mentaler Lebensfragen (Existenz N.Isaacs, The Foundations of C.S.,
mag, soll von der übergeordneten das ohne Hilfe von Verstandesargu- i Gottes, Unsterblichkeit der i Seele, London 1949; S. A. Grave, The Scot-
Gemeinschaft unterstützt, aber nicht menten u. Vernunftschlüssen, im Aus- Existenz der Außenwelt etc.) u. als tish Philosophy of C. 5., Oxford 1960;
selbst erledigt werden (t Subsidiari- gang von Sinneserfahrung, Alltags- Berufungsinstanz gegen philosophi- H. G. Gadamer, Wahrheit u. Methode,
tätsprinzip). Kern dieser SozialE ist praxis u. unmittelbarem sitt!. Emp- sche Skepsis u. Spekulation. Diese Tübingen 21965, S. 16 H. M. F.
die Vermittlung kollektivistischer u. finden, Einsichten über lebensrele- Tradition reicht von der griechischen
individualistischer Antithesen. - Vgl. vante Probleme vermittelt. (a) Das Popularphilosophie u. der römischen
t anthropozentrisches u. biozentri- lat. Wort sensus communis geht zu- Klassik (Cicero) über die Schotten D
sches Denken. rück auf die (vermeintlich) aristoteli- bis in die analytische Philosophie der
sche Konzeption eines Gemeinsinnes Gegenwart (G. E. Moore). (c) Die Dankbarkeit t Wohlwollen.
Lit.: J. Mausbach,
G. Ermecke, Katho- (koineaisthesis:Deanima 425 a 14 ff), dritte Bedeutung ist spezifisch e bzw.
lische Moraltheologie, Münster Bd. 1-11 der die verschiedenen Daten der äu- naturrechtlicher Art (so im Anschluß Darwinismus t Sozial darwinismus.
Dasein 40 41 Demokratie

Dasein i Existentialistische E. ne parlamentarische Opposition, eine werden können u. ihre rechtlichen len humanen Leitprinzipien der Ver-
unabhängige Rechtsprechung u. Mittel durch die Teilung der fassung, die in den Verfassungs- u.
Dekalog i Jüdische E. Verfassungsgerichtsbarkeit gewähr- t Gewalt langfristig sichern. Als be- Gesetzestexten nicht als unmittelbare
leisten sollen. Die materialen Ele- ste Methode zur Lösung dieser Pro- Handlungsanweisungen, sondern nur
Demokratie (griech" Volksherr- mente der D. sind neben Volkssouve- bleme gilt seit Aristoteles vernüftige als Rahmenbedingungen vorliegen.
schaft) bezeichnet nicht nur eine be- ränität u. Rechtsstaatlichkeit vor Überlegung, ohne die keine gerechte D. hat in der Pflicht zur Rationalität
stimmte Staatsform, sondern allge- allem i Freiheit u. t Gleichheit. Sie Herrschaft legitimierbar ist. Die ra- u. zur Rechtfertigung des Handelns
mein eine sozio-politische Lebens- bilden die normativen politischen, tionale t Legitimation der Normen die e Grundlagen des für sie gültigen
form. Als Staatsform ist D. ein sozialen, ökonomischen u. kulturel- u. i Entscheidungen, mit der die engen u. kritischen Wechselverhält-
i Herrschafts-System, dessen Macht len Kriterien der D., nicht nur als Gültigkeit der Normen selbt wieder nisses zwischen E u. t Politik.
vom Volk abgeleitet wird (Volks- Staats-, sondern allgemein als Le- rechtfertigbar wird, ist das e Postulat
souveränität) u. das den gemeinsa- bensform. Die Forderung nach D. sowohl der politischen wie der sozia- Lit.: Montesquieu, Vom Geist der Ge-
men Willen (nicht die Summe der geht von der Annahme aus, daß ohne len u. ökonomischen Bereiche der D, setze, Buch 3, 5, 8, 11, 12, 13; Rous-
Einzelwillen) des Volkes in parla- diese Leitprinzipien u. ohne die Gül- Normen wie i Verantwortung, Un- seau, Der Gesellschaftsvertrag; A. de
mentarischen Gremien direkt (Räte- tigkeit der formalen u. materialen eigennützigkeit, i Toleranz sind erst Tocqueville, Über die D. in Amerika,
Kriterien der D. Menschen zu Werk- München 1976, Teil II (1835), Kap. 6-
system) oder indirekt (repräsentative auf der Basis dieses e Postulats für
9; B. M. Barry, Neue Politische Öko-
D.) repräsentieren u. durch die Re- zeugen anderer Menschen gemacht u. die Sicherung des Gemeinwohls, den nomie, ökonomische u. soziologische
gierung u. Rechtsprechung durchset- in ihren angeborenen Rechten unter- Schutz vor i Manipulation u. die D.-Theorie, Frankfurt/M.lNew York
zen soll. Die politische Beteiligut1l{~_, drückt werden können, ohne daß Kontrolle des Einflusses von Grup- 1975; J. Habermas, Strukturwandel der
die Mitwirkungsrechte der Bürger an dies geahndet werden könnte. D. ba- peninteressen zu realisieren. Voraus- Öffentlichkeit, Neuwied/Berlin 31968;
der Gesetzgebung, primär durch ak- siert auf der Grundforderung, daß das setzungen ihrer Realisierung sind P. Hartmann, Illteressenpluralismus u.
tives u, passives Wahlrecht, werden Recht auf Selbstverwirklichung u. einmal die Mündigkeit der Bürger, politische Entscheidung. Zum Problem
durch die Organisationsprinzipien i Glück dem Menschen als Glied ei- ihre Fähigkeit, Ziele und Handlun- politisch-e Verhaltens in der D., Hei-
ner i Gesellschaft unveräußerlich ist. delberg 1968; J. a. Schumpeter, Kapi-
des Mehrheitsprinzips u. der Gewal- gen eigenverantwortlich im Rahmen talismus, Sozialismus u. D., München
tenteilung formal gesichert: den Miß- Jedes Herrschaftssystem, das dieses der gesetzlichen Normen zu bestim- 31972, Kap. 20-23; W. Conze u.a" D.,
brauch staatlicher Macht soll deren Recht leugnet, ist nicht vernünftig le- men, u. zum anderen die politische in: Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 1;
Aufteilung in die unabhängigen Or- gitimierbar. Spezifisch für die D. ist Willensbildung als Möglichkeit, Zie- 0, Negt, Keine D. ohne Sozialismus,
gane der Gesetzgebung, Rechtspre- die e Rechtfertigbarkeit ihrer Herr- le, Interessen u. Bedürfnisse zu er- Frankfurt/M. 1976; C. B. Macpherson,
chung u. Regierung verhindern. Die schaft mit Hilfe der jeweils besten Lö- kennen u. zu artikulieren. Dem Po- Demokratietheol'ie, München 1977;
Freiheitssphäre des Bürgers wird sung der Aufgaben des t Gemein- stulat der rationalen Legitimation O. HöHe, Die Menschenrechte als Le-
durch die Bindung der Staatsge- wohls, der möglichst geringen Ein- kommt dabei die besondere Bedeu- gitimation demokratischer Politik, in:
schränkung der individuellen Freiheit Freiburger Zeitschrift für Philosophie
walt an Gesetze, insbesondere die tung zu, orientiert an den Zielen der u. Theologie Bd.26, 1979; J. Lively,
i Grundrechte, gewahrt (Rechts- u. der größtmöglichen Mitwirkung Verfassung einseitige Interessen von Democracy, Oxford 1979; R. A. Dahl,
staatlichkeit). Die Regierung wird des einzelnen (Partizipation) an der gesellschaftlich notwendigen u. zu- Dilemmas of Pluralist Democracy, New
von einer Mehrheit des Parlaments, Festlegung u. Verwirklichung huma- mutbaren Erfordernissen unterscheid- Haven 1982; R. Wichhard (Hrsg.), D.
einer Partei oder Koalition gebildet ner t Normen, auch in Form der bar u. die politischen, rechtlichen u. Demokratisierung, Frankfurt/M.
u. von einer verfassungsmäßig gesi- Mitbestimmung der Arbeitnehmer an oder ökonomischen Entscheidungen 1983; I. Maus, Zur Aufklärung der
cherten Opposition kontrolliert (Par- ökonomischen Entscheidungen. einsehbar zu machen. Der Grad der D.theorie ... im Anschluß an Karrt,
lamentarismus). Als Leitprinzipien Die Geschichte des demokrati- Selbst- und Mitbestimmung, der da- Frankfurt/M. 1992; J. Habermas, Fak-
tizität u. Geltung, Frankfurt/M. 1992;
dieser Organisation gelten die Grund- schen Denkens hat sich auf die bei- I bei erreicht wird, hängt einmal von D. Copp u. a. (Hrsg.), The Idca of De-
rechte, die mit den weiteren Rege- den Grundprobleme konzentriert, die den institutionell geregelten Verfah- mocracy, New York 1993; K. Bayertz
t
lungen der Verfassung allgemeine,
direkte, freie, gleiche u. geheime
t Rechte einer Gesellschaft so festzu-
legen, daß sie von allen Mitgliedern
I ren u. den formalen Kriterien der D.
ab, zum anderen von der Anerken-
(Hrsg.), Politik u. E, Stuttgart 1996;
O. Höffe, Vernunft u. Recht, Frank-
Wahlen, ein Mehrparteiensystem, ei- auch gegenüber dem i Staat geteilt nung u. Verwirklichung der materia- furt/Mo 1996. W. V.
Demut 42 43 Determination

Demut l' Gott, hinduistische E. spezifische d. L. arbeitet im Anschluß det ihn als formales Denkmodell, um FreiburglMünchen 1973, Kap. 1;
an Kants l' kategorischen Imperativ die Struktur des Handeins zu erläu- H Lenk (Hrsg.), NormenL., Pullach
mit dem Universalisierungsprinzip, tern, u. zwar jedes, nicht bloß des 1974; A. G. Conte u. a. (Hrsg.), D. 1..
Deontische Logik. Die d. L. (griech.
mit dessen Hilfe sittl. von nichtsittl. u. Semantik, Wiesbaden 1977; R.
to deon: das Erforderliche, die sittl., nicht einmal nur des spezifisch
Stuhlmann-Laeisz, Das Sein-Sollen-
"Pflicht"), auch Normenlogik ge- Normen abgehoben werden sollen. menschlichen Handelns. Eine Problem, Stuttgart 1983; U. Nortmann,
nannt, ist eine von Bentham begrün- Um dies zu erreichen, kann man sich Handlung verdanke sich dem Mo- D. L. ohne Paradoxien. Semantik u. L.
dete, als eigene Forschungsrichtung aber nicht auf die äußere Form des ment des l' Strebens, das ein relativ des Normativen, München u. a. 1989;
aber noch sehr junge Disziplin, die normativen Satzes berufen. Denn allgemeines l' Ziel verfolge, u. dem P. Geach (Hrsg.), Logic and Ethics,
normative Sätze: Gebote (Pflichten, nicht das Fehlen jeder Bedingung der Überlegung bzw. Empfindung, Dordrecht 1991. O. H.
Verpflichtungen), Verbote u. Erlaub- definiert einen kategorischen (prak- das das entsprechende besondere
nisse (1' Rechte) formallogisch ana- tisch unbedingten oder l' sittl.) Im- Mittel bestimme, so daß die Hand- Deontologische E l' Normative E.
1ysicrt. Diese L. der d. 'Operatoren perativ, genausowenig wie das Vor- lung als Schlußsatz aus einem Ober-
"geboten" (obligatorisch), "verbo- liegen irgendeines Bedingungsver- u. Untersatz verstanden werden Deskriptive E l' Krankheit, E.
ten" u. "erlaubt" ist, wie man schon hältnisses, sprachlich eines Wenn- könne: "Weil A das Verlangen hat,
im Mittelalter gesehen hat, der Mo- dann-Satzes, einen hypothetischen g herbeizuführen, u. weil A glaubt Determination im e Sinn heißt die
dalL. der Operatoren "notwendig", (praktich bedingten oder nichtsittl.) bzw. die Empfindung hat, um g her- vielfache Bedingtheit menschlicher
"unmöglich" u. "möglich" analog. Imperativ anzeigt. Kategorische Im- beizuführen, müsse er p tun, macht Praxis im persönlichen, sozialen u.
Die d. L. formuliert H. systematisiert perative mögen zwar unter Voraus- sich A dar an, p zu tun." - Man kann politischen Bereich. D. ist nicht nur
Prinzipien wie "nichts kann zugle:ish, setzung eines bestimmten Situations- den praktischen Syllogismus auch der E, sondern auch dem Alltagsbe-
geboten u. verboten sein"; "was ge- types gelten, sie sind gleichwohl sittL verwenden, um z. B. aus einem all- wußtsein seit langem vertraut, in ih-
boten ist, ist auch erlaubt"; "was verbindlich, weil sie ohne jede gemeinen Gebot u. einer singulären ren verschiedenen Aspekten aber erst
verboten ist, dessen Unterlassung ist Rücksicht auf Interessen und Wün- Tatsachenaussage ein singuläres Ge- durch die modernen Natur- u. So-
geboten". Als formale L. untersucht sche des Handelnden auskommen bot abzuleiten (Du sollst Notleiden- zialwissenschaften zu präziser empi-
sie im Unterschied zur l' (norma- (z. B. "Wenn jemand dir Geld gelie- den helfen; hier ist jemand in Not; rischer Erkenntnis geworden: Der
tiven) E nicht das, wozu man inhalt- hen hat, dann zahle es vereinba- also: Du sollst ihm helfen). Aus Tat- Mensch unterliegt wie jeder Körper
lich verpflichtet ist. Sie interessiert rungsgemäß zurück"), während der sachenaussagen allein läßt sich dage- den Gesetzen der Phyik u. Chemie u.
sich nicht für die Richtigkeit norma- Imperativ "Achte auf deine Gesund- gen kein Gebot erschließen (Sein- als lebendiger Leib den Gesetzen der
tiver Sätze, sondern ausschließlich heit" ohne Situationsbedingungen Sollen~Fehlschluß: l' MetaE). Physiologie; seine Motivationen sind
für die formale Schlüssigkeit, die Fo- formuliert ist, trotzdem nur hypo- durch Triebkonstellation, Charakter
gerichtigkcit zwischen beliebigen thetisch, nämlich unter Vorausset- Lit.: E. MaHy, Grundgesetze des Sol- usf. bedingt, die wiederum von Gen~
zung des Wunsches gilt, l' glücklich lens, Graz 1926; R. M. Hare, Die Spra- strukturen (1' Instinkt), frühkindli-
normativen Sätzen. Sie betrifft das
zu sein. che der Moral, FrankfurtiM. 1972; chen Prägungen, ferner von Tempe-
widerspruchsfreie, das konsistente ders., Practical Inferenees, London
Gebieten u. Verbieten, so wie die Mit der d. L. verwandt, jedoch äl- 1971, bes. Kap. 1,2. u. 4; G.E.M. An~ rament u. persönlichen Erfahrungen,
AussagenL. das konsistente Aussa- ter als sie, ist der praktische Syllo- seombe, Intention, Oxford 31963; von ökonomischen, sozialen, poli-
gen betrifft. Da alle vorschreibenden, gismus. Er hat dieselbe Struktur wie G. H. v. Wright, Norm u. Handlung, tischen u. geschichtlich-epochalen
steuernden, kontrollierenden u. beur- ein wissenschaftlicher (theoretischer) Königstein 1979; ders., Handlung, Faktoren abhängen. Ähnlich stehen
teilenden Verhaltensregeln l' Nor- Syllogismus, nur bezieht er sich auf Norm,u. Intention. Untersuchungen zur die l' Entscheidungen politischer Ge-
men sind, es der l' E aber nur um ei- das Handeln: Aus zwei Prämissen, d. L., BeriinlNew York 1977; R. Hil- meinschaften unter mannigfachen
ne besondere Art geht, ist die d. L. deren l' Wahrheit bzw. Richtigkeit pinen (Hrsg.), Deontic Logic, Dord- geographischen, ökonomischen, so-
nicht zur Debatte steht, dem allge- recht 1971; ders. (Hrsg.), New Studies zialen, persönlichen u. anderen Be-
für sie unspezifisch. Sie ist ebenso für in Deontic' Logic, Dordrecht 1981;
die Rechtswissenschaft, die l' Poli- meinen Obersatz u. dem besonderen J. Kalinowski, Einführung in die Nor- dingungen. Selbst wenn die Ursachen
tik- u. Gesellschaftstheorie, die oder individuellen Untersatz, folgt menlogik, Frankfurt/M. 1973; F. v menschlicher Praxis erst unvollstän-
l' Entscheidungs- und Planungsthe- logisch notwendig der Schlußsatz, Kutschera, Einführung in die L. der dig erkannt u. deren Verflechtungen
orie von Bedeutung. - Eine für die E die Konklusion. Aristoteles verwen- Normen, Werte u. Entscheidungen, noch unzureichend aufgehellt sind:
Determinismus 44 45 Diskriminierung

die empirischen i Wissenschaften nomie: l(ant, Fichte, Schelling, He- Diktatur i Herrschaft. sehen Druck wachsender Massen"
gehen grundsätzlich von der Idee gel). (A. Gehlen) industrialisierter Natio-
durchgängiger D., nämlich der prin- Im Gegensatz zum Determinismus Diskriminierung (lat, discrimen: Un- nen, ganze Völker u. Gebiete im In-
zipiellen Erklärbarkeit aller Phäno- behauptet der Indeterminismus, min- terscheidung) ist die rechtliche Be- teresse der Sicherung oder Gewin-
mene aus Ursachen u, Motiven, aus, destens einige Handlungen oder nachteiligung, politische Unterdrük- nung von politischen Einflußbe-
wobei deren Gesetzmäßigkeiten - i Willensentschlüsse ließen sich kung oder ungleiche u, feindselige reichen, von Absatzmärkten oder
wie etwa im subatomaren Bereich - prinzipiell nicht empirisch erklären, Behandlung von Gruppen oder Indi- Rohstoffquellen, Beide Formen der
auch durch Wahrscheinlichkeits- u, womit weniger menschliche Freiheit viduen durch andere, in der Regel D. wurden zwar bei der Gründung
Unbestimmtheits beziehungen (Hei- u. Verantwortung "gerettet" als einer Minderheit durch eine Mehr- der UN (1948) verurteilt u, mit der
senberg- Prinzip) ausgedrückt sein grundsätzliche Grenzen der mensch- heit. Dahei werden nicht nur die Entkolonialisierung nach dem Ende
können, Die empirischen Wissen- lichen Erkenntnisfähigkeit behauptet i Grundrechte, sondern auch die des 2. Weltkriegs offiziell beendet,
schaften vertreten insgesamt einen werden. sittl, Grundforderungen der i Hu- wirken aber weiterhin als Hegemo-
methodischen Determinismus, nach manität u. i Toleranz wegen rassi- niestreben vieler Staaten. Anderer-
I.it.: Spinoza, Ethik; Leibniz, Prinzi- scher, sprachlicher, kultureller, eth- seits bedient sich die politische Pro-
dem sich für alles, auch die mensch-
pien der Natur u. der Gnade; D, Hume, nischer, religiöser, politischer, sozia- paganda der Begriffe Imperialismus
liche Praxis u. das ihr zugrundelie- Eine Untersuchung über den menschl.
gende Wollen, im Prinzip (wenn ler oder geschlechtlicher Verschie- u. Kolonialismus auch zur D, von
Verstand, Stuttgart 1967, Kap, 8;
auch nicht immer schon auf dem ge- p, d'Holbach, System der Natur""
denheit verletzt, - Der Antisemi- Staaten u. Parteien, u, a, im Zusam-
genwärtigen Forschungsstand) ad- Kap. 11-12; I. Kant, Kritik der reinen tismus benachteiligt Juden aus ethni- menhang mit der i EnhVicklungs-
äquate wissenschaftliche ErklärU:,ll" Vernunft, B 472-479, 560-586; J. G. schen, religiösen, sozialen u. politi- hilfe. - Eine spezifische Form der D.
gen finden lassen, Diese Einstellung Fichte, Die Bestimmung des Menschen schen Gründen. Bereits im Mittelal- richtet sich gegen ethnische u, sozio-
rechtfertigt jedoch nicht die Tendenz (1800); M. Planck, Determinismus oder ter wurde Juden jedes ,ehrbare' kulturelle Minderheiten, deren
vor allem junger Wissenschaften, Indeterminismus, Leipzig 61958; Handwerk verboten, u. sie wurden t Grundrechte zwar verfassungs-
S. Hook (Hrsg,), Determinism and für Naturkatastrophen wie Pest und mäßig anerkannt sind, ihnen jedoch
sich selbst absolut zu setzen u. alle Freedom "" New York 1958; B.Be-
Bedingtheiten menschlichen Verhal- Hunger verantwortlich gemacht u. in von der Mehrheit vorenthalten wer-
rofsky (Hrsg,), Free Will and Determi-
tens jeweils nur aus physikalischen, nism, New York 1966; W. Wickler Pogromen verfolgt, Die rasssische D, den. Dabei können neben rassischen
biologischen, psychologischen, öko- u, a., Freiheit u, D., Würzburg 1966; von Juden durch den i Sozialdar- u, weltanschaulichen Gründen auch
nomischen oder soziologischen Ge- F, B. Skinner, Jenseits von Freiheit u. winismus und Faschismus berief sich Sprachkompetenz, Aussehen, sozia-
setzen (Physiklismus, i Biologismus, Würde, Reinbek 1973; p, F. Strawson, auf den pseudowissenschaftlichen ler Status, Besitz, Bildungsstand,
Psychologismus usf.) zu erklären, Freedom and Resentment, London Begriff der minderwertigen Rasse, Familien- u, Stammeszugehörigkeit
1974, Kap. 1; J, Monod, Zufall u. war aber von Konkurrenzneid u. maßgebend sein. D, führt in solchen
Aus einem methodischen Determi-
Notwendigkeit, München 1975; U. dem Gefühl sozialer Benachteiligung Gesellschaften zu i Konflikten bis
nismus läßt sich auch nicht - wie es Pothast (Hrsg,), Freies Handeln u, De-
der sog, "e Determinismus" tut bestimmt, Der Faschismus verfolgte zu Terror u, Bürgerkrieg, - Demo-
terminismus, Frankfurt/M, 1978;
(d'Holbach, Hospers, Skinner) - ab- T. Honderich, A Theory of Determi- mit der i Ideologie von ,Volksge- kratische i Verfassungen garantie-
leiten, daß i Freiheit u, t Verant- nism,2 Bde" 21990. 0, H. meinschaft' u. ,Führerprinzip' nicht ren einen Minderheiten-Schutz (vgl.
wortung bloße Illusionen seien, nur Juden, sondern alle sozio-po- Art. 3, 4 GG), der jedoch gefährdet
wohl aber, daß sie nicht als Lücken Determinismus i Determination. litisch, ethnisch u. kulturell anders- ist, wenn die Memungs- u. Willens-
im Wissen von Ursachen, als Ge- artigen Gruppen bis zu deren Ver- bildung ein Monopol von Mehrhei-
setz- u. Ursachlosigkeit, aufzufassen Dezisionismus i Entscheidung. nichtung in Konzentrationslagern, ten ist u. sich das politische Verhal-
sind, sondern entweder als ein Die Formen der D. sind geprägt von ten in der Anwendung von Mehr-
i Handeln, das - ohne äußeren Dialektische E i Methoden der E. i Gewalt u, Terror u. bedingt durch heitsentscheidungen erschöpft. Sozia-
Zwang - im Einklang mit den eige- Massenorganisationen, Propaganda, le Vorurteile werden so gefestigt; et-
nen Wünschen u. Überzeugungen Dialog i DiskursE, Kommunikation. Indoktrination u. Intoleranz. - Im- wa dann, wenn Gastarbeiter weniger
steht (Hobbes, Hume, Mill u.a.), perialismus u, Kolonialismus unter- beruflich u, sozial gesichert sind als
oder als Selbstgesetzgebung (Auto- Diebstahl i Eigentum, drücken, getrieben vom "biologi- einheimische Arbeitnehmer, keine
T

Diskursethik 46 47 Doppelte Moral

ausreichenden Bildungsmöglichkei- eine häufig latente Form sozialer D, sie der E Kants verwandt. Da sich empirische Annahme ist auch diese
ten für deren Kinder verfügbar sind Die Grundrechte formulieren in ih- die D.E weder allein auf die Gesin- enttäuschbar. Ein weiterer Einwand
oder sich deren Familien aufgrund ren Freiheits- und Gleichheitsrechten nung der Menschen verlassen will ist, daß die D.E wie die i deontische
selektiver Wohnungsangebote u. D,-Verbote, die auch bei der Bedro- noch bestimmte materiale i Normen Logik von der ebenfalls widerlegba-
fehlender Sozialkontakte mit der an- hung des sozialen i Friedens u. der empfiehlt, deutet sie ihr Prinzip ren Prämisse ausgeht, daß i mora-
sässigen Bevölkerung zur Gettobil- staatlichen Sicherheit gültig bleiben, "formalprozedural". Die Inhalte der lische Dilemmata unmöglich sind.
dlmg veranlaßt sehen. - Widerstand zu befolgenden Normen u, Ansprü-
Lit.: H. Adam, Südafrika, Soziologie
gegen die geschlechtliche D, der Frau einer Rassengesellschaft, Frankfurt/M. che u. das, was konkret zur Lösung Lit.: K.-O. Apel, Das Apriori der Kom-
im öffentlichen Leben, in Beruf, 1969; H.]. Gamm, Judentumskunde, eines Konflikts getan werden soll, munikationsgemeinschaft u. die Grund-
Familie u, Politik leistet der Femi- Frankfurt/M. 1962; G. Myrdal, An wird im praktischen D. der Betroffe- lagen der E, in: ders., Transformation
der Philosophie, Bd. 2, Frankfurt/M.
nismus ( i Feministische E). Sein Pro- American Dilemma. The Negro Pro- nen verhandelt. Die D.E billigt den
blem and Modern Democracy, New 1973, 358---436; ders., Warum trans-
test, der in ideologisch fixierter Form Menschen die Fähigkeit zu, die zendentale Sprachpragmatik?, in:
selbst eine Form der D. ist, richtet York "1944; A. Gehlen, Moral u. Hy- Gründe der Gültigkeit e Prinzipien
permoral. Eine pluralistische E, Frank- H. M. Baumgartner (Hrsg.), Freiheit'
sich gegen die Bevorzugung des zu erkennen u. rationale Lösungen als praktisches Prinzip, FreiburglMün-
furt/M.lBonn 21970, Kap. 8; T. Nip-
Mannes in allen Lebensbereichen. Er einzusehen u. zu akzeptieren. Diese ehen 1979, 13-34; ders., Grenzen der
perdcy, Antisemitismus, in: Geschicht-
fordert mit der i Emanzipation der liche Grundbegriffe, Bd. 1; S. Pohl, Fähigkeit wird nicht psychologisch D.E? Versuch einer Zwischenbilanz, in:
Frau die Verwirklichung des Gebots Entwicklung u. Ursachen der Frauen- verstanden. Sie findet bei IC-O. Apel Zeitschrift für philosophische For-
der i Gleichheit, allgemein die Be- lohn-D., Frankfurt/M. 1984; H. Nagl- eine eigene Grundlegung im sog. schung 40 (1986), 3-31; ders" D. u.
Docekal (Hrsg.), Feministische Philo- transzendentalpragmatischen An- Verantwortung, Frankfurt/M. 1988;
freiung von geschlechtlichen R\i)h" J. Habermas, Was heißt Universalprag-
lenklischees u. Vorurteilen. - Bei al- sophie, Wien/München 1990; C. Card spruch auf Letztbegründung, der be-
(Hrsg,), Feminist Ethics, 1991; A. Pie- matik?, in: K.-O. Apel (Hrsg.), Sprach-
len Formen der D. korreliert mit den sagt, daß jeder ernsthaften Ausein- pragmatik u. Philosophie, Frankfurt/M.
sozialen Benachteiligungen ein Dog- per, Aufstand des stillgelegten Ge- andersetzung die Anerkennung des 1976, 174-272; ders., D.E. Notizen zu
schlechts, Freiburg i. Br. 1993; A. K.
matismus, der seine Normen absolut normativ-e Grundprinzips der D.E a einem Begründungprogramm, in: ders.,
Flohr, Fremdenfeindlichkeit, Opladen
setzt u. die Minderwertigkeit aller 1994. W. V. priori zugrundeliege. Auf diese Weise Moralbewußtseill u, kommunikatives
anderen behauptet. Die dafür not- gibt die D.E der pragmatischen Fä- Handeln, Frankfurt/M. 1983, 63-126;
wendigen Machtmittel können poli- Diskursethik. Die D.E, auch Kom- higkeit, konsensfähige Lösungen zu ders., Erläuterungen zur D.E, Frank-
munikationsE, ist ein von K.-O. Apel furt/Mo 1991; R. Spaemann, Glück u.
tisch-ideologischer, ökonomischer finden, eine transzendentale Basis,
Wohlwollen, Stuttgart 1989, 172-J 85;
oder militärischer Art sein. Der u. J. Habermas entwickelter Ansatz Da auf diese Fähigkeit aus vernünfti- 0, Höffe, Kategorische Rechtsprinzipi-
Dogmatismus kann sich rechtlicher zur Begründung derjenigen e An- gen Gründen nicht verzichtet werden eu, Frankfurt/M. 1990, Kap. 12-14;
Formen bedienen u. Rechtsnormen sprüche, die eine gewaltfreie, ratio- kann, handelt es sich um eine ,letzte', G. Schänrich, Bei Gelegenheit D"
zu Lasten derer auslegen, die sozio- nale u. allgemein zustimmungsfähige nicht weiter begründbare Geltungs- Frankfurt/M. 1994. W. V.
kulturell benachteiligt sind oder als Lösung von i Konflikten ermögli- grundlage. Sie soll auch für den e
bevorzugt gelten (i KlassenE). Dog- chen. Alle öffentlichen Verfahren, mit Skeptiker verbindlich sein, der keine Dogmatismus i Begründung.
matismus ( i Begründung) u. Intole- denen i Entscheidungen über strit- bestimmten normativ-e Ansprüche
ranz (i Toleranz) gegenüber Frem- tige soziale u. politische Fragen ge- als allgemein verbindlich anerkennt. Doppelte Moral. Unter d. M. verste-
dem llnd Andersartigem, aber auch troffen werden, sollen diesem Prinzip Die D,E ist sowohl anti-skeptisch als hen wir die wissentliche oder unwis-
Unkenntnis, Desinteresse u. Vorein- folgen. Die D.E versteht dieses Prin- auch anti-relativistisch. Ihre Ansprü- sentliche Praxis, einen grundsätzli-
genommenheit durch i Ideologien zip als kultur- u. zeitunabhängig, für che können bei der Aushandlung chen Unterschied zwischen dem
sind die Grundlage von Vorurteilen, alle vernünftigen Wesen in gleicher konsensfähiger Lösungen nicht zur moralischen Anspruch an sich selbst,
auf denen die Formen der D. basie- Weise geltend. Aufgrund dieses uni- Disposition gestellt werden u. daher die eigene Gruppe oder eigene Ge-
ren. - Der Mißbrauch sittl. Normen versalistischen Anspruchs, aber auch nicht Teil von Nutzenabwägungen sellschaftsschicht u. dem an die an-
zur Disziplinierung u. als Sanktionen aufgrund der kritischen Distanz zu sein. Gegen die D ,E kann einge- deren zu machen, so etwa, wenn der
gegen gesellschaftliche Gruppen bil- den individuellen i Glücks- u, Nut- wandt werden, daß sie jeden Kon- moralische Standpunkt des Künstlers
det auch in demokratischen Staaten zenerwartungen der Individuen ist flikt für rational lösbar hält; wie jede vom Bürger, des Politikers vom Pri-
Doppelte Wirkung

vatmann getrennt wird. In der Philo- Moral seiner Zeit, die verschleiert
48 r 49

ehe Bestimmung ihre Form erhält.


Ehe

ten ist die geschlechtliche Beziehung


sophie taucht der Ausdruck gele- nach Eigennutz u. Macht strebte, öf- Die biologische Antriebskraft zur E. von unmittelbareren erotischen Be-
gentlich im Zusammenhang mit der fentlich aber von der Forderung des ist das sexuelle Verlangen des Men- dürfnissen bestimmt u. meist offener
Forderung der Befreiung der Staats- Altruismus u. des Mitleids (Schopen- schen, das auf lustvolle (i Freude) u. polygam, jedoch nicht so sehr per-
raison von der Individualmoral auf. hauer) bestimmt war, die radikale Erfüllung u. indirekt auf Fortpflan- sonal orientiert. In patriarchalischen
Vielfach wird damit auch die Dis- Konsequenz gezogen, daß die E der zung gerichtet ist. Aufgrund seiner Gesellschaften ist mit der Vorherr-
krepanz zwischen offiziellem Lippen- Nächsten- t Liebe insgesamt Aus- Erlebnisfähigkeit bilden sich im schaft des Mannes der Gesichtspunkt
bekenntnis religiöser oder politischer druck einer d. M. u. einet uneinge- Menschen darüber hinaus Gefühle der persönlichen Bindung hervorge-
Art u. dem tatsächlichen Verhalten standenen Position der Schwäche sei. der Zuneigung zum anderen aus, die treten u. die Entwicklung zur Mono-
bezeichnet. Das Problem der d. M. Der Schmerz über das eigene Un- sich in Sympathie ( t Wohlwollen) u. gamie erfolgt.
erscheint stets im Zusammenhang von glück sei verdrängt u. zum unbewuß- Verliebtheit zur erotischen t Liehe Im bürgerlichen Denken des 19. u.
t Herrschaft, die sich auf t Macht ten Ressentiment (t Neid) gewor- weiterentwickeln können. Die emo- 20. Jh. ist die E.form deshalb in eine
u. tWillkür u. nicht auf die Zu- den. Die daraus entspringende For- tionale Bindung ist dabei durch den Krise geraten, weil mit dem t Herr-
stimmung der Beherrschten stützt. In derung der Gleichheit u. Nächsten- unbewußten Erfahrungshintergrund schafts- u. Besitzdenken das Problem
diesem Sinne ist das Problem der liebe würde jedoch nur den eigenen beider Personen bestimmt, die ihre je der lebenslangen sexuellen Treue u.
d. M. so alt wie die machtpolitischen Machthunger verdecken. Die i Mo- verschiedenen Erwartungen mitbrin- der Eifersucht in den Vordergrund
Auseinandersetzungen der Mensch- ralkritik der Psychoanalyse Freuds gen u. unterschwellig dem Partner getreten ist u. in einer i doppel-
heit. Im besonderen Sinne ist die zeigte, daß die Befangenheit in einer signalisieren. Die Beziehung stellt ten Moral "eheliche Verfehlungen"
moderne bürgerliche Gesellschafu..ii.p" d. M. nur auflösbar ist, wenn das somit eine wechselseitige Rollenzu- des Mannes u. der Frau unterschied-
den Ruf geraten, die d. M. zu för- sittl. Streben durch Einbeziehung des schreibung dar. Deformierte Erfah- lich bewertet werden. Die Entwick-
dern, weil in ihr die Triebfeder des Unbewußten eine neue vertiefte rungsstrukturen der frühen Kindheit lung neuer Partnerschaftsformen
Eigennutzes des einzelnen (t Indi- Wahrhaftigkeit gewinnt. führen dabei zu einer Art unbewuß- schwankt zwischen der Tendenz zu
viduum) in Gegensatz zum t Ge- ten Zusammenspiels (Kollusion) zwi- Bindungslosigkeit in der "freien Lie-
meinwohl geraten kann. Bewußt Lit.: Th. Hobbes, Leviathan, Kap. I, 13 schen den Partnern, das sie wechsel- be" u. dem sittL Anliegen, die Män-
oder verschleiert wird sich daher das u. 14; J. Locke, Über die Regierung, seitig in ihrer neurotischen Struktur gel der bürgerlichen E. zu überwin-
Kap. lI-IV; F. Nietzsehe, Zur Genea- stabilisiert. Die wesentlichen emo- den. Durch die Möglichkeit der
Machtstreben des einzelnen anderen logie der Moral. Eine Streitschrift.
moralischen Ansprüchen unterstellt A. S. tionalen Beziehungsformen bleiben Kinderzeugung ist die E. mit dem
wissen (Naturzustand bei Hobbes u. dabei unter der Schwelle des sprach- sitt!. Problem der i Familie untrenn-
Locke), als dies in den bürgerlichen Doppelte Wirkung t Erfolg. lich Mitteilbaren (Willi). Im Falle ge- bar verbunden, dies insbesondere im
Gemeinschaftsformen in Erscheinung lingenden Austausches ermöglichen Hinblick auf das Problem ihrer Auf-
tritt (Vertragszustand). Selbst in den Dritte Welt i Entwicklungshilfe. Denken u. Sprache den Partnern, lösung in der Scheidung. Ihre sitt!.
privaten Beziehungen, insbesondere sublime, d. h. geistige Formen des Problematik ist darin zu sehen, daß
der bürgerlichen t Ehe, hat dies zu i personalen Interesses aneinander gegen sie die Bedeutung langjähriger
der Erscheinungsform geführt, daß E zu entwickeln, die die Entscheidung personaler Bindung u. die Notwen-
sich aufgrund des Besitzdenkens u. zur E. erst tragfähig machen. Die digkeit konstanter Bezugspersonen
der Herrschaft des Mannes eine Egoismus i Selbstinteresse. persönliche t sitt!. Entscheidung ist für die Kindererziehung spricht. Die
d. M. herausgebildet hat, derzufol- von den vorgegebenen gesellschaftli- t christliche E hält daher die E. aus
ge i sexuelle Untreue dem Mann Ehe nennen wir die Verbindung zwi- chen Möglichkeiten der Organisati- Gründen der personalen Bedeutung
eher nachgesehen wird als der Frau. schen t Menschen verschiedenen on dieser Verbindung mitabhängig u. für unauflöslich. Für die Auflösbar-
Pseudowissenschaftliche Auffassun- Geschlecht, die teils ihrem t sexu- konkretisiert sie durch den eigenen keit spricht jedoch der Gesichts-
gen haben diese Einstellung durch ellen Verlangen (biologische Wur- Entschluß. Die E.formen differieren punkt, daß ein strukturelles sexuelles
verschiedene "Veranlagung" der Ge- ze!), teils ihrer Neigung (psychische daher sehr stark nach der Art u. u. emotionales Mißverständnis den
schlechter zu legitimieren versucht. Wurzel) entspringt u. durch persönli- Weise gesellschaftlicher Organisati- Partnerschaftsgedanken aufhebt. Die
Nietzsehe hat aus der zweideutigen che t Entscheidung u. gesellschaftli- on. In matriarchalischen Gesellschaf- Unauflösbarkeit der E. bedeutet da-
Ehelosigkeit 50 51 Eigentum

her ein schwer zu verwirklichendes Gesellschaft ab. Da menschliches u. ungeschriebenen Normen, die ihre verleiht dem Eigentümer die Befug-
sirtL t Ideal. Selbstbewußtsein u. Selbstwertgefühl Zuerkennung, Bewahrung, Verlet- nis, die "Sache" mit Ausschluß aller
durch mitmenschliche Anerkennung zung u. Wiederherstellung regelten. anderen nicht nur zu eigenem Nut-
Lit.: G. W. F. I-legel, Grundlinien der vermittelt sind, ist das Bedürfnis Die Bedingungen der Restituierung zen zu gebrauchen u. zu verbrau-
Philosophie des Rechts; §§ 161-169; nach Geltung natürlich u. als ver- verletzter oder verlorener E. bestan- chen, sondern auch zu veräußern, zu
A. Westermarck, The History of Hu- nünftig zu rechtfertigen. Hoher Sinn den zumeist, insofern selbstverschul- verpfänden, zu belasten oder sonst
man Marriage, London 51921; C. Uvi-
Strauss, Les formes Clementaircs de la (gr. megalopsychia), Stolz, Hochmut, det, in Formen der Bewährung, inso- nach Gutdünken damit zu schalten
parente, La Haye (Den Haag) 1968; Ehrgeiz u. Eitelkeit sind jene t Tu- fern fremdverschuldet, in Formen u. zu walten. Dieser moderne E.be-
P. Bovet, E.kunde, 2 Bde., Bem 1961- genden u. Untugenden, die das Ver- der Rache, wobei in beiden Fällen griff im Sinne eines ungeteilten Herr-
62; J. Bodamcr, Schule der E., Freiburg hältnis des Menschen zu seiner E. oft das Leben der Preis der E. war. In schaftsrechts (dominium plenum)
i. Br. 1965; M. Mead, Mann u. Weib. bestimmen. Als hochsinnig gilt, wer den Rechtssystemen der Gegenwart verdankt sich dem spätrömischen
Das Verhältnis der Geschlechter in ei- sich hoher Dinge für wert hält u. es wird in der Regel die ungerechtfer- Recht u. t naturrechtlichen Refle-
ner sich wandelnden Welt, Hamburg auch wirklich ist, wer E. allein nach tigte Verletzung der E. des anderen xionen der neuzeitlichen Aufklärung.
1974; J. Willi, Die Zweierbeziehung, Maßgabe seiner Verdienste bean- durch falsche Aussagen (Verleum- Er kontrastiert in gewisser Weise
Hamburg 1975; ders., Therapie der
Zweierbeziehung, Hamburg 1985; sprucht, sie nur bei ernstzunehmen- dung) unter t Strafe gestellt. dem germanischen Recht, das vor
K. Böhme, Ansätze zu einer Theorie den Personen sucht u. über ihre un- allem bezüglich des GrundE. starke
von Partnerschaft, Königsteinffs. 1979; berechtigte Kränkung gelassen hin- Lit.: Aristoteles, Nikomach. E, Buch Bindungen zugunsten sozialer Grup-
M. O. Metral, Die E. Analyse einer wegsieht (Aristoteles). Ähnliches gilt IV, 7-9; A. Schopenhauer, Aphorismen pen kannte sowie zwischen einem
Institution, Frankfurt/M. 1981; ~l', vom Stolz als einer feststehenden zur Lebensweisheit, Kap. IV; H Reiner, gegenseitig sich beschränkenden
Schröter, "Wo zwei zusarrunenkommen Überzeugung vom eigenen überwie- Die E., Darmstadt 1956; L. Strauss, OberE. des Lehnsherrn u. dem Un-
in rechter Ehe ... ". Sozio- u. psychoge- genden Wert in irgendeiner Hinsicht; Hobbes' politische Wissenschaft, Neu-
wiedJBerlin 1965, Kap. IV; W. Korff, terE. des freien Lehnsmannes unter-
netische Untersuchungen Frank- fehlt diesem das Bewußtsein des schied (geteiltes E.).
furt/M.1985. A, S, E., Prestige, Gewissen, Köln 1966; H J.
rechten Maßes, so spricht man von Hirsch, E. u. Beleidigung, Karlsruhe Der Begriff des E. konstruiert eine
Ehelosigkeit t Verzicht. Hochmut (gr. Hybris); als ehrgeizig 1967; J. L. Mackie, E, Stuttgart 1981, intelligible Beziehung, ein unsichtba-
u. eitel hingegen gilt, wer zu sehr Kap. 3. M. F. res, über Raum u. Zeit hinwegge-
Ehre (gr. time, eudoxia, lat. honor). nach E. trachtet (inordinatus honoris hendes Band zwischen einer Person
Unter E. versteht man die im appetitus, Thomas v. Aquin) und das Ehrfurcht t Gott. u. einer bestimmten Sache, er erwei-
menschlichen Zusammenleben be- Selbstwertgefühl nur durch die An- tert die Rechtssphäre einer Person
kundete Anerkennung u. Schätzung, erkennung von seiten anderer zu er- Eifersucht t Neid. über ihren Leib u. seine natürliche
die man selbst empfängt u. anderen ringen trachtet u. zu bewahren ver- Grenze hinaus auf einen Gegenstand
erweist. E. ist das in Worten u. Taten mag. E. als ,Dasein in der Meinung Eigentum. Unter E. versteht man im derart, daß im unrechtlichen Ge-
sich äußernde positive Urteil, die anderer' (Schopenhauer) wird viel- allgemeinen das Recht der unbe- brauch der Sache durch andere die
symbolisch vermittelte Manifestation fach als höchstes der ,äußeren' Güter schränkten u. ausschließenden Herr- Person in ihrem Rechtsanspruch
des Wertes, den wir uns gegenseitig eingestuft, da sie neben ihrer identi- schaft (dominium) einer natürlichen verletzt wird (Kant). Der Begriff des
beimessen (Hobbes). Welche Quali- tätsstiftenden Funktion sowohl das oder künstlichen Person über eine E. beinhaltet also eine Rechtsbezie-
täten als Gegenstand begründeter E. Handeln anderer mit u. gegen uns Sache (F. C. v. Savigny). Dieses hung, einen naturrechtlichen bzw.
gelten (edle Geburt, Zugehörigkeit wie unsere eigenen Handlungsmög- Recht umfaßt nicht nur körperliche, positiv-rechtlichen Herrschaftsan-
zu einer Klasse, einem bestimmten lichkeiten in einer Gemeinschaft be- festumrissene Gegenstände wie spruch, während der Begriff des Be-
Berufsstand, Alter, Besitz von mate- stimmt. Ihre eminente soziale Bedeu- Grundstücke (GrundE.) u. bewegli- sitzes eine physische Beziehung, die
riellen Gütern u. Macht, Leistung, tung führte in der Geschichte zu den che Dinge (FahrnisE.), sondern auch tatsächliche Herrschaft einer Person
sittL Trefflichkeit oder das Person- verschiedensten Begriffen u. Unter- Obligationen, Mitgliedschaftsrechte, über eine Sache meint (Heget). Das
sein überhaupt), hängt entscheidend scheidungen von E. (StandesE., Be- Urheberrechte, Patentrechte etc., d. h. E. kann einer Gesamtheit von Be-
von den Wertvorstellungen u. der rufsE., AmtsE., SexualE., FamilienE., alles, was "Vermögen" ist. Das un- rechtigten zustehen (KollektivE., Ge-
sozio-kulturellen Verfassung einer StammesE. etc.) u. zu geschriebenen beschränkte u. ausschießende E.recht meinE.), es kann auch individuellen
Eigentum 52 53 Emanzipation

Personen zur freien Verfügung zu- brauchs von Gütern impliziert. Die Menschen u. zu radikaler t Entfrem- 1977; R. Brandt, E.theorien von Groti-
gewiesen sein (PrivatE., Indivi- individuelle Aneignung ist natur- dung führt (Mal'x, Engels). Liberal- us bis Karrt, Stuttgarr 1974; D. Schwab,
dualE.). Die gewöhnlichen Formen rechtlich möglich als Besitzergreifung soziale Theorien verweisen darauf, Art. E., Geschichtl. Grundbegriffe,
der Verletzung von E. sind Raub (ge- herrenlosen Gutes (occupatio) zum daß PrivatE. die äußere Sphäre der Bd. 2; H Rittstieg, E. als Verfassungs-
problem, Darmstadt 1975; L. C. Bek-
waltsame, manifeste unrechtliche Be- Zweck unmittelbaren Gebrauchs u. i Freiheit der Person sei, daß es das leer, Property Rights. Philosophie
sitzergreifung) u. Diebstahl (heim- Verbrauchs. Die Entstehung eines Interesse an Wirtschaft u. Gesell- Foundations, London u. a. 1977;
liche unrechtliche Besitzergreifung). privaten E.rechts, das über dieses schaft wecke u. damit zur Förderung M. Forschner, Mensch u. Gesellschaft,
Unter Enteignung hingegen versteht zeitlich u. räumlich gebundene physi- des i Gemeinwohls beitrage; gleich- Darmstadt 1989, Kap. 1.6 (Lit.). M. F.
man die rechtliche Entziehung von sche Verfügungsverhältnis hinaus- zeitig wird, vor allem im Anschluß
PrivatE. durch staatlichen Hoheits- geht, ist rekonstruierbar nur als Re- an christliche Soziallehren, die So- Einfühlung i Verstehen.
akt zum Wohl der Allgemeinheit. Im sultat einer stillschweigenden ·oder zialbindung des PrivatE. betont: in
allgemeinen ist die Enteignungsbe- expliziten gegenseitigen Vereinba- Zeiten gesamtgesellschaftlicher Not
Einsamkeit i Leid.
fugnis des i Staates u. die Bedingung rung (pactum) (Grotius). Diese ver- fällt die Verfügungsgewalt über Pri- Emanzipation (lat. emancipare: jmd.
ihrer Anwendung gesetzlich fixiert. tragstheoretische Grundlegung des vatE. an die Gemeinschaft zurück, in für selbständig erklären) bezeichnet
Der Anspruch auf E. ist ganz all- E.begriffs bewahrt dem Souverän Situationen extremer individueller einmal den historischen u. weltan-
gemein bedingt durch menschliche bzw. dem Gemeinwillen den Herr- Armut (insofern diese nicht im frei- schaulichen Prozeß der Befreiung
Grundbedürfnisse (z.B. Hunger, schaftsprimat über das GemeinE., willigen i Verzicht auf entbehrliche, von einzelnen u. von sozialen Grup-
Durst, Schlaf). Zu ihrer Befriedigung das den Einzelpersonen zur privaten sondern im Fehlen der lebensnot- pen aus politischer Abhängigkeit, re-
sind Dinge nötig (Nahrungsmittel,:., Verfügung überantwortet ist (Gro- wendigen Güter besteht) hat der ein- ligiöser Bevormundung u. i Diskri-
Wohnung u. dgl.), die nicht von fius, Hobbes, Rousseau). Erst die zelne das natürliche Recht, sich von minierung (s. auch i Feministische
mehreren zugleich gebraucht bzw. These, daß i Arbeit ein exklusives dem anzueignen, was andere im E, Philosophie der Befreiung). Dieser
verbraucht werden können. Insofern Rechtsverhältnis der Person zu der Überfluß besitzen (Thomas v. Aquin, Prozeß, vor allem politisch-historisch
derartige "Gebrauchsgüter" begrenzt von ihr bearbeiteten Sache stiftet Leo XIII., Pius Xl.). durch die Aufklärung u. die Franzö-
sind u. die Menschen nicht nur in (Locke), legitimiert ein E.recht, das sische Revolution ausgelöst, hat sein
aller staatlichen Ordnung voraus- Lit.: Thomas v. Aquin, Summa theol.
freundschaftlicher Verbindung ste- lI-lI, q. 66; H. Gratius, De jure belli ac Ziel in der politisch-rechtlichen
hen, ist eine individuelle E.ordnung liegt. Gleichwohl läßt sich diesem li- pacis, Buch 11, Kap. 2, 3, 8; ]. Locke, Selbstbestimmung (i Freiheit) des
in Bezug auf sie unverzichtbar. Die beralistischen Ansatz nachweisen, Zweiter Traktat über die Regierung, einzelnen: seiner Mitbestimmung am
Frage hingegen, ob das E. an Grund daß Grund u. Boden sich eben nicht Kap. 5; J.-J. Rousseau, 2. Discours, politischen 1I. sozialen Leben, der Si-
u. Boden sowie an anderen Pro- menschlicher Arbeit verdankt (Rous- Teil 2; 1. Kant, Metaphysik d. Sitten, cherung der i Grundrechte, von
duktionsmitteln nach Normen einer seau) u. daß die Formen der Arbeit Allgemein. Rechtslehre, Teil I, §§ 1-17; Chancengleichheit u. freiem Zugang
Privat- oder Gemein-E.ordnung ju- selbst je schon gesellschaftlich ver- G. W. F. Hegel, Rechtsphilosophie, zu Bildung u. i Arbeit. E. ist in ihren
§§ 41-71; P.-J.Prudhon, Theorie de la
ridisch organisiert werden soll, läßt mittelt sind. Die Institution von Pri-
propriete; K. Marx, Ökonomisch-phi- Zielen von dem politischen u. sozio-
sich ohne Rekurs auf Versuche vatE. an Produktionsmitteln kann
losophische Manuskripte aus dem kulturellen Begriff der i Demokratie
rechts- u. sozial-philosophischer nur als bedingte rechtliche Übertra- Jahre 1844; K. Marx/F. Engels, Die bestimmt. - E. ist als utopisches Ideal
Letzt- i Begründung wie auf Fragen gung innerhalb einer positiven deutsche Ideologie; F. Engels, Der Ur- die Befreiung von allen Zwängen der
ökonomischer Zweckmäßigkeit u. Rechtsordnung gerechtfertigt wer- sprung der Familie, des PrivatE. u. äußeren u. inneren i Natur des
sozialer Tradition nicht entscheiden den. Die sozialistische bzw. kom- des Staats; M. Stirner, Der Einzige u. Menschen ( i kritische Theorie,
( i WirtschaftsE). Die Rechtfertigung munistische Ablehnung dieser Insti- sein E.; Leo XIII., Rerum novarum; i marxistische E). - Als geistesge-
individueller Ansprüche auf E. geht tution stützt sich auf die Grundthese, Pius XI., Quadragesimoanno; F. Negro, schichtlicher Prozeß meint E., von
in der neuzeitlichen Rechtsphiloso- daß PrivatE. in Verbindung mit den Das E., Geschichte u. Zukunft, Mün-
chenJBerlin 1963; H. Zeltner, E. u. der Vernunft freien u. öffentlichen
phie aus vom Theorem eines Status Mechanismen von Arbeitsteilung, Gebrauch zu machen (Kant). Ziel
Freiheit, Zürich 1970; C. B. Macpher-
ursprünglichen Gemeinbesitzes der Tausch u. Konkurrenz zu Besitzak- son, Die politische Theorie des Besitz- dieses Prozesses ist nicht primär die
Erde u. ihrer Früchte, der für jeden kumulation u. Verelendung, zur Aus- individualismus, Frankfurt/M. 1973; Befreiung des Menschen von einer
die rechtmäßige Möglichkeit des Ge- beutung des Menschen durch den ders., Demokratietheorie, München entfremdeten Bedürfnis- u. Gesell-
Emotion 54 ss Empirismus

schaftsnatur, sondern seine Mündig- Empfängnisverhütung t Geburtenre- zeigen, wie diese Ziele im allgemei- min u. a.). In der i MetaE, in der
keit: die Fähigkeit, sittl. u. soziale gelung. nen erreicht werden können. Em- sich kognitivistische u. nichtkogniti-
Normen u. deren Verbindlichkeit un- piristisch in diesem Sinn sind die ver- vistische Theorien unterscheiden las-
abhängig von äußeren Bestimmungs- Empirische E i Empirismus, E. schiedenen Spielarten einer hedoni- sen, ist innerhalb des Kognitivismus
gründen zu erkennen u. anzuerken- stischen E (t Freude): egoistischer der Naturalismus (Schlick, R. B. Per-
nen u. entsprechend eigenverant- Empirismus. Der E. geht im allge- Hedonismus bei Aristipp, Epikur, ry u. a.) eine extreme Spielart des E.
wortlich zu handeln ( i Sittlichkeit). meinen von folgenden Grundpostula- Hobbes, universalistischer bei Bent- Seine Kernthese lautet: Moralische
Diese E. begründet ein sittl. Verhält- ten aus: (1) Es läßt sich ein unmittel- ham,}. S. Mill, Sidgwick u. a. ( t Uti- Prädikate lassen sich bei genauer
nis des Menschen zu seiner eigenen bar Gegebenes vom Unterschei- litarismus). Ihre Wertlehre setzt das Analyse als gleichbedeutend erweisen
i Person wie zu seiner i Gesell- dungs- u. Aussageapparat der natür- Ziel menschlichen Hande1ns in das mit deskriptiv-empirischen Prädika-
schaft, hat aber über den politisch- lichen u. der Wissenschaftssprache i Glück des einzelnen oder das der tcn (z. B. gut = begehrt werden), mo-
historischen Prozeß det E. hinaus rein ablösen. (2) Nur diejenigen Allgemeinheit u. bestimmt dieses ralische Urteile sind mit Hilfe der be-
normativen u. rationalen Charakter. Termini u. Begriffe sind wissen- durch empirisch erhebbare u. kon- treffenden Definition des betreffen-
Ergebnis dieser E. ist die sittl. Kom- schaftlich gerechtfertigt, deren Be- trollierbareMomente. Normativ blei- den moralischen Begriffs aus empiri-
petenz (i Erziehung), die nicht ein deutung bzw. Inhalt sich auf der Ba- ben diese Theorien insofern, als sie schen Urteilen in logisch gültiger
für allemal erworben werden kann, sis dieses Gegebenen konstituieren einen empirisch beschreibbaren Zu- Form ableitbar. Im Anschluß an Un-
sondern ständiges t Ziel im Bil- läßt. Erkenntnistheoretisch bedeutet stand nach einem axiomatischen Kri- tersuchungen G. E. Moores wie
dungsprozeß des einzelnen bleibt. - der E. die Zurückführung aller Vor- terium (i Moralprinzip) als gesollt R. M. Hares besteht indessen heute
Zur i Ideologie wird E. dann, w,eg9- stellungen, Begriffe u. Urteile über auszeichnen. Sie unterscheiden sich weitgehend Einigkeit darüber, daß
sie ihr Ziel nicht in bestimmten sittl. die Wirklichkeit auf Erfahrung (als darin von rein deskriptiv-empirischen moralische Prädikate nicht natürli-
u. sozialen Normen u. in der Ver- Rezeptionsinstanz von Gegebenem, Arten der Untersuchung, die wie et- che Eigenschaften bezeichnen, daß
mittlung sozialer Kompetenz, son- Bedeutungsbasis von Begriffen, Kon- wa die Moralstatistik (d. h. der em- moralische Normen nicht als alter-
dern in einer bloßen Prozeßhaftigkeit trollinstanz von Urteilen), wobei als pirische Aufweis typischer Gleich- native Formen von Tatsachenhe-
hat, in der die Infragestellung jener primäres Erfahrungsinstrumentarium förmigkeiten menschlichen Verhal- schreibungen interpretierbar sind.
Normen unabhängig von Gründen die Wahrnehmung u. das Gefühl fun- tens) moralische Phänomene be- Zwar begründen wir moralische Ur-
selbst zur Norm wird. gieren. Im Bereich der i normativen schreiben, erklären u. Theorien teile häufig unter Hinweis auf Tatsa-
E, die die Erkenntnis u. Begründung menschlichen Verhaltens u. seiner chen, und insoweit Handlungen ihrer
Lit.: I. Kant, Beantwortung der Frage: des moralisch Richtigen zum Inhalt Entwicklung entfalten. Die Verabso- Zwecksetzung wie ihrer Realisie-
Was ist Aufklärung?; K. Marx, Öko- hat, führt die Ablehnung der Mög- lutierung ihrer Methodik führt, wie rungsmöglichkeit nach von fakti-
nomisch-philosophische Manuskripte,
lichkeit nichtempirischer Erkenntnis etwa im Positivismus (es gibt nur das schen Bedingungen u. Gegebenheiten
Mskr. III; K. M. Grass, E., in: Ge-
schiehtL Grundbegriffe, Bd. 2; M. zu einer spezifischen Position bezüg- tatsächlich Gegebene im Sinne des abhängen, ist dies auch sinnvoll
Horkheimer, Th. W. Adorno, Dialektik lich der t Ziele sittl. Hande1ns wie konkret Gegebenen, Wissenschaft ist (darin liegt die Berechtigung der all-
der Aufklärung, Frankfurt/M. 1975, bezüglich des Charakters der t Nor- die induktiv gewonncne Erkenntnis täglichen Rede von der normativen
S.7-41; R. Spaemann, E. - ein Bil- men als Handlungsrege1n zur Errei- der Zusammenhänge dieses Gegebe- Kraft des Faktischen), doch eine sol-
dungsziel? in: Tendenzwende? Stuttgart chung der Ziele. Praktische Vernunft nen), zur Eliminierung der normati- che Begründung bleibt logisch be-
1975; L Fetscher, Herrschaft u. E., ist demzufolge empirisch-praktische ven E aus dem Bereich der Wissen- trachtet stets unvollständig. Es ist of-
München 1976; A. Meulenbelt, Femi- Vernunft in einem doppelten Sinn: schaft. fensichtlich nicht möglich, morali-
nismus. Aufsätze zur Frauenbefreiung,
München 1982; C. Türcke, Sexus u. sie gewinnt ihre t Zwecke aus den Der E. übt seinen Einfluß auf die E sche Urteile aus Prämissen abzulei-
Geist, Philosophie im Geschlechter- empirisch gegebenen i Bedürfnissen, vor allem über den logischen Positi- ten, von denen nicht mindestens eine
kampf, Frankfurt/M. 1991. W. V. Interessen, Wünschen, Gefühlen etc., vismus (Schlick, Carnap) u. die Phi- ebenfalls moralischer Natur ist
die sie dann als gut oder schlecht losophie der normalen Sprache (praktischer Syllogismus: i deonti-
Emotion i Leidenschaft. qualifiziert; sie gewinnt die einzelnen (Wittgenstein) auf meta-e Diskussio- sehe Logik). - Der Nonkognitivismus
Handlungsregeln induktiv aus Tatsa- nen der Gegenwart aus (R. M. Hare, (B. Russell, A.]. Ayer), der es für
Emotivismus i MetaE. chen vergangener Erfahrung, die an- A.]. Ayer, C. L Stevenson, St. Toul- unangebracht hält, im Bereich mora-
Endzweck 56 57 Entfremdung

!ischen Sprechens mit Begriffen wie E.quellen als unerschöpflich u. zu- Menschheit auch die Grenzen ihrer gewinnen ihr eigentliches menschli-
Erkenntnis u. Wahrheit zu operieren, gleich als vogelfrei: als das unbe- t Macht vor Augen U. verlangt ein- ches Wesen. Es ist aber letztlich die
interpretiert moralische Prädikate u. grenzt verfügbare Rohmaterial einer schneidende Verhaltensänderungen. Arbeit des Knechts, die die Welt ge-
Urteile als Expressionen von t Ge- konsumorientierten Zivilisation, be- staltet. K. Marx nahm diesen dialek -
trachtet. Die E.E erweitert die tech- Ut,: R. 5paemann, Technische Eingriffe tischen Ansatz auf u. sprach dem
fühlen, Wünschen, Befehlen in miß-
nischen U. wirtschaftlichen Fragen in die Natur als Problem der politi- Knecht die höhere Möglichkeit zu,
verständlicher grammatischer Form schen E, in: D. Birnbacher (Hrsg,),
ohne deskriptive Bedeutung. Insofern der E um moralische Fragen: (1) An- sich von der E, zu befreien. Grund
Ökologie U. E, Stuttgart 1980, 180 ff;
diese Theorie der ,emotiven' Bedeu- gesichts der nur langsam (Holz) oder R. Bauernschmidt, Kerne. oder 50n- der E. ist die Teilung der Arbeit zwi-
tung moralischer Sprache (die auf aber gar nicht erneuerbaren E.quel- nei1e., München 1985; K. M. Meyer- schen Kapitalisten u. Arbeitern als
D. Hume zurückgeht) moralische len oder E.träger (Kohle, Öl, Erdgas) Abich, B, 5chefold, Die Grenzen der Lohnarbeit U. zwischen den Arbei-
Normen auf subjektive Erfahrung verlangt die t Gerechtigkeit gegen Atomwirtschaft, Die Zukunft von E., tern. Die E. hat vier Stufen: die E.
des Fühlens u. Strebens zurückführt, künftige Generationen, die E.quellen Wirtschaft u, Gesellschaft, München vom Produkt der Arbeit, von der Na-
nicht schneller abzubauen, als sie 1986; M. Kleemann, M. Merliß, Re- tur der Arbeit, die des Arbeiters von
vertritt auch sie einen E. Eine
nachwachsen oder aber durch neue, generative E.quellen, Berlin U. a. sich selbst u. von der t Gesellschaft.
transzendental philosophische Ant- 1988; OECD (Hrsg.), Environmental
wort (t Methoden der E) auf den "künstliche" E.quellen (Wasser-, Impacts of Renewable Energy, Paris Die E. zur Ware, zu einem Ding mit
E. stellt Kants Versuch dar, die Sonnen-, Wind-, KernE.) ersetzt 1988; M, Czakainski, E. für die Geldwert, kennzeichnet die Ausbeu-
apriorischen Bedingungen menschli- werden. (2) Angesichts der negativen Zukunft, Frankfurt/M./Berlin 1989; tung des Arbeiters, der vom Wert
chen Erfahrungswissens zu rekon- t Nebenwirkungen, den t Umwelt-, Ch.-D. 5chönwiese, D. Diekmann, Der seiner Arbeit nur das für seine Exi-
struieren u. das Sittengesetz ",-~l~_, einschließlich Klimarisiken des E.ver- Treibhauseffekt, Reinbek 1989; p, stenz Nötige erhält, während der
Selbstverpflichtung einer autonomen, brauchs, verlangt sie eine Minimie- Barsch, H.-J. Wagner, E. und Umwelt, Mehrwert vom Kapitalisten für Ma-
rung dieser Risiken. (3) Hier U. bei KFA Jülich 1990; W, Korff, Die schinen investiert wird, die den Ar-
erfahrungsunabhängigen praktischen
den besonderen Risiken von E.trä- E.frage. Entdeckung ihrer e Dimension, beiter ersetzen sollen. Zur Überwin-
Vernunft zu interpretieren (t Frei- Trier 1992; O. Höffe, Moral als Preis
heit). gern wie Kernkraft fordert sie zu ei- der Moderne, Frankfurt/M. 31995, dung der E. fordert Marx die Ab-
ner t RisikoE u, einer vorlaufenden Kap. 10,2. 0, H. schaffung des Eigentums in der t Re-
Lit.: D. Hume, Eine Untersuchung über Risiko-Vorsorge, bei übergroßen Ri- volution, die t Emanzipation des
die Prinzipien der Moral; G. E. Moore, siken sogar zu einem grundsätzlichen Engagement t Verantwortung. Menschen vom Trieb des Habenwol-
Principia Ethica; M. Schlick, Fragen der Verzicht auf. (4) Angesichts des E.ver- lens im Kommunismus u. eine Ver-
E, Wien 1930; c. L. Stevenson, Ethics
brauchs einer ins Gigantische ge- Enteignung tEigentum. söhnung des Menschen mit sich U.
and Language, New Haven 1944; St.
T oulmin, Reason in Ethics, Cambridge wachsenen Weltbevölkerung, die der t Natur. - Dieser radikale t Hu-
1950; A, J. Ayer, Sprache, Wahrheit u. überdies immens steigende Pro-Kop- Entfremdung bezeichnet den Verlust manismus lehnt eine kontinuierliche
Logik, Stuttgart 1970, Kap. VI; R. M. Ansprüche anmeldet, kommt man oder die Verfehlung des menschli- Steigerung menschlicher Lebensbe-
Hare, Die Sprache der Moral, Frank- ohne t Besonnenheit als Element ei- chen Wesens im Prozeß der t Arbeit dingungen als Vertiefung des Egois-
furt/Mo 1972; J. L. Mackie, Hume's nes ökologischen Weltethos nicht aus. ( t marxistische E), allgemein bei der mus ab. Dagegen geht die E davon
Moral Theory, London 1980; F. von Denn selbt bei einer konstanten Welt- Selbstentfaltung des t Menschen. aus, daß E. sowenig wie das t Böse
Kutschera, Grundlagen der E, Ber- bevölkerung steigt der WeItE. bedarf, Hegel hat diesen Begriff am Ver- oder die Abhängigkeit des Menschen
linlNew York 1982, Kap, 5.4; E, Tu-
gendhat, Vorlesungen über E, Frank- sobald sich die ärmeren Länder an hältnis von Herrschaft u. Knecht- von der Gesellschaft dauerhaft über-
furt/Mo 1993, Kap. 9, M. F, das Niveau der reicheren anpassen, schaft erläutert: Der Knecht ent- windbar sind. Ziel der E ist es, E. in
etwa auf das Dreifache, wenn sie das fremd_et sich von sich selbst, weil er Form inhumaner Abhängigkeiten
Endzweck t Höchstes Gut. Niveau Nordamerikas erreichen wol- seine Arbeit für den Herrn U. nicht durch einen vernünftigen Ausgleich
len, sogar aufs Fünffache des gegen- zur Herstellung seines eigenen Be- zwischen den natürlichen Anlagen
Energieethik. Die E.E richtet sich ge- wärtigen Bedarfs. Die E.E verlangt wußtseins leistet, U. der Herr, weil er des Menschen U. den sitt!. Normen
gen das in der Menschheitsgeschichte nicht bloß, komplexe t Güterkon- die Arbeit des Knechts nur genießt, des Handelns mit der Anerkennung
bis vor kurzem vorherrschende Ver- flikte sowohl umwelt- als auch so- sich dabei selbst aber nicht schafft. ihrer Verbindlichkeit u. der Einsicht
halten, daß man die natürlichen zialverträglich zu lösen. Sie führt der Weder der Herr noch der Knecht in ihre Richtigkeit zu überwinden.
Enthaltsamkeit 58 59 Entscheidungstheorie

Lit.: G. W. F. Hegel, Phänomenologie Im Unterschied zu diesem Verständ- seilschaft!. Entscheidungsvorgänge, Ba- Nutzen der Handlungsmöglichkeiten
des Geistes, Herrschaft u. Knechtschaft; nis der E, als Wahl (vgL Aristoteles) sel/Stuttgart 1977; O. Höffe, E u. Poli- nicht genau, sondern nur mit einer
K. Marx, Ökonomisch-philosophische erfährt der Begriff in der i existen- tik, Frankfurt/M. 31987, Kap. 12-13; bestimmten (subjektiven) Wahr-
Manuskripte, Manuskript I, S. XXII- tialistischen E seit Kierkegaard eine M. Hollis, W. Vossenkuhl (Hrsg.), Mo-
XXVII; H. Marcuse, Ideen zu einer ralische E. u, rationale Wahl, München scheinlichkeit angeben lassen (die
kritischen Theorie der Gesellschaft, emphatische Bedeutung: Danach ste- sog. Entscheidung unter Risiko), gilt
1992. O. H.
Frankfurt/M. 41970, S.7-54; J. Lan- hen konkrete E.en innerhalb eines es nach der Entscheidungsrege1 von
genbach, Selbstzerstärung als Vollen- umfassenden (ästhetischen, e oder Entscheidungstheorie. Die E. ist eine Bayes (1764), den (subjektiv) erwar-
dung des bürgerlichen Subjekts, Mün- christlichen) Sinnhorizontes u. Le- interdisziplinäre Forschungsrichtung, teten Nutzen zu maximieren. (1.3)
chen 1982. W. V. bensmaßstabes, über den mitent- die als sozialwissenschaftliche (de- Sofern man die Ergebnisse nicht
schieden wird u. letztlich in ursprüng- skriptive) Theorie faktisches Ent- einmal mit einer bestimmten Wahr-
Enthaltsamkeit i Verzicht. licher i Freiheit eine GrundE. zu fäl- scheidungsverhalten untersucht, als scheinlichkeit kennt (die sog. Ent-
len ist. Diese zeigt sich weniger in ei- normative Theorie aber Regeln für scheidung unter Ungewißheit); gibt
Entscheidung bezeichnet den (freien) nem einmaligen empirischen Ereignis rationale i Entscheidungen aufstellt, es mehrere rivalisiertende Regeln,
Entschluß von einzelnen oder von als in der (auf eine spätere Korrektur wobei sie i Rationalität auf Nutzen- z, B. die pessimistische Maximin-
Gruppen, mit dem man aus verschie- hin offenen) Lebensausrichtung des kalkulation verkürzt. Die für die E Regel ("Wähle eine Handlung, für
denen Handlungsmöglichkeiten eine Menschen, die all sein Denken u. Tun bedeutsamere, normative E. ist aus die der Schaden auch in der ungün-
als die eigene ergreift u. sich dadurch bestimmt, - In dem auf Carl Schmitt mathematischer Statistik, klassischer stigsten Situation möglichst gering
zu einem Tun oder Lassen bestimmt. zurückgehenden Dezisionismus wird Nationalökonomie u. dem i Utilita- ist, "). - (2) Da Entscheidungen meist
Durch E.en entsteht im persönlich~·n: " - in abstraktem Gegensatz zum i Na- rismus entstanden. Sie entwickelt lo- in i Konfliktsituationen stattfinden,
u. politischen Raum geschichtliche turrechtsdenken, zu bürgerlicher gisch-mathematische Verfahren (Ent- in denen der eigene Handlungserfolg
Wirklichkeit. Mit der Zurückfüh- E.flucht u. einer Totalisierung des scheidungskalküle), mit deren Hilfe vom Handeln anderer abhängt, ha-
rung seiner Handlungen auf E.en Sachverstandes - die E. (Dezision) als Individuen oder Gruppen bzw. Or- ben v. Neumann u. Morgenstern die
wird der Mensch zum Ursprung sei- nicht mehr ableitbarer, rein volunta- ganisationen aus mehreren Hand- E. im engeren Sinn zur Spieltheorie
nes Tuns, für das er deshalb i Ver- tiver Akt verstanden. In der souve- lungsmöglichkeiten die zu ihren Zie- modifiziert (1944). Insofern diese
antwortung trägt, allerdings keine ränen E. des Staates sollen Normen len optimale Möglichkeit errechnen, davon ausgeht, daß man die eigenen
totale, da er den persönlichen u. ge- nicht befolgt, sondern allererst gestif- Eine i methodische Erschließung der Ziele gemäß seiner Macht durchzu-
sellschaftlichen Kontext seiner E. tet werden (vgl. Hobbes: auctoritas, Handlungsmöglichkeiten, vor allem setzen sucht, wird Konfliktlösung
nicht mitsetzt ( i Determination), Als non vetitas facit legem). Hier ver- eine kritische Reflexion u. evtl. Ver- hier auf rationalen Egoismus u. tat-
E. ist nicht bloß der örtlich u. zeitlich bindet sich mit dem Pathos der (per- änderung der Ziele unterbleibt. Die sächliche Machtverhältnisse fixiert. -
punktuelle Akt der Beschlußfassung manenten) Ausnahme-Situation eine E. erklärt stillschweigend die Nut- (3) Die Wohlfahrtsäkonomie (Sozial-
zu verstehen, sondern der ganze Pro- Irrationalisierung der E.: Über E.en zenoptimierung u. deren Erfolgs- wahltheorie ) dagegen betrachtet die
zeß der E.findung, in dem oft auf ei- kann man nicht mehr streiten, weil kontrolle, also den aufgeklärten Ego- einzelnen als Mitglieder einer Grup-
ne problemorientierte Phase die lö- es für sie keine guten Gründe gibt, ismus ( i Selbstinreresse)zur e Grund- pe, die trotz unterschiedlicher indivi-
sungsorientierte folgt. Dieser Prozeß verbindlichkeit. - (1.1) Sofern die Er- dueller Ausgangsziele doch als Grup-
besteht begrifflich aus drei Momen- Ut.: Aristoteles, Nikomach. E, Kap. III gebnisse u. Nutzenwerte der Hand- pe ein gemeinsames Zie~ den kollek-
ten, denen je eine Dimension von 1-7; S. Kierkegaard, Entweder-Oder; lungsmöglichkeiten genau bekannt tiven Gesamtnutzen, anstrebt. Nach
Richtigkeit (i Rationalität) bzw. C. Schmitt, Polit. Theologie, München/ sind (die sog. Entscheidung unter Regeln, die gewissen Postulaten der
Verantworlichkeit entspricht: aus der Leipzig 21934; P. Ricceur, Le volonrai- Gewißheit), lautet die Entschei- Fairneß (i Gerechtigkeit) genügen
re et l'involontaire, Paris 1949; C. v.
Überlegung eines Zieles oder Zwek- Krokkow, Die E., Stuttgart 1958; R. C. dungsregel (Rationalitätskriterium): (sog. Wohlfahrtsfunktionen), wird
kes, aus der bewußten u. freiwilligen Jeffrey, Logik der E.en, Wien/München "Wähle die Handlung mit dem ma- aus individuellen Nutzenwerten der
Anerkennung des Zieles als des eige- 1967; H. Lübbe, Theorie u. E, Freiburg ximalen Nutzen", wobei Gewinn u. entsprechende kollektive Wert er-
nen u. aus der Überlegung (Planung) 1971; S. 7ff, S. 144ff; W, Kirsch, Ein- Vorteile als positiver, Kosten, Verlu- rechnet; zu wählen ist die Handlung
der Wege zum Ziel (der Rationalität führung in die Theorie der Entschei- ste u. Nachteile als negativet Nutzen mit dem größten kollektiven Nutzen.
im verkürzten Sinn: i E.theorie), - dungsprozesse, Wiesbaden 1977; Ge- gelten. (1.2) Sofern sich Ergebnis u. Wegen ihrer Orientierung an Fair-
Entwicklungshilfe 60 61 Entwicklungshilfe

neßgesichtspunkten bedeutet diese gik der Normen, Werte u. Entschei- (meist von Rohstoffen) zu den Im- zur vermehrten Abhängigkeit der
Variante der E. einen e Fortschritt. dungen, FreiburglMünchen 1973; J. M. portgüterpreisen (meist Industriegü- D, W. von den Industrieländem u,
Buchanan, The Limits of Liberty, Chi- ter) für die D. W., aufgrund man- nicht zur Selbstbestimmung bei, E,
Allerdings kann man kritisieren, daß cago/London 1975; 0, Höffe, Strategi-
weder eine Reflexion u. Veränderung gelnder Koordination der Hilfelei- als Weltsozialpolitik soll als Strategie
en der Humanität, Frankfurt/M.
der individuellen Ziele vorgesehen 21985, 1. Teil; ders, Politische Gerech-
stungen zwischen den Industrielän- weltweiter Gerechtigkeit zur Siche-
noch es ausgeschlossen ist, daß be- tigkeit, Frankfurt/M. 1987, Teil III; dem u, aufgrund von deren Eigenin- rung des i Friedens beitragen: E. soll
rechtigte individuelle Interessen dem ders., Kategorische Rechtsprinzipien, teresse bei der Mittelvergabe konnte als Bedingung dafür die Minimaler-
Kollektivwohl geopfert werden. - (4) Frankfurt/M. 1990, Kap, 10; A. K, Sen, die E. bisher das ständige Anwach- fordernisse menschenwürdiger Exi-
Neuerdings hat Rawls (auch Bucha- Collective Choice and Socia! Welfare, sen des Abstands zwischen dem stenz in der D. W. erfüllen. Dazu ist
nan) versucht, selbst Prinzipien der San Francisco 1970; E., Texte u, Ana- Reichtum der E. W. u. der Armut der eine größere politische Kompetenz
lysen, Wiesbaden 1977; R, Dawkins, internationaler Organe (EWG, UN)
i Gerechtigkeit aus einer rationalen Das egoistische Gen, Berlin 1978;
D, W, nicht verhindern, (2) Mehr
Entscheidung abzuleiten. - Aufgrund Aussicht auf Erfolg verspricht die zur Koordinierung wirtschaftlicher
H. Raiffa, Einführung in die E., Mün-
von Zusatzannahmen wird der An- chen 1973; H. Kliemt, Antagonistische indirekte E,: eine Neuordnung des Maßnahmen erforderlich. - E. wird
satz der E. hier aber so radikal ver- Kooperation, Freiburg/München 1986; Weltmarkts, der Rohstoffpreise, des mißverstanden, wenn man sie als
ändert, daß es sich weniger um Nut- D. Gauthier, Morals by Agreement, Währungssystems, der Außenhan- Rechtsanspruch der D. W., als
zenkalkulation als um eine sittL Oxford 1987; J, Nida-Rümelin, E. u. E, dels- u. Zollpolitik. i sitt!. Pflicht der Industrieländer
Wahl handelt. Sowohl für die Evolu- München 1987; R. Axclrod, Die Evo- Die Probleme der E, kristallisieren oder als Instrument politischer u.
tionstheorie (Dawkins) wie die So- lution der Kooperation, München sich im sog. Nord-Süd-Konflikt zwi- ökonomischer Interessen auffaßt,
21991; S. Hargreaves Heap, y, Varou- schen Industrie- u. Entwicklungslän- Die Ziele einer Weltsozialpolitik sind
zialphilosophie wichtig ist die Thf1tti _, fakis, Game Theory, LondonlNewYork
rie der Kooperation ( i SozialE) un- dern. Die Übertragung von T echno- nur durch kooperative E. erreichbar.
1995. O. H.
ter Egoisten. Nach dem entscheiden- logien, Gesellschafts- u. Bildungssy- Damit sollen die legitimen Interessen
den Denkmittel, dem Gefangenendi- Entwicklungshilfe hat aus der Sicht stemen auf die Länder der D. W" die von Geber- u. 'Nehmerländern nicht
lemma, führt ein aufgeklärtes Selbst- westlicher Industrienationen den im Interesse westlicher Länder zur bilateral, sondern multilateral (durch
interesse, das nicht durch externe Zweck, den zumeist aus Kolonial- politischen Stabilisierung, im Interes- internationale Organe) vermittelt
Faktoren (z. B. durch i Moral oder gebieten hervorgegangenen Entwick- se einiger östlicher Länder zur Revo- werden. Voraussetzung dafür ist nicht
durch i Rechtu. i Staat) zur Koope- lungsländern (Dritte Welt, D, W., im lutionierung der politischen Ordnun- die plane Übertragung von techni-
ration gebracht wird, zu deutlich Unterschied zur Ersten Welt, E. W,) gen beitragen sollte, ließ die E, als scher Zivilisation, von Lebens- u.
suboptimalen Resultaten. der Industrieländer) die Möglichkeit imperialistische u. kolonialistische Konsumgewohnheiten, sondern die
zur politischen, ökonomischen u. i Ideologie erscheinen, - Radikal Anerkennung der kulturellen Eigen-
Lit.: R. D. Luce, H. Raiffa, Games and sozialen Selbstbestimmung als freie ablehnend zur E. verhalten sich jene ständigkeit der Länder der D, W,
Decisions, New York, 1957; J. v, Gesellschaften u. zur Teilnahme am Marxisten, die nur in der i Revolu- Deren Selbstbestimmung ist zwar von
Neumann, 0. Morgenstern, Spieltheo- allgemeinen Fortschritt zu gewähren tion die Bedingungen für eine Ent- Industriealisierung u. allgemeinem
rie H. Wirtschaftswissenschaft, Wien/ wicklung der D. W. sehen (H. G, Lebensstandard u. diese wiederum
München 1963; A. Bohnen, Die utili- u. mit der Beseitigung der Armut in
tarist. E als Grundlage der modernen der D. W. soziale i Gerechtigkeit zu Isenberg), in der E. aber ein "Mittel vom Bildungsniveau der Menschen
Wohlfahrtsökonomie, Göttingen 1964; ermöglichen. (1) Als direkte E. gelten kapitalistischer Systemstabilisierung" abhängig; der kausale Zusammen-
R. C. Jeffrey, Logik der Entscheidun- a) staatliche Kredite als Kapitalhilfe (j, Küster), Anstelle der E, fordern hang dieser Faktoren setzt auch Be-
gen, Wien/München 1967; M. Shubik zur Finanzierung wirtschaftlicher diese Kritiker den internationalen dingungen wirksamer Hilfeleistung,
(Hrsg.), Spieltheorie u. Sozialwissen- Projekte mit Einflußnahme auf die Klassenkampf. - Problematisch ist Aber ohne eine gleichberechtigte Ko-
schaften, Hamburg 1965; A. Rapoport, Verwendung der Mittel u. Program- die E., die die Kriterien von Entwick- operation von armen lI. reichen Län-
A. Chammah, Prisoner's Dilemma, Ann me ohne Einflußnahme sowie b) lung mit den Zivilisations- und Fort- dern bei der Bestimmung von Zielen
ArboriMich. 1965; G. Gäfgen, Theorie schrittsnormen der Industrieländer u. Mitteln der Entwicklung ist E,
der wirtschaftlichen Entscheidung, Tü- technische Hilfe (Fachkräfte etc.) u.
Ausbildungshilfe. Aufgrund der zu- gleichsetzt. Wenn Entwicklung nicht weder als frei gewährte Hilfe aner-
bingen 21968; J. Rawls, Eine Theorie
der Gerechtigkeit, Frankfurt/M, 1975; nehmenden Verschlechterung des wirtschaftliches Wachstum mit sozia- kenllbar noch als Mittel einer Politik
F. v. Kutschera, Einführung in die Lo- Verhältnisses der Exportgüterpreise ler Gerechtigkeit verbindet, trägt sie der Friedenssicherung gerechtfertigt.

~
•.:.:.1
..
Epikie 62 63 Erfolg

Lit.: j.-J. Kaplan, The ChaJlenge of der Furcht vor dem Tod befreit wird. Erfahrung i Handlung. Johannes a Sancto Thoma, B. Pascal
Foreign Aid, New YorklWashington! - Nach der e.E ist nicht jede Freude intensiv diskutiert wurde). Eine To-
London 1967, Abschn. I u. III; Koope- zu erstreben, nicht jeder Schmerz zu Erfolg. Unter E. versteht man im all- talverantwortung für alle vorausseh-
rative E., Bochumer Symposion 1968, fliehen, z. B. nicht der, auf den eine gemeinen das (positive, seltener das baren Folgen würde menschliches
Bielefeld 1969, Teil 1 u. 6; H. G. Isen- höhere Freude folgt. Weil sie be- negative) Resultat, die Wirkung Handeln objektiv überfordern (ge-
berg, Imperialismus u; E., in: Das Ar- zweckgerichteten menschlichen Han-
ständiger und von äußeren Störun- rade in einer Zeit wachsender Inter-
gument, Bd. 51, 1969; M. Bohnet
(Hrsg.), Das Nord-Süd-Problem, Mün- gen unabhängiger sind als die sinnli- delns. Im Unterschied zu natürlichem dependenz des Weltgeschehens u.
chen 21971; C. Uhlig, E.politik, Ham- chen Freuden, werden die geistigen Geschehen ist Handeln qualifiziert weltweiter Information müssen wir
burg 1971; bes. J. Küster, K. Jettmar, Freuden ungleich höher geschätzt. durch Antizipation, durch die Vor- die Augen verschließen dürfen vor
W. Ehmann; H. Schoeck, E., München Deshalb wird die e.E zu Unrecht aussicht von Ereignissen, die not- einer Unzahl alternativer Handlungs-
1972; J. P. Agarwal u. a., Wirkungen verdächtigt, einen unbedenklichen wendiger-, wahrscheinlicher- oder möglichkeiten, um überhaupt han-
der E., Köln/München 1984. W. V. Genuß aller sinnlichen Daseinsfreu- möglicherweise auf das Tun folgen deln zu können); die Nebenwirkun-
den zu vertreten (der Epikureer als u. durch die Absicht, d. h. durch die gen völlig dem Verantwortungsbe-
Epikie i Gerechtigkeit.
Genußmensch). Um die Ataraxie zu Auszeichnung einer oder mehrerer reich zu entziehen führte zu einer
Epikureische Ethik. Die e.E geht auf erreichen, hält sich der Weise auch dieser Folgen als Mittel u. Zweck. problematischen Überbetonung sub-
den griechischen Philosophen npikur von den Aufregungen des politischen Angesichts der Komplexität der Welt- jektiver Intention. Neben der entla-
u. seine in einem Garten gegründete Lebens möglichst fern: "Lebe zu- prozesse u. der i Freiheit der mit- stenden Funktion von i Institutio-
Schule zurück, Zu ihren Vertretern rückgezogen!" (Als Zweck des handelnden anderen kann mensch- nen, die den persönlichen Verant-
gehören auch Lukrez u. HoraaHrl, i Staates gilt lediglich die Sicherung liche Voraussicht immer nur einen wortungsbereich eingrenzen (sie prä-
Epikurs Philosophie haben Erkennt- der i Gesellschaft gegen das Un- Teil der Handlungsfolgen antizipie- judizieren in gewisser Weise, wer
nis- und Naturtheorie keinen Selbst- recht, von dem die Menge nur durch ren; unter den vorausgesehenen mein Nächster, was meine konkrete
zweck, dienen vielmehr einer E, die t Strafen zurückgehalten werden zeichnet die selegierende Absicht ei- Aufgabe ist), bleibt dem i Indivi-
die Empfindungen von i Freude u. kann.) Aus Rücksicht auf möglichste nige als Mittel u. Zwecke, andere duum für die moralische Rechtferti-
Schmerz als letzten Maßstab von Ungestörtheit leiten sich auch die Be- als unbeabsichtigte Nebenwirkungen gung der Inkaufnahme einer Neben-
i Gut u. i Böse betrachtet. Das ein- denken der e.E gegenüber i Ehe- aus. Zur Handlung gehören also un- wirkung die Pflicht der Prüfung sei-
zige u. natürliche Ziel menschlichen schließung u. i Familiengründung ab. vorhergesehene u. vorhergesehene ner subjektiven Aufrichtigkeit wie
i Strebens wird in der beständigen Die e.E empfiehlt die Freundschaft, Folgen; letztere unterscheiden sich in der objektiven Proportion, in der der
u. sicheren Freude des i Glücks ge- die Milde gegen Sklaven u. ein beabsichtigte (Zwecke u. Mittel) u. ,Wert' des intendierten Zweckes zum
sehen, gegenüber dem die i Tugen- i Wohlwollen gegen alle Menschen. in Kauf genommene (Nebenwirkun- möglichen ,Unwert' der unbeabsich-
t
den wie i Gerechtigkeit u, Tapfer-
Lit.: H. Usener (Hrsg.), Epicurea, Leip-
gen). Ersichtlich kann der Mensch tigten Nebenwirkung steht. Was
keit nur instrumentale Bedeutung nur für den Bereich voraussehbarer niemals zum bloßen Mittel oder gar
haben; sie sollen zusammen mit Er- zig 1887; Epikur, Philosophie der Freu- Folgen seines Tuns i Verantwortung zur in Kauf genommenen Nebenwir-
de; A. J. Festugiere. Epicure et ses tragen. Soll indessen allein die sub- kung im Verfolgen eines Handlungs-
fahrung u. i Klugheit eine lustvolle dieux, Paris 1946 (eng\. Oxford 1955);
Hannoie aller i Leidenschaften be- jektive Absicht über die Moralität zieles gemacht werden darf, ist nach
B. Müller, Die e. Gesellschaftstheorie,
wirken. Damit wird zugleich die Berlin 1974; J. Bollack, La pensee du ( t Sittlichkeit) einer Handlung ent- Kant die Verletzung des Selbstwertes
Ataraxie, die unerschütterliche Ge- plaisir. Epicure, Paris 1975; J. H. Ni- scheiden, so stellt sich das Problem, einer i Person. - Unter E.moral ver-
mütsruhe des Weisen, erreicht, der chols, Epicurean Political Philosophy, inwieweit der Zweck einer Handlung steht man eine Position, die die sittl.
seine Begierden zu beherrschen weiß, Ithaca/London 1976; p, Mitsis, Epicu- die Inkaufnahme beliebiger Neben- Qualität des Handelns nicht an der
von allem Äußeren unabhängig ist u. rus'Ethical Theory, Ithaca, N. Y. 1988; wirkungen rechtfertigt (das stets ak- subjektiven Absicht, sondern an den
M. Hossenfelder, Epikur, München tuelle Problem des actus duplicis ef- objektiven, tatsächlichen Folgen des
daher wie ein Gott unter den Men-
1991. O. H. fenus, der doppelten Wirkung, das Tuns festmacht. E.E gilt seit M. Sche-
schen weilt. Zu den Voraussetzungen
des Glücks gehört es, daß der Mensch Erbarmen i Christliche E. vor allem im 16. und 17. Jh. von {er als Terminus für jene Moral-
von den Schrecknissen des Aberglau- Philosophen u. Moraltheologen wie philosophie, die im Gegensatz zur
bens u. der t Religion u. überhaupt Erbsünde i Christliche E. I B. Medina, G. Vasquez, F. Sanchez, i GesinnungsE den sitt!. Wert der

1
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Erfolgsmoral 64
65 Erziehung
Person u. des Willensaktes nicht an staltende Handeln von Eltern, Leh-
die i Normen humanen i Lebens, keiten eröffnen, - Der seit 1973 in
einer bestimmten Qualität des sub~ rern u. anderen Erziehern. Es soll
Dem Kind wird damit nicht schon einigen Bundesländern (z. B. Bayern,
jektiven Wollens, sondern an dem Kindern u, Jugendlichen in ihrer Ent-
von vornherein wie von der antiau- Rheinland-Pfalz) alternativ zum Re-
Verfolgen von Zielen mißt, die als wicklung zu Selbstbestimmung
toritären E. moralische Autonomie ligionsunterricht eingeführte E-Un-
positive Wirkungen in der realen ( i Freiheit) u. Mündigkeit ( i Eman-
zugebilligt: dies wäre seinem zu- terricht macht die "Grundsätze der
Welt u. der Gesellschaft empirisch zipation), bei der Entfaltung ihrer
nächst "egozentrischen" Verhalten Sittlichkeit" u, des "natürlichen Sit-
bestimmbar sind. Als Paradigma ei- individuellen kognitiven, emotiona-
(j. Piaget), in dem es das eigene tengesetzes" zu Leitzielen eines Un-
ner E.E kann der i Utilitarismus len, physischen u. psychischen anla-
Wünschen zum Maß aller Bewertun- terrichtsfaches, Im Hinblick auf den
dienen. gen u. bei ihrer Intergration in die
gen macht, unangemessen (i Sozia- Wechsclbezug von Handlung u. Re-
'I Gesellschaft Hilfe, Fürsorge, Lehre lisation). .
u, Orientierung gewähren. Komple- flexion, auf den süd. Kompetenz an-
Lit.: johannes a Sancto Thoma, De Sittl. bzw. humane Kompetenz soll
mentär zur E. u. ihren Zielen verhält gewiesen ist, kann das Fach ,E' nur
bonitate et malitia actuum humano-
rum; B, Pascal, Lettres a un Provincial; den Lernenden befähigen, "sich sei- methodische Bedeutung für die süd.
sich das Lernen als Handeln der zu
M. Scheler, Der Formalismus in der E ner selbst als eines verantworlich Reflexion haben: es kann helfen,
Erziehenden: Es soll nicht nur eine
u. die materiale We,rtE, Teil III, Mate- Handelnden bewußt" zu werden, "Begründungs-, Beurteilungs- u. Kri-
kognitive Aufnahme der E.inhalte
riale E u, E.E; j. Mangan, An Historieal "daß er seinen Lebensplan im mit- tik-Aspekte nach Maßgabe von
sein, sondern zur bewußten Annah-
Analysis of the Principle of Double Ef- menschlichen Zusammenleben selb- Selbstbestimmung u. sozialer Ver-
feet, in: Theol. Studies 1949; j. Ghoos, me n. zu eigenem Urteilen über die
ständig fassen u. seinen Ort in Fami- antwortung zu finden" (0, Höffe).
L'Acte a Double Effect, in: TheoL Lou- E,ziele führen. Der auf beruflich-
lie, Gesellschaft u. Staat richtig zu Sitd, Kompetenz blidet sich als Fä-
vaniensis Bd. 27, 1951; H Reinerj'}~ge­ soziale Ziele gerichteten (intentionale
finden u. zu bestimmen vermag" higkeit, tolerant, verantwortlich u.
sinnungsE u, E.E, in: Archiv f, Rechts-~ E.), Kulturtechniken (Lesen, Schrei-
u. Sozialphilos. Bd. 40, 1953; R. Spae- (Deutscher Bildungsrat = D. B.), Als solidarisch zu handeln u. zu urteilen
ben etc.), praktische Fertigkeiten,
mann, Nebenwirkungen als moralisches wissenschaftliches u. technisches
Leitziel der moralischen E" der E. im in i Kommunikations- u. Interakti-
Problem, in: ders., Zur Kritik der polit. engeren Sinne, erfordert der Erwerb onsprozessen. Theoretisches Lernen
Wissen vermittelnden (funktionale
Utopie, Stuttgart 1977; j, L. Mackte, E, humaner Kompetenz an äußeren schafft dafür reflexive Bedingungen,
E.) u. von pädagogischen Techniken
Stuttgart 1981, Kap. 7; Ph. Pettit, Con- Bedingungen eine bestimmte Struk- die jedoch gefährdet sind, wenn für
sequentialism, in: P. Singer (Hrsg.), A (Didaktik, instrumentale E.) be-
tur der Lernprozesse: sie sollen einen jenes Lernen das Prinzip der Auslese
Companion to Ethics, Oxford 1991, stimmten E. liegt das sitt!. Verhältnis
von Erziehung u. zu Erziehendem "Wechselbezug von reflexionsbezo- dem der individuellen Förderung u,
IV, Kap. 19. M. F.
genem u, handlungsbezogenem Ler- Werte wie Fleiß u. konkurrierende
zugrunde: Es soll eine bloße Kondi-
nen" (D, B,l ermöglichen. Bildung Leistung denen der sittl. Kompetenz
Erfolgsmoral i Erfolg. tionierung u. fremdbestimmte ( i Ent-
kann daher als Funktion der E . .nicht übergeordnet werden.
fremdung) Anpassung Jugendlicher
auf allgemeine Kompetenzen, die am
Erkennen i Begründung, Gewissen. an die Welt der Erwachsenen da- Ut.: E. Durkheim, E., Moral u. Gesell-
klassischen u. humanistischen Bil-
durch verhindern, daß es den Erfolg schaft. Vorlesung an der Sorbonne
dungsgut orientiert sind, beschränkt 1902/03, 1984; W. Klafld, Studien zur
der E. von der sitt!. Kompetenz, der
i
,
Erlanger Schule Konstruktive E. sein. Die Forderung, die Trennung Bildungstheorie u, Didaktik, Weinheim
Solidarität, dem gegenseitigen Ver-
von allgemeiner u. pragmatisch ver- 91967; R. Dahr~ndorf, Bildung ist Bür-
trauen u, der i Verantwortung bei-
Erlaubnis i Deontische Logik. der Seiten abhängig macht. Wenn
standener, beruflicher Bildung aufzu- gerrecht, Hamburg J1968; R. S. Peters,

Erlösung i hindustische E, Religion,


das Kind u. der Jugendliche erfahren, I lösen (H. Krings), geht einmal davon
aus, daß Urteils- u. Handlungsfähig-
Ethics and Education, London 61969,
Teile I, IV, VII, XI; D.B" Empfehlun-
daß ihre Rolle als Lernende mit der
der Erzieher austauschbar ist, daß I keit u. ·-bereitschaft zur Bewältigung gen der Bildungskommission, Struk-
turplan für das Bildungswesen, Bonn
Eros i Liebe. dementsprechend auch die sitd. An-
sprüche an menschliches Handeln I sowohl beruflicher wie sozialer u.
individeller Lebenssüuationen dient;
zum anderen soll die Chancengleich-
1970, Kap. 3. u. 4.; ders., Zur Neuord-
nung der Sekundarstufe 11, Bonn 1974,
Erziehung ist allgemein das auf be-
stimmte humane, soziale oder beruf-
liche Ziele gerichtete planvolle u. ge-
grundsätzlich umkehrbar sind, wer-
den sie am moralischen Urteilen be-
teiligt u, gewinnen so Verständnis für
I heit (i Gleichheit) allen Lernenden
den Zugang zum Erwerb dieser
Abschn. 2.2 u. 2.3; W. Killy, Bildungs-
fragen, München 1971; H. Krings,
Neues Lernen, München 1972; ]. Pia-
Kompetenzen u. beruflicher Fähig- get, Das moralische Urteil beim Kinde,

I
J
-
66 67 Evolutionistische Ethik

Frankfurt/M. 1973; A. Flitner, Tugend- schichte der E) hat die E neben der rer Anwendung zu entwickeln. - E-Unterricht t Erziehung.
lehre u. moderne E., in: Merkur, engen auch eine umfassende Bedeu- Von Aristoteles her hat das Adjektiv
Nr.336, 1976; C. Günzler, Antropo- tung, nach der die Ökonomie u, die "ethisch" zwei Bedeutungen. Es e Pluralismus i Relativisimus.
logische u. e Dimensionen der Schule, Politik (Sozial-, Rechts- u. Staatsphi- kennzeichnet sowohl die das Sittl.
Frciburg/Münchcn 1976; J. FeIlsches, e Relativismus i Relativismus.
losophie) mit zu ihr zählen. Eist behandelnde Wissenschaft als auch
Moralische E. als politische Bildung,
Heide1berg 1977; O. HöHe, E-Unter- dann gleichbedeutend mit i prakti- das Sitt1. selbst. Allerdings dient es
richt in pluralistischer Gesellschaft, in: scher Philosophie. Später verengt der besseren Verständigung, wenn Ethnozentrismus i Kultur.
E u. Politik, Frankfurt/M. 31987, Ab- sich die Bedeutung auf Moralphilo- man nur in bezug auf die Wissen-
sehn. 16; ders., SittL-politische Diskur- sophie (philosophia moralis), die sich schaft von "ethisch" (oder moralphi- Ethologie i Instinkt.
se, Frankfut/M. 1981, Kap. 4; K. Mol- vor allem mit der persönlichen Seite losophisch), in bezug auf den Gegen-
lenhauer, Vergessene Zusammenhänge: guten Handeins befaßt u. die soziale stand aber von "sittl." (t Sittlich-
Ethos i Moral u. Sitte.
über Kultur u. E., München 1983;
u. politische Dimension weitgehend keit) oder "moralisch" spricht.
P.Oser, O. HöHe, R. Fatke (Hrsg.),
ausklammert.
Eudämonismus i Glück.
Transformation u. Entwicklung. Grund-
Je nach dem Erkenntnisinteresse Ut.: Platon, Protagoras; Aristote1es,
lagen der MoralE., Frankfurt/M. 1986;
Nikomach. E; Spinoza, E; Malebran-
Eugenik i Gentechnik.
]. Rekus (Hrsg.), Schulfach u. E. Fach- lassen sich drei Formen der E unter-
didaktische Beiträge zur moralischen scheiden. (1) die deskriptive oder em- che, Abhandlung über die Moral;
E. im Unterricht, Hildcsheim 1991. D. Hume, Untersuchung über die Prin- Eurozentrismus i Kultur.
pirische E sucht die mannigfachen
zipien der Moral; I. Kant, Grundlegung
W. V. Phänomene von i Moral u. Sitte der Euthanasie i Medizinische E.
zur Metaphys, d, Sitten; M. Weber,
verschiedenen Gruppen, i Institutio-
Es t Bedürfnis. nen u. Kulturen zu beschreiben, zu
Die E des Protestantismus u. der Geist
des Kapitalismus (1904/05), 2 Bde., Evidenz i Sittliche Gewißheit.
Eschatologie i Hoffnung. erklären u. evtl. zu einer empiri~ Hamburg 1973; R. B. Brandt, Ethical
sehen Theorie menschlichen Verhal- Thcory, Englewood CliffslN.]. 1959; Evolution i Evolutionistische E, So-
Ethik (griech. ethos: gewohnter Ort tens zu verallgemeinern. Dies ist kei- R. Spaemann, Moralische Grundbegrif- ziobiologie.
des Lebens, Sitte, Charakter) geht als ne genuine Aufgabe der Philosophie, fe, München 21983; G. Patzig, E ohne
sondern eine der Historie, Ethnolo- Metaphysik, Göttingen 1971, Kap. 11; Evolutionistische Ethik. Die Evoluti-
philosophische Disziplin u. als Dis-
W. K. Frankena, Analyt. E, München
ziplintite1 auf Aristoteles zurück, der gie, Psychologie u. Soziologie (z,B. on (Lat. evolvere: entwickeln) be-
21975;]. 1. Mackie, E, Stuttgart 1981;
ältere Ansätze (Sophisten, Sokrates, M. Weber). Allerdings kann die Phi- G. Harman, Das Wesen der Moral, schreibt den organischen Entwick-
Platon) aufgreift. Dort, wo über- losophie auf dem allgemeinen Ni- Frankfurt/M. 1981; F. v. Kutschera, lungsprozeß biologischen i Lebens
kommene Lebensweisen u. i Institu- veau mitwirken und etwa als Sozial- Grundlagen der E, Berlin u, a. 1982; als Entstehen der Arten von Lebewe-
tionen ihre selbstverständliche Gel- i Anthropologie menschliches Ver- F. Ricken, Allgemeine E; Stuttgart u. a. sen aus anderen Arten nach den Ge-
tung verlieren, sucht die philosophi- halten überhaupt, etwa das Gewicht 1983; A. Pieper, E u. Moral. Eine Ein- setzen der natürlichen Auslese. Da
sche E, von der Idee eines sinnvollen von Brauch, Sitte u. Recht, untersu- führung in die praktische Philosophie, von jeder Art meist mehr i Indivi-
chen. (2) Das Ziel der t normativen München 1985; O. Höffe, E u, Politik,
menschlichen Lebens geleitet, auf duen geboren würden als überleben
Frankfurt/M. 31987; B, Williams,
methodischem Weg (t Methoden E dagegen u. wohl der letzte Zweck
Ethics and the Limits of Philosophy, könnten u. da sich die organischen
der E) u. ohne letLte Berufung auf einer philosophischen E überhaupt London 1985; W. Schulz, Grundpro- Anlagen der Individuen von Genera-
politische u. religiöse Autoritäten ist es, die jeweils herrschende Moral bleme der E, Pfullingen 1989; H. Krä- tion zu Generation veränderten,
( i theologische E, i buddhistische, kritisch zu prüfen (i Moralkritik) mer, Integrative E, Frankfurt/M. 1992; würden im notwendigen Kampf ums
i christliche E usw.) oder auf das sowie Formen u. Prinzipien rechten E. Tugendhat, Vorlesungen über E, Dasein - dem Kampf von Individuen
von alters her Gewohnte u. Bewährte Handelns zu i begründen. (3) Dafür Frankfurt/M.1993. O. H. gleicher Art untereinander, gegen an-
allgemeingültige Aussagen über das übernimmt die t MetaE die wichti- dere Arten u. gegen die äußere Natur
gute u. gerechte Handeln (i Moral ge Aufga be, die sprachlichen Ele- E~Kommissionen i Medizinische E. - die Tüchtigsten überleben: Deren
u. Sitte, i Sittlichkeit, i Gerechtig- mente u. Formen moralischer Aussa- Anlagen böten die größeren Chancen
keit). Bei Aristoteles u. in der von gen kritisch zu analysieren u. Me- E ohne Metaphysik t Methoden der der Erhaltung der Art (i Soziobio-
ihm begründeten Tradition (i Ge- thoden zu ihrer Rechtfertigung u. ih- E. logie). Die natürliche Auslese wirke
Evolutionistische Ethik 68 69 Existentialistische Ethik

durch u. für das Wohl eines Lebewe- lediglich auf der Effizienz der Anla- Ethics, Bd, 1, Teil 1, Bd.2, Teil 6; Tode". Die Existenz ist primär von
sens u. perfektioniere seine körperli- ge, die in einer bestinunten Umwelt A. G, N. Flew, Evolutionary Ethics, der Endlichkeit der Zeit bestimmt U.
che u. mentale Ausstattung kontinu- zum Überleben notwendig ist. Ein London u. a. 1967, Teil 3 u. 4; W, Vos- daher auf ihre unwiederholbaren ge-
ierlich (c. Darwin). - (1) Die e.E Lebewesen kann trotz hochentwik- senkuhl, Die Unableitbarkeit der Moral schichtlichen Möglichkeiten einge-
anS der Evolution, in: p, Koslowski
zieht aus diesen deskriptiven Geset- kelter anderer Anlagen nicht überle- u. a. (Hrsg.), Die Verführung durch das grenzt. Die Geschichtlichkeit des
zen der Evolution den normativen ben. Daß die Besten überleben, lie- Machbare, Stuttgart 1983; H. Mohr, Menschen besagt daher, daß sein
Schluß: Der evoIutionäre Prozeß sei fert daher kein allgemeines Kriterium Natur u. Moral. E in der Biologie, Handeln U. der t Sinn seines i Le-
ein Kriterium des t Guten (J. Need- für das, was sie vor anderen Lebewe- Darmstadt 1987; R. Axelrod, Die Evo- bens nicht von absoluten sittL Nor-
ham). Das Gute wird dabei von der sen auszeichnet. Die Fortschittsthese IntiOlI der Kooperation, München men, sondern von der absoluten
Tüchtigkeit, nach bestimmten natu- der e.E ist aus analogen Gründen 1988; D. Birnbacher, Ökologie, E u. Endlichkeit des Daseins bestimmt
raIen Erfordernissen in einer Umwelt unhaltbar: Sie würde ein indiffferen- neues Handeln, in: H. Stachowiak sind. Das Glücken oder Scheitern des
zu überleben, abgeleitet. Es ist zwar tes sittL Verhalten nahelegen, wenn (Hrsg.), Pragmatik, Bd. III, Hamburg
Lebens ist damit dem "Geschick des
1991, S. 393-417; F, M. Wuketis, Ver-
ein Kriterium sittI. t Werte, dem die Evolution per se immer das Beste dammt zur Unmoral? München 1993; Seins" ausgesetzt. Das Dasein wird
t Glück u. den t Bedürfnissen der bewirken würde. Da der t Mensch K. Bayertz (Hrsg.), Evolution u, E, zum Wagnis, da über seine Seins be-
Betroffenen zu dienen; aus der Tat- seine Geschichte selbst gestaltet u. Stuttgart 1993; G. Vollmer, Auf der dingungen weder im Denken noch
sache, daß etwas Bestimmtes ge- selbst eine bestimmende Funktion in Suche nach der Ordnung, Stuttgart im Handeln Sicherheit zu gewinnen
wünscht wird, läßt sich aber nicht der Entwicklung des organischen 1995; E.-M. Engels, Die Rezeption von ist.
schließen, daß dies wünschens- Lebens innehat u, die evolutionären Evolutionstheorien im 19, Jh., Frank- Grundgedanken dieses Ansatzes
wert ist (naturalistischer Fehlscllh.l(~: Gesetze bis in den Bereich der Erban- furt/Mo 1995; R, Dawkins, Das egoisti- formulierte schon Kierkegaard:
sche Gen, Hal11burg 1996. W. V.
t MetaE). Allgemein ist das Überle- lagen manipulieren ( t Manipulation) Nicht die abstrakten sittl. Bestim-
ben, das von der Effizienz organi- kann, sind Kriterien seines Verhal- mungen einer allgemeinen Vernunft,
scher Dispositionen abhängt, weder tens aus dem evolutionären Prozeß Existentialistische Ethik. Die e.E ist sondern die Selbstwahl als Realisie-
ein Grund für die Annahme, daß das nicht ableitbar. Die Konkurrenz (Jat. keine einheitliche, systematisch ent- rung subjektiver i Freiheit begrün-
sitt!. beste Lebewesen überlebt, noch Wettstreit), das egoistische t Stre- wickelte e t Methode. Die unter- det die Verbindlichkeit U. die Ver-
umgekehrt dafür, daß sitt!. Kriterien ben nach dem Vorrang individuel- schiedlichen Ansätze entwickeln kei- wirklichung des von den Normen
überhaupt Bedingungen des Überle- ler t Interessen mit Hilfe höherer ne Prinzipienlehre sittr. Verhaltens, christlicher Existenz geprägten "Kön-
bens sind. Schließlich kann man Durchsetzungskraft ( t Sozialdar- sondern betonen die Abhängigkeit nen-Sollens". Die sittL Forderungen
nicht sagen, daß ein Opfer der Aus- winismus), gefährdet sowohl das Le- unbedingter Forderungen von der stehen hier in einem Spannungsver-
lese den Kampf ums Dasein zu sei- ben in der t Gesellschaft wie in der jeweiligen geschichtlichen Existenz hältnis zwischen sitt!. Unbedingtheit
nem Wohle verloren hat. Die e.E läßt Natur (t Umweltschutz). Die Ver- des Handelnden. Heideggers von den U. zeitlich-geschichtlicher Notwen-
im übrigen offen, welche evolutionä- minderung des Unglücks u. die Si- übrigen Ansätzen abweichende The- digkeit. - Jaspers hält wie Kierke-
ren Tatsachen mit welchen sitt!. cherung des sozialen u. natürlichen se ist, daß der t Sinn e Bestimmun- gaard an der Gesetzlichkeit des Sol-
Werten verknüpft sind. - (2) Die e.E Lebens ist auf t Toleranz, gerechten gen solange ungeklärt ist, solange sie lens fest. Der einzelne kann sich über
übernimmt die Fortschrittsidee der Interessenausgleich u. wechselseitige nicht als Möglichkeiten des Daseins dieses Sollen in der geschichtlichen
Evolutionstheorie u. interpretiert sie t Verantwortung angewiesen. Sie dem t Verstehen der Menschen U. Situation seiner Existenz keine abso-
e: Der evolutionäre Prozeß begünsti- müssen notwendig an die Stelle evo- ihrer Sinngebung offen sind. Das lute, sondern nur eine relative Ge-
ge jeden Wandel der t Natur, der lutionärer Gesetzlichkeiten treten, Dasein als Geworfensein in die Welt wißheit in der Erhellung des "philo-
Leben vermehre u. t Glück steigere damit humanes Leben möglich ist. ist geprägt von Furcht U. Bedroh- sophischen Glaubens" verschaffen. Er
(H. Spencer). Ein Gesetz des evolu- lichkeit (Befindlichkeit) U. schließlich ist in' seinen Grenzsituationen (Tod,
tionären t Fortschritts zur höheren, Lit,; Darwin lesen. Eine Auswahl aus von der t Angst vor dem Nicht-sein. t Leid, t Schuld) zum Scheitern ver-
besseren Art, die im historischen seinem Werk, hrsg, v, M. Ridley, Mün- In der Befindlichkeit erschließt sich urteilt u. auf sich zurückgeworfen.
Sinne auch vom t Materialismus ge- chen 1996; C. M. Williams, Evolutio- dem Menschen die Möglichkeit des Eine unbedingte Forderung gibt es
teilt wird, ist aber nicht einmal bio- nal Ethics, LondonlNew York 1893, Seinkönnens U. das Verstehen seiner nicht ausdrücklich, sie muß aber
logisch zwingend, Die Auslese beruht Teil 1, 2; I-I. Spencer, The Principles of Existenz (Jat.: Dasein) als "Sein zum vorausgesetzt werden U. kann in der
Existentialistische Ethik 70 71 Familie

t Liebe erfahren werden. Die Erhel- nung". Der Mensch verfehlt sich, burg/München 1975; W. Am;, Zur terzogen werden, teils um die Res-
lung der Existenz hat eine appellative wenn er sich dem Geheimnis ent- Wirkungsgeschichre Kierkegaards ... , sourcen für die Gestaltung des ge-
Funktion: Sie stellt den einzelnen vor zieht; er findet seine wahre Möglich- in: Zeitsehr. f. Theol. u. Kirche 79 meinsamen Lebens (Wohnung, all-
(1982), 451-482; M. Müller, Existenz-
die sittl. Aufgabe, die t Verantwor- keit in Treue u. Verpflichtung ihm täglicher Verbrauch, Erholung) zu
philosophie, Freiburg/München 1986;
tung seiner Existenz in t Freiheit zu gegenüber. - Die Bedeutung der e.E G. Seel, Wie hätte Sartres Moralphil. kennen, teils um in t verantwor-
übernehmen. - Sartre radikalisiert liegt nicht in der argumentativen Lö- aussehen können?, in: T. König (Hrsg.), tungsvoller Weise den Lebensraum
diese Position, indem er jegliche sung u. der theoretischen Entfaltung Sartl'e, Hamburg 1988, 276-293; für die Kinder vorzubereiten. Durch
t Werte, einen unbedingten Sinn des e Probleme, sondern in ihrer Ver- W. Greve, Kierkegaards maieutische E, die Möglichkeit der Fortpflanzung
Daseins u. ein den Menschen mora- knüpfung mit der Interpretation exi- Frankfurt/M. 1990. W. V. ist die F. mit der Entscheidung kon-
lisch bindendes Wesen negiert. Der stentieller Probleme. Die e. Ansätze frontiert, neues i Leben zu ermögli-
Mensch erfährt sich nicht im Ganzen vertreten die These, daß zur Lösung Existenz t Existentialistische E. chen u. die heranwachsenden Kinder
einer sinnvollenWelt, sondern schafft existentieller Probleme sittl. Postula- zu erziehen oder diese Möglichkeit
sie sich. Er ist zu seiner Freiheit ver- te nicht hinreichend sind u. daß die aus gewichtigen Gründen auszu-
urteillt, die er rückhaltlos auf sich Bedeutung dieser Postulate von den F schließen. Die t Entscheidung für
nimmt u. dem Anspruch der andern geschichtlichen Bedingungen des Da- ein Kind, stellt eine der zentralen
gegenüber verantwortet. Die Freiheit seins abhängig ist. Gemeinsam ist Fairneß t Gerechtigkeit. t süd. Fragen der F. dar, weil damit
jedes einzelnen muß mit der Freiheit diesen Ansätzen der Vorbehalt, kri- ein neuer Erfahrungsbereich für die
der andern übereinstimmen, sie for- tisch betrachtet: die Resignation, ge- Fajia t chinesische E. Eltern erschlossen wird (nach Hegel
dert "Engagement" u. bildet ~J:i.s., genüber rationalen Lösungen e u. die objektiv angeschaute Einheit der
Grundelement dieses e. Humanismus existentieller Probleme.
Faktisch t Empirismus. Beziehung), aber auch weil t Liebe
( t Humanität). - Camus sieht im Faktnm der Vernunft t Methoden u. Einsatz der Eltern auf Jahre hin-
Verhältnis u. gleichzeitigen Vorhan- Lit.: S. Kicrkegaard, Die Krankheit aus dem gemeinsam erzeugten Drit-
zum Tode, Teil A.; M. Heidegger, Sein der E, Sittlichkeit.
densein einer überlegenen Welt u. ei- ten gelten muß. In diesem Erfah-
u. Zeit, §§ 54-60; ders., Über den Hu-
nes in seinem Wollen u. Handeln un- manismus, Frankfurt/M. 1949; E. Familie heißt die soziale Einheit, die rungsbereich fließen unbewußte
terlegenen u. daher zur Revolte Griesbach, Gegenwart. Eine kritische E, durch die eheliche Verbindung zwei- emotionale Beziehungsformen der
aufgerufenen Menschen die Sinnlo- I-lalle 1928; K. Löwith, Das Individu- er t Menschen verschiedenen Ge- Ehepartner zueinander auch in das
sigkeit des Daseins (t Nihilismus). um in der Rolle des Mitmenschen, schlechts begründet wird, gemeinsam Verhältnis zum Kind ein. Im Erzie-
Dieses Absurde, als Mißverhältnis München 1928; K. Jaspers, Vernunft u. die ökonomischen Reproduktions- hungsprozeß findet eine wechselsei-
zwischen den Kräften u. Zielen des Existenz, München 1960, Vorlesung 1 bedingungen erarbeitet u. die Erzeu- tige unbewußte Rollenzuschreibung
Menschen, ist für ihn die erste u. 3; J.-P. Satre, Das Sein u. das Nichts, gung u. i Erziehung der Kinder zum zwischen Eltern u. Kind statt. Die
I-Iamburg 21962, Teil 4; ders., Drei Es- Inhalt hat. Die F. wird durch die
Wahrheit u. Gegebenheit. Aus ihr Gefahr krankhafter Verzerrungen
says, Frankfurt/M.IBerlin 1963, S. 7-
leitet er die Forderungen der Aufleh- 51; A. Camus, Der Mythos von Sisy- t Ehe begründet. Als Form des Zu- zeigt sich in den angsthysterischen,
nung, der Freiheit und der t Lei- phos, Düsseldorf 1956, Abschn. I u. II; sammenlebens (Gemeinsamkeit von paranoiden u. hysterischen Grund-
denschaft ab. Nur die Einsicht in das ders., Der Mensch in der Revolte, Bett u. Tisch) bedarf sie einer öko- mustern, die solche Beziehungen prä-
Absurde ist vernünftig, jede absolute Reinbek 1953, S.14-86; G. Marce1, nomischen Grundlage, die durch die gen können, sei es, daß diese Krank-
Forderung aber irrational. Absolut Homo viator, Düsse1dorf 1949, S. t Arbeit heider Teile erworben wer- heit einem F.mitglied zugeschoben
ist nur die Leidenschaft, alles im Le- 173 ff; M. Warnock, Existentialist den muß. Dies ist selbst dann noch wird (Sündenbockrolle) oder die F.
ben Gegebene auszuschöpfen. - Im Ethics, LondonlNew York 1967; der Fall, wenn der Mann die Berufs- als ganzes betrifft (Richter).
H. Fahrenbach, Existenzphilosophie u.
Gegensatz zu Camus vertritt M'arcel arbeit im engeren Sinne u. die Frau Ehe u. F. stehen als kleinere sozia-
E, Frankfurt/M. 1970; K.Jacobi, ]ean
einen christlichen Existentialismus. Paul Sartres Weg zu einer Philosophie die Hausarbeit verrichtet, wie dies le Einheit in ihrer Struktur mit den
Das Unbedingte, das Geheimnis, ver- der konkreten Praxis, in: P. Enge1hardt die traditionelle gesellschaftliche gesamtgesellschaftlichen Organisati-
mittelt u. offenbart sich dem Men- (Hrsg.), Zur Theorie der Praxis, Mainz Rollenverteilung vorsieht. Die öko- ons- u. Beziehungsformen in einem
schen. Aus ihm schöpft er die Kraft 1970,111-162; B. Sitter, Dasein u. E., nomische Seite der F. muß einer wechselseitigen Austauschverhältnis.
der t "Hoffnung wider alle Hoff- Zu einer e Theorie der Existenz, Frei- sorgsamen Erwägung u. Planung un- Dies verdeutlicht die Geschichte des
Faschismus 72 73 Fleiß

F.begriffs. Während in den fruchtba- tigten Partnerschaft ab. Die Mobili- Feigheit t Tapferkeit. Nicht-Reziprozität) des moralischen
ren Flußkulturen des Mittelmeer- tätsforderungen der Industriegesell- Anspruchs. Unterschiedlich bewertet
raumes u. Mesopotamiens matriar- schaft (z.B. rascher Wechsel des Ar- Feministische Ethik bestreitet die wird in der f.E das Gewicht der neu-
chalische Frühformen ausgebildet beitsplatzes) stellen auch die Stabili- Möglichkeit einer geschlechtsneutra- zeitlichen Aufklärung sowie ihres
wurden, wobei der Mutterclan ihre tät einer lebenslangen Verbindung in len e Theorie (u. daher auch einer Vernunft- u. Autonomieideals: teils
Form bestimmte, veränderte sie sich Frage. Das moderne Partnerschafts- unparteilich-objektiven e Praxis). Sie gilt sie als Ausdruck einseitig-mälm-
unter patriarchalischen Vorzeichen verhältnis schwankt daher zwischen deutet den Universalitätsanspruch lichen Denkens, teils als eine vorbe-
zur männlich regierten GroßF., die dem Rückgriff auf traditionelle neuzeitlicher E im Sinn einer Ver- reitende Grundlage weiblicher Selb-
planmäßig Ackerbau betrieb. Das F.vorstellungen u. dem t Emanzipa~ nachlässigung der Geschlechterdiffe- ständigkeit. Zentrale Themen der an-
antike Haus (oikos) ist nach Aristo- tionsversuch ihnen gegenüber. renz; die spezifisch weibliche Sicht- gewandten f.E sind Chancengleich-
teles aus den drei sozialen Verhält- weise werde damit unterschlagen. heit von Frauen im gesellschaftli-
Lit.: Aristoteles, Politik, Buch I; G. W.
nissen Mann - Frau, Eltern - Kinder F. Hegel, Grundlinien der Phiolosphie Eine aus weiblicher Perspektive for- chen, beruflichen wie häuslichen Be-
u. Herr - Sklave zusammengesetzt. des Rechts, §§ 158-181; S. Freud, Das mulierte E soll hingegen durch die reich, das Problem der Quotierung,
Gleichzeitig stellt es die ökonomische Ich u. das Es, Werke Bd. XIII; Einbindung moralischer Phänomene die Stellung der Frau in den Ennvick-
Produktionszelle dar, in der die Skla- A. Gehlen, Moral u. Hypermoral, in bestimmte Lebenskontexte cha- lungsländern sowie Fragen der Re-
ven die körperliche Arbeit verrich- Kap. 6, Frankfurt/M. 31973, S. 87f; rakterisiert sein; durch diese Kon- t
produktionsmedizin u. der Abtrei-
ten, auf deren Grundlage die Herren D. Claessens u. P. Milhoffer (Hrsg.), textsensitivität erhält die f.E eine bung. Zudem spielen Vertreterinnen
handeln. Das "ganze Haus" bildet F.soziologie, Frankfurt/M. 1973; R. Verwandtschaft mit dem t Kom- der f.E eine wichtige Rolle bei der
einen kleinen Organismus, in 'dru:n König, Soziologie der F., in: Handbuch munitarismus u. der t TugendE. Ein Neuentdeckung kontextsensitiver
der empirischen Sozialforschung 11,
jedem Teil von Natur seine Funktion München 1969; ders., Die F. der Ge- grundlegender u. in der Folgezeit an- Klassikertexte, besonders aus der
zugewiesen ist, deren Ausübung der genwart, München 1974; H. E. Rich- stoßgebender Ansatz der f.E bestand antiken Ethik.
Herr lenkend überwacht. Diese alt- ter, Patient F., Hamburg 1972; S.Si- darin, eine spezifisch "weibliche"
europäische F.struktur, in der auch mitis u. G. Zenz, F. u. F.recht, 2 Bde. Moral der Anteilnahme, des t Wohl- Lit: S. de Beauvoir, Das andere Ge-
die neuen F.gründungen durch Ver- Frankfurt/M. 1975; F.dynamik. Inter- wollens u. der Fürsorglichkeit einer schlecht. Sitte p. Sexus der Frau, Rein-
bek 21992 (frz. 1949); C. Gilligan,
einbarung der Eltern gestiftet wur- disziplinäre Zeitschrift für Praxis u.
Forschung, hrsg. v. H.Stierlin u.
"männlichen" Perspektive von Ge-t Die andere Stimme. Lebenskonflikte u.
den, wird erst im bürgerlichen Zeit- rechtigkeit, Unparteilichkeit, Verall- Moral der Frau, München 1984;
alter des 19. und 20. Jh. durch den J. Duss von Werdt, Bd. 1, 1976; gemeinerung u. Wechselseitigkeit ge-
M. Mitterauer u. R. Sieder, Vom Patri- H. Nagl-Docekal (Hrsg.), F. Philoso-
Begriff der KleinF. abgelöst, die sich archat zur Partnerschaft. Zum Struk- genüberzustellen (FürsorgeE: CareE, phie, Wien/München 21994; S. Ben-
auf die persönliche Neigung u. Liebe turwandel der F., München 1977; GiIligan). Eine solche Antithese ist habib, Situating the Sclf, New York
sowie auf die sitt!. Entscheidung der M. Perrez (Hrsg.), Krise der Kleinfami~ neben der externen Kritik etwa auch 1992; H. Nagl-Docekal, H. Pauer-
einzelnen freien Person gründet. Die- lie? Sero u. a. 1979; B. Schnyder u. a. dem internen f.en Bedenken ausge- Studer (Hrsg.), Jenseits der Geschlech-
se sog. "sentimentale" F. bringt die (Hrsg.), F. Herausforderung der Zu- setzt, hier würden moralpsychologi- termoral. Beiträge zur f.E, Frank-
triadische Struktur Vater - Mutter- kunft, Freiburg i. Ü. 1982; J. Willi, Die furt/Mo 1993; V. Held, Feminist Mora-
sche u. moralphilosophische Elemen-
Zweierbeziehung, Hamburg 1983; !ity, Chicago/London 1993; A. Pieper,
Kind zum Tragen, die von der Psy- te unzulässig vermengt; auch werden Aufstand des stillgelegten Geschlechts,
ders., Therapie der Zweierbeziehung, die einschlägigen empirischen Un-
choanalyse Freuds im Ödipuskom- Hamburg 1985; H.Stierlin, Individua- Freiburg 1. Br. 1993; G. Nunner-Wink-
plex als Grundfigur eines Beziehungs- tion u. F., Frankfurt/M. 1989; R. Nave- tersuchungen in methodischer Hin- let (Hrsg.), Weibliche MoraL Die Kon-
dramas erkannt wurde. Erst Mitte Herz, F. heute. Wandel der F.struk- sicht kritisiert. In Anlehnung an die troverse um eine geschlechtsspezifische
des 20. Jh. beginnt sich eine weitere turen u. Folgen für die Erziehung, FürsorgeE stellen verschiedene An- E, München 1995; H. Pauer-Studer, E
tiefgreifendeVeränderungder F.struk- Darmstadt 1994; L. A. Vaskovics sätze aus der f.E die Mutter-Kind- u. Geschlechterdifferenz, in: J. Nida-
tur abzuzeichnen. Bedingt durch die (Hrsg.), F. Soziologie familialer Le- Beziehung als Paradigma einer nicht- Rümelin (Hrsg.), Angewandte E, Stutt-
benswelten, München 1994. A. S. gart 1996, 86-136. C. H.
ökonomische Selbständigkeit der reduktiven e Beziehung dar; für eine
Frau, zeichnet sich nicht nur eine Faschismus t Diskriminierung. weibliche Moral charakteristisch sei Finalität t Ziel.
Gewichtsverschiebung von der Herr- hier die Nichtverallgemeinerbarkeit
schaft des Mannes zur gleichberech- Fatalismus t Schicksal. sowie die Asymmetrie (u. damit die Fleiß t Arbeit.
Föderalismus 74 75 Fortschritt

Föderalismus i Staat. Kants E gilt, rekonstruiert im Aus- P. Singer (Hrsg.), A Companion to cet). Mit der technisch-praktischen
gang von "der gemeinen Idee der Ethics, Oxford 1991, Teil IV. M. F. Befreiung aus Naturzwängen verbin-
Formale Ethik - Materiale Ethik. Die Pflicht und der sittl. Gesetze" mit ih- det sich der Glaube an eine zuneh-
Unterscheidung von f.E u. m.E, zu- rem Charakter unbedingter u. allge- ForschungsE i WissenschaftsE. mende Befreiung des Menschen aus
nächst von Kant, dann in pole- meingültiger Forderung den trans- ökonomischer, rechtlich-politischer,
mischer Betonung von Max Sehe/er zendentalen Grund der Verpflichtung Forschungsfreiheit i WissenschaftsE. religiöser u. moralischer Knecht-
in die philos. Diskussion eingeführt, "aus dem allgemeinen Begriffe eines schaft in Richtung auf eine ihre Ge-
gründet in der unterschiedlichen vernünftigen Wesens überhaupt". Fortschritt benennt die Form einer schichte selbst verwaltende Mensch-
Auffassung vom Bestimmungsgrund Das Moment autonomer Praxis der geordneten Bewegung vom Niederen heit, die sich aus Freien, Gleichen u.
menschlichen Begehrens u. Han- sich selbst wol!enden u. bestimmen- zum Höheren. Als philos. Terminus Vernünftigen konstituiert (etwa Val-
delns, der dieses als sittl. qualifiziert. den i Vernunft, nicht die vorgegebe- gehört F. in die Geschichtsphilosophie taire). Rousseaus Kulturkritik er-
Während die m.E den Begriff des nen u. nur empirisch feststellbaren Be- u. zwar als eine Idee, die die Einheit schütterte den naiven Glauben an die
Moralischen primär am Erkennen dürfnisse, Interessen u. Ziele mensch- des Gegenstandes Geschichte als ziel- Parallelität von wissenschaftlich/kul-
(oder Fühlen), Wollen u. Verfolgen lichen Wollens konstituieren Mora- gerichtete Bewegung der Menschheit turellem u, eudämonisch/sittl. F. Die
an sich guter i Zwecke bzw. i Wer- lität (i Freiheit). Das aus reiner interpretiert, als stetigen oder revo- Erfahrung schließlich, die die Mo-
te, also am intendierten Inhalt fest- praktischer Vernunft deduzierbare lutionären Progreß aus Unwissenheit derne mit den keineswegs nur befrei-
macht (Seheler), sieht die f.E Morali- Gesetz des Handelns ist für ein end- zur Aufklärung, aus Armut u. Un- enden Folgen des technischen F. ge-
tät allein in einer betimmten Qualifi- liches Vernunftwesen wie den Men- glück zu Reichtum u. i Glück, aus macht hat, scheint inzwischen das
kation der freien Subjektivität,"1n:cler schen lediglich in seiner formalen Unfreiheit zu i Freiheit, aus barbari- Gegenmodell der Verfallsgeschichte
vernünftigen Form ihres Begehrens Grundstruktur (der Verallgemeine- scher Animalität zu kultivierter Ge- zu stützen, Kants präzise Unterschei-
begründet (Kant). Zur m.E gehören rungsfähigkeit der Maximen u. der sittung (Kulturf]. Die Entwicklung dung von theoretischer, technisch-
nach dieser Unterscheidung alle Anerkennung aller Vernunftwesen als des F.gedankens ist aufs engste ver- praktischer u. praktischer Vernunft
Spielarten ,teleologischer' i E, die Selbstzwecke) apriori bestimmbar. bunden mit dem Auftreten neuzeitli- löst denn auch zu Recht den F.be-
dem menschlichen Leben ein indivi- Insofern dieser i kategorische Impe- cher, auf Mathematik, Erfahrung u. griff aus dem Rahmen theoretischer,
duelles (e Egoismus) oder kollektives rativwohl ein notwendiges, nicht aber Experiment basierender Naturwissen- objektive Erkenntnis konstituieren-
(e Universalismus), empirisch be- (wie Kant unterstellt) auch ein zurei- schaft, die Wissen nicht länger als er- derVernunft. Geschichte in ihrer Ein-
stimmbares (i Utilitarismus), meta- chendes Kriterium für die Geboten- kennende Betrachtung der unverfüg- heit ist nicht erkennbar, sie ist nicht
physisch erkennbares (Platon-Aristo- heit bzw. Erlaubtheit konkreten mo- baren Welt versteht, sondern als theoretisch-objektiv als Verfalls- oder
teles) oder durch Offenbarung ver- ralischen Handelns darstellt, ist die Forschung, Entdeckung u. Konstruk- Vervollkommnungsprozeß der Gat-
mitteltes ( i theologische E) Ziel vor Kritik der m.E berechtigt. Insofern tion, die die wahre Natur der Dinge tung diagnostizierbar . Die " Tendenz
Augen stellen, dem die Regeln des eine m.E Kriterien zur Prüfung des erfaßt, um sie in den Griff zu bekom- zum continuierenden F. des Men-
Handelns funktional zugeordnet sind. moralischen Werts von Inhalten u. men(vg1.F. Bacon, Nov. Org. I, 84). schengeschlechts zum Besseren ...
Zur m.E gehören auch jene ,deon- Zielen des Handelns bereitstellt, Die Wissenschaft u. die auf sie ge- (ist) eine moralisch-praktische Ver-
tologischen' Theorien, die nicht ,au- könnte sie als Ergänzung einer LE gründete Kunst ( i Technik) wird zum nunftidee", nach der zu handeln die
ßermoralische' Güter (wie Glück, Er- dienen. Träger menschlicher Praxis, u. Praxis praktische Vernunft dogmatisch ge-
kenntnis, die Ehre i Gottes, die Ord- versteht sich zunehmend als gradue!l bietet (Akad. Ausg. XIX, 611), u. ein
nung des Seins etc.), sondern inhalt- Lit.: 1. Kant, Grundlegung zur Meta- sich erweiternde Herrschaft des Men- hypothetischer Leitfaden, nach dem
lich bestimmte Handlungsregeln u. physik d. Sitten; ders., Kritik d. prakti- die reflektierende Urteilskraft in prak"
schert über die Natur (ebd. 11, 52).
schen Vernunft; M. Sche1er, Der For-
moralische Werte (Seheler, N. Hart- malismus in der E u. die materiale Der Erfolg ihrer Methode macht Na- tischer Absicht den Verla uf der Ge-
mann, W, D, Ross) als in sich sinn- WertE; N. Hartmann, E, Kap. 11-13; turwissenschaft in der Aufklärung schichte als Prozeß zunehmender Kul-
volle, weder weiter begründbare noch W. D. Ross, The Right and the Good; zum Paradigma von i Vernunft über- tivierung teleologisch interpretiert.
begründungsbedürftige i Normen G. Patzig, E ohne Metaphysik, Gättin- haupt u. zum Garanten der erhofften
menschlicher Verpflichtung aner- gen 1971; G.]. Warnock, The Object Herrschaft der Ratio auf allen Gebie- Lit.: F. Bacon, Novum Organum; M.],
kennen. Die LE, als deren Paradigma of Morality, London 1971, Kap. 5-6; ten des Lebens (so v. a. bei Candor- de Condorcet, Esquisse d'un tableau
Frankfurter Schule 76 77 Freiheit

historique des progres de l'esprit hu- phen u. politischen Bewegungen der ben, das auszuführen, was man will. bestimmten individuellen Freiräume,
main; J.-J. Rousseau, 1. u. 2. Discours; Neuzeit wird die F. zum universalen - HandlungsF. ist keine angeborene die gegen die Übergriffe von anderen
I. Kant, Idee zu einer allgem. Geschich- Anspruch jedes i Individuums u. je- Eigenschaft, sondern eine Möglich- Individuen, auch Verbänden u. der
te in weltbürger!. Absicht; ders., Die der politischen Gemeinschaft. Die keit, die es zu realisieren gilt, was politischen Gewalt gesichert sein
Religion innerhalb der Grenzen der doppelte Bedeutung des ,Freien' hat sollen U. die es jedem erlauben, sich
den verschiedenen Menschen unter-
bloßen Vernunft; Hegel, Vorlesungen
über die Philosophie der Gesdüchte; sich jedoch bis heute durchgehalten: schiedlich weit gelingt. Ein Individu- nach eigenen Zielen u. Wegen zu
H. Kuhn, F. Wiedcmann (Hrsg.), Die Politische F. besteht im Ledigsein um ist um so freier, auf je mehr Bah- entfalten, evtl. auch auszuleben. Fer-
Philosophie u. die Frage nach dem F., von fremder Gewalt u. zugleich der nen es sich bewegen kann (Hobbes, ner ist eine politische Gemeinschaft
München 1964; J. Ritter, Art. F., Hist. Sicherung des Ledigseins durch eine Vom Bürger, Kap. 9). Dies hängt nach innen frei aufgrund einer Re-
WÖrterb. d. Philos., Bd. II; Th. Nisters, anerkannte Gewalt. Die universal ge- von den physischen, psychischen, gierungsform, die sich durch (a) all-
Kants Kategorischer Imperativ als Leit- wordene F. tritt auf zwei verschiede- wirtschaftlichen u. politischen Bedin- gemeine Gesetze, nicht durch will-
faden humaner Praxis, Freiburg/ nen Ebenen auf, als die Selbstbe- gungen ab. HandlungsF. ist deshalb kürliche Maßnahmen (i Recht), (b)
München 1989 (Lit.); O. Höffe, Kate-
stimmung des Handelns (Hand- ein komparativer Begriff. Dem Kind, Gewaltenteilung, dabei insbesondere
gorische Rechtsprinzipien, Frank-
fun/Mo 1990, Kap. 9; ders., Moral als lungsF.) U. als die des Wollens (Wil- dem Kranken, Armen oder Schwa- unabhängige, auch Regierung u.
Preis der Moderne, Frankfurt/M. lensF.). chen sind engere Grenzen gesetzt als Parlament kontrollierende Gerichte,
3 1995 ; G. Beestermöllcr, Die Völker- (1) HandlungsF. besteht im ele- dem Erwachsenen, dem Gesunden, (c) ein i demokratisch gewähltes,
bundidee, Stuttgart 1995. M. }'. mentarsten Sinn schon dort, wo sich Reichen oder Mächtigen. Ferner hat die Regierung wählendes u. abwäh-
jemand im Sinne seiner eigenen Kräf- man desto mehr F., je mehr Hand- lendes Parlament u. (d) Dezentrali-
Frankfurter Schule i Kritische Tlleo~ te U. Möglichkeiten bewegen kann. lungsalternativen man aufgrund von sierung der Macht (Föderalismus)
rie. ....,',:'"
So leben auch i Tiere frei, wenn sie Intelligenz u. Erfahrung sieht, je auszeichnet sowie (e) im Fall der
Freiheit meint Selbstbestimmung. sich in ihrer angestammten Umwelt mehr man aufgrund seines Charak- Verletzung der GrundF.en die Mög-
Der philosophische u. sittl.-politische entfalten u. nach den Gesetzen ihrer ters die Affekte u. i Leidenschaften lichkeit, vor Gericht zu klagen, not-
Schlüsselbegriff vor allem der Neu- Art- u. Selbsterhaltung bewegen kön- beherrscht U. je weniger Zwänge eine falls auch i Widerstand gegen die
zeit bedeutet negativ die Unabhän- nen. In einem engeren U. spezifisch "offene Gesellschaft" (Bergson, Pop- Regierung zuläßt.
gigkeit von Fremdbestimmung (na- menschlichen Sinn besteht die Hand- per: i kritischer Rationalismus) aus- (2) Da die WillkürF. des einen mit
turaler, sozialer oder politischer Art) lungsF. erst dort, wo jemand (einen übt. der eines anderen in Konflikt gera-
u. positiv, daß man seIbt seinem Tun Spielraum von alternativen) Mög- Eine politische Gemeinschaft ist in ten kann, sind politische Gesetze
den bestimmten Inhalt gibt. Zu- lichkeiten des Verhaltens sieht U. ei- ihrem Handeln frei, wenn ihre Ge- der i Konfliktregeluug notwendig,
nächst - sowohl im Germanischen ne davon auswählen kann. F. heißt setze nicht von außen auferlegt, son- durch die die HandlungsF. eines je-
als auch im Griechisch-Römischen - hier, handeln u. auch nicht handeln dern von ihr selbst gegeben werden den eingeschränkt u. zugleich gesi-
war ,frei' ausschließlich eine partiku- (libertas exercitii) oder das eine u. (Souveränität nach außen) u. diese chert wird. Überdies ist dort, wo
lare Rechtsbestimmung, die gewisse auch ein anderes tun können (liber- auf das eigene i Gemeinwohl zielen. man rechtlich das tun kann u. darf,
Personen vor anderen auszeichnete. tas specificationis): WillkürF. Diese Sie ist - worauf vor allem die liberale was man will, das Wollen seinerseits
Als vollwertige Mitglieder einer Ge- F. hat zwei Aspekte: Zum einen Tradition (Locke, Hume, A. Smith, durch physische, psyschische, soziale
meinschaft lebten die ,Freien' im Un- meint sie die Fähigkeit des Men- j. S. Millu. a.) Wert gelegt hat - für u. andere Bedingungen vielfach be-
terschied zu den Sklaven um ihrer schen, aus sich heraus Vorstellungen ihre Mitglieder in dem Maß frei, wie stimmt. Der Tatbestand mannigfa-
selbst willen, unabhängig von frem- von den Zielen u. Wegen seines Le- sie diese von Einschränkungen direk- cher i Determination läßt sich nicht
der Gewalt, waren im Unterschied zu bens zu entwickeln u. den Vorstel- ter U. zusätzlich - so nach der leugnen u. stellt die F. in Frage. Ent-
den Fremden vor Verletzung oder lungen gemäß, ohne äußeren Zwang, i kritischen Theorie - auch indirek- gegen einem geläufigen Mißver-
Unterdrückung durch andere Gewalt zu handeln; sie meint die Fähigkeit, tel' Art ( i Manipula tion, i Ideologie ständnis schließen sich aber F. u. Be-
geschützt ll. wirkten gleichberechtigt etwas zu wollen: bewußt U. freiwillig u. a.) freihält. F. gilt hier als der In- stimmtsein (Determination) nicht
am politischen Leben mit. Unter dem zu handeln. Zum anderen bedeutet begriff der in den GrundF.en (Recht aus. Politische F. und WillensP. (libe-
Einfluß von i stoischer U. i jüdisch- sie, daß die eigenen Kräfte sowie die auf Leben, MeinungsF., Versamm- rum arbitrium) bestehen nicht in rei-
i christlicher E sowie von Philoso- soziale u. politische Welt es erlau- lungsF., F. des Eigentums usf.) näher ner Ungebundenheit, sondern in ei-

j
Freiheit 78 79 Freude

ner Determination zweiter Ordnung: öffnen, daß er eine primäre Aner- lerdings eine notwendige Begleiter- Freedorn and Power, Oxford 1975,
im Selbergeben der Gesetze {Auto- kennung leisten soll. Angemessen für scheinung. Denn gesetzlicher Zwang Kap. VIII; U. Pothast (Hrsg.), Freies
nomie}, nach denen man als politi- die Anerkennung ist nur ein Gehalt, ist nur dort legitim, wo es um die Handeln u. Determinismus, Frank-
sche Gemeinschaft (politische F.) der selbst den Rang von F. hat. F. Verhinderung eines Hindernisses der furt/Mo 1978; H. M. Baumgartner
oder als Individuum (moralische F.) setzt sich deshalb durch Bejahung F. anderer geht. (Hrsg.), Prinzip F., FreiburglMünchen
1979; J. Simon (Hrsg.), F., Freiburg-
handelt. anderer F., durch Anerkennung des Seit den Griechen gibt es einen München 1977; J. Splett (Hrsg.), Wie
(2.1) WillensF. ist das Vermögen, anderen als freier Person; F. hat weiteren F.shegriff. Nach Aristoteles frei ist der Mensch?, Düsscldorf 1979;
einen Zustand von selbst anzufangen Kommunikationscharakter (Fichte, ist frei, wer, statt an seinem Vermö- H Krings, System u. F., Freiburgl
{Kant}. Sie besteht darin, daß der Krings). (2.2) Eine Handlung ist mo- gen zu hängen oder es zu ver- München 1980; U. Pothast, Die Un-
Wille sich letztlich nicht von etwas ralisch frei oder sittI., wenn sie nicht schwenden, mit äußeren i Gütern zulänglichkeit der F.sbeweise, Frank-
anderem, den Antrieben der Sinn- sinnlich bedingten u. insofern sub- einen souveränen Umgang pflegt, furt/Mo 1980; R. Aton, Über die F.en,
lilchkeit oder auch von sozialen jektiv zufälligen Maximen, sondern sich mithin durch die Eigenschaft Stuttgarr 1981; R. Bittner, Moralisches
Zwängen, bestimmen läßt (Hetero- objektiven oder universalisierbaren Gebot oder Autonomie, Freiburgl
der Freigebigkeit (eleutheriotes) aus-
München 1983; W. Kersting, Wohl-
nomie), sondern selbst Ursprung sei- Gesetzen folgt, d. h. dem Kriterium zeichnet. geordnete F., Berlin 1984; H. Allison,
nes So-u.-nicht-anders-Wollens ist. des i kategorischen Imperativs ge- Kant's Theory of Freedom, Cambridge
Dies heißt keineswegs, daß der nügt. (2.3) Eine Gemeinschaft von Lit.: Aristoteles, Metaphys., I 2, 982 b
1990; A. R. Mele, Autonomous Agents,
Mensch seine mannigfaltigen Bedin- Menschen, eine politische Ordnung, 24-28; ders., Nikomach. E, Kap. III 1-
3, IV 1-6; ders., Politik, Kap. III 6-9 NewYorklOxford 1995. O. H.
gungen einfach abstreifen u. aus dem ist frei, wellil das äußere Verhältnis u. a.; Augustinus, Der freie Wille;
Nichts neu anfangen könnte. ~leV der Mitglieder zueinander nicht Thomas v. Aquin, Die mensch!. Wil- Freiwillig i Handlung.
mehr sind Bedingungen vorhanden, durch Willkür u. Anarchie (Natur- lensF., hrsg. v. G. Siewerth, Düsseldorf
aber nicht als unabänderliche Fak- zustand), sondern durch streng uni- 1954; Spinoza, E, V; Leibniz, Neue Freitod i Selbstmord.
ten, sondern der Mensch kann sich versalisierbare Gesetze bestimmt ist. Abhandlungen über den menschlichen
in ein Verhältnis zu ihnen setzen: sie Die F. besteht in einem Rechtszu- Verstand, Kap. XXI; R. Descartes, Me- Freizeit i Arbeit, Spiel.
benennen, beurteilen u. anerkennen stand gemäß dem Vernunftbegriff ditationen, IV; D. Hurne, Untersuchung
(sie sich produktiv u. kreativ zu ei- von Recht: in einer Ordnung der über den menschl. Verstand, Kap. 8; Fremdbestimmung i Freiheit.
I. Kam, Kritik der reinen Vernunft, B
gen machen) oder aber verwerfen u. wechselseitigen Einschränkung u. zu- 350-595; ders., Kritik der praktischen Freude (Lust, griech. hedone, eng!.
in (selbst-)erzieherischen, therapeuti- gleich Sicherung der Willkür (Hand- Vernunft; B. Constant, Über die Frei- pleasure) ist kein Gefühl eigener Art,
schen, politischen u. anderen Prozes- lungsF.) eines jeden Individuums, zu heit, Basel 1946, bes. 27-60 (frz. Orig. sondern das subjektive Empfinden
sen auf ihre Veränderung hinarbei- der jeder seine Zustimmung geben 1819); F. W. j. Schelling, Phiolosph. der Erfüllung eines i Strebens: Man
ten. Das Moment des Selbstver- könnte. Politische F. besteht primär Unters. über das Wesen der menschl. empfindet F., sofern man das er-
hältnisses heißt praktische Vernunft nicht in der Minimierung von Ein- F.; G. W. F. Hegel, Grundlinien der
reicht bzw. durchführt, wonach man
oder freier i Wille. Der freie Wille schränkungen u. Maximierung von Philosophie des Rechts; J. S. Mill, Über
die F.; G. E. Moore, Grundprobleme (oft unbewußt) verlangt. F. liegt in
ist also nicht, wie vielfach ange- Freiräumen, sondern in der Gleich- der ungehinderten Aufmerksamkeit,
der E, Kap. 6; M. Heidegger, Vom We-
nommen (z.B. Ryle), empirisch oder heit u. Wechselseitigkeit von Ein- sen des Grundes, Frankfurt/M. 31949; die von der Sache, mit der man sich
quasi-empirisch als eine unabhängige schränkung u. Sicherung der Will- G. Ryle, Der Begriff des Geistes, Stutt- beschäftigt, selbst hervorgerufen
Geistsubstanz, sondern transzenden- kürF.en. Frei ist ein System von gart 1969; Kap. 3; P. Ricceur, Philoso- wird (Ryle). Man empfindet in dem
tal (i Methoden der E) als ein Re- Rechten als Erlaubnissen (Recht auf phie de la volomf, Bd. I, Paris 1963; Maß F., wie man in seinem Tun auf-
flexionsverhältnis zu denken (trans- i Leben, i Eigentum, freie Mei- I. Berlin, Four Essays on Liberty, Ox- geht, wobei dasTun keineswegs mü-
zendentale F.), das in der entspre- nungsäußerung usw.) u. von kom- ford 1969; F. A. I-layek, Die Verfas-
helos sein muß, das Gelingen
chenden Art zu handeln manifest plementären i Pflichten in der Form sung der F., Tübingen 1971; J. Ellul,
Ethique de 1a liberte, 2 Bde., Paris schwieriger Dinge die F. eher ver-
wird. Die transzendentale F. bedeu- von Verboten (Verbot von Tötung, mehrt. F. stellt sich beim ungehinder-
1974; P. F. Strawson, Freedorn and
tet, daß dem Willen sein Gehalt nicht Diebstahl, Behinderung der Mei- Resentment, London 1974, Kap. 1; ten Selbstvollzug ein.
einfach vorgegeben ist, sondern daß nungsäußerung anderer usw.). Die j. M. Buchanan, The Limits of Liberty, Die elementarste Form der F. ist
der Wille sich dem Gehalt allererst Maximierung der Freiräume ist al- ChicagolLondon 1975; A. Kenny, Will, die sinnliche F. Sie verbindet sich
Freude 80 Freundschaft

teils mit der Befriedigung von primär Recht als die höchste Form der F.; geistigen F.n vor (i epikureische E, der Schöpfung, München 1971; R. B.
physiologisch bedingten i Bedürfnis- denn sie hat sittl. Qualität. Sie doku- auch Mill), während der von der Brandt, A Theory of the Good and the
sen (Hunger, Durst, sexuellem Ver- mentiert, daß man das sittl. i Gute christlichen Tradition beeinflußte Right, Oxford 1979, Teil!. O. H.
langen) u. ist auf die biologischen auch gern, ohne emotionale Wider- l' utilitaristische Hedonismus das
Ziele der Selbst- u. Arterhaltung be- stände tut. - Die F. eines i Maso- Glück für möglichst viele sucht. Dem Freundschaft (gr. philia, lat. amici-
zogen; teils betrifft sie das aus kultu- chisten ist insofern unvernünftig, als e Hedonismus ist insoweit Recht zu tia) ist Thema der i praktischen Phi-
reller Verfeinerung stammende Ver- sie den Wunsch nach eigenem geben, als ein gelungenes, gerade losophie, die ihre Gegenstände unter
langen nach genußreichen Erfahrun- Schmerz u. eigener Erniedrigung be- auch ein sittl. Leben ohne F. nicht dem Gesichtspunkt des vom i Men-
gen; teils hat sie auch pathologische trifft, somit, objektiv betrachtet, die denkbar ist. Aber die F. ist nicht das schen zu lebenden i Lebens analy-
psychische Bedingungen (etwa tiefe harmonische Erfüllung der eigenen Ziel des Lebens, weil F. kein Gegen- siert. Als besondere Weise der Ge-
Unsicherheit), wobei die Bedürfnisse Wünsche grundsätzlich verhindert. stand unseres Strebens, wohl die meinschaft hat F. ihren Ort im viel-
dann als Gier erscheinen, die - von Die F. des Sadisten ist unvernünftig, notwendige Begleiterscheinung ist, dimensionalen Feld des i Sozialen,
den biologischen Zielen weitgehend als sie mit dem Wunsch nach Angst, sofern das Streben Erfüllung findet. das von passiver Gattungsgemein-
abgekoppelt - bestenfalls vorüberge- Qual u. Demütigung der Mitmen- Man verlangt nicht nach Gegenstän- schaft über den primär sachbezoge-
hende Befriedigung findet. Aufgrund schen die Erfüllung ihrer Wünsche zu den der Bedürfnisbefriedigung, auch nen Umgang miteinander bis zum di-
seiner Vernunft u. ihrer geschicht- vereiteln sucht. nicht nach Reichtum, Erkenntnis, rekten Zugang zueinander reicht. Im
lich-kulturellen Entfaltung hat der Eine Auffassung, die die F. zum i Freundschaft oder Gerechtigkeit, Unterschied zu einem mittelbaren in-
i Mensch im Unterschied zum Tier höchsten Prinzip erklärt, heißt He- weil sie F. machen. Man findet viel- terpersonalen Verhältnis, das sich
wesentlich auch geistige: soziale,'·.'1li-" donismus: (a) Nach dem psycholo- mehr F. an ihnen, sofern man nach durch die Gemeinsamkeit sachlicher
tellektuelle, ästhetische, auch religiö- gischen Hedonismus strebt der ihnen verlangt. Vor allem ist das Interessen konstituiert (der Andere
se Interessen, deren Erfüllung ent- Mensch letztlich nach nichts ande- subjektive Erleben der F. kein sittl. als Mitarbeiter, Werkgenosse, Partei-
sprechende geistige F.n gewährt. - rem als F. Hierhin gehört auch das angemessener Maßstab, weil weder freund, Berufskollege etc.) u. in dem
Über die biologisch orientierten Be- Lustprinzip, nach dem alle Lebewe- die sinnlichen noch die geistigen F.n die i Person des Anderen gleichsam
dürfnisse kann man sich täuschen; sen, auch der Mensch, nur Lust zu als solche um ihrer selbst willen er- nur passiv mitpräsent ist, ist F. durch
ferner können sie untereinander u. erlangen u. Unlust zu vermeiden su- strebenswert sind, sondern nur jene direkte personale Zuwendung, durch
mit den geistigen Interessen des chen (Freud). Allerdings hält Freud F.n, die sich mit der Erfüllung eines ausdrückliche U. gegenseitige Aner-
Menschen u. diese auch untereinan- das Programm des Lustprinzips für vernünftigen Strebens verbinden. kennung, Achtung u. Zuneigung ge-
der in i Konflikt geraten. Zu einem unerfüllbar, da der Mensch als Kul- kennzeichnet u. insofern mit der
gelungenen i Leben gehört es des- turwesen auch dem Realitätsprinzip Lit.: Platon, Protagoras 351 b 3 ff; Struktur der i Liebe identisch. Bei
halb, die Bedürfnisse u. Interessen so unterliegt, das in sublimierter Form Gorgias 431 b 5 ff; Philebos; Aristote- Aristoteles, der neben den Anregun-
zu entwickeln u. zu ordnen, daß man das Glücksstreben des Menschen auf les, Nikomach. E, Kap. III 13-15, VII gen durch den christlichen Liebesbe-
nach dem strebt u. darin F. findet, Bedingungen kollektiver Selbsterhal- 12-14, X 1-5; Epikur, Philosophie der
F.; de Sade, Die Philosophie im Bou- griff die Begriffsgeschichte der F.
was - auf die biologischen Ziele be- tung einschränkt. Optimistischer als entscheidend geprägt hat, findet die-
doir, Hamburg 1973; S. Freud, Jenseits
zogen - diesen tatsächlich dient u., Freud, glaubt Marcuse, in einer des Lustprinzips; G. E. Moore, Princi- se ihren Ort in der Lehre von den
allgemeiner, mit der Gesamtheit der ÜberflußgeseUschaft ließen sich die pia Ethica, Kap. III; H Marcuse, Zur sitt1. i Tugenden, die nicht in Emp-
Ziele eines Menschen in Einklang repressiven Züge der i Kultur ent- Kritik des Hedonismus, in: Kultur u. findungen u. i Leidenschaften, son-
steht u. darüber hinaus - gemäß den scheidend mildern. (b) Nach dem e Gesellschaft, Frankfurt/M. 1965; ders., dern im Habitus u. in freier Vor-
Forderungen der i Gerechtigkeit u. Hedonismus ist allein F. um ihrer Triebstruktur u. Gesellschaft, Frank- zugswahl gründen. F. im eigentlichen
i Sittlichkeit - nicht bloß das eigene selbst willen erstrebenswert. Dabei furt/Mo 21968; E. Fromm, Psychoana-
Sinn versteht sich als gegenseitiges u.
lyse u. E, Stuttgart u. a. 1954, S. 187-
Wohlergehen, sondern auch das an- erklärt ein naiver eHedonismus
213; G. Ryle u. W. B. Gallie, Plesure, ausdrückliches Wollen des i Guten
derer berücksichtigt. Die einem sol- (Aristipp) die sinnliche F. des Au-
Proceedings of the Aristotelian Sodety, für den anderen um des anderen
chen vernünftigen Streben korre- genblicks zum Maßstab; ein aufge- Suppl. Vol. 28, 1954; J. C. Goshing, willen (eunoia, Nikomach. E 1157b
spondierende F., die F. der i Tu- klärter e Hedonismus sucht das lang- Pleasure and Desire, Oxford 1969; 28-37). Sie ist so nur möglich zwi-
gend, gilt nach Aristoteles u. zu fristige i Glück u. zieht deshalb die ]. Moltmann, Die ersten Freigelassenen schen Personen, die einander gleich
I

J
Friede 82 83 Friede

u, liebenswert sind in ihrem Gut-sein H Kuhn, ,Liebe', Geschichte eines Be- schließt die Sicherung des weltlichen technischen Welt (c. F, v. Weizsäk-
u, die vertrauten Umgang haben in griffs, München 1975; F. Ricken, F. u, F. u. der mit ihm verbundenen Güter ker), die als Planung des F. einer
Glück in der Nikom. E des AristoteJes,
gemeinsamem Leben, Die i Lust u, der i Wahrheit u, i Gerechtigkeit als Welt-F.-Ordnung (t Weltrepublik)
in: Was heißt Liebe? (Hrsg, Rab.-Mau-
der Nutzen, die neben dem Guten als rus-Akad., Bd,3) 47-65; A. W. Price, sittl. Pflicht ein, so daß auch Gewalt- dienen soll. Dieser E wird jedoch
mögliche Motive für F,sbeziehungen Love and Fricndship in Plato and Ari- anwendung im Gegensatz zum Pazi- vorgeworfen, als technokratisches
figurieren, sind in der eigentlichen F. stode, Oxford 1989. M. F. fismus, der i Gewalt auch als Mittel Modell mit der Angst vor Vernich-
nicht Grund, sondern Begleitfolge ih- gerechter Verteidigung des F. ab- tung zu kalkulieren u, die e An-
rer Erfüllung, Die F,en allein um des Friede ist durch die Gültigkeit des lehnt, proportional zur Gefährdung strengung zum F. nur als privates
Genusses u, um des Nutzens willen, 1 Rechts gekennzeichnet, als Zu- des F. gerechtfertigt wird. Die christ- Motiv zu verstehen. Solche Kritik
die von Aristoteles als Vorformen u, stand nach Beendigung eines Krieges liche E lehnt zwar Krieg als bewaff- sieht die Möglichkeit des F. im
als Implikationen der Grundform durch Vertrag (negativer F.) oder als nete Auseinandersetzung zwischen angstfreien Handeln, das in einer re-
beigeordnet werden, wären präziser Zustand rechtlich geregelter u. an Staaten, als Mittel der Interessenpo- volutionären Veränderung gesell-
als Gegenform bzw, Verfallsform zu humanen Leitprinzipien orientierter litik gesellschaftlicher Gruppen (Bür- schaftlicher Machtpositionen in einer
bestimmen, Folgt man dem heute Lösung politischer, sozialer u. recht- gerkrieg) u. als Revolutionskrieg ab, "Weltrevolution als F," (S. Papcke)
vorherrschenden Sprachgebrauch u, licher i Konflikte (positiver F.), nicht hält ihn aber als äußerstes Mittel zur gelernt werden soll. Der soziale F. als
der überwiegenden Ansicht der phi- aber als konfliktfreier Zustand. Kant Wiederherstellung der Rechtsord- Überwindung der sozialen Ängste
losophischen H, literarischen Traditi- sah den F, durch das öffentliche nung u, des F. nach Ausschöpfung (z. B. Arbeitsplatzunsicherheit) sei
on, so unterscheidet sich F. von ero- Recht, durch Legalität u, Moralität aller vernünftigen u. friedlichen Mit- mit der Selbstbestimmung des Bür-
tischer Liebe durch ihre gr@ßf~e ( i Sittlichkeit) der Politik in der re- tel für gerechtfertigt, Die durch den gers revolutionär zu gewinnen. Die
i Freiheit von naturvlüchsigen Vo;- publikanischen Verfassung gewähr- Krieg entstehenden Schäden müssen für den sozialen F. maßgeblichen
aussetzungen, durch das Dominieren leistet, d. h. durch die Prinzipien der jedoch im Verhältnis zur Rechtsver- Prinzipien der i Grundrechte, der
der i Vernunft gegenüber den Mo- i Freiheit der Bürger, ihre Abhän- letzung legitimierbar sein. Allerdings Solidarität u. der freien i Kommu-
menten irrationaler Leidenschaft u, gigkeit von der Gesetzgebung u. ihre leitet sich aus dieser Position der nikation sind dabei weder gesichert
durch geringere Exklusivität u, In- Gleichheit vor dem Gesetz, F. als Be- christlichen E kein komplementäres noch in ihrem Wert erkannt, Diese
timität, Während freilich im aristo- dingung der Selbstverwirklichung des Verhältnis zwischen F. u. Gewalt ab, revolutionären Strategien bannen
telischen Begriff der F, der politisch- Menschen setzt dessen Moralität vor- da mit Zwangsmitteln zwar Ein- weder die Kriegsgefahr noch Gewalt
öffentliche neben dem intimen aus. Kants Zuversicht, daß sich als tracht (concordia), aber nicht F. her- als Mittel der Politik. Dagegen for-
Aspekt präsent war - F, ist das Band, Bedingung des F. in der Geschichte stellbar ist, Augustinus wies auf die- dern die F.-Strategien einen Abbau
dem jede Gemeinschaft ihre Kohäsi- das Gute gegen die sclbstzerstöreri- sen Zusammenhang hin u. sah allein von Spannungen durch Beseitigung
on u, Dauer verdankt -, wurde von sehe Kraft des i Bösen durchsetzt, in der gerechten i Ordnung (opus von Vorurteilen, durch die Lösung
dem das politische Denken beherr- teilt die i christliche E, Sie unter- iustitiae pax) die Grundlage des F. politischer Streitfragen oder durch
schenden i Rechtsgedanken der scheidet den weltlichen vom jenseiti- Die Möglichkeiten der politischen Abrüstung (C, Osgood). Sie halten
Neuzeit die Bedeutung der F, in die gen F, u. identifiziert F, allgemein als u. sozialen F.-Sicherung u. die Ursa- ein minimales Abschreckungspoten-
Sphäre des Privaten zurückgestuft, spirituelles Ordnungsprinzip mit dem chen für Gewalttätigkeit u. Krieg un- tial unentbehrlich für eine rationale
( i Gemeinsinn), Heil durch Erlösung, Der Tod Chri- tersucht die F.-Forschung. Sie hält Außenpolitik u. hoffen auf rationale
sti hat F, als Versöhnung zwischen Krieg im Zeitalter der Abschreckung Lern- u. Kommunikationsprozesse,
Lit,: Platon, Lysis; Aristoteles, Niko- Gottu. den Menschen ermöglicht. Sie durch nukleare Vernichtungswaffen die langfristig den F. von der Ab-
mach, E VIII, IX; Cicero, Laelius de wirkt von Gott her auch im zwi- nicht für moralisch legitimierbar. F. schreckung durch die Vernichtungs-
amicitia; Montaigne, Essai de l'amite; schenmenschlichen Bereich als Näch- durch Abschreckung ist ein Angst- u. gefahr befreien sollen. - Die e Alter-
J.-J. Rousseau, Nouvelle Hc1o'ise; F, H. stenliebe u. Bemühen um Eintracht Terror-F, u. entspricht einer Symbio- native zum F. der Angst, der der
Jacobi, Woldemar; M, Theunissen, Der
Andere, Berlin 1965; F,-A. Steinmetz, zur Herstellung des weltlichen F. u. se von 1Politik u. Gewalt (D. Seng- Politik erstmals ein gemeinsames
Die F.lchre des Pan:ütios, Wiesbaden ist Grundlage der i Hoffnung auf haas). Angesichts des ständig wach- Bewußtsein der Menschheit vermit-
1967; B. Waldenfels, Das Zwischen- den jenseitigen F. (Paulus). Die christ- senden Vernichtungspotentials fot- telt hat, ist nicht die Politisierung des
reich des Dialogs, Den Haag 1971; liche Forderung nach Gewaltlosigkeit dert die F.-Forschung eine E der F., mit der nur Machtkonflikte durch
Friedensforschung 84 85 Gefühl

ideologische ersetzt werden, sondern Geburtenregelung umfaßt alle bevöl- legitimierbar. In hochindustrialisier- Deutschen einmal den Tastsinn, zum
eine Erziehung zum F. als sozialer kerungspolitischen oder von einzel- ten Ländern fördern dagegen die ho- anderen eine Vielzahl seelischer Phä-
Kompetenz. Diese begreift F. als Er- nen ergriffenen Maßnahmen, die den hen ökonomischen u. sozialen Er- nomene. Sein Bedeutungsspektrum
gebnis einer vernünftig rechtfertigba- Zeitpnnkt von Geburten regeln, ihre wartungen, die wirtschaftliche Bela- reicht von Sinnesempfindungen wie
ren sittlichen i Entscheidung. Häufigkeit beschränken oder, selte- stung durch Erziehungs- u. Aus- Hunger, Durst, Lust, Schmerz über
ner, fördern. Die Gründe für die G. bildungskosten der Kinder u. die seelische Zustände wie i Angst, Un-
Lit.: Paulus, Römerbrief 14, 19; Korin- können humaner, sozialer, ökonomi- eher subjektiv verstandene Rolle der sicherheit, i Freude, intentionale
therbrief 14, 33; A. Augustinus, De ci- scher u. eugenischer (erbhygieni- t Sexualität die private Initiative zur Gemütsbewegungen (Affekte, t Lei-
vitate Dei, Buch XIX, Abschn. 13; Ni- scher) Art sein. Die durch medizini- G. - G. ist allgemein, sofern sie sich denschaften) wie t Liebe, Haß,
kolaus von Kues, De pace fidei; 1. Kant,
Zum ewigen F.; H.-E. Bahr (Hrsg.), schen Fortschritt verminderte Kin- nicht des Mittels der t Abtreibung Zorn, Mitleid bis zur Benennung ei-
Welt-F. u. Revolution, Frankfurt1M der- u. Müttersterblichkeit, die da- bedient, sitt1. indifferent; sie kann ner eigenständigen Weise menschli-
1970; E. Biser, Der Sinn- des F., Mün- durch einerseits verminderte natür- unter besonderen Bedingungen zur cher Selbst- u. Welterfah.rung (im
chen 1960; K. v. Raumer, Ewiger F. liche Auslese u. andererseits verur- Erhaltung der psychischen U. physi- Unterschied zu begrifflicher Erkennt-
F.rufe u. F.pläne seit der Renaissance, sachte Bevölkerungsexplosion u. schen Gesundheit der Frau u. im In- nis). Versucht man eine allgemeine
FreiburglMünchen 1953; C. F. v. Weiz- Übervölkerung sind kausale Zusam- teresse des Wohls von i Ehe u. Bestimmung all dessen zu finden,
säcker, Ist der Welt-F. unvermeidbar? menhänge, die die Staaten zur G. als i Familie, zur Wahrung der Würde was mit dem Wort bezeichnet wird,
in: Protokoll Nr. 24 des Bergedorfer
bevölkerungspolitischem Mittel ver- u. zur Entfaltung eines freiheitlichen so könnte man G. als (lust- bzw.
Gesprächskreises, 1966; W. Janssen, F.,
in: Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 2; anlassen können. Indirekte Faktoren u. humanen i Lebens sittl. gerecht- unlustbesetzte) subjektive Befind-
R. Steinweg (Hrsg.), Der ge~~e der G. in einem weiten Sinn sind fertigt sein. lichkeit des Gemüts bezeichnen, in
Krieg: Christentum, Islam, Marxismus, Heiratsalter, Zahl der Eheschließun- der das i Individuum sein In-der-
Frankfurt/M. 1980; V. Deile (Hrsg.), gen U. sozialer Status außerehelicher Lit.: T. R. Malthus, Über die Bedin- Welt-sein (Heidegger), sein Betrof-
Zumutungen des F., Reinbck 1982; C. Nachkommen. Zur G. im engeren gungen ll. Folgen der Volksvcl'meh- fensein u. seine Reaktionen erfährt.
v. Krockow, Gewalt für den F.? Mün- Sinne können neben der dem biologi- rung, 1789; M. Sanger, Pivot of Civi- Antike u. Mittelalter, die keinen ei-
chen 1983; D. Henrich, E zum nuklea- schen Zyklus der Frau angepaßten lization, New York 1922; D. E. C. genen Namen für das G. hatten, be-
ren F., Frankfurt/M. 1990; O. Höffe Eversley, Social TheOl'ics of Fertility
(Hrsg.), I. Kailt, Zum ewigen F., Berlin geschlechtlichen Enthaltsamkeit als ... , Oxford 1959; G. Myrda!, Popula- zeichneten sowohl den Zustand der
1995; ders., Vernunft u. Recht, Frank- natürlichem Mittel chemische (ovu- tion. A Problem of Democracy, Glou- Lust u. Unlust (t Freude) als auch
furt/Mo 1996, Kap. 5; M. Lutz-Bach- lationshemmende Medikamente) U. cesterlMass. 1962; Th. Bruck, F. Rath, die t Leidenschaften mit pathos,
mann, J. Bohman (Hrsg.), F. durch mechanische (intrauterine Pessare) G. heute, Flensburg 1966; K. H. Wra- passio bzw. affectus, affectio. Zwar
Recht, Frankfurt/M. 1996. W. V. Mittel zur Empfängnisverhütung an- ge, Intimgemeinschaft u. Empfängnis- spielte das mit dem Wort G. Gemein-
gewandt werden. Durch Aufklärung regelung, Gütersloh 31971; Paul VI., te in den verschiedenen E-Entwürfen
Friedensforschung i Friede. U. soziale Anreize werden darüber
Humanae vitae, in: Acta Apostolica Se- immer schon eine zentrale Rolle: So
des 60 (1968), 481-503; A. F. Guttma-
Friedensstrategien t Friede. hinaus auch die organische Emp-
eher, Die Praxis der Geburtenkontrolle,
setzte der Hedonismus Aristipps u.
fängnisnnfähigkeit durch Sterilisati- München 1969; D. Kennedy, Birth Epikurs das Ziel menschlichen Han-
Frömmigkeit i Spiritualität. on u. Zeugungsunfähigkeit durch delns in die Vermehrung von Lust- U.
Control in America, Ncw Haven/Lon-
Frustration t Verzicht. Kastration nach einer bestimmten don 1970; D. Mieth, G., Mainz 1990. Verminderung von UnlustG.en, wäh-
Zahl von Kindern vor allem in der W. V. rend die von Platol1 u. Aristoteles
Fürsorge i Liebe, t feministische E. Dritten Welt öffentlich gefördert. - beeinflußte t stoische E die Leiden-
Fundamentalismus t Islamische E.
G. lediglich als ein unter staatlichem Geduld t Gelassenheit. schaften (passiones) wenn nicht als
Druck verordnetes Mittel zur Be- Krankheiten, so doch als Verwirrun-
kämpfung von Überbevälkerung oh- Gefangenendilemma t Entschei- gen des Gemüts (perturbationes
G ne hinreichende Aufklärung u. Wil- dungstheorie. animi, Cicero), als einen der mensch-
lensbildung der einzelnen u. als Er- lichen i Freiheit U. Selbstbestim-
Gastarbeiter t Diskriminierung. satz für strukturelle soziale Entwick- Gefühl (frz. sentiment, eng!. feeling, mung abträglichen Seelenzustand
Gebot t Deontische Logik . lungen ist weder politisch noch i sittl. sentiment, emotion) bezeichnet im qualifizierte u. ihre eindeutige Un-

. _----_. __.. - - - - - - - -
Gefühl 86 87 Gemeinwohl

terordnung unter die Maximen einer machen) findet sich paradigmatisch tion and the Unity of the Self, London nimmt G. oft die Bedeutung einer
rein aus der Vernunft bestimmten bei Kant u. Hegel, Ein auf G.en ba- 1987; H. Köhl, Kants GesinnungsE, Preisgabe des menschlichen Eigenwil-
Lebensführung forderte. Doch erst sierendes Urteil vermag keine unbe- BerlinlNew York 1990, Kap. 4: Ach-
lens zugunsten des göttlichen Willens
tung; H. Fink-Eitel, G. Lohmalln
im 18. Jahrhundert wurde im Zu- dingte Verpflichtung zu i begrün- (Hrsg.), Zur Philosophie der G., Frank- an. Allerdings steht G. weder in der
sammenhang erkenntnistheoretischer den, da es lediglich eine faktische furt/Mo 1993; ]. Brunschwig, M. Nuss- antiken noch in der christlichen Tra-
Begründungsfragen der E (Shaftes- Befindlichkeit zur Darstellung bringt, baum (Hrsg.), Passions and Percepti- dition füt Fatalismus oder Passivität:
bury, Hutcheson, Hume, Kant), die das passive Subjekt einem Ein- ons, Cambridge 1993. M. F. der Begriff meint vielmehr eine Hal-
der Ästhetik (A. Baumgarten, Kant, druck verdankt; es ist zum anderen tung der inneren Stabilität U. Unan-
Schiller), später der Religionsphilo- ein Urteil, dem die Möglichkeit ver- Gefühlsmoral i Gefühl. fechtbarkeit. Eine gewisse Renais-
sophie (Schleiermacher) der Begriff nünftiger Allgemeinheit ( i kategori- sance erlebte der Begriff der G. in
reflektiert u. terminologisch schärfer scher Imperativ) mangelt, da es der Gehemmtheit i Hemmung. K. Jaspers' Existenzphilosophie U. in
umrissen, Dabei wurde (insbeson- besonderen Erfahrung eines Subjekts der Spätphilosophie Heidegg ers ; bei
dere von F. Hutcheson) das morali- in seiner Besonderheit entspringt. Gehorsam i Autorität. letzterem bezeichnet G. eine abwar-
sche G. (moral sense) zum spezifi- Wer sich in theoretischen wie in tende Haltung der gleichzeitigen Be-
schen Erkenntnisorgan wie zur pri- praktischen Problemen auf G.e be- Geistiges Leben i Spiritualität. jahung U. Verneinung des techni-
mären Motivationskraft für Mo- ruft, verweigert sich "der Gemein- schen Zeitalters.
ralität erkoren. Der moral sense schaft der Vernünftigkeit" (Heget). Gelassenheit bezeichnet eine Haltung
fungiert danach, auf der naturalen Das spezifisch moralische G. der von Gleichmut, Geduld u. Gemüts- Lit.: Meister Eckhart, Deutsche Werke,
Basis uneigennütziger Neig6hgen Achtung vor dem Sittengesetz und ruhe; seit den hellenistischen Philo- Bd. 5, Stuttgart 1963; H. Seuse, Deut-
(den kind affections, allgemein als den diesem entsprechenden Hand- sophenschulen (i stoische E, i epi- sche Schriften, Frankfurt/M. 21961;
t Wohlwollen für andere, als bene- lungen wird deshalb von Kant aus kureische E, i kynische E, Skeptiker) J. Tauler, Predigt 26, in: Predigten, Ein-
siedeln 21980; J. Böhme, Schriften,
volence bzw. sympathy bzw. pitü~ seiner Funktion als Erkenntnisorgan bildet sie das zentrale philosophische
hrsg. V. Peuckert, 1955-61; K ]aspers,
bezeichnet), als inneres Sensorium für sittI. Handeln entlassen und als Lebensideal. Das Ziel der G. (mit un- Philosophie, Heidelberg 21948; M.
wie als emotionale Kraft für das Wirkung reiner praktischer Vernunft terschiedlichen Nuancen: apatheia, Heidegger, G., Pfullingen 1959;]. Völ-
nicht weiter hinterfragbare .i höch- auf die Sinnlichkeit interpretiert. Als ataraxia, galene) soll durch eine Ver- ker, G. Zur Entstehung des Wortes in
ste Gut allgemeiner Glückseligkeit u. Motivationskraft ist es für morali- bindung aus theoretischen Übungen, der Sprache Meister Eckharts ... , in:
dient den partiell blinden naturalen sches Handeln konstitutiv. einer Eliminierung oder wenigstens Festschrift W. Mohr, Göppingcn 1972;
Neigungen als erhellendes u. leiten- rationalen Neuordnung der Affekte P. Heidrkh, U. Dierse, Art. G., in:
des Korrektiv. Entgegen empiristi- Ut.: R. Descartes, Les passions de U. einem angemessenen Umgang mit
Historisches Wörterbuch der Philoso-
l'ame; A.A. C. Shaftesbury, An Inquiry äußeren Dingen erreichbar sein. Das phie, 219-224; A. Bundschuh, Die Be-
schen Fehlinterpretationen ist zu be- deutung von ,gelassen' U. die Bedeu-
tonen, daß die moral-sense-Philoso- concerning Virtue; F, Hutcheson, Ab- Ideal der G. hat sich im Christentum
handlung über die Natur u. Beherr- tung der G. in den deutschen Werken
phie des 18. Jh. das moralische G. in besonders in monastischen Lebens- Meister Eckharts ... , Frankfurt/M.
schung der Leidenschaften; D. Hunte,
die Nähe einer apriorischen Intuition Eine Untersuchung über die Prinzipien modellen erhalten (z. B. im Hesy- 1990; 0, HöHe, Moral als Preis der
rückt, einer reinen, billigenden An- der Moral, Anhang I; 1. Kant, Grundi. chasmus). Das deutsche Wort G. Moderne, Frankfurt/M. 31995, Kap. 10.
schauung materialer i Werte, wie sie zur Metaphysik der Sitten, 2. Abschn.; (frz. delaissement) geht auf Meister c. H.
später, im Anschluß an H. Latze, F. A. Smith, TheOl'Y of Moral Sentiments, Eckhart zurück (gelazen sin,
Brentano, E. Husserl, vor allem von F. Brentano, Grundlegung u. Aufbau getdzenheit); auch in seiner weite- Geltung i Moral U. Sitte.
M. Scheler ausgearbeitet wurde. Die der E; M. Scheler, Der Formalismus in ren .Begriffsgeschichte ist es zentral
Kritik dieser Gefühlsmoral bzw. Ge- der E u. die materiale WertE; ].- von Bewegungen der "Verinner-
Geltungsbedürfnis i Ehre.
p, Sartre, Esquisse d'une theorie des lichung" ·geprägt: von der Mystik
fühlsE (ein seit der 2. Hälfte des Gemeinschaft i Gesellschaft.
emotions; G. Ryle, Der Begriff des Gei-
19. Jahrhunderts gebräuchlicher Ti- stes, Stuttgart 1969, Kap. IV; S. Stras- H. Seuses u. J. Taulers, von der Re-
tel für alle Moralphilosophien, die ser, Phenomenology of Feeling, Pitts- formation (Luther, Karlstadt), von Gemeinwohl. Das G. gilt als sozial-e
das G. zur Beurteilungsinstanz wie burgh 1977; W. Lyons, Emotion, Cam- der Theosophie J. Böhmes u. vom Grundprinzip in i Gesellschaft U.
zur Triebfeder für das gute Handeln bridge 1980; 0. Letwin, Ethics, Emo- Pietismus. In diesen Strömungen i Staat. Das Wohl der gesamten Ge-
Gemeinwohl 88 89 Gemeinsinn

sellschaft soll als i Entscheidungs- nis nach Glück, Ablehnung von Un- von Experten noch einer politischen Mill, Über die Freiheit, Kap. 4; F. J.
Prinzip im Rahmen der allgemeinen glück: ]. Locke) prinzipiell mit der Mehrheit oder Partei überlassen sein. Sorauf, The Public Interest Reconside-
Verwirklichung der i Gerechtigkeit öffentlichen Wohlfahrt verknüpft Das vernünftige Gleichgewicht der red, in; Journal of Politics, Bd. XIX,
1957; c.]. Friedrich (Hrsg.), The Pu-
indirekt der Erfüllung der Ansprüche sind, ist das G. sowohl Erfüllung wie Interessen von Individuen u. Grup-
blic Interest, Ncw Yor!c 1962, Abschn.
u. i Bedürfnisse der einzelnen Glie- Vermittlung von individuellem u. öf- pen ist an die demokratischen Ver- 1-6,9,13,15,19; O. Höffe, Strategien
der der Gesellschaft dienen. - Solan- fentlichem Interesse. Diese sich selbst fahren der Konfliktlösung gebunden. der Humanität, Frankfurt/M. 21985,
ge die öffentliche i Ordnung als regulierende Harmonie zwischen Die Legitimität des G. erfordert über Kap. 4-7, 10-12; B. Jordan, The Com-
vernünftig begriffen wird, stehen dem individuellen Streben nach diesen verfassungsmäßigen koopera- mon Good, Oxford 1989. W. V.
sowohl die privaten wie die allge- t Glück u. Gewinn +u. der Befriedi- tiven Prozeß der Entscheidung über
meinen Bedürfnisse an materiellen gung der Bedürfnisse der ganzen Ge- konkurrierende Interessen hinaus Gemeinsinn heißt ursprünglich ein
Gütern u. das Streben nach i Glück sellschaft (A. Smith) überwindet nur auch eine Entscheidung über kon- allen Menschen gemeinsames Er-
der einzelnen unter der Kontrolle der scheinbar den i Konflikt zwischen kurrierende soziale i Ziele, die be- kenntnisvermögen, ein Sensus com-
Vernunft (Platon, Aristoteles). Alle G. u. Einzelwohl, da das öffentliche stimmten Interessen entsprechen. G. munis oder Common sense, ein ge-
individual-e u. i sozial-e Vorschrif- auf das private Interesse reduziert u. öffentliches Interesse hängen letzt- meiner oder gesunder (Menschen-)
ten leiten unter dieser Bedingung ih- wird. Dieses Dilemma wird auch lieh vom vernünftigen guten i Wil- Verstand. Kant hat die für ihn ent-
ren i Wert u. ihre Gültigkeit vom G. vom formalen Prinzip des "größten len u. der sitt!. Kompetenz ( i Erzie- scheidenden Maximen aufgestellt:
als höchstem allgemeinem Gut Glücks der größten Zahl" (j. Bent- hung) der öffentlichen Entschei- ,,1. Selbstdenken; 2. An der Stelle je-
(bonum commune: Th. v. Aquin) ab harn, i Utilitarismus) nicht über- dungsträger ab. Sie sind zusammen des anderen denken; 3. Jederzeit mit
u. sind ihm als dem höchsten 4!.~.~el wunden: Einerseits bleiben die indi- mit den demokratischen Entschei- sich selbst einstimmig denken"
allen Handelns untergeordnet. Das viduellen Bedürfnisse unspezifisch u. dungsmechanismen notwendig, um (Kritik der Urteilskraft, § 40). In der
G. entspricht dabei einem überge- die Annahmen über private Wünsche G. zu ermöglichen: als größtmög- Eheißt G. jene Einstellung, die sich
ordneten, vernünftigen u. göttlichen u. Ziele willkürlich, da sich kein all- liche individuelle Selbstverwirkli- im Gegensatz zum bloßen i Selbstin-
t
Interesse. - Als sitt!. Imperativ von gemein gültiger Glückskalkül finden chung, als Minimierung sozialer teresse auch für das i Gemeinwohl
i Politik fordert das G. sowohl die läßt, andererseits kann das private Konflikte u. als gerechte Verteilung einsetzt u. entsprechende i Verant-
Trennung von privatem u. öffentli- Glück nicht Gegenstand öffentlicher ökonomischer u. kultureller Vorteile wortung, auch Einschränkungen auf
chem Interesse wie ihre Vermittlung. Planung sein. Die Orientierung der u. Lasten. Vernünftige öffentliche sich nimmt. In der neueren So-
Das öffentliche Interesse ist nicht die öffentlichen Ordnung am privaten Entscheidungen erhöhen als Voll- zialtheorie verlangt mehr G. vor al-
Summe der Einzelinteressen, sondern Nutzen bleibt zweideutig; sie muß zugsformen des G. nicht nur die lem der i Kommunitarismus. G.
das rechtliche u. politische Gleich- das G. mangels eines Prinzips des Chancen seiner Verwirklichung, son- zeigt schon, wer sich dank einer
gewicht zwischen den Einzel- u. Gleichgewichts ent\Veder dem radi- dern auch die Chancen der Über- Bürgertugend (i Freundschaft) in
Gruppeninteressen, das in staatlichen kalen, liberalistischen Konkurrenz- nahme u. Anwendung dieses Typs gemeinwohlverpflichteten Vereinen
Entscheidungen den Bestand gerech- prinzip (i Wirtschafts-E) oder staat- von Entscheidungen durch die Be- engagiert, aber auch wer zu sponta-
ter u. stabiler sozialer Verhältnisse licher Planung überlassen (J. S. Mill). troffenen. ner Hilfe (für den Nächsten u. die
sichert. Das G. ist das allgemeine - Letztere kann aber die Vermittlung Fernsten) bereit ist. Ein weitsichtiger
sitt!. Kriterium des Gleichgewichts- von G. u. Einzelwohl weder auf der Lit.: Platon, Der Staat, Buch I u. V; G. setzt sich für entsprechende i In-
charakters des öffentlichen Interes- liberalistischen Grundlage freier Aristoteles, Nikom. E, Buch I, V, VIII; stitutionen, vor allem den demokra-
ses, ohne dessen Inhalte konkret zu Konsumwahl noch allein auf der Th. v. Aquin, Summa theol., I-lI qu. tischen Rechts- u. Verfassungsstaat
bestimmen: Der Ausgleich der Inter- staatlicher Macht leisten. Staatliche 96,2; II-II qu. 31,3; ]. Locke, Versuch ein. Er weiß, daß eine i Gesellschaft
essen muß vernünftig legitimierbar Planung benötigt Legitimität als Kri- über den menschlichen Verstand, zwar ihren Lebensunterhalt durch
sein u. der Verwirklichung humanen terium für G.: die Vermittlung von Buch I Kap. 3, 11 20, 22; A. Smith, Der die i Wirtschaft verdient, ihren Zu-
I,I; i Lebens dienen.
Wenn die i Tugenden des persön-
individuellem u. öffentlichem Inter-
esse muß als Interessenausgleich ver-
Wohlstand der Nationen, Buch IV; J.
Bentham, Eine Einführung in die Prin-
zipien der Moral u. der Gesetzgebung,
sammenhalt aber durch die l' Spra-
che, das Schul- u. Hochschulwesen,
[ lichen Lebens aufgrund "eingebore- nünftig zu rechtfertigen sein. G. in: O. Höffe (Hrsg.), Einführung in die durch i Kunst, i Wissenschaft u.
ner praktischer Prinzipien" (Bedürf- kann deshalb weder einer Gruppe utilitaristische E, Tübingen 21992; ]. S. Philosophie. Zum G. in pluralisti-
Generalprävention 90 91 Gerechtigkeit

scher Gesellschaft gehören I T ole- biologisch abbaufähigen Nebenpro- ne genetische Diagnose möglich, die untereinander (I Entwicklungshilfe,
ranz u. Kompromißfähigkeit, ferner dukten, den einen belasten, den anderen rei- i Weltrepublik). Als intergeneratio-
die Bereitschaft, den Einfluß über- Die E der G. versperrt sich nicht fen lassen kann. Gemäß dem Prinzip neUe G. betrifft sie die Beziehung
mächtiger Gruppen zu bändigen. Im gegen den erwarteten, freilich lang- I Freiheit sollte man in Abwesenheit zwischen den Generationen, dabei
modernen Fürsorgestaat droht die samer als erwartet eintretenden Nut- von gesellschaftlichem Zwang ein nicht bloß das Verhältnis zur natürli-
Gefahr, daß der freie G. durch einen zen. Sie macht vorab auf wesentliche Recht auf Wissen, aber auch auf chen I Umwelt (ökologische G.),
verordneten, überdies bürokratisier- Neuartigkeiten aufmerksam: Wäh- Nicht-Wissen haben. sondern auch sozial- u. finanzpolit.
ten G. verdrängt wird. rend man in der gewöhnlichen Fragen. Darüber hinaus bezieht sich
t Technik neue Produkte erfindet, Lit.: U, Steger (Hrsg.), Die Herstellung die G. auch auf Kooperation U.
Lit.: M. Walzer, Kritik u. G., Frank- werden sie in der G. vornehmlich ge- der Natur. Chancen U. Risiken der Konflikte in informell geregelten Be-
furt/Mo 1993; L. Wingert, G. U. Moral, funden u. abgewandelt; ein schon Gentechnologie, Bonn 1984; W. V. d.
Frankfurt/M. 1993; l?h, Pettit, The reichen (etwa in t Familie, Nachbar-
selbständig funktionierender Orga- Daele, Mensch nach Maß? e Probleme
Common Mind, Oxford 1993; schaft u, Schule). Zwar gibt es noch
nismus wird nur marginal verändert, der Genmanipulation u. Gentherapie,
E, Teufel (Hrsg,), Was hält die moder- München 1986; K. Bayertz, GenE. andere normative Kriterien (wie
ne Gesellschaft zusammen?, Frank- Da man neue biologische Produkte, Stabilität, Sicherheit, Zweckmäßig-
Probleme der Technisierung menschli-
furt/M,1996. 0, H, die mifUallen, nicht so leicht weg- cher Fortpflanzung, Reinbek 1987; keit u. Wohlfahrt). Aber allein die G.
werfen kann, bedarf es besonderer ders" Gentherapie beim Menschen, ist der Maßstab einer unbedingten,
Generalpräventioll I Strafe, Vorkehrungen, die auch getroffen Reinbek 1990; K. Dohmen (Hrsg.), einer sitt!. Rechtfertigung oder Kritik
wurden. Zunächst, Mitte der 7üer Gentechnologie, Die andere Schöpfung, der Regeln des Zusammenlebens
Gentechnik (eng!. genetic engip.~e:~r­ Jahre, legte man ein Moratorium ein Stuttgart 1988; H.-M. Sass (Hrsg.), (t Sittlichkeit).
ing), auch Genmanipulation genannt, U. traf dann strenge, sowohl biologi- Genomanalyse U. Gentherapie, Berlin
1991; O. HöHe, Moral als Preis der Im zweiten, "subjektiven" (perso-
ist eine neue Fähigkeit in der pro- sche als auch physikalische Sicher- nalen) Verständnis ist G. jene sitt1.
heitsvorkehrungen. Weil trotzdem Moderne, Frankfurt/M. 31995, Kap. 5.
gressiven Naturbeherrschung. Sie ver- Lebenshaltung im Verhältnis zu
O.H.
dankt sich molekularbiologischen bislang unbekannte Gefahren mög- den Mitmenschen, die - im Unter-
Entdeckungen, die eine zweite bio- lich sind, bedarf es zusätzlich einer schied zu I Freundschaft, I Liebe u,
Gerechter Krieg I Friede.
logische Revolution ermöglichen. Risikoforschung, die mit derselben I Wohlwollen - weder auf freier Zu-
Bausteine der Erbsubstanz (DNS) Phantasie U. Sorgfalt mögliche Ge- Gerechtigkeit als sittl. (nicht auch neigung beruht noch beim Handeln
werden erst isoliert, dann verpflanzt, fahren u, ihre Wahrscheinlichkeit er- theologischer) Begriff hat zwei auf- über das hinausgeht, was man einem
ohne den Lebensprozeß zu unterbre- kundet wie die gewöhnliche Wissen- einander bezogene Bedeutungen. In anderen schuldet (G. als I Tugend).
chen. Bei der ersten biologischen Re- schaft neue Chancen (t RisikoE). einem "objektiven" (institutionellen, G, als Persönlichkeitsmerkmal bedeu-
volution, der Züchtung, wird die na- Ein evtl. Versuch, durch gezielte Ein- polit.-sozialen) Verständnis ist G. tet nicht bloß, das Gerechte zu tun,
türliche I Evolution beschleunigt, bei griffe in die Erbsubstanz einen neuen- das grundlegende normative Prinzip sondernes aus einer bestimmten I Ge-
der G. wird in sie eingegriffen, indem I Menschen herzustellen (positive des äußeren Zusammenlebens in sinnung zu tun, nämlich deshalb, weil
man gezielt genetisch v,eränderte Le- Eugenik), der den Anforderungen seinen Kooperations- u. I Konflikt- es gerecht ist, U. nicht etwa, weil man
bewesen hervorbringt. Davon erwar- der modernen Zivilisation besser ge- aspekten: das sittl. Ideal u. Kriterium andernfalls bestraft oder sozial ge-
tet man - neben Einsichten der wachsen ist, wäre nicht bloß gefähr- von individuellen Handlungen, von ächtet würde, G, als Tugend zeigt sich
Grundlagenforschung - vielfältigen lich, sondern auch e höchst bedenk- Institutionen, selbst der Grundord- dort, wo man trotz größerer Macht u,
Nutzen: für Nahrung U. Energie, für lich, Die Grenze zwischen e erlaub- nung einer politischen Gemeinschaft. Intelligenz andere nicht zu übervor-
Arzneimittel U. Impfstoffe, für Schäd- ten U. e verbotenen Eingriffen ist Diese G. betrifft vor allem den Be- teilen sucht oder wo man sein Tun -
lingsbekämpfung U. zur Therapie allerdings schwer zu ziehen. Selbst t
reich von t Recht u. Staat: die Ge- als Gesetzgeber, Richter, Lehrer, El-
von Erbkrankheiten (negative Euge- die Vorstufe der Gentherapie, die setzgebung, Rechtsprechung U. voll- tern, Mitbürger - auch dann an der
nik). Ein weiterer Vorteil: Produkte Analyse des menschlichen Genoms, ziehende Gewalt (die polit.-soziale Idee der objektiven G. ausrichtet,
der G. lassen sich oft umweltfreund- die Entzifferung u. "kartographische" G. als normative Idee von Recht u. wenn Recht u, i Moral Lücken U. Er-
lich herstellen: energiesparend, bei Erfassung genetischer Defekte, ist Staat), dabei - als internationale G.- messensspielräume lassen oder ihre
nachwachsenden Rohstoffen U. mit nicht unproblematisch. Sie macht ei- auch die Beziehung der Staaten Durchsetzung höchst unwahrschein-

i
.cl
r Gerechtigkeit 92 93 Gerechtigkeit

lieh ist. G. als Tugend der Bürger ist - von einer je anderen, funktions- Um dem Gleichheitsprinzip zu genü- bildenden Kunst wird deshalb die G.
eine wichtige Schranke gegen das Ab- spezifischen Normativität bestimmt gen, muß das geltende Recht erstens mit verbundenen Augen dargestellt).
gleiten einer politischen Gemeinschaft seien. aus Bestimmungen bestehen, die Die nähere Bestimmung der G. ist
in eklatante Unrechtsverhältnisse. Eine Philosophie der G. sucht der- nicht Einzelpersonen u. Einzelfälle umstritten. (Doch stellen die genann-
Die abendländische Philosophie er- artige Skepsis zu entkräften. Sie be- als solche, sondern Typen von Fällen ten normativen Leitprinzipien wich-
kennt die G. in heiden Grundbedeu- ginnt mit einer Semantik der G. Die- (Einkommensteuer, Diebstahl, Tot- tige Kriterien dar.) Bei der Verteilung
tungen, sowohl als politische G.: als se ordnet im Rahmen des mehr- schlag usf.) mit Hilfe gewisser Krite- von Rechten u. Pflichten, Gütern u.
sitt1. Leitidee für Recht, Staat u. Poli- stufigen Begriffs "gut" die G. der rien regeln (die Einkommensteuer Lasten (austeilende oder distributive
tik, als auch als personale G,: als ei- dritten, höchsten Stufe zu, dem sitd. z. B. nach Höhe des Einkommens, G.) gibt es vor allem drei Maßstäbe:
ne der Kardinaltugenden, seit Platon oder unbedingten Begriff des t Gu- nach Familienstand u. Kinderzahl). . Jedem das Gleiche oder jedem nach
u. Aristoteles an. Beiden Denkern ten. In seinem Rahmen geht es um Auch die Kriterien dürfen nicht will- seinem Wert als Mensch überhaupt;
verdankt sie eine derartige Fülle von einen Teil, um soziale Beziehungen kürlich sein. Rechtsregeln sind zwei- jedem nach seiner Leistung oder Lei-
Gesichtspunkten, Argumenten u. unter dem Gesichtspunkt konkurrie- tens nach Maßgabe derselben Regeln stungsfähigkeit; jedem nach seinen
Einsichten, daß die weitere Be- render Interessen u. Ansprüche. Im zweiter Ordnung zu gewinnen, nach Bedürfnissen. Gemäß der Idee der
griffsgeschichte größtenteils als Auf- Rahmen der Sozialmoral greift die den in der Verfassung niedergelegten unantastbaren Würde des Menschen
nahme von u. Kommentar zu Flalon G. jenen Teil heraus, deren Anerken- Verfahrensregc1n über die Entste- u. der Unverletzlichkeit der Person
u. Aristoteles erscheint. In der Neu- nung die Menschen sich gegenseitig hung von Gesetzen sowie nach nor- ist es im allgemeinen unumstritten,
zeit macht sich aber in verschiedenen schulden; die G. unterscheidet sich mativen Leitprinzipien (etwa nach daß in bezug auf die t Grundrechte
Formen eine philosophisclu}c\.:.,u. vom verdienstlichen Mehr, etwa den Prinzipien des freiheitlichen jedem das Gleiche zukommt (daher
rechtstheoretische Skepsis gegen die t Wohlwollen (t Verdienstlichkeit). Rechtsstaats, der Demokratie u. des Menschenrechte: unveräußerliche
G. breit. Nach der wissenschafts- Den Kern unserer Vorstellungen Sozialstaats). Diese lassen sich aus Rechte jedes Menschen). Soziale Po-
theoretischen Variante dieser Skepsis von G. bildet - neben den Ideen einer Vermittlung der Anwendungs- sitionen u. wirtschaftliche i Güter
gebe es über einen moralischen Wert der unantastbaren Menschenwürde bedingungen der G. (Kooperation u. dagegen sollen nach Leistungs-, nach
wie die G. keine objektiven Aussa- ( t Humanität), der t Freiheit u. der Konflikt; deskriptives Moment) mit Bedürfnisgesichtspunkten oder einer
gen. Nach der rechtstheoretischen Solidarität: t Wohlwollen - das e dem höchsten Kriterium der Sittlich- Verbindung beider verteilt werden
Variante, vertreten von Hobbes über Prinzip der i Gleichheit: Menschen keit (normatives Moment) t begrün- (der individuelle Lohn richtet sich
}. Austin bis zu H. Kelsen, in abge- in gleichen Umständen sollen gleich den. Erkennt man die Univeralisier- meist nach der Leistung, die Sozial-
schwächter Weise auch Hart, gehöre handeln bzw. gleich behandelt wer- barkeit (t kategor. Imperativ) als hilfe nach Bedürftigkeit, die Steuern
die G. nicht zu den Geltungsbedin- den (Gleichheitsgebot, vgl. t Golde- Maßstab der Sittlichkeit an, dann nach beidem: nach der Höhe des
gungen positiven Rechts (t Rechts- ne Rege!), negativ formuliert: jede ergibt sich als G.prinzip die Bewä1ti~ Lohns, aber auch nach Familien-
positivismus). Nach der normativen willkürliche Ungleichbehandlung ist gung von Kooperations- u. Konflikt- stand u. Kinderzahl). - Die genauen
Variante, dem t Utilitarismus, ver- ungerecht (Willkürverbot). Die verhältnissen nach streng allgemei- Regeln nach Maßgabe der normati-
treten von Bentham, }. S. Mill u. Grundordnung einer politischen Ge- nen u. für alle gleichen Grundsätzen, ven Leitprinzipien, aber auch der
}. Austin, gilt nicht die G. als sitt!. meinschaft ist dann schon in einer insbesondere nach den unveräußerli- wirtschaftI., gesellschaft!. u. kulturel-
Leitidee, sondern das Wohlergehen wesentlichen Hinsicht als gerecht chen Menschenrechten (t Grund- len Lebensbedingungen zu bestim-
aller Betroffenen. U. in der t Sy- anzusehen, wenn das Gleichheits- rechten), persönlichen Freiheitsrech- men gehört in den Aufgabenbereich
stemtheorie eines Luhmann meint G. prinzip eine alle drei Gewalten des ten, politischen Mitwirkungsrechten der i Politik, für die die Idee der G.
eine funktionsunspezifische Norma- Staates bindende Verfassungsbestim- u. Sozialrechten. Drittens müssen eine normativ-kritische Funktion hat.
tivität, für die es in den modernen mung ist (vgl. für die Bundesrepublik Exekutive u. Rechtsprechung die Ge- Allgemein läßt sich sagen, daß zur
Gesellschaften deshalb keinen Platz Deutschland Art. 3 zusammen mit setze u. Erlasse unparteiisch, ohne unantastbaren Würde des Menschen
gebe, weil diese sich aus (relativ) au- Art., 1 III des Grundgesetzes, für Ansehen der Person (ihres Ge- auch die elementare Existenzsiche-
tonomen Teilgesellschaften zusam- Österreich Art. 7 (1) des Bundesver- schlechts, ihrer Religion, Rasse, so- rung gehört, hier deshalb der Be-
mensetzten, die - wie etwa die fassungsgesetzes, für die Schweiz zialen oder wirtschaftlichen Stel- dürfnisaspekt den Vorzug verdient,
t Wirtschaft, das Recht u. die Politik Art. 4 u. 60 der Bundesverfassung). - lung), anwenden: formale G. (in der während die Ausgestaltung der eige-
Gerechtigkeit 94 95 Geschichte der Ethik

nen Existenz der Freiheit des einzel- oder dem Marktpreis?). - Obwohl in mand in eigener Sache richten, auch D. Miller, Social Justice, Oxford 1976;
nen überlassen bleiben soll, wobei der zeitgenössischen Debatte der ist stets die Gegenseite anzuhören), R. Nozick, Anarchie, Staat, Utopia,
die Idee der G. als Fairneß fordert, Gedanke der VerteilungsG. vor- aber wie bei (Straf-)Gerichtsprozes- München o. J.; O. HöHe (Hrsg.), Über
daß alle Güter, Positionen u. Ämter herrscht, lassen sich selbst grund- sen kein sicheres Verfahren. Weil John Rawls' Theorie der G., Frank-
furt/Mo 1977; ders. E u. Politik, Frank-
grundsätzlich für jeden offenstehen legende G.saufgaben von der hierzu die politischen Verfahren ge- furt/Mo 31987, Kap. 4-7, 14-15; ders.,
u. die Ordnung des wirtschaftlich- TauschG. her lösen (Höffe 1996, hören, ist gegen ein bloß prozessua- Politische G., Frankfurt 1987; ders., G.
sozialen Systems nicht bloß zum Kap. 9), vorausgesetzt man hat les Verständnis der t Demokratie als Tausch? Baden-Baden 1991; ders"
Vorteil gewisser Gruppen ist, son- weder einen zu engen noch zu un- Zurückhaltung geboten. Die reine Vernunft u. Recht, Frankfurt/M. 1996;
dern dem Wohlergehen aller dient. geduldigen, noch zu kleinlichen VerfahrensG. wiederum kennt kei- G. Robbers, G. als Rechtsprinzip, Ba-
Für manche gehört es schon zur sog. Tauschbegriff. Außer Geld, Waren u. nen unabhängigen Maßstab, wohl den-Baden 1980; B. Ackerman, Social
sozialen G., für andere erst zur Dienstleistungen treten auch ideelle ein faires Verfahren, beispielsweise Justice in the Liberal State, New Haven
i Solidarität, vorgefundene natürli- Vorteile im Tausch auf: t Macht, Si- das Losen oder Würfeln. 1980; R. Lucas, On Justice, Oxford
1980; F. A. v. Hayek, Recht, Gesetzge-
che u. soziale Nachteile auszuglei- cherheit, gesellschaftliche Anerken- Die Anwendung einer allgemeinen bung u. Freiheit Bd. 2, Landsberg a. L.
chen. nung, nicht zuletzt t Freiheit u. Rechtsregel kann in besonderen Ein- 1981; B. Moore, UnG., Frankfurt
Die soziale G. hat heute zwei Be- Chancen zur Selbstverwirklichung. zelfällen zu offensichtlich nicht ge- 1982, J. Derrida, Gesetzeskraft, Frank-
deutungen. In einem unspezifischen Ferner sind Phasenverschiebungen zu rechten Ergebnissen führen. Hier furt/Mo 1991;]. Assmann, Ma'at. G. U.
Sinn verstärkt "sozial", was die G. beachten, nicht zuletzt gibt es For- fordert das Prinzip der Billigkeit Unsterblichkeit im alten Ägypten,
ohnehin besagt: es geht um die Mo- men von Ringtausch. (Epikie), vom Buchstaben des gel- München 21995; J. Shklar, Über UnG"
ral des Gesellschaftlichen. In einem Die Idee der G. fordert auch, ver- tenden Rechts abzuweichen, u. zwar Berlin 1992; M. Walzer, Sphären der
spezifischen Sinn befaßt sich die 's~~i­ schuldete Schäden in der Höhe des nicht deshalb, weil die Idee der G. G., Frankfurt/M 1992; W. Kymlicka
(Hrsg.), Justice in Political Philosophy,
ale G. mit der sog. sozialen Frage: Schadens wiedergutzumachen: ko- suspendiert, sondern weil sie auch 2 Bde., Cambridge 1992; C. Dem-
mit Phänomenen wie Arbeitslosig- rektive G. Sie verlangt z.B. Entschä- dort beachtet werden sollte, wo es merling, Th. Reutsch (Hrsg.), Die Ge-
keit, Schutzlosigkeit bei Krankheit u. digungen gegen Eskimos, Indianer u. sich um außergewöhnliche Umstände genwart der G., Berlin 1995; M. Beck-
im Alter, mangelnder Bildung, i Ar- andere Ureinwohner, deren Besitz handelt, die der Gesetzgeber nicht Managetta U. a. (Hrsg.), Der G.an-
mut, sogar Hunger, kurz: Verelen- teils gewaltsam, teils gegen unzurei- vorausgesehen hat. spruch des Rechts, Wien/New York
dung. Sofern diese Phänomene auf chende Gegenleistungen erworben 1996; O. O'Neill, Tugend u. G., Berlin
gesellschaftliche Veränderungen zu- wurde. Auch Sklaverei u. Koloniali- 1996; W. Kersting (Hrsg.), G. als
Lit.: Platon, Der Staat; Aristoteies, Ni- Tausch?, Frankfurt/M. 1997. O. H.
rückgehen, die wie etwa die Indu- sierung (t Diskriminierung) fordert komach. E, Buch V; Thomas v. Aquin,
strialisierung einen kollektiven Vor- die korrektive G. heraus. Die G. ver- Summa theologica 11-11, quaestio 57- Geschichte der Ethik. t E als eigene
teil erbringen, einige aber schlechter langt auch, t Strafen für Rechtsver- 62; De virtutibus cardinalibus; Th. philosophische Disziplin geht auf
stellen, verlangt die G. eine Ent- letzungen nicht beliebig, sondern Hobbes, Leviathan, bes. Kap. 13-15; Aristoteles zurück, der von e Theorie
schädigung. nach der Schwere der Übertretung zu 1. Kant, Metaphys. Anfangsgründe der
Rechtslehre; J. S. Mill, Utilitarismus, spricht (Anal. post. 89 b 9) u. die
Die ausgleichende G. betrifft den verhängen.
Kap. V; H. Kelsen, Was ist G.? Wien theoretische von der t praktischen
Tausch verschiedenartiger Dinge Im Rahmen der VerfahrensG. sind 21975; ]. Pieper, Über die Gerechtig- Philosophie unterscheidet (Nikom.
(Kauf, Miete usf.). Der Tausch ist drei Falltypen zu unterscheiden. Bei keit, München 41965; H. L. A. Hart, E 1096b 31). In der Sache nimmt er
dann gerecht, wenn die getauschten der vollkommenen VerfahrensG. gibt Der Begriff des Rechts, Frankfurt/M. die sokratisch-platonische Frage
Dinge den gleichen Wert haben, wo- es einen unabhängigen Maßstab u. 1974, Kap. VIII; H. Welzel, Naturrecht nach dem guten Leben auf U. sucht
bei das Geld als allgemeiner Wert- ein Verfahren, das das gerechte Er- u. materiale G., Göttingen 41968; gleich seinen Vorgängern die durch
maßstab dient. Allerdings besteht die gebnis so gut wie mit Sicherheit lie- eh. Perelman, Über die G., München die Sophisten problematisierte Ant-
Schwierigkeit, den genauen Wert ei- fert (z. B. "der eine teilt, der andere 1967; ]. Rawls, Eine Theorie der G.,
wort im maßgebenden Grund u. der
nes Dinges zu bestimmen, da die Kri- wählt"). Bei der unvollkommenen Frankfurt/M. 1975; ders., Gerechtigkeit
als Fairneß, FreiburglMünchen 1977; rechten Verfassung eines in Gesetz,
terien selbst kontrovers sind (richtet VerfahrensG. gibt es zwar einen un- ders., Die Idee des politischen Libera- t Sitte u. Gewohnheit geordneten
sich der Wert nach der aufgewen- abhängigen Maßstab, auch klare lismus Frankfurt/M. 1992; ders., Politi- menschlichen Lebens. Während in-
deten Arbeit, dem Gebrauchswert Minimalbedingungen (z. B. darf nie- cal Liberalism, New York 1993; dessen von SokrateslPlaton die Mög-
r Geschichte der Ethik

lichkeit des guten Lebens u. der Wie- des philosophischen Lebens im Gött-
96 97

nach dem Vorbild von Geometrie u.


Geschichte der Ethik

von zahlreichen Autoren der begin-


derherstellung der politischen Ord- lichen u. Unsterblichen u. bereitet die Physik gewonnenes Wissen um die nenden Neuzeit gelockert wurde, so
nung an die philosophische Einsicht enge Verbindung von E u. Theologie Natur des Menschen. Als deren bildet die von Hobbes gezeichnete
in die reine Idee des t Guten gebun- vor. Grundtendenz glaubt er das i Stre- Bestimmung der philosophischen E
den wird, geht die aristotelische E In der i christlichen E wird der ben nach Selbsterhaltung ausmachen im Zusammenhang von i Gesell-
methodisch von den menschlichen Inhalt der philosophia moralis in die zU können. Diese Tendenz führt, un- schaft, Recht u. Staat, ihre Gewich-
Begehrungen, Vermögen u. Tätigkei- theologische Lehre vom Menschen ter den gegebenen Bedingungen einer tung äußeren Verhaltens u. ihre Ab-
ten ( iStrebensE) wie von den beste- hineingenommen (so bei Origenes, verunsichernden Ratio, einer Viel- grenzung von der theologischen E
henden Ordnungen des Zusammen- Klemens v. Alexandria u.a.) u. in zahl von Menschen, einer begrenzten (die die Bewegungen des Herzens
lebens aus u. sucht den Grund der die Dogmatik von Erbschuld, Gna- Erde u. fehlender sozialer Instinkte u. das innere Verhältnis zu Gott ent-
i Sittlichkeit in dem im individuellen de, Rechtfertigung u. endzeitlichem bzw. Triebe zu einem Status gegen- hält) Gemeingut neuzeitlich na-
u. gemeinschaftlichen Handeln tätig Heil integriert (Augustinus, Thomas seitiger Aggressivität u. Destruktion. turrechtlichel' E (so bei Th. Go-
erreichbaren t höchsten (mensch- v, Aquin u. a.). Peripatetisches, stoi- E versteht sich dann als Inbegriff je- lius, Ph. Melanchthon, ]. G. Darjes,
lichen) Gut. Dieses, das t Glück ei- sches, neuplatonisches u. (vor allem ner Verhaltensnormen, die eine H. Gl'otius, S. Pufendor{, G. F. Mei-
nes vollendeten Lebens, wird be- im Mittelalter) genuin aristotelisches schlußfolgernde Vernunft (recta ra- er, ehr. Wolff u. a.).
stimmt als "Verwirklichung der Seele Gedankengut findet Aufnahme in die tio) im Blick auf die Situation des Im Gegenzug gegen Hobbes' An-
gemäß der Tugend" mit ausrei- christliche Tugendlehre, die freilich Menschen in der Welt zur Errei- thropologie, die neben der ambiva-
chenden äußeren Gütern im Stande im Glauben an die von i Gott eröff- chung des primum bonum optimaler lenten Ratio nur egozentrische Trie-
des freien Bürgers einer vollen.I!l~~:n nete Heilswirklichkeit ihr entschei- Selbsterhaltung als notwendig er- be, Bedürfnisse u. Affekte als natur-
Polisgemeinschaft. Praktische Philo- dendes Richtmaß findet. Diese theo- kennt (law of nature, Naturgesetz). gegeben anerkennt, setzt in England
sophie als Theorie über das "zum logische Fundierung der E geht bei Auf dem Boden der auf Selbsterhal- eine Strömung ein, die E auf ein in-
Menschsein des Menschen Ge- einigen Autoren (P. Abaelard, Duns tung u. Bedürfnisbefriedigung gerich- neres, von der Sphäre der Gesell-
hörige" hat deshalb die Lehre vom Scotus, W. v Ockham) so weit, daß teten Gesellschaft antagonistischer schaft u. des Staates unabhängiges
Hauswesen (Ökonomik), die E im sie nicht nur das Endziel allen Han- Individuen, die weder alle ihre Prinzip gründet. Grundanliegen so-
engeren Sinn (Wesen u. Arten der delns in der Partizipation am jensei- i Vernunft richtig gebrauchen noch wohl der platonischen Schule von
i Tugend) u. die Lehre von der Polis tigen Gott u. die Möglichkeit eines von sich aus den Normen der Frie- Cambridge (H. More, R. Cudworth)
(Politik) als untrennbare Einheit zum rechten Lebens in der Mitwirkung denssicherung folgen, hat die Eden wie der späteren moral-sense-Phi-
Inhalt. Die enge Verbindung von E u. seiner Gnade sehen, sondern das Gu- Begriff des i Rechts u. den das losophie (Shaftesbury, F. Hutcheson,
Politik zerbricht bereits mit dem Zer- te selbst auf die souveräne Dispositi- Recht als Gesetz verbürgenden u. D. Hume: i Gefühl) ist der Aufweis
fall der antiken Polis. i Epikureische on des göttlichen Willens gründen durchsetzenden i Staat zur Voraus- einer natürlichen inneren Anlage des
u. i stoische E negieren die Ver- ( i theologische E). E wird erst dann setzung. Hobbes gründet also die Menschen zur Erkenntnis u. An-
schränkung von geglücktem Leben wieder zum Teil einer allein auf den praktische Philosophie auf die me- erkennung sütl. Grundsätze, die die
mit politischer Praxis. Inhalt der E Menschen reflektierenden Philoso- chanisch bestimmbare Natur des vernünftige Harmonie von Selbst-
wird die Lehre von den individuellen phie, als durch F. Bacon, R. Descar- Menschen u. die sittl. Normen auf liebe ( i Selbstinteresse) u. Nächsten-
i Bedürfnissen, Strebungen u. Trie- tes, Th. Hobbes u. a. Philosophie sich die Vernunft; er löst damit das i Liebe zum Inhalt hat u. von den
ben u. ihrer vernünftigen Befriedi- von ihrer Verschränkung mit der scholastische i Naturrecht ab, das animalischen Strebungen nach Be-
gung (Artistipp, Epikur) bzw. die Theologie löst u, ihre Reflexionen sittl. Verhalten an den ,Gesetzen' ei- dÜl'fnisbefriedigung u. Selbsterhal-
Kunstlehre tugendhafter Lebensfüh- auf wissenschaftlich kontrollierte Er- ner als zweckgerichtet interpretierten tung sich unterscheidet. E wird so
rung, die im Glück des leidenschafts- fahrung u. rein rationale Argumenta- Natur orientierte, in der sich die auf die innere Konstitution der
losen, von politischen u. persönli- tionen zu stützen beginnt ( i Begrün- verbindliche göttliche Schöpfungs- menschlichen Natur gegründet, die
chen Umständen innerlich freien dung, i Methoden der E). absicht dokumentiert, Wenngleich unverstellte Subjektivität wird zum
Weisen ihr Leitbild findet (Stoa). Der Die neuzeitliche E setzt vor allem die starke Verschränkung von prak- Maßstab sitt!. Verhaltens. Kants
Neuplatonismus (vor allem Plotin) mit Th, Hobbes ein. Für ihn ist die tischem Naturgesetz qua Vernunft- Werk u, die ihm folgende Philoso-
macht Glück u. Tugend zum Gehalt Basis der praktischen Philosophie ein gesetz mit dem politischen Gesetz phie versucht die auf das Innere des

I
Geschichte der Ethik 98 99 Geschichte der Ethik

Menschen gegründete E u. die E der Recht u. die Moralität zu ihrer ver- schen materialen Werten u. Zwecken den. Die kognitiven halten an der
Naturrechtsschule zusammenzufüh- nünftigen geschichtlichen Wirklich- zu gründen (t Formale-Materiale E). möglichen objektiven Bedeutung mo-
ren. Im Anschluß an bereits vorge- keit. Das 19. Jahrhundert ist durch Eine von der kontinentalen Philo- ralischer Begriffe u. Sätze fest. Der
prägte Unterscheidungen (A. Rüdi- verschiedene Neuansätze gekenn- sophie verschiedene Richtung nimmt e Naturalismus behauptet dabei
ger, A. G. Baumgarten u.a.) wird die zeichnet. Marx u. Engels nehmen die die E des angelsächsischen Sprach- die Transformierbarkeit moralischer
"Sittenlehre" in Rechts- u. Tugend- E in ihre Gesellschaftstheorie zurück, raums, die im 19. Jahrhundert im Termini in empirisch-deskriptiv be-
lehre gegliedert u. letztere auf die- interpretieren die traditionelle E als Gegenzug gegen die Formen subjek" stimmbare Begriffe (M. Schlick,
jenigen "inneren" Pflichten gegen klassengebundene Ideologie u. stellen t
tiv begründeter E im Utilitarismus R. B. Perry, C. I. Lewis u.a.), der e
sich selbst u. andere beschränkt, die eine neue sozialistische E nach Be- J. Benthams, J. St. MUls u. H. Sidg- Intuiti01lismus hingegen verteidigt
"keiner äußeren Gesetze fähig" sind. seitigungen der alten Moral in Aus- wieks ihre dominierende Theorie die Eigenart moralischer Termini u.
Die Rechtslehre, die Prinzipien u. sicht (t marxistische E). F. Nietzsehe findet: Der mit empirischen Metho- Sätze, deren objektiver Gehalt sich
Normen des Daseins äüßerer t Frei- versucht eine Neubestimmung der E, den bestimmbare Nutzen der mög- durch unmittelbare Einsicht in die
heit als Freiheit aller unter einem indem er die Scheinhaftigkeit bzw. lichst großen Zahl wird zum Prinzip innere Qualität von Handlungen u.
die Willkür gegenseitig beschränken- lebensnegierende Unterdrückungs- privater Moral wie öffentlicher Ent- Werten finden lasse (G. E. Moore,
den Gesetz untersucht, ist auf die funktion der traditionellen (speziell t
scheidungsprozesse ( Entscheidung, W. D. Ross u. a.), der e Logizismus
Legalität der Handlungen, d. h. ihre platonisch-christlichen) Moral auf- t Entscheidungstheorie). In höchst versucht die Erstellung einer spezifi-
äußere Gesetzmäßigkeit ohne Rück- zudecken sich bemüht (t Moralkri- differenzierter Form gilt der Utilita- schen Logik der E ( t deontische Lo-
sicht auf ihre Triebfedern bezogen. tik). Erst in der freien Entfaltung des rismus auch heute als entscheidender gik), mittels derer sich die rationale
Die Tugendlehre hingegen, dics.~icp­ Lebens werde eine E möglich, die Bezugspunkt der Diskussion über Struktur moralischer Rede demon-
allein mit der Moralität des Han- den Prozeß der Selbstgestaltung u. Probleme normativer E im angloa- strieren lasse (S. E. Toulmin, R. M.
delns befaßt, hat ihr Prinzip in der Selbstbejahung des Lebens zum In- merikanischen Sprachraum U. O. Hare, G. H. v. Wright u.a.). Für die
inneren Selbstbestimmung eines ver- halt hat (t Lebensphilosophie). Der Urmson, J. J. C. Smart, J. Rawls, nichtkognitiven Theorien (A. J. Ayer,
nünftigen Wesens allein um der Ver- Neukantianismus (vor allem Mar- R. Brandt, M. Singer u.a.). Daneben C. L. Stevensan u.a.) sind imperati-
nunft willen. Grund der t Sittlich- burger Prägung) entwickelt in Ana- verlaufen die Bemühungen um Pro- vische u. wertende Begriffe u. Sätze
keit ist nicht eine vorgegebene innere logie zur transzendentalen Theorie bleme der E in der Nachkriegszeit in bloßer Ausdruck subjektiver Gefüh-
Naturanlage, sondern die absolute der Erfahrung als Logik der reinen zwei Richtungen, die sich gegenwär- le, die keiner intersubjektiven Kon-
t Freiheit vernünftiger Selbstbe- Naturwissenschaft die E als "Logik tig zu berühren beginnen: (a) auf der trolle zugänglich sind (Emotivismus).
stimmung. der Geisteswissenschaften" (H. Co- einen Seite arbeitet man an einer
Konsequenterweise schließt Kant hen), die im Ausgang vom Faktum kritischen Rehabilitierung der prak- Lit. F. Vorländer, G. der philosophi-
von der Begründung der Moralität der Rechts- u. Staatswissenschaft de- tischen Philosophie von Aristoteles u. schen Moral-, Rechts- u. Staatslehre,
wie des t Rechts jeden Rekurs auf ren reine Prinzipien kritisch rekon- Hegel U. Ritter u. a.), von Kant, He- 1855 (Neudr. Aalen 1964); H.Sidg-
die sinnliche Natur des Menschen, struiert. Im Gegenzug gegen den wick, History of Ethics, 1879 (Repr.
gel u. Marx (t Kritische Theorie),
auf den Erwerb von Lust u. Glückse- kantischen Formalismus wird F. London 1962); M. Wundt, G. der grie-
von Hobbes, Kant u. Marx im Ver- chischen E, 2 Bde., Leipzig 1908-1911;
ligkeit aus. Den bei Kant unvermit- Brentano zum Wegbereiter einer ein mit sprachkritischer Methodik F. Jod!, G. der E in der neueren Philo-
telt zurückgebliebenen Dualismus phänomenologischen E, die im be- ( t Konstruktive E) im Bereich der sophie, 2 Bde., StuttgartiBerlin 31920
von intelligibler Freiheit u. empiri- ginnenden 20. Jh. durch M. Seheler t normativenE; auf der anderen Sei- (Neudr. 1964); E. Howald, A. Dempf,
scher Natur wie von Moralität u. u. N. Hartmann ihre Ausarbeitung te steht die Verwertung der Metho- Th. Litt, G. der E, MünchenlWien
Legalität versucht Heget dadurch zu erfuhr: als Quelle moralischer Begrif- dik der analytischen Philosophie im 1978; C. D. Broad, Five Types of Ethi-
überwinden, daß er die E der Morali- fe gilt ihr der intentionale Akt inne- Bereich der t MetaE, die sich mit cal Theory, London 1930; F. Wehrli,
tät durch eine politisch-institutionelle rer Wahrnehmung, der materiale Lathe biosas. Studien zur ältesten E bei
der sprachlichen Form von Imperati- den Griechen, Leipzig 1931; F. Wag-
E ersetzt. In den sitt!. t Institutionen i Werte u. ihre Ordnung zur Er- ven u. axiologischen Aussagen be- ner, G. des Sittlichkeits begriffs, 3 Bde.,
von t Familie, bürgerlicher t Gesell- scheinung bringt. Sitt\. Verpflichtung faßt. Die derzeit diskutierten metae Münster 1928-1936; B. Switalski, Neo-
schaft u. Staat kommen sowohl die sei nur auf diese "Einsicht" in die Theorien lassen sich ihrerseits in ko- platonism and the Ethics of St. Augu-
natürlichen t Bedürfnisse wie das apriorischen Zusammenhänge zwi- gnitive u. nichtkognitive unterschei- stin, New York 1946: F. Flückiger, G.
.r

GeschichtIichkeit 100 101 Gesellschaft

des Naturrechts, Zürich 1954; H. Wel- das Leben der G. so, daß sie sich u. G., sondern zwischen deren Klassen produktiven Fähigkeiten, Techniken
zel, Naturrecht u. materiale Gerechtig- der G. in wechselseitiger Erfahrung herrscht u. nur in einer sozialisti- u. Eigenschaften der Menschen, de-
keit, Göttingen 41962; E. Wolf, Große i Sinn geben. Selbstbewußtsein, schen G. aufgelöst werden kann. ren Rationalisierung in Form von
Rechtsdenker der deutschen Geistesge- Handlungsvennögen, die Kenntnis Marx analysiert im Unterschied zur Handlungsmöglichkeiten (Reproduk-
schichte, Tübingen 41963; H. Reiner,
der materiellen u. konventionellen t Kritischen Theorie der G. (Ador- tion) u. das für G. konstitutive Ver-
Die philosophische E, Heidclberg 1964;
G. J. Warnock, Comemporary Moral Gegebenheiten u. der allgemein an- no, Marcuse, Habermas) nicht die mögen der Sprache lassen sich aber
Philosophy, London 1966; A. Pieper, erkannten Handlungsprinzipien der Gründe der Konflikte von Normen nicht allein mit der Verinnerlichung
Analytische E. Ein Überblick ... , Phi- G. sind die Bedingungen dafür, daß u. Interessen, die sowohl innerhalb von Werten u. Normen verstehen.
los. Jahrb. Bd. 78/1, 1971; E. Bloch, die Zwecke gesellschaft!. Handelns der Klassen wie unabhängig von ih- Der i Pluralismus, die Verfügbarkeit
Naturrecht u. menschliche Würde, wechselseitig erwartbar u. erkennbar nen in der G. herrschen. u. Vielfalt der Normen einer offenen
Frankfurt/M. 21975; M. Warnock, sind. Beurteilbar u. verantwortbar Als Gegenbegriff zum mechani- G. (K. Popper), setzt die kritische
Ethics since 1900, Oxford 31978; sind diese aufgrund der normativen schen, konstruierten Charakter der Fähigkeit des Menschen, zwischen
R. Norman, Thc Moral Philosophers,
Oxford 1983; A. Madntyre, G. der E Struktur der G. u. der Intentionen u. G., die Menschen durch ökonomi- Normen zu wählen u. sie zu bestim-
im Überblick, Meisenheim 1984; des Handlungsvermögens ihrer Mit- sche Konkurrenz u. Konflikte nicht men, frei u. bedingt so die Einsicht
J. Rohls. G. der E, Tübingen 1991; glieder. Die Entstehung der bürgerli- verbindet, sondern trennt, steht die in den abstrakten institutionellen
P. Singer (Hrsg.), A Companion to chen G. leitet die liberale G.-Theorie Gemeinschaft (F. Tönnies) als eine Zusammenhang der G. u. die Re-
Ethics, Oxford 1991; M. Forschner, (Smith, Bentham, Mill) vom Schutz- auf Gewöhnung, Sprache, Verwandt- geln der i Kommunikation, die die
Über das Glück des Menschen. Aristo- bedürfnis individueller Güter ( i Frei- schaft u. t Freundschaft beruhende Grundlage sittl. Entscheidungen im
teIes, Epikur, Stoa, Thomas v. .6Au,in, heit, t Leben, tEigentum) u. dem organische Form des Zusammenle- sozialen Handeln sind. Der Pluralis-
Kant, Darmstadt 21994, Ni.' F. Vorrang des menschlichen t Selbst- bens (i Kommunitarismus). Diese mus der G. wird gewährleistet durch
GeschichtIichkeit i Existentialisti- interesses ab, das sich durch ein be- Elemente gewinnen in der modernen die i Toleranz (moralischen Ent-
sehe E. schränktes Maß an Gemeininteresse G.-Theorie als moralische Ideen Be- scheidungen anderer, sofern sie die-
mit den Konventionen des i Rechts. deutung (E. Durkheim), die neben ses Prinzip selbst nicht verletzen, mit
Geschichtsphilosophie i Fortschritt. sichert. Dagegen ist das Recht für den materiellen, das Verhalten me- Achtung zu begegnen), das politische
den Idealismus (Hegel) nicht nur chanisch beeinflussenden Zwecken Bemühen, die gesellschaftl. Leiden
Geschick i Schicksal. Mittel, sondern Vora ussetzung u. die moralischen Bestimmungen des zu verringern u. die gesellschaftl.
Gesellschaft hat im Unterschied zur Zweck der bürgerlichen G. Das Sub- HandeIns sind. Gesellschaftl. Werte Machtverhältnisse durch Gesetzge-
i Natur einen moralischen, norma- jekt soll in ihr im Bildungsprozeß verknüpfen individuelle Bedürfnisse, bung u. Recht zu kontrollieren.
tiven u. geschichtlichen Charakter, seines Selbstbewußtseins seine Be- in deren- Struktur sie eingegangen
dürfnisse, seinen Willen u. seine sind, mit normativen Rollenerwar- Ut.: A. Smith, Der Wohlstand der
der im menschlichen t Handeln be-
Freiheit als die aller anderen u. damit tungen zum sozialen System (M. We- Nationen, Kap. I, III, IV; G. W. F. He-
gründet ist. Die Natur als Lebens- gel, Rechtsphilosophie, §§ 182-256;
raum u. die innere Natur des t Men- als notwendig erkennen. Freiheit u. ber, T. Parsons). Dieses System setzt K. Marx, Ökon.-philos. Manuskripte,
schen werden durch seine t Arbeit Eigentum werden zu objektiven einen moralischen u. kulturellen III; ders., Die Deutsche Ideologie,
in G., er selbst in das Wesen der G. Zwecken der G. u. stehen damit in i Konsens voraus u. ordnet jedes MEW, Bd.3, S. 17-77; F. Tönnies,
(Aristoteles) umgewandelt (Transfor- einem sitt!., nicht vom Selbstinteresse Handeln in die umfassende Struktur Gemeinschaft u. G" 81935, Darmstadt
mation der Natur). Das zwischen- geleiteten Verhältnis zum Individu- der G. ein. G. ist danach ein stati- 1970, S.8ff, 40ff, 184ff, 25lf;
menschliche Handeln (i Kommuni- um. - Die i marxistische E (Marx) sches System von Normen, die be- E. Durkheim, Soziologie u. Philosophie,
lchnt diesen Begriff der G. als folgt oder nicht befolgt werden Frankfurt 1967, Kap. II; M. Weber,
kation) schafft u. wird geleitet durch
Wirtschaft t1. G., Tübingcn 51972,
Normen u. Konventionen, die für die Grundlage der i Entfremdung u. als (abweichendes Verhalten), über die
Teil 1, Kap. I, III, '§§ 1-5; R. Dah-
G. grundlegend sind. In Überein- Klassenbegriff der G. ab. Sie be- auch eine Ungewißheit im gesell- rendorf, G. u. Demokratie in Deutsch-
stimmung oder Abhebung von ihnen stimmt G. mit deren ökonomischer schaftl. Handeln (Anomie, griech. land, München 1971; J. Habermas,
kann sich jedes Mitglied der G. in- Struktur, den Produktionsweisen u. Gesetzlosigkeit) bestehen kann, die Zur Logik der Sozialwissenschaften,
dividuell u. sozial verstehen u. ver- dem von ihnen bedingten t Konflikt, sich auf das Rollenverhalten desori- Tübingen 1967; ders., Theorie des
ständigen. Die Individuen gestalten der nicht zwischen i Individuum u. entierend u. stärend auswirkt. - Die kommunikativen HandeIns, 2 Bde.,
Geschichtlichkeit 100 101 Gesellschaft

des Naturrechts, Zürich 1954; H. Wel- das Leben der G. so, daß sie sich u. G., sondern zwischen deren Klassen produktiven Fähigkeiten, Techniken
zel, Naturrecht u. materiale Gerechtig- der G. in wechselseitiger Erfahrung herrscht u. nur in einer sozialisti- u. Eigenschaften der Menschen, de-
keit, Gättingen 41962; E. Wolf, Große i Sinn geben. Selbstbewußtsein, schen G. aufgelöst werden kann. ren Rationalisierung in Form von
Rechtsdenker der deutschen Geistesge- Handlungsvermögen, die Kenntnis Marx analysiert im Unterschied zur Handlllngsmöglichkeiten (Reproduk-
schichte, Tübingen 41963; H, Reiner,
Die philosophische E, Heidelberg 1964;
der materiellen u. konventionellen i Kritischen Theorie der G. (Ador- tion) u. das für G. konstitutive Ver-
G. J. Warnock, Contemporary Moral Gegebenheiten u. der allgemein an- 110, Marcuse, Habermas) nicht die mögen der Sprache lassen sich aber
Philosophy, London 1966; A. Pieper, erkannten Handlungsprinzipien der Gründe der Konflikte von Normen nicht allein mit der Verinnerlichung
Analytische E. Ein Überblick ... , Phi- G. sind die Bedingungen dafür, daß u. Interessen, die sowohl innerhalb von Werten u. Normen verstehen.
los. Jahrb. Bd. 78/1, 1971; E. Bloch, die Zwecke gesellschaft!. HandeIns der Klassen wie unabhängig von ih- Der i Pluralismus, die Verfügbarkeit
Naturrecht u. menschliche Würde, wechselseitig erwartbar u. erkennbar nen in der G, herrschen. u, Vielfalt der Normen einer offenen
Frankfurt1M. 21975; M. Warnock, sind. Beurteilbar u. verantwortbar Als Gegenbegriff zum mechani- G. (K. Popper), setzt die kritische
Ethics since 1900, Oxford 31978; sind diese aufgrund der normativen schen, konstruierten Charakter der Fähigkeit des Menschen, zwischen
R. Norman, The Moral Philosophers, Struktur der G. u. der Intentionen u. Normen zu wählen u. sie zu bestim-
G., die Menschen durch ökonomi-
Oxford 1983; A. MacIntyre, G, der E
im Überblick, Meisenheim 1984; des Handlungsvermögens ihrer Mit- sche Konkurrenz u. Konflikte nicht men, frei u. bedingt so die Einsicht
J. Rohls. G. der E, Tübingen 1991; glieder. Die Entstehung der bürgerli- verbindet, sondern trennt, steht die in den abstrakten institutionellen
P. Singer (Hrsg.), A Companion to chen G. leitet die liberale G.-Theorie Gemeinschaft (F. TÖl1nies) als eine Zusammenhang der G. u, die Re-
Ethics, Oxford 1991; M. Forschner, (Smith, Bentham, Mill) vom Schutz- auf Gewöhnung, Sprache, Verwandt- geln der i Kommunikation, die die
Über das GHick des Menschen. Aristo- bedürfnis individueller Güter ( i Frei- schaft u. i Freundschaft beruhende Grundlage sitt!. Entscheidungen im
teles, Epikur, Stoa, Thomas v. Aquin, heit, i Leben, i Eigentum) u. dem organische Form des Zusammenle- sozialen Handeln sind. Der Pluralis-
Kant, Darmstadt 21994. M. F. Vorrang des menschlichen i Selbst- bens (i Kommunitarismus). Diese mus der G. wird gewährleistet durch
Geschichtlichkeit i Existentialisti- interesses ab, das sich durch ein be- Elemente gewinnen in der modernen die i Toleranz (moralischen Ent-
sehe E. schränktes Maß an Gemeininteresse G.-Theorie als moralische Ideen Be- scheidungen anderer, sofern sie die-
mit den Konventionen des i Rechts deutung (E, Durkheim), die neben ses Prinzip selbst nicht verletzen, mit
Geschichtsphilosophie i Fortschritt. sichert. Dagegen ist das Recht für den materiellen, das Verhalten me- Achtung zu begegnen), das politische
den Idealismus (Hegel) nicht nur chanisch beeinflussenden Zwecken Bemühen, die gesellschaft!. Leiden
Geschick i Schicksal. Mittel, sondern Voraussetzung u. die moralischen Bestimmungen des zu verringern u. die gesellschaftl.
Gesellschaft hat im Unterschied zur Zweck der bürgerlichen G. Das Sub- Handelns sind, Gesellschaft!. Werte Machtverhältnisse durch Gesetzge-
i Natur einen moralischen, norma- jekt soll in ihr im Bildungsprozeß verknüpfen individuelle Bedürfnisse, bung u. Recht zu kontrollieren.
tiven u, geschichtlichen Charakter, seines Selbstbewußtseins seine Be- in deren - Struktur sie eingegangen
Ut.: A. Smith, Der Wohlstand der
der im menschlichen i Handeln be- dürfnisse, seinen Willen u. seine sind, mit normativen Rollenerwar-
Nationen, Kap. I, III, IV; G, W. F. He-
gründet ist. Die Natur als Lehens- Freiheit als die aller anderen u. damit tungen zum sozialen System (M. We-
gel, Rechtsphilosophie, §§ 182-256;
raum u. die innere Natur des i Men- als notwendig erkennen. Freiheit u. ber, T. Parsons). Dieses System setzt K. Marx, Ökon.-philos. Manuskripte,
schen werden durch seine i Arbeit Eigentum werden zu objektiven einen moralischen u. kulturellen III; ders., Die Deutsche Ideologie,
in G., er selbst in das Wesen der G. Zwecken der G. u, stehen damit in i Konsens voraus u. ordnet jedes MEW, Bd.3, S. 17-77; F. Tönnies,
(Aristoteles) umgewandelt (Transfor- einem sitt!., nicht vom Selbstinteresse Handeln in die umfassende Struktur Gemeinschaft u. G., 81935, Darmstadt
mation der Natur). Das zwischen- geleiteten Verhältnis zum Individu- der G. ein. G. ist danach ein stati- 1970, S.8ff, 40ff, 184ff, 25lf;
menschliche Handeln (i Kommuni- um. - Die i marxistische E (Marx) sches System von Normen, die be- E. Durkheim, Soziologie u. Philosophie,
lehnt diesen Begriff der G. als folgt oder nicht befolgt werden Frankfurt 1967, Kap. 11; M. Weber,
kation) schafft u. wird geleitet durch Wirtschaft u. G., Tübingell 51972,
Normen u. Konventionen, die für die Grundlage der i Entfremdung u. als (abweichendes Verhalten), über die
Teil 1, Kap. I, III, §§ 1-5; R, Dah-
G. grundlegend sind. In Überein- Klassenbegriff der G. ab. Sie be- auch eine Ungewißheit im gesell- rendorf, G. u. Demokratie in Deutsch-
stimmung oder Abhebung von ihnen stimmt G. mit deren ökonomischer schaft!. Handeln (Anomie, griech. land, München 1971; J. Habermas,
kann sich jedes Mitglied der G. in- Struktur, den Produktionsweisen u. Gesetzlosigkeit) bestehen kann, die Zur Logik der Sozialwissenschaften,
dividuell u. sozial verstehen u. ver- dem von ihnen bedingten i Konflikt, sich auf das Rollenverhalten desori- Tübingen 1967; ders., Theorie des
ständigen. Die Individuen gestalten der nicht zwischen i Individuum u. entierend u. störend auswirkt. - Die kommunikativen Handelns, 2 Bde.,
Gesellschaftsvertrag 102 103 Gesinnung

Frankfurt1M. 1981; H. Marcuse, Ideen Vorher gilt der G. als Überein- übertragen werden - der G. gehört Anarchie, Staat, Utopia, München O. J.
zu einer kritischen Theorie der G., kunft innerhalb einer vorgegebenen zur Tauschgerechtigkeit - u. bei dem (eng!. 1974); J. Buchanan, Die Gren-
Frankfurt/M. 1969; K. Popper, Die of- politischen Ordnung; erst in der aus i Freiheit rechtskräftige Ver- zen der Freiheit, Tübingcn 1984 (eng!.
fene G. u. ihre Feinde, 2 Bde., Bernl Neuzeit dient er der Legitimation 1975); ders., Freedom in Constitutio-
bindlichkeiten entstehen. Der Inhalt
München 21970, Bd. I, Kap. 10, Bd. 11, nal Contract, College Station 1977;
Kap. 3-12; Th. Parsans, Structure and von Recht u. Staat überhaupt. Hier der Selbstverpflichtung besteht nicht O. HöHe, Politische Gerechtigkeit,
Process in Modern Societies, Glencoe ist der G. weder ein ausdrücklich in einer Blankovollmacht, sondern in Frankfurt1M, 1987, Teil III; ders., Ver-
1960, Teil IV, Kap. 8; H. P. Dreitzei, noch ein stillschweigend abgeschlos- jenen transzendentalen Interessen, nunft U. Recht, Frankfurt/M. 1996,
Die gesellschaftl. Leiden u. das Leiden sener historischer Vertrag, vielmehr die, als Bedingung von Handlungs- Kap. 11; P. Koller, Neue Theorien des
an der G., Stuttgart 1972, Kap. 11, V; ein Gedankenexperiment, das aus fähigkeit u. -freiheit für jeden un- Sozialkontrakts, Berlin 1987; W. Ker-
M. Riedei, G., in: Geschichtliche drei Elementen besteht: (1) Im verzichtbar, distributiv (für jeden) sting, Die Politische Philosophie des G.,
Grundbegriffe, Bd. 2; ]. S. Coleman, rechts- u. staatsfreien Zustand, Na- vorteilhaft sind, folglich die allseitige Darmstadt 1994. O. H.
Macht u. G.struktur, Tübingen 1979; turzustand genannt, besteht, weil es Zustimmung verdienen. Wegen die-
P. Koslowski, G. u. Staat, Stuttgart Gesetz i Naturrecht, Norm, Recht.
1982; S. Benhabib, Situating the Self, keinerlei Rechte (primärer Naturzu- ser Interessen, die auf die i Men-
New York 1992; A. Honneth (Hrsg.), stand) oder keine öffentliche Siche- schenrechte hinauslaufen, ist der G. Gesinnung. Unter G. verstehen wir
Kommunitarismus, Frankfurt/M.lNew rung (sekundärer Naturzustand) kein Unterwerfungsvertrag; er ver- das subjektive Wissen u. Wollen des
York 1993. W. V. gibt, ein latenter Krieg von jedem bindet die Legitimation von t Herr- i Individuums, das sich im i Gewis-
gegen jeden. (2) Weil dieser Zustand schaft mit ihrer Limitation. Mit dem sen dem Anspruch des t Guten aus-
Gesellschaftsvertrag nennt sich die für jeden nachteilig ist, verzichten Rechtsverzicht der "Privatpersonen" gesetzt weiß. Aus diesem Wissen u.
wichtigste Legitimation für eine alle auf jene unbegrenzte Handlungs- geht die Gerechtigkeitsbindung der Wollen leitet sich das Recht ab, der
zwangsbefugte Gesellschaftsordnung, freiheit, die den latenten Krieg her- öffentlichen Gewalten einher. Der G. eigenen G. zu folgen u. seine i Ent-
für i Recht u. i Staat; der G. ist die vorruft. Der Verzicht, der den ei- ist ein normativ-kritischer Maßstab scheidungen darauf zu gründen. Die
Grundfigur politischer t Gerechtig- gentlichen G. ausmacht, erfolgt, weil zur Beurteilung ihrer Rechtmäßigkeit G. äußert sich in Sprechen, Gestik u.
keit. Die entsprechenden Theorien im aufgeklärten Selbstinteresse von u. Grenzen. i Handeln des Menschen. Sie grün-
heißen Vel·tragstheorien bzw. Kon- jedermann, freiwillig; Vertragstheo- det sich auf das, was er weiß, will u.
rien sind Zustimmungs- oder Kon- Lit.: J. Althusius, Politica methodice
traktualismus. Nach Ansätzen in der digesta, 1603, Nachdruck Aalen 1961, fühlt. Der Handelnde verleiht seiner
Antike (Platon: Kriton, Politeia II senstheorien politischer Legitima- dt. Grundbegriffe d. Politik, Frank- Handlung eine Bedeutung oder mißt
359 a u. Nomoi III 684 a-b, X tion; die i Demokratietheorie sagt: furt/Mo 21948; Th. Hobbes, Leviathan; ihr t Sinn bei. Sinn u. Bedeutung
889 d-890 a) wird sie in der Aufklä- Alle Gewalt geht vom Volk aus. (3) J. Locke, Über die Regierung; S, Pu- stellen dabei die innere i Zielorien-
rungsphilosophie des 17. u. 18.1h. Weil ein Vertrag bloß ein Wort ist u. fendorf, De jure naturae et gentium li- tierung oder Intention der Handlung
zu begrifflicher Schärfe u. von Al- die Gefahr eines parasitären Ausnüt- bri VIII; Spinoza, Theologisch-poli- dar. Diese wiederum ist bedingt
thusius u. Hohbes, von Pufendorf, zens droht (vgl. das Gefangenendi- tischer Traktat, Kap. 16; J.-J. Rousse- durch die vorgefundene t Situation
lemma: i Entscheidungstheorie), be- an, Der Gesellschaftsvertrag; D. Hume,
Spinoza, von Locke u. Rousseau bis Essays Ir 12: Of the Original Contract; der Umwelt U. des eigenen i Leibes,
ins einzelne entwickelt u. von Kant darf es im Sinne der i Subsidiarität die im Wissen angeeignet u. zu einem
I. Kant, Über den Gemeinspruch, li.;
im methodischen Status geklärt. zur näheren Bestimmung, zur Durch- ders. Metaphysische Anfangsgründe Motiv für das Handeln wird. Die G.
Durch die Kritik von R. Filmer, Hu- setzung u. zur nichtprivaten Streit- der Rechtslehre, bes. §§ 9 u. 44; ist dadurch von der tierischen Sen-
me, A. Smith, Burke u. Bentham, schlichtung öffentlicher Gewalten, J. Bentham, A Fragment on Govern- somotorik abgehoben, daß durch die
Hegel, Schlegel, Rehberg u. Gentz, also eines Staates. ment, in: Works, Edingburgh 1848; Sprache die Umwelt- u. Körperbe-
später Austin u. Durkheim beiseite Der Vertrag eignet sich deshalb als G. W. F. Hege!, Rechtsphilosophie, dingungen zu lebenspraktisch an-
gedrängt, wird sie erst wieder von Metapher für die Legitimation einer § 75; O. v. Gierke, Johannes Althusius geeigneten, wißbaren Motiven wer-
u. die Entwicklung der naturrechtlichen
O. v. Gierke (mit Bezug zu Althusius öffentlichen Rechtsmacht u. der mit den, die damit einen Spielraum
Staatstheorien, Aalen 1880; E. Durk-
u. Pufendorf), dann von Buchanan ihr verknüpften Gehorsamsverpflich-
heim, Über soziale Arbeitsteilung, von t Freiheit für die intentionale
(zu Hobbes), Rawls (zu Kant u. tung, weil er die Grundform eines Frankfurt/M. 1988; J. Rawls, Eine Antwort öffnen. Die G. als vorrefle-
Rousseau), Nozick (zu Locke), auch Rechtsgeschäftes beinhaltet, bei dem Theorie der Gerechtigkeit, Frankfurt/ xives Wissen u. innere Disposition
Höffe erneuert. wechselseitig Rechte u. Pflichten M. 1975 (eng!. 1971); R. Nozick, des i Menschen kann in Entschei-

I
T
GesinnungsE 104 105 Gewalt

dungssituationen zum Gegenstand Ut ... E. Husserl, Ideen zu einer reinen den staatlichen i Institutionen G. abgebaut werden. Die i Konflikt-
ausdrücklicher Überlegung u. be- Phänomenologie u. phänomenologi- einzelner u. von Gruppen zu verbie- Soziologie versucht diese psychologi-
schen Philosophie 11, Husserliana Bd. sche Erklärung von G. soziologisch
wußter Wahl werden. In jedem Falle ten, zu verhindern oder zu ahnden
IV, Den Haag 1952, S. 172-280;
findet in ihr eine (stillschweigende G. W. F. Hege!, Grundlinien der Philo- ( i Staat). G. als Mittel des i Rechts zu ergänzen oder zu ersetzen, indem
oder bewußte) Vergleichung statt sophie des Rechts § 115-140; M. We- zur Stabilisierung des gesellschaftli- sie Konflikte auf die Struktur sozia-
zwischen den besonderen i Bedürf- ber, Politik als Beruf, Berlin 1969; chen u. staatlichen i Friedens u. zur ler Systeme u. deren zwanghaft ver-
nissen u. Wünschen des Individuums G. E. M. Anscombe, Intention, Oxford Austragung von Konflikten nach mittelte Wertordnung zurückführt
(Hegel nennt sie die Seite des Vorsat- 21963; O. Höffe, Kategorische Rechts- formellen Regeln ist weder identisch (E. Durkheim, T. Parsons). - Struk-
zes) u. den Ansprüchen der Allge- prinzipien, Frankfurt/M. 1990, Kap. 3. mit Recht noch generell davor ge- turelle G. ist nach der These von
A.S. J. Gattung allen gesellschaftlichen
meinheit, die in i Normen u. i Wer- schützt, es bei seiner Durchsetzung
ten verinnerlicht sind (Hegel spricht zu verletzen. G. ist als Funktion des Systemen immanent, die die volle
GesinnungsE i Gesinnung.
von allgemeiner Absicht). Diese steht Rechts in Vollzug u. Methode der Entfaltung der individuellen Anlagen
unter dem unbedingten Anspruch des Gespräch i Kommunikation. Rechtfertigung unterworfen (Grund- durch eine ungleiche Verteilung von
Gewissens, das Gute zu wollen u. rechtsbindung). Sie verändert dabei Eigentum u. Macht verhindern. Ne-
das Böse zu verneinen. Die Eigen- Gestalttherapie i Psychotherapie. ihren auf Unterwerfung gerichteten ben der utopischen Forderung der
tümlichkeit der G. besteht darin, sich Charakter nicht. Eine zu enge Iden- Entfaltung aller menschlichen Anla-
ganz auf dieses eigene Wissen u. Gesunder Menschenverstand i Com- tifikation von G. u. Recht führt zu gen weist dieser Begriff über den der
Wollen des Guten zu stützen, unab- mon Sense. einer Abhängigkeit der Geltung des personalen G. hinaus auf die G. po-
hängig davon, ob die Handlung in Rechts u. der Autorität seiner legis- litischer Institutionen, deren Handeln
der gesellschaftlichen Wirklichkeit Gesundheit i Krankheit. lativen, exekutiven u. judikativen sich der rechtlichen Kontrolle entzie-
zum Erfolg führt oder nicht. Als Ge- i Institutionen von den jeweiligen hen kann. Wenn im Sinne der struk-
sinnungsE unterscheidet sie sich von Gewalt ist ein i Handeln, das Formen ihrer Durchsetzung, die dem turellen G. aber "alles sozial Orga-
der i ErfoIgsE (M. Weber). Heget kri- menschliches i Leben unmittelbar Recht selbst negativ angelastet wer- nisierte, Kultivierte u. Judifizierte für
tisiert diese moralphilosophische Ein- verletzt, bedroht oder mittelbar ge- den können. Die Anwendungsweisen G." gehalten wird (U. K. Preuß), löst
schränkung auf die Innerlichkeit der fährdet. Die potentielle und aktuelle staatlicher G. können daher als Kri- sich der rechtlich, psychologisch
G., die er Kant zuschreibt, als eigen- Verwendung der G.-Mittel wird zur terien der Beurteilung des Rechts zur oder soziologisch definierbare Begriff
sinnig u. eitel, da sie das Gute nur zu Durchsetzung bestimmter Zwecke in Legitimation von sog. Gegen-G. füh- der G. auf, u. G. läßt sich beliebig als
dem Teil in den Blick bekommt, den vorbedachter u. vorsätzlicher Weise ren. Weiterhin sind mit der einseiti- Gegen-G. rechtfertigen. - Als indivi-
sie weiß, will u. fühlt. Dadurch kann eingesetzt. Diese G. hebt bestehende gen Rückführung von G. auf Recht duell beliebiger Rechtsanspruch bil-
sich aber die beste Absicht in ihr Ge- Rechtsverhältnisse auf. Ihr Erfolg oder Unrecht die Formen der G., die det G. die Grundlage anarchistischen
genteil verkehren u. böse werden, hängt, sofern er nicht unmittelbar sich nicht unmittelbar gegen eine Terrors, als Rechtsanspruch einer ge-
weil die eigene Auffassung an die physischer Natur ist, von der Er- Rechtsordnung richten oder auf sie sellschaftlichen Klasse Grundlage des
Stelle des wirklichen Guten gesetzt zeugung von i Angst ab. Damit t
berufen können ( Diskriminierung, Terrors der Revolution, die "alle
wird. Er spricht daher der Gesell- schafft G. physischen u. psychischen i Manipulation), nicht beschreibbar. Gegensätze der Entwicklung auf die
schaft gegenüber dem Einzelnen das Schrecken. G. ist in letzter Konse- G. wird psychologisch als Aggres- Alternative bringt! Leben oder Tod"
Recht zu, dessen G. durch i Sitte u. quenz auf den Tod gerichtet. Mit der sion bestimmt, entweder als ererbter (Trotzki). Bereits N. Machiavelli
übereinkunft (i Konsens) zu korri- Aufhebung von Rechtsverhältnissen (K. Lorenz, Eibl-Eibesfeld u.a.) oder empfiehlt den Terror als letzte not-
gieren. Umgekehrt ist aber gegenüber u. der Erzeugung von Angst zerstört durch Frustrationen U. Dollard) ver- wendige Sicherung der eigenen
dem Anspruch der Gesellschaft am G. die intersubjektiven Bedingungen ursachter menschlicher Trieb (i In- i Freiheit gegenüber politischen
Recht des Individuums festzuhalten, menschlicher i Gesellschaft. - Von stinkt) oder als sozial vermitteltes u. Gegnern. Terror ist die letzte Form
in seiner Besonderheit gehört u. re- diesem Begriff der G. ist die sog. le- gelerntes Verhalten. G. soll dann ent- der Eskalation von G. Diese G. hat
spektiert zu werden. Eine Tat als gitime oder öffentliche G. (vgl. weder durch einen vernünftigen Wil- in politischen G.-Systemen u. Terror-
Ausdruck der G. findet daher vor Art; 19,4 GG) zu unterscheiden, das len gesteuert oder in einem sozialen regimes ihren Zweck u. ihre Ursache
dem i Recht ihre Berücksichtigung. rechtlich begrenzte Vermögen, mit Lernprozeß oder mit beidem zugleich unmittelbar in sich selbst zu ihrer ei-
T
Gewaltenteilung 106 107 Gewissen

genen Aufrechterhaltung. - Zweck u. Ut.: Aristoteles, Nikom. E, Kap. III, 1- sen (lat. conscientia), d. h. der An- verhält (reale Objekte). Freud hatte
Ursache außerhalb ihrer selbst hat 4; N. Machiavelli, Discorsi, Buch III; spruch des G. wird gefühlt oder nur diese Seite der sozialen Abhän-
die G. als Zwang. Beispielhaft dafür G. Sorel, Über die G., Frankfurt/M. erlebt. Erst die ausführliche G.prü- gigkeit des G. im Blick u. sah nur
1969; Die Rolle der G. in der moder-
ist die Wahl zwischen zwei Übeln, von nen Gesellschaft, Bergedorfer Ge- fung fragt nach t Begründung u. den strafend-beurteilenden Aspekt
denen zwar keines an sich frei ge- sprächskreis, Protokoll Nt. 33 (Beiträge süt!. Rechtfertigung. Die Elemente des Über-Ichs. Neuere Erkenntnisse
wählt werden würde, aber doch ei- v. U. K. Preuß u. a.); H. Arendt, Macht des erlebten G.anspruchs sind das (Erikson) weisen auf die gleichzeiti-
nes in einer Handlung freiwillig über- u. G., München 1970; ]. DoHard, Fru- t Gute, das in strenger Allgemein- gen Veränderungen im Selbsterleben
nOITllnen wird (Aristoteles). Hand- stration and Aggression, New Haven heit erfahren wird, u. die besonderen (Selbstrepräsentanzen) hin. Nicht
lungen unter Zwang können aus ei- 1939; J. Eibl-Eibesfeldt, Krieg u. Frie- Wünsche des einzelnen, der sich dem alles, was die t Autoritäten fordern,
gener Entscheidung oder durch Über- den, München 1975; K. Lorenz, Das Guten unterstellt weiß (t Gesin- macht sich das Kind in seiner Ideal-
zeugung freiwillig sein. Erst wenn die sogenannte Böse, Wien 1963, Ab- vorstellung (Idealselbst) u. seiner
nung). Sieht man von den inhaltli-
sehn. III, IV, VII; H. Marcuse, Trieb-
Willensfreiheit des einzelnen behin- struktur u. Gesellschaft, Frankfurt/M. chen Bestimmungen des Guten ab, Realeinschätzung (Realselbst) zu ei-
dertoderaufgehobenist, wird Zwang 1956; U. Matz, Politik u. G., Frei- die vor allem persönlichen, religiösen gen. In dem Maße, als es dieses
zur G. Zwanghaft sind alle politi- burg/München 1975; O. Rammstedt oder sozialen Ursprungs sind u. ent- Selbstgefühl ausbildet, kann es die
schen Systeme, insofern sie die prin- (Hrsg.), Anarchismus, Grundtexte zur sprechend differieren können, so Diskrepanz zwischen den Forderun-
zipiell unendlichen Handlungsmög- Theorie u. Praxis der G., Köln/Opladen kann man als allgemeinsten Begriff gen der Autoritäten u. der Wirklich-
lichkeiten des einzelnen zum Zweck 1969; R. Spaemann, Moral u. G., in: des Guten festhalten, daß es auf keit besser ertragen, flexibler in sei-
gesellschaftlicher Gemeinschaft ein- M. Riedel (Hrsg.), Rchabilitierllng der Grund seiner Verbindlichkeit für alle nem moralischen Urteil (Piaget)
prakt. Philos., Bd. I, Freibllrg 1971;
schränken. Auf der Basis demokra-
S. Papcke, Progressive G., Studien zum Menschen die Grundsätze der t Hu- damit umgehen u. relativ autonom
tischer t Verfassungen herrscht über sozialen Widerstandsrecht, Frankfurt/ manität und t Freiheit beinhaltet. t entscheiden, in welcher Weise es
den gesellschaftlich notwendigen M. 1973, S. 13-67; W. Lienemann, G. Das strukturelle Problem des Ge- dem Anspruch des Guten genügen
Zwang jedoch ein t Konsens. Sein u. G.verzicht, München 1982; J. Der- mäß-seinem-G.-Handelns liegt darin, kann. Das kindliche G. ist kein
G.-Charakter wird durch freie u. rida, Gesetzeskraft, Frankfurt/M. 1991; daß sich die Unbedingtheit der G.for- schlichtes Abbild der sozialen Nor-
gleiche Willens- u. Konsensbildung W. Sofsky, Traktat die G., Prank- derung in den historisch sozialen men, sondern entwickelt im indivi-
aufgehoben. Das süd. Prinzip der fu,t/M. 1996. W. V. Bedingungen der menschlichen Pra- duellen Erleben einen Spielraum zwi-
freien Verständigung hebt Zwang xis verwirklichen soll. schen gesellschaftlichen Forderungen
nicht gänzlich auf, sondern macht
Gewaltenteilung t Demokratie. Ein Blick auf die menschliche u. persönlichen Wünschen: sein eige-
ihn für die Beteiligten freiwillig u. ver- Gewaltlosigkeit t Friede. t Sozialisation zeigt, daß die Genese nes Wollen.
nünftig anerkennbar. Zwang ist in- des G. mit der Ausbildung der Gelingt es nicht, eine realitätsge-
sofern eine Grundlage demokrati- Gewissen. Unter G. verstehen wir ein Sprachlichkeit beginnt. Von da an ist rechte Entscheidungsfähigkeit u.
scher t Gesellschaften, als das ver- Selbstverständnis des t Menschen,
I das Kind in der Lage, in den sprach- G.bildung zu erreichen, dann kann
nünftige Abwägen von Handlungen in dem er sich dem (unbedingten) lich vermittelten Handlungsanwei- eine Veränderung ins Pathologische
nach der von allen äußeren emotio- Anspruch unterstellt weiß, das Gute sungen Verneinungen u. Bejahungen, (t Krankheit) eintreten. So kann
nalen Bedingungen unabhängigen zu tun. Während er in der sitt!. Verbote u. Gebote zu erkennen. Die- z. B. der Heranwachsende zwischen
Verständigung als sirt!. Prinzip gilt. t Handlung auf Dinge u. Mitnlen- se sind mit Sanktionen des Liebes- übermäßigen Schuldgefühlen auf der
G. hat daher ihren stärksten Gegen- sehen hin orientiert ist, ist er im G. entzugs oder der Zuwendung, der einen u. verbotenen Wünschen auf
satz nicht in der G.-losigkeit, son- bei sich. Diese Innerlichkeit des Erle- Bestrafung oder t Belohnung ver- der anderen Seite hin- u. hergerissen
dern in der t Gerechtigkeit. Diese bens begründet t Individualität u. bunden· u. bewirken im kindlichen werden u. sich im skrupulösen G. der
Erkenntnis nimmt das Posrulat ver- Identität der t Person. Die Art u. Erleben eine Aufgliederung seines Zwangsneurose zerreiben. Oder das
nünftiger t Kommunikation zwi- Weise, in der der Mensch im G. bei Wirklichkeitserlebens (Objektreprä- G. kann zu übermäßiger Aufopfe-
schen freien u. gleichen Individuen sich ist, darf jedoch nicht vorschnell sentanzen) zwischen dem, was die rung u. Hingabe an den anderen an-
auf, das die Rechtfertigung von G. als ausdrückliche Selbstreflexion ge- Eltern fordern (die Verbote als Über- treiben, die notwendig mit Enttäu-
aus grundsätzlichem Gegensatz zu faßt werden. Vielmehr äußert es sich Ich, die Gebote als Ich-Ideal t Ide- schung u. Kränkung bezahlt werden
ihr fordert. als begleitendes Wissen, als Mitwis- al), u. dem, wie es sich tatsächlich muß. Freud hat den Zwang zur Auf-

I
T
Gewissensbildung 108 109 Gleichheit

opferung "moralischen Masochis- Gewohnheit i Moral u. Sitte. gelt den Ausgleich von Gütern als die G. der Lebensbedingungen. Das
mus" genannt. - Nicht nur die Mittleres zwischen Leistung u. Scha- demokratische G.-Prinzip verpflich-
krankhaften Veränderungen zeigen, Glaube i Religion. den. Der Grundsatz ,jedem das Sei- tet den i Staat einerseits, glei-
daß das G. irrtumsfähig ist. Da es Gleichgültigkeit i Indifferenz. ne' gilt für die geometrische G., die ches Handeln gleich zu behandeln,
immer der einzelne Mensch ist, der entsprechend den i Tugenden u. Fä- andererseits aber Individuen u.
in besonderer Weise das Gute im G. Gleichheit ist neben i Freiheit eine higkeiten bürgerliche Freiheiten zu- Gruppen vor den Benachteiligungen.
erfährt, kann er es auch in seinem Grundforderung der i Grundrechte teilt u. die politisch-rechtlichen Ver- der Gleichbehandlung zu schützen.
Sinne auslegen. Das G. kann dann u. Grundnorm demokratischer Ge- hältnisse regelt. Die proportionale G. Demokratische G. ist nicht eindeutig
zum moralischen Deckmantel per- sellschaftsordnungen. Als rechtliches, als i Recht beruht demnach auf sittI. u. umfassend definierbar. Sie sucht
vertieren. Es ist daher an die i Kom- politisches, moralisches oder religiö- Kriterien. - Diese G. wird von der einen Ausgleich zwischen formaler
munikation mit den anderen (Regeln ses Verhältnis zwischen Individuen i christlichen E u. dem i Naturrecht Gleichbehandlung u. der materiell
u. Übereinkünfte der Gelueinschaft) oder Gruppen kann sie normativ- zugunsten einer wesenhaften oder an individuelle Voraussetzungen ge-
als Orientierungshilfe u. Korrektiv formal, material oder proportional natürlichen G. aller Menschen ver- bundenen Gerechtigkeit, die die
verwiesen. Diese kann jedoch nicht bestimmt werden. Formal ist die G. worfen. Die arithmetische G. wird Freiheitsrechte des einzelnen wah-
von der G.entseheidung entlasten, die aller Mitglieder einer i Gesellschaft demgemäß zu einem e Postulat ren soll. Ein Gegensatz zwischen
daher immer ein i Widerstandsrecht vor dem Gesetz. Das Grundrecht der (Hobbes, Locke, Rousseau), das sei- Freiheit u. G. kann nur durch ein
gegen die geltenden Normen bean- G. (Art. 3 GG) fordert G. unabhän- nen historischen Niederschlag in der Gleichgewicht zwischen normativer,
spruchen kann: Individuum u. Ge- gig von Geschlecht, Abstanunung, Amerikanischen Unabhängigkeits- u. materialer u. proportionaler G. auf-
meinschaft, G. u. i Sitte, Moral u. Rasse, Sprache, Herkunft u. religiö- der Französischen Menschen- u. gelöst werden, zu dessen Be-
öffentliche Meinung stehen in einem ser oder politischer Überzeugung Bürgerrechtserklärung findet. Einen stimmung im konkreten Fall sowohl
spannungsvollen Wechselverhältnis. ( i Diskriminierung). Die i Verfas- e Begriff der G. formuliert Kant im die sitd. Kriterien der Gerechtig-
In Demokratien ist das G. als letzte sung garantiert darüber hinaus die i kategorischen Imperativ! Auf- keit wie der Billigkeit, die Intentio-
Entscheidungsinstanz anerkannt. politische G. der demokratischen grund ihrer i Freiheit u. Autonomie nen der Grundrechte u. die sozia-
Mitwirkungsrechte jedes Bürgers u. sollen die Menschen una bhängig von len Lebensbedingungen notwendig
Ut.,' Augustinus, Confessiones, Buch X; die soziale G. der personalen u. be- äußeren Zwecken ihre Handlungen sind.
G. W. F. HegeI, Grundlinien der Philo- ruflichen Entfaltungsmäglichkeiten. am unbedingten Prinzip der i Pflicht
sophie des Rechts, §§ 129-157; Materiale G. ist aufgrund der Un-G. orientieren, das allein der absoluten Lit.: Aristoteles, Nikom. E, Buch V;
H. Kuhn, Begegnung mit dem Sein,
menschlicher Anlagen, i Bedürfnis- Würde des Menschen entspricht. Die ders., Politik, Buch 11; ].-J. Rousseau,
Tübingen 1954; P. Ricceur, Die Fehl-
se, Interessen u. Fähigkeiten weder Pflicht ist deshalb für jeden gleich ÜberdieEntstehung der UnG. unter den
barkeit des Menschen, Phänomenologie
der Schuhl I, 11, FreiburglMünchen erwartbar noch herstellbar . Die so- unbedingt, weil sie keinem anderen Menschen, Hamburg 1955; 1. Kant,
zialen Grundrechte intendieren eine Gesetz folgt als dem, das sich der Grundlegung zur Metaphysik der Sit-
1971; J. Piager, Das moralische Urteil ten, Abschn. 2 u. 3; A. de Tocqueville,
beim Kinde, Frankfurt/M. 1973; F. materiale G. im Sinne der Chancen- Mensch als Wesen der Vernunft
Über die Demokratie in Amerika, Mün-
Böckle, E. W. Böckcnfärde, Naturrecht G., d. h. G. des Zugangs zu Mög- selbst gibt (normative G.). - Demo- chen 1976, S. 517 H, 581ff, 638 H,
in der Kritik, Mainz 1973; E. H. Erik- lichkeiten der i Erziehung u. i Ar- kratische i Verfassungen enthalten
son, Kindheit u. Gesellschaft, Stuttgart 695ff, 783ff; S.1. Benn, R. S. Peters,
beit u. G. im Hinblick auf die gerech- Elemente der proportionalen (an Lei- Sodal Prindples and the Democratic
51974, 241-273; A. Gehlen, Moral u.
te Verteilung von Lasten; sie richten stungen orientierten), der norma- State, London 41965, Teil 2, 5 u. 6;
Hypermoral, Kap. 11, Frankfurt/M.
sich gegen soziale Benachteiligungen tiven u. der materialen (distribu- C. Jenks, ChancenG., Reinbek 1974;
3 1973; j. Blühdorn (Hrsg.), Das G. in
u. ermöglichen eine öffentliche Kon- tiven) G. Menschen, die unter A. Podlech, Gehalt u. Funktionen des
der Disskussion, Darmstadt 1976; F.
trolle der Zumutbarkeit sozialer La- benachteiligenden Voraussetzungen allgemeinen G.-Satzes, Berlin 1971;
Oser, Das G. lernen, Olten u. Freiburg
1976. . A. s. sten. - Proportional ist G. als G. O. Dann, G., in: Geschichtliche Grund-
handeln, die ihnen nicht selbst anzu- begriffe, Bd. 2; R. Spaemann, Bemer-
gleicher Verhältnisse (Aristoteles); lasten sind, sollen nicht deren Lasten kungenzum Problem der G., Zeitschrift
Gewissensbildung i Gewissen. als geometrisch zuteilende oder tragen (vgl. Art. 6, 5 GG! gleiche für Politik, Bd. 22, 1975; J. Rawls, Eine
arithmetisch' ausgleichende i Ge- Startchancen für unehelich geborene Theorieder Gerechtigkeit, Frankfurt/M.
Gewißheit i Sittliche Gewißheit. rechtigkeit. Die arithmetische G. re- Kinder). Ziel ist der Ausgleich, nicht 1975; Th. Nagel, G. u. Parteilichkeit,
T
Globalismus 110 111 Glück

Paderborn 1994; D. McKerlie, Equali- mehr in einer Qualität, die man für neren Unabhängigkeit u. t Freiheit Zwecke verfolgt. Nach Kant zeichnet
ty, in: Ethics 106 (1996), 274-296. seine Biographie als ganze gewinnt. des Charakters, in einer heiteren sich das G. durch ein hohes Maß an
W.V. Nicht erst in den zeitgenössischen Gelassenheit (tranquillitas animi; Unbestimmtheit aus. Artistoteles ge-
Konsumgesellschaften neigen die t epikureische u. t stoische E), was langt über die charakteristische Lei-
Globalismus t Weltrepublik. meisten Menschen dazu, das G. aus- nur wenigen vorbehalten ist, den stung des Menschen (ergon tau an-
schließlich oder vornehmlich im Be- Philosophen (P/atan) u. Weisen (Epi- thröpau) und die Lebensform (bias)
Glück i. S. von "glücklich sein" (gr. sitzen u. Benützen materieller t Gü- kur, Stoa), oder man sieht es außer- zu einem objektiven Begriff, der den
eudaimonia, lat. felicitas, engl. hap- ter sowie in leiblichen Genüssen zu dem in einem freien sittl.-politischen Menschen aber nicht von den Unsi-
piness, frz. bonheur), nicht von "G. suchen. Der Erwerb materieller Gü- Leben, das vielen offensteht (Aristo- cherheiten u. Risiken des Lebens be-
haben" (eutychia, fortuna, luck, for- ter hängt aber von der Gunst der te/es). In a11 diesen Fällen ist G. der freit.
tune) ist ein Äußerstes u. Letztes, Umstände ab; das ängstliche Nach- Inbegriff des gelungenen Lebens, (2) Als Ideal der Einbildungskraft
nach dem der t Mensch strebt. Ob- jagen nach ihnen schafft Zwänge, die wobei dieses vor allem als sitt\. Le- (unserer Wünsche u. Phantasie) ist
wohl alle Menschen nach G. verlan- uns vom G. abhalten; u. entgegen ih- ben bestimmt ist. G. ist nicht erst der G. die - der Mannigfaltigkeit, dem
gen, ist die nähere Bestimmung des rem Versprechen gereichen diese Gü- Lohn der i Tugend, sondern liegt in Grad u. der Dauer nach - vollständi-
G. höchst unterschiedlich. Die einen ter oft genug zum Schaden. Überdies: der Tugend selbst (Spinoza). ge Erfüllung aUer je auftretenden In-
suchen es in Reichtum oder t Macht, Für sich genommen sind sie allenfalls Die Vielfalt der G.bestimmungen teressen u. Sehnsüchte, mit Kant "ein
andere in t Freundschaft oder t Lie- G.chancen, Gratifikationspotentiale, betrifft nicht bloß die G.erwartungen Maximum des Wohlbefindens in
be, wieder andere in wissenschaftli- die man als diese erkennen, ergreifen und G.erfahrungen, sondern auch meinem gegenwärtigen und jedem
cher Forschung, l' Kunst oder t Me- u. in persönliche Befriedigung umset- den Begriff von G., der allerdings auf zukünftigen Zustande" bzw. "das
ditation. Wegen der individuellen u. zen muß. Deshalb läßt sich auch das die G.erfahrungen und G.erwartun- Bewußtsein eines vernünftigen We-
sozio-kulturellen Vielfalt menschli- G. nicht öffentlich herstellen. Gesell- gen zurückwirkt: sens von der Annehmlichkeit des Le-
cher Interessen u. t Sinnentwürfe schaftspolitik entscheidet nicht über (1) Als Begriff der praktischen bens, die ununterbrochen sein ganzes
können die G.erwartungen u. G.er- das G. der Bürger, sondern über die Vernunft (1' Sittlichkeit) ist G. jenes Dasein begleitet". G. herrscht dort,
fahrungen auch nicht einheitlich sein limitierenden Grundbedingungen; G. formal u. transzendental ( t Begrün- wo alles nach Wunsch u. Willen
( t Pluralismus). Die Einheit des Be- ist intentio indirecta, nicht directa öf- dung, t Methoden der E) zu verste- geht, mithin alles menschliche Ver-
griffs G. ist nur eine formale: G. ist fentlichen Handelns. hende Ziel, über das hinaus kein Ziel langen vollkommen gestillt wird. Ein
weniger ein dominantes als ein in- Weil ein G., das von äußeren Gü- mehr gedacht werden kann, das ab- solches G., da!> gleichbedeutend ist
klusives t Ziel, nicht die Spitze einer tern abhängt, dem Zufall ausgesetzt solute Optimum i. S. von Aristoteles' mit dem vollkommenen Heil, der to-
Hierarchie von Zielen, sondern der ist u. weil leibliche Genüsse in der Begriff der Autarkie. Dabei bezeich- talen Versöhnung u. dem ewigen
Inbegriff der Erfüllung der dem je- Regel nur oberflächliche u. kurzfri- net Autarkie nicht persönliche Be- t Frieden, ist für den Menschen vor-
weiligen Menschen wesentlichen Be- stige Befriedigung schenken, hat die dürfnislosigkeit oder wirtschaftliche stellbar, aber nicht erreichbar. Es ist
dürfnisse u. Wünsche. Das G. ist philosophische E seit der Antike das Unabhängigkeit, sondern die Quali- im emphatischen Sinn l' utopisch, da
kein direkter Gegenstand menschli- G. auf das verlagert, was der Mensch tät eines in sich sinnvollen Lebens. es alle Beschränkungen u. Wider-
chen t Strebens, sondern die Begleit- aus sich heraus hervorbringt. Unter Wie die Autonomie der Vernunft sprüche der Wirklichkeit als endgül-
erscheinung im Fall des Gelingens: Voraussetzung einer durch entspre- ( t Freiheit) einen schlechthin ersten, tig aufgehoben ansieht, also keine
die Qualität eines zufriedenstelien- chende t Erziehung bewirkten Ver- einen unbedingten Anfang meint u. t Konflikte mehr zwischen den Nei-
den, weil sinnvollen, eben guten Le- änderung der noch unkontrollierten das Prinzip eines vom t Willen her gungen desselben Menschen, zwi-
bens. Man entschließt sich nicht zum Triebe u. t Bedürfnisse wird das G. verstandenen Handelns darstellt, so schen verschiedenen Menschen u.
G., wohl aber zu einer Lebensform in einer Lebensweise gemäß der ist G. als Autarkie das schlechtin zwischen Mensch u. Natur zuläßt.
(gr. bias), die das G. mit gutem Tüchtigkeit u. t Tugend des Men- höchste oder unbedingte Ziel, das Dieser zu hohe Begriff von G. führt
Grund erwarten läßt. Ein derartiges schen, in einem vernunftgemäßen sittl. Prinzip von allem als t Streben leicht zur Resignation: "die Absicht,
G. besteht weder im Zustand höch- Leben gesehen. Näherhin erwartet gedeuteten Handelns; es ist das daß der Mensch glücklich sei, ist im
sten Wohlbefindens noch in einer man das G. entweder aus einer Rei- t höchste Gut oder der Lebenssinn Plan der Schöpfung nicht enthalten"
überragenden Einzelleistung, viel- nigung der Seele (Platan) u. einer in- des Menschen, sofern er Ziele u. (S. Freud).

i
;1
Glück 112 113 Goldene Regel

(3) Vor allem im Umkreis von He- wird. Als nicht notwendig das Ge- Thomas v. Aquin, Summa theologica I- Gnade i Christliche E.
donismus ( i Freude) u. i Utilitaris- wöhnliche überbietender u, deshalb n, q. 1-5; Th. Hobbes, Leviathan, Kap,
mus herrscht ein empirisch-pragma- nicht bloß momentaner Zustand, 11; Sponoza, E, IV; Leibniz, Von der Goldene Regel. Die G. R. ist eine
tischer Begriff von G. vor: G. als der sondern als Grundzug eines tätigen Glückseligkeit; La Mettrie, Discours Grundregel für das sittl. richtige
Zustand der angesichts der jeweils Lebens verstanden, findet sich G. sur le bonheur; Kant, Kritik der reinen Verhalten, die sich in mancher volks-
gegebenen Handlungsmöglichkeiten dort, wo man Pläne verfolgt, die eine Vernunft, Von dem Ideal des höchsten tümlichen E, etwa bei Konfuzius u.
Guts; ders., Grundlegung zur Meta-
tatsächlich erreichbaren relativ größ- harmonische Erfüllung der eigenen physik der Sitten, 1. u. 2. Abschn.; den Sieben Weisen (Thales), im indi-
ten Interessen- u. Bedürfnisbefriedi- Interessen erwarten lassen, u. man in ders" Kritik der prakt. Vernunft, 1. schen Nationalepos Mahahharata
gung. Oft wird er von dem neuzeitli- diesen Plänen vorankommt, dort, wo Buch, §§ 3 u. 8; 2. Buch, 1. u. 2. Hst.; (XIII, 5571 ff; i hinduistische E), im
chen Optimismus begleitet, das G. man das tun kann, was man gern u. J. S. Mill, Utilitarismus, Kap. 2; S. Alten (Tobias 4, 16) u. im Neuen Te-
der Menschen rational berechnen u. gut tut, u, wo man dieses so voll- Freud, Das Unbehagen in der Kultur, stament (Matthäus 7, 12; Lukas 6,
herstellen zu können (vgL zum he- kommen wie möglich tut: G, als ak- Kap. 2; G. E. Moore, Prindpia Ethica, 31) findet. In der philosophischen E
donistischen Kalkül: i Utilitarismus). tive Freude, Dazu gehört auch die Kap. VI; 1. Marcuse, Die Philosophie wird sie - nach ihrer Bedeutung z, B.
Da die augenblicklichen Wünsche kreative Auseinandersetzung mit den des G., Zürich 21972; B. Russell, Er- bei Augustin, Albert, Thomas, Hob-
oberung des G., München 1951; G. H.
u. Hoffnungen durch mannigfache Bedingungen, die man jeweils vor- bes, Voltaire u. Herder sowie ihrer
v. Wright, The Varieties of Goodness,
Faktoren kognitiver, emotionaler u. findet. New York 1963, Kap. 5; F. H Ten- Kritik durch Kant - erst in jüngster
sozialer Natur verzerrt sein können, Eine E, die nicht die i Pflicht, bruck, Zur Kritik der planenden Ver- Zeit wieder stärker beachtet. Da die
garantiert deren Erfüllung keines- sondern das G. zum höchsten Prinzip nunft, FreiburglMünchen 1972, Kap, 2; G, R. gleicherweise in der i chinesi-
wegs schon das G. Das G, ist viel- -menschlichen Handelns erklärt, heißt W. Kamlah, Philosoph. Anthropologie, schen, i jüdischen, i christlichen u.
mehr in einem lebenslangen, inhalt- Eudämonismus (gr. eudaimonia: G.). Mannheim u. a, 1972, 2. T., 2. Kap.; i islamischen E erscheint, kann man
lich offenen Bildungs- u. Selbst- Sie wird von Kant (u. vorher schon Was ist G.? Ein Symposion, München in ihr eine fundamentale Überein-
findungsprozeß immer wieder neu zu Fenelon) als Widerspruch zur Sitt- 1975; O. HöHe, Strategien der Huma-
stimmung der Menschen über das
nität, Frankfurt/M. 21985, Kap. 4 u, 7;
bestimmen u. zu verfolgen, wobei die lichkeit scharf kritisiert. Diese Kritik ders., Moral als Preis der Moderne, sitt!. Richtige u, damit ein empiri-
Entwicklung der eigenen Möglich- geht allerdings vom G. als Inbegriff Frankfurt/M. 31995, Teil 11; A. Mit- sches Argument gegen die These vom
keiten u. Fähigkeiten dazugehört. der Erfüllung aller persönlichen Nei- scherlieh, G, Kalow, G., Gerechtigkeit, Wandel aller Moral ( i Relativismus)
Das G. liegt weniger, wie nach dem gungen aus u. trifft dort nicht zu, wo München 1976; W. Tatarkiewicz, Ana- sehen. Die G. R. wird sowohl nega-
"epikureischen" Ideal, im Besitz u, G. (wie z. B. bei Aristoteles) selbst lysis of Happiness, Den Haag, 1976; tiv als auch positiv formuliert (was
Verzehr lustbringender Dinge noch sitd. bestimmt wird. Als eudämoni- La recherche du bonheur - Die Suche du nicht willst, das man dir tu', das
allein, wie nach asketischen Idealen, stische E bezeichnet W. Kamlah den nach dem G" FreiburgiSchweiz 1978; füg' auch keinem andern zu; behand-
in dem durch Verminderung der Be- Teil der i E, der sich nicht mit der G. Bien (Hrsg.), Die Frage nach dem
le andere so, wie du auch von ihnen
G" Stuttgart 1978; K. M. Meyer-
gierden zu erreichenden Gleichge- Frage befaßt, was wir tun sollen, Abich, D. Birnbacher (Hrsg.), Was behandelt sein willst). In heiden Fäl-
wicht von Begierde u, Befriedigung. sondern mit der, wie wir leben kön- braucht der Mensch, um glücklich zu len fordert die G. R. dazu auf, vom
Er setzt auch nicht die Befreiung von nen (Philosophie als Lebenskunst). sein?, München 1979; G. Höhler, Das naturwüchsigen Handeln (gemäß
a1l unseren Sorgen u, Problemen Als E des guten Lebens findet sie G., Düsseldorf 1981; B. Williams, Mo- dem bloßen i Selbstinteresse, einer
voraus, Das G. als Überbietung des neuerdings verstärkte Aufmerksam- ral Luck, Cambridge 1981; N. Daniels, t Vergeltungsmoral oder dem sozial
gewöhnlichen Lebens stellt sich viel keit. Sie muß nicht, wie man im Just Health Care, Cambridge 1985; Üblichen) Abstand zu nehmen u. sich
eher dort ein, wo man in a11 seinen i Kommunitarismus glaubt, nur R. Spaemann, G. u. Wohlwollen, Stutt- in einem Gedankenexperiment auf
Problemen sich erfüllt: bestätigt, er- über Partikulares handeln. Auch er- gart 1989; M, Forschner, über das G.
des Menschen, Darmstadt 21994; den Standpunkt des Betroffenen zu
freut, erhoben findet. Es tritt ein, setzt sie nicht die E des genuin süd., J. Annas, The Morality of Happiness, stellen, was als der moralische
wenn ein starkes Verlangen befrie- gerechten Lebens, wohl bildet sie de- Oxford 1993; A. Bellebaum, Vom gu- Standpunkt gilt, - Die G. R. spricht
digt, etwas Unerwartetes zuteil wird ren notwendige Ergänzung. ten Leben. G.svorstellungen in Hoch- keine konkreten Handlungsanwei-
oder wenn man seiner selbst in einer kulturen, Berlin 1994; M. Seel, Versuch sungen aus (du sollst nicht lügen,
ursprünglichen Einheit mit anderen Lit: Aristoteles, Nikom. E, Buch I u, X über die Form des G.s, Frankfurt/M. nicht stehlen usf.), sondern hat die
Menschen u.!oder der Natur inne- 6-9; Seneca, Vom glückseligen Leben; 1995. o. H. Bedeutung eines Maßstabs süd. rich-
Gott 114 115 Gott

tiger Handlungen oder Normen schung Bd. 32, 1978; ders., Elemente den u. seiner Ordnung u. dement- In den metaphysischen Systemen
(i Moralkriterium). Wegen ihrer einer Anatomie der Verpflichtung, sprechend als vorzüglicher Gegen- ist Erkenntnis u. Begründung sirt!.
Einfachheit u. Plausibilität eignet sie FreiburglMünchen 1992, Kap. 4; H. T. stand philosophischer Erkenntnisbe- Verpflichtung aufs engste mit der
D. Rost, The Golden Rule, Oxford
sich für die moralische i Erziehung 1986. O. H. mühung. In verschiedenen Verfahren Erkenntnis G. verknüpft. Die Frage
der Heranwachsenden, erweist sich (Gottesbeweise), die alle von ein- nach dem Verpflichtungsgrund mo-
aber bei näherer Betrachtung weder Gott. Der Name G. ist der Philoso- sichtig Gegebenem auf die notwen- ralischer Forderungen wird z. T. mit
als zureichender noch als hinrei- phie in religiöser, dichterisch-my- dig vorauszusetzende unbedingte Be- dem Verweis auf den souveränen u.
chend genauer Maßstab. Denn einer- thischer u. umgangssprachlicher Re- dingung des Gegebenen schließen, heiligen Willen G. beantwortet, das
seits wird die sittl. Verantwortung de vorgegeben. Das von ihm Be- werden Existenz u. Wesen G.es zu Ziel sitt!. Hande1ns als beglückende
nur gegenüber den Mitmenschen, zeichnete wird im allgemeinen als erkennen u. zu bestimmen versucht. Gemeinschaft mit G. bestimmt u. die
nicht auch gegenüber sich selbst an- Inhalt einer ,Erfahrung' ausgegeben, Kants Metaphysikkritik hat diesen Erkenntnis praktischer Gesetze an
gesprochen, u. andererseits führt die in der der Mensch sich selbst u. seine Versuchen den erkenntnistheoreti- die Selbstoffenbarung göttlicher
G. R. zu offensichtlich absurden Re- Welt auf einen Grund bzw. ein Ge- schen Boden entzogen u. zugleich ei- Absicht in seinen Werken (Natur-
sultaten, wenn man sie unmittelbar genüber hin übersteigt, der bzw. das ne Möglichkeit eröffnet, das mit dem ordnung, Gewissen) gebunden. Das
auf die i Bedürfnisse u. Interessen sich als überwältigend, mächtig, ge- Wort G. Gemeinte auf neue Weise zu oberste i Moralprinzip dieser
des jeweils Handelnden bezieht (wer bietend, als planend, schaffend, ord- verstehen. Die G.idee ist eine Setzung i theologischen E bildet die Forde-
zu stolz ist, sich helfen zu lassen, nend, als richtend, strafend u. beseli- der endlichen Vernunft, die in ihrer rung, dem Willen G. zu gehorchen,
dürfte anderen nicht helfen; ein gend zeigt. Die vorphilosophische Totalisierungstendenz allem kontin- als Grundtugenden figurieren Ehr-
Masochist wäre moralisch verpflich- Auslegung dieser Erfahrung doku- gent Wirklichen u. Möglichen einen furcht u. Demut, als Grundverfeh-
tet, zum i Sadisten zu werden, d. h. mentiert sich in Prädikatoren, die der absoluten Einheitsgrund unterstellt lung die Gottlosigkeit, die als be-
seine Mitmenschen zu quälen). Eine jeweiligen Lebenswelt entnommen u. ihn "nach der Analogie der Reali- wußtes u. willentliches Sich-Ver-
sinnvolle Präzisierung der G. R. setzt sind und die dem G. bestimmte Prä- täten in der Welt" mit den Prädika- schließen vor G. u. als stolzes Sich-
die Abstraktion von den individuel- dikate in unüberbietbarer Weise zu- ten höchster Vollkommenheit aus- auf-sich-selbst-Beziehen verstanden
len (evtl. exzentrischen oder asozia- sprechen (Licht, König, Herrscher, zeichnet, ohne freilich in ihrer auf er- wird. Wesentlich anders stellt sich
len) Bedürfnissen und Interessen Vater, Liebe etc.). fahrungsmäßig Gegebenes (das je das Problem einer Philosophie, die in
voraus u. fordert, beim Handeln - so Die philosophische Reflexion, die kontingent u. relational ist) be- der Bestimmung der Grenzen
wie man selbst will, daß die eigenen seit ihren Anfängen als Metaphysik schränkten Erkenntnisfunktion einen menschlicher Erkenntnisfähigkeit die
Bedürfnisse u. Interessen von ande- die begriffliche Erhellung des Seien- der Idee korrespondierenden Gegen- G.frage als theoretisch unlösbar er-
ren in Rechnung gestellt werden - den im Ganzen intendiert, spricht stand ausmachen zu können. G. ist weist u. den Anspruch des Sittenge-
auch die Bedürfnisse u. Interessen von G. im Hinblick auf Grund u. ein "Gedankending einer sich selbst setzes als Selbstverpflichtung ver-
der anderen zu berücksichtigen: Die Ziel der Welt, auf den letzten Grund zu einem Gedankendinge constituie- nünftiger t Freiheit interpretiert.
G. R. gebietet die wechselseitige Re- der Wahrheit theoretischen u. prak- renden Vernunft" (Op.Post.XXI, 27), Moralität basiert dann allein auf
spektierung der Menschen unterein- tischen Erkennens, auf das erfüllende in der Erkennen u. Sein (Allmacht, Vernunft, G. wird Gegenstand des
ander. Ziel alles i Strebens u. Begehrens. Allwissenheit), Sollen u. Wollen (Hei- Glaubens, der den Verpflichtungs-
Der G. als der unbewegte Grund al- ligkeit), Begehren u. Haben (Glück- grund sittl. Handelns unberührt läßt.
Ut.: H. Reiner, Die Grundlagen der ler Bewegung, als Schöpfer allel' seligkeit) ineinsfallcn. Im Gegensatz Spezifisch neuzeitlich ist der Gedan-
Sittlichkeit, Meisenheim 1974, S. 348- i Ordnung, als reine Wirklichkeit, zum Atheismus, der dieses Gedanken- ke, daß nicht die Erkenntnis G. die
379; A. Diehle, Die G. R., Göttingen als nichtendliche Bedingung alles ding zu einer aus Defizienzerfahrun- Moral, sondern das Sittengesetz den
1962; M. G. Singer, The Golden Rule, Gla,uben an G. begründen kann. In
Bedingten u. Kontingenten (= das gen entspringenden Chimäre macht,
Philosophy Bd. 38, 1963; R. M. Hare,
Absolute), als Prinzip der Wahrheit, der keine Wirklichkeit entspricht, der französischen Aufklärung (vor
Freiheit u. Vernunft, Düsseldorf 1973,
Kap. 6; G. Spendei, Die G. R. als als i höchstes Gut fungiert in der stellt es für Kant ein fehlerfreies Ideal allem bei Voltaire, Rousseau) domi-
Rechtsprinzip, Festschrift f. F. v. Hip- prima philosophia von Aristoteles bis dar, dessen objektive Realität weder niert die pragmatische Ansicht, daß
pel, Tübingen 1967; H.-u. Hoche, in die deutsche Schulphilosophie bewiesen noch widerlegt werden Moralität, wenn auch allein im An-
Die G. R., Zeitsehr. f. philosoph. For- hinein als letzter Grund alles Seien- kann (theoretischer Agnostizismus). spruch der menschlichen Natur u.

I
Gottlosigkeit 116 117 Grundrechte

Vernunft begründet, bei den meisten schaftslehre von 1804, Vorträge I-XV; Sinn sind G. die "rechtlich-institu- Konvention zum Schutz der Men-
Menschen der Unterstützung des Anweisung zum seligen Leben; tionell verbürgten Menschenrechte" schenrechte u. Grundfreiheiten (1950
Glaubens an einen richtenden G. im L. Feuerbach, Das Wesen des Christen- (M. Kriele), die räumlich u. zeitlich u. Paris 1952).
tums; M, Scheler, Vom Ewigen im
Jenseits bedarf, um eine ausreichende Menschen, Leipzig 31933; W, Schulz, bedingt als objektives i Recht gelten In der Bundesrepublik Deutsch-
Triebkraft für menschliches Handeln Der G, der neuzeitlichen Metaphysik, u. als subjektive Rechte einklagbar land wurden die G. in den Arti-
zu werden. Die kantische E enthält Pfulligen 1957; D, Henrich, Der onto- sind. G. sind insoweit positivierte keln 1-19 des Grundgesetzes (GG)
den Gedanken von einem "morali- logische G.beweis, Tübingen 1960; Menschenrechte; d. h. letztere sind als unmittelbar geltendes i Recht
schen Beweise des Daseins G.", der T.O'Brien, Metaphysics and the Exi- diejenigen i Normen, aus denen sich erklärt (1949). Die unantastbare
dem 19. u. 20. Jh. vielfach als die stence of God, Washington 1960; L-H. die i Geltung der G. ableiten läßt. Würde des Menschen gilt als höch-
einzig diskutable Argumentations- Walgrave, L'existence de Dieu, Tournai Als individuelle Freiheitsrechte, als ster u. unbedingter i Wert. Die G.
basis im Zusammenhang des G.prob- 21963; H. Krings, Freiheit. Ein Ver- Schutz- u. Abwehrrechte der i Men- umfassen positivierte Menschenrech-
such, G. zu denken, Philos. Jahrb,
lems erscheint: die unparteiische Ver- Bd.77, 1970; W. Weischedel, Der G. schen vor den Mitmenschen u. dem te u. Bürgerrechte. Erstere gelten für
nunft kann es nicht billigen, wenn der Philosophen, Darmstadt 1971- i Staat u. als politisch-soziale We- jeden Menschen als öffentliche Rech-
i Glück u. i Tugend nicht ausgegli- 1972, 2 Bde.; H. Knudsen, G. im deut- sensdefinition der i Person wurden te, die letzteren in gleicher Weise für
chen sind; in der erfahrbaren Ord- schen Idealismus, Berlin 1972; J. L. die G. erstmals vom rationalen i Na- jeden Deutschen; sie werden durch
nung der Natur ist die Verbindung Mackic, Das Wunder des Theismus, tUl-recht (Pufendorf, Hobbes, Locke, Gesetze näher geregelt, für die sie als
bei der jedoch kontingent. Das Be- Stuttgart 1985; R. Swinburne, The Exi- WolffJ im Rückgriff auf Elemente normative Kriterien bestimmend sind
dürfnis der Vernunft nach einem Sy- stence of God, Oxford 1979; G. E. M. der i stoischen u. i christlichen E (z. B. Presserecht, Wirtschaftsrecht
stem der i Zwecke, in dem i Sitt- Anscombe, Ethics, Religion and Poli- formuliert; sie haben jedoch auch re- usw.). Die G. sind im GG darüber
tics, Coll. Phi!. Pap. III, Oxford 1981;
lichkeit mit dem Inbegriff aller ande- O. HöHe, R. Imbach (Hrsg.), Paradig- ligiöse Wurzeln in der Reformation. hinaus mit staatlichen Organisati-
ren Güter (zusammengefaßt als mes de theologie philosophique, Fri- Das Recht auf i Leben, i Freiheit, onsprinzipien (Bundesstaatlichkeit,
Glückseligkeit) eine synthetische bourg 1983; F. v. Kutschera, Vernunft i Eigentum, das Streben nach sozialer Rechtsstaat, Volkssouveräni-
Verbindung ausmachen (das i höch- u. Glaube, Berlin 1991 (Lit.); F. Ricken i Glück u. Sicherheit waren die pri- tät, Gewaltenteilung) verknüpft. Zu
ste Gut), ist nur befriedigbar unter (Hrsg.), Klassische Gottesbeweise in mären G. Historisch manifest wur- den G, zählen auch die staatsbürger-
der Voraussetzung eines G.es, der die der Sicht der gegenwärtigen Logik u. den sie erstmals in der Virginian Bill lichen Rechte: aktives u. passives
Folgen sitt1. Handelns mit dem von Wissenschaftstheorie, Stuttgart 1991; of Rights (1776), dann in der Erklä- Wahlrecht, Zugang zu öffentlichen
diesem unverfügbaren naturalen Ge- ders., F. Marty (Hrsg.), Kant über Re- rung der Menschen- u. Bürgerrechte Ämtern, Recht auf gesetzlichen Rich-
ligion, Stuttgart 1992. M, J-1.
schehen in ein harmonisches Ver- (1789) der Französischen Revoluti- ter, Rechtsgarantien bei Freiheitsent-
hältnis zu bringen vermag. G. ist das Gottlosigkeit i Gott. on. Die erste Phase der Entwicklung zug. Eingeschränkt sind die G. für
Postulat einer auf Sinneinheit gerich- der G. war bestimmt von der recht- Beamte, Soldaten u. Ersatzdienstlei-
teten endlichen Vernunft. Grausamkeit i Sadismus-Masochis- lichen i Emanzipation des i Indi- stende, Schüler, Studenten u. Strafge-
mus. viduums von staatlicher i Herr- fangene. Die G. sind auch als Geset-
Lit.: Attistoteles, Physik VII-VIII; Me-
taphysik XII; AnseJm v. Canterbury, schaft u. willkürlicher i Gewalt. Be- ze unverletzlich u. in ihrem Wesens-
Grenzsituation i Existentialistische reits der Entwurf der Französischen gehalt (Art. 19,2 GG) u. ihrer Dauer
Monologion; Proslogion; Thomas v. E.
Aquin, Summa theol. I, q. 2. a. 3; Des- Verfassung von 1793 kannte soziale (Art. 79, 3 GG) geschützt. Umstrit-
cartes, Meditationes, III u. V; Leibniz, Grundgesetz i Verfassung. G. wie das Recht auf Unterricht u. ten ist, ob sie auch als subjektiv öf-
Theodizee, Chr. Wolff, Theologia natu- Bildung. Damit wurde die zweite fentliche Rechte im sozialen u. priva-
ralis;], N. Tetens, Abhandlung von den Grundrechte sind, soweit sie im wei- Phase der Entwicklung der G. eröff- ten Bereich u, damit als Pflichten gel-
vorzüglichen Beweisen des Daseins G.; teren Sinne als Menschenrechte ver- net, Weltweit, aber unverbindlich ten können, etwa im Verhältnis zwi-
1. Kant, Kritik d. reinen Vernunft, standen werden, jedem Menschen wurden die G, von den UN nach schen Arbeitgeber u. Arbeitnehmer
Transzendentale Dialektik, 3. Haupt-
stück; Kritik d. praktischen Vernunft seiner Natur nach angeboren u. un- dem 2. Weltkrieg anerkannt (1948). (sog. Drittwirkung). Mit der Um-
1. Teil, 2. Buch, 3, Hauptstück; Die Re- antastbar; sie gelten im Sinne des International verbindlich machte die wandlung aller G. in Pflichten wäre
ligion innerhalb der Grenzen der blo- i Naturrechts zu allen Zeiten u. G. (auch die sozialen) für die Staaten der individuelle Freiheitsraum nicht
ßen Vernunft; ]. G. Fichte, Wissen- überall in gleicher Weise. Im engeren des Europarats die Europäische mehr abgrenz bar u. der Charakter

I
Grundrechte 118 119 Grundrechte

der G. grundlegend verändert. - Die verletzt werden. - Daraus, daß die konkrete Bestimmung unter histori- sondern nur auf gegebene soziale Er-
G. sind nach außen dadurch ge- G. keine Drittwirkung haben u. Ver- schen Bedingungen. fordernisse hin interpretieren u. ge-
schützt, daß sie durch ihren Miß- stöße gegen sie Dritten gegenüber Die naturrechtliche Begründung setzlich regeln. Andererseits gelten
brauch zum Kampf gegen die frei- rechtlich nicht zu ahnden sind, darf von Freiheit, Eigentum u. Gleichheit für die Beurteilung von sozialen Not-
heitlich-demokratische Grundord- nicht geschlossen werden, daß sie im mitderAnnahmeeines ursprünglichen wendigkeiten die absoluten e Nor-
nung verwirkt werden. Dazu bedarf e Sinne keinen Verpflichtungscharak- Naturzustandes (Hobbes, Locke: men von Leben, Freiheit u. Würde.
es jedoch einer Entscheidung des ter haben. Die staatliche Verpflich- t Gesellschaftsvertrag) kann die e Der von ihnen gesetzte Maßstab
Bundesverfassungsgerichts. Die freie tung durch die G. ist letztlich nur Legitimation dieser G. in einer Ge- muß zwar selbst historisch ausgelegt
Wahl von Beruf u. Arbeitsplatz, von der subjektiven ableitbar, u. de- sellschaft nicht leisten, sondern ver- werden, ist aber nicht pragmatisch
Freizügigkeit, Streikrecht, Brief-, ren absolute Legitimation durch die harrt bei naturalistischen Rechtferti- mit äußeren Bedingungen zu recht-
Post- u. Fernmeldegeheim:qis können von keinen äußeren Gründen beding- gungsgründen. Diese sind für eine fertigen. Das Recht auf Eigentum ist
unter Bedingungen des Notstands, je- ten (selbstzwecklichen) Normen von normative Begründung des Ver- nur im Verhältnis zu den Erforder-
doch nur bei parlamentarischer Kon- Würde, Freiheit u. Leben (Grund- pflichtungscharakters von G. nicht nissen im einzelnen bestimmbar, die
trolle eingeschränkt werden. normen) begründet erst den Ver- hinreichend. Erst die Verknüpfung sich mit den Grundnormen der G.
Die G. sind keine individuelles pflichtungscharakter der G. für den von Entscheidungsnormen (ableitba- rechtfertigen lassen. Die pragmati-
Handeln bindenden, rechtlich ein- Staat. Die Normativität von Würde, ren G.) mit absoluten Grundnormen schen Entscheidungsnormen der G.
klagbaren Pflichten, sie sind unmit- Freiheit u. Leben ist selbst nicht (unableitbaren G.) ermöglicht demo- werden durch deren Verhältnisbe-
telbar nur für die staatlichen t Ge- mehr begründbar; sie sind Kriterien kratisches Handeln, das sich an allen stimmung zu den unableitbaren G.
walten verbindlich, enthalten jedoch ihrer eigenen Gültigkeit (unableit- G. orientieren u. in der Gesetzge- rechtfertigbar. Die individuellen Frei-
mit der Unantastbarkeit der Würde bare G.). Im Unterschied dazu ist der bung verwirklicht werden soll. heits- u. Gleichheitsrechte, die ange-
des Menschen, der Freiheit der Per- Verpflichtungscharakter von Gleich- Der Konflikt zwischen der Grund- sichts sozialer G. in einen Konflikt
son u. dem Recht auf Leben Grund- heit, Eigentum, freier Meinungsäu- norm Freiheit u. der Entscheidungs- geraten, haben in Freiheit, Leben u.
normen, die alles politische u. soziale ßerung u. aller Freiheitsrechte (ab- norm Gleichheit ist der zwischen Würde ihren absoluten e Rechts-
Handeln leiten sollen. Jenseits der leitbare G.) nicht aus diesen G. dem e Anspruch der Pflicht u. der grund. Wirksam wird dieser Rechts-
Anerkennung des Menschen als selbst, sondern von den Grundnor- pragmatischen Legitimierbarkeit von grund, wenn er im Zusammenhang
Zweck an sich selbst ist dessen Wür- men ableitbar. Jene G. sind notwen- materiellen Ansprüchen. Er ist me- mit allen G. im demokratischen Han-
de nicht zu rechtfertigen. Würde, dige Entscheidungsnormen, um kon- thodisch u. formal nicht lösbar, son- deln die rationale Begründung prag-
Freiheit u. Leben haben als Grund- krete humane u. soziale Ansprüche dern notwendig zur konkreten Be- matischer Entscheidungen bei der
normen absoluten Wert, fließen in beurteilen u. befriedigen zu können. stimmung des Verpflichtungscha- Formulierung von Gesetzen als kriti-
alle G. als Geltungskriterien ein u. Die ihnen zuzuordnenden Entschei- mkters der ableitbaren G. Das G. der sches Moment begleitet.
verleihen ihnen eine e Legitimations- dungsregeln orientieren sich an der freien Meinungsäußerung als Presse-
t Goldenen Regel, die von jedem ein- Ut.: T. Hobbes, Leviathan, Kap. 14-
basis. Als t Pflichten sind jene u. Informationsfreiheit u. Verbot je-
17; ]. Locke, Über die Regierung,
Grundnormen jedoch im Sinne Kants zelnen fordert, so zu handeln, als ob der Zensur (Art. 5, 1 GG) wird da- Kap. 2-5, 7; I. Kant, Metaphysik der
zu verstehen, nämlich als Bestim- er jederzeit die negativen Folgen u. nach z. B. dann eingeschränkt, wenn Sitten, Rechtslehre; W. Abendroth, Das
mungsgründe des Handelns, die von Nachteile seines Handelns selbst zu die Verpflichtung dieses Rechts ge- Grundgesetz, Pfullingen 1966; K. A.
jedem vernünftigen Wesen ohne äu- tragen hätte. Diese t pragmatische e genüber den Grundnormen, die Bettermann u. a. (Hrsg.), Die G., Hdb.
ßeren Zwang als gültig anerkannt Basis ermöglicht bei wechselseitiger selbst gesetzlich geregelt sind, nicht der Theorie u. Praxis der G., 4 Bde.,
werden. Dagegen sind alle anderen Abwägung von Interessen zwischen erfüllt' wird (Art. 5, 2 GG). - Der Berlin 1954-67; F. Hartung, Die Ent-
G. primär Rechtsansprüche, deren Handelnden eine rationale Begrün- Konflikt zwischen Freiheit und wicklung der Menschen- u. Bürgerrech-
Verpflichtungscharakter von den dung u. Rechtfertigung der Inhalte Gleichheit wird auch am Problem te von 1776 bis zur Gegenwart, Göt-
tingen 31964; N. Luhmann, G. als
Grundnormen ableitbar ist. Jedes G. dieser Interessen. Sie steht keines- der sozialen G. deutlich. Die e Impli- Institution, Berlin 1965; R. Schnur
ist daher von jedermann so zu hand- wegs im Gegensatz zur absoluten kate z. B. der Sozialpflichtigkeit des (Hrsg.), Zur Geschichte der Erklärung
haben, daß weder die eigene noch Legitimierbarkeit von Leben, Freiheit Eigentums lassen sich von keinem der Menschenrechte, Darmstadt 1964;
des andern Würde, Freiheit u. Leben u. Würde, sondern ermöglicht deren Selbstwert des Eigentums ableiten, S. I. Benn, R. S. Peters, Sodal Prindplcs

I
Grundwerte 120 121 Gute, das

and the Democratic State, London Derartige Urteile bilden die Grund- mären Leistnngen einer erfahrungs~ als Vollkommenheit u. Zweckmä-
41965, Teil 2; G. Brunner, Die Proble- lage des gesamten menschlichen Le- orientierten sittlichen Urteilskraft, ßigkeit zum Gedanken eines Systems
matik der sozialen G., Tübingen 1971; bens U. Zusammenlebens. Sie sind des inneren wie funktionalen Gut-
W, Heidelmeyer (Hrsg.), Die Menschen-
die Selbstverständlichkeiten der welt- Lit.: Platon, Gorgias 511 c-512 b; Ari- seins der Dinge (omne ens est bo-
rechte, Erklärungen .. " Paderborn
1972; M. Kriele, Einführung in die bezogenen praktischen Vernunft, oh- stoteles, Rhetorik 1,6; Eud. E VIII, 3; num), das abgeschlossen u. begrün-
Staatslehre, Reinbek 1975, Teil 11, ne die keine praktische Argumenta- Cicero, Academica II (Lucullus), 129- det wird durch ein i höchstes Gut
tion u. Verständigung möglich ist. 141; Karrt, GrundL zur Met. d. Sitten, (summum bonum), dem jedes Seien-
Kap, 3; 0, HöHe, Politische Gerechtig-
keit, Frankfurt/M. 1987, Teil III; ders., G. sind Inhalte und Ziele unseres ErsterAbschn. AA IV, 393f; F. Ricken,
de nach Maßgabe seiner Partizipati-
Allgemeine E, Stuttgart 1983, 54-66,
Kategorische Rechtsprinzipien, Frank- t Strebens, die als Gegenstände bzw. 85-89, 136-150 (Lit,); M, Forschner, on an ihm sein Gut-sein verdankt.
furt/Mo 1990; ders" Vernunft U. Recht, Sachverhalte in der Welt gegeben Sein heißt Gut-sein, jedes Seiende ist
Frankfurt/M, 1996, Kap. 3-5; R, Dwor- Monon to kalon agathon - Oder von
sind oder sein können. Dies bedingt, der Gleichgültigkeit des Wertvollen in u. ist gut in dem Maß, in dem es sei-
kin, Bürgerrechte ernstgenommen,
Frankfurt/M, 1984; R. Alexy, Theorie daß die Verwirklichung eines Gutes der stoischen E, in: Perspektiven der nem vorgängigen Wesensbegriff ent-
der G., Frankfurt/M. 1986; W. Has- die anderer G. beeinträchtigen oder Philosophie, Neues Jahrbuch 21 spricht; u. dieser Wesensbegriff ist
ausschließen kann u, der Mensch zu (1995),125-145. M. F. fundiert in einem letzten Prinzip, das
semer (Hrsg,j, G. u. soziale Wirklich-
keit, Baden-Baden 1982; W, Kerbel' Distanz, Abwägung, Gewichtung jedem Seienden seinen Stellenwert im
(Hrsg.), Menschenrechte u. kulturelle und Auswahl gefordert ist. Gute, das. D.G. gehört zu den zentra- Ganzen zuweist. Die christliche Phi-
Identität, München 1991; W. Kersting G. sind, als bestimmte objektive len Begriffen der Metaphysik u. der losophie übernimmt die ontologische
(Hrsg.), Gerechtigkeit als Tausch?, Weltgegebenheiten, eo ipso begrenzt t praktischen Philosophie. Gleich- Vorstellnng eines allen Gütern ihr
Frankfurt/M.1997. W. V. u. lassen einen verschiedenen, einen wohl ist seine Bedeutung keineswegs Gutsein gewährenden G. als Prinzip
vernünftigen u. nnvernünftigen, Ge- eindentig bestimmt. Im Sprachge-
Grundwerte t Grundrechte, Wert. brauch zu. Sie können demgemäß brauch der philosophischen Traditi-
allen Seins U. Erkennens u. identi-
fiziert sie mit ihrem Begriff eines
Gruppentherapie t Psychotherapie. keine letzten Gesichtspunkte des on kann man zwischen einer absolu- persönlichen t Gottes (Augustinus,
i Handelns sein, sondern verweisen ten U. einer relativen Bedeutung des Thomas v. Aquin u. a.). - Die Rede
Gültigkeit t Moral u. Sitte. auf übergeordnete Gesichtspunkte Begriffs unterscheiden: d.G. wird vom relativ G. meint noch ein zwei-
(sc. der Qualität des Personseins n. einmal verstanden als Eigenschaft ei- tes: d.G. ist gut für jemanden, d.G.
Güter sind Strebensziele in dem Sin- der Art des Lebensvollzugs: i Per- nes Gegenstandes, Zustands, Ereig- ist das, was von einem Subjekt um
ne, als sie als Voraussetzungen, Mit- son), die allein die Bedingungen eines nisses, einer Handlung, einer Aussa- seiner selbst oder seiner Nützlichkeit
tel U. ,Material' den gelungenen Voll- letzten Ziels u. unbedingten Worum- ge' die diesen an sich zukommt; ein für anderes willen erstrebt, begehrt,
zug menschlichen Lebens ermögli- willens des Handelns erfüllen kön- Seiendes ist gut, insofern es ist, was gewollt, geliebt wird. In dieser Be-
chen. Wir gebrauchen "gnt" sub- nen. Die philosophische Tradition es sein kann. Seiendes wird als Zu- deutung wird der Begriff zum Prinzip
stantivisch in Sätzen wie: "Leben ist (Platon, Artistoteles, Stoa, Kant) hat Seiendes verstanden, u. sein Gut-sein der E u, Politik. Die von Aristoteles
ein Gut", "Gesundheit ist ein Gut", deshalb zwischen dem Guten u, den bedeutet die Erfüllung der in ihm an- begründete praktische Philosophie
"Wohlstand ist ein Gut" etc. Bedeu- G, genau unterschieden u. das Gute gelegten Möglichkeit, .seine Vollen- befaßt sich mit dem menschlich G.
t
tung und Begründung solcher mit in eine Beschaffenheit des Per- dung. - Gut wird ferner genannt, (anthropinon agathon) als letztem
dem Anspruch objektiver Gültigkeit sonseins gesetzt, die die richtige Ein- was gut zu oder für etwas anderes Worumwillen menschlichen Wollens
verbnndener Werturteile lassen sich stellung zu den G., die richtige Ab- ist: d.G, meint dann das funktionale U. Tuns, das allein um seiner selbst,
rekonstruieren über die Intuitionen wägung u. den richtigen Gebrauch Tauglichsein von dinglichen Gegen- alles andere aber um seinetwillen er-
einer fiktiven Vorzugswahl unter iso- der äußeren, der leiblichen u. der see- ständen, von Organen, Tieren, von strebt wird: d.G. als absolutes Ziel u,
lierten Gegensatzpaaren: Wir wollen lischen G. einschließt oder zur Folge Menschen für einen bestimmten Prinzip der Stufenordnung des relativ
- ceteris paribus - lieber leben als hat, Die rationale G.abwägung U. ver- t Zweck. - Im Kontext einer objek- G., d.G. als das, wodurch u, worin
tot, lieber intelligent als dumm, lie- nünftige i Entscheidung in Zielkon~ tiven Wesensmetaphysik, die Sein als der Mensch sein Seinsziel erreicht,
ber schön als häßlich, lieber wohlha- flikten nach Gesichtspunkten des Ei- teleologisch strukturierten, systema- also ganz er selbst wird (d.h. Eudai-
bend als arm, lieber frei als gefangen t
genwohls, des Gemeinwohls U. der tischen t Ordnungszusammenhang monia, t Glück qua Autarkie). Die
etc. sein. t Gerechtigkeit gehört zu den pri- interpretiert, führt der Begriff d.G, aristotelische Antwort auf die Frage,
Gute, das 122 123 Handlung

worin dieses G. für den Menschen Gefühl der Lust, sein Begehren, sei- in außermoralischen Werturteilen er- u. praktische Vernunft, Paderborn u. a.
der Sache nach bestehe, ist ambiva- nen Willen als angenehm, zweck- kannte, anerkannte u. geforderte G. 1992,27-57. M. F.
lent: ein vollendetes Leben von Frei- mäßig, nützlich bzw. sittl. gut quali- wird als objektiver, überzeitlicher Ge-
en u. Gleichen in politischer Ge- fiziert. D.G. ist demnach nicht ein genstand einer spezifisch praktischen
H
meinschaft, dessen Struktur durch Prädikat, das eine objektive Eigen- Erkenntnisweise verstanden (moral
die verschiedenen praxisorientierten schaft des Seienden beschreibt, son- sense-Philosophie von Shaftesbury, Haftung t Verantwortung.
t Tugenden bestimmt ist u. (oder?) dern ein Relationsbegriff, in dem die F. Huteheson: t Gefühl; das Wert-
die als Seligkeit gedachte, von aller t wertende Einstellung eines Sub- t
fühlen der WertE von M. Seheler, Handlung. Unter H.en versteht man
Potentialität befreite, in sich selber jekts zu diesem Seienden zum Aus- N. Hartmann); (3) das Phänomen von t Personen wissentlich u. wil-
zusammengeschlossene Aktualität druck kommt. Da menschliches Be- uneingeschränkter Achtung vor ei- lentlich hervorgerufene Ereignisse;
des reinen Denkens. Die rein formale gehren auch u. primär in seiner nem Handeln, das in der Befolgung allerdings sind nicht alle von Perso-
Bestimmung d.G. als des Letzter- t Bedürfnisstruktur wurzelt, wird eines kategorisch gebietenden Sitten- nen ausgehenden Vorgänge zugleich
strebten, auch die enge Verbindung das (außermoralisch) G. vielfach in gesetzes alle Glückserwägungen zu- H.en, wie die Beispiele Frieren, Ver-
(wenn nicht Gleichsetzmlg) mit dem jene Güter gesetzt, die der Befriedi- rückstellt, wird rekonstruiert als dauen oder Niesen zeigen. Dagegen
Begriff des Glücks war Gemeingut an- gung der Bedürfnisse dienen. Da emotionaler Widerschein einer sich müssen willentliche Unterlassungen
tiker u. mittelalterlicher t StrebensE menschliche Bedürfnisse gesellschaft- selbst zum letzten Ziel setzenden u. ebenfalls als H.en gelten; unter
(kontrovers war stets seine materia- licher Vermittlung u. geschichtlichem als allein unbedingt gut anerkennen- Zwang oder in verminderter Zure-
le Qualifikation: Lust, t Tugend, Wandel unterliegen, ist das so ver- den praktischen Vernunft (Kant). chenfähigkeit begangene H.en wie-
Wissen, Gottesgemeinschaft etc.). standene G. relativ zu Person, Ort u. derum weisen einen verminderten
Entscheidend für die platonisch-ari- Zeit (Th. Hobbes, Vom Menschen, Lit.: Platon, Po1iteia VI, 503 e-509 d; Grad von Willentlichkeit u. deswe-
stotelisch-scholastische Tradition ist: 11, 4). Das moralisch G. wird dann Aristoteles, Nikomach. E I, 4; Cicero, gen einen reduzierten H.charakter
die affirmative teleologische Ontolo- meist funktional interpretiert als die De finibus bonorum et malorum; Tho- auf ( t Wille). Bereits Aristoteles ver-
gie bleibt Basis der Bestimmung auch Anerkennung u. Befolgung jener mas v. Aquin, De malo; Summa contra fügt über eine komplexe Theorie der
des praktisch G.; das menschlich G. Normen, die der Realisierung der gentiles, !ib. III; Wilhelm v. Auvergne, vorsätzlichen bzw. unfreiwilligen
Bedürfnisse des einzelnen (e Egois- De bono et malo; Th. Hobbes, Vom
als ZieL des Strebens ist eingebunden Menschen; Leviathan; I. Kant, Grund- Verursachung äußerer Ereignisse; er
in einen kosmologischen Rahmen, mus: t Selbstinteresse) oder einer legung zur Metaph d. Sitten; G. E. kennt u. a. den Fall, bei dem sich je-
das allein befriedigende Ziel Handlungsgemeinschaft (e Universa- Moore, Principia Ethica; W. D. Ross, mand schuldhaft selbst in die Situa-
menschlichen Begehrens ist auch das lismus: z. B. t Utilitarismus) dienen. The Right and the Good; J. Pieper, Die tion der H.unfähigkeit bringt.
objektive Ziel seiner aus Anlagen u. Verschiedene Theorien versuchten Wirklichkeit u. d. G., München 81956; Der Begriff der H. wird häufig un-
Fähigkeiten erkennbaren Wesensna- der Konsequenz dieses Ansatzes, der F. E. Sparshott, An Enquiry ioto scharf sowohl für Arten oder Typen
tur. d.G. radikal relativiert u. Moralität Goodness and Related Concepts, Chi- von H.en (z. B. Spazierengehen oder
Die neuzeitliche Rede vom G. ist (t Sittlichkeit) zu bloßer Zweckra- cago 1958; B. Blanshard, Reason and Lesen) als auch für EinzelH.en ge-
tionalität herabstuft, durch den Goodness, London 1961; Helmut
von aller objektiv-teleologischen In- Kuhn, Das Sein u. d. G., München braucht (Herr Müller geht hier u.
terpretation des Seienden abgelöst. Nachweis der Wahrheitsfähigkeit d. 1962; G. H. v. Wright, Thc Varieties of jetzt spazieren). Aus der Perspektive
Die Auslegung des Seins als reiner, G. u. des Selbstwerts der Moralität zu Goodness, London 1963; W. Wie1and, der E geht es primär um die sirt!. Be-
in raumzeitlicher Verlaufsgesetzlich- entgehen: (1) Das im moralischen Ur- Platon u. der Nutzen der Idee. Zur urteilung von H.typen, doch liegt ei-
keit bestimmbarer Gegenständlich- teil anerkannte u. geforderte G. wird Funktion der Idee d. G., in: Allg. Zeit- ne wichtige Anschlußfrage darin, ob
keit entzieht dem objektiv Seienden interpretiert als Ausdruck allgemein- sehr. f: Philos. 1/1976; R. B. Brandt, A eine bestimmte EinzelH. evtl. in rele-
seinen theoretisch erkennbaren u. menschlicher Empfindungen, die den Theory of the Good and the Right, Ox- vanter Hinsicht vom Normalfall ab-
praktisch zielgebenden Wertcharak- Rahmen der auf Selbsterhaltung u. ford 1979; F. Ricken, Allgemeine E, weicht u. daher anders bewertet
Selbststeigerung abzielenden Bedürf- Stuttgart 1983, Kap. B III; M. C. Nuss-
ter. D.G. wird definierbar nur im baum, The Fragility of Goodness, werden muß. In der H.theorie unter-
Rekurs auf ein Subjekt, das Gegen- nisbefriedigung sprengen (J. Butler, Cambridge 1986; A. W. Müller, Wie scheidet man als formale Elemente
stände, Sachverhalte, Dispositionen, D. Hume); (2) das in moralischen notwendig ist d. G.?, in: L. Hon- einer H. primär das Subjekt, den
Handlungen etc. im Bezug auf sein Wert- u. Verpflichtungsurteilen wie nefelder (Hrsg.), Sittliche Lebensform Vollzug (Akt), die Absicht (Inten-
Handlung 124 125 Hemmung

rion), das Ziel u. das Objekt. Mit Handelnden (z. B. die rechte Hand gesetz (Kant). Die soziale Dimension Handlungsurilitarismus i Utilitaris-
dem H.ziel kann entweder das un- heben); nicht basal u. in gewissem individuellen Handeins ist vor allem mus.
mittelbare H.ergebnis gemeint sein Sinn sogar unverfügbar sind dagegen von Hege! herausgestellt worden:
oder aber eine mittelbar intendierte solche H.en wie eine wissenschaftli- demnach konstituiert sich das H.sub- Haß i Liebe.
H.folge. Unter den Objekten ist ent- che Entdeckung machen oder eine lekt erst in einem "Kampf um Aner-
weder das Material, d.h. ein Gegen- Revolution auslösen. Ein bedeuten- kennung", der von einer asymmetri- Hedonismus i Freude.
stand, auf den eingewirkt wird, oder des Teilgebiet der H.theorie bildet schen Form (Herr-Knecht-Verhält-
das Werkzeug der H. zu verstehen. die Theorie der Sprechakte, die im nis) zur symmetrischen, wechselseiti-
Hedonistischer Kalkül i Utilitaris-
mus.
Richtet sich die H.intention nicht auf Anschluß an J. L. Austin besonders gen Form fortschreiten soll. J. Ha-
ein Ergebnis, sondern auf eine Folge, von }. Searle betrieben wurde; dabei bermas hat versucht, ein "ver- Heil i Religion.
so liegt eine "KausalH." vor, bei der werden besonders die Formen u. die ständigungsorientiertes" , "kommuni-
man die Ziele als "Zwecke" und die Regeln sog. illokutionärer Akte (wie katives" Handeln, das er als Ge- Heiligkeit i Gott.
Werkzeuge oder TeilH.en als "Mit- Versprechen, Bitten, Fragen, War- genstück zu einem strategisch-in-
tel" bezeichnet. Ein wichtiger Son- nen, Danken) untersucht. Zu den strumentellen Handeln auffaßt, als Hemmung heißt die durch Verarbei-
derfall solcher "zweckrationaler" zentralen :Frage der H.theorie gehört Grundvoraussetzung alles Sozialen zu tung äußerer Einschränkungen er-
H.en ist die sog. HerstellungsH., die überdies die Klärung des Verhältnis- erweisen. Zusehends verselbständigt worbene psychische Fähigkeit des
Aristote!es poiesis nennt, deren Ziel ses von Absicht u. H. vollzug. Denn wird gegenwärtig die Theorie der Menschen, seine eigenen Antriebe u.
ein künstliches Erzeugnis, ein Arte- die Intention läßt sich entweder nur i rationalen H.wahl untersucht, be- Begierden in gezügelter Weise zuzu-
fakt, ist; der Aristotelische Gegenbe- als Grund (engl. reason) einer H. sonders seitens der Ökonomie; dabei lassen. Da die erfahrbare Wirklich-
griff praxis bezeichnet eine H., deren auffassen oder zusätzlich auch als spielt die durch das Gefangendilem- keit den menschlichen i Bedürfnis-
Ziel mit dem H.vollzug zusammen- Ursache (engl. cause). Im ersten Fall ma bezeichnete "Rationalitätsfalle" sen nur selten unmittelbare Befrie-
fällt. Abgesehen von intendierten H.- wird der Handelnde gleichsam als eine wichtige Rolle: wohlüberlegtes digung erlaubt, muß der Mensch die
folgen gibt es häufig noch unbeab- "unbewegter Beweger" betrachtet, strategisches Handeln kann u. U, äußeren Einschränkungen dadurch
sichtigte Folgen (Nebenwirkungen); dessen Intentionen sich direkt in Kooperation sinnvoll einschließen zu bewältigen versuchen, daß er im
nach dem Maß ihrer Vorhersehbar- H.en umsetzen (z.B. R. Chisholm); ( i Entscheidungstheorie). i Verzicht seine Begierden hemmen
keit u. Vermeidbarkeit sind auch sie im zweiten Fall werden Intentionen lernt, um durch i Arbeit die Wirk-
dem Handelnden zuzuschreiben. Für als mentale Zustände verstanden, Lit.: AristoteIes, Nikomachische E, lichkeit nach seinen Bedürfnissen zu
die H.theorie bildet die Frage nach die auf die physischen Bewegungs- Buch III; Eudemische E, Buch 11; gestalten. Von dieser realitätsge-
der raumzeitlich abgrenzbaren Ein- abläufe einwirken sollen (D. David- G. W. F. Hegc1, Phänomenologie des rechten Form der H. ist die Ge-
heit (Individuation) einer H. ein ganz son). Geistes, Kap. Herrschaft u. Knecht- hemmtheit zu unterscheiden, die aus
erhebliches Problem. Denn H.en Für die philosophische H.theorie schaft; G. E. M. Anscombe, Inten- einer über die Anforderungen der
schließen i.d.R. mehrere TeilH.en von wachsender Bedeutung sind Er- tion, Oxford 1957; G. H v. Wright, Wirklichkeit hinausgehenden Unter-
Norm u. Intention, Berlin 1977; J. Sear-
und eine Reihe von H.folgen ein. kenntnisse über die natürlichen le, Sprachakte, Frankfurt/M. 1971; drückung durch die Erziehungsper-
Unitarische Ansätze (etwa G. E. M. Grundlagen des Handclns, u. a, aus A. C. Danto, Analytical Philosophy of sonen oder die i Gesellschaft ent-
Anscombe) verstehen TeilH.en u. der Ethologie, der Neurophysiologie, Action, Cambridge 1973; A. Bccker- steht. Diese wird in der i Angst ver-
H.folgen als ein einziges Ereignis; der Soziobiologie u, der Psychologie. mann, G. Meggle (Hrsg.), Analytische innerlicht u. führt zu einer Reihe von
pluralistische Modelle deuten sie als Nach einer alten Kontroverse läßt Handlungstheorie, 2 Bde., Frank- Abwehrmaßnahmen gegen die Ver-
bloße Ereignissequenzen oder auch sich Handeln entweder stets mit ei- furrJM, 1977; J. Habermas, Theorie wirklichung berechtigter Wünsche u.
im Sinn einer Teil-Ganzes-Relation. nem empirischen Triebmoment in des kommunikativen Handc1ns, 2 Bde., daher zur Einschränkung der norma-
A. C. Danto spricht dann von einer Verbindung bringen (Hume) - viel- Frankfurt/M. 1981; D. Davidson, H. len Lebensfunktionen des Ich. Wi-
u. Ereignis, Frankfurt/M. 1985;
"BasisH.", wenn eine H. vorliegt, die leicht sogar auf es reduzieren -, oder D. Birnbacher, Tun u. Unterlassen, derstandserfahrungen der Wirklich-
nicht durch den Vollzug einer ande- aber es existieren darüber hinaus Stuttgart 1995; E. Runggaldier, Was keit, insbesondere die Gebote u.
ren H. geleistet wird. BasisH.en ste- noch h,wirksame intelligible Antrie- sind H.en?, Stuttgart u. a. 1996. Verbote der Eltern, zerstören schon
hen direkt in der Disposition des be wie die Achtung vor dem Sitten- C. H. frühzeitig die narzißtische Illusion
Hemmungslosigkeit 126
r 127 Herrschaft

des vollständigen Luststrebens. Die gung als sklavenhafte Unterwerfung t Gemeinwohls absolut. Sie lehnt H. Die Zwecke sind von Annahmen
verinnerlichten Gebote u. Verbote verurteilte. Die i Moral verfehle da- sowohl die Anerkennung der i Ver- über die Natur des t Menschen ab-
bilden in Form des Über-Ich/Ich- durch die Natm des i Menschen, antwortung gegenüber den Mitmen- hängig:
Ideals eine hemmende Gegeninstanz daß sie der Schwachheit der meisten schen wie die Allgemeingülrigkeit Gilt er als Wesen, das sich vor sich
zum Luststreben. Übermäßige Stren- gegen die wenigen starken u. schöp- sittI. Normen ab. u. seinesgleichen schürzen muß
ge der elterlichen i Autorität, aber ferischen Menschen zur Macht ver- (T. Hobbes), ist der Grund der H.
auch antiautoritäre Schrankenlosig- helfe. Moral beruhe auf Mißgunst, Lit.: F. Nietzsehe, Jenseits von Gut u. das Schutzbedürfnis u. ihr Zweck
Böse, 5. Hauptstück, 9. Hauptstück;
keit haben zur Folge, daß sich über- gehöre als "Zeichensprache der das Überleben der Menschen. H.
ders., Umwertung aUer Werte, Bd. I,
höhte innere Maßstäbe ausbilden, Affekte" in die Erscheinungswelt Kap. 3, H, 4 u. 6; K. Jaspers, Nietzsehe, entspricht damit dem Interesse der
die als drückendes Über-Ich die u. könne keinen Anspruch auf Berlin/Lcipzig 1936, S. 117-146; M. Herrschenden u. der Beherrschten.
Ausbildung eines skrupulösen i Ge- i Wahrheit erheben. S. sei wesent- Heidegger, Nietzsche, 2 Bde., Pfullin- Die bürgerliche H. serzt zu diesem
wissens befördern oder' als uner- lich "Nützlichkeits-Moral", die das gen 21961, Bd. 2, S. 117ff. W. V. Zweck den t Staat als t Autorität u.
reichbares i Ideal die Entwicklung Schwache als i "gut" u. das Starke Hüter des Rechts ein, der die Gesell-
der normalen Lebensfunktionen hem- aus Furcht als t "böse" empfinde. Herrschaft ist ein Rechtsverhältnis, schaft als Summe rechtlich u. mora-
men. Auf der anderen Seite bewirkt Die H. sei die des "vornehmen" das die polirischen Beziehungen zwi- lisch autonomer Individuen regiert,
die Verunsicherung durch schwan- Menschen, der weder gut noch böse schen den Mirgliedern einer t Ge- ohne deren private Zwecke zu be-
kende u. labile elterliche Erzie- kenne, das Schwache verachte u. sellschaft verbindlich u. zu bestimm- stimmen (Hobbes, Locke, Spinoza).
hungsmaßnahmen, daß sich über- Strenge gegen sich selbst übe. H. sei ten Zwecken regelt. Sie äußert sich Gilt der Mensch primär als Wesen
haupt kein tragfähiges Gefühl für die eigentliche Schöpferin der als öffentliche u. staatliche t Gewalt der Vernunft, können die privaten
i Normen u. damit keine Kontroll- i Werte. Sie sei das t Streben des u. wird als politische Macht, deren mit den allgemeinen Zwecken der
instanz im Hinblick auf die eigenen t Individuums nach einer höheren Entstehung u. Anwendung nach gel- Gesellschaft identisch werden (He-
Begierden ausbildet. Deren unmittel- Gattung als der des Menschen u. rendem t Rechr legitimierbar sein gel), u. der Zweck der H. ist nicht
bares Hervorbrechen äußert sich entspringe der höchsten Moralität, soll, gegenüber der Gesellschaft mehr das bloße Überleben, sondern
dann als Hemmungslosigkeit. So- dem "Selbstmord der Moral zugun- durch t Institutionen vermittelt. Der die Verwirklichung derjenigen Frei-
wohl übermäßige Gehemmtheit wie sten der Befreiung des t Lebens" Charakter der H. ist abhängig von heit, die wiederum mit der Idee des
weitgehende Hemmungslosigkeit be- ( i Lebensphilosophie). Nietzsches ihren Zwecken u. von der Entste- Staates identisch ist (i Sittlichkeit).
drohen die Eigenständigkeit der Unterscheidung H.-S. beruht primär hung, Rechtfertigung u. Anwendung Der Zwangscharakter der H. löst
i Person, die sich nur in Form der auf einer psychologischen Kritik des des Rechts. Unabhängig von den sich zwar formal auf, da unter der
real notwendigen H. ausbilden kann. platonisch-christlich bestimmren mo- Zwecken der H. gibt es jeweils Herr- H. der Vernunfr die Herrschenden
ralischen Urteilens seiner Zeit, trifft schende u. Beherrschte, die formal gleichzeitig die Beherrschten sind. H.
Lit.: S. Freud, H., Symptom u. Angst, daher Entstehungsweisen von i Sit- identisch sein u. sich in beiden wird damit aber totalitär. Der Tota-
Werke Bd. XIV; H. Schultz-Hencke, ten u. bestimmte Verwirklichungs- Funktionen ablösen können (i De- litarismus geht von der absoluten
Der gehemmte Mensch, Stuttgart weisen, nicht aber die Normativität mokrarie, auf i Freiheit u. t Gleich- Gleichheit der moralischen u. mate-
21969. A. S. sitt!. Werte, ihre t Sittlichkeit. Ein heit beruhende H.-Formen) oder in rialen Zwecke des Staates u. der
bloß zwanghaftes, nicht auf der An- einem einseitigen H.-Verhältnis nicht Bürger u. damit von der Überein-
Hemmungslosigkeit i Hemmung.
erkenntnis einer i Pflicht u. auf dem die gleichen Rechre in Anspruch neh- stimmung von H. u. E aus; er ver-
Hermeneutische E i Methoden der Wollen eines Guten, sondern auf men können (autoritäre H.-Formen). zichtet daher auf die Gewaltentei-
E. Nützlichkeitserwägungen beruhen- Die Unterscheidung in Herrschende lung, auf die Trennung der reprä-
des Handeln entspricht in der Tat ei- u. Beherrschte macht jedoch den sentativen H. des Volkes durch die
Herrenmoral-Sklavenmoral ist eine ner S.: sie handelt scheinbar legal, Charakter der H. als Auroriräts-, Ab- Gesetzgebung von der direkten, ge-
Unterscheidung von F. Nietzsche, aber nicht sitd. Die H. befreit sich hängigkeits- u. Befehlsverhältnis nur setzlich gebundenen Regierung. Die-
der die Unbedingtheit moralischer von der Pflicht der t Begründung formalorganisatorisch deutlich (Ge- se Regierung, die zugleich gesetzge-
Gesetze als unmoralisch (i Moral- von t Handlungen u. setzt deren walrenteilung). Grundlegender sind bend ist, ist despotisch (Kant), u. die
kritik, i Nihilismus) u. ihre Befol- t Zwecke gegen die Normen des die Zwecke u. Legitimationen von Gesetzgebung ist selbst dem Zwang
Herrschaft 128 129 Herrschaft

ihrer Gesetze unterworfen u. nicht Freiheit als Befreiung von jeder sittI. Zwecke soll zeigen, in welcher Form die die adäquaten Mittel zur Durch-
frei (i Autonomie). Dies ist der legitimen u. staatlich garantierten Be- H, geeignet ist, ihre Macht zur Ver- setzung ihrer Zwecke finden, können
Grundcharakter der Diktatur: die schränkung individueller Gewalt, Da- wirklichung der Werte einzusetzen, sich deshalb rational definieren
Zwecke der Gesetzgebung sind we- mit tritt die H.-Freiheit in den äußer- die für die Gesellschaft u. ihre Mit- (M, Weber), ohne damit in einem
der öffentlich änderbar noch über- sten Gegensatz zur gerechten, H., die glieder konstitutiv sind, Zur Krise kritischen Sinne schon legitim zu sein.
prüf- u. rechtfertigbar, da sie von der davon ausgeht (Hobbes, Kant, auch kommt es dann, wenn alternative Kontrolle u. Kritik von H. garantiert
Regierung vorgegeben werden. i christliche E), daß E notwendig ein i Entscheidungen zwischen konkur- das Prinzip der i Gerechtigkeit als
Gilt der Mensch als vernünftiges Korrektiv von H, sein muß, da die rierenden Zwecken notwendig sind rationaler Kalkül zur Kritik der H,-
Wesen, das des guten i Handelns Möglichkeiten menschlicher Gewalt u, als Kriterium legitimer H, nicht Zwecke, Es ist jedoch nur dann
fähig ist oder durch Erziehung u. u, des i Bösen im Handeln nicht ein bestimmtes Niveau der Rechtfer- wirksam, wenn sich das H,-System
Gewöhnung werden kan!l, erübrigt vernachlässigt werden können, tigung verfügbar ist, mit dem eine verpflichtet har, auf die legitimen In-
sich die Furcht vor seinesgleichen Geht man davon aus, daß der für alle sozialen Gruppen tragbare u, teressen der Beherrschten u. ihre Ar-
langfristig, u, der indirekre Zweck Mensch sein Glück nur in individuel- konsensfähige Entscheidung über öf- gumente einzugehen, Dies leisten
der H, kann das i Glück als gutes u, ler Freiheit verwirklichen, sittl. Han- fentliche Ansprüche getroffen wer- freineitliche demokratische Systeme,
tugendhafts i Leben des einzelnen deln lernen u. seine Selbstentfrem- den kann. Verfahrensformen haben deren Politik nicht auf für alle ver-
werden (Aristoteles). Indirekt ist die- dung abbauen kann, ist die Tech- ohne eine vorherige Entscheidung bindliche Zwecke, sondern auf sittl.
ser Zweck, weil er an individuelles nokratie als H,-Form denkbar. Sie über den Wert öffentlicher Ansprü- Normen festgelegt ist, die sowohl die
Handeln u. Wollen gebunden bleibt. nimmt seit Bacon an, daß der che keine legitimierende Kraft. Legi- Wahrnehmung pluraler Zwecke wie
Direkter Zweck der H. wird Glück Mensch mit Rationalität als vernünf- time H, ist dann nicht möglich, wenn eine legitime H. sichern sollen.
dann, wenn jeder Mensch nur des tiger Planung seiner materialen die konkurrierenden ökonomischen
guten Handeins fähig ist, so daß sich Zwecke auch sein Glück verwirkli- oder sozialen Zwecke einzelner Lit,; Platon, Der Staat, Buch 8; Aristo-
die Schutzfunktion der H, u, der ihr chen kann. Ihre Mittel sind techni- Gruppen eine Legitimationsfunktion teles, Nikom, E, Buch 1 u. 10; T. Hob-
entsprechende Gehorsam der Bürger scher, wissenschaftlicher u, ökono- für politische Entscheidungen gewin- bes, Lev~.athan, Kap. 13, 17, 21;
]. Locke, Uber die Regierung, Kap. 7 u.
erübrigt (H.-Freiheit), Diese Lösung mischer Natur, ihre Zwecke die nen u. die Intergrationsfunktion der 8; B. Spinoza, Theologisch-politischer
des Problems der H, macht sich zu- Verbesserung der technischen Fähig- H. aufgehoben ist. Ziel legitimer H. Traktat; I. Kant, Zum ewigen Frieden;
nächst die Einsicht zunutze, daß jede keiten u, des Wissens als Befreiung ist es, durch einen glaubhaften Sozi- G. W, F, Hegel, Rechtsphilosophie,
im Mißrrauen aller gegen alle be- des Menschen von äußerem Zwang. alstaat i Konflikte zwischen Grup- §§ 257-360; M. Weber, Wirtschaft u.
gründere H. notwendig zur Tyrannei Diese Perfektionierung des Lebens pen u, ihren Zwecken zu lösen u, den Gesellschaft, Tübingen 51972, Teil 1,
führe (Platon). Sie hält dann, aber entkleidet den Menschen seiner Krea- Verteilungskampf um soziale Güter Kap. 1II" Teil2 Kap. IX.; H. Arendt,
ohne hinreichende Gründe, die Ursa- tivität u, Kritikfähigkeit u, macht ihn u. eine Desintegration der Gesell- Elemente u. Ursprünge totalitärer H.,
schaft zu verhindern, Der Abbau so- Frankfurt1M, 21958; R, Spaemann, Die
chen des Mißtrauens durch einen zu einem ,eindimensionalen' Wesen
Utopie der H.Freiheit u, die Utopie des
t Wandel der Moral in einer Erzie- (H. Marcuse), das sich der Rationa- zialer Ungleichheit wird zum Kriteri- guten Herrschers, in: ders., Zur Kritik
hungsdiktatur mit der Aufhebung lisierung seiner Lebenszwecke durch um legitimer H. - Die Legitimation der polit, Utopie, Stuttgart 1977;
der i Entfremdung als Versöhnung die Technik nur in einer ,großen von H, ist allgemein vom Problem H. Marcuse, Der eindimensionale
von Mensch u. Natur (K. Marx) für Weigerung' u, nicht mehr mit ratio- gekennzeichnet, daß nicht nur mate- Mensch, Neuwied 1967; M. J, C. Vile,
beseitigbar u. verfolgt mit der Auf- nalen Argumenten entziehen kann. rielle, sondern auch sittl. Interessen Constitutionalism and the Separation
hebung des i Eigentums u, privater Der Zweck der H. wird mit dem verfehlt werden können u. keine un- of Powers, Oxford 1967; J. Habermas,
Glücksziele letztlich die seI ben totali- Nutzen der Beherrschten pragma- bezweifelbare sittl. Legitimation von Legitimationsprobleme im Spätkapita-
H. möglich ist. H, ist mit unter- lismus, FrankfurtlM, 1973; H. Lenk
tären Zwecke wie die H, der Ver- tisch u, ihre Ausübung mit formalen (Hrsg,), Technokratie als Ideologie,
nunft. Diese langfristig angelegte Be- Verfahren (M. Weber) gerechtfertigt. schiedlichen, z, T, auch gegensätzli- Stuttgart u, a. 1973, S.9-20, 94-124;
freiung von H. durch moralische H,-Formen sind der Gefahr von chen Zwecken u, den diesen entspre- G, Geismann E u. H.ordnung, Tübin-
Umerziehung unterscheidet die Legitimationskrisen (j, Habermas) chenden sittl. Normen legitimierbar, gen 1974;]. Fetscher, H u. Emanzipa-
i marxistische E vom Anarchismus: ausgesetzt. Die Legitimation von H. ohne damit schon kritisier- u, kon- tion, München 1976; O. HöHe, E u,
er fordert eine unmittelbare H,- als öffentliche Rechtfertigung ihrer trollierbar zu sein, Alle H,-Formen, Politik, Frankfurt/M. 31987, Kap, 14;
Herrschaftsfreiheit 130 131 Hinduistische Ethik

ders., Polit. Gerechtigkeit, Frankfurt! ziale System beruht auf der Lehre ren, die wegen ihres e-philosophi- lösung findet. Er lehrt acht Stufen
M. 1987; ders., Kategorische Rechts- von Seelenwanderung u. Wiederge- sehen Gehalts auch im Abendland, der psychischen u. moralischen Selbst-
prinzipien, Frankfurt/M. 1990, Kap. 9- burt: Alle Lebewesen der in ständi- etwa auf Schopenhauer (i Lebens- kontrolle, durch die der Mensch
10; H. Haferkamp, Soziologie der H., gem Entstehen u. Vergehen begriffe- philosophie), Einfluß hatten. Bei den mehr u. mehr die Bindung des Gei-
Opladen 1983; S. Collini, D. Winch,
J. Burrow (Hrsg.), That Noble Science nen Welt bilden eine Stufenleiter, die Upanischaden tritt an die Stelle des stes an die Welt aufhebt u. Lebens-
of Politics, Cambridge 1983, chap. III. bei den Pflanzen beginnt u. bei den Glaubens an eine Vielheit wunsch- drang, i Leid u. Schuld von sich
W. V. Göttern endet. Die Zugehörigkeit zu gewährender Götter das t Streben, ablöst, bis er nur in sich selbst ver-
einer der Stufen u. auch Kasten ist durch die Versenkung in das eigene senkt da ist: (1) moralisches Wohl-
Herrschaftsfreiheit i Herrschaft. nicht die Folge eines Zufalls oder des Innere das Absolute, das Brahman verhalten, (2) äußere u. innere Rein-
Willens Gottes. Der ganze Kosmos (die "Weltseele"), zu erfassen, jene heit, (3) das auch außerhalb der h. E
Heteronomie i Autonomie.
wird vielmehr von dem i sitd. Ver- Kraft, die im einzelnen Menschen bekanntgewordene Einnehmen be-
Hinduistische Ethik. DIe im Hin- geltungsgesetz (Karma, Sanskit: wie im ganzen Weltall wirkt. Die stimmter Körperstellungen, (4) Rege-
duismus (Hindu, Persisch: Indus) Handlung, Opfer) beherrscht, das weltzugewandte Haltung der Arier lung des Atmens, (5) Abwendung der
enthaltene i Eist genausowenig wie jedem Wesen, das geboren wird, macht hier dem Wunsch Platz, durch Sinnesorgane von den Objekten, (6)
die i buddhistische E eine systemati- aufgrund der i guten u. i bösen Askese (i Spiritualität) der i Welt Festlegen des Denkens auf einen be-
sche Moralphilosophie, vielmehr eine i Handlungen im vorausgegangenen zu entsagen u. durch innere Erfah- stimmten Punkt, (7) Meditation u.,
religiös-metaphysisch begründete Dasein seinen Platz im gegenwärti- rung, die zugleich Grund u. Folge als deren Steigerung, (8) Versenkung.
Lehre des rechten i Lebens. Im Un- gen anweist. Die sich daraus erge- der Askese ist, die ursprüngliche Zu den heiligen Schriften gehören
terschied zu anderen i Religionen bende Seelenwanderung (Samsara: Einheit von i Mensch u. Welt zu er- ebenso die beiden großen Epen Ma-
hat der vor allem in Indien, Nepal u. Kreislauf der Wiedergeburten) findet kennen, sich dadurch vom natürli~ habharata u. Ramayana. Ersteres
Teilen Indochinas verbreitete Hin- nur dann ein Ende, wenn eine in ehen Lebensdrang u. allen Bedingun- enthält (neben der i Goldenen Re-
duismus weder einen Stifter noch ei- zahlreichen Existenzen geläuterte gen i individueller Existenz zu be- gel) unter seinen Lehrgedichten auch
ne allgemeinverbindliche Glaubens- Seele durch Befreiung vom Gesetz freien u. somit das Ende der Seelen- die berühmte Bhagavadgita (Gesang
u. Sittenlehre. Der Begriff "Hinduis- des Karma die Erlösung (Moksha) wanderung, die Erlösung, zu gewin- des Erhabenen), die über das Wesen
mus" faßt eine Gruppe miteinander erreicht. Auf drei Weisen ist dies nen. In der h. E sind Erkennen u. von i Gott, Welt u. Seele belehrt u.
verwandter Religionen zusammen, möglich: (a) durch ein Tun, das von Handeln, i Theorie u. Praxis, ur- drei seitdem in der h. E als gleich-
deren wichtigsten die Vedische Reli- religiösen Pflichten geleitet ist, dem sprünglich aufeinander bezogen: das wertig geltende Wege zur Erlösung
gion, der Vishnuismus, der Shivais- Dharma (Sanskrit: das Tragende, Wissen wird durch ein asketisches erläutert: (a) den Weg der Askese u.
mus u. der Shaktismus sind. Maßge- Recht, Gerechtigkeit, soziales u. na- Ethos ermöglicht, das auf Klärung u. Erkenntnis entsprechend den Upani-
bend für die h. E ist allein die türliches Gesetz); (b) durch Hingabe Läuterung des Selbstseins gerichtet schaden, (b) den neuen Weg des vom
Anerkennung der in den heiligen an Gott (Sanskrit: Bhakti, Demut, ist. Um die Erlösung zu gewinnen, selbstischen Interesse freien pflicht-
Schriften entwickelten Lehre der per- Liebe); (c) durch ein von Meditation liegt es im i Selbstinteresse des gemäßen Handelns in i Liebe zu
sönlichen Vollendung u. die Teil- (Sanskrit: Dhyana) u. Argumenta- Menschen, den Heilsweg zu gehen. i Gott, der den Menschen gnädig
nahme in dem von diesen Schriften tion (Nyaya) geleitetes Wissen (Jua- Der Yoga (Sanskrit: Anspannung, aus dem Strom der Wiedergeburten
begründeten Kastenwesen. An dessen na). Übung) war zunächst mit einer be- befreit, u. (c) den vom Yoga eröffne-
Spitze steht die Kaste der Brahmanen Den Hauptteil der heiligen Schrif- stimmten h. Metaphysik, dem San- ten Weg der Hingabe.
(Priester); es folgen die der Adligen ten bilden die als Offenbarung gel- khya, verbunden, hat aber dann weit Zu den i Pflichten zählen in
(König, Krieger, Richter u. Verwal- tenden Veden (Sanskrit: Werke, Wis- darüber hinaus kulturgeschichtliche der h. E sowohl allgemein menschli-
tungsbeamte), die der Ackerbauern sen), deren älterer Teil aus vier Bedeutung gewonnen. Er ist eine che Pflichten (wie i Gerechtig-
u. Gewerbetreibenden sowie die der ursprünglich mündlich überlieferten höchst differenzierte Lehre der gei- keit, i Wohlwollen, Standhaftigkeit,
Dienstleistungsberufe. Außerhalb der Sammlungen besteht. Sie haben je- stigenKonzentration u. Vertiefung des i Verzeihung, Kontrolle der Sinne,
vier in sich noch gestuften Hauptka- doch stark an Bedeutung gegenüber inneren Lebens, durch die man - Wahrhaftigkeit: i Wahrheit, Abwe-
sten stehen die rechtlosen Parias den jüngeren Upanischaden (Sans- kraft völliger Herrschaft über den senheit von Ärger) als auch kasten-
(Unberührbare). Dieses religiös-so- krit: geheime Unterweisung) verlo- Körper - den Geist befreit u. die Er- spezifische (so dürfen z. B. Krieger
Hirntod 132 r 133 Hoffnung

auf die Jagd gehen u. Fleisch essen, ziert. Gott ist das "höchste ur- Ganzem: Gegenstand unseres Stre- ( i kategorischer Imperativ, i Sitt-
was den Brahmanen verboten ist). sprüngliche Gut" (Kant) in dem Sin- bens ist ein Ziel, das sich aus mehre- lichkeit) betont, ist i Tugend das
ne, als in ihm absolute Vollkom- ren Gütern, Handlungen etc. zu- oberste Gut vernünftigen Wollens
Ut.: Upanischaden, Stuttgart 1974; menheit des Seins (absoluter Selbst- sammensetzt. Das h. G. versteht sich (bonum supremum), i Glück das na-
Bhagavadgita, Stuttgart 1975; P. Deus- besitz der Existenz, Allmacht, All- dann als vollendetes Gut (bonum turhaft erstrebte Endziel allen le-
sen, Die Philosophie der Upanishad's, wissenheit, Glückseligkeit, mora- consummatum, inclusive end); (3) bendigen Begehrens u. die Kongru-
Leipzig 3 1919; H. v. Glasenapp, Ent- lische Güte) sich versammelt u. der die Unterscheidung nach dem Sche- enz von Tugend u. Glück in einer
wicklungsstufen des indischen Dcn- Grund für die Existenz wie die Qua- ma der Rangordnung: unter den ver- Person u. in der Welt das h. G.
kens. Untersuchungen über die Philo- lität alles kontingent Seienden nach schiedenen Gegenständen unseres (bonum consummatum).
sophie der Brahmanen u. Buddhisten,
Maßgabe seiner Partizipation an die- Strebens bevorzugen wir einige vor
I-lalle 1940; S. Radhakrishnan, Indische
Philosophie, 2 Bde., Darmstadt u. a. sem absolut Seienden vorgegeben ist. anderen. Das h. G. ist hier zu verste- Ut.: Platon, Politeia 503 e-509 d; Ari-
1956; J. Gorda, Die Religionen Indiens, Im praktischen Sinn wird der hen als das oberste der Güter (bo- stordes, Nikomach. E, Buch I u. X, Po-
2 Bde., Stuttgart 1960; l. C. Sharma, Terminus verwendet als Reflexions- num supremum, dominant end). (1) Iitica 11; Cicero, De finibus bonorum et
Ethical Philosophies of India, London begriff, der den Handlungszusam- u. (3) sind bedeutungs mäßig vielfach malorum; Ulrich v. Straßburg, S. de
1965; M. Eliade, Yoga. Unsterblich- menhang teleologisch interpretieren verschränkt in Wert- u. Güterlehren, summa bono; Th. Hobbes, Vom Men-
keit u. Freiheit, Frankfurt/M. 1977; schen; I. Kant, Die Religion innerhalb
u. normieren soll. H. G. bedelltet die der Pluralität der i Werte eine der Grenzen der bloßen Vernunft, Vor-
B. Singh, The Conceptual Frameworlc dann soviel wie das letzte i Ziel un- hierarchische Struktur u. einen funk-
of Indian Philosophy, Neu Delhi 1976; rede zur 1. Auflage; G. H. v. Wright,
ders., Hindu Ethics. An Exposition of serers Strebens u. Wollens, der End- tionalen Ordnungszusammenhang The Varieties of Goodness, London
the Concept of Good, Neu Delhi 1984; zweck (finis ultimus), in dessen voll- zugleich unterstellen. Teleologische 1963; G. E. Moore, Principia Ethica,
S. Dasgupta, Hindu Ethos and thc endeter Realisierung menschliche E-en, die Moralität u. ihre Prinzipien Kap. VI; K. Düsing, Das Problem des h.
Challenge of Change, Mysore 2 1978; Praxis ihre Erfüllung findet. Die funktional im Blick auf die Errei- G: in Kants praktischer Philosophie,
W. D. O'Flaherty (Hrsg.), Karma and nicht immer klare Grundlage der chung des außermoralisch Guten be- Kant-Studien Bd.62, 1971; R.Spae-
Rebirth in Classicat Indian Traditions, Rekonstruktion dieser von Platon gründen, setzen das h. G. gewöhn- mann, Art. ,G., h.', Hist. Wörterb. d.
Berkeley 1980; C. S. Crawford, The Phi los., Bd. 3. M. F.
eingeführten, von Aristoteles ausge- lich in einen vollendeten Zustand des
Evolution of Hindu Ethical Ideals, Ho- arbeiteten u. von der gesamten nach- menschlichen Lebens (meist Glück-
nolulu 21982; R. W. Neufeldt (Hrsg.), Höhere Gewalt liegt im Unterschied
Karma and Rebirth: Post Classical De- folgenden Tradition übernommenen seligkeit genannt), der freilich im zur bewußten oder planmäßigen
velopments, New York 1986; A. Mali- formalen Bestimmung des h. G. als Blick auf das vorzügliche Mittel zu Anwendung von i Gewalt dann vor,
nar, Rajavidya. Das königliche Wissen des Letzterstrebten u. zuhöchst Er- seiner Erreichung oder bezüglich sei- wenn ein Schaden (z. B. Unfall) ohne
um Herrschaft u. Verzicht, Wiesbaden strebenswerten sind fundamentale ner inhaltlichen Qualifikation höchst Verschulden (i Schuld) von i Per-
1996. O. H. Unterscheidungsmäglichkeiten in der unterschiedlich bestimmt wird: als sonen durch ein äußeres Ereignis
Struktur unseres t Strebens: (1) Die voluptas, d. h. Lust (Epikur, Bent- (z.B. ein Naturereignis) verursacht
Hirntod t medizinische E. Unterscheidung nach dem Schema ham u. a. - i Freude), als scientia, wurde, das weder vorhersehbar noch
Hochmut i Ehre. von Mittel u. Zweck: wir wollen et- d. h. Wissen, beseligende Aktualität mit angemessenen Mitteln u. unter
was um eines anderen willen, wir des reinen Denkens (Aristoteles, Pe- äußerster zumutbarer Sorgfalt recht-
Höchstes Gut (lat. summum bonum wollen etwas in gewisser Rücksicht ripatetiker: i WissenschaftsE), als zeitig zu vermeiden war. W. V.
bzw. finis ultimus). Vom h. G. ist um seiner selbst, in gewisser Rück- machtvolle Größe u. Ruhm (Machia-
philosophisch im Zusammenhang sicht um eines anderen willen, wir velli, Nietzsehe), als Gemeinschaft Hoffnung ist eine theologische, ge-
der Metaphysik u. der i praktischen wollen etwas allein um seiner selbst mit dem Göttlichen (Platon, i christ- schichtsphilosophische u. e Katego-
Philosophie die Rede. Im Anschluß willen. Das h. G. ist nach dieser Un- liche E), als ungehindertes Fort- rie, die zwar als Kategorie, nicht
an Platons Konzeption der Idee des terscheidung das allein um seiner schreiten von t Bedürfnisbefriedi- aber mit wissenschaftlichen Kriterien
i Guten als letztem Seins- u. Er- selbst willen Erstrebte u. Erstrebens- gung zu Bedürfnisbefriedigung (Hob- präzisierbar ist, da sie sich auf Mög-
kenntnisgrund wurde in Neuplato- werte, das h. G. als das letzte Gut bes) etc. Für Kant, dessen deontolo- liches, nicht auf Vorhandenes be-
nismus u. christlicher Philosophie (finis ultimus); (2) die Unterschei- gisehe i E den unbedingten Ver- zieht. H. ist als religiöses, psycholo-
dieses Prinzip mit i Gott identifi- dung nach dem Schema von Teil u. pflichtungschrakter von Moralität gisches oder ideologisches Phänomen
Homosexualität 134 135 Humanität

identisch mit einem bestimmten hängig ist, ist H. e Folge sittl. guten biologische Prozesse, sondern erst wie durch Ereignisse wie die Fran-
Glauben, einem i Streben oder einer Handelns u. damit als indirekte Be- durch i (Selbst-)Erziehung u. freie zösische Revolution, die Entstehung
Überzeugung u. bestinunt von einem dingung des HandeIns von diesem i Sinnstiftung zu einem konkreten i demokratischer u. sozialer Verfas-
i Ziel, das realen oder utopischen abhängig; e basiert H. auf der Treue: Menschen. H. bezeichnet daher we- sungs- i Staaten, die Veränderung
Charakter haben kann. Als theologi- auf dem Vertrauen in die Rechtmä- der einen empirischen Befund noch des künstlerischen u. des religiösen
sche Kategorie basiert H. auf der ßigkeit u. dem Gehorsam gegenüber ein vorfindliches Muster, sondern ei- Bewußtseins geprägt worden. Als
Erwartung künftigen Heils ( i christ- den sittl. Pflichten, unabhängig von ne Aufgabe, die die Menschen in ei- Ideal des persönlichen Lebens zielt
liche E) u. dem Glauben an die abso- erwartbarem Nutzen oder zu be- nem nie abgeschlossenen Prozeß der sie auf die Entwicklung u. den Ge-
lute, zeitlich nicht bestimmbare Zu- fürchtendem Nachteil guten Han- Bildung, der Selbstfindung u. des brauch der sprachlichen, emotiona-
kunft des Reiches Gottes; sie gilt als delns. Das Maß dieser Treue ent- Selbstentwurfs näher zu definieren u. len, kreativen u. vor allem auch po-
eine i Tugend, die dem Menschen spricht demjenigen der H. auf Glück, aus eigenem Antrieb auszuführen ha- litisch-sozialen Fähigkeiten. Als nor-
durch Gnade gegeben oder nicht ge- dessen sich der einzelne in seinem ben. H. ist das stets riskante Unter- matives Leitprinzip von Gesellschaft
geben ist. Gegenbegriff dieser H. ist Handeln als würdig erweist (Kant). nehmen der i Individuen u. der i Ge- u. i Politik fordert sie ein i Rechts-
die Verzweiflung als vermessene sellschaft, zu sich selbst zu kommen u. Sozialsystem, das von der gegen-
Vorwegnahme der Nichterfüllung Lit.: I. Kant, Kritik der reinen Ver- u. ein gelungen-erfülltes Lehen zu seitigen Anerkennung der Menschen
der H. u. als Sünde des Unglaubens. mmft, A 804, B 832ff; S. Kierkegaard, führen. Sie meint weniger die Schwä- als Wesen gleicher Würde bestimmt
- Dagegen ist H. geschichtsphiloso- Die Krankheit zum Tode, Abschn. 2; che u. Hinfälligkeit, Niedrigkeit u. ist, das Not, i Leid, Unfreiheit u.
G. Mareei, Homo viator, Düsse1dorf
phische Kategorie einer Handlungs- 1949; E. Bloch~ Das Prinz,ip H., 3 Bde., Bosheit des Menschen als die für das Ungerechtigkeit zu mindern sucht u.
lehre, die menschlichem i Leben an- Frankfurt/M. 1976, TeIl 1, 2, 4; J. persönliche, soziale u. politische Le- aus Respekt vor den Interessen u.
gesichts von Tod, i Leid, i Schuld Moltmann, Theologie der H., München ben gültige normative Leitidee eines dem i Gewissen der Mitglieder
u. Versagen i Sinn geben (i existen- 61966, Kap. 1 u. 4. W. V. "wahren", von Selbstverwirklichung ihnen unterschiedliche Formen
tialistische E) oder durch eine revo- u. Mitmenschlichkeit bestimmten der Selbstverwirklichung ermöglicht:
lutionäre Verwirklichung einer vor- Homosexualität i Sexualität. Menschseins. H. ist eine formale durch Sicherung der Menschenrechte
geplanten humanen Zukunft einen Idee, die für verschiedene, von den ( i Grundrechte) für jedermann;
von allen Leiden erlösten Menschen Humanexperimente i medizinische jeweiligen persönlichen u. soziokul- durch ein Bildungswesen, das von
schaffen will ( i marxistische E). Für E, WissenschaftsE. turellen Bedingungen, Interessen u. Chancengerechtigkeit u. individueller
diese Eschatologie (griech., Lehre Sinnvorstellungen abhängige Ausge- Förderung bestimmt ist; durch eine
von den letzten Dingen) wird H. zu Humanismus i Humanität. staltungen offen ist. Sie besagt, daß i Arbeitswelt, die es jedem erlaubt,
einem Prinzip der Unruhe (E. Bloch), es dem Menschen letztlich nicht auf nicht bloß seinen Lebensunterhalt zu
das den Mangel jeder historischen Humanitarismus i Humanität. Selbstbehauptung u. Expansion, son- verdienen, sondern auch - aufgrund
Gegenwart u. damit gleichzeitig die dern auf jene Verständigung mit sei- einer Beanspruchung verschiedener
"Not-wendigkeit" der Zukunft ver- Humanität heißt wörtlich das, was nesgleichen ankommt, die unter den Fähigkeiten u. Interessen - sich selbst
deutlicht ( i Utopie). Als ideologische den i Menschen vor allen anderen Ideen von i Gerechtigkeit u. i Sitt- zu verwirklichen; durch ein
Entartung dieser H. gelten die tech- Lebewesen auszeichnet, seine i Na- lichkeit steht. H. geht vom unbeding- i Strafsystem, das von Gerechtig-
nologische Rationalität u. der Fort- tur oder sein Wesen. Seiner Natur ten Wert des Menschen, von seiner keit, aber auch von Resozialisierung
schrittsglaube. - H. hat als theologi- nach ist der Mensch nicht auf be~ i Freiheit u. Würde als unhintergeh- bestimmt ist; durch öffentliche Ent-
sche u. geschichtsphilosophische wie stimmte Verhaltensweisen u. Lebens- barem Fluchtpunkt allen persönli- scheidungsprozesse, die sich an hu-
auch als e Kategorie einen hand- formen festgelegt. Er ist ein offenes chen, sozialen u. politischen Bemü- manen Leitprinzipien orientieren,
lungsorientierenden, teleologischen Wesen mit einem außergewöhnlich hens aus. usw.
Charakter: als H. auf i Glück weiten Spielraum, innerhalb dessen Diese Idee ist, von griech.-röm. u. Der Humanismus als historische
(i Streben). Während sie aber in den er als einzelner, als Klein- oder i christI. Vorstellungen beeinflußt, Epoche (der römischen Republik, der
beiden ersten Begriffen direkte Be- Großgruppe sich unterschiedlich ent- durch Denker der Aufklärung u. Ro- Renaissance, des 19. u. 20. Jahr-
dingung u. Antrieb des Handeins u. wickeln u. tätig werden kann. Über- mantik, des i Marxismus, i Prag- hunderts) vertritt ein Ideal vom ge-
vom Handeln selbst letztlich unab- dies wird man nicht schon durch matismus u. i Existentialismus so- bildeten, schönen u. sitt!. Individu-

.1
Hybris 136 137 Ideologie

um, das von Philosophie, Kunst, Gei- u. Methode, Tübingen 41975, S,1ff; lung U. der Idee des 1 Guten ein, in- seIlschaftskritischer Begriff. Er dient
steswissenschaften u. der Liebe zur W. Maihofer, Rechtsstaat U. menschli- dem sie diese durch modellhafte dazu, Überzeugungen u. Theorien zu
Antike bestimmt ist, dabei aber che Würde, Frankfurt/M. 1968; A. Geh- Handlungen oder allgemeine Eigen- kritisieren, die nur vermeintlich be-
len, Moral U. Hypermoral, Frank-
1Wirtschaft, 1Technik u. Industrie, furt/Mo 31973, Kap: 6; W. Rüegg, schaften erläutern. Die Psychologie stimmten Kriterien von Wirklichkeit
oft auch die Politik ausklammert u. Anstöße, Frankfurt/M. 1973; E. Bloch, der I.bildung zeigt, daß diese an eine U. 1Wahrheit entsprechen, tatsäch-
so einen Dualismus von Kultur- u. Naturrecht U. menschliche Würde, 1Sozialisationsphase anknüpft, in lich jedoch von Interessen u. 1 Zwek-
Arbeitswelt, von "hoher" Freizeit u. Frankfurt/M. 1977; 0, Höffe, Strategi~ der das Kind die äußeren Versagun- ken geleitet sind, die diesen Kriterien
"niedriger" Erwerbstätigkeit (auch en der H, Frankfurt/M. 21985; ders., gen dadurch zu meistern versucht) widersprechen. Ist der Begriff der
Machtkampf) schafft, wodurch ten- Sittlich-politische Diskurse, Frank- daß es narzißtische Allmacht- u. Wirklichkeit auf den Bereich der
dentiell die Welt der Wirtschaft u. furt/Mo 1981, Kap. 5; R. Toellner Gräßenphantasien ausbildet. Neben sinnlichen Erfahrungen beschränkt
Politik den normativen Anforderun- (Hrsg,), Aufklärung U. Humanismus, diesem gesteigerten Se1bsterleben (Positivismus), gelten alle Ideen,
Heidelberg 1980; E. Benda, Die Men-
gen der H, entzogen u. .:. . aufgrund schenwürde, in: ders. u. a. (Hrsg.), (Ideal-Ich) überschätzt es auch die 1Weltanschauungen U. nicht-empi-
der Beziehungslosigkeit zweier Wel- Handbuch des Verfassungsrechts, Ber- Macht die Eltern u. idealisiert sie. rischen Theorien als Ln. Da Ln nach
ten - das Zusichselbstkommen des linlNew York 1984, S. 107-128; Um diese idealisierte Elternimago diesem Verständnis empirische Kri-
Menschen in seinen vielfältigen A. elair, Ethique et Humanisme) Paris kristallisiert sich der Teil des 1Ge- terien ihrer Gültigkeit fehlen, liefern
Aspekten beeinträchtigt wird, Der 1989. O. H. wissens, in dem die Gebote der sie der Illusion (lat" Täuschung),
Humanismus als geistige Haltung u, Vorbilder enthalten sind (das IchL). sowohl der subjektiven Selbsttäu-
überzeitliche Aufgabe befreit sich Hybris '1 Besonnenheit. In ihm sedimentieren sich auch alle schung wie der Mißdeutung der em-
von solchen Einseitigkeiten, Er do- späteren Erfahrungen von 1Autori- pirischen Wirklichkeit, Vorschub. -
kumentiert sich in dem immer neuen Hypothetischer Imperativ 1Kate- tät. Davon sind Idole zu unterschei- Gilt die objektive Wirklichkeit als
Bemühen, daß der Mensch - in man- gorischer Imperativ. den) die als Kompensationen eines Funktion der gesellschaftlichen u.
nigfacher Weise - frei für Mensch- versagten Lebens ideologische Funk- ökonomischen Verhältnisse, so ist
lichkeit u, Mitmenschlichkeit werde tionen erfüllen. Die e Bedeutung der das menschliche Bewußtsein Produkt
u, darin seine Würde finde, - Als I. ist darin zu sehen, daß sie Modelle ökonomischer U. sozialer Verhältnis-
Humanitarismus bezeichnet Gehlen Ich 1Person. gelungenen Handeins darstellen, die se (Marx). Das ,wahre' proletarische
"die zur e Pflicht gemachte unter- jedoch nur dann sitt!. wirksam wer- Bewußtsein läßt sich danach mit Hil-
schiedslose Menschenliebe", Ideale bilden sich im Kontext des ei- den, wenn sie an frühere affektive fe der Lkritik vom ideologisch
genen Handelns heraus) in dem wir Erlebnisse anknüpfen u. in ein aus- ,falschen' Bewußtsein aller anderen
Ut.: ], G, Herder, Briefe zur Beförde- emotional bejahend oder verneinend gewogenes Verhältnis zu den realen Klassen unterscheiden. Liberalismus
rung der H.; I. Kant, Grundlegung zur Stellung nehmen. Die persänliche Handlungsmäglichkeiten gebracht U. Kapitalismus (i Wirtschafts-E)
Metaphysik der Sitten, Akad, Ausg. Bd, sind dann zu kritisierende Ln. -
Wertung steht dabei im Zusammen- werden (relativ autonomes Selbst).
IV, S, 428 ff; J. G. Fichte, Die Bestim-
mung des Menschen; K. Marx, Pariser hang gesellschaftlichen Wertens, in Nicht nur das bürgerliche, sondern
Manuskripte, Reinbek 1970, bes, S, dem bestimmte Handlungsweisen als Ut.: F. Schiller, Briefe über die ästheti- jedes von Werturteilen geprägte
50 ff, 73 ff;], S. Mill, Über die Freiheit, besonders trefflich U. gelungen u, die sche Erziehung des Menschen; G. E. nicht-rationale Bewußtsein ist nach
bes, Kap. 3; F. C. S, Schiller, Huma- Handelnden selbst als Vorbilder aus- Moore, Principia Ethica, Kap. 6; L. S. der soziologischen Modifikation des
nismus, Leipzig 1911; J. Maritain, Stebbings, Ideals and Illusions, Londün marxistischen Ansatzes von seiner
gezeichnet werden. Sieht man von
L'humanisme integral, Paris 2 1969; ].- 1948; H Kühut) Narzißmus, Frank-
den einzelnen gelungenen 1Hand- furt/Mo 1976; M. Mitscherlich, Das "sozialen Seinslage" bestimmt U.
P. Sartre, Ist der Existentialismus ein lungen oder vorbildlichen Personen damit i, (K. Mannheim). Danach wä-
Humanismus?, in: Drei Essays, Frank- Ende der Vorbilder, München 1978.
ab U. faßt abstrakt deren Eigenschaf- A.S. ren auch Sprache, Kunst ( 1 Spiel) u.
furt/Mo u, a. 1971; M. Heidegger, Brief
über den Humanismus; Th. Litt, Das ten auf, dann kann man sie als all- 1 Erziehung I. - Wenn die Theorien,
Bildungsideal der deutschen Klassik u. gemeine 1Werte, 1 Normen, 1 Tu- Identität 1Ich. die die Wirklichkeit nach technischen
die moderne Arbeitswelt, Bann 61959; genden oder I. aussagen. Die I. Zwecken U. deren Verfügbarkeit
G. Krüger, Abendländischer H, Stutt- nehmen somit eine vermittelnde Ideologie (griech.-franz.: Lehre von definieren, als vom Interesse an
gart 1953; H. G. Gadamer, Wahrheit Stellung zwischen der realen Hand- den Ideen) ist ein erkenntnis- U. ge- 1Herrschaft bestimmt gelten, gerät
Idol

die wissenschaftliche Rationalität Illusion i Ideologie.


138 r
, 139

t gesellschaftlichen Zusammenhangs
Individuum

weise u. i Sinnvorstellungen. Vor


selbst in den Verdacht, 1. zu sein menschlicher Entscheidungen muß allem die i christliche u. die i exi-
(J. Habermas). Auch der Versuch des Immoralismus i Nihilismus. man in der Tat auch den relativ be- stentialistische E (Kierkegaard als
t kritischen Rationalismus, I. von deutungslosen einen indirekten Be- Antipode Hegels) haben die Würde
i Wissenschaft durch kritische Prü- Imperativ i Kategorischer Impera- zug zu sitt1. bedeutsamen u. daher ( t Humanität) u. Unvertretbarkeit
fung (H. Albert) zu unterscheiden u. tiv. eine abgeleitete i Wertigkeit zuspre- des einzelnen Menschen herausge-
dialektische Theorien als nicht prüf- chen. (3) Von den objektiven Bedin- stellt u. ihn aufgefordert, sich in ei-
bar u. daher i. zu kennzeichnen, ist Imperativentheorie i Rechtspositi- gungen der I. unserer Handlungen ist nem emphatischen Sinn als I. zu rea-
mit dem Problem konfrontiert, seine vismus. schließlich die I. der subjektiven Ein- lisieren, indem er weder rein will-
nicht näher begründeten sozialen Imperialismus i Diskriminierung. stellung zu unterscheiden. Eine sol- kürlich handelt noch bloß Autoritä-
Geltungsansprüche vom Lverdacht che fehlende t Motivation zur sitt1. ten, vielmehr dem eigenen t Gewis-
zu befreien (sogenannter' Positivis- Indeterminismus i Determination. Stellungnahme nennen wir Gleich- sen folgt, sich in seiner Eigenart,
musstreit), - I. ist demnach ein Be- gültigkeit. Sie hat entweder ihre Ur- auch seinen Schwächen anerkennt u.
griff, mit dem alle theoretischen u. Indifferenz. Mit I. bezeichnen wir ei- sachen in der frühkindlichen i So- für sein Handeln die i Verantwor-
praktischen Positionen bezeichnet ne Einstellung des t Menschen, die zialisation, in der eine labile el- tung übernimmt. - Das menschliche
werden können, deren Wahrheits- u. sich den Inhalten möglicher t Hand- terliche Erziehungspraxis keine Aus- I. ist weder eine beziehungslose noch
Wirklichkeitskriterien von der je- lungen gegenüber i sitt1. neutral bildung eines sitd. Unterscheidungs- eine von Geburt an fertige Monade.
weils entgegengesetzten Position her verhält. Der Begriff der 1. deckt sehr vermögens ermöglichte. Oder sie re- Es findet seine Identität in einem le-
negativ beurteilt werden. Begründet verschiedene e Probleme ab: (1) In sultiert aus der Enttäuschung über benslangen Bildungsprozeß. Für ihn
ist der L-Vorwurf allerdings nur der mittelalterlichen Philosophie die mangelnde Überzeugungskraft u. sind charakteristisch i Erziehung u.
auf der Basis vernünftig begründeter taucht er im Zusammenhang der An- praktische Wirksamkeit süd. Ent- Selbstfindung, Gruppen mit einem
Kriterien von Wahrheit u. Wirklich- alyse des Handlungsverlaufes u. der scheidungen u. äußert sich als Gefühl gemeinsamen Wir-Gefühl (i Kom-
keit. sitt1. Wahl ( i Entscheidung) auf. Die der Resignation, das u. U. die gesam- munitarismus), i Arbeit u. i Kom-
menschliche i Freiheit wird durch te Lebenseinstellung bestimmen u. in munikation (dabei vornehmlich Be-
Lit.: K. Marx, Die deutsche L, ziehungen, die durch t Freiheit u.
die Annahme einer Phase im Hand- den i Selbstmord treiben kann.
Abschn. L; K. Mannheim, L Lt. Utopie,
Frankfurt/M. 31952, Teil I, 11, V; lungsverlauf gesichert, in der der t Gerechtigkeit bestimmt sind), auch
Mensch den Inhalten der Handlung Lit.: Thomas v. Aquin, Summa Theo- i Spiel, i Religion u. die Selbstdar-
Th. W. Adorno, H. Albert, J. Haber- logica 11-1 qu. 18; S. Kierkegaard, Die
mas, K. Popper u. a., Der Positivismus- indifferent gegenübersteht (libertas stellung in Werken der Kunst,
Krankheit zum Tode; W. Hoerres, Der
streit in der deutschen Soziologie, indifferentiae), ehe er wählt. Wäh-
Wille als reine Vollkommenheit nach t Wissenschaft usw. Wo Len allein
DarmstadtlNeuwied 41975; J. Haber- rend Duns Scotus eine strenge I. bis Duns Scotus, München 1962, S.212- nicht zurechtkommen, sind gemäß
mas, Technik u. Wissenschaft als ,1', zur willentlichen Stellungnahme fest- 220. A. S. dem Prinzip i Subsidiarität Gemein-
Frankfurt/M. 1968, S. 48-103; G. Lu- halten will, sieht Thomas v. Aquin im schaft u. i Gesellschaft gefordert.
kacs, Schriften zur L u. Politik, Darm- In Ergänzung zur t SozialE, die
stadtlNeuwied 21973, S. 1-40, 75-81;
Erkenntnisakt bereits eine sitd. Qua- IndividualE i Individuum.
K. Lenk (Hrsg.), L, Neuwied/Berlin
lifizierung, die die Wahl leitet. (2) die angemessene Grundordnung der
5 1971; P. C. Ludz, 1begriff u. marxisti- Ein weiteres Problem der I. ergibt Individualismus i Individuum. Gesellschaft bestimmt, untersucht
sche Theorie, Opladen 1976, S. 82 ff; sich aus der Frage, ob man bestimm- die IndividualE die i Pflichten des I.
M. Ewert, Die problematische Kritik te Handlungen als_ sitt1. neutral be- Individuum heißt das Einzelseiende, gegen sich selbst u. den Mitmen-
der L, Frankfurt/M. 1982; K. Sala- zeichnen kann. Hierbei steht die das nicht geteilt werden kann, ohne schen (etwa die Verbote zu töten, zu
mun (Hrsg.), Aufklärungsperspektiven. Behauptung sitt1. relativ bedeutungs- seine Einzigkeit u. Eigenexistenz zu lügen, zu stehlen). Sie geht vom We-
Weltanschauungsanalyse u. 1-Kritik, loser Handlungen des Alltags der verlieren. Als e Begriff bezeichnet er sen des t Menschen als individueller
Tübingen 1989; T. Eagleton, 1 Eine Auffassung entgegen, die stets ei- den einzelnen Menschen in der Person aus u. hebt auf Eigenverant-
Einführung, StuttgartlWeimar 1993.
W. V. nen entfernten Zusammenhang zu Einmaligkeit seiner i Bedürfnisse u. wortung u. Selbstverwirklichung ab,
bedeutsamen Handlungen sieht. Interessen, Talente, Fähigkeiten u. ohne die komplementäre soziale u.
Idol t Ideal. Aufgrund des i personalen u. auch i Leidenschaften, seiner Lebens- politische Dimension des Menschen

I
Instinkt 140 141 Instinkt

leugnen zu müssen. - Der Individua- 1968; P. B. Medawar, Die Einmaligkeit seiner 1.e durch die kulturelle Ent- Zentralnervensystems finden, auf zu-
lismus behauptet den absoluten Vor- des 1., Frankfurt/M. 1969; M. Land- wicklung u. die Bewußtseinstätigkeit sätzliche Informationen von außen
rang des einzelnen: seine Eigenver- mann, Das Ende des 1., Stuttgart 1971; stark überdeckt. Das nicht mehr angewiesen u. unter Einfluß indivi-
antwortlichkeit, die ihm keine Ge- R. Nozick, Anarchie, Staat u. Utopia, dueller Erfahrung in Grenzen verän-
München 1976; S. Lukes, Individua- durch I.e (u. organische Schutz- u.
meinschaft abnehmen kann, u. seine lism, Oxford 1976; A. Schaff, Marxis- Angriffsmittel) gesicherte individuel- derlich, also offen u. modifizierbar
Unvertretbarkeit, so daß (im Gegen- mus u. das menschliche 1., Reinbek le u. kollektive Überleben soll daher sind. Auch der i Mensch besitze an-
satz etwa zum i Utilitarismus u. zu 1977; C. Taylor, Negative Freiheit. Zur durch i Kultur, durch i Moral u. geborene genetische Programme, die
Formen i marxistischer E) das Wohl Kritik des neuzeitl. Individualismus, Sitte auf der Basis gegenseitigen Ver- sein Verhalten mitbestimmen. Zu
keines L gegen das anderer verrech- Frankfurt/M. 1988; O. Höffe, Polit. trauens garantiert werden. Gegen ei- seinen Invarianzen gehört es etwa,
net werden darf. Ein "methodischer Gerechtigkeit, Frankfurt/M, 1987; ne zu starke Reduktion der biologi- von einem sozialen System abhängig
Individualismus" der klassischen u. ders., Vernunft u. Recht, Frankfurt/M. schen Determinanten wendet sich die zu sein, Kontakt u. Geborgenheit zu
1996. O. H.
zeitgenössischen Wirtschafts- und Verhaltensforschung, insofern sie suchen, nicht an bestimmte T errito-
Vertragstheorie (Hobbes, Locke, Instinkt heißt in der biologischen biologische Kräfte, I.e u. Energien als den gebunden u. in ständiger Paa-
Rousseau, A. Smith, Kant, Hayek, Verhaltensforschung (Ehtologie) von Mitursachen menschlichen, z. B. rungsbereitschaft zu sein. Erst durch
M. Friedman, Rawls, Nozick, Höffe Tinbergen, K. Lorenz, Eibl-Eibes- auch aggressiven Verhaltens (i Ge- Verarbeitung von Umweltinforma-
u, a.) behauptet weder die gänzliche feldt u. anderen eine angeborene u. walt) sieht. Ihre Kritiker (J. Dollard, tionen, z.B. durch das Erleben sozia-
Isoliertheit der Menschen noch, daß artspezifische Antriebskraft, das Mo- A. Plack, W. Michaelis u. a,) halten ler Beziehungen, werden die Pro-
Zusammenarbeit nur ein Mittel zur ment der von individueller Lernfä- Aggressionen usw. nicht für biolo- gramme funktionsfähig, d. h, gehen
Verfolgung individueller Ziele sei, higkeit nicht beeinflußbaren biologi- gisch, sondern für rein sozial be- sie von einer latenten in eine reali-
wohl aber, daß jede soziale u. politi- schen t Determination im Verhalten dingt. Ursache sei allein eine repres- sierte Struktur über. Überdies lassen
sche i Ordnung sich letztlich nur von Tier u. Mensch. Eine 1.handlung sive Umwelt u. die durch sie erzeugte sie aufgrund ihrer gegenüber dem
aus dem i Selbstinteresse der Len ist eine auf Erbkoordination beru- Vereitelung von Bedürfnisbefriedi- Tier qualitativ größeren Plastizität
rechtfertigen könne ( i Gesellschafts- hende starre Bewegungsweise, die gung (Frustration). die Art der brauchbaren Umwcltin-
vertrag). Teils begründet er eine ohne Einsicht in ihren Ablauf oder Verhaltensforscher wie ihre Kriti- formation weitgehend offen, in be-
i WirtschaftsE des laisser-faire u, gar in ihre t individuum- u.loder ar- ker gehen von einem linear-kausalen zug auf Sozialbeziehungen z. B., ob
einen i Staat, der sich auf die Siche- terhaltende i Zweckmäßigkeit ver- Konzept sowie der Alternative Erb- sie die Form von Sippen oder die von
rung der i Grundrechte konzen- läuft. Ihr geht ein von individuellem gut-Umwelt aus. Als Ursache gelten Kleinfamilien haben usf. Schließlich
triert, um die freie Entfaltung der Lernen beeinflußbares Appetenzver- entweder die ererbten Le u, ihre können Teile des Programms, etwa
Len zu ermöglichen (Liberalismus), halten, das triebhafte Suchen nach Auslöser oder die soziale Umwelt u. jene, die für die destruktiven Aspekte
teils 'resultiert er in einem politischen jener Reizsituation, voraus, die den ihre spezifischen Reize. Gegen 1.- u. des Kampfes der Gruppen unter-
Absolutismus (Hobbes), ererbten Mechanismus auslöst, des- Umwelttheoretiker zugleich wendet einander mitverantwortlich sind,
sen Ablauf als lustge1adene (i Freu- sich die neuere" i Systemtheorie des durch den Um- u. Einbau in komple-
Lit.: Th. Hobbes, Leviathan, bes, Kap.
de) Aktivität Befriedigung verspricht. Verhaltens" (E. Mayr, W. Wieser; xere Verhaltensstrukturen modifi-
6, 11, 13; M. Stirner, Der Einzige u.
sein Eigentum, (1844) Stuttgart 1972; J.e nach ihrer Funktion zu benennen Vorläufer: J. v. Uexküll) mit ihrem ziert werden (z. ß. Abbau aggressiver
]. S. Mill, Über die Freiheit, bes. Kap. 3 (z.B. Paarungs-, Brut-, Beute-I.) ist kybernetischen Modell der Wech- Gefühle gegen Fremde durch Aus-
u. 4j Th. Litt, I. u. Gemeinschaft, Leip- irreführend, da an einer solchen Lei- selwirkung zwischen Organismus u. weitung des Begriffs der Gruppe auf
zig 1926; F. Nenmann, Die Herrschaft stung mehrere voneinander unab- Umwelt, zu der bei Menschen auch die Bevölkerung der Erde: i Huma-
des Gesetzes, Frankfurt/M. 1980; G. H. hängige 1.e sowie nicht-instinktive Staatsformen, Erziehungsmethoden nitarismus). Diese Modifikation läßt
Mead, Geist, Identität u. Gesellschaft, Elemente beteiligt sind, - Die Bedeu- usf, gehören. Die Systemtheorie er- sich im kybernetischen Modell auch
Frankfurt/M. 31978, Teil III; H. Bou- als durch Bewußtsein, Vernunft ge-
tung von I.en für den Menschen ist kennt biologische Determinanten an,
chet, Introduction a la philosophie de
l'individu, Paris 1949; A. v. Hayck, kontrovers. In der Kulturanthropo- jedoch nicht in der starren Form von steuert denken, da das Zentralner-
Individualismus u. wirtschaftliche Ord- logie, etwa bei A. Gehlen, gilt der Len. Sie sieht das Verhalten durch vensystem von einem gewissen Grad
nung, EdenbachJZürich 1952; H. Tho- Mensch im L bereich als verarmt u. genetische Programme gesteuert, die der Komplexität an beginnt, seine ei-
mae, Das 1. u. seine Welt, Göttingen verunsichert, zudem seien die Reste sich. in den Grundstrukturen des genen Anweisungen zu formulieren.
T
Institutionen 142 143 Interkultureller Diskurs

Lit.: J. v. Uexküll, Umwelt u. Innenle- zeinen Willens, in der der subjektiven Apel) bildet die Grundlage freien u. tiv, barbarisch oder als zurückge-
ben der Tiere, Berlin 1909; M. Scheller, Willkür Schranken gesetzt sind u. die vernünftigen HandeIns. blieben ("unterentwickelt") abzu-
Die Stellun des Menschen im Kosmos,
München f1975; J. Tinbergen, I.lehre,
Zwecke von Gesellschaft u. Staat werten (Eurozentrismus). Ansätze
mit den privaten in Sitte u. Gewohn- Lit.: G.W. F. Hege1, Rechtsphilosophie, zur Achtung fremder Völker finden
Berlin 61979; A. Gehlen, Anthropolog.
Forschg., Reinbek, 1961; ders., Moral heit übereinstimmen. I. können an- §§ 1820ff, u. Enzyklopädie, §§ 483- sich in Herders Begriff vom "Genius
u. Hypermoral, Frankfurt/M. 31973; thropologisch als bedürfnis bedingte 552; K.-O. Apel, Transformation der eines Volkes" und in Hegels Theorie
K. Lorenz, Über tier. u. mensch!. Ver- Funktionen (B. Malinowski) zur Philosophie, Bd. 1, Frankfurt/M. 1973, der "Volksgeister", wonach sich im
halten, 2 Bde., München 1965 u. ö.; Stützung einer soziokulturellen Ein- 197-221; H. Sche1sky (Hrsg.), Zur Laufe der Geschichte verschiedene
ders. u. P. Leyhausen, Antriebe tier. u. heit (Integrationsfunktion), sozialphi- Theorie der 1., Düsseldorf 1970; Kulturformen herausbilden, die in
mensch!. Verhaltens, München 41973; losophisch als Funktion der ihnen R. Schnur (Hrsg.), Die Theorie der I. sich kohärent sind u. insoweit sich
E. Mayr, Behavior Pl'ograms and Evo- zugrundeliegenden Ideen u. Vorstel- u. 2 andere Aufsätze von M. Hanriou,
Berlin 1965, S. 27-66; ders. (Hrsg.), selbst rechtfertigen. Der i. D. ver-
lutionary Strategies, American Scientist lungen (M. Hauriou) oder pragma~
Bd.6, 1974; G. Roth (Hrsg.), Kritik I. u. Recht, Darmstadt 1968; A. Geh- langt, andere Kulturen in ihrer un-
der Verhaltensforschung, München tisch als funktionale u. zweckmäßige len, Moral u. Hypermoral, eine ~Iurali­ verwechselbaren Eigenart ernst zu
1974; W. Wieser, K. Lorenz u. seine Organisationsformen des sozialen stische E, Frankfurt/M.-Bonn 1970, nehmen, ohne deshalb in einen e
Kritiker, München 1976; M. Merlau- Lebens (A. Gehlen) betrachtet wer- Kap. 7; H. J. Helle (Hrsg.), Kultur u. 1., i Relativismus zu verfallen. Heraus-
Ponty, Die Struktur des Verhaltens, den: Sie bilden jeweils das ein Han- Berlin 1982; C. Hubig (Hrsg.), E insti- gefordert schon durch den vielfäl-
Berlin 1976; J. Eibl-Eibesfeldt, Die deln konstituierende System von tutionellen Hande1ns, Frankfurt1M.! tigen i Pluralismus der Neuzeit, ge-
Biologie des menschlichen Verhaltens. Normen, das einerseits gesellschaftli- New York 1982; O.Höffe, Politische winnt er eine neue Dringlichkeit
Grundriß der Humanethologie, Mün- Gerechtigkeit, Frankfurt/M. 1987,
ches Leben stabilisiert, andererseits durch die Globalisierung der Lebens-
chen 1984. O. H. Teil 11-111. W. V.
aber Basis des sozialen Wandels ist, verhältnisse, durch das wachsende
Institutionen (von lat. instituere: ein- indem es ein kritisches Bewußtsein Selbstbewußtsein anderer Kulturen
Instrumentaler Wert i Wert.
setzen, anordnen) sind kein starres von Normen u. deren Legitimität u. durch die weltweiten Wan-
System, das die Verhältnisse zwi- schafft. Damit kann sich ein Gegen- Integration i Krankheit. der-(Migrations-)Bewegungen. Von
schen Individuen u. Gruppen unter- satz zwischen normativen Ansprü- Gegenseitigkeit kann nur dort die
einander u. gegenüber der i Ge- chen u. institutioneller Legitimität Intention i Gesinnung, Handlung. Rede sein, wo die Europäisierung des
sellschaft u. dem i Staat rein funk- entwickeln, der einen Wandel der I. Globus mit einer Globalisierung Eu-
tional bestimmt. Gewohnheiten, notwendig macht. - Ein Konflikt Intentionalität i Handlung, Verste- ropas Hand in Hand geht. Heuri-
i Sitten u. i Bedürfnisse werden mit zwischen i Freiheit u. I. entsteht für hen. stisch kann ein i. D. mit folgender
ihrer Anerkennung auf Dauer ge- jene E, die die normativen Bestim~ Faustregel arbeiten: Das, wofür wir
stellt. Sie bilden die Regelmäßigkei- mungen des Handelns auf die sub- Interaktion i Kommunikation. uns stark einsetzen, finden wir auch
ten sozialen Handeins, entlasten den jektive Verpflichtung des t Gewis- bei anderen, sowohl im Positiven -
einzelnen von der Wiederholung be- sens einschränkt (I. Kant) u. dem- Interesse i Bedürfnis. was wir einfordern, läßt sich minde-
wußter i Entscheidungen zu be- gegenüber den normativen Anspruch stens in Ansätzen andernorts entdek-
stimmten Handlungsweisen (Entlas- der I. abwertet. Das Problem der I. Interkultureller Diskurs. Der i. D. ken - als auch im Negativen: wor-
tungsfunktion), heben jedoch nicht ist jedoch das der süd. Wirklichkeit über i Moral u.- i Recht, der weder über wir uns empören, empören sich
das subjektive Bewußtsein der Hand- des Handeins, das notwendig die in der eigenen Kultur allein stattfin- andere auch. Ein i. D. des Rechts u.
lungsnormen so auf wie biologische kritische Reflexion von Handlungs- det noch sich an deren besondere der Moral findet auf mehreren Ebe-
oder triebhafte Funktionen ( i Biolo- normen u. die Legitimation von I. im Voraussetzungen bindet, wendet sich nen statt. (a) Als Moral- u. Rechtsge-
gismus). I. sind "Handlungsformen Prozeß der i Kommunikation ein- gegen die Gefahr, andere i Kulturen schichte sucht er den den anderen
der Gewohnheit" (A. Gehlen), ein schließt. Das offene, kritisierbare am Maßstab der eigenen zu messen Kulturen eigenen, oft älteren Ur-
"objektiv festgelegtes System sozialer Verhältnis von Freiheit u. I. inner- (Ethnozentrismus), insbesondere ge- sprung von Moral u. Recht auf.
Handlungen" (H. Schelsky), im Sin- halb der politischen u. rechtlichen gen die Neigung, von den europä- Oder bei den ältesten juristischen
ne Hegels "objektiver Geist", als i Ordnung mit Hilfe der Grund- isch-amerikanischen Kulturen her Fakultäten Europas sieht er, daß sie
Einheit des vernünftigen u. des ein- Institution der i Sprache (K.-O. alle anderen als defizient, als primi- vom i Islam beeinflußt sind, den
Internationale Gerechtigkeit 144 145 Islamische Ethik

seinerseits das griechische Rechts- G. W. F. Hege!, Vorlesungen über d. gend, muru'a := virtus, Ehrbegriff, Schwachen (Witwen u. Waisen).
und Staatsdenken prägen. Außerdem Phil. der Geschichte, §§ 448 ff; Nach Abu Hanifa (8. ]hd.) ist ein
Freigebigkeit, ius talionis) wurden
erinnere man sich, daß der Gesetzge- eh. Taylor, Multikulturalismus u. die Staat, der nicht soziale Gerechtigkeit
Politik der Anerkennung, Frankfurt/M. von Mohammed (570-632 n. ehr.)
ber Salon weit herumgereist ist, daß 1993; M. Delgado, M. Lutz-Bachmann gewandelt u. modifiziert. Elemente verwirklicht, auch dann nicht i.,
Platon andere Stadtrepubliken, vor (Hrsg.), Herausforderung Europa, der i jüdischen u. t christlichen E, wenn er sich i. nennt.
allem Sparta, zum Vorbild nimmt u. München 1995; R. A. Mall, Philoso- die in den Glaubensauseinanderset- Glaube u. i Recht, i Religion u.
daß Aristoteles die Verfassung Kar- phie im Vergleich der Kulturen, Darm- zungen des vorderen Orients präsent i Politik bilden im Islam weder not-
thagos rühmt. (b) Im Kulturvergleich stadt 1995; O. Höffe, Vernunft u. waren, gingen in seine Lehre ein, wendigerweise noch von Anfang an,
hebt er auf das gemeinsame moral. Recht. Bausteine zu einem interkultu- wurden aber dem Primat des streng wohl aber seit dem Modell von Me-
Erbe der Menschheit ab, etwa auf rellen Rechtsdiskurs, Frankfurt/M. monotheistischen Glaubens an Allah dina eine ungeschiedene Einheit. Aus
die t Goldene Regel u. auf elemen- 1996. O. H.
u. dem Anspruch der Einzigartigkeit Koran u. Sunna als den Hauptquel-
tare Prinzipien der t Gerechtigkeit. Internationale Gerechtigkeit i Ge- der Berufung Mohammeds als des len der Rechtsvorstellungen wurde
(c) In der Moral- u. der Rechtsbe- rechtigkeit, Weltrepublik. höchsten Propheten untergeordnet. durch die Gelehrten (sing. mufti) die
gründung greift er nicht auf kultur- Mohammed lenkte die arabische Gesetzeswissenschaft (fiqh) weiter-
spezifische, sondern auf kulturüber- Interpretation des Verhaltens i Ver- Kriegslust auf den heiligen Krieg ge- entwickelt. Neben dem Prinzip der
greifend gültige Prämissen zurück, stehen. gen die Ungläubigen (gihäd) u. emp- Tradition (b-adit), das sich auf Präze-
gegründet in der allgemeinen Men- fahl die Möglichkeit der finanziellen denzfälle stützt, hat bereits der Ko-
schenvernunft u. in Elementen der Intuition i Gefühl, Methoden der E, Begleichung der Blutrache. ran eine QueUeninterpretation (igri-
Anthropologie (t Mensch). Der i. D. Wert. Die E des Koran verpflichtet den hat) auf der Basis von Analogie-
hält das für gültig, was dem Wider- Moslem, 1. seinen Glauben öffent- schlüssen (qiyas) vorgesehen. Dazu
spruch aller anderen Kulturen stand-
Intuitionismus i MetaE.
kommt gemäß der Sunna das Prinzip
lich zu bekennen (sahada); 2. fordert
hält. Er legt wert auf die Unterschei- Irrtum i Wahrheit. sie ihn zum fünfmaligen täglichen der Übereinstimmung der Gesetzes-
dung von Universalität u. Uniformi- Gebet (~alät) verbunden mit Riten u. lehrer (igmä'), das eine Angleichung
tät. Er verteidigt gegen den t Kom- Islamische Ethik (arab. isläm: Erge- Waschungen auf, das seinen Höhe- der Rechtsvorschriften an die religiö-
munitarismus universale Prinzipien, bung in Gott, Hingabe). Die i. Eist punkt in der Gemeindeversammlung sen, politischen, sozialen u. indivi-
die er freilich so formal begründet der Inbegriff der Glaubens- u. zum Freitagmittgagsgebet in der Mo- duellen Erfordernisse erlaubt. Von
( t Begründung), daß sie für die Ei- Rechtsvorschriften, die sich für den schee findet; 3. verlangt sie von ihm den orthodoxen Vorschriften sind
genart anderer Kulturen offen blei- gläubigen Moslem (muslim: jemand, Steuern u. Abgaben zur sozialen Für- vor allem die Heiratsgesetze (Mög-
ben. Dabei geht es sowohl um Prin- der den Islam praktiziert) als Mit- sorge für Arme, Kranke u. Waisen u. lichkeit, bis zu vier Frauen zu eheli-
'zipien, die innerhalb der t Gesell- glied der islamischen Gemeinschaft zum Kampf gegen die Ungläubigen chen), die rigiden Strafen bei Dieb-
schaften als auch zwischen ihnen herr- (umma) ergeben. Sie leiten sich aus (zakät); 4. ermahnt sie zum Fasten stahl (Abhacken der Hand) u. das
t
schensollen ( Weltrepublik). (d) Für dem Glauben an Allah als den einzi- im Monat Rama9äll, in dem Mo- Verbot von Alkohol u. Glücksspiel
die Moral- u. Rechtspraxis verlangt gen i Gott, an Mohammed als sei- hammed die Offenbarung zuteil bekannt geworden.
er schließlich, die Prinzipien so be- nen höchsten Propheten u. an den wurde; u. sie fordert 5. zur Pilger- Die i. E hat zahlreiche historische
hutsam zu verwirklichen, daß die an- Koran ab, das heilige Buch, in dem fahrt nach Mekka (b-agg) als Höhe- Wandlungen durchgemacht. Die frü-
deren Kulturen dasselbe Recht auf ei- die Offenbarung Allahs an Moham- punkt des religiösen Lebens auf. Die- hen theologischen Auseinanderset-
nen Lernprozeß erhalten, das sich - med niedergelegt ist. Sure 4, 136 se Hauptpflichten werden von der zungen kreisten um das Problem der
etwa bei den Menschenrechten enthält sinngemäß die Glaubensfor- Sunna, einer Sammlung von Kora- Einzigkeit Gottes u. der Möglichkeit
( i Grundrechte) u. dem Völkerrecht mel (sahäda), die die Zugehörigkeit nerläuterungen u. biographischen von Offenbarung, der Vorherbe-
- Europa u. Nordamerika auch ge- zum islamischen Glauben begründet: Begebenheiten aus dem Leben Mo- stimmung u. menschlichen i Frei-
nommen haben. "Es gibt keinen Gott außer Allah, u. hammeds, als die fünf Säulen (arkan) heit. Die strikt deterministische Auf-
Mohammed ist der Gesandte AI- des Islam bezeichnet. Vom i. Herr- fassung der Qadriten, die als Fata-
Lit.: ]. G. Herder, Ideen zur Philoso- lahs". Die vorislamischen sitt!. Prin- scher verlangt die i. E i Gerechtig- lismus, als Glaube an die qisma, das
phie der Geschichte der Menschheit; zipien u. Rechtsgrundsätze (i Tu- keit u. Sorge für die Armen und von Allah zugereilte i Schicksal,
Islamische Ethik 146
T 147 Jüdische Ethik

dem Islam nachgesagt wird, hat sich der politischen Vormachtstellung Eu- Lit.: Der Koran, in der übersetzung v. Paradigma einer t theologischen E
jedoch in der Gesamttradition nicht ropas einen Ausgleich mit dessen M. Henning, Leipzig 1901; ders., in der bezeichnet werden.
durchgesetzt. Die Auseinanderset- Rechtsvorstellungen suchte. Ihre In- Übersetzung von R. Paret, Stuttgart Der Glaube an Jahwe als den ei-
zung mit der philosophischen E wur- tegration (z. B. im Hinblick auf die 1962 ff; The Encyc10paedia of Islam nen t Gott, den Souverän über Na-
(New Edition), Leiden 1960 ff; G. Berg-
de durch die arabischen Übersetzun- t Ehegesetze u. eine völkerrechtlich strässer, Grundzüge des i. Rechts, Ber- tur u. Geschichte, der das Volk Israel
gen der griechischen Philosophie vertretbare Auffassung des heiligen !in/Leipzig 1935; H. Stieglecker, Die zum Bundespartner seines Handelns
zwischen 700 u. 900 n. ehr. möglich. Krieges) wurde durch eine Neuinter- Glaubenslehren des Islam, München! in der Geschichte erwählt, bildet den
Dem monotheistischen Prinzip war pretation der Tradition angestrebt. PaderbornfWien 1959; D. M. DonaId- unhintergehbaren Bezugspunkt jüdi-
der durch Porphyrios vermittelte In ähnlicher Weise beruft sich der son, Studies in Muslims Ethics, London scher t Sittlichkeit. Moralität ist for-
neuplatonische Gedanke der Ema- Islam in der Auseinandersetzung mit 1953; Pierre Rondot, Der Islam u. die mal definiert als Gehorsam gegen-
nation u. des Aufstiegs der Seele zur t
dem Sozialismus ( WirtschaftsE) auf Mohammedaner von Heute, Stuttgart
1963; G. Hourani, Reason and Tradi-
über dem souveränen Willen Gottes,
Vereinigung mit Gott verwandt. Da- verwandte Ideen in den i. Quellen. dessen Gebote, durch Moses u. die
tion in Islamic Ethics, Cambridge 1985;
neben gewannen durch die Überset- Ein besonderes Problem für die i. R. Houvannisian (Hrsg.), Ethics in Is- Propheten geoffenbart, in ihren süd.,
zung der Nikomachischen E des Ari- E stellen heute die t Menschenrechte lam, Malibu 1985; B. Tibi, Krise des rechtlichen u. kultischen Vorschrif-
stoteles das klassische Vernunft- dar; i. Staaten haben die internatio- modernen Islam, Frankfurt/M. 31991; ten den verpflichtenden Rahmen ei-
prinzip u. die auf Erkenntnis gestütz- nalen Verträge der Vereinten Natio- ders., Im Schatten Allahs: Der Islam u. nes guten, d. h. gottgefälligen Lebens
ten sitt!. Prinzipien durch AI-Farahr nen nur z. T. ratifiziert. Traditionali- die Menschenrechte, München/Zürich vorgeben. Die streng theozentrische
u. Ihn Sina (Avicenna) große Bedeu- stische Moslems sehen die Men- 1994; A. A. Au-Na'im u. B. Tibi in: Interpretation des Lebens u. der Ge-
tung. Ihren Höhepunkt fand die phi- schenrechte im Koran schon ver- A. A. Au-Na'im, F. Deng (Hrsg.J, Hu- danke völkischer Auserwählung füh-
losophisch bestimmte E des Islam in bürgt u. erwarten von einer Koran- man Rights in Africa, Washington ren zu einer unlöslichen Verschrän-
1990; M. Charfi, Die Menschenrechte
den Schriften des Ibn Miskawaihi u. Nachfolge, daß sie die Kehrseite, ei- ... in den i. Ländern, in: J. Schwart- kung von Theologie, t Politik u.
Al Ghazzah im 10. u. 11. Jh., die das ne individualistische u. desintegrierte länder (Hrsg.), Freiheit der Religion, t E. Kultisch-rituelle Vorschriften
sittL Prinzip der t Freude u. der Gesellschaft, verhindern. I. Rechts- Mainz 1993, 93-118; N. H. Abu Zaid, (bezüglich Sabbat, Fest- u. Fasttage,
t Tugend in den Mittelpunkt stell- schulen des 8. u. 9. Jhd.s entwickeln Islam u. Politik, Frankfurt/M. 1996. Beschneidung, Tempelkultus, Tora-
ten. Neuplatonisches fand neben der übrigens ein Instrument, das anderen A. S./O. H. studium, Speiseordnung) stehen
gnostischen Lehre des Mani, der Religionsgemeinschaften eine aller- gleichberechtigt neben Normen öf-
Prinzipien von t Gut u. t Böse onto- dings kollektive Autonomie verleiht. fentlichen u. privaten t Rechts wie
logisch durch Sein u. Nichsein inter- Moderne Moslems sehen in den J der t Moral im engeren Sinn. Die
pretierte, Eingang in die Bewegung Menschenrechten eine Herausforde- Dominanz des Gesetzesbegriffs u.
der i. Mystik (Sufismus), die in der rung, die neue Möglichkeiten im Is- Jüdische Ethik. -Die E, die sich im- seine juridische Auslegung hat in
Gottesliebe (ta~awwuf) u. der Eksta- lam zu entdecken hilft. Vorausset- plizit in den maßgebenden Schriften verschiedenen Phasen der Geschichte
se die sittL Vollendung erblickte. zung ist, daß man die Grundlage der jüdischen Religion findet - im des Judentums zu einer stark legali-
Insbesondere die Bewegung der Der- der nachmittelalterlichen Orthodo- Pentateuch, d. h. den 5 Büchern Mo- stischen Auffassung von Moral u.
wische suchte durch Musik u. Tanz xie, AI-Gazhalis Synthese aus Ge- ses, u. den Schriften der Propheten zur Ausbildung einer subtilen t Ka-
diese Vereinigung herbeizuführen. setzes- u. mystischer Frömmigkeit, als den beiden Teilen des Kanons, suistik geführt (vor allem im Tal-
Insgesamt orientierte sich die i. My- aufhebt, die Selbständigkeit von Phi- sowie in Talmud u. Midrasch als der mudismus). In Antithese hierzu stan-
stik am sitt!. Prinzip der persönlichen losophie u. t Wissenschaft wieder- kodifizierten mündlichen Lehre, in den immer wieder Strömungen, die
Nachfolge des Propheten. Mystik u. anerkennt, sich erinnert, daß der Is- der die gelehrte Auslegung der das Recht der Innerlichkeit, der Ge-
philosophische E standen in ständi- lam als eine individualistische Revo- Schrift, bestehend aus lehrhafter reli- sinnung, des persönlichen t Gewis-
ger Auseinandersetzung mit der lution innerhalb einer Stammesge- gionsgesetzlicher Anweisung (Ha- sens, der unmittelbaren Frömmigkeit
theologischen Orthodoxie, ehe sie in- sellschaft beginnt, nicht zuletzt, daß lacha) u. erbaulichen Betrachtungen, in den Vordergrund stellten, so in
tegriert wurden. Dies gilt auch für man einsieht, daß die Einheit von Erzählungen, Sittensprüchen, Gleich- Ansätzen bei den Propheten, etwa
den modernen Reformismus des 19. Thron u. Altar nicht nur der Politik, nissen (Haggada) des nachbiblischen Jeremias, in den asketisch~apokalyp­
u. 20. Jh., der unter dem Eindruck sondern auch der Religion schadet. Judentums versammelt ist - kann als tischen Täuferbewegungen der Zei-
T
Jüdische Ethik 148 149 Kasuistik

tenwende, etwa bei den Essenern, Volksgenossen beschränkt, sondern u. a., Die Lehren des Judentums nach u. Handlungssituationen nicht zurei-
den Heiligen von Qumran, der Je- explizit den Fremdling einbezieht den Quellen, 3 Bde., Bcrlin 1920-29 chend u.loder eindeutig bestimmen
susbewegung, in der mittelalterli- (Exodus 23, 9). Neben der Grundtu- (Bd. I Die Grundlagen der j. E.); J. Z. (v. a. in den Grenzsituationen von
chen, aus neuplatonischem Gedan- gend der Gottesfurcht (so vor allem Latltcrbach, The Ethics of Halakah, Gewissenskonflikten u. i Pflichten-
Rabbinical Essays, Cinncinati 1951;
kengut gespeisten Mystik der Kab- in den Weisheitsbüchern) steht also kollisionen); sie ist möglich, weil sich
I. Mattuck, Jewish Ethics, London
bala u. deren neuzeitlicher Spätblüte, die Nächstenliebe, deren formales 1953; E. 1. Berkovits, Was ist der Tal- konkretes Handeln sowohl durch
dem Chassidismus des osteuropäi- Prinzip in der t Goldenen Regel des mud?, Frankfurt/M. 21963; L. Baeck, einmalige u. unwiederholbare wie
schen Judentums (M. Buber), sowie Rabbi Hilfe! klassischen Ausdruck Das Wesen des Judentums, Darmstadt durch allgemeine u. schematisierbare
in der jüdischen Aufklärung (etwa fand. Die j. E ist ferner entscheidend 61966; L. Goldschmidt, Der babyloni- Momente konstituiert; sie wird pro-
Moses Mendelssohn) u. im Neukan- geprägt vom Begriff der Vergeltung. sche Talmud (Deutsche Übersetzung in blematisch, insofern sie durch Samm-
tianismus (H. Cohen). Der jüdische Gott ist der Gott der 12 Bänden), Bedin 21968; M. Mielzi- lung u. Systematisierung exemplari-
Die j. E bildet kein ges'chlossenes i Gerechtigkeit, der menschliches ner, A. Guttmann, Introduction to the scher Fälle ein bis ins Kleinste spezi-
Talmud, New York 41968; M. Fox,
System wie etwa die katholische Handeln nach Maßga be von Schuld Modern Jewish Ethics, Ohio 1975; fiziertes Gesetzessystem zu liefern
t Moraltheologie. Gleichwohl lassen u. Verdienst belohnt u. bestraft, der M. M. Kellner (Hrsg.), Contemporary beansprucht, das alle möglichen
sich neben der theonomen Begrün- Gott der Rache (Psalm 94, 1), der Jewish Ethics, New York 1978; S. D. Fälle erschöpfend regelt u. das Han-
dung zwei Grundgedanken angeben, Gott der Vergeltung (Jeremias 51, Breslaucr, Contemporary Jewish Ethics. deln seines t Freiheits- u. t Verant-
die die Moralvorstellungen des Ju- 56). Der altorientalische Gedanke A Bibliographical Survey, Westport wortungsspielraumes beraubt. Un-
dentums entscheidend bestimmen, der Vergeltung im Diesseits u.!oder Conn. 1985; ders., Modern Jewish Mo- umstritten ist die Notwendigkeit der
der Gedanke der Nächsten- t Liebe (im nachexilischen Judentum) im rality. A Bibliographical Survey, West- K. für die konkrete Rechtsfindung.
u. der der Vergeltung. Die älteste sy- endzeitlichen Gericht wird zum pri- port Conn. 1986; O. Höffe, Moral Auch eine philosophische i E, die
als Preis der Moderne, Frankfurt/M.
stematisierende Fassung j. E, auf die mären Motiv der t Sittlichkeit (vgl. 31995, Kap. 12.2: "Macht euch die sich nicht auf eine t Begründung
sich alle weitere Auslegung u. Diffe- etwa R. Akiba, Abot 3, 1) u. bedingt Erde untertan". M. F. allgemeiner Prinzipien u. Normen
renzierung bezieht u. die der zeitwei- einen stark eudämonistischen Zug j. sittl. Handelns beschränkt, wird auf
ligen Verengung des Interesses auf E (vgl. etwa das Gebot: Du sollst Va- K. nicht verzichten können (vgL et-
Fragen des Ritus, Kultus, des kasui- ter u. Mutter ehren, auf daß es dir K wa Kants Metaph. d. Sitten, 2. Teil).
stischen Rechts u. der nationalen wohl ergehe auf Erden); zugleich be- Eine Theorie sitt!. Handeins zielt auf
Sittlichkeit als Korrektiv zur Seite stimmt er entscheidend den in Straf- Kampf ums Dasein t Sozialdarwi- Handeln ab, u. dieses ist je konkret.
stand, ist der mosaische Dekalog rechtsfragen leitenden Grundsatz, nismus. Die heute gängige Aversion gegen
(Exodus 20; Deuteronomium 5). wonach der Täter die gleiche Verlet- Moral-K. resultiert z. T. aus berech-
Neben Weisungen der Gottesvereh- zung an Leib u. Gütern erdulden soll, Kapitalismus t WirtschaftsE. tigter Kritik gegen das geschlossene
rung u. der Sabbatheiligung haben die er zufügte oder verursachte (lex System moralischer Vorschriften u.
diese Zehn Gebote allein das Ver- talionis, vg!. Exodus 21, 23-25; Le- Kardinaltugenden t Tugend. Sündenregister, das von der katholi-
hältnis zum Mitmenschen zum Inhalt viticus 24, 18.20; Deuteronomium schen i Moraltheologie der nach tri-
(Elternliebe, Verbot von Mord, Ehe- 19, 21; Weisheit 11, 16; Äth. He- Kasuistik (lat. casus: der Fall). Unter dentinischen Ära im 17. u. 18. Jh. bis
bruch, Diebstahl, Lüge). Auf dem noch 41, 1; R. Abika, Abot 3.16). - K. versteht man die an Einzelfällen zu skurriler Perfektion gesteigert
Monotheismus fußt dabei der zentra- Vgl. i anthropozentrisches u. bio- exemplifizierte methodische Anlei- wurde (t Probabilismus). Die prote-
le Gedanke, daß die Menschen als zentrisches Denken. tung, die allgemeinen t Normen des stantische Theologie lehnt im allge-
Menschen einander gleich sind, näm- i Rechts- oder Sittengesetzes auf meinen unter Berufung auf die per-
Lit.: Moses Mendelssohn, Schriften
lich als Kinder u. Ebenbilder Gottes. konkrete i Handlungen u. Hand- sonale Unmittelbarkeit des göttlichen
zum Judentum; M. Lazarus, The Ethics
Daraus resultiert die Pflicht der of Judaism, 2 Bd., Philadelphia 1900; lungssituationen anzuwenden bzw. Gebotes, das im Hören des geoffen-
Nächstenliebe (vgl. Leviticus 19, 18), H. Cohen, Jüdische Schriften (Hrsg. das im Einzelfall geltende u. anzu- barten Wortes den Gläubigen in An-
die sich nicht nur, wie die christliche F. Rosenzweig), 3 Bde., Berlin 1924; wendende Gesetz zu finden. Sie ist spruch nimmt, die Moral-K. als
Auslegung bis zu Beginn des 20. Der Nächste (Hrsg. F. Rosenzweig), notwendig, weil die allgemeinen ,gesetzliches' Mißverständnis des
Jahrhunderts glauben machte, auf den Berlin 1935; 1. Baeck, M. Dienemann Normen die konkreten Handlungen Evangeliums ab. Eine unumgängliche
-.
,

Kategorischer Imperativ 150 151 Klugheit

Rehabilitierung erlebt die K. zur Zeit tiv, allgemein u. notwendig gültig; er Ut.: L Kant, Grundlegung zur Meta- Unterschied dazu billigt eine univer-
in der Angewandten E, insbesondere ist das Grundgesetz reiner prakti- physik der Sitten; H. J. Paton, Der K. sale E allen l' Menschen in gleicher
der l' medizinischen E. scher Vernunft (eines von empiri- 1., Berlin 1962; R. M. Hare, Freiheit lt. Weise ein Streben nach l' Glück, den
schen Bedingungen unabhängigen Vernunft, Düsscldorf 1973; J. Ebbing- Anspruch auf die Erfüllung ihrer
Ut.: Augustinus, Enchiridion ad Lau- haus, Die Formeln des k. L, in: Ges.
Begehrungsvermögens). Sein Ur- Aufsätze, Darmstadt 1968; K. Cramer, humanen Bedürfnisse u. eine morali-
rentium, cap. 78; Angelus de Clavasio,
Summa de casibus conscientiae vulgo sprung liegt in der Autonomie des Hypothet. Le, in: M. Riedel (Hrsg.), sche Urteilsfähigkeit zu. Eine univer-
Summa Angelica, Venedig 1468; Alfons Willens ( l' Freiheit). Mit der Auffor- Rehabilitierung der prakt. Philosophie, sale E macht die Gültigkeit sittL
v. Liguori, Theologia moralis; 1. Kant, derung zum sittl. Handeln nennt der Bd. I, Freiburg 1972; R. P. Wolff, The Normen von ihrer vernünftigen
Metaphysik d. Sirren, 2. Teil; J. Maus- k. I. zugleich das höchste Kriterium Autonomy of Reason, New York 1973; l' Begründbarkeit im Hinblick auf
bach, Die katholische Moral u. ihre dafür (1' Moralprinzip): "Handle nur M. G. Singer, Verallgemeinerung in der die allgemeinen Ziele der l' Humani-
Gegner, Köln 5 1921; F. v. Hippe1, nach derjenigen Maxime, durch die E, Frankfurt/M. 1975; O. HöHe, Im- tät, nicht aber vom historischen
Richtlinien u. K. im Aufbau von du zugleich wollen kannst, daß sie manuel Kant, München 4 1996, Kap. 9; Stellenwert politischer U. sozialer
Rechtsordnungen, Marburg 1942; ders. (Hrsg.), Grundlegung zur Meta-
ein allgemeines Gesetz werde." Da Ziele einzelner Gruppen oder Partei-
J. Klein, Ursprung u. Grenzen der K., das Dasein der Dinge nach allgemei-
physik der Sitten, Frankfurt/M. 2 1993;
Festsehr. F. Tillmann, Düsseldorf 1950; ders., Kategor. Rechtsprinzipien, Frank- en abhängig.
G. Söhngen, Gesetz u. Evangelium, nen Gesetzen der formale Begriff der furt/Mo 1990; R. Bittner, Hypotheti-
Freiburg i.Br. 1957; Th. Nisters, Akzi- l' Natur ist, lautet der k. I. auch: sche Le, Zeitsehr . f. philosoph. For- Ut.; l' Marxistische E. w, V,
dentien der Praxis, Freiburg/München "Handle so, als ob die Maxime dei- schung Bd. 34, 1980. O. H. Klassenkampf l' Marxistische E.
1992; G. Patzig, Gesammelte Schriften ner Handlung durch deinen Willen
II, Göttingen 1993. M. F. zum allgemeinen Naturgesetz wer- Keuschheit l' Sexualität. Klugheit (gI. phronesis, lat. pruden-
den sollte." Der k. I. spricht keine tia) als philosophischer Terminus
Kategorischer Imperativ heißt in der genauen Handlungsanweisungen an. Kirche l' Religion. gewinnt seine festumrissene Bedeu-
E Kants jenes schlechthin höchste Doch lassen sich mit seiner Hilfe per- tung durch die Aufteilung des Ge-
Gebot (Sollen), das ohne jede Ein- sönliche Lebensgrundsätze, eben Klassenethik. Die K.E ordnet die Kri- samtbereichs der Philosophie in eine
schränkung, also unbedingt gültig Maximen, als sittl. oder nichtsittI. terien der i Sittlichkeit dem gemein- theoretische U. eine praktische Sphä-
ist. Der k. L steht im Gegensatz zu beurteilen. Als 1. betrifft der k. I. nur samen politischen, ökonomischen re. Wiewohl auch l' praktische Phi-
'hypothetischen Len, die als (techni- die sog. endlichen Vernunftwesen u.!oder sozialen Interesse einer ge- losophie Theorie ist LI. bezüglich der
sche) Le der Geschicklichkeit nur un- ( l' Menschen), die im Unterschied zu sellschaftlichen Gruppe (Klasse) un- Pflicht zur reflexiven Aufklärung ih-
ter Voraussetzung gewisser Absich- reinen Vernunftwesen (1' Gott) auch ter. Dies geschieht Z. B. in der rer Begriffe u. zur Strenge ihrer Be-
ten gelten (z. B. wer reich werden durch l' Sinnlichkeit bestimmt sind, l' marxistischen E, die die l' Moral weise u. l' Begründungen nicht hin-
will, muß weit mehr Einnahmen deshalb nicht notwendig sittlich han- als eine Form des ökonomisch be- ter der theoretischen Philosophie
als Ausgaben haben) oder die als deln u. so überhaupt unter Len ste- stimmten gesellschaftlichen Bewußt- zurückbleibt, so ist ihre Unterschei-
(1' pragmatische) J.e der l' Klugheit hen. - Im Anschluß an den k. I. Kants seins betrachtet u. damit einen funk- dung von reiner Theorie gerechtfer-
bestimmte Handlungen als Mittel haben neuere Ethiker (Hare Singer)
J tionalen Zusammenhang zwischen E tigt durch ihren spezifischen Objekt-
zum eigenen l' Glück gebieten (z. B. das Prinzip der Verallgemeinerung U. geschichtlichen Lebensprozessen bereich (menschliches Handeln) U.
Diätvorschriften). Der k. L fordert (Universalisierungsprinzip) als Mo- herstellt. Sütl. ist danach, "was der durch ihren Ausgang von spezifl-
zu Handlungen auf, die nicht in be- ralprinzip formuliert: "Man sollte Zerstörung der alten Ausbeuterge- schen Formen der Erkenntnis (sittL
zug auf etwas anderes, sondern als keine Handlung ausführen, deren all- sellschaft ... dient" (W. I. Lenin) U. Einsicht), die ihren Gegenstand nicht
solche für sich selbst gut sind gemeine Ausführung schlechte Fol- die Entwicklung zu einer klassenlo- lediglich darzustellen, sondern ihn zu
( t Sittlichkeit), Sie sind (a) fall-, (b) gen hat." Doch werden hier nicht Ma- sen l' Gesellschaft fördert. Allgemein gestalten U. zu verändern streben.
personen- u. (c) kultur- u. epo- ximen (1' Normen), sondern direkt setzt eine K.E ihre süd. Kriterien ab- Praktische Philosophie verständigt
chenunabhängig ( l' interkultureller die Handlungen verallgemeinert; fer- solut U. räumt Menschen anderer sitd. Einsicht über sich selbst u. tritt
Diskurs). Weil der k. L jede (subjek- ner sind Folgeüberlegungen erforder- Klassen nicht den gleichen sittL Wert insofern selbst in die Sphäre des
tive) Absicht, auch die allgemeinste, lich, die der k. I. als Kriterium reiner U. die gleiche Kompetenz, süd. zu Praktischen ein. Der Inbegriff der der
das Glück, ausschließt, ist er objek- Vernunft ausdrücklich abwehrt. handeln, ein ( l' Diskriminierung). Im Praxis eigenen Erkenntnisweisen
T
Klugheit 152 153 Kommunikation

wird von der aristotelischen Traditi- die Arten der Durchführung, die u. als Praxis unwiederholbar, unwi- malen konkreter Praxis. Eine philo-
on als K. (phronesis) bezeichnet. Da- möglichen Folgen u. die Zeitumstän- derruflich u. unbedingt, zugleich in sophische E, die sich nicht auf die
von unterscheidet sich der vor allem de reflektiert; die Verständigkeit seinen einzelnen Akten wie im gan- Legitimation von Normen wie auf
durch Kant definierte Begriff der K., (synesis), die in Kommunikation mit zen vernunftbestimmt sein soll. die Rekonstruktion schematisierter
der diese als pragmatisches Wissen anderen ein eigenes Urteil über das (b) K. verliert ihren dominierenden Handlungen u. Handlungssituatio-
um die zur Beförderung eigener süd. Rechte zu finden vermag; die Rang als ,Herrin des Lebens', sobald nen beschränkt, sondern das emi-
Glückseligkeit dienlichen Mittel be- geistige Gewandtheit (deinotes), die dieses sein Ziel nicht mehr in seinen nent praktische Problem der Anwen-
stimmt. Diese Bedeutung ist im heu- dem geschickten Erfassen u. Verwer- vollendeten Handlungen, sondern in dung der Norm auf den kategorial
tigen Sprachgebrauch dominant. ten der auf ein gegebenes Ziel hin- einer transzendenten Anschauung heterogenen konkreten Sachverhalt
(a) Im Rahmen der Unterschei- tendierenden Umstände dient. Ent- t Gottes zu finden glaubt, dem alles mitbedenkt, wird auf eine Analyse
dung von theoretischer u. prakti~ scheidend ist freilich, daß die die K. Handeln als Vorbereitung dient. Das der sitd. Urteilskraft, die von Aristo-
scher Erkenntnis steht Weisheit (so- konstituierenden Teiltugenden dem Wissen um das eine, absolute Ziel teles unter dem Titel Phronesis einge-
phia) für die Vollendung theoreti- Richtmaß des sittl. geglückten Le- wird Sache gläubiger, kontemplati- führt wurde, nicht verzichten kön-
schen Wissens, das ein kontemplati- bens zugeordnet bleiben. Nur so ver Weisheit (sapientia), die Kenntnis nen.
ves Wissen um die Ursachen u. letz- kann sich K. als allen praxisbezoge- universaler praktischer Gesetze Sa-
Lit.: Aristoteles, Nikomach. E, Buch
ten Prinzipien alles Seienden anzielt nen Verstandestugenden voranste- che des t Gewissens (synderesis), die VI; Thomas v. Aquin, Summa theol. 11-
u. im Veränderlichen u. Kontingen- hende Trefflichkeit verstehen, als ei- K. (prudentia), der sapientia u. syn- 11, q. 47; D. S. Hutehinson, The Virtues
ten das Unveränderliche, Notwendi- ne mit rechter t Vernunft verbun- deresis instrumentell nachgeordnet, of Aristotle, London 1986; P. Au-
ge, Gesetzmäßige, Allgemeine sucht. dene, zum Habitus verfestigte Fähig- bewahrt dann lediglich die Funktion benque, La prudence chez Aristote, Pa-
K. hingegen ist jene Verstandestu- keit des HandeIns im Bereich des rechter Erkenntnis der Mittel zum ris 1962; ]. Pieper, Traktat über die K.,
gend, die im Blick auf das allgemeine dem Menschen Wertvollen. K. ist anderwärts vorgegebenen Endzweck München 71965; R. A. Gauthier, ]. Y.
Ziel menschlichen Lebens (das demnach sittl. Urteilskraft, die auf- (vgl. Thomas v. Aquin, Summa JoUf, L'Ethique a Nicomaque, Lou-
vain/Paris 1970, vol. I, 1, 267-283;
t Glück des Einzelnen, des Hauswe- grund natürlicher Verstandesfähig- theol. lI-lI, q 47 a 6). Auf dieser Li-
W. Wieland, Praxis u. Urteilskraft,
sens, der Polis im Ganzen) im kon- t
keiten u. einer auf Entscheidung u. nie liegt noch die Bestimmung der K. Zeitschr. f. philos. Forsch., 28, 1974;
kreten Einzelfall das t Gute zu tref- Gewöhnung beruhenden sittl. Grund- durch Kant: sie ist Wissen um die O. Gigon, Phronesis u. Sophia in der
fen u. das Handeln zu leiten vermag. haltung im Feld der Praxis das Ein- Mittel u. Wege zur Beförderung ei- Nikomach. E ... , Festschr. C. J. de
Menschliches Glück realisiert sich in zelne mit dem Allgemeinen zu ver- gener Glückseligkeit. Und da Vogel, Assen 1975; R. Bittner, Moral.
vollendetem Handeln, u. menschli- mitteln vermag. K. ist die zur t Tu- t Glück nicht mehr als leitendes Gebot oder Autonomie, Freiburg/
ches Handeln ist je konkret. Die auf gend gewordene Fähigkeit zu einem Prinzip sitd. Lebens fungiert, ist die München 1983, Kap. VI; R. Spaemann,
rechtes Handeln zielende praktische durch vernünftige Überlegung ge- Tugend der K. nur noch von prag- Glück u. Wohlwollen, Stuttgart 1989,
Vernunft ist deshalb nicht nur nor- lenkten Handeln in allen Einzelfäl- S. 73 ff; O. Höffe, Moral als Preis der
matischer, nicht aber von sitt!. Be- Moderne, Frankfurt/M. 31995, Teil 1I-
matives Wissen um allgemeine sittl. len, die nie adäquat u. zureichend als deutung (Grundl. z. Metaph. d. Sit- 1II; eh. Schröer, Praktische Vernunft
Prinzipien, t Normen u. Regeln, Fälle einer allgemeinen Handlungs- ten, 2. Abschn.). Die Idee einer bei Thamas v. Aquin, Stuttgart 1995,
sondern auch rechtes handlungslei- norm u. einer schematisierten Hand- praktischen Philosophie u. mit ihr Kap. II; Th. Ebert, Phroncsis. An-
tendes Situationsverständnis. Als lungssituation erfaßbar sind. Das der zentrale Begriff der K. (im Sinn merkungen zu einem BeghH der Aristo-
konstitutive Momente der K. werden Ziel der t Sittlichkeit ist sittl. Han- der phronesis) gerät ferner in dem telischen E, in: O. HöHe (Hrsg.), Ari-
deshalb bei Artistoteles neben ihrer deln, u. dieses kann ob seiner eigenen Maß in Vergessenheit, in dem sich stoteles: Die Nikomach. E, Berlin 1995,
Orientierung am guten u. geglückten Struktur der Zeitlichkeit u. Situati~ die Konzeption der neuzeitlichen 165-185. M. F.
Leben im ganzen jene Fähigkeiten onsabhängigkeit nur Gegenstand ei- Wissenschaft als für alle Theorie
ner spezifisch praktischen Vernunft
Kognitivismus t MetaE.
genannt, die die rechte Urteilsbil- verbindlich durchsetzt: baut sich die-
dung in den Einzelfällen des Han- sein. K. ist die Grundtugend mensch- se doch auf durch normierte, situati-
delns ermöglichen: die richtige Über- lichen Lebens, insofern dieses, in un- onsenthobene, wiederholbare, sche-
Kolonialismus t Diskriminierung.
legung (eubulia), die das konkrete terschiedlichen, je 'wechselnden, nie matisierte Handlungen u. sieht ab Kommunikation nennen wir ein Be-
Ziel bedenkt u. über Alternativen, eindeutig bestimmbaren Umständen von entscheidenden Strukturmerk- ziehungsgeschehen (Interaktion) zwi-
Kommunikation 154
T 155 Kommunikation

sehen Menschen, das auf Verständ- geregelten Austausches. K. gewinnt ihr besonderer Gehalt in die allgemei- sönlichkeit eintreten. Frühe affektive
nis abzielt. Für t sitt!. t Handeln als jedoch erst dann ihren vollen Sinn, ne Symbolik der Sprache eingebracht u. bildhaft-imaginäre Erlebnisfor-
eine Vermittlung des t Selbstinteres- wenn sie über die formale Regelung wird (Lacan). Das Wort der primä- men, die nicht in die allgemeine
ses mit dem der anderen, wie dies hinaus wesentliche menschliche Be- ren Bezugsperson (Mutter) repräsen- Symbolik der Sprache Eingang ge-
etwa die t Goldene Regel fordert, ist dürfnisse einbeziehen u. (inhaltlich) tiert diesen allgemeinen vorstruktu- funden haben, sondern aus ihr ver-
K. eine notwendige Bedingung. So- anerkennen kann. K. besteht dann in rierten Sinn der Sprache. Durch das drängt wurden, bewirken, daß sich
zialphilosophisch gesehen steht sie der Intention, daß nicht nur jeder Vorsprechen in Verbindung mit dem in die allgemein vollziehbare sprach-
im Dienste der t Bedürfnisbefriedi- Teilnehmer sein Selbstsein im An- Gefühlsausdruck (in Gestik u. Mi- liche K. narzißtisch-imaginäre Erleb-
gung u. daher im Zusammenhang derssein realisieren kann, sondern mik) u. praktischen Anweisungen nisformen einschieben, die den Ein-
mit der t Arbeit. Deren Organisati- daß das "Tun des Einen" ebenso das (Handlungen) stiftet sie den Zusam- zelnen der Allgemeinheit entfremden
on verlangt eine Verständigung über "Tun des Anderen" (Hegel) ist. Die menhang mit den Intentionen u. dem ( t Krankheit). Dabei kann sowohl
Produktionsgüter, Produktionsweise Interaktion gewinnt die Form des Ausdrucksbedürfnis des Kindes u. die Befangenheit in der Eigenwahr-
(Arbeitsteilung) u. Verteilung der Dialogs ihrer Mitglieder. fädelt sie in die Sprache ein. Vor- nehmung die Fremdwahrnehmung
Produkte (Distribution: t Gerechtig- t Anthropologisch gesehen be- strukturierter Sinn der Symbole u. verdecken (schizoide oder autistische
keit), Selbst dort, wo sich K vom stimmt K die menschliche Sozialisa- sinnbildende Intention des einzel- K.form) wie das Aufgehen im Frem-
Zusammenhang der Arbeit löst u, tion, längst bevor sich die Befähi- nen verbinden sich damit in der Ein- derleben die Selbstwahrnehmung
der Befriedigung geistiger (wissen- gung zur Arbeit ausgebildet hat. Vor- führungssituation der Sprache u. auslöschen (depressive oder symbio-
schaftlicher, musischer oder religiö- formen der K. finden sich bereits im ermöglichen die Begegnung der tische Kform). Die Auflösung der K.
ser) Interessen dient, muß der Frei- affektiven Austausch von Körpersen- Sprechenden im allgemeinen Sym- kann im Grenzfall bis zur wahnhaf-
raum der Muße durch Arbeit ermög- sationen zwischen Mutter u. Kind, bol, d. h. K in Form des Ge- ten Verkennung der Umwelt führen.
licht sein. K. in Arbeit u. Muße zeigt die die ersten Lebensmonate bestim- sprächs. K.störungen im persönlichen Bereich
die Doppelstruktur, daß in ihr Sach- men. Auf ihm baut der Erwerb der Die sittl. Bedeutung von K. wird verweisen indirekt auf allgemeinge-
informationen ausgetauscht werden Wahrnehmungsfähigkeit auf, die be- aus dem Versuch des Rückzugs von sellschaftliche Probleme, ohne durch
(semantisch-syntaktischer Aspekt) u. reits eine taktil-optisch-akustische K ihr u. aus Störungen deutlich. Die sie zureichend erklärt werden zu
daß gleichzeitig die Art der Bezie- ermöglicht, wie sie besonders im Fähigkeit des Menschen, in der Re- können. Politische Unterdrückung hat
hung zwischen den Menschen festge- blickerwidernden Lächeln des Säug- flexion sich selbst zuzuwenden, er- ihre Entsprechung in psychischer, die
legt wird (pragmatischer Aspekt). K. lings deutlich wird. Von entwickelter öffnet ihm die Möglichkeit des unter besonderen Bedingungen zur
über gesellschaftlich notwendige u. K. können wir erst sprechen, wenn Rückzugs aus der K. in eine relative Verdrängung wird. Die Wiederher-
sinnvolle Arbeit kann nur gelingen, im Zusammenhang der sog. Achtmo- Einsamkeit. Da jedoch selbst dieses stellung gesellschaftlicher Kais sittl.
wenn alle Arbeitenden in sie ein- nateangst eine individuelle Bezugs- Sichzurückziehen in die Innerlichkeit Aufgabe unterliegt daher anderen
bezogen werden. Sie setzt gesell- person ausgesondert u. durch Einfüh- im Medium von t Leib u. Sprache Bedingungen als der therapeutische
schaftlich-politische Anerkennung rung in die Sprache (ca. 15. Lebens- seinen Ausdruck findet, ist zu be- Prozeß, wenngleich sie sich wechsel-
voraus. Im Herrschafts-Knecht- monat) eine symbolische Interaktion zweifeln, ob ein vollständiger Zu- seitig voraussetzen. Im politischen
schaftsverhältnis, in dem die Arbeit (G. H. Mead) möglich ist. Diese kann stand der Icheinsamkeit (Solipismus) Bereich müssen sich die Beteiligten
dem Knecht, die freie Verfügung über freilich nur gelingen, wenn die af- unter nichtpathologischen Bedingun- selbst reflexiv über ihre unterdrück-
die Produkte dem Herrn zugeteilt ist, fektiven Beziehungsformen der frü- gen denkbar ist. Vielmehr sind Ein- ten Bedürfnisse verständigen u. stok-
beschränkt sich die K. auf despoti- hen Kindheit Eingang in den Sym- samkeit u. K. zwei Pole menschlicher kende K. wieder in Gang setzen. Dies
sches Befehlen u. Gehorchen. Erst die bolgebrauch finden, d. h. wenn die Beziehung, die sich wechselweise kann nur gelingen, wenn den Mit-
Befreiung aus der politischen Un- Sprache zur angemessenen Aus- voraussetzen u. daher sittl. gesehen gliedern der Kgemeinschaft die eige-
mündigkeit ermöglicht mit der (for- drucksform der Gefühle wird. Zu- in einem komplementären Verhältnis nen' Bedürfnisse erlebnismäßig prä-
malen) Anerkennung der prinzipiel- gleich muß die Befangenheit des stehen. Dagegen vollzieht sich eine sent sind u. sie durch ein Minimum
len Gleichrangigkeit aller Mitglieder Kindes in den bildhaft-imaginären Er- tiefgreifende Vereinsamung in den an unmittelbarer K.bereitschaft den
einer Gesellschaft ( t Gleichheit) eine lebnisweisen des primären Narziß- Störungen der K., die durch eine Diskurs tragen. Dieser kann nur in
K. form von der Art eines vertraglich mus dadurch ausgelöst werden, daß neurotische Veränderung der Per- dem Maße erfolgreich sein, als sich
T
Kommunismus 156 157 Konflikt

seine Resultate politisch realisieren communities) betonen: ihre kulturel- samkeiten der ,Geschichte, ,Reli- tigkeit, Frankfurt/M. 1994; M. Sande!,
lassen. Beim therapeutischen Prozeß len Besonderheiten, ihren Wert für gion U. politischen ,Hoffnung ein- Liberalismus oder Republikanismus,
die Integrität einer ,Person, für die setzt. Gegen die Entwicklung einer Wien 1995; A. Etzioni, Die Entdeckung
hingegen erfordert es die sitt!. Ver-
Bildung der ,Moral u. die eines des Gemeinwesens, Stuttgart 1995;
pflichtung gegenüber der eigenen Ge- die Einzelstaaten nicht ersetzenden, E. Teufel (I-Irsg.), Was hält die moder-
sundheit, sich an den "neutralen An- Wir-Gefühls. Nicht in den anony- aber sie übergreifenden , We1tre- ne Gesellschaft zusammen?, Frank-
deren", den Therapeuten, zu wen- men, pluralistischen Gesellschaften, publik ist er skeptisch (, Patriotis- furt/Mo 1996; O. Höffe, Vernunft u.
den, der die Bedingungen einer emo- sondern nur in überschaubaren, auf mus-Kosmopolitismus). Recht, Frankfurt/M. 1996, Kap. 7:
tionalen Wiederherstellung der Person gemeinsame Werte verpflichteten Der vieldeutige Ausdruck "Ge- zumK. O.H
schafft u. die Fäden der K knüpft. Gemeinschaften könne man noch ei- meinschaft" (Tönnies) - er kann
Diese kann nur in dem Rahmen ge- nen greifbaren, die Leiden U. Ängste ,Familien oder Nachbarschaften Kompetenz, humane i Erziehung.
lingen, den der Stand der allgemein- der Menschen rechtfertigenden Le- meinen, Vereine, politische oder re-
gesellschaftlichen K. vorzefchnet. benssinn vermitteln. Im Ergebnis ligiöse Gemeinden, selbst einzelne Kompetenz, sittl. ,Erziehung.
verwandt, aber unabhängig entwik- Staaten - wird kaum näher be-
Lit.: Aristoteles, Politik, Kap. I, 2; kelt, mit Hegels anspruchsvollem stimmt. Der K. unterschätzt den
G. W. F. Hegd, Phänomenologie des Kompromiß ,Konflikt.
Gedanken der substantiellen ,Sitt- , Pluralismus der Moderne, die Ge-
Geistes, S. 141f; M. Buber, Ich u. Du;
M. Theunissen, Der Andere, Berlin lichkeit im Hintergrund u. als Kritik rechtigkeit als gemeinsames Erbe der
der Traditionsvergessenheit in der Menschheit H. den begrifflichen Un- Konditionieren ,Belohnen u. Be-
1965; G. H. Mead, Geist, Identität u.
, Frankfurter Schule setzt sich Mar- terschied zwischen einem Kern strafen.
Gesellschaft, Frankfurt/M. 1968; Watz-
lawick, Beavin, ]ackson Menschliche quard für Üblichkeiten ein. universalistischer Moral U. ihrer kul-
j
K., Bern/StuugartfWien 1972; B. Wal- Der nordamerikanische K. fordert turspezifischen Ausprägung (i inter- Konflikt (lat. confligere: streiten) be-
denfels, Das Zwischenreich des Dia- i Gemeinsinn U. Bürgertugend (Et- kultureller Diskurs). Er überschätzt zeichnet allgemein einen Gegensatz,
logs, Den Haag 1971; K-O. Apel, zioni). Er rehabilitiert im Anschluß gern das Gewicht der Gemeinschaft keinen unversöhnlichen Wider-
Transformation der Philosophie, Frank- an Aristoteles Theorien des guten spruch, zwischen ,Personen, Ideen,
im Verhältnis zum letztentschei-
furt/Mo 1973, Bd. H, S. 220-263 U.
Lebens. Er kritisiert die Aufklärung, denden Maß, dem einzelnen Men- tWerten U. ,Handlungen. (1) Ke
330-435; J. Lacan, Funktion U. Feld
des Sprechens U. der Sprache in der namentlich Kants PflichtE, er zwei- schen (, Subsidiarität). Schließlich sind innerhalb oder zwischen staatli-
Psychoanalyse, Schriften I, Frank- felt an der Möglichkeit einer ge- übersieht er bei der Berufung auf chen, ökonomischen u. ideologischen
furt/Mo 1975; M. Auwärter, E. Kirsch, schichts-u.kulturunabhängigen ,Be- Aristoteles, daß auch dessen E uni- ,Ordnungen möglich. In beiden
K. Schröter (Hrsg.), K., Interaktion, gründung der Moral; selbst für versalistisch ist. Fällen können die K parteien be-
Identität, Frankfurt/M. 1976; W. Zim- , Gerechtigkeit gebe es keine univer- stimmte i Normen U. ,Interessen
merli (Hrsg.), K, München 1978; salen Prinzipien (MacIntyre). In sei- Lit.: G. W. F. Hegel, Rechtsphiloso- teilen, sie aber verschieden auslegen
Handbuch der christI. E, Bd. III, Kap. ner Kritik am Liberalismus wirft der phie, III. Die Sittlichkeit; F. Tönnies, oder für unterschiedliche Zwecke in
6: Zur E der Informationsmedien; Gemeinschaft U. Gesellschaft, Berlin
H. Maier (Hrsg.), E der K., Freiburg K. ihm vor, von einem geschichts- U. Anspruch nehmen. Uneingeschränkte
8 1935; M. Taylor, Community, Anar-
i. Ü. 1985; J. Habermas, Theorie des gesellschaftsunabhängigen Subjekt, chy, and Liberty, Cambridge 1982; K.e im Sinne kriegs- oder bürger-
kommunikativen Handelns, 2 Bde., einem "ungebundenen Selbst", aus- O. Marquard, Apologie des Zufälligen, kriegsähnlicher Auseinandersetzun-
Frankfurt/M. 1981; ders., Moralbe- zugehen (Sandel) U. die für eine Ge- Stuttgart 1986, 117-139; A. Mac- gen sind dann möglich, wenn die
wußtsein u. kommunikatives Handeln, sellschaft notwendigen moralischen Intyre, Whose Justice? Which Rationa- K.parteien unvereinbare Normen U.
Frankfurt/M. 21985. A. S. Ressourcen nicht erneuern zu kön- !ity? London 1988; E.-W, Böckenförde, Interessen vertreten oder keine ver-
nen (Böckenförde). Gegen Unifor- Recht, Staat, Freiheit, Frankfurt/M. bindlichen Normen bei widerstrei-
Kommunismus ,Marxistische E. 1991, 92-114; M. Walzer, Zivile Ge-
misierungstendenzen in der vielfälti- tenden Interessen vorhanden sind.
gen Globalisierung stellt der Kein sellschaft u. amerikanische Demokratie, Die Möglichkeit eines solchen tota-
Kommunitarismus nennt sich eine Berlin "1992; A. Honneth (Hrsg.), K.,
Familie von sozialtheoretischen, so- Gegengewicht dar, das sich für die Frankfurt/M.lNew York 1993; Ch. len K geht von den anthropologi-
zialpolitischen u. moralphilosophi- gewachsenen Lebensformen kleinerer Taylor, Multikulturalismus u. die Poli- schen Voraussetzungen aus, daß der
schen Ansätzen, die das Gewicht Gesellschaftseinheiten, für die in ihr tik der Anerkennung, Frankfurt/M. Mensch seinem Wesen nach in einem
kleinerer Gemeinschaften (eng!. gestifteten Bindungen, für Gemein- 1993; R. Forst, Kontexte der Gerech- vorgesellschaftlichen Naturzustand
Konflikt 158 159 Konkurrenz

der Feind seines Mitmenschen sei Gesellschaft u. die verfassungsmäßi- Lit.: Hobbes, Leviathan, Kap. 13-15; ständigkeit u. Kritikfähigkeit gibt es
(Hobbes), daß er aus "krummem gen Formen der K.regelung möglich, I. Kant, Idee zu einer allg. Geschichte keine Identität der i Person u. kein
Holz" sei u. zur Verhinderung des die aus den K.en ausgegrenzt sind. in weltbürgerl. Absicht, Satz 6; R. Dah- differenziertes Leben der Gesell-
Sind Grundwerte in den K. einbezo- rendorf, Gesellschaft u. Demokratie in schaft. Die sittl. Bestimmung des
Mißbrauchs seiner Freiheit "einen
Deutschland, München 1971, Abschn.
Herrn nötig" habe (Kant). Die K.for- gen, werden der bisherige Konsens u. 10; W. Sohn, Der soziale K. als e Pro- l' Guten ist daher ebensowenig wie
schung (i Friedensforschung) be- die Legitimität formaler K.regelung blem, Gütersloh 1971; W. Bühl (Hrsg.), die anthropologische Bestimmung
gründet die Möglichkeit von K.en in Frage gestellt (normativer K,). Ei- K. u. K.strategie, München 1972, bes. der Gesundheit (i Krankheit) mit
entweder analog mit einem reparab- ne Alternative zur gewaltsamen Neu- G. SimmeJ, ]. Galtung, V. Aubert; der Anpassung an die Gesellschaft
len, angeborenen Aggressionstrieb festlegung von Normen u. Werten L. Coser, Theorie sozialer K.e., Neu- identisch. Für das Gutsein der Über-
(K. Lorenz) oder entwicldungspsy- ( i Revolution) bietet dann ein Nor- wied/Berlin 1972; H. P. Dreitzel, Die einstimmung mit den anderen spricht
chologisch mit bestimmtep. Frustra- menwandel auf der Basis eines er- gesellschaftlichen Leiden u. das Leiden die Bedeutung von i Sitte u, i Kon-
an der Gesellschaft, Stuttgart 1972,
tionen in der individuellen i Soziali- neuten rationalen Konsens: die e le- sens, für das Gutsein der Differenz
Kap. V. u. VI; K. Bcrkel, K.forschung
sation, die durch soziale Maßnah- gitime Einlösung der Geltungsan- u. K.bewältigung, Berlin 1984; R. Spae- die eigene i Gewissensentscheidung.
men wie i Erziehung kompensiert sprüche verbindlicher Werte u. Nor- mann, Glück ll. Wohlwollen, Stuttgart Die sitt!. Aufgabe, zu entscheiden, in
werden sollen. (2) Die K.soziologie men. Da die praktische Geltung sittl. 1989,1. Teil. W. V. welchem Maße K. u. NonK. vertret-
lehnt diese Begründungen von K. ab u. sozialer Normen nicht allein ra- bar sind, stellt sich in verschiedenen
u. betrachtet jeden sozialen Prozeß tional bestimmbar ist, 'kommt auch
Konflikte, moralische i moralische historischen Lebens- i Situationen
als K. K.e sind dementsprechend der die Regelung normativer K.e nicht jeweils anders, ebenso in einer totali-
Dilemmata, Pflichtenkollision.
kreative Kern u. ein struktureller ohne Regeln aus, die außerhalb des tären Gesellschaftsordnung anders
Faktor der l' Gesellschaft zur Ge- K.bereichs liegen u. entscheiden, wel- als in einer i demokratischen. Ein-
winnung humaner Lebenschancen, ches der rationalen Argumente Recht Konfliktforschung l' Konflikt. seitige Anpassung als Ausdruck einer
zur Integration von Individuen u. hat (i Begründung). (3) K.e ent- opportunistischen i Gesinnung, wie
Gruppen, die Bedingung ihrer Akti- stehen auch bei Individuen u. zwi- Konfonnität bezeichnet ein Verhal- sie dem Typus des Karrieristen u. Er-
vierung u, Solidarisierung (R. Dah- schenihnen u. der Gesellschaft. Wenn ten, in dem der einzelne die Überein- folgsmenschen in unserer Gesellschaft
rendorf). Die Formen des K. ent- soziale Werte u. Normen als Formen stimmung mit den l' Normen u. zugeschriebenwird, muß jedoch eben-
scheiden über den Typ der freien der Regulierung der individuellen t Werten der Allgemeinheit (Grup- so sitt!. fragwürdig erscheinen wie
oder autoritäten Gesellschaft. Primä- Triebstruktur u. der Bedürfnisbefrie- pen, Klassen, i Gesellschaft) sucht, prinzipieller Widerspruch. Wird der
res Ziel freier Gesellschaften ist da- digung versagen, kehrt sich deren NonK. ein Verhalten, in dem er seine Widerspruch gar zum Lebensprin-
her nicht die Beseitigung von K.en, Funktion der Anpassung in Abwehr- Unabhängigkeit, Selbständigkeit u. zip einer Gruppe oder Vereinigung,
sondern deren rationale Regelung mechanismen um (i Entfremdung). Verschiedenheit gegenüber den ande- kann die NonK. gegenüber Dritten
mit Hilfe der Prinzipien des l' Rechts Sie bewirken einen Orientierungsver- ren betont. Ein Minimum an Über- selbst noch einmal Ausdruck planer
u. staatlicher l' Institutionen: Sie bie- lust (RollenK.), der zu Neurosen einstimmung mit den Wertvorstel- K. sein.
ten formale Mechanismen zur Lö- ( i Krankheit) u. Verhaltensstörungen lungen der anderen ist die Bedingung
Lit.: Th. W. Adorno, Studien zum au-
sung von InteressenK.en mit dem führen kann. Er weitet sich zu einem von Rollenspiel u. Interaktion, d. h.
toritären Charakter, Frankfurt/M.
Ziel der Stabilisierung des sozialen sozialen K. aus, wenn sich allgemein ohne ein bestimmtes Maß an K. gibt 1973; D. Claessens, Rolle u. Macht,
Systems u. des Interessenausgleichs individuelle Bedürfnisse nicht mehr es kein Gesellschaftsverhältnis des München 1974; M. Foncault, Wahn-
an. Der Kompromiß (lat" Überein- durch gesellschaftliche Interessen le- Menschen. Umgekehrt würde die sinn u. Gesellschaft, Frankfurt/M.
kunft) soll mit der Herstellung des gitimieren lassen u. diese nicht mehr GeseUschaft die wirklichen i Be- 2 1973; J. MeDougall, Plädoyer für eine
Gleichgewichts von Interessen deren in die Motivation individuellen Han- dürfnisse des einzelnen verfehlen u. 2ewisse Anormalität, Frankfurt/M.
Legitimität anerkennen. Der Interes- delns eingehen. Dieser K. läßt sich zum funktionalen Apparat erstarren, 1989. A. s.
senausgleich ist jedoch nur auf der analog dem normativen durch einen wenn das t Individuum nicht seine Konfuzianismus l' Chinesische E.
Basis eines allgemeinen rationalen Normenwandel, durch die Ermögli- eigenständigen Ansprüche anmelden
Konsens (lat., Zustimmung) über die chung von Integration. unter verän- u. den anderen entgegensetzen könn- Konkurrenz l' Evolutionistische E,
Grundwerte (i Grundrechte) der derten sozialen Bedingungen lösen. te. Ohne NonK. im Sinne von Selb- Neid.
Konsens 160 161 Krankheit

Konsens i Konflikt. tiv vermittelter, gewaltloser Gemein- Krankheit ist eine Schädigung oder tung notwendigen Gleichgewichtszu-
samkeit des Handeins führen. Im Beeinträchtigung der psychophysi.. stand (Homöostase) nicht aufrecht-
Konstruktive Ethik. Die k. E der sog. ,Vernunftprinzip' (Transsubjektivität sehen Einheit des i Menschen U. sei- erhalten kann, sei es, daß er dazu
Erlanger Schule steht im Gesamtzu- der Zwecksetzungen) u. ,Moralprin- ner Interaktionsfähigkeit, die er teils konstitutionell nicht in der Lage ist,
sammenhang der Rekonstruktion zip' (Aufsuchen gemeinsamer ,Ober- aus der Auseinandersetzung mit der sei es, daß er durch Umwelteinwir-
von Aufgaben u. Bedingungen der zwecke', Substitution konfligierender Umwelt (exogener Ursprung), teils kung daran gehindert wird. Abwei-
Bildung menschlichen Wissens über- ,Unterzwecke' durch konfliktfreie, aus eigenen Bedingungen (endogener chendes Verhalten soll dann die be-
haupt u, seiner methodischen i Be- äquivalente ,Unterzwecke' zu diesen Ursprung) erleidet. Ein umfassendes nötigten Bedingungen ersatzweise
gründung. Die Hauptaufgabe der ,Oherzwecken') sieht die k. E jene si- Verständnis der K. läßt sich nur er- herstellen. Dieses unangepaßte Ver-
Wissensbildung sieht der Konstruk- tuations- u. kulturinvarianten Re- arbeiten, wenn man den i medizi- halten gilt der Verhaltenspsychologie
tivismus darin, unser Eingreifen in geln, die die Aufstellung gemeinsam nischen (biologisch-physiologischen) als krank (Verhaltensstörung), wobei
die Geschehnisse, d. h: unser Reden, überprüfbarer u, annehmbarer Sätze Aspekt nicht von dem psychischen sie unterstellt, daß das durchschnitt-
i Handeln u. Herstellen, zu rekon- als Handlungsvorschläge zum Zweck der Erlebnisweise der K. u. diesen liche Verhalten der Umwelt als nor-
struieren u. vorzubereiten; ihr i me- vernünftiger Konfliktbewältigung er- nicht von dem sozialen der Umwelt- mal zu bezeichnen ist. Die naturwis-
thodischer Aufbau besteht dem An- möglichen. Die Begründung materia- beziehungen trennt. Selbst im Falle senschaftliche Abstraktion im Hin-
spruch nach in einer schrittweisen u. ler Normen verlangt darüber hinaus einer organischen Schädigung, sei sie blick auf K. wird aufgehoben, wenn
zirkelfreien, interpersonal überprüf- die Anwendung dieser Prinzipien in durch äußere Verletzungen zustande man die Erlebnisweise des Kranken
baren Rekonstruktion von Grundre- einer von der Basis der menschlichen gekommen oder konstitutionell-erb- U. seine i Kommunikationsweise ins
geln u. Grundbegriffen des vernünf- i Bedürfnisse ausgehenden kritischen lichen Ursprungs, ist nicht allein die i Verstehen einbezieht. Wie die Ge-
tigen Argumentierens. Als Wissen- Genese von Normensystemen. Funktionstüchtigkeit des Organismus staltspsychologie gezeigt hat, ist der
schaftstheorie im weitesten Sinn un- betroffen. Die psychische Verände- Mensch im Hinblick auf seinen
terwirft der Konstruktivismus auch Lit.: P. Lorenzen, Normative Logic and rung durch Einstellung auf den i Leib u. seine leibliche Umwelt
die i E jenen Anforderungen, nach Ethics, Mannheim 1969; O. Schwem- Schmerz bedeutet eine Einschrän- ( i Situation) bis zu einem gewissen
deren Befolgung Theorie sich nicht mer, Philosophie der Praxis, Frank- kung der Außenwahrnehmung u. eine Grad in der Lage, die auftretenden
als Mitteilung persönlicher Mei- furt/Mo 21980; W. Kamlah, Philosophi- Konzentration auf die Wahrneh- Bedingungen kognitiv-emotional zu
sche Anthropologie, Mannheim 1972;
nungen oder Handlungsvorschläge, mung des Körpers als "Schmerz- verarbeiten U. seinem Erleben zu in-
P. Lorenzen, O. Schwemmer, K. Logik,
sondern als eine begründete u. lehr- E u. Wissenschaftstheorie, Mannheim raum". Die Umweltbeziehung kann tegrieren. Psyche u. Soma (i Leib)
hare Tätigkeit verstehen kann. In 21975; W. Wieland, Praxis U. Urteils- in der doppelten Weise betroffen sein, sind dann in der Einheit des leibli-
diesem Rahmen schlägt die k. E Re- kraft, Zeitsehr. f. philos. Forschung, daß gefährdende Umstände die K. chen Bewußtseins verschmolzen
geln rationaler Argumentation vor, 28, 1974. M. F. mitbedingt haben bzw. die Tatsache (Merleau-Ponty). Widersprüchliche
die für vernünftiges Handeln u. da- der K. die Beziehungen zur Umwelt Umweltbedingungen (Watzlawick
mit verbundene Zwecksetzungen
Konsum i Materialismus. verändert, u.a.) sowie organische Schädigung u.
konstitutiv sind. E wird dabei nicht Kontext i Situation. Unter ihrem Außenaspekt in me- die begrenzte Integrationsfähigkeit
als Theorie des guten (menschlichen) thodischer Neutralität betrachtet, er- des Menschen bewirken eine Ab-
Lebens u. der es leitenden i Werte, Kontextualisierung i Relativismus. scheint K. als Naturtatsache. Die trennung des Erlebens vom leiblichen
auch nicht als transzendentale Recht- Kontraktualismus i Vertragstheo- Medizin kontrolliert hierbei vorwie- Verhalten. Diese Desintegration hat
fertigung VOn i Sittlichkeit u. ihren rien. gend die Irregularitäten der physio- zur Folge, daß das Verhalten stereo-
Prinzipien verstanden. Vielmehr be- logischen Abläufe u. betrachtet sie typ u. die Erlebnisfähigkeit einge-
schränkt sich die 1<. E - unter der Konvention i Moral U. Sitte. als somatisches K.bild. Die Verhal- schränkt wird. Für die Gestaltpsy-
Voraussetzung eines elementaren In- tenspsychologie dagegen beobachtet chologie ist K. somit nur unter dem
teresses an konfliktfreiem Miteinan-
Kooperation i Entscheidungstheo-
den Organismus in seiner Abhängig- Doppelaspekt der somatischen u. der
rie, SozialE.
derleben - auf die Analyse und Be- keit von der Umwelt. Diese Bezie- Bewußtseinsveränderung zu erfassen.
gründung jener Regeln der Beratung, Kosmopolitismus i Patriotismus- hung gilt als gestört, wenn der Or- Sie ist ein Problem der Psychosoma-
die zu vernünftiger, d. h. argumenta- Kosmopolitismus, Weltrepublik. ganismus den zu seiner Selbsterhal- tik. Während diese jedoch die Unter-
Krankheit 162 163 Kritischer Rationalismus

suchung des Erlebens ganz auf die analyse abweichendes Erleben durch- keine hinreichende Vora ussetzung Psychoanalyse, Stuttgart 21971; Der
aktuelle Wahrnehmungsfähigkeit u. aus als realitätsgerecht gegenüber ei- für es darstellt. Eine besondere Kranke in der modernen Gesellschaft,
die Verengungen des Bewußtseins ner von Widersprüchen gekennzeich- Schwierigkeit ergibt sich daraus, daß hrsg. v. A. Mitscherlich, T. Brachet, O.
v. Mering, K. Horn, Köln 1972; A.
einschränkt, nimmt die Tiefenpsy- neten Umwelt gelten, Die Anormali- es im Grenzgebiet von E u. Therapie Mitscherlich, K. als Konflikt, 2 Bde.,
chologie oder Psychoanalyse (t Psy- tät kann statt auf seiten des Individu- Erkrankungen gibt, bei denen das Frankfurt/M. 1974/5; K. E. Rothschuh
chotherapie) die ausgeklammerten ums auch auf seiten der Umwelt lie- Bewußtsein der Gesinnung die Ein- (Hrsg.), Was ist Krankheit? Darmstadt
"sinnlosen" K.phänomene u. -symp- gen (Laing). Von K. kann man erst sicht in die K. versperrt. So erscheint 1975. A. S.
tome als Ausdruck ungelöster Bezie- sprechen, wenn soziale Unterdrük- die zwangsneurotische i Gewissens-
hungskonflikte der frühen Kindheit, kung über weitgehende psychische prüfung als ausgeprägtes moralisches Krieg (gerechter) t Friede, Weltre-
die eine Fixierung des Erlebens auf Einschränkungen hinaus zur Ver- Bewußtsein, obgleich sie jede Ent- publik,
einer ihrer Stufen u. eine Einschrän- drängung der Konflikte führt u. sich scheidungsfähigkeit lähmt. Depressi-
kung der weiteren Entwicklungs- in subjektivem Leidensdruck (Ar- ve Aufopferungstendenzen u. die un- Kriegsdienstverweigerung lWek
möglichkeiten bewirkt haben. Wäh- beits-, Genuß- u. Liebesunfähigkeit) begrenzte Bereitschaft zu leiden, wie dienst.
rend es in der Perversion gelungen äußert. sie den "moralischen i Masochis-
ist, diese t Konflikte in eine wenn Die Bedeutung einer Analyse des mus" (Freud) kennzeichnet, vermit- Krise (der Moral) i Herrschaft, Mo-
auch abweichende, so doch nicht K. begriffs liegt darin, daß sich die teln das subjektive Gefühl, ein guter ralkritik.
krankmachende Lebensform umzu- Begriffe von GesundheitlK, sowie Mensch zu sein, obgleich sie die
setzen, ist in der Neurose der Kon- von t Gut/ t Böse teilweise über- Grenze zur K. überschritten haben, Kriterium i Moralprinzip.
flikt als solcher aus dem Bewußtsein schneiden, ohne sich zu decken. Da weil der Betreffende gar nicht mehr
verdrängt worden. Dies hat die pa- bestimmte Formen der K. die t Frei- anders handeln kann. Die Einsicht in Kritik i Moralkritik.
thogene Wirkung, daß er in unbe- willigkeit des menschlichen t Han- die K. kann somit subjektiv durch
wußter Weise weiterhin wirksam ist. delns weitgehend einschränken kön- den Anschein sittL Gesinnung ver- Kritischer Rationalismus. Der k. R.,
Dem Symptom liegt ein in wider- nen, ist psychische Gesundheit eine deckt u. objektiv dadurch erschwert von Popper begründet u. im deut-
sprüchliche Intentionen aufgelöstes notwendige Vorbedingung für süd. sein, daß die Übereinstimmung mit schen Sprachraum besonders von
Erleben zugrunde, von dem lediglich Handeln. Umgekehrt besteht auch kranken Zügen der Öffentlichkeit Albert vertreten, verficht ein neues
das Resultat eines schlechten Kom- eine Verpflichtung, die eigene Ge- eher das abweichende Verhalten des Rationalitätsmodell von Wissen-
promisses die Bewußtseinsschwelle sundheit nach Kräften zu schützen. Nonkonformisten als das überein- schaft, dann auch von t Politik, das
überschreitet u. als K. bild faßbar In organischer Hinsicht sind Hygie- stimmende des t Konformisten als unter Verzicht auf absolute Gewiß-
wird. Unfähigkeit zur Konfliktlösung ne, Sport u. medizinische Vorsorge krank erscheinen läßt. heit rationale u. kritische Prüfung
im frühesten Stadium der Kindheit geeignete Möglichkeiten, in psychi- fordert. Die klassische Erkenntnis-
kann aber auch eine Disposition zur scher emotionale i Wahrhaftigkeit Lit.: S. Freud, Das ökonomische Pro- theorie, die von selbstevidenten Ver-
Abwendung von Wirklichkeit u. zum u. Kommunikationsbereitschaft. Im blem des Masochismus, Werke nunftprinzipien (i Rationalismus)
Bd. XHI.; v. v. Weizsäcker, Der kranke
Rückzug in die primärnarzißtische Falle der Unvermeidbarkeit der Er- oder täuschungsfreien Beobachtun-
Mensch. Einführung in die medizini-
Phantasiewelt zur Folge haben, wie krankung stellt sich die Aufgabe, das sche Anthropologie, Stuttgart 1951; gen ( t Empirismus) ausgehe, führe in
sie besonders eindrucksvoll in der t Leid anzunehmen u. alles zur Wie- ]. Bodamer, Arzt u. Patient, Freiburg das Trilemma: infiniter Regreß, logi-
Psychose in Erscheinung tritt, die in derherstellung Erforderliche zu tun. i. Br. 1962; A. Görres (Hrsg.), Der scher Zirkel oder Abbruch des Ver-
ihren Schüben weitgehend mit der Eine unheilbare K. (wie Krebs etc.) Kranke - Ärgernis der Leistungsgesell- fahrens. Dieser Aporie der sog. Be-
Realität bricht, Während in der Ver- freilich bedeutet eine äußerste Bela- schaft, Düsseldorf 1971; M. Merleau- gründungsphilosophie entgeht der
haltenstheorie ( i Belohnen-Bestra- stung u. eine schwer zu lösende sitt!. Ponty, Phänomenologie der Wahrneh- k. R. durch einen konsequenten Fal-
fen, t Instinkt) das Normalitäts- bzw. i Grenzsituation. Das Problem von mung, I. Teil. Der Leib, BerHn libilismus (keine Erkenntnis gilt als
2 1974 , P. Watzlawick, J. H. Beavin,
Gesundheitskriterium in der Anpas- K. u, Heilung bewegt sich jedoch in- an sich irrtums- und vorurteilsfrei) u.
D. D. Jackson, Menschliche Kommuni-
sungsfähigkeit an das durchschnittli- sofern im Bereich der Vorbedingun- kation, Bern-Stuttgart-Wien 3 1972; einen theoretischen Pluralismus, wo-
che Verhalten der Umwelt liegt, kann gen sitd. Handeins, als psychische R. D. Laing, Das geteilte Selbst, Köln nach man sich mittels Konstruktion
in der Gestaltpsychologie u. Psycho- Gesundheit eine notwendige, aber 1974; W. Loch (Hrsg.), Die K.lehre der erfahrungsbezogener Hypothesen u.
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Kritischer Rationalismus 164 165 Kritische Theorie

deren Kontrolle durch begriffliche t Ideale absoluter t Gerechtigkeit furt/Mo 1976; H. F. Spinner, Popper Poppers u. a. (t k. Rationalismus)
u. empirische Kritikversuche der oder Freiheit, sondern auf Eliminie- U. die Politik, BerlinIBonn 1978; einen naiven, an der sinnlichen Ober-
t Wahrheit annähere. Der k. R. hält rung konkreter Übelstände (nega- H. Keuth, Realität u, Wahrheit, Tübin- fläche von i Natur u. Gesellschaft
die Erfahrung für eine Falsifikations-) tiver t Utilitarismus) durch schritt- gen 1978; ders. (Hrsg.)) Popper, Logik verharrenden, dem Idealismus einen
der Forschung) Berlin 1997; L. Schäfer)
keine Verifikationsinstanz) er kriti- weise Verbesserung (Stückwerktech- Karl R, Popper, München 1988; K. Sa- die Vernunft mystifizierenden Begriff
siertdie hermeneutische u. sprachana- nik). - Man kann gegen den k. R. lamun (Hrsg.), Karl R. Popper U. die von Wissenschaft vor. Die k. T. ver-
lytische Philosophie ( t Methoden der einwenden, daß er die transzenden- Philosophie des k. R., Amsterdam steht kritische Wissenschaft als re-
E)) weil sie sich letztlich gegen Kritik tal-reflexive Analyse der Konstituti- 1989; ders. (Hrsg.), Moral und Politik flexive u. soziale Vermittlung (Dia-
immunisieren, u. im sog. Positivis- onsbedingungen von Erkenntnis u. aus der Sicht des k. R., Amsterdam lektik) von Objektivität u. Begriff,
musstreit das dialektisch-hermeneu- sittl. Handeln ( t Begründung) unter- 1991; A. Bohnen, A. Musgrave, Wege von Erfahrungswissenschaften (Em-
tische Verfahren der t kritischen schlage, deshalb in seiner Kritik der der Vernunft, Tübingen 1991; D. Mil- pirie) U. theoretischem Denken, als
Theorie. In der neueren Diskussion Begründungsphilosophie nicht voll ler, Critical Rationalism) Chicago i Praxis: als kritisch-revolutionäre
1994. O. H.
wird die wissenschaftstheoretische überzeuge u. er seine impliziten nor- Theorie zur Durchsetzung vernünf-
Auffassung des k. R. aus einer Ana- mativen Leitideen wie Wahrheit u. Kritische Theorie bezeichnet die in tiger gesellschaftlicher Verhältnisse.
lyse der Wissenschaftsgeschichte Freiheit nicht legitimiere, ferner daß den 30er Jahren am Institut für So- (3) Als Kritik der Erkenntnis ver-
heraus kritisiert (Th. I<uhn, Lakatos, er für die Politik erst mehr ein allge- zialforschung (begr. 1924 in Frank- weist die k. T. auf den Zusanunen-
Feyerabend) . meines Programm sei) das es noch furt u. nach dem New Yorker Exil hang von Erkenntnis u. i Interesse:
Für die Politik vertritt der k. R. ei- näher auszuführen u. gegebenenfalls wieder dort ansässig) daher: Frank- die "erkenntnisleitenden Interessen
ne liberale Sozialphilosophie. Im An- zu modifizieren gelte. furter Schule) insbesondere von M. bilden sich im Medium von Arbeit,
schluß an Bergsan fordert er als po- Horkheimer, Th. W. Adorno u. H. Sprache u. Herrschaft" (f. Haber-
litisch-soziale Lebensordnung eine Ut.: K. Porper) Logik der Forschung Marcuse begründete marxistische mas). Nur die an der i Emanzipa-
offene Gesellschaft, die durch freie Tübingen 1994; ders., die offene Ge-
j
Theorie der t Gesellschaft. (1) Als tion der Gesellschaft interessierte
Konkurrenz der Anschauungen, sellschaft u. ihre Feinde, 2 Bde., Tübin- Se1bstreflexion kann danach in einem
gen 7 1992 ; ders., Das Elend des Histo- geschichtsphilosophische Methode
durch Revisionismus u. Reformismus rizismus, Tübingen 6 1987; ders., versucht sie, eine "Theorie des Ver- rationalen Diskurs (Idee der idealen
(gegen die revolutionäre t marxisti- Conjectures and Refutations, London laufs der gegenwärtigen Epoche" Sprechgemeinschaft) den auf t Herr-
sche E) zu sozialem u. politischem 5 1974; ders.) The Self and its Brain, (M. Horkheimer) auszuarbeiten. Sie schaft gerichteten Charakter von
Wandel im Dienst der t Freiheit u. Berlin u. a. 1977; H. Albert) Traktat modifiziert einerseits Hegels objekti- Wissenschaft aufklären u. als i Ideo-
ihrer institutionellen Sicherung führe. über k. Vernunft, Tübingen 5 1991; ve Logik der t Weltgeschichte) in- logie kritisieren. Erkenntnistheorie
Der k. R. lehnt ebenso eine quasi- ders., Aufklärung u. Steuerung, Ham- dem sie die Menschengattung als ist nach dieser These nur als Gesell-
deduktive politische Theologie kon- burg 1976; ders.) Traktat über rationa- bewußtes Subjekt der Geschichte schaftstheorie möglich. - Die k. T.
servativer oder i utopischer Her- le Praxis, Tübingen 1978; ders., Die wurde als Geschichtstheologie kriti-
Wissenschaft und die Fehlbarkeit der einsetzt, und kritisiert Hegels Idea-
kunft ab, die die Politik aus Offenba- Vernunft, Tübingen 1982; ders., Kritik lismus als abstrakte "Verklärung" siert) die Natur u. Gesellschaft iden-
rungen einer göttlichen Autorität der reinen Erkenntnislehre) Tübingen gesellschaftlicher Widersprüche. An- tifiziert u. der Natur im Widerspruch
ableitet, wie quasi-induktive Syste- 1987; T. W. Adorno u.a.) Der Positi- dererseits greift die k. T. Marx' An- zu ihrem theoretischen Ansatz einen
me, die die individuellen Bedürfnisse vismusstreit in der dt. Soziologie, satz auf, die Geschichte der mensch- Vorrang vor der Geschichte ein-
für sakrosankt halten (Wohlfahrts- Neuwied/Berlin -1 1976; D. Aldrup, Das lichen Gattung als Naturprozeß zu räumt (M. Theunissen). Der k. T.
ökonomie: t Entscheidungstheorie) Rationalitätsproblem in der polit. Öko- erklären (t Materialismus) U. der wurde weiterhin ihr Dogmatismus
u. dabei deren soziokulturelle Ab- nomie) Tübingen 1971; P. A. Schilpp t Gesellschaft als deren Handlungs- vorgeworfen) mit dem sie "nur eine
hängigkeit sowie t Herrschaft u. (Hrsg.), The Philosophy of K. Popper) Wahrheit" behauptet (Horkheimei).
La SalleJIll. 1974; Th. Kuhn, Die Struk- subjekt die objektive Möglichkeit zu-
t Konflikte leugnen. Politik sei als tur wissenschaftlicher Revolutionen, zusprechen) in einem "aktiven Hu- Schließlich kann gegen die Idee der
rationales soziales Experimentieren Frankfurt/M. 21976; O. Höffe, Strate- manismus" (Horkheimer) t
Glück idealen Sprechgemeinschaft einge-
auf der Basis theoretisch gestützter rien der Humanität, Frankfurt/M. u. t Freiheit zu verwirklichen. (2) wandt werden, daß sie mit dem theo-
Sozialkritik u. -technologie durchzu- 1985, Kap. 5 ll. 10.2; P. Feyerabend) Als Wissenschafts- u. Technik-Kritik retischen Ideal des rationalen Dis-
führen. Sie ziele nicht auf utopische Wider den Methodenzwang, Frank- wirft die k. T. dem Positivismus I<. kurses einen abstrakten Begriff der
Kult 166 167 Leben

Gesellschaft verbindet, der sich pri- Begriffen der K. hat dagegen das Ut.: Th. Mann, Betrachtungen eines einer Tonne gewohnt haben soll. Die
mär mit der Rationalität u. nicht mit Element der Zivilisation Vorrang: Unpolitischen ('1918), Darmstadt 0.].; k. Eweist - in weitgehender Über-
der i Sittlichkeit des Handelns recht- der i Mensch schafft sich als Män- E. Troeltsch, Deutscher Geist u. West- einstimmung mit anderen hellenisti-
fertigt. (4) Zur k. T. als E: i Dis- gelwesen zum Ausgleich seiner In- europa, Tübingen 1925; H. Freyer,
Theorie des gegenwärtigen Zeitalters. schen Philosophenschulen - folgende
kursE. stinktunsicherheit die K. als zweite Haupdehren auf: i Glück ergibt sich
Stuttgart 1955, Teil I u. II; R. Benedict,
Natur (A. Gehlen). Institutionell ist Urformen der K., Hamburg 1955, Kap. aus einem Leben "gemäß der Na-
Lit.: M. Horkheimcr, K. T., 2 Bde.,
der KBegriff, nach dem K ein aus I-III, VII, VIIl; A. Gehlen, Urmensch u. tur"; das Glück ist für jeden durch
Frankfurt/M. 1968, bes. Bd. 2, S. 146-
199; H. Marcuse, Philosophie u. k. T., autonomen u. koordinierten i Insti- Spätku!tur, FrankfurtlM.-Bonn 2 1964; gezielte Übungen erreichbar; es be-
in: Zeitschrift für Sozialforschung, Bd. tutionengebildetes Ganzes ist (B. Ma- Teil I; A. Schweitzer, K. u. E, München steht in einer Herrschaft der Ver-
6, 1937; J. Habermas, Erkenntnis u. In- linowski). Diesem K.begriff von uni- 1972; B. Malinowski, Eine wissen- nunft, während Unglück auf falschen
teresse, Frankfurt/M. 1968, Abschn. I., versellen Formen, Funktionen u. schaftliche Theorie der K., Frank- Urteilen u. verwirrten Emotionen be-
3, 11., 8 u. III.; ders., N. Luhmann, Strukturen der Organisation von furtlM. 1975, S.45-172; H. Bracken
(Hrsg.), Naturplan u. Verfallskritik, ruht; sein Kern liegt in einer Selbst-
Theorie der Gesellschaft oder Sozial- K.en wurde der Vorwurf gemacht, disziplin, die ein Leben unter allen
technologie, FrankfurtlM. 1971; ders., Frankfurt/M. 1984. W. V.
den europäischen K begriff auf alle äußeren Umständen gestattet (Ideal
Theorie des kommunikativen Han- Ken der Erde zu übertragen u. die
delns, 2 Bde., FrankfurtlM. 1981; ders., Kulturalismus i Kultur. desWeisen).
Faktizität u. Geltung, Frankfm·tIM. individuellen Formen sog. primitiver
Ken zu entwerten (Eurozentrismus, Ut.: Diogenes Laertios, Leben u. Mei-
1992; M. Theunissen, Gesellschaft u. Kulturfortschrittsmoral i Fortschritt. nungen berühmter Philosophen, VI,
Geschichte, Berlin 1969; M. Hork- i interkultureller Diskurs). Diese 70-71; Dio Chrysostomus, Orationes
heimer, Th. W. Adorno, Dialektik Kritik nimmt der Kulturalismus auf, Kunst i Spiel. 4,6,8-10,32,72; F. Sayre, The Greek
der Aufklärung, Frankfurt/M. 1971; der einer einheitlichen Theorie der K Cynics, Baltimore 1948; H. Niehues-
M. Jay, Dialektische Phantasie ... , gegenüber skeptisch ist, ein rein kon- Pröbsting, Der Kynismus des Diogenes
Kynische Ethik. Als Kyniker be-
Frankfurt/M. 1976; H. Dubiel, Wissen- textgebundenes Studium einzelner u. der Begriff des Kynismus, München
schaftsorganisation u. Erfahrung, zeichnet man eine asketische Philo-
Ken fordert u. ein vergleichendes sophenschule der Antike; die Be- 1979; M.-O. Goulet-Caze, L'asccse cy-
Frankfurt/M. 1978; R. Geuss, Die Idee nique: Un commentaire de Diogene
einer k. T., Königstein 1983; A. Hon- Studium ablehnt (R. Benedict). Von zeichnung "Hund" (kyon) wählte
diesen ethnologischen, soziologi- Laerce VI, 70-71, Paris 1986. C. H.
neth, Kritik der Macht, Frankfurt/M. (oder erhielt) der Schulgründer Dio-
1985; ders., Kampf um Anerkennung, schen u. institutionellen K.begriffen genes v. Sinope wegen seiner extrem
Frankfurt/M. 1992. W. V. ist der e zu unterscheiden. Er geht einfachen u. zugleich höchst provo- L
vom Vorrang des an sitt!. Normen zierenden Lebensweise. "Askese" hat
Kult i Religion. orientierten Handelns vor dem tech- hier den ursprünglichen Sinn der Laster i Tugend.
nischen u. ökonomischen aus. Dabei "Einübung" in eine philosophische
Kultur (Iat. colere: bauen, gründen) wird keine ,höhere' von einer Lebenshaltung, die zum Teil aus in- Leben bezeichnet neben dem kom-
umfaßt im Unterschied zur gewach- ,niederen' K ebensowenig wie K. tellektuellen Exerzitien, zum Teil plexen biologischen System organi-
senen i Natur den vom Menschen von Zivilisation getrennt, sondern aus Verzichdeistung u. einer Schu- scher Strukturen u. Funktionen we-
geschaffenen Lebensraum. In einem gefordert, daß im funktionellen Zu- lung in Bedürfnislosigkeit bestand. sentlich die zwischen Geburt u. Tod
traditionellen Verständnis wird K im sammenhang menschlicher Fähigkei- Durch die Vermittlung des Antisthe- gegebenen Entfaltungs- u. Selbstbe-
Sinne der geschichtlichen K. werke ten u. Leistungen sowohl im instru- nes scheint die kynische Schule auf stimmungsmöglichkeiten des Men-
(Kunst: i Spiel, i Wissenschaft, mentalen wie im kommunikativen Sokrates zurückzugehen; durch ihre schen als i Person. Das biologische
i Religion) als Ergebnis eines Han- Handeln notwendig sittl. u. humane maßgebliche Wirkung auf Zenon L. ist aber nicht allein durch Funk-
delns, das seinen Zweck in sich Normen anerkannt u. gültig sein v. Kition wurde sie prägend für die tionen wie Stoffwechsel, Selbstauf-
selbst hat, von Zivilisation als in- müssen, damit jenen Leistungen kul- Stoa. Eine Wirkung auf das christli- bau u. Arterhaltung bestimmt. Merk-
strumentaler, funktionaler, von so- tureller Wert u. i Sinn beigemessen che Askeseideal und die Gestalt des male wie Reizbarkeit, Sinnesfunktio-
zialen Zwecken bestimmter Lebens- werden kann. Sitd. Normen sind da- Wanderpredigers besteht nachweis- nen u. Bewegung ermöglichen eine
form unterschieden (E. Troeltsch, nach Grundaxiome u. Kriterien der lich. Prominent ist bis heute das relativ autonome Selbstdarstellung
T. Mann). In k.anthropologischen K. als menschlicher Lebensform. Verzichtsideal des Diogenes, der in des Lebendigen über seine biologi-

L
Leben 168 169 Lebensphilosophie

sehen Funktionen hinaus. Auch die sozialen Rollen, Beziehungen u, de- ( i Religion) oder die Existenz zur Geltung bringt. In der i E ent-
Selbsterhaltung, die alle Organe, Re- ren Rechten u, i Pflichten, Mit den i Gottes, - Vgl. anthropozentrisches wickelt sich die Stellungnahme der L.
gulationen u. Stoffwechselprozesse Stufen sind bestimmte geistige, seeli- u, biozentrisches Denken. aus der Kritik eines "Du sollst", das
umfaßt, ist dementsprechend nicht sche u, körperliche Leistungen u. Be- in reiner Vernunfteinsicht erfaßt
nur eine auf das Lebewesen allein dürfnisse verbunden, die ein Alter Lit.: Platon, Phaidros. 245 d-250 e; wird, So wird es bei Kant unter Ab-
bezogene Funktion, sondern eine mit dem anderen in Beziehung setzen T. Hobbes, Leviathan, Kap. 13; G. W. sehung von allen Neigungen als
"Weltbeziehung" (A. Portmann), Im u. besonders in den frühen u. späten F. Hegel, Wissenschaft der Logik, i Pflicht begriffen oder bei Hegel als
biologischen Sinn dient L. nicht der Altersstufen von der sozialen Um- Bd, 2, Buch 3, Abschn. 3; M, Hei- vernünftiger i Wille, zu dem sich die
welt abhängig machen. Die unan- degger, Sein u, Zeit, Teil 1, Abschn, 1;
bloßen Sicherung des Überlebens, A, Schweitzer, Kultur u, E, München Triebe bilden müssen, Die L. weist
wodurch weder die organischen Re- tastbare Würde menschlichen L. 21972, Kap, XXIf; A. Portmann, Auf- auf den versteckten Machtanspruch
generationsprozesse noch die Fort- ( i Humanität) u. das gleiche Recht bruch der L.forschung, Zürich 1965; des einzelnen hin, der sich in solchen
pflanzung oder Artumwandlung zu aller Menschen auf L. ( i Menschen- H. Schäfer u, a" Was ist der Tod?, ahstraktvernünftigen Forderungen
erklären sind. Noch weniger ist das rechte) ist nicht an physische, psychi- München 1970; F, Jacob, Die Logik an sich selbst (Selbstbeherrschung:
humane L. in seinem Entfaltungs- u. sche oder intellektuelle Leistungen des Lebenden, Frankfurt 1972; i Besonnenheit) u. an den anderen
Selbstdarstellungsinteresse ( i Kul- gebunden. Menschliches L. gilt in J. Schwardtländer (Hrsg), Der Mensch (Herrschaft über den Mitmenschen)
tur) oder biologisch vom Überleben allen Entwicklungsstufen als Zweck u. sein Tod, Göttingen 1976; H. Ebe- verbirgt, obgleich sie sich am i Gu-
ling (Hrsg.), Der Tod in der Moderne,
im Kampf aller gegen alle (T. Hob- in sich selbst u. ist nicht von äußerer
Königsteinffs, 1979; G, Scherer, Das ten zu orientieren scheinen ( i Gesin-
bes) bestimmt. Aus der Perspektive Verfügung oder Zwecksetzung be- Problem des Todes in der Philosophie, nung). Für die L. werden sie damit
der Evolution (i evolutionistische stimmt. Entscheidende e Kriterien Darmstadt 1979; O. Rowe, The Con- zum Inbegriff der Heuchelei u, einer
E), der ständigen Weiterentwicklung des L. sind i Freiheit u. i Verant- struction of Life und Death, Chichester i doppelten Moral. Aus der i Mo-
des L. u. seiner funktionellen Ord- wortung, die für ein menschenwür- 1982; ], Glover, Causing Death and ralkritik entwickelt die L. ihr Prinzip,
nung, erscheint das Überleben als diges L. zumindest der Möglichkeit Saving Lives, London 2 1991 , chap, 3 u. den blinden Drang des i Lebens
Grundproblem des L.: Danach ist nach gegeben sein müssen, Diesen 7; A, Leist (Hrsg.), Um 1. u. Tod, nicht zu verneinen, sondern ihn in
Kriterien, besonders aber der Selbst- Frankfurt/M, 1990; O. Höffe, Moral das eigene Wissen u, Wollen zu inte-
das planmäßige Altern u, der Tod
als Preis der Moderne, Frankfurt/M,
des Individuums einer Art im Fort- zwecklichkeit des L. entsprechen die .1 19 95, Kap. 12.2 "Macht euch die Erde
grieren,
schritt der Entwicklung der Arten i Pflicht zur Erhaltung von L. u. das untertan", W, V. Für den Kantkritikcr Schopenhau-
"genetisch einprogrammiert" (M. Ei- Verbot der Tötung (i Abtreibung, er ist die Welt der Vorstellung zu-
gen). Die Evolution ist aber als ge- i Medizinische E, i Selbstmord), Lebensgrundsatz i Norm. gleich die Welt der sich bekämpfen-
netischer Prozeß weder eine aktuelle Dem Menschen ist die absolute Ver- den i Individuen, der Egoismen
Bedrohung noch L.ziel eines i In- fügungsgewalt über sein eigens u, Lebenskrise i Person, Psychothera- ( i Selbstinteresse) u. sich ausschlie-
dividuums oder einer Gattung, Bio- das L. anderer entzogen, - Wie un- pie. ßenden Machtansprüche, Diese las-
logische Prozesse liefern keine Krite- zureichend menschliches L. als sen sich nicht durch die abstrakte
rien für den i Wert des L. oder die Summe chemisch oder physikalisch Lebenslüge i Wahrheit, Forderung des i kategorischen Im-
Beurteilung von Phänomenen wie gesteuerter Reaktionen begriffen ist, perativs zügeln, der selbst zum Aus-
dem Streben nach i Glück u, i Lie- zeigt die Bedeutung des Todes für Lebensphilosophie bezeichnet eine druck des Machtstrebens wird. Hin-
be. Die biologischen L.Prozesse u. das L. Der Tod ist zwar auch das Richtung der Philosophie des 19, u, ter der Welt der Erscheinungen mit
-organismen enthalten keine Teleo- Ende bestimmter biologischer Funk- beginnenden 20. Jh., die gegenüber den besonderen Willen der Individu-
logie (i Ziel) als Maßstab für die tionen, konstituiert aber den jeweils der einseitigen Betonung der bewuß- en steht nach Schopenhauer nicht ein
Zweckmäßigkeit menschlichen L. - einmaligen geschichtlichen Wert des ten Rationalität des Menschen u. der vernünftiger Wille, sondern der
Das Altern ist zwar mit dem biologi- L.: Es gewinnt angesichts seiner Fähigkeit der Selbstreflexion in der "Wille" der Gattung in seinem blin-
schen Lebenszyklus verbunden; seine Endlichkeit i Sinn (i existentialisti- Aufklärung (Descartes, Kant) u, im den Drang. Mißverständlicherweise
Phasen, vom Säuglings- über das sche E, i Lebensphilosophie), und Deutschen Idealismus (Fichte, Hege!) wird die Auffassung der L. manch-
jiinglings- bis zum Greisenalter, un- zwar unabhängig von Annahmen die Abhängigkeit von vor bewußten mal als Voluntarismus (lat. voluntas:
terscheiden sich jedoch nach ihren über die Unsterblichkeit der Seele Prozessen der Natur u. des Lebens Wille) gekennzeichnet, Wenn aber
Lebensphilosophie 170 171 Leib

die Quelle alles Unrechts ( i Gerech- Macht als politische Machtergrei- sehe, Stuttgart 1941; O. F. Boilnow, materiellen Bedingungen humanen
tigkeit) u. i Leidens in den bewuß- fung, die Überwindung der Ver- Die L., Berlin 1958; M. Heidegger, Lebens u. individuell auszufüllenden
ten Sonder bestrebungen der Indivi- nunftmoral als moralischen Freibrief Nietzsche, Bd. I u. 11, Pfullingen 1961. sütl. Normen. Die Befriedigung von
duen zu sehen ist, die in Gegensatz mißverstanden u. entgegen Nietz- A. s. Bedürfnissen u. demokratischen Ver-
zueinander geraten, dann gilt es, den sches Ideal des "aristokratischen" Lebensqualität bezeichnet die nor- fahren kann nicht schon als Inhalt u.
eigenen Willen zurückzunehmen Europäertums dem Faschismus den mativen u. materiellen Bedingungen, Kriterium individueller Lebens-,
(Schopenhauers Pessimismus) u. der Weg bereitet. Nietzsches Hinweis auf die zur humanen Gestaltung des Wert- u. Zielvorstellungen gelten. L.
Stimme der Gattung folgend sich in ein Leben "jenseits von i Gut u. i Lebens notwendig sind. Der Be- ist ein sozialer Imperativ mit e Rele-
fremdes Leid zu versetzen (Altruis- i Böse" steht (für ihn) als Befrei- griff stammt aus der Wohlfahrtsöko- vanz, indem sie Grundnormen sozia-
mus: i Wohlwollen). Schopenhauer ungstat des "letzten Menschen" nomie ( i Entseheidungstheorie), hat 1en Lebens definiert, an denen der
begründet die E der allgemeinne noch unter dem Diktat des negativen aber neben seiner ökonomischen einzelne die Normen seines Hande1ns
Menschen- i Liebe "im Mitleid, in Affektes gegen die Moral u. einer auch eine ökologische, sozialpoliti- orientieren kann. Individuelle Nor-
dem das fremde Leiden an sich selbst indirekten Abhängigkeit von ihr. Ei- sche u. e Bedeutung. L. basiert auf men sollen mit Hilfe sozialer besser
u. als solches mein Motiv wird" ne geradezu übermenschliche Ver- der Annahme, daß wirtschaftliches realisierbar sein, nicht aber inhaltlich
(Wecke, Bd. III, S. 697-99). wandlung fordert die Verwirkli- Wachstum weder Maßstab noch al- festgelegt werden. Die Rangordnung
F. Nietzsehe folgt Schopenhauer in chung des Übermenschen, der zu leiniges Mittel zur i Humanisierung sozialer Werte im Sinne des i Ge-
der Absicht, die reflexive i Vernunft einer heiteren Bejahung des Lebens des Lebens ist. Wachstum soll viel- meinwohls setzt die L. entsprechend
auf ihren Grund im unbewußten fähig sein soll (Optimismus) u. zum mehr selbst eine Funktion der L. dem Postulat, daß die Ordnung der
Drang des Lebens, in Affekt u. Ge- Inbegriff von Nietzsches E des vor- sein. Die ökologischen Grenzen des verfügbaren Sachmittel der Ordnung
fühl ( i Leidenschaft) zu hintergehen. nehmen u. starken Menschen wird. - Wachstums (Rohstoffprobleme, Um- der Menschen u. der i Gesellschaft
Er lehnt jedoch dessen Konsequenz Lebensphilosophische Voraussetzun-
der MitleidsE als Ausdruck der Ver-
neinung von Lebensäußerungen u.
gen gehen über Nietzsehe u. den
Schopenhauerianismus (E. v. Hart-
I weltverschmutzung, Bevölkerungs-
explosion) haben Untersuchungen
dienstbar gemacht werden soll, u.
nicht umgekehrt.
veranlaßt, Grunddaten u. Grenzwer-
als sklavische Moral in der Traditi- mann) in die Psychoanalyse Freuds te der menschlichen Lebenswelt u. Lit.: Qualität des Lebens, 10 Bde.,
ein. Ihre Moralkritik (i Krankheit) Frankfurt/M. 1973; F.-W. Dörge
on der christlichen Nächstenliebe der Belastbarkeit der i Natur zu be- (Hrsg.), Qualität des Lebens, Opladen
( i christliche E) ab. Nietzsches Mo- steht im Dienste des Wiederzugäng- stimmen. 1973; W. Euchner, Egoismus u. Ge-
ralkrüik macht sich an der Verleug- lichmachens unbewußter, verdräng- Die Schwierigkeit, quantifizierbare meinwohl, Frankfurt/M. 1973; D. Mea-
nung von Machtansprüchen fest, die ter Wünsche. Damit will sie gemäß Kriterien für diese Grunddaten zu dows u. a., Die Grenzen des Wachs-
sich in moralischen Forderungen an ihrem therapeutischen Ethos (i Psy- gewinnen, lenkte auf das normative tums, Stuttgart 1972; W. L. Oltmann
die Mitmenschen verbergen. Die chotherapie) zu einer die Gefühle in- Problem der L.: ihre Abhängigkeit (Hrsg.), ,Die Grenzen des Wachstums',
i Moral sei insgesamt Ausdruck ei- tegrierenden Rationalität anleiten, von sozialpolitischen Zielen u. Ent- Hamburg 1974; 1. in der Bundesre-
nes Ressentiments (i Neid), in dem die eine Vorbedingung i sittl. Han- scheidungen. Die Befriedigung von publik Deutschland, Frankfurr/M./New
der eigene Machwille gekränkt u. der delns darstellt. York 1984. W. V.
Grundbedürfnissen, die Freiheit von
Schmerz darüber verdrängt worden Not u. i Angst u. die Förderung in- Legalität i Sittlichkeit.
sei. Die moralische Forderung sei Lit.: A. Schopenhauer, Preisschrift über dividueller Verantwortung u. Selbst-
daher Ausdruck einer sublimen Ra- die Grundlage der Moral; ders., Die bestimmung stehen als sozialpoliti- Legitimation(skrise) i Begründung,
che u. des Versuches des Sklaven, Welt als Wille u. Vorstellung; F. Nietz- sche Ziele im Mittelpunkt bei der Herrschaft, Moralkdtik.
wieder die Oberhand zu gewinnen. sehe, Zur Genealogie der Moral; ders., Bestimmung der Leitlinien des Le-
Jenseits von Gut u. Böse; ders., Zarat-
Nietzsche weist den Weg zur Befrei-
hustra; S. Freud, Das Ich u. das Es, bensstandards u. der sozialen Siche- Legitime Gewalt i Gewalt.
ung von der Verlogenheit der Moral rung. Die Methode der Bestimmung
Werke Bd. XIII; ders., Die Disposition
durch Anerkennung der eigenen Na- zur Zwangsneurose, Werke Bd. VIII; E. von L. durch demokratische Wil- Leib. Unter dem menschlichen L.
tur u. des Willens zur Macht (Egois- v. Hartmann, Die Philosophie des Un- lensbildung soll selbst Bestandteil der verstehen wir die angeborene organi-
mus: i Selbstinteresse). Vulgäre For- bewußten, Werke Bd. VII-IX, Leipzig L. sein. - L. bestimmt sich aus quali- sche Ganzheit, die durch seelisch-
men der L. ha ben den Willen zur 1904; K. Löwith, Von Hege1 zu Nietz- tativ verschiedenen Elementen; aus geistiges Erleben u. Handeln organi-
Leib 172 173 Leib

siert u. gestaltet wird. Abstrahiert t Bedürfnissen (z. B. Hunger, Durst der Sprach fähigkeit ist die Körperlich- Erlebnisformen der Ödipalphase u.
man von Psyche u. Bewußtsein und etc.) sind u. auf Befriedigung (Sätti- keit des Kleinkindes allseitig ausge- der Pubertät muß es diese in seine In-
betrachtet lediglich die anatomisch- gung) abzielen. Solche Reaktionen bildet, so daß dieses in die Lage ver- tentionalität übernehmen u. seinem
physiologische Seite, dann sprechen können reflexhaft (z.B. Magensaft- setzt wird, eine Vorstellung von der leiblichen Bewußtsein integrieren.
wir vom Körper des Menschen. Sittl. sekretion) oder zufällig entstehen u. Einheit seines Körpers zu gewinnen, Gelingt dies, dann erfährt es sich als
Handeln setzt die Handlungsfähigkeit sich durch Verstärkung von seiten die durch die Hautoberfläche zur männliches oder weibliches Wesen.
des Menschen, d. h. ein Handeln im der Umwelt zu Verhalten formen. Außenwelt abgegrenzt wird. Nach Leidet die t Sozialisation jedoch un-
L., voraus ( t Handlung). Dieser kann Unterhalb der Handlungs- u. Erleb- ]. Lacan wird durch die Imitation ter einem strukturellen Konflikt in
durch äußere Verletzungen oder orga- nisschwelle kennen wir solche reflex- der Körperbewegungen anderer Me- der elterlichen Erziehungspraxis
nische t Krankheiten beeinträchtigt artigen Reaktionen (z. B. Augen- nschen oder der eigenen im Spiegel (z. B. zwischen Schuldgefühl u. ver-
sein u. damit den Handlungsspiel- schließen bei Gefahr) auf Umwelt- die Gewißheit der Einheit des eige- drängten Wünschen), dann werden
raum empfindlich einschränken. Er ereignisse. Die Mängelzustände un- nen Körpers vermittelt (Spiegelstufe). sich auch auf seiten des Kindes kein
kann durch Erkrankung des seeli- seres Organismus gehen aber auch in Die Fähigkeit, eine Vorstellung der einheitlich-intentionales Erleben u.
schen Erlebnis im t Menschen in unser Erleben ein. Sie stellen Trieb- senso-motorischen Einheit zu haben, Handeln, sondern widersprechende
Auflösung geraten und weitgehend reize dar, die wir als Körperempfin- ermöglicht es, zu sich "Ich" zu sagen. psychische Tendenzen u. ein gebro-
zerfallen. Dadurch kann eine struk- dungen affektiv erfassen u. die sich Das Bewußtsein des eigenen Körpers chenes L.verhältnis ausbilden. Ist die
turelle Unfähigkeit zu sittI. Handeln in unserem Erleben psychisch als nennen wir mit Merleau-Ponty 1. Weise der elterlichen Zuwendung
auftreten, die teilweise oder völlig Wünsche niederschlagen (z. B. se- (corps vecu). Es markiert die endgül- gar paradox, d. h. in ein u. derselben
von t Verantwortung entlastet. Die xuelles Verlangen nach einem Part- tige Trennungslinie des menschlichen Handlung Zuwendung u. Abwen-
e bedeutsame Frage besteht darin, ner). Sinnesorgane u. Bewegungsap- vom tierischen Erleben. dung zugleich, dann wird auch auf
inwieweit die Erreichung u. Wah- parat stehen im Dienste unserer Dieses leibliche Bewußtsein be- seiten des Kindes eine schizoide
rung der Integrität des eigenen L. Wünsche. Mit Seele bezeichnen wir zieht sich auf die biologisch vorgege- Überreflektiertheit das eigene 1. ver-
selbst vom Handelnden mitgetragen das Organisationsprinzip des Kör- bene, schicksalhafte Körperlichkeit, hältnis auflösen oder eine depressive
u. daher sittI. verantwortbar ist, ob pers, das von Körperempfindungen die wissentlich u. willentlich ( t Wil- Selbstzerstörungstendenz (Selbstver-
also die Leinheit eine sittliche Auf- angetrieben durch die Organe des le) angenommen und vom Bewußt- t
stümmelung oder Selbstmord) den
gabe darstellt. Körpers unsere Wünsche zu befriedi- sein organisiert und gestaltet wird. Weg in den psychotischen Zerfall
Um den menschlichen 1. zurei- gen sucht. In dieser Sicht, die jeder Die Einheit des l.lichen Bewußtseins einleiten. Der neurotische Konflikt
chend zu bestimmen, ist hinter die ei- Mensch prinzipiell noch mit den Tie- ist somit nicht gegeben, sondern auf- wird daher die sittI. Verantwortlich-
gene Bewußtseins- u. Erlebnisschwel- ren gemeinsam hat, ist die psycho- gegeben. Merleau-Ponty spricht von keit für die Leibeinheit einschränken,
le, ja hinter die unbewußten Erfah- physische Einheit der höheren orga- der zweideutigen Existenz zwischen die psychotische Abwendung wird
rungsgehalte der Träume u. Phanta- nismischen Lebewesen begründet. Einheit u. Zerfall, Integration u. Des- sie weitgehend aufheben. Von der
sien in den Bereich der Körper- Die t Sozialisation des Menschen integration, Gesundheit u. Krank- kranken Form der Beendigung des
sensationen, der Reflexe u. physio- zeigt, daß entsprechend den Anfor~ heit. Die Gestaltpsychologie nennt eigenen Lebens ist jedoch der aus
logischen Reaktionen zurückzuge- dtrungen in der Mutter-Kind-Be- dies nicht reflexive, dynamische L.- Verantwortung für sich selbst u. die
hen. Der 1. ist fundiert im natür- ziehung u. den Gegebenheiten der or- bewußtsein das Körperschema des Mitmenschen au sich genommene
lichen Leben des Organismus, der in ganischen Reifung stufenweise die Menschen, das im Unterschied zu ih- Freitod zu unterscheiden.
einem Austausch mit der Umwelt Sensorik u. Motorik bestimmter Kör- rer Auffassung jedoch nicht allein
steht. Wird der Gleichgewichtszu- perpartien entwickelt wird, zunächst psychologisch erklärt werden kann, Lit.: Seneca, An Lucilius, Briefe über E,
stand (Homöostase), der für die die für die T astwahrnehmung wichti- da es aus Interaktionen entsteht, d. h. Nr. 70; D. Hume, Of Suicide; M. Mer-
Selbst- und Arterhaltung notwendig gen Mund-Handpartien, dann die für sozialen Ursprungs ist. Mit der eige- leau-Ponty, PhällOmenolofie der Wahr-
die optische Wahrnehmung zentrale nehmung, I. Teil, Berlin 1974; K. Lö-
ist, unter- oder überschritten, dann nen Körperlichkeit übernimmt das with, Die Freiheit zum Tode, in: Vor-
werden Verhaltensreaktionen in ihm Augen-Stirngestalt, schließlich die Kind eine schicksalhaft vorgegebene, träge u. Abhandlungen, Stuttgart 1966;
ausgelöst, die Ausdruck eines Man- für die akustische Verständigung not- biologisch bedingte sexuelle Prä- R. Spitz, Vom Säugling zum Kleinkind,
gelzustandes (Deprivation) oder von wendigen Hör-Sprechbereiche. Mit gung. In den geschlechts-spezifischen Stuttgart 1974; ]. Lacan, Das Spiegel-

J
t
Leid

stadium als Bildner der Ichfunkti-


on ... , Schriften I, Frankfurt/M. 1973;
174

Frühe Erklärungsversuche, die das


1. als vom Menschen selbstverschul-
rI
175

die Gebrechen des Alterns u. der


Tod. Sofern die Möglichkeit des Al-
Leidenschaft

des Aristoteles den Ausgleich zwi-


schen beiden Aspekten des Handelns
B. Forstholm, L. u. Unbewußtes, Bonn det u. daher als gerechte t Strafe I
,
ters (z.B. Verständigung mit der Ju- in einer strebenden Vernunft bzw.
1977; Th. v. Uexkül1, Lehrbuch der darstellten, stießen auf den Wider- gend) nicht als sittl. Aufgabe ergrif- einem vernünftigen t Streben sucht,
psychosomar. Medizin, München u. a. spruch, daß es Gerechte u. Ungerech- i fen werden, können seine Lasten den ist die neuzeitliche Fragestellung eher
1979; A. Barkhaus u.a. (Hrsg.), Identi-
tät, Leiblichkeit, Normativität, Frank- te in gleicher Weise trifft (Altes Te- ;i Menschen bis zur Verzweiflung am durch eine Konfrontation gekenn-
furt/Mo 1996, Teil IL A. S. stament, Buch Hiob). So mußte es Sinn des Lebens treiben (i Nihilis- zeichnet, deren Exponenten Kant u.
eher als i Schicksal oder Schickung mns). Während der Tod der Mit- Nietzsehe darstellen. Während Kant
Leid heißt eine Erfahrung, in der we- begriffen werden, das letztlich als menschen in der Trauer bewältigt die vernünftige Selbstbestimmung
sentliche Lebensvorstellungen oder ungelöstes Rätsel stehen blieb. werden kann, bedeutet die Erwar- unter Abbruch der L. für das sitt!.
Zukunftserwartungen des Menschen Theologie und Philosophie verstrick- tung des eigenen Todes die radikalste Handeln fordert - was zu dem Vor-
durch äußere oder innere Ereignisse ten sich in der Frage, wie angesichts Vereinzelung. Als sitt!. Konsequenz wurf des t Rigorismus in der Moral
in schmerzhafter Weise eingeschränkt einer von L. u. Sinnlosigkeit gepräg- bleibt hier nur der Versuch, nicht in Anlaß gab -, plädiert Nietzsehe für
oder gänzlich unterdrückt werden. ten Welt ein guter Gott als ihr Bitterkeit, Ressentiment oder Resi- die Anerkennung der eigenen Affek-
Zur Verwirklichung eines sinnvollen Schöpfer zu rechtfertigen sei (Theo- gnation zu stagnieren, sondern dies tivität, für die Stärke der L., die ihr
menschlichen Lebens ( t Humanität) dizeeproblem, i das Böse). Die Ein- Schicksal gemäß den Kräften der Maß in sich selbst tragen soll. Die
wünschen wir uns mit Recht Ge- sicht, daß durch gemeinsame An- Persönlichkeit U. den eigenen 5inn- aristotelische Lösung des Problems
sundheit, berufliche Anerkennung, strengung 1. zu vermeiden oder zu erwartungen zu integrieren. ist uns in der Gegenwart erschwert,
i Freunde, ein freiheitliches Ge- lindern ist, löste die Menschheit von
Lit.: Altes Testament, Buch Hiob;
weil wir zum einen durch die Psy-
meinwesen usw. Versagungen ( t Ver- einer fatalistischen Hinnahme des choanalyse wissen, daß die vernünf-
A. Schopenhauer, Die Welt als Wille u.
zicht) von seiten der Wirklichkeit Schicksals) wie sie meist im Kismet- tige Selbstbestimmung nicht ohne
Vorstellung, IV. Buch; S. Freud, Das
verletzen uns u. bereiten Schmerz. glauben der i islamischen E gesehen Unbehagen in der Kultur, Werke weiteres bis in die unbewußten
Seine lähmende Wirkung auf das Han- wird. Die gesellschaftlichen Anstren- Bd. XIV; S. Kicrkegaard, Die Krankheit Quellen der L. hinabreicht, u. zum
deln macht die Bewältigung von L. gungen zur L.vermeidung waren die zum Tode; A. Camus, Der Mythos von anderen, weil in Kriegen U. politi-
zum sittl. Problem. Freud unterschei- Antriebskräfte der t Kultur, die in Sisyphos, Düsse1dorf 1960; W. Bitter scher Gewalt ungeheure Leidenschaf-
det drei L.quellen, einmal die Über- i Wissenschaft, i Technik U. i Po- (Hrsg.), Einsamkeit in medizinisch- ten freigesetzt worden sind, die den
macht der t Natur, dann die Hinfäl- litik die Natur zu beherrschen, psychologischer, theologischer u. sozio- zur vernünftigen Orientierung not-
Krankheit zu heilen U. soziale Wohl- logischer Sicht, Stuttgart 1967; W. Oel- wendigen sozialen Rahmen beein-
ligkeit des eigenen Körpers, schließlich müller (Hrsg.), Leiden, Padcrborn
mangelhafte u. ungerechte soziale fahrt zu befördern suchte. Heute 1986. A. S. trächtigt haben.
Einrichtungen. Dazu kommt, daß die wissen wir, daß diese Anstrengun- Der Ansatzpunkt für die Entwick-
Versagungen der Wirklichkeit unter gen, wenn sie zu Ausbeutung u. Un- Leidenschaft. Unter 1. verstehen wir lung von Begierden U. L. im physio-
bestimmten Bedingungen (schwache terdrückung pervertieren) ihrerseits sinnliche Wünsche sexueller oder ag- logisch bedingten Verhalten ist darin
Konstitution, schwere Kindheit) gera- neues L. schaffen. Daraus ergibt sich gressiver Natur, die sich in heftigen zu sehen, daß der menschliche Or-
dezu traumatischen Charakter an- die sittl. Konsequenz, diese Möglich- Affektzuständen U. intensiven Gefüh- ganismus durch Energieverbrauch
nehmen U. zur seelischen t Krankheit keiten nur in solidarischer Weise zur len äußern. Der Mensch kann von den Gleichgewichtszustand (Homöo-
führen können. Dies innere 1. ist Vermeidung oder Linderung von L. ihnen derart hingerissen u. be- stase) zur Umwelt verliert, Entbeh-
meist durch schwere i Angst u. Iso- einzusetzen. herrscht werden, daß er seine Besin- rungen erleidet u. daher i Bedürfnis-
lierung gekennzeichnet. Von dieser Alle gesellschaftliche Anstrengung nung u. vernünftige Selbstbestim- se (der Nahrungsaufnahme, Liebes-
krankhaften Vereinsamung, die sich hat jedoch ihre Grenze am nicht ver- mung verliert. Dies hat zu dem zuwendung usw.) entwickelt. In
in Identitäts- U. Rollenverlust äußert, meidbaren 1.) das daher das Indivi- klassischen Problem geführt, ob man solchen herabgestimmten Augenblik-
müssen wir eine Einsamkeit der duum mit umso größerer Wucht trifft. mehr der Vernunft oder mehr den ken (Deprivation) wird er auf Reize
Selbstfindung unterscheiden, die eine Dazu gehören neben dem bisher un- L.en gehorchen solle oder wie ein der Umwelt in besonders heftiger
Bedingung gelingender i Kommuni- gelösten Problem heimtückischer u. Ausgleich zwischen beiden herbeige- Weise reagieren. So definieren Ver-
kation darstellt. unheilbarer Krankheiten vor allem führt werden könne. Während die E haltenspsychologen die Emotion als
Leidenschaft

Zustand der Stärke u. Schwäche von


Reaktionen gegenüber der Umwelt.
Je nach Erfolg oder Mißerfolg wird
der menschliche Organismus diese
Da die Affekte u. L.en aus der
Empfindung von Körper- oder Trieb-
176

reizen erwachsen u. sich in der Sin-


neswahrnehmung u. in Körperbewe-
r
"]
177

von Form- u. Stofftrieb, von Ver-


nunft u, Sinnlichkeit wird jedoch nur
dann wirksam, wenn Mittel und
Liebe

abzielt (Platon, Augustinus), Sie


kennen freilich auch die i Leiden-
schaften, die die Erreichung dieses
Wege gefunden werden, ihn in die Zieles gefährden, Die Gefahr, daß
Reaktionen zu einem Verhaltensmu- gungen äußern, d.h. die Gesamtheit sittl.-politische Praxis des menschli- leidenschaftliche L. in den Gegensatz
ster entwickeln, einer "emotionalen des Menschen als i Leibwesen be- chen i Handelns zu übertragen. zum i Guten treten kann, veranlaßt
Disposition". Der Ausgangspunkt treffen, werden sie auch seine Sinn- manche E, das sitt!. Handeln unab-
beim Verhalten berücksichtigt jedoch lichkeit genannt, Wenn mehr die se- Lit.: Aristoteles, Nikomach. E, Kap, I hängig von der L. in der Pflicht zu
noch nicht die spezifisch menschliche xuellen Antriebe dieses Sinnenwesens 13; ders., Rhetorik, Kap.II 2-11; begründen, nach der i jüdischen E
Erlebnisweise von Gefühlen u. L.en. im Vordergrund stehen, sprechen wir R. Descartes, Les Passions de l'ame;
I. Kant, Kritik der praktischen Ver- in der Pflicht gegenüber den theo-
Durch Verstand u. Sprache gewinnt von einem sinnlich-erotischen, wenn nomen Gesetzesvorschriften, nach
nunft; F. Schiller, Über die Ästhetische
der Mensch ein freieres Verhältnis zu mehr die aggressiven, von einem Erziehung des Menschen; F. Nietzsche, Kant gegenüber dem Sittengesetz im
den Anforderungen der Umwelt u. zornmütigen Menschen. Gefühle u. Jenseits von Gut und Böse; A, Kenny, Innern des Menschen, In diesem Ge-
kann daher in geeigneter Weise da- Affekte erschöpfen sich jedoch nicht Action, Emotion and Will, London gensatz von leidenschaftlicher L. u.
zu wissentlich-willentlich-emotional in einmaligen Zuständen, sondern 1963. A. S. i Sittlichkeit nimmt Nietzsche um-
Stellung nehmen, d. h. intentional verfestigen sich darüber hinaus zu gekehrt Partei für die uneinge-
antworten (i Verstehen, i Wert). Gewohnheiten u. Prägungen, die das Leistung i Arbeit. schränkte Realisierung der L. ohne
Die Einübung solcher Stellungnah- Temperament eines Menschen ge- Rücksicht auf sitt!. Prinzipien, Volle
men von Gefühl u. Verstand zur nannt werden, - Das zentrale e Pro- Lernen i Belohnen u. Bestrafen, Er-
L. könne sich nur "jenseits von Gut
i Situation führt zu regelmäßigen blem besteht darin, wie man die Ver- ziehung,
und Böse" verwirklichen.
Gewohnheiten, zu den Neigungen nunft verwirklichen kann, ohne die Von der i Bedürfnisseite her grün-
eines Menschen, die wir als situati- Leidenschaften zu unterdrücken. Liberalismus i Staat, WirtschaftsE.
det die L. in der i Leiblichkeit des
onsgerecht erleben. Doch Gefühle u. Zwischen den gegensätzlichen Posi- liberum arbitrium i Freiheit, Wille. Menschen, die i sexuell bestimmt
Affekte können eine solche Heftig- tionen der Selbstbestimmung durch ist. Der Geschlechtstrieb bedarf der
keit annehmen, daß sie an der Situa- Vernunft unter Abbruch der L.en Liebe. Der Begriff L. hat unter- Befriedigung. Dieses biologische Er-
tion vorbeigehen u. geradezu sinnlos (Kant) u. der freien Realisierung der schiedliche Bedeutungen. Häufig fordernis findet seinen psychischen
werden können. Die Psychoanalyse L.en unter Absehung von Gut u. Bö- meint er nur das sexuelle Verlangen, Ausdruck in den mannigfachen se-
verweist auf Wünsche u. i Bedürf- se (Nietzsche) besteht eine innere dann wieder die erotischen Gefühle, xuell bestimmten Erlebnisformen u,
nisse des Es, die teils nie im bewuß- Beziehung. Ihr Gemeinsames ist die schließlich gemeinsame geistige In- Phantasien, die auf Erfüllung drän-
ten Erleben zugelassen oder aus ihm Notwendigkeit von Herrschaft, sei es teressen. Er reicht von den flüchtigen gen, Da die menschliche Wirklichkeit
verdrängt wurden. Im Vorgang der der Vernunft oder der L.en. In dem Sympathiebezeugungen über die Ver- nur unter ganz spezifischen Voraus-
Verdrängung findet eine Verände- Maße, wie sich der Herrschaftsan- liebtheit bis zu i Freundschaft u. setzungen sexuelle Befriedigung er-
rung am Affektgehalt unserer Wün- spruch der Vernunft gegen die L.en i Ehe, von der Partnerschaft mit ei- laubt, bildet sich eine von der direk-
sche oder Vorstellungen statt. Teils erhebt, versuchen diese die Herr- ner einzigen geliebten Person bis zur ten Befriedigung abgelenkte Er-
werden die Affekte von einer Vor- schaft über die Vernunft zu erringen. allgemeinen Menschenliebe; er be- lebnisschicht der zärtlichen Gefühle
stellung auf die andere verschoben Aus diesem Dilemma der Neuzeit zeichnet gleichrangige Beziehungen von Sympathie u. Zusammengehö-
(die Wut gegenüber dem Vater auf sucht bereits Schiller einen ersten der Freundschaft u. asymmetrische rigkeit, die Freud "zielgehemmte"
die Gesellschaft), teils werden sie "ästhetischen" Ausweg im freien der Fürsorge u. Wohltätigkeit. Einige Erotik nennt. Da auch diese i Be-
qualitativ umgewandelt (die unter- i Spiel der Kunst. Sie soll ein Modell Theoretiker der griechischen u. dürfnisse in der Wirklichkeit auf
drückte Abneigung äußert sich in dafür sein, wie man den Affekten u. ichristlichen E vertreten die An- Versagung stoßen, bedarf es der
übermäßiger Freundlichkeit), teils L.en verbunden sein u. sie dennoch sicht, daß sitd. Handeln u. L. ein u, menschlichen Vernunft, um andere,
werden sie vertauscht (die Vorwürfe in eine vernünftige Form bringen dasselbe sei. Allerdings verstehen sie der sexuell-erotischen Bedeutung
gegenüber dem Anderen werden zu kann. Dieser gewaltlose Weg des äs- unter L. (amor) eine Bewegung der entkleidete sublime, d. h. geistige In-
Selbstvorwürfen). thetischen Spiels als der Versöhnung Seele, die letzten Endes auf das Gute teressen arn anderen zu entwickeln,
Liebe 178 179 Manipulation

Der Begriff der L. umfaßt alle diese oder eines Staates bedeutet in der Versagung erfolgt, wird sich in jede niken symbolischer Information er-
drei Bedeutungsschichten von der Regel jedoch eine Verunmöglichung L. auch Antipathie u. Haß mischen. folgen, die nicht-kognitive Lernpro-
sexuellen Bedürfnisstruktur über die der L.; vielmehr wird sie sich der ei- Diese Ambivalenz übersehen die zesse (Erwartungsänderungen, Moti-
Erotik bis zum geistigen Interesse. genen unterdrückten Seite zuwenden meisten L.gebote u. fördern so un- vationsänderungen, Bedürfnisände-
Daraus ergibt sich für den Menschen u. in Solidarität ausdrücken (Marx). gewollt die Unterdrückung der Ag- rungen etc.) steuern, oder durch un-
die schwierige Aufgabe, seine ganze Den Feinden gegenüber scheint le- gression. mittelbare Eingriffe in den physi-
psycho-physische Einheit vom Recht diglich eine Anerkennung u. Achtung schen Organismus, die biologische
der Sinnlichkeit über das der Gefühle ihrer Menschlichkeit als Inbegriff Lit.: Platon, Das Gastmahl; Aristote1es, Wachstumsvorgänge u. psychische
bis zu vernünftigen Ausdrucksfor- einer allgemeinen MenschenL. er- Nikomach. E, Buch VIII-IX; Augusti- Werdeprozesse gezielt auslösen u. re-
men zu realisieren. reichbar zu sein. Die Interaktions- nus, Confessiones, Buch I u. X; I. Eibl- geln. Zwar hat bereits die antike
form der L. wird in der Regel durch Eibesfeld, Liebe u. Haß, München Rhetorik in rudimentärer Kenntnis
Die Bedürfnisse der L. müssen in
1970; B. WeIte, Dialektik der 1.,
soziale Interaktionsformen einge- symmetrisch-gleichrangige u. asym- Frankfurt/M. 173; E. Fromm, Die psychischer Gesetzmäßigkeiten ma-
bracht werden. Dies bedeutet, den metrisch-ergänzende Strukturen zwi- Kunst des L.ns, Frankfurt/M. 1975; nipulative Techniken zum Zwecke
schwierigen Ausgleich zu finden zwi- schen den Partnern in einem ausge- H. Kulm, 1. Geschichte eines Begriffs, der Überredung entwickelt, doch
schen einer angemessenen SelbstL. u. wogenen Maße geprägt sein. Eine München 1975; N. Luhmann, L. als die Freisetzung einer nahezu un-
der L. zum anderen. Sowohl die besondere e Problematik werfen die Passion, Frankfurt/M. 1982. A. S. begrenzten Verfügungsmöglichkeit
Aufopferung seiner selbst in einem strukturell asymmetrischen Bezie- über menschliches Verhalten ver-
extremen Altruismus (i Wohlwol- hungsformen der Fürsorge und Linguistische E i MetaE, Methoden dankt sich der neuzeitlichen Natur-
len, i Ausbeutung) wie die des ande~ Wohltätigkeit auf. Hier scheint na- der E. wissenschaft u. der Verschränkung
ren im Egoismus (i Selbstinteresse) hezu unvermeidbar, daß die mensch- ihrer Erkenntnisse mit reproduzier-
zerstören auf längere Sicht die L. Die liche Zuwendung zum ungleichen Lob i Belohnen u. Bestrafen. baren Verfahren des Machens u.
durch die Endlichkeit des Menschen Partner Formen der Abhängigkeit er- Herstellens, denen die Phänomene
begrenzte L.fähigkeit erlaubt ihm zeugt, wie dies am Beispiel der Logizismus i MetaE. der unbelebten, belebten u. beseelten
überdies nur, persönliche Beziehun- i Entwicklungshilfe deutlich wird Natur in gleicher Weise subsumiert
gen in einem privaten Umkreis, da- ( i Paternalismus). Heidegger hat Lohnmoral i Vergeltungsmoral. wurden. Manipulative Techniken im
gegen sachqezogenere im öffentli- diese Problematik in der Unterschei- groikn Stil u. mit methodischer Prä-
chen Bereich zu finden. Aristoteles dung der "einspringend-beherrschen- Lüge i Doppelte Moral, Wahrheit. zision werden heute in der Ökono-
unterscheidet zwischen i Freund- den" und der "vorausspringend-be- mie zur Weckung von Konsum-
schaft (philia), die ein gegenseitiges freienden" Fürsorge angezeigt. Die Lust i Freude, Leidenschaft. bedürfnissen verwendet (Werbung),
Wohlwollen einschließt, u. i Ge- praktische Verwirklichung der L. ist in der Politik zur Steuerung politi-
rechtigkeit, die das Gesetzmäßige durch die in der primären u. sekun- Lustprinzip i Freude. schen Verhaltens (Propaganda), in
vertritt. Die im privaten Bereich dären i Sozialisation erfolgte For- der Publizistik zur Regulierung des
dominierende freundschaftliche L. t
mierung der sexuellen u. aggressi- Informationsstandes (Entlarvung,
geht stufenweise in die den öffentli- ven Triebe vordeterminiert (z. B. M Verschleierung) in Biologie, Medizin
chen Bereich bestimmende Gerech- heterosexuelle oder homosexuelle u. Psychologie vor allem auf dem
tigkeit über. Ein Minimum an L. Orientierung, Partnerwahl nach dem Macht i Herrschaft. Gebiet der angewandten Genetik
enthalten aber alle sitt!. Handlungen, Anlehnungstypus oder dem narzißti- zum Zweck gezielter Züchtung
auch die von der Gerechtigkeit be- sehen Typus). Bei einem entwickelten Manipulation meint im menschli- (Genmanipulation: i Gentechnik) u.
stimmten werden nie zur bloßen relativ autonomen Selbst kann sie ei- chen Bereich die Steuerung fremden der Verhaltenstherapie zum Zweck
Pflicht. Erst die i christI. E fordert genverantwortlich übernommen u. in Bewußtseins u. fremden Verhaltens des Abbaus neurotischer Symptome
die allgemeine NächstenL. die sich
J
freier Zuwendung zum Partner ver- ohne Wissen u. Willen der betreffen- (Konditionierung: i Belohnen-Be-
auch auf die Feinde erstrecken soll. wirklicht werden. Da die menschli- den Person, u. zwar meist zu Zwek- strafen). Die moralische Fragwür-
Die gewaltsam-feindliche Aktion ei- che Sozialisation unter den gegebe- ken, die im Interesse der Manipulie- digkeit der M. menschlichen Verhal-
nes einzelnen, einer Gruppe, Klasse nen Bedingungen freilich nie ohne renden liegen. M. kann durch Tech- tens kommt zum Ausdruck in der
Marxistische Ethik 180 r
I 181 Marxistische Ethik

meist abwertenden Verwendung des gleichermaßen i Theorie u. Praxis Bewußtsein, das sich im Klassen- sen, i Pflicht, i Gemeinwohl, Soli-
Wortes: im manipulativen Umgang sein. kampf, in den Phasen der revolutio- darität u. i Glück eine regulative
mit Menschen werden diese zu steu- (1) Die orthodoxe m. E, die von nären, gewaltsamen Befreiung des Funktion haben. In der Entwicklung
erbaren, verwendbaren, machbaren den meisten kommunistischen Par- Proletariats bildet. Der Klassen- zur klassenlosen Gesellschaft als letz-
Objekten degradiert. Die Rechtferti- teien insbesondere der östlichen kampf gilt als unausweichliche Kon- ter Stufe des revolutionären Prozesses
gung von M. zu therapeutischen Länder vertreten wird, ist eine sequenz des ständig wachsenden An- gilt die besondere Aufmerksamkeit
Zwecken findet dort ihre Grenze, wo t KlassenE: eine Handlungslehre, tagonismus (Widerstreit) zwischen aber der Steigerung der materiellen
Heilung durch Methoden möglich die in kapitalistischen Gesellschaften den Gesellschaftsformationen, deren Bedingungen. Ihre Bedeutung u.
erscheint, die der Selbstklärung u, ( i WirtschaftsE) die i Interessen der gegensätzliche ökonomische Bedin- damit die der individuellen Produk-
Selbstbestimmung (i Freiheit) der Arbeiterklasse gegen die sie unter- gungen nicht nur unversöhnliche In- tivität betont die sowjetische E: die
Person einen Spielraum lassen bzw. drückende u. ausbeutende Klasse der teressen, sondern auch unvereinbare Erziehung zur kommunistischen Mo-
eröffnen. . Eigentümer an Produktionsmitteln sittl. i Normen schaffen. Sein Ziel ral wird auf die Basis einer umfas-
durchsetzen soll. In kommunisti- ist die Auflösung aller Klassenwider- senden technischen Ausbildung der
Lit,; A, D. Bidcrmann, H. Zimmer schen Gesellschaften dient diese E als sprüche, nicht nur innerhalb von jugend gestellt (W. I. Lenin). Die
(Hrsg.), The M. of Human Behavior, theoretische Grundlage der morali- i Gesellschaften, sondern auch zwi- Produktionskräfte sollen stärker als
New York 1961; H. W. Franke, Der schen i Erziehung der t Individuen schen ihnen. Dieses letzte Ziel aller in den kapitalistischen Ländern ge-
manipulierte Mensch, Wiesbaden 1964; nach den Gesetzmäßigkeiten der ma- geschichtlichen Entwicklung soll die steigert werden, so daß die Men-
L. Krasner, L. P. Ullmann (Hrsg.), Re- terialistischen geschichtlichen Ent- schen einen ständig wachsenden
Weltrevolution, die Herstellung einer
search in Behavior Modification, New
York 1965; H.-J. Eysenck, S. Rach- wicklung (i Materialismus). Ziel einzigen Weltgesellschaft, leisten. Zeitanteil ihrer geistigen Entwick-
mann, Neurose - Ursachen u. Heilme- dieser "bewußten Formung von Ge- Der m. E fällt im Kampf auf dem 1ung widmen können. jeder Mensch
thoden, Berlin 1967; A. Portmann, M. sinnung u. Verhalten" ist der Kom- Weg zur Diktatur des Proletariats soll wenigstens in Grundzügen alle
des Menschen als Schicksal u. Bedro- munismus: eine Gesellschaft, in der als erster Stufe der Entwicklung zum Berufe kennen (N. I. Bucharin). Die
hung, Zürich 1969, F. Wagner (Hrsg.), mit der Abschaffung alles privaten Kommunismus die Aufgabe zu, das sittl. Entwicklung der i Individuen
Menschenzüchtung, München 1970; i Eigentums die i Entfremdung des Fortschrittsbewußtsein als Idee zu wird somit abhängig von ihrer ma-
A. Etzioni, Die zweite Erschaffung des Menschen, die Teilung der i Arbeit begründen, In diese Phase auf dem teriellen Leistungsfähigkeit. Da der
Menschen. M. der Erbtechnologie, Op- u. alle Formen der i Herrschaft u. Weg zur Machtübernahme bildet Wandel der Eigentumsformen durch
laden 1977; K. Dohmen (Hrsg.), Gen-
technologie - Die andere Schöpfung?, damit die sozialen Klassenunter- sich das Klassenbewußtsein des Pro- die russische Revolution nicht zu
Stuttgart 1988; K. Bayertz, Wissen- schiede aufgehoben sein sollen. Der letariats (Jat. proletarius: Bürger der einem entsprechenden Bewußtseins-
schaft, Technik u. Verantwortung, in: i Staat soll dabei "absterben"; an untersten Klasse) als Bewußtsein wandel geführt hat, konzentrieren
ders. {Hrsg.}, Praktische Philosophie, die "SteHe der Regierung über Per- seiner Interessen (K. Marx). Dieses sich die Hoffnungen auf einen qua-
Hamburg 1991, 173-209 (Lit.). sonen tritt die Verwaltung von Sa- Bewußtsein ist nicht etwa durch Ein- litativen Durchbruch zu einem neuen
M. F. chen u. die Leitung von Produktions- kommensunterschiede oder Her- Bewußtsein, dem die Devise "jedem
prozessen" (F. Engels). In der Ent- kunft, sondern durch die Stellung im nach seinen Bedürfnissen" (XXII. Par-
Marxistische Ethik. Die m. E ist Er- wicklung zum Kommunismus spielt Produktionsprozeß begründet. Die teitag der KPdSU, 1962) adäquat ist,
gebnis der materialistischen Analyse die m. E die entscheidende Erzie- m.E formt den Prozeß der Bewußt- auf die "Führungstätigkeit" der Par-
des ökonomisch geprägten gesell- hungsfunktion: sie soll einen Men- seinsbildung einerseits als "Theorie tei u. die lückenlose Organisation
schaftlichen Bewußtseins als Bedin- schen formen, der sich der Gesell- der Moralentstehung", andererseits von Gesellschaft u. Produktion. Das
gung menschlichen HandeIns. Sie be- schaft freiwillig unterordnet u. der als Praxis der i Determination revo- Proletariat tritt seine Rolle als Träger
trachtet sich als Produkt von Organisation der Produktionsprozes- lutionären Hande1ns. "Erste e des fortschrittlichen sittL Bewußt-
Produktionsverhältnissen (Überbau- se eine unerzwungene u. unbestritte- Norm" ist dabei, die "materiellen seins an die Wissenschaftler ab,
phänomen) u. sieht in diesen nicht ne Achtung entgegenbringt. Die so- Bedingungen einer freien schöpferi- deren Wissen vom Menschen "ten-
nur die Rechtfertigung der Geltung, zialistische Moral wird aber nicht als schen Persönlichkeit zu entwickeln" denziell Totalitätsbewußtsein" ist.
sondern auch das unmittelbare Wir- Ergebnis theoretischen Lernens vor- (H. J. Sandkühler). Dabei sollen Sittl. Verpflichtungen seien daher
kungsfeld ihrer Thesen. Die m. E will gestellt, sondern als gesellschaftliches i Werte wie i Humanität, t Gewis- nur als Verallgemeinerung wissen-
Marxistische Ethik 182 183 Materialismus

schaftlichen Wissens zur Weltan- volution werden als Mittel zur Gegenteil vernünftiger Rechtferti- Frankfurt/M. 1968; A. Schaff, Mar-
schauung gerechtfertigt (H. J. Sand- Durchsetzung sozialer Interessen gung, nicht aber deren Alternative. xismus u. das menschliche Individuum,
kühler); m. E soll eine reine Na- verworfen. (3.3) Der wechselseitige Bedingungs- Wien u. a. 1965; K. Kosik, die Dialek-
(3) Die anthropologische Kritik tik des Konkreten, Frankfurt/M. 1967,
turwissenschaft werden. zusammenhang zwischen sozialer S. 19 f; K. A. Schwarzmann, E ohne
(2) Obwohl es keine klare Tren- am Determinismus der m. E muß Praxis u. Verhaltensformen gestaltet Moral, Berlin-Ost 1967, Kap. I; G. Lu-
nung im Begriffsgebrauch zwischen durch eine Kritik an deren e Grund- zwar das konkrete individuelle Han- bics, Schriften zur Ideologie u. Politik,
m. E u. sozialistischer E gibt, lassen begriffen ergänzt werden. (3.1) So- deln u. bedingt auch ein soziales DarmstadtlNeuwied 2 1973, S.1---40,
sich unter der letzteren alle die e ziale Konflikte werden nicht allein Empfinden für t Gut u. t Böse, 75-81; G. Petrovic, Philosophie u. Re-
Theorien verstehen, die in anthro- zwischen, sondern auch innerhalb konstituiert aber nicht die normative volution, Reinbek 1971, S.272ff;
pologischer Kritik der m. Eden ökonomisch bestimmter Klassen aus- Geltung der Kriterien sittl. guten W. Eichhorn, Wie ist E als Wissen-
Menschen nicht nur als Produkt u. getragen. Die Aufhebung des Klas- Handelns. Sie gelten unabhängig schaft möglich? Berlin-Ost 1965, Ab-
sehn. I, 5-7; H. Boeck, E Probleme der
Abbild materieller Prozesse ( t Deter- senwiderspruchs bewirkt noch keine von ökonomischen u. sozialen Be- sozialistischen Führungstätigkeit, Ber-
mination), sondern auch als ge- konflikt!ose Gesellschaft. Im übrigen dingungen, weil ihr oberster Zweck tin-Ost 1968, Teil 1; W. Lange (Hrsg.),
schichtlich u. schöpferisch Handeln- haben t Konflikte auch positive, gerade die Ermöglichung der t Frei- Lebensweise, e Werte, medizinischer
den verstehen. Die gesellschaftlichen z. B. integrative Wirkungen. Darüber heit des menschlichen Handeins un- Fortschritt, Halle 1984. W. V.
Ziele seien nicht schon an sich, un- hinaus verhindern die demokrati- abhängig von diesen Bedingungen
abhängig vom t Gewissen, dem schen Systeme der wirtschaftlichen ist. (3.4) Mit dem Vorrang politi- Masochismus i Sadistisch-masochi-
Verantwortungsbewußtsein u. den Stabilisierung, daß Konflikte not- scher vor sitt!. Zwecken u. Prinzipien stisch.
Triebkräften individuellen Handeins wendig zum Klassenkampf führen. kehrt die m. E nicht nur das Ver-
sittl. (G. Lukdcs). Sütl. Normen wür- Klasseninteressen werden nicht in ei- hältnis' von politischen Mitteln u. Maß t Besonnenheit.
den nicht von der Natur, sondern ner Art Naturprozeß sichtbar; sie sitt1. Zwecken um, sie erfüllt auch
t
von der Kultur geschaffen (R. Ga- müssen vielmehr formuliert u. ge- das Grundkriterium e Theorien Masturbation i Sexualität.
raudy); sie entstünden nicht aus so- rechtfertigt werden. Ist letzteres nicht nicht, den Menschen als sittl. Wesen
zialen Beziehungen, ihre axiologi- mit vernünftigen Mitteln möglich, in seiner Würde ( t Humanität) un- Materiale E t Formale E.
sehen Wurzeln reichten tiefer als ge- verbirgt sich hinter der Berufung auf abhängig von seiner autonomen
genständliche Aneignungsprozesse das Klasseninteresse die "Inthroni- Wahl zwischen sittl. gutem oder Materialismus (lat. materia: Stoff)
(e. Luporini). Diese Ansätze, die sierung einer Ideologie" (A. Rappa- schlechtem Handeln anzuerkennen. versteht als Theorie alles Wirkliche
vom orthodoxen Marxismus als e part). (3.2) Sittl. Normen können stofflich-quantitativ u. von stoffli-
Revisionismus, als reformistisches nicht gleichzeitig der Lösung sozialer Lit.: K. Marx, Manifest der Kommuni- chen Prozessen wirkursächlich ab-
Abweichen von der marxistischen Widersprüche dienen u. Prod ukt u. stischen Partei, MEW, Bd.4, bes. leitbar u. schließt andere Erklärungs-
Grundlehre, bekämpft werden, grei- Abbild dieser Widersprüche sein. S.462-474; F. Engels, Anti-Dühring, prinzipien aus (Monismus). t Welt-
Ebensowenig kann das Klassenbe- MEW, Bd. 20, Abschn. 3; ders., Der
fen auf die E Kants u. Hehtes anschaulich lehnt der M. die Exi-
Ursprung der Familie, des Privateigen-
(E. Bernstein, M. Adler, K. Vorlän- wußtsein gleichzeitig schon vorhan- tums u. des Staats, MEW, Bd. 21, bes. stenz t Gottes ebenso wie die einer
det), aber auch auf Elemente der dene Ursache u. noch zu erreichen- Kap. IX; W. I. Lenin, Staat u. Revolu- unsterblichen Seele u. nicht-mate-
t kritischen Theorie (K. Kosik), der des Ziel sittl. t Normen sein, soll es tion, in: Lenin, Werke, Bd.25, Berlin rielle geistige Prinzipien einer auto-
t
t existentialistischen E u. der Le- t
eine neue Qualität von Sittlichkeit 1960, bes. S. 400 f; ders., Die Aufgaben nomen t Vernunft u. t Freiheit des
bensphilosophie zurück U.- P. Sattre, begründen. Wird es aber als Ziel der ,Jugendverbände, in: Lenin, Werke, Menschen als t
Ideologie ab. Der
sog. Praxis-Gruppe: G. Petrovic vorweggenommen, müssen seine Bd. 31, Berlin 1959, bes. S. 280ff; N. I. wissenschaftliche u. weltanschauli-
u.a.). Ihr Ziel ist ein demokratischer Normen notwendig, wenn auch ne- Bucharin, Theorie des historischen Ma- che M. des Marxismus (t marxi-
Sozialismus, der auf der Basis eines gativ an bestehenden sitt1. Normen terialismus, Hamburg 1922, S. 363 f;
H.,J. Sandkühler u.a. (Hrsg.), Marxis- stische E), der Elemente des französi-
parlamentarischen Systems (t De- orientiert sein. Auch der Hinweis auf mus u. E, Frankfurt/M. 1974, bes. schen M. (La Mettrie, Halbach)
mokratie) ein Höchstmaß an indivi- die legitimierende Kraft revolutionä- S. Iff, 157 ff, 193 ff, 262ff; Moral u. übernimmt, erklärt die Abhängigkeit
dueller t Freiheit u. Selbstentfaltung rer Gewalt löst diesen Zirkel nicht Gesellschaft, Beiträge v. K. Kosik, ].-P. der Geschichte u. Entwicklung des
gewähren soll. Klassenkampf u. Re- auf; denn die Gewalt ist lediglich das Sartre, R. Garaudy, A. Schaff u. a., t Menschen von den materiellen Be-
Maxime 184 185 Medienethik

dingungen der i Arbeit: Die quanti- sumere: verbrauchen) primärer Maß- scheTagesordnung der Parlamente u. tur- u. Minderheitenschutzes (Bedro-
tative Steigerung der Klassenkonflikte stab des sozialen Status wird u. Vor- Regierungen, das Wahlverhalten der hung der kulturellen Vielfalt); 3. das
(i Klassen-E) im Produktionsprozeß rang vor sozialen Prinzipien gewinnt. Bürger sowie die gesellschaftlich ge- Problem einer möglichen Verarmung
führt zu qualitativen sozialen, politi- Dieses einseitige Konsumverhalten teilten Grundwerte u. Präferenzen. menschlicher Fähigkeiten durch Tri-
schen u. ökonomischen Veränderun- verändert das soziale Wertgefüge, Andererseits nimmt der Anteil der vialisienmg u. Kommerzialisierung
gen ( i Revolution, historischer M.). indem es Güter u. Leistungen in An- Kulturprägung seitens der M. zu (im des Alltags (Tendenz zur Visuali-
i Wissenschaft, i Kultur, i E u. spruch nimmt, ohne bereit zu sein, Vergleich zur traditionellen familiä- sierung u. zu einem "Verlust der
i Religion werden als Produkte u. deren soziale Kosten an Arbeit u. In- ren oder regional-lokalen Prägung). Schriftlichkeit", Virtualisierung des
ideologische Phänomene (Überbau- teraktion mitzutragen. sütl. gerecht- Wie grundlegend ein durch eine M.in- Realitätsverständnisses u. eine ein-
phänomene) dieses Prozesses ver- fertigt ist der Konsum innerhalb der novation bewirkter gesellschaftlicher seitige Betonung von Konsumwer-
standen. Gegenüber einem naiven Grenzen der materiellen Lebenssi- Wandel sein kann, zeigt bereits ten); 4. das soziale Problem von Iso-
M., der den Aufbau der '1 Welt me- cherung u. der t Lebensqualität. der folgenreiche Übergang von der lierung u. Vereinsamung sowie von
chanistisch auf physikalische Gesetze Mündlichkeit zur Schriftlichkeit bei Lethargie u. Passivität (Konsumen-
zurückführen will (E. Haeckel), ver- Lit.: H. Reichelt (Hrsg.), Texte zur der Entstehung früher Hochkulturen. tenverhalten). Eine detaillierte M.E
steht sich der marxistische als histo- materialistischen Geschichtsauffassung Im Zusammenhang der von M. ist wegen der Komplexität der Pro-
rischer u. dialektischer M.: Die Ziel- von L. Feuerbach, K. Marx, F. Engels, verbreiteten Informationen stellen blemlage bislang nicht erarbeitet
bestimmungen des historischen M. FrankfurtlM.lBerlinlWien 1975, S. Sf, sich hauptsächlich drei e Probleme: worden.
(kommunistische Gesellschaft) sollen 141 ff, 511 ff; E. Haeckel, Die Welträt- 1. der Konflikt zwischen einem Der Gemeinwohlverpflichtung der
sel (1899), Leipzig 1933, Abschn.lII;
mit den objektiven, sich wechselsei- E. Bloch, Das M.problem, seine Ge- "Recht auf Information" seitens der M. steht gegenwärtig eine starke
tig bedingenden (dialektischen) Pro- schichte u. Substanz, Frankfurt/M., Öffentlichkeit u. dem individuellen Tendenz zur globalen Ökonomisie-
zessen in 1Natur u. i Gesellschaft 1972; F. A. Lange, Geschichte des M. Persönlichkeits- oder Datenschutz rung (Kampf um Quoten und Markt-
übereinstimmen, deren Gesetze die u. Kritik seiner Bedeutung in der Ge- (Problem des ·Skandaljournalismus); anteile) u. zur Informationsbeschleu-
Erkenntnis abbildet (Abbildtheorie). genwart, 2 Bde., Frankfurt/M. 1974; 2. das Problem der wahrheitsgemä- nigung (Zwang zur aktuellen Be-
Ungelöste Probleme jedes wissen- H. J. Sandkühler (Hrsg.), Marxistische ßen Darstellung (besonders virulent richterstattung) entgegen. Am ehe-
schaftlichen M. sind einmal, wie der Wissenschaftstheorie, Frankfurt/M. durch neue Möglichkeiten der Sug- sten ist die M.E bisher unter Rück-
Begriff Materie physikalisch zu er- 1975, Abschn. 1; A. Schmidt, Drei gestion virtueller Realitäten); 3. Die griff auf das journalistische Berufs-
Studien über M., München 1977;
klären ist, zum andern, wie nicht- H. Robinson, Matter and Sense, Cam- Beschneidung freier Meinungsäuße- ethos sowie aus der Perspektive der
materielle Bewußtseinsphänomene bridge 1982; C. Mukerij, From Gravcn rung u. das Zensurproblem. Letzte- M.pädagogik behandelt. Ein denkba-
(z.B. Denken) auf materielle Prozesse Images, New York 1983. W. V. res ergibt sich gegenwärtig ebenso res Paradigma für eine umfassende
(z. B. des Gehirns) zurückführbar dringlich aus einer (in vielen Staaten M.E könnte die akademische freiheit
sind. - Das Prinzip der Selbsterhal- Maxime t Norm. beobachtbaren) politisch motivierten bilden, bei der dem einzelnen For-
tung (t Sozialdarwinismus), das ego- Einschränkung der Meinungsfreiheit scher (u. entsprechend dem M.schaf-
istische Streben nach eigenem Nut- Medienethik (M.E). M. gewinnen in wie aufgrund der (in den westlichen fenden) völlige Freiheit innerhalb be-
zen, materiellen Gütern u. ihrem Ge- modernen Kommunikations-, Infor- Ländern üblich gewordenen) Boule- stimmter e u. juristischer Grenzen
nuß gelten als Kriterien einer mate- mations- u. Freizeitgesellschaften vardisierung u. Kommerzialisierung zugestanden wird. Neben Elementen
rialistischen Lebensanschauung. Aus ständig an Bedeutung (besonders die der vermittelten Inhalte ("Infotain- der Selbstbindung von Journalisten
marxistischer Perspektive ist dieser Massenm. wie Film, Fernsehen, Ra- ment"). Für den Kontext der "Kul- (Berufsgrundsätze; StandesEen) so-
M. eine Form der Entfremdung u. dio oder das Internet, einschließlich turstiftung" durch M. sind vor allem wie von M.unternehmen (E-Kodizes,
Produkt der 1Ideologie des Libera- der traditionellen Printm. Buch u. folgende Probleme zu nennen: 1. das Leitlinien) u. der Kontrollfunktion
lismus u. Kapitalismus (1 Wirt- Presse). Einerseits wächst ihre Bedeu- pädagogische Problem, das sich aus der Justiz scheint M.kontrolle mög-
schaftsE). Der sitt!. begründete Vor- tung als Informationsquelle (gegen- der Vorbildfunktion für das Sozial- lich: 1. als Kontrolle durch eine kriti-
wurf des M. trifft aber erst dann, über der persönlichen Erfahrung oder verhalten von Kindern ergibt (Ge- sche Öffentlichkeit (durch Schule,
wenn ein als unbegrenzt steigerbar dem mündlichen Bericht). Sie beein- walt, Pornographie, Kriminalität); Universität, aber auch durch wech-
geltender privater Konsum (lat. con- flussen dabei wesentlich die politi- 2. das Problem des Traditions-, Kul- selseitige Kritik der M. untereinan-
Meditation 186 187 Medizinische Ethik

der); 2. durch Kontrollorgane, die Richtern, Geistlichen, vielleicht auch deren in Not zu helfen, auf die be- schaftlichen Teilsystem das i Recht
die Pluralität der inhaltlichen Aus- Lehrern zu den wenigen Berufen, die sondere Berufssituation des Arztes u. die Kompetenz zuspricht, über das
richtung sicherstellen (u. a. zur kar- noch eine eigene i BerufsE haben. an. Die m. E ist darüber hinaus den menschliche Leben als ganzes zu ver-
tellrechtlichen Vermeidung von Mo- Die m. E hat sich aus der ärztlichen Grundprinzipien der i (Nächsten-) fügen,
nopolisierung); 3. durch institutio- E heraus entwickelt. Sie umfaßt die Liebe u. der Menschenwürde ( i Hu- Für den, der nicht bloß Heil-
nelle M.kontrolle (etwa durch die sitt1. Verbindlichkeiten, die für das ge- manität) verpflichtet, Die Medizin techniker, sondern auch Heilkundi-
nationalen Presseräte, die gegenwär- samte, relativ autonome Teilsystem soll aufgrund u, im Rahmen ihrer ger ist, stellt sich die M. nicht nur
tig allerdings noch ohne Sanktions- der i Gesellschaft, das Gesundheits- mit Hilfe der t Wissenschaft i me- als naturwissenschaftlich-technischer
mittel sind). wesen, gelten, also für die Ärzte u. thodisch gewonnenen Mittel dem Lehr- u. Forschungszweig dar, son-
das Pflege personal, für die Arznei- Patienten zu elementaren Bedingun- dern als Beruf mit einem sitt!. Ethos.
Ut,; M, McLuhan, Die Gutenberg- mittelforschung, die Krankenhäuser gen eines lebenswerten Lebens ver- Dessen selbstverständliche Anerken-
Galaxis. Das Ende des Buchzeitalters, u. Kliniken, die Versicherungen, den helfen, Dabei kann aus Einsicht in nung wirkt der Tendenz zur Ver-
Düsseldorf/Wien 1968; J. Baudrillard, die Bedeutung psycho-sozialer rechtlichung entgegen; erhält der
Gesetzgeber, nicht zuletzt den Pati-
La societe de consommation, Paris
1970; M, Gurevitch u. a. (Hrsg,), Cul- enten selbst. Da hier nicht nur eigen- Konflikte für die Entstehung u. den Ärzteschaft den erforderlichen Ent-
ture, Society, and the Media, London verantwortliche Subjekte, sondern Verlauf vieler i Krankheiten die In- scheidungsspielraum u. verhindert je-
1982; H. Maier (Hrsg.), E der Kom- auch i Institutionen eine Rolle spie- tegration der Verhaltenswissenschaf- ne Defensivmedizin, die zwar recht-
munikation, FreiburgiSchweiz 1985; len, gehört zur m. E außer einer per- ten (m, Psychologie, m, Soziologie, lichen Verwicklungen aus dem Weg
M. Haller, H. Holzhey (Hrsg.), M.E, sonalen E (der Ärzte, Forscher, Pati- i Psychotherapie, Psychosomatik) geht, sich aber nicht mehr auf die be-
Opladen 1992; A, Holderegger (Hrsg.), enten ... ) auch eine "E der als gleichberechtigter Partner in der sondere Situation des Einzelpatienten
E der M.kommunikation, Fribourgl m. Institutionen u. Organisationen", Ausbildung der Ärzte u. in der Kran- einläßt. Solange die M. ihre sitt!.
Freiburg i. Br. 1992; R. Merkert, M. u. kenversorgung geboten sein. Zur Grundsätze wie selbstverständlich
die freilich erst in Ansätzen existiert,
Erziehung, Frankfurt/M. 1992; U. F.
Schmälzle (Hrsg.), Neue M. - neue Die m. E ist keine SonderE, die das Aufgabe des Arztes gehört es nicht anerkennt, reicht ein ärztliches Ethos
Verantwortung, Bonn 1992; W. Wun- Gesundheitswesen außergewöhnli- nur, sich heilend (Therapie, kurative aus, zu dem - außer m. Sorgfalt -
den (Hrsg.), Öffentlichkeit u. Kom- chen i Pflichten oder i Rechten aus- Behandlung), vorbeugend (Präven- Verständnis u. Einfühlungsvermö-
munikationskultur, HamburgiStuttgart setzt, sondern die allgemeine i Mo- tion, Prophylaxe) oder wiederherstel- gen, Gesprächsbereitschaft, die Fä-
1994; W. Teichert, Journalistische Ver- ral den hier besonderen Aufgaben lend (Rehabilitation) um die Ge- higkeit, Mut zu machen, u. die Be-
antwortung, in: J. Nida-Rüme1in unterwirft. Sie erklärt das somatische sundheit des Patienten zu kümmern, reitschaft gehören, nicht alle Pro-
(Hrsg.), Angewandte E, Stuttgart 1996, (leibliche) u. geistige Wohlergehen sondern ebenso, ihn gemäß dem bleme zu "somatisieren", um Angst
750-776. C. H.
des t Menschen zur obersten Richt- Prinzip der Menschenwürde nicht u. Hoffnungslosigkeit nur als De-
schnur ("sa]us aegroti suprema lex") bloß als Objekt von Diagnose u. pression zu etikettieren, die allein mit
Meditation i Buddhistische E, Spiri-
u. fordert, daß der Arzt zusammen Therapie zu betrachten, sondern ihn Psychopharmaka zu behandeln sind.
tualität.
mit dem Pflegepersonal sich ohne dabei auch als menschliches Subjekt Die komplementäre E des Patienten
Medizinische Ethik. Schon in der Ansehen der Person ganz in den ernst zu nehmen. Der Patient ist verlangt von ihm, dem Arzt einen
Frühzeit hat sich die Ärzteschaft or- Dienst gesunden, überdies möglichst nicht bloß ein defekter Körper, son- Vertrauensvorschuß zu gewähren,
ganisiert u. ihr m. Können, das sich schmerzfreien i Lebens als Grundla- dern eine leiblich-seelische Einheit. ohne ihn als allwissenden Übermen-
wie jede Kunstfertigkeit ( i Technik) ge t freien u. t sinnerfüllten Han- Dagegen ist es kaum sinnvoll, mit schen zu betrachten oder auch nur
mißbrauchen läßt, durch feierliche de1ns stellt. Dazu kommt als sittl. der WeltgesundheitsOl'ganisation das als "Ersatz" für Freunde u. Leben-
Selbstverpflichtungen gebunden - sie Minimum das Verbot zu schaden Ziel der Medizin, die in erster Linie spartner . Ein Arzt kann nur dann
finden sich nicht nur im westlichen ("nil nocere"). Der einschlägige "Eid somatisch zu bestimmende Gesund- seine Arbeit optimal erfüllen, wenn
Kulturkreis -, die sich auf die ärztli- des Hippokrates" (ca. 3. Jh. v. ehr.), heit, als Zustand völligen körperli- er nicht "mit jedem Patienten mit-
che Kunst, auf das Verhältnis zum zeitgemäß reformuliert von der chen, seelischen u. sozialen Wohlbe- stirbt". - Nach dem Euthanasie-Pro-
Patienten u. zum eigenen Berufsstand World Medical Association im "Gen- findens zu definieren, Dieses Ziel ist gramm u. den Menschenversuchen
erstrecken. Heute gehören die Ärzte fer Ärztegelöbnis" (1948), wendet nicht bloß i utopisch, sondern auch des Nationalsozialismus, nach japa-
u. das m. Pflegepersonal mit den die allgemeine i sitt!. i Pflicht, an- latent totalitär, da es einem gesell- nischen Experimenten mit Kriegs-
Medizinische Ethik 188 189 Medizinische Ethik

gefangenen, dem Mißbrauch der Gegen die Neigung zu einer vor- bestimmt sein, da diese zu einer Spe- (3) Dank des m. Fortschritts er-
Psychiatrie in der Sowjetunion u. schnellen Moralisierung oder aber zialisierung des m. Personals, zu einet hält die Ersetzung von Organen und
gewissen nordamerikan. FOl'schungs- Entmoralisierung muß die m. E Fragmentierung der m, Betreuung u. Geweben durch Organverpflanzung
experimenten reicht das ärztliche gewisse Grundregeln bekräftigen: zu einer entpersönlichenden Techni- (-transplantation) seit den SOer u.
Ethos allein nicht aus. Zu Recht (a) das Prinzip der Unverletzlichkeit sierung der Arzt-Patient-Beziehung 60er Jahren ein zunehmendes thera-
entwickelt sich nach dem Zweiten fremden Lebens, das für den Arzt neigt. Durch Großkrankenhäuser peutisches Gewicht. Nieren- u.
Weltkrieg eine eigene, bald hochdif- ganz besonders gilt; (b) das (freilich werden zwar immer kompliziertere Herz-, aber noch nicht Leber- und
ferenzierte m. E. nachgeordnete) Recht des Menschen Krankheiten heilbar, zugleich aber Lungenverpflanzungen sind mittler-
Die neuen Möglichkeiten der M., auf Entscheidungsfreiheit; sowie (c) die humanen Ansprüche (i Huma- weile Routineeingriffe. Die Schwie-
menschliches Leben zu verlängern das Recht auf Forschung. Auch sollte nität) des Patienten auf kontinuierli- rigkeiten liegen weniger im chirur-
oder es beginnen zu lassen, haben die Medizin (d) weder die wirt- cheBetreuung,auf i Kommunikation gisch-technischen als im immu-
bald große Hoffnungen; bald tiefe schaftlichen Möglichkeiten noch das u. Geborgenheit häufig vernachläs- nologischen Bereich; außerdem fehlt
Ängste heraufbeschworen u. bislang Ordnungsgefüge einer Gesellschaft sigt, was zugleich das körperliche u. es an geeigneten Spenderorganen.
unbekannte Entscheidungssituatio- überbeanspruchen; schließlich be- seelische Wohlbefinden beeinträch- Obwohl im i Islam generell verbo-
nen geschaffen. Die m. E würde es steht (e) die Aufgabe, den Begriff tigt, Trotz des hohen Technisierungs- ten u. in Japan mindestens bis vor
sich zu einfach machen, wenn sie nun menschlichen Lebens zu präzisieren grades der modernen M. darf sich kurzem nur bei lebenden Spendern
entweder - mit Berufung auf die For- u. zu differenzieren. Solche Grundre- der Arzt nicht zum Einsatzleiter von zulässig, erscheint die Organver-
schungsfreiheit ( i WissenschaftsE) u. geln sind im Hinblick auf die neuen Apparaten degradieren lassen. Über- pflanzung dann süd. gerechtfertigt,
das Selbstbestimmungsrecht - eine Probleme produktiv auszulegen, um dies wird im Verlauf der "Patienten- wenn sie im Fall lebender Spender
unbegrenzte Verfügung über mensch- auf einer mittleren Ebene normative karriere" - vom Allgemeinarzt über mit deren Einwilligung, nach gründ-
liches Leben vertreten oder aber - Gesichtspunkte, vielleicht sogar den Facharzt zur Klinik - der licher Aufklärung u. nicht mit für
mit Hinweis auf die Unantastbarkeit praktische Regeln zu erarbeiten, die Krankheitsbegriff immer enger. den Spender lebenswichtigen Orga-
menschlichen Lebens - die neuen die konkrete Einzelfallbeurteilung (2) Für die Informationspflicht des nen erfolgt. Die Mehrzahl der Orga-
Möglichkeiten schlechthin verwerfen leiten, dabei aber innerhalb des ver- Arztes lassen sich kaum allgemein ne stammt aber von Verstorbenen,
würde. Denn im Gegensatz zu einer bindlichen Grundrahmens eine Viel- verbindliche Regeln formulieren, da was die Frage nach dem Todeszeit-
radikalen Entmoralisierung der m. falt von Entscheidungsmöglichkeiten die je verschiedene i Situation (die punkt aufwirft. Nach fast einhelliger
Forschung ist einerseits die Unver- offen lassen. Diese schwierige u. besonderen Belange, die Belastbar- Auffassung (bei wenigen Bedenken,
letzlichkeit menschlichen Lebens nicht selten von Argumentationsnot keit des Patienten usw.) zu berück- vgL Hoff/Schnitten 1994, Teil 2) tritt
nicht nur ein unbestrittener Grund- begleitete Aufgabe einer "neuen sichtigen ist (i Klugheit). Indessen der Tod unabhängig vom Funk-
satz der E, sondern auch des positi- m.E" läßt sich nur interdisziplinär kann man als Leitprinzip den Dialog tionieren von Atmung u. Kreislauf
ven i Rechts; sie ist der Forschungs- lösen, da es sowohl auf m. Sachwis- zwischen, Arzt u. Patient aufstellen, mit dem irreversiblen Verlust der
und Entscheidungsfreiheit immer sen als auch auf dessen sittl. u. durch den der Kranke nicht bloß als Großhirn- u. Hirnstammfunktion ein
vorgeordnet. Andererseits betrifft rechtliche Beurteilung ankommt. Da- Objekt behandelt wird, sondern als (Hirntod). Um Interessenkonflikte zu
das Rechtsgebot nur fremdes Leben; mit die e Perspektive rechtzeitig ins Partner in 'einem Prozeß des Ge- vermeiden, muß dies von (zwei) nicht
die i Selbsttötung ist zwar ein sittl. Spiel kommt, sollte diese m.-e Dis- sundwerdens, der - aus Achtung vor bei der Verpflanzung beteiligten Ärz-
Problem, rechtlich aber freigestellt. kussion der m. Forschung nicht seiner Würde als i Person - eine an- ten festgestellt werden. In manchen
Darüber hinaus sind weder der Be- nachlaufen, sondern sie begleiten. gemessene Aufklärung verdient. Ge- Ländern gilt die sog. Widerspruchs-
ginn noch das Ende des menschli- Einige besondereProbleme der m. E rade bei riskanten u. einschneiden- lösung: wo kein Widerspruch vor-
chen Lebens einfach Naturereignisse, liegen, neben der Frage des Schwan- den Maßnahmen ist der Patient am liegt, gilt die Zustimmung als erteilt.
so daß sie keiner weiteren Festle- gerschaftsabbruchs (i Abtreibung), Prozeß der i Entscheidung über die Überzeugender ist die Einwilligungs-
gung bedürften. Ferner gibt es Situa- im folgenden: (1) Die Organisations- Behandlung zu beteiligen, allerdings oder Zustimmungslösung, die eine
tionen des Konflikts, z. B. zwischen struktur von Kliniken darf nicht bloß weniger in bezug auf die rein fachli- Willensäußerung des Verstorbenen
dem Leben der Mutter u. dem des von der m. Erkenntnis u. T echnolo- che Seite als auf ihr Verhältnis zum vor seinem Tod oder ersatzweise der
Fötus. gie sowie einer rationalen Bürokratie Leben des Patienten. Angehörigen erfordert.
Medizinische Ethik 190 191 Medizinische Ethik

(4) Die e Beurteilung der Eutha- ehem Leben sprechen könne, dem es ginn u. das Ende stellen einen Ent- über die die Eltern beliebig verfügen
nasie (griech., schöner: leichter, weil nicht bloß um die Aufrechterhaltung wicklungsprozeß dar, in dem gewisse dürfen. Da er andererseits erst im
leidloser Tod) fordert Unterschei- rein biologischer Lebensprozesse, biologische Sachverhalte herausra- Fortgang der Entwicklung seine In-
dungen: (a) die Tötung Kranker oder sondern um das in irgendeiner Form gen, aus denen allein sich aber keine dividualität und Personalität ge-
Schwachsinniger ohne Verlangen, die lebenswerte Leben geht. (d) Als Ster- sittL u. rechtlich entscheidenden De- winnt, könnte man in der Frühzeit
Vernichtung "lebensunwerten" Le- behilfe diskutiert man die Frage, ob finitionen ableiten lassen. In bezug eine Güterabwägung zwischen dem
bens, ist als Widerspruch gegen die Ärzte zur Linderung eines qualvollen auf den Lebensbeginn kommt es z. ß. Recht des werdenden Menschen u.
Grundaufgabe des Arztes u. als tiefer u. erniedrigenden, zudem unheilba- auf die sittl.-politische (Vor-)Frage den Interessen der Eltern, z. B. m.
Eingriff in das t Grundrecht jedes ren Leidens Mittel verabreichen dür- an,ob man sich auf die früheren oder Eingriffe direkt nach einer Verge-
Menschen auf Leben strikt unsittl. fen, die als Nebenwirkung die Le- aber späteren Entwicklungsschritte waltigung, für sittL vertretbar halten.
(b) Gegen die Tötung auf Verlangen benszeit des Patienten verkürzen, beruft. (6) Auch wenn eine ungewollte
von seiten schwer Leidender spricht oder ob sie auch zur Abkürzung des Der Umstand, daß der Schutz frem- Kinderlosigkeit keine Krankheit ist,
nicht bloß die Grundpflicht des Arz- Leidens die Therapie einstellen dür- den Lebens Vorrang vor der eigenen gehört ihre Therapie in den legitimen
tes, sondern auch eine i pragmati- fen. Das erstere erscheint deshalb als Entscheidungsfreiheit genießt, spricht Aufgabenbereich der M. Zwar haben
sche Überlegung: Da es keine effekti- sittl. erlaubt, weil der primäre für einen früheren, der emphatische ,Eltern keinen "natürlichen An-
ven Mittel gibt, Nötigung oder Zweck der Maßnahme, die Schmerz- Begriff einer menschlichen Person für spruch" auf ein eigenes Kind, so daß
sublimen Druck ganz auszuschließen linderung, zur ärztlichen Grundauf- einen späteren Zeitpunkt: Während sie mit allen m.-technischen Mitteln
sowie einen bloß vorübergehenden ga be gehört, dem Wohlergehen des mit der Zeugung ein Leben, aber ihre Unfruchtbarkeit überwinden
Wunsch vom überlegten u. festen Kranken zu dienen. In bezug auf das noch nicht ein artspezifisch mensch- dürften (zudem -besteht die Möglich-
Entschluß zu unterscheiden, würde andere ist es sinnvoll, zwar vorhan- liches Leben beginnt, führt die Ver- keit der Adoption). Es gibt aber auch
mit der Freigabe der Tötung auf dene Eigenaktivitäten menschlicher einigung der Ei- mit der Samenzelle keine "sittl. Pflicht", jede Unfrucht-
Verlangen der Weg zur i Manipula- Organismen zu stützen oder wieder ohne Zweifel zu einem menschlichen barkeit als unabänderliches Geschick
tion eröffnet. Allerdings kann man in Gang zu bringen, jedoch nicht ei- Organismus, in dem schon die Ei- anzusehen. Bei künstlichen Befruch-
sich Maßnahmen vorstellen, die die- nen "natürlichen" Sterbeprozeß um genart u. Besonderheit eines Indivi- tungshilfen, die den Beginn mensch-
ses Risiko erheblich vermindern. jeden Preis hinauszuzögern oder ein duums vorprogrammiert sind. Bis lichen Lebens aus dem natürlichen
Daß der Arzt nicht töten darf, be- bewußtloses, von sich her lebensun- zur Einnistung in die Gebärmutter Zusammenhang, dem sexuellen Erle-
deutet jedenfalls nicht, daß er dem fähiges, nur noch passives, aus sich sind aber noch Zwillings bildungen ben der Eltern u. der Entwicklung
Kranken immer mit allen m. Mitteln heraus weder Luft noch Nahrung möglich; mit der Einnistung beginnt des Embryos im Mutterleib, heraus-
gegen seinen erklärten Willen den aufnehmendes Wesen durch raffi- dagegen das individuelle menschliche lösen u. gewissermaßen ins m. Labor
Zugang zum Sterben verriegeln soll. nierte Apparaturen künstlich am Le- Leben. Analog zur Definition des verlegen, ist zuerst das Wohl des
(c) Gegen eine Tötung menschlicher ben zu halten. (e) Indessen besteht menschlichen t Todes durch Erlö- künftigen Kindes zu berücksichtigen,
Organismen, die zwar noch biolo- Sterbehilfe vor allem darin, Patien- schen der Gehirntätigkeit - mit der u. dieses ist nicht nur in m., sondern
gisch meßbare Lebensvorgänge zei- ten, deren Tod naht, eine Hilfe an- Möglichkeit, zwischen Großhirn- u. auch in psychologischer u. sozialer
gen, denen aber wegen irreparabler zubieten, die sich nicht auf die Ver- Gesamthirntod zu unterscheiden - Hinsicht zu verstehen. Das Kind hat
organischer Defekte jede spezifisch abreichung schmerzstillender Mittel kann man den Beginn des menschli- ein Recht auf ein integres, allenfalls
menschliche Form von Bewußtsein, beschränkt, sondern den Patienten in chen als des personalen Lebens je- bei schweren Schäden zu behandeln-
Erleben u. Kommunikation fehlt, seiner t Angst u. seinem t Leid doch auch von der Herausbildung des Erbgut, ferner ein Recht auf eine
läßt sich einwenden, zum Begriff nicht allein läßt, wobei diese gegen- der Hirnstrukturen u. dem Anfang geregelte Vater- u. Mutterschaft so-
der Menschenrechte gehöre es, daß wärtig häufig vernachlässigte Aufga- der Gehirntätigkeit (enger: dem der wie darauf, sich nach Möglichkeit
sie dem Menschen als Menschen zu- be nicht nur, vielleicht nicht einmal Großhirntätigkeit) her definieren. im geschützten Raum einer inte-
kommen, d. h. jedem Wesen, das primär, aber auch vom m. Personal Da der Organismus mit der Be- gren MutterlEltern-Kind-Beziehung
von Menschen abstammt. Dagegen auszuüben ist. fruchtung zu einem menschlichen zu entwickeln.
spricht das Argument, daß man hier (5) Nicht nur der Ablauf menschli- Leben wird, ist er im rechtlichen Sinn (7) Bei Versuchen an Kranken
nicht mehr sinnvoll von mensehli- chen Lebens, sondern auch der Be- nicht als bloße Sache zu betrachten, (Humanexperimenten) ist grundsätz-
Medizinische Ethik 192 193 Medizinische Ethik

lieh zu unterscheiden zwischen sol- tersuchenden Person bzw. ihres ge- kenversicherung ist ein gestuftes V. Eid, R. Frey (Hrsg.), Sterbehilfe,
chen, die eine direkte Bedeutung für setzlichen Vertreters, überdies nach Modell denkbar, bestehend aus einer Mainz 1978; W. T. Reich (Hrsg.), En-
Diagnose, Therapie u. Prophylaxe gründlicher Aufklärung durchgeführt Grllnd-, einer Aufbau- u. einer Zu- cyclopedia of Bioethics, 5 Bde., New
York 21995; P. Sporken, C. Genewein,
der Untersuchungsperson haben (the- werden. Versuche auf der Grundlage satzversicherung.
Menschsein/Menschbleiben im Kran-
rapeutische Versuche), u. solchen, von unvollständiger Information, (9) Die Medizin ist nicht bloß ein kenhaus, Diisseldorf 1979; T. L. Beau-
die nur der allgemeinen m. For- Täuschung oder gar Gewalt sind in Gegenstand der E, sondern auch eine champ, J. F. Childress, Principles of
schung dienen (nichttherapeutische keinem Fall sittl. zulässig. Eine evtl. t Wissenschaft, deren praxis- u. fall- Biomedical Ethics, Ncw YorkJOxford
Versuche). Dem Arzt sollten neue sittl. Pflicht des Patienten, sich orientiertes, gegen einen Methoden- -1 1989; O. HöHe, Sitt!.-politische Dis-

Behandlungswege freistehen, sofern zum eigenen Wohl u. dem der Mit- monismus skeptisches Vorgehen der kurse, Frankfurt/M. 1981, Teil III; A.
sie versprechen, das Leben des Pati- menschen an notwendigen For- t
E, zum al wenn sie sich als prakti- Laufs, Arztrecht, München, -\1.993;
W. Wieland, Strukturwandel u. ärztli-
enten zu retten, seine Gesundheit schungsllntersuchllngen zu beteili- sche Philosophie versteht, als Vorbild
wiederherzustellen oder seine Leiden dienen kann. Große Denker nehmen che Medizin, Heidelberg 1.986; O.
gen, enthebt nicht von der Pflicht,
Marquard u. a. (Hrsg.), Anfang u. Ende
zu lindern. Sofern dies nicht ohne auf der Basis eines entsprechenden sich gern das Muster eines Arztes, des menschlichen Lebens, MünchenlPa-
Versuche möglich ist, dürfen diese Appells die freie Zustimmung einzu- Hippokmtes, zum Vorbild: Bacon u. der born 1986; ders. u. a. (I-Irsg.), E u.
nur von hinreichend qualifizierten holen. - In Nürnberg (1947), He1- Galilei, um der scholastischen Dispu- soziale Verantwortung, MünchenlPa-
Personen u. mit geeigneter m. Aus- sinki (1964), Tokio (1975), Hawaii tation eine experimentelle Forschung derborn 1988; ders. u. a. (Hrsg.), e
rüstung durchgeführt werden. Sie (1977) u. Manila (1984) wurden in- entgegenzusetzen; Leibniz, weil er Probleme des ärztlichen Alltags, Mün-
müssen sich auf Labor- oder Tierver- ternationale Empfehlungen über Ver- die Harmonie aller Dinge bekräftigt chen/Paderborn 1988; H.-J. Kramer,
suche oder andere wissenschaftlich suche an Menschen vera bschiedet. sieht; Kant, weil er bemerkenswerte Rechtsfragen der Organtransplantati-
on, München 1987; B. A. Brody, Moral
bewährte Methoden u. Erkenntnisse (8) Weil der Anteil der Kosten des Verhaltensregeln entdeckt.
Theory and Moral Judgcments in Me-
stützen. Sie dürfen nur dann durch- Gesundheitswesens am Bruttosozial- Lit.: K. Deichgräber, Der hippokrati- dical Ethics, Dordrecht 1988; H.-
geführt werden, wenn die Wichtig- produkt in den letzten Jahrzehnten sche Eid, Stuttgart 1955; B. Häring, M. Sass (Hrsg.), Medizin u. E, Stuttgart
keit des Zweckes in einem ärztlich enorm gestiegen ist, stellt sich eine Heilender Dienst, Mainz 1972; P. 1.989; A. Leist (Hrsg.), Um Leben u.
vertretbaren Verhältnis zu den sorg- Aufgabe, die ins ärztliche Ethos noch Krauß, Medizinischer Fortschritt u. Tod, Frankfurt/M. 1990; D. Lamb,
fältig abgeschätzten Risiken steht. nicht eingegangen ist: der Umgang ärztliche E, München 1974; J. IlIich, Organ Transplants and Ethics, Lon-
Dabei ist der Arzt dem Interesse sei- mit knappen Ressourcen. Aus zwei Die Enteignung der Gesundheit, Rein- donfNew York 1990; K. Hegselmann,
nes tatsächlichen Patienten u. nicht Gründen hat sich die Aufgabe ver- bek 1975; H. Saner, H. Holzhey K. Merkel (Hrsg.), Zur Debatte über
(Hrsg.), Euthanasie, Basel 1976; Euthanasie, Frankfurt/M. 1991; R.
dem unbestimmten allgemeinen In- schärft: wegen eines generell gestie- Toellner u.a. (Hrsg.), Organtransplan-
J. Zander (Hrsg.), Arzt u. Patient, Düs-
teresse möglicher künftiger Patienten genen Anspruchsniveaus u. wegen seldorf 1976; J. Schwartländer (Hrsg.), tation, Stuttgart 1991; W. Pöldinger,
verpflichtet. Die Versuche sollten einer speziellen Leistungs-, nicht ei- Der Mensch u. sein Tod, Göttingen W. Wagner (Hrsg.), E in der Psych-
sog. E-Kommissionen (Beratungsgre- gentlich Kostenexplosion aufgrund 1976; J. A. Humber, R. F. Almeder iatrie, Berlin u. a. 1991.; R. Dworkin,
mien, die die m. u. e Aspekte eines des m. t Fortschritts. In dieser Si- (Hrsg.), Biomedical Ethics and the Die Grenze des Lebens, Hamburg
Forschungsvorhabens überprüfen) tuation bedarf es zweierlei: auf seiten Law, New York/London 1976; U. Ei- . 1994; J. Hoff, J. in der Schmitten
vorgelegt werden. Indem sie Wert- der Patienten, Ärzte, Versicherun- bach, Medizin u. Menschenwürde, (Hrsg.), Wann ist der Mensch tot?,
gesichtspunkte einbringen u. deren gen. . . eine i Besonnenheit, die Wuppertal 1976; R. M. Veatch, Reinbek 1994; L. Honncfelder, G. Ra-
R. Branson (Hrsg.), Ethics and Health ger (Hrsg.), Ärztliches Urteilen u. Han-
Rangordnung vorstrukturieren, sich den steigenden Ansprüchen entge- deln. Zur Grundlegung einer m. E,
Policy, Cambridge, Mass. 1976; H.
bei m. Versuchen für die Rechte der genwirkt, u. auf seiten des Gesetzge- v. Nußbaum (Hrsg.), Die verordnete Frankfurt/M. 1995; J. Harris, Der Wert
Versuchspersonen einsetzen, auf Ri- bers t Gerechtigkeit hinsichtlich des Krankheit, Frankfurt/M. 1977; J. Wun- des Lebens, Berlin 1995; U. Wiesing,
siken aufmerksam machen u. Ver- Verhältnisses von Inanspruchnahme derli, K. Weißhaupt (Hrsg.), Medizin Zur Verantwortung des Arztes, Stutt-
gleiche mit anderen Fällen anstellen, u. Finanzierung der m. Leistungen. im Widerspruch, OltenJFreiburg 1977 gart-Bad Canstatt 1995; K. Bayertz
können sie eine sachgerechte t Ent- Sofern er von der üblicherweise zu- (Anhang: ärzt!. E-Codes); S. F. Spicker, (Hrsg.), Mora!. Konsens. Technische
scheidung erleichtern, aber nicht ab- ständigen Tauschgerechtigkeit ab- H.T. Engelhardt (Hrsg.), Philosophieal Eingriffe in die mensch!. Fortpflanzung
nehmen. Versuche dürfen keinesfalls weicht, bedarf es der Begründung. Medieal Ethics: Its Nature and Si- als Modellfall, Frankfurt/M. 1996;
gnificance, DordrechtIBoston 1977; S. Goeppert, M. Psychologie, Frei-
ohne freie Zustimmung der zu un- Innerhalb der einschlägigen Kran-
Mensch 194 195 Mensch

burg/Br. 1996; Jahrbuch für Wissen- Denkens (Philosophie), dem politi- ihres Ausgleichs (Kompensation) manipuliert u. an eine Umwelt ge-
schaft u. E, Berlin 1996 ff. O. H. schen u, sozialen Wesen des M. die durch kulturelle Fähigkeiten. Der M. bunden ist. Unklar ist, wie der
t
Theorien des Handelns ( praktische sieht sich zur Entwicklung seiner gei- "Geist" sich gegen die vitale Trieb-
Mensch. Der M. ist im Unterschied Philosophie, t E, Soziologie etc,), stigen Anlagen u. zur Schaffung einer struktur durchsetzen kann. Seine Be-
zum Tier, aber auch zu t Gott eine dem physischen u. psychischen We- t Kultur als zweiter Natur genötigt stimmung ist zu unspezifisch, um den
leiblich-seelisch-geistige Einheit, die sen Biologie u. Psychologie, Die An- {A. Gehlen}. Damit können zwar Ent- t Sinn der unterschiedlichen Dimen-
als t l)erson in sozialen Beziehungen thropologie setzt sich in diesem Fall stehungsformen menschlicher t In- sionen menschlichen Lebens (t Ar-
mit anderen M.en lebt. Da das aus Elementen dieser Wissensformen stitutionen erklärt, nicht aber die beit, t Liebe, i Verantv.rortung) zu
menschliche t Leben sich seiner Er- zusammen u. bildet keine Theorie t Freiheit des HandeIns u, die Prin- konstituieren, (6) Der M. muß sich
scheinung nach als Einheit darstellt, mit einheitlichem methodischem zipien praktischer u. theoretischer seine t Welt immer erst schaffen; er
liegt es nahe, entweder hinter den Fundament. Der M. kann so als We- Erkenntnis begründet werden, Diese ist zugleich Natur u. Geschichte
unterschiedlichen Weseriszügen ein sen der t Theorie u. Praxis verstan- sind weder Ergebnis einer Anpassung (H. Plessner). Sein Erkennen u. Han-
einheitliches Formprinzip des M. an- den werden: Er ist sowohl der Er- an eine gefährdende natürliche oder deln unterliegt daher keinem starren,
zunehmen oder anstelle eines ein- kenntnis der Wahrheit wie des guten soziale Umwelt noch einer "Ver- unveränderlichen Ordnungsprinzip.
heitlichen Wesensbegriffs die unter- Handelns fähig (Aristoteles). - Mit stärkung" genetischer Anlagen durch Es gibt zwar biologische u. psychi-
schiedlichen Wesenszüge in ihrem der Frage, was der M. "als frei han- ein von Lohn u. t Strafe beding- sche Grundbedingungen, die Bedürf-
wechselseitigen Verhältnis zu be- delndes Wesen aus sich selbst macht tes Lernen eines angepaßten Verhal- nisstruktur menschlichen Daseins.
stimmen. (1) Ein einheitlicher We- oder machen kann u. soll" (Kant), tens (Konditionierung, B. F. Skin- Die Möglichkeiten u, Bedingungen
sensbegriff läuft Gefahr, den M. ab- wird er als Wesen der t Freiheit be- ner). Freiheit, Würde (t Humanität) ihrer Befriedigung sind aber nicht
strakt als "gewissermaßen alles" stimmt, das sich gegen seine begier- u. Wahrheitsfähigkeit des M. können vorgegeben, sondern von den be-
(Thomas v. Aquin) zu bestimmen, dehafte Natur zu dem entfaltet, was nicht mit der gattungsgeschichtlichen wußt geschaffenen Formen mensch-
ohne daß seine spezifischen Eigen- es als Schöpfer u, Gestalter seiner Entwicklung, der Evolution (t evo- licher t Gesellschaft abhängig. Der
schaften u. Möglichkeiten als Den- Geschichte seinen vernünftigen Mög- lutionistische E) oder mit den Ver- M. schafft insofern seine t Bedürf-
kender, Wollender u. Handelnder lichkeiten nach sein kann, (3) Als ge- haltensdispositionen des M. erklärt nisse selbst, als er den Anspruch auf
hinreichend verstanden wären. An- schichtlich Handelnder ist der M. werden. Biologisch (t Biologismus) ihre Befriedigung nicht natural, son-
thropologie (griech" Wissenschaft von seinen Vollendungsbedingungen oder behavioristisch (engl. beha- dern sozial legitimiert, Damit konsti-
vom M,) wird dann zu einer philo- sowohl als politisch-soziales wie als viour: Verhalten) erfüllt der M, le- tuiert sich die individuelle Bedürfnis-
sophischen Grundwissenschaft, die vernünftig-sprachliches Wesen ab- diglich die Funktionen seiner Selbst- struktur intersubjektiv. (7) Auch das
die Ordnung der t Seele (Platon), hängig, Das geglückte M,sein ist Re- erhaltung. Sein Handeln ist nicht Bewußtsein seiner eigenen Subjekti-
des Denkens (Thomas v, Aquin) sultat einerseits sittl. gutes Lebens in frei, d, h. nicht mit Hilfe vernünftiger vität, sein Verhältnis zu sich selbst,
oder der t Natur (Spinoza) für alle einer Gemeinschaft u, der Fähigkeit, Einsicht in die t Normen des Han- bildet den M. in seiner Beziehung zu
Wissensformen verbindlich macht. i Wahrheit zu erkennen, anderer- delns wählbar, sondern determiniert den Mitmenschen, Die M.en haben
(2) Als Alternative bleibt, den M. seits aber der Bedingungen der Rea- (t Determinismus) u. damit unzurei- füreinander motivierende Kraft: die
vom Spannungsverhältnis seiner We- lisierung seiner selbstgewählten Ziele chend bestimmt. (5) Es genügt auch Erfahrung des anderen macht erst
senszüge her als offenes, der t Welt in bestimmten geschichtlichen u, so- nicht, im entgegengesetzten Sinne ei- die Selbsterfahrung möglich, in der
u. seinen Mitmenschen zugewandtes zialen Verhältnissen. Grundproblem ner Geist-Anthropologie die "Stel- der M. die Intentionen seines Um-
Wesen zu verstehen. Damit können des M. ist es, wie er sich mit Hilfe lung des M. im Kosmos" seinem gangs mit den Mitmenschen ge-
die unterschiedlichen Lebensformen seines theoretischen, praktisch-sittl. "apriorischen Wertgefühl" u. einer winnt. Nur intersubjektiv gewinnt
u. -ziele des M. u. die Bedingungen u. technischen Vermögens seine Pra- allgemeinen geistigen u. vitalen Tä- der M, die Fähigkeit zu spezifisch
ihrer Möglichkeit bestimmt werden, xis vermitteln kann. (4) Der Ver- tigkeitsenetgie ("Gefühlsdrang") zu- menschlichen Akten wie t Liebe,
Ihnen entsprechen perspektivisch u, gleich organischer Fähigkeiten des zuschreiben (M, Sehe/er). Sein geisti- Reue, Verzweiflung u. zur Beurtei-
methodisch unterschiedliche Wis- M. mit denen hochentv.rickelter Tiere ges, erkennendes Wesen befähigt den lung ihres Werts. - Die Gefahr der
sens formen: dem vernünftigen u. verdeutlicht seine biologische Män- M. zwar, daß er "Nein" sagen kann t Entfremdung u, Selbstverfehlung
sprachlichen Wesen die Theorien des gelhaftigkeit u. die Notwendigkeit u. nicht von Trieben u, Instinkten begleitet diesen intersubjektiven Pro-
Menschenrechte 196 197 Metaethik

zeß der Bewußtseinsbildung, da ein- Politik, Buch I, 2; Thomas v. Aquin, De che Bedeutung sitt!. Prädikate wie Prädikate bei näherer Analyse als
mal die Kriterien des guten oder veritate I, 1; B, Spinoza, Die E, Teil III; ,gut', ,richtig' (t Moral, t Sittlich- gleichbedeutend mit gewissen empi-
l. Kant, Anthropologie in pragmati-
schlechten Handelns nicht unmittel-
scher Hinsicht, Vorrede, § 56;
keit), ,Sollen', t ,Pflicht', auch rischen Prädikaten, etwa ,gut' mit
bar evident sind u. zum anderen M. Scheler, Die Stellung des M, im t ,Handlung', t ,Gewissen', ,Ab- ,nützlich' ( t Utilitarismus) oder
auch die Intentionen einer scheinbar Kosmos, S, 36ff, 49ff; T. Litt, M. u, sicht' (daher auch: [sprach-Janalyti- ,lustvoll' (Hedonismus: t Freude),
sittl. guten Handlung von egoisti- Welt, Heidclberg 21961, Kap, 1, 6, 13; sche E, linguistische E), (b) um die SittL Urteile lassen sich dann aus
schen Zwecken bestimmt sein kön- M. Theunissen, Der Andere, Berlin Unterscheidung ihrer sitt!. von der wahren Sätzen über den Menschen
nen. Es ist Aufgabe der t Erziehung, 1965, S. 19 ff; 118 ff; A. Gehlen, Der nichtsittl, Verwendung u. (c) um die u. die Welt ableiten; die Suche nach
dem M. die kognitiven u. emotiven M., Frankfurt/M,-Bonn &1966, Einfüh- Frage, ob u, wie man sitd. Urteile der richtigen Moral wird zur Ange-
Fähigkeiten zum sitt1. guten Handeln rung u. Teil 11; D. Levi-Strauss, Das rechtfertigen kann. Es gibt vier legenheit der empirischen Wissen-
(sitd. Kompetenz) zu vermitteln. Die wilde Denken, Frankfurt/M. 1968, Grundrichtungen, die sich teilweise schaften, Überzeugender ist es je-
Abschn. VII u. IX.; H. Plessner, Philo-
in diesem Handeln anstrebbaren sophische Anthropologie, Frankfurt/M, überschneiden: (1) Nach dem Non- doch, ein konkretes sittl. Urteil (Du
t Werte werden in der menschlichen 1970, S, 31 f, 187ff; O. Marquard, kognitivismus (schon Hume) ist der sollst den dort Ertrinkenden retten)
Entwicklung (t Sozialisation) verin- Schwierigkeiten mit der Geschichtsphi- Bereich des Sittl. keiner wissen- als Synthesis eines empirischen
nerlicht. Ihre Kriterien bedürfen aber losophie, Frankfurt/M, 1973, Teil 2; schaftlichen (wahren u. objektiv gül- (Jemand ist am Ertrinken) u. eines
einer vernünftigen Begründung in B. F, Skinner, Jenseits von Freiheit u. tigen) Erkenntnis fähig. Denn sittl. normativen Elementes (Ertrinkende
zwischenmenschlicher Verständigung Würde, Reinbek 1973, Teile 1-4 u. 9; Überzeugungen entziehen sich den soll man retten) aufzufassen, wobei
(t Kommunikation). Sie sind nicht M. Müller, Philosophische Anthropo- beiden Wahrheitskriterien des logi- das normative Element auch als all-
logie, hrsg. v. Vf" FreiburglMünchen
Ergebnis der "unbewußten Bedin- schen Positivismus, dem logisch- gemeines sittI. Urteil für sich ausge-
1974, S, 207 ff u, 303 ff; H. G, Gada-
gungen des sozialen Lebens" (c. Le- mer u, a" Neue Anthropologie, Bd.7, mathematischen Beweis und der sagt werden kann (Notleidenden soll
vi-Strauss, t Strukturalismus). Der Teil 2; J. Köhler, Die Grenze von Sinn, Überprüfung durch Beobachtung man helfen).
M. ist als geschichtlich Handelnder FreiburglMünchen 1983; Kindlers oder Experiment. (1.1) Im Emoti- Das Standardargument gegen die
in seiner individuellen Entwicklung Ezyldopädie Der M., 10 Bde., Mün- vismus haben sitt!. Urteile lediglich verschiedenen Formen des Natura-
von den inhaltlichen Bedingungen chen 1982 ff; O. Höffe (I-Irsg.), Der die Bedeutung, unsere eigenen rein lismus ist seit Moore der Nachweis
seiner Sozial- u. Gattungsgeschichte Mensch - ein politisches Tier?, ,Stutt- subjektiven Gefühle (der frühe Ayer) eines naturalistischen Fehlschlusses
abhängig. Gleichwohl ist er in der gart 1992. W. V. oder Einstellungen (Stevenson, der (= n.F.), die Definition von ,süd, (an
t Entscheidung über die Alternati- späte Ayer) zu bekräftigen u. appel- sich) gut' durch empirische oder me-
ven seines Handeins, in der vernünf- Menschenrechte t Grundrechte. lativ die anderer zu beeinflussen. taphysische Begriffe (z, B. ,an sich
tigen Reflexion u. in der Willensbil- Dagegen läßt sich einwenden, zur gut' = ,lebensdienlich'). Allerdings ist
dung über seine Ziele u, Zwecke, Menschenwürde t Grundrechte, Bedeutung sittl. Urteile bzw, ihrer nicht jeder behauptete n.F. tatsäch-
d, h, in der Gestaltung seiner eigenen Humanität, Grundsätze gehöre es, Allgemeingül- lich einer. Von Moores semanti-
Geschichte frei. Sein soziales u. tigkeit u. Objektivität zu beanspru- schem Problem ist Humes logisches,
durch t Sprache ermöglichtes Ver- Metaethik nennt sich eine seit Beginn chen. (1.2) In der weniger extremen der Sein-Sollen-Fehlschluß, der unzu-
hältnis zu seinen Mitmenschen ist die dieses Jh, im anglo-amerikanischen Form Hares handelt es sich um Emp- lässige Übergang von deskriptiven
Grundbedingung dieser Freiheit. Sie Sprachraum entwickelte Forschungs- fehlungen (Präkriptivismus), bei de- (empirischen oder metaphysischen
konkretisiert sich in der Praxis des richtung, die keine inhaltlichen Aus- nen man bereit ist, allgemeine Grün- Seins-) zu normativen (Sollens-) Aus-
M. Aufgabe der Anthropologie ist es sagen (Neutralitätsthese) über das de (z. B. gemäß der t Goldenen sagen (z, B, von ,x ist nützlich' zu
daher, den Begriff menschlicher sittL Gute einzelner Handlungen, ih- Regel' oder dem Prinzip der Verall- ,Du sollst x tun'), zu unterscheiden.
Praxis zu bestimmen u. mit den Wis- rer Regeln oder des Kriteriums der gemeinerung: t kategorischer Impe- (2,2) Als Alternative zum Naturalis-
sensformen vom M. die Bedingungen Regeln machen (moralischer Dis- rativ) anzugeben. mus versteht sich der Intuitionismus
seiner Geschichte aufzuklären. kurs: t normative E), sondern solche (2) Der Kognitivismus hält an der (schon Reid, neuerdings Moore,
Aussagen auf ihre sprachliche Form prinzipiellen Erkennbarkeit des Süd. Ross, Prichard, Ewing). Er hält die
Lit.: Platon, Timaios, 69b-92c; Aristo- hin untersuchen will (Meta-Diskurs), fest. (2,1) Nach dem Naturalismus grundlegenden sitt!. Urteile für in
teles, Über die Seele, Buch IIl; ders., Der M. geht es (a) um die sprachli- (Lewis, Perry) erweisen sich sitt1. sich evident, d, h. einer bloß intuiti-
Metaethik 198 199 Methoden der Ethik

ven Erkenntnis zugänglich, was die sprachphilosophischer Entwicklun- Ayer, Sprache, Wahrheit u. Logik, leitung. M.n sind in der Regel keine
schwierige Aufgabe stellt, Entschei- gen glaubt der Realismus, die Natu- Stuttgart 1970, Kap. 6; C. L. Steven- starren Verfahren, sondern lassen es
dungskriterien für die Richtigkeit ralismuskritik von Moore entkräften son, Ethics and Language, New Haven mehr oder weniger offen, wie man
von Intuitionen (t Gefühl, t Wert) zu können (Boyd, Brink). Demge- 1944; K. Baier, Der Standpunkt der sie in wechselnden Situationen er-
genüber bestreiten Antirealisten die Moral, Düsseldorf 1974; R. M. Hare,
zu benennen. Die Sprache der Moral, Frankfurt/M. folgreich anwendet. Sie sind weniger
(3) Während die (non-)kongnitivi- Existenz genuin moralischer Tatsa- 1972; ders., Freiheit u. Vernunft, Düs- präzise Direktiven als Orientierungs-
stischen Positionen die Erkennbar- chen u. meinen dann, einen e t Re- seldorf 1973; ders., Moralisches Den- hilfen, die man durch wiederholte
keit des Sittl. diskutieren, analysiert lativismus vertreten zu müssen (z. B. ken, Frankfurt/M. 1992; W. D. Hud- Verwendung (Einübung) lernt. Die
der e Logizismus die für den moral. Harman), oder sie müssen die Gel- son (Hrsg.), The Is-Ought-Question, Bestimmung der rechten M. hängt
Diskurs spezifische Argumentati- tung moral. Urteile auf andere Weise London 1969; I. Murdoch, The So- vom Gegenstand u. dem Erkenntnis-
onsmethode. Dessen Regeln gewinnt erklären (wie z. B. im "Quasirealis- vereignty of Good, LondonlNew York interesse ab. Die philosophische Eist
er aus der sozialen Funktion der Mo- mus" von Blackburn). 1970; O. HöHe, Naturrecht ohne natu- als Philosophie durch Argumentati-
Der traditionellen E ist die M. ralist. Fehlschluß, Wien 1980; A. Pie-
ral (Toubnin, Baier) oder aus der per, Sprachanalyt. E u. praktische Frei- on, Reflexion u. Vora ussetzungslo-
Bedeutungsanalyse sittl. Prädikate nicht ganz fremd, denn die Analyse heit, Stuttgart 1973; r. Craemer-Rue- sigkeit sowie als E durch die Idee ei-
(Hare). Die t deontische Logik, die der Prinzipien des Sittl. wird als Be- gen berg, Moralsprache u. Moralität, nes sinnvollen (sitt!. guten u, gerech-
Logik der normativen Modalitäten griffsanalyse durchgeführt, geleitet FreiburgfMünchen 1975; G. Grewen- ten) menschlichen Lebens bestimmt.
,geboten', ,verboten', ,freigestellt' von der Frage nach der Konstitution dorf, G, Meggle (Hrsg.), Sprache u. H, Mit dem Ziel, Irrtum zu destruieren
bildet inzwischen eine eigene For- u. Legitimation des Sittl.: Aristoteles Frankfurt/M. 1974; G. Harman, Das u. t wahres Wissen zu begründen,
schungsrichtung (v. Wright u. a.). geht vom formalen Begriff des Guten Wesen der Moral, Frankfurt/M. 1981; richtet die philosophische E primär
als Ziel jedes menschlichen t Stre- F. v. Kutschera, Grundlagen der E,
(4) Zunächst von Rawls aus dem keine Appelle an den Menschen,
BeriinlNew York 1981; J. L. Mackie,
Mittelpunkt der anglophonen E- bens aus u. bestimmt das schlechthin sondern bringt Definitionsvorschlä-
E, Stuttgart 1983; R. Stuhlmann-
Debatte verdrängt, geht es der neue- höchste Gut (Ziel) als t Glück (im Laeisz, Das Sein-Sollen-Problem, Stlltt- ge, Behauptungen, Widerlegungs- u.
ren M. weniger um den epistemolo- Sinne von Autarkie). Kant fragt nach gart 1983; M. Riedinger, Das Wort Begründungsversuche; sie prüft vor-
gischen Gegensatz von Kognitivis- dem, was ohne Einschränkung gut ist ,gut' in der angelsächsischen M., Frei- gegebene Fragestellungen 0. Grund-
mus u. Nonkognitivismus als um die u. identifiziert es mit dem guten burg/München 1984; S. Blackburn, begriffe u, bildet neue, was insge-
ontologische Unterscheidung von WiJlen, dessen Prinzip er in der Spreading the Ward, Oxfard 1984, samt die Qualität der Reflexion hat:
Realismus u. Antirealismus und de- t Freiheit (im Sinne von Autonomie) Kap. 6-7; ders., Essays in Quasi- Die E distanziert sich von einem
ren Konsequenzen für die Philosophie sieht. Aus der Begriffs- u. Prinzi- Realism, Oxford 1993, Teil 11; D. Wig-
unmittelbaren Wissen des Sittl., um
gins, Needs, Valucs, Truth, Oxford
des Geistes, die Handlungstheorie u. pienanalyse ergibt sich auch das Kri- in neuer Hinwendung zu ihm es in
1987; G. Sayre-McCord (Hrsg.), Essays
die Semantik. Nach dem Realismus terium für die sittl. Beurteilung von on Moral Realism, Ithaca/London seine Elemente aufzugliedern, es aus
gibt es moralische Tatsachen, die Lebensformen (Aristoteles) oder Ma- 1988; D. Brink, Moral Realism and the Prinzipien u. schließlich aus einem
unabhängig von unseren moral. Ur- ximen (Kant), das Glück bzw. der Foundations of Ethics, Cambridge ersten Prinzip, dem t Moralprinzip,
teilen existieren (Murdoch, Wiggins, kategorische Imperativ, so daß die 1989. O. H. widerspruchsfrei zu rechtfertigen
McDowell). Ob ein moral. Urteil Trennung von M. u. normativer E oder auch zu kritisieren (t Moral-
wahr oder falsch ist, ist demnach al- nur bedingt nötig ist. - Zum Meta- Metaphysikfreie E t Methoden der kritik) sowie die Prinzipien in sich u.
lein vom Bestehen des durch das Ur- Diskurs gehört auch die Untersu- E. im Verhältnis zueinander zu bestim-
teil ausgedrückten Sachverhalts ab- t
chung der Methoden u. des Sinnes men, Zugleich beansprucht sie, in
hängig. Daß es moral. erhebliche einer philosophischen E. Methoden der Ethik (M. n d. E). M.n dem Sinn voraussetzungslos zu sein,
Tatsachen gibt, ist freilich selten be- sind Verfahrensweisen, nach denen daß sie nichts als gegeben anerkennt,
Lit.: Aristoteles, Nikom. E, Kap. I 1-6,
stritten worden; daß sich moral. Ur- komplex in sich strukturierte Prozes- das prinzipiell ihrer Diskussion ent-
III 1-7; D. Hume, Untersuchung über
teile vollständig auf Tatsachen zu- die Prinzipien der Moral, Buch III, se des Denkens, auch des Handelns zogen sein sollte. Auch das noch so
rückführen lassen, ist, abgesehen von Abschn. I 1; I. Karrt, Grundleg. z. Me- folgerichtig u. zielstrebig ausgeführt Selbstverständliche muß sich in Fra-
einem t Faktum der Vernunft, pro- taphysik der Sitten, 1. u. 2. Abschn.; werden. Als Musterbeispiel methodi- ge stellen lassen. Die Selbstkritik ge-
blematisch. Unter Aufnahme neuer G. E. Moore, Principia Ethica; A.]. scher Exaktheit gilt die logische Ab- hört zu den konstitutiven Momenten
Methoden der Ethik 200 201 Methoden der Ethik

jeder Philosophie. - Eine umfassende Vorbild dafür gilt die i praktische Sach- u. Personcnwerten, sinn\. u. beschreibt, erklärt u. kommentiert
argumentative Reflexion des SittL Philosophie von Aristoteles u. Hegel, geistigen Werten - als selbstevident die Art u. Weise, wie wir moralische
läßt sich nur durch eine Vielfalt von deren aktualisierte Interpretation ei- u. apriori gültig unterstellt werden, Ausdrücke (gut, richtig, auch Ab-
einander ergänzender M.en bewälti- nen Beitrag zum systematischen Ver- eine intersubjektive Prüfung deshalb sicht, i Gewissen, i Freude, Hand-
gen, wofür die E des Aristoteles bei- ständnis der Gegenwart leisten soll. überflüssig mache sollen. Metho- lung, Handlungsgrund usw.) ver-
spielhaft ist. Eine einzige M. zu tota- Obwohl die herrn. E zu Recht die ab- disch schwieriger gestaltet sich die wenden u. wie wir moraJ'isch
lisieren wird der komplexen Sache strakte Gegenüberstellung von Ge- Erhellung der "Sinngesetze des emo- argumentieren (i MetaE: Ayer, Ste-
nicht gerecht. schichte u. Systematik aufheben will, tionalen Lebens", die M. Sehe/er venson, Nowell-Smith, Hare, Black-
Damit die Argumentation nicht hat sie sich doch mehr mit der Klas- durch die Analyse von i Liebe, burn, Gibbard). (b) Die normativ-
gehaltlos (leer) bleibt, muß sie sich siker-Interpretation als mit der Aus- Sympathie (t Wohlwollen), Haß, analytische E geht von den sittl.
einer empirischen Basis vergewissern. legung der Gegenwart beschäftigt. Scham, Demut aufsucht, sowie die Urteilen lebenserfahrener u. vernünf-
Der Sachgehalt der Begriffe u. Theo- Da sie eine vorhandene i Moral u. Analyse des sittl. Bewußtseins. Letz- tiger Menschen aus u. sucht die Ur-
rien bzw. Hypothesen ist an das Sitte (i Institutionen, Verhaltenswei- tere muß vom eigenen Bewußtsein teile in ein widerspruchsfreies System
menschliche Leben zurückgebunden, sen usf.) auf die in ihr enthaltene ausgehen, das aber nicht das sittl. zu bringen, das - von obersten sitt!.
sofern es sich unter den Anspruch Idee allgemeiner Verbindlichkeit hin Bewußtsein schlechthin, sondern eine Grundsätzen ausgehend - unsere
des SittI. stellt. Wie man eine Aus- auslegen will, neigt sie dazu, das Be- geschichtliche Gestalt (ein christI. Überzeu~ungen erklären, gelegent-
gangsbasis gewinnt, die allen ver- stehende zu rechtfertigen, ohne es Ethos oder dg!.), zudem in indivi- lich aus korrigieren soll (t Utilita-
traut u. zugleich verbindlich ist, auch dort, wo es nötig wäre, im dueller Ausprägung ist. Um trotzdem rismus; Rawls). Sie gerät in Schwie-
u. wie man von ihr ausgehen soll, Namen der i Sittlichkeit zu kritisie- zu allgemeinen Grundstrukturen zu rigkeiten, falls es zu den sitt1. Vor-
ist kontrovers. Die hermeneutische ren. Zudem kann sie sich - aufgrund kommen, könnte man die Resultate stellungen unterschiedliche Grund-
(griech.: Auslegung, t Verstehen be- der Skepsis gegenüber transzendenta- der Analysen als vorläufige Thesen sätze u. Moralsysteme gibt, weil sie
treffende) E (= herm. E: J. Ritter, ler E - der leitenden Idee des Sittl. aufstellen, die von anderen auf der deren Konkurrenz nicht mehr me-
auch H. G. Gadamer u. deren Schü- nicht methodisch vergewissern; ihre Grundlage ihrer Analysen geprüft: thodisch entscheiden kann.
ler) behauptet den Vorrang der ge- Rechtfertigung mag daher plausibel bestätigt oder verworfen werden. Ob die E den Ausgang bei der
schichtlichen Erfahrung vor der a b- sein, strikt begründet ist sie nicht. Allerdings fragt es sich, wie man im sittl.-politischen Wirklichkeit, bei
strakten Deduktion. Die E sei keine Diephänomel1ologische E (= phän. Fall der Nichtbestätigung verfährt u. idealen Werten oder dem sitt!. Be-
Mathematik, die - von Prinzipien E) wurde von E. Husserl grundge- welche Verbindlichkeit überhaupt wußtsein, bei der Umgangssprache
(Axiomen) ausgehend - ein zwar wi- legt, von M. Sehe/er u. N. Hartmann das Bewußtsein eines konkreten oder den Überzeugungen erfahrener
derspruchsfreies, gegenüber der systematisch ausgebaut u. von D. v. i Individuums für die E hat. Menschen nimmt, die entsprechen-
Wirklichkeit der Menschen aber be- Hildebrand, A. Phänder, H. Reiner u. In einem allgemeinen Sinn ist jede den Analysen bleiben von den im
ziehungsloses System konstruieren, anderen fortentwickelt. Ihr geht es wissenschaftliche E analytisch. Denn Ausgang (Vorwissen) enthaltenen
vielmehr die sittl.-politische Wirk- um ein befundgetreues, unvoreinge- sie zerlegt ihren Gegenstand, das Grundbedeutungen von i Mensch u.
lichkeit in ihrer Geschichtlichkeit be- nommenes Aufzeigen ·u. Beschreiben sitd. i Handeln, in seine verschiede- Welt abhängig. Durchschaut man
greifen solle. Gegen Kants u. stärker der Phänomene, wie sie sich in einer nen Elemente u. Aspekte u. sucht die Abhängigkeiten, so werden sie
noch gegen Fichtes Versuch skep- Anschauung eigener Art (Intuition) diese m. zu bestimmen. Im engeren als "metaphysische" Prämissen qua-
tisch, ein allgemeines u. daher auch zur Kenntnis bringen sollen. Die Sinn heißt heute die E analytisch, lifiziert, kritisiert u. eliminiert. Die
ungeschichtliches Moralprinzip auf- phän. E analysiert den Bereich der die - dem Wissenschaftsideal des moderne philosophische E versucht,
zustellen u. daraus alle Verbindlich- idealen materialen i Werte u. ihr logischen--Positivismus folgend - ei- ohne solche Prämissen auszukom-
keiten abzuleiten, will die herrn. E - subjektives Korrelat, das sitt!. Be- nen intersubjektiv verbindlichen Aus- men; sie will nicht mehr, wie häu-
ausgehend von der Lebensweise u. wußtsein, in dem sich die Werte als gangspunkt sucht u. analysiert. fig in der Tradition (z. B. Platon,
den Vorstellungen erfahrener u. ver- Sollensforderungen unterschiedlichen (a) Von Moore u. dem späten Witt- Spinoza), das sitd. Handeln aus ei-
nünftiger Menschen - das Sittl. als Ranges finden. Als materiale WertE genstein beeinflußt, geht die sprach- ner Gesamtkonzeption des Seienden
das Allgemeine in der geschichtlichen geht sie von ontologischen Unter- analytische (linguistische) E von der hera us verstehen. Das Stichwort E
Wirklichkeit selbst aufsuchen. Als scheidungen aus, die - wie die von Umgangssprache aus. Sie reflektiert, ohne Metaphysik (Patzig, W. Schulz)
Methoden der Ethik 202 203 Modernismus

bezeichnet deshalb eine die moderne lichung in der realen Welt verpflich- oder dem anderen Satz aufzuheben, Grundlagen der Sittlichkeit, Meisen-
E mitkonstituierende kritische Idee, tet zu sein, Als Bedingung apriori Platonische Dialektik bezeichnet den heim a. G. 1974; G. Grewendorf,
ohne daß eine bestimmte E für sich der Möglichkeit allgemein verbindli- kunstgerechten Umgang mit Sätzen, G, Meggle (Hrsg.), Sprache u, E,
Frankfurt/M. 1974; W,Oclmüller
beanspruchen könnte, völlig "meta- cher Normen gilt deshalb der tran- der zu einer Einsicht führt, die selbst (Hrsg.), Transzendentalphilosophische
physikfrei" zu sein. Denn ihre Prä- szendentale Begriffvon i Freiheit: die nicht mehr in Sätze einzugehen Normenbegriindungen, Paderborn
missen liegen nicht offen zutage, von allem Empirischen unabhängige braucht: zu einer Selbsterfahrung der 1978; O. Höffe, E u. Politik, Frank-
sondern werden erst durch ein eige- Autonomie des t Willens. - In einer Diskussionspartner, etwa zur Erfah- furt/Mo 3 1987, Kap. 2, 5, 7; ders., Im-
nes kritisches Verfahren u. meist erst Radikalisierung der transzendentalen rung ihres Nichtwissens. - Der mar- manue! Kaut, München 4 1996, Kap. 9;
dann offenbar, wenn das zugrunde- M, unternimmt es Fichte, das Prinzip kanteste Vertreter neuzeitlicher Dia- ders., Kategorische Rechtsprinzipien,
liegende Verständnis von Welr u. der Sittlichkeit selbst noch einmal, lektik ist Hegel, der gegenüber Kant Frankfurt/lvi. 1990; H. Krings, System
Mensch seine Tragfähigkeit, die all- nämlich aus dem Prinzip der Wissen- u, Fichte den institutionellen Begriff u. Freiheit, Freiburg/München 1980;
S. Blackburn, Spreading the Word, Ox-
gemeine Zustimmung, verliert. Die schaftslehre zu begründen. - Durch der Sittlichkeit als die Aufhebung u, ford 1984, Kap, 5-6; A. Gibbard, Wise
durch Kant begründete, von Fichte u. den Ausweis der Autonomie als sitt\. Synthese der einander abstrakt ge- Choices, Apt Feee1ings; OxfordlNew
dem frühen Schelling fortgesetzte, in Prinzip enthält jede transzendentale genüberstehenden Begriffe von Le- York 1990, O. H.
der Gegenwart zu neuem Ansehen E ein eminent kritisches Moment: die galität u. Moralität einführt u. im
gelangte Transzendentalphilosophie Weigerung, ein Gegebenes bloß als Bereich der Sittlichkeit den i Staat .Minderheiten i Diskriminierung,
untersucht deshalb die Bedingungen Gegebenes für die Instanz des Rich- als Synthese der zueinander antithe-
apriori der Möglichkeit von Erfah- tigen zu halten, verbunden mit dem tischen Begriffe von i Familie u. Minderwel'tigkeit i Diskriminierung.
rung, als transzendentale E die von indirekten Appell zur Befreiung von bürgerlicher i Gesellschaft behaup-
sittl. Erfahrung. Auch sie geht von jeglicher Heteronomie, - Weiter als tet, .Minderwertigkeitsgefühl t Sadi-
gewöhnlichen sitt!. Urteilen aus, ist das transzendentale Programm reicht stisch-masochistisch.
also keinesfalls wirklichkeitsfremd, Kants Intention einer praktischen Lit.: Platon, Der Staat, Buch VI-VII;
abstrahiert aber von allen besonde- Vernunftskritik, Sie intendiert, im Aristote1es, Nikomach. E, Kap. I 1,2, 7 .Mitbestimmung i Demokratie,
ren, meist doch kontroversen Inhal- Gegensatz zur Vorstellung,. Sittlich- u, II 2; 1. Kam, Kritik der prakt. Ver-
nunft, bes. 1. Buch; J. G. Fichte, Das Mitleid i Wohlwollen.
ten sowohl der abgeleiteten i Nor- keit sei eine bloße Illusion, die Wirk-
System der Sittenlehre (1798), bes,
men als auch der sitt!. Grundsätze u, lichkeit reiner praktischer Vernunft 1. Hst,; G. W. F, Hege1, Grundlinien .Mitmenschlichkeit i Wohlwollen,
sucht deren identische Form auf: das, aufzuweisen, Dazu bildet sie den Be- der Philosophie des Rechts; M. Scheler,
was das Sittl. konstituiert, Sie führt griff eines vom empirischen Bestim- Der Formalismus in der E , . " BernJ Mittel i Ziel.
geschichtlich konkretes Sollen auf mungsgründen ganz unabhängigen München 5 1966; N. Hartmann, E, Ber-
das Moment des Unbedingten zurück Begehrens, zeigt seine Wirklichkeit in lin 4 1962; D. v, Hildebrand, Die Idee Modernismus ist eine vielschichtige
u. leistet somit in einem emphati- der Tatsache unserer sitt!. Urteile auf der sitd. Handlung,. " Darmstadt Geistesströmung, die, unter dem phi-
schen Sinn i Begründung. Unab- (Faktum der Vernunft), formuliert 1969; H, G. Gadamer, Platos dialekt. losophischen Einfluß von M. Blonde!
E, Hamburg ll968; J. Rawls, Ein Ent-
hängig von ihren wechselnden Inhal- ihr Grundgesetz, für bedürftige Ver- u. H, Bergson, gegen Ende des
scheidungsverfahren für die nonnative
ten zeichnen sich sittL i Normen nunftwesen als i kategorischen Im- E, in: Texte zur E, München 1976; 19. Jh, die katholische Theologie aus
durch den Anspruch aus, allgemein- perativ, und sucht dessen transzen- A. Roth, E. Husserls e Untersuchungen, ihrem Gegensatz zur Philosophie,
gültig, also objektiv u, notwendig zu dentales Prinzip auf. Den Haag 1960; J. Ritter, Metaphysik Geschichtswissenschaft u. protestan-
sein, Ihr oberster Maßstab ist des- Dialektik heißt seit Platon die - u. Politik, Frankfurt/M. 1969, bes. tischen Theologie der Zeit heraus-
halb der t kategorische Imp~rativ. neben der transzendentalen M, - der S, 57ff, S. 281ff; O. Marquard, Hege! führen u, die kirchliche t Rechtsord-
Dem entspricht auf der Seite des Philosophie eigentümliche GrundM., u, das Sollen, Philosoph, Jahrb. Bd. 72, nung u, i Politik an demokratische
Subjekts das Bewußtsein, zu Hand- einen plausiblen Satz (Position oder 1964; G. Patzig, E ohne Metaphysik,
u, soziale Strömungen angleichen
These) mit seinem ebenso plausiblen Göttingen 1971, bes, Kap,II-III; W,
lungen schlechthin ohne Rücksicht wollte (L. Laberthonniere, E. le Roy,
Schulz Philosophie in der veränderten
auf entgegenstehende Antriebe der Gegen-Satz (Negation, Antithese) zu Welt, Pfullingen 3 1976, Teil V; A, Pie- A. Loisy in Frankreich, G. Tyrell in
t Bedürfnisse u. i Leidenschaften konfrontieren, um dadurch das per, Sprachanalyt. E u. prakt. Freiheit, England). Ihr demokratisches Kir-
oder auf die Chancen der Verwirk- dogmatische Beharren auf dem einen Stuttgart u.a. J973; H, Reiner, Die chenverständnis, die Anwendung
Monogamie 204 205 Moral u. Sitte

profan-wissenschaftlicher, historisch- stisch ist u. die Unterscheidung von bestehen in Tadel, Vermeiden sozia- lektiven Selbsterhaltung (Ersatzfunk-
kritischer Methoden in der Schriftin- "fremd" u. "dazugehörig" mitbe- ler Beziehung usf. M. u. S. unter- tionen angesichts menschlichen In-
terpretation u. die Deutung der gründet. Sie werden durch Aufwach- scheiden sich auch vom Brauch stinktmangels) hinaus bilden M. u. S.
Dogmen nach Kriterien eines sub- sen in der entsprechenden Gruppe, (Vätersitte: mores maiorum), der als jenes gruppen- u. kulturspezifische
jektiven, erlebnismäßigen Moralis- durch Vor- u. Nachmachen, Leitbil- bloßes Herkommen (Gewohnheit) Richtmaß eines sinnvollen Lebens,
muS wurden von Papst Pius X. im der, verbale oder nichtverbale Billi- die reine Antithese zur i Begrün- das - aus kollektiven Erfahrungen u.
Dekret Lamentabili (1907) u. in der gung u. Mißbilligung angeeignet u. dung darstellt. Dessen oft überge- schöpferischen Sinnentwürfen gebil-
Enzyklika Pascendi (1907) verurteilt. zur persönlichen Haltung, Sinnesart naue, ängstlich beachtete Verhal- det - der humanen Selbstdarstellung
befestigt (i Erziehung), mit der Ge- tensmuster sind in den offeneren, u. -verwirklichung dienen will.
Lit.: R. Marle (Hrsg.), Au coeur de la fahr, daß die eigene' M. u. S. absolut gegenüber der bloßen Überlieferung InM. u. S.gehen empirische u. nor-
crise moderniste, Paris 1960; E. Poulat, gesetzt u, Fremde mit anderer M. u. kritischen industriellen Großgesell- mative Momente eine lebensmäßig
Histoire, dogm'e et critique dans la crise S. i diskriminiert werden. schaften zum Feiertagsschmuck ab- untrennbare Einheit ein. Sie bilden
moderniste, Paris 1962; L. Bedeschi, Als Ethos (griech. ethos, Gewöh- gesunken (Brauchtum, Folklore). eine geschichtlich konkrete Lebens-
Lineamcnti dcll'antimodernis01o, Par-
ma 1970. M. }', nung u. ethos, gewohnter Lebensart, Obwohl M. u. S. auch ein jeweils form, in der sich der Anspruch
Charakter) waren M. u. S. ursprüng- Vorgegebenes sind, verbindet sich menschlichen Handelns auf Unbe-
Monogamie i Ehe. lich die ungeschiedene Einheit vom mit ihnen ein höheres Maß an Be- dingtheit (i Sittlichkeit) mit den je-
Guten, Geziemenden u. i Gerechten: wußtheit u. Verantwortung auf sei- weiligen Randbedingungen: den kli-
Moral (lat. mores: Sitten, Charak- objektiv als Lebensgewohnheit u. ten der Betroffenen. In der heute matischen, geographischen, wirt-
ter) u. Sitte stellen den für die Da- subjektiv als Charakter. Zu ihr ge- noch sinnvollen Form beruhen M. u. schaftlichen u. a. Lebensbedingungen,
seinsweise der Menschen konstituti- hörten "die ganze Erziehung u. Pfle- S. auf einer allgemeinen Grundüber- den traditionellen Glaubensüberzeu-
ven (keinesfalls auf Fragen der ge der Gesundheit, die Ehe, die Heil- einstimmung (Achtung vor der Men- gungen sowie dem Stand empirischer
i Sexualität beschränkten) normati- kunst, der Feldbau, der Krieg, das schenwürde, Negation von Zwang, Kenntnisse verbindet. Da das Unbe-
ven Grundrahmen für das Verhalten Reden u. Schweigen, der Verkehr un- Minderung von Leiden usf.: i Hu- dingte nur in geschichtlich wechseln-
vor allem zu den Mitmenschen, aber tereinander u. mit den Göttern" manität, i Pflichten) u. sind wegen den Verhaltensweisen u. Institutio-
auch zur Natur u. zu sich selbst dar. (Nietzsehe). Aufgrund eines längeren der dazu gehörenden i Toleranz of- nen zur Darstellung kommt, wird
M, u. S. (geltende oder positive M.) kulturgeschichtlichen Differenzie- fen für partikulare Gruppen mit Sittlichkeit ohne die Konkretion in
bilden im weiteren Sinn einen der rungsprozesses beziehen sich M. u. S. konkurrierenden M.en u. S.n. - Kul- M. u. S. nicht wirklich. Allerdings
Willkür der einzelnen entzogenen heute nur noch auf einen Teil des turanthropologisch betrachtet sind ist die Konkretion in der jeweils
Komplex von Handlungsregeln, größeren Zusammenhanges: Anders M. u. S. die Direktiven u, Stabilisa- herrschenden M. u. S. immer noch
Wertmaßstäben, auch Sinnvorstel:. als Etikette (Tischsitten, Anredeform tionskerne, die das durch seine Or- eine begrenzte, geschichtlich mehr
lungen. M. u. S. werden nicht allein lisf.), deren habituelle Befolgung An- gane und i Instinkte kaum geschütz- oder weniger angemessene Gestalt
in persönlichen Überzeugungen u. stand heißt, wollenM. u. S. als grund- te Leben des Menschen auf der Basis der Sittlichkeit. Sowohl aufgrund
Verhaltensweisen, sondern auch in sätzlichere Aspekte des menschlichen gegenseitigen Vertrauens sichern u. neuer Lebensbedingungen als auch
der Verfaßtheit öffentlicher i In- (Zusammen-)Lebens nicht bloß den einzelnen durch vorgefundene Le- wegen des Anspruchs auf ein huma-
stitutionen (i Eigentum, i Familie durch stillschweigende Übereinkunft bensmuster vom Zwang zur Form~ nes Dasein sollten M. u. S. stets zur
usf.), letztlich in der gelebten (nicht (Konvention) gelten, sondern auch schöpfung u. Entscheidung entlasten Veränderung (Wandel der Moral) u.
bloß postulierten) wirtschaftlichen, richtig, gültig sein. Im Unterschied (Gehlen). In soziologischer Perspek- Kritik ( i Moralkritik) hin offen sein,
sozialen, politischen u. kulturellen zum i Recht bestimmen M. u. S. ei- tive dienen M. u. S. der Integration was keinesfalls einen e i Relativis-
(besonders auch religiösen) i Ord- ne geschichtlich gewachsene Lebens- u. Stabilität sozialer Systeme (T. Par- mus begründet. Dabei könnte die
nung sichtbar. Sie bilden ein von in- form, die weder aus formellen Akten sons), wodurch ein (in Grenzen) vor- überkommene Ordnung von M. u.
neren Spmillungen nicht freies Gan- staatlicher Gewalt stammt noch sich hersagbares Zusammenleben mit S., die Tradition (i Kommunitaris-
zes, das in seiner jeweiligen Gestalt mit i Strafen verbindet, die unmit- Verläßlichkeit u. i Verstehen möglich mus), für sich beanspruchen, durch
für Klein- oder Großgruppen, auch telbar das Leben oder Eigentum be- ist. Über diese genetisch gesehen frü- ihren bisherigen Stand sich im gro-
für ganze Kulturkreise charakteri- treffen; die Sanktionen von M. u. S. hen Aufgaben im Rahmen der kol- ßen und ganzen bewährt zu haben.
T
Moralische Dilemmata 206 207 Moralkritik

Solange sie nicht als schädlich oder Moralische Dilemmata entstehen, notwendig wahr sein können, scheint dung u. rationale Wahl, München
unzweckmäßig erkannt ist, wäre es wenn eine Person oder auch eine von zwei nicht gleichzeitig erfüll ba- 1992; P. S. Greenspan, Practical Guilt,
vernünftig, ihr zu folgen, also dem Gruppe zwei oder mehr e Verpflich- ren Geboten entsprechend auch nur NewYork/Oxford 1995, 246ff. W. v.
Kritiker die Beweislast der Revisi- tungen in einer Situation gleichzeitig eines wirklich geboten zu sein. Die
onsbedürftigkeitaufzubürden ( i pro- einhalten sollte, aber nur eine Ver- Geltung der von der deontischen Lo-
Moralische Erziehung i Erziehung.
visorische M.). - Die Adjektive "mo- pflichtung erfüllen kann. Sie werden gik angenommenen Prinzipien u. ihre
häufig, aber zu Unrecht mit tragi-
Moralisches Gefühl i Gefühl.
ralisch" u. "sitt1." beziehen sich we- Anlehnung an die Modallogik sind
niger auf M. u. S. als auf Moralität schen Konflikten verglichen, für die allerdings fraglich. B. Williams lehnt
es aufgrund unvereinbarer Gebote
Moralisches Gesetz i Moralprinzip.
und Sittlichkeit. z. B. das Agglomerationsprinzip ab.
keine Lösungen gibt (vgl. i Pflich- Er schlägt vor, m. D. als Konflikte
tenkollision). Tatsächlich sind m. D.
Moralischer Sinn i Gefühl.
Lit.: F. Nietzsche, Morgenröte, Ab- zwischen Wünschen zu verstehen,
sehn. 9, 19,34; H. Bergson,' Die beiden aber alltäglich, wenn etwa familiäre von denen nur einer erfüll bar ist; der Moralismus ist ein vieldeutiger Aus-
Quellen der M. u. der Religion; F. Tön- mit beruflichen Verpflichtungen und unerfüllte Wunsch verschwindet druck. Fichte bezeichnet mit M. eine
nies, Die S., Berlin 1909; E. Durkheim, diese mit Pflichten gegen die eigene nicht einfach, sondern bleibt offen u. E, die im Gegensatz zum Eudämonis-
Bestimmung der moral. Tatsache, in: Person kollidieren. i Abtreibung und wird enttäuscht. Auf diese Weise
ders. Soziologie u. Philosophie, Frank- mus ( i Glück) nicht beim sinnlichen
allgemein i Entscheidungen über Le- muß nicht, wie Ross, Rare u. a. for-
furt/Mo 1967; ders., Erziehung, M. u. Sein stehenbleibt u. mit dem trans-
ben und Tod sind besonders schwie- dern, der Gebotscharakter bestimm-
Gesellschaft. Vorlesung an der Sor- zendentalen Standpunkt (t Metho-
bonne 1902/03, Frankfurt/M. 1984; rige Beispiele m. D. Die Wahl einer ter Verpflichtungen geleugnet wer- den) verbunden ist (Wissenschafts-
ders., Physik der S.n u. des Rechts. Verpflichtung schließt die Verletzung den. Wenn das Sollen von Geboten lehre, 1801 § 26). - Um M. handelt
Vorlesungen zur Soziologie der M" einer oder mehrerer anderer Ver- nicht als Müssen, also nicht als not- es sich auch, wenn man mit Kant die
Frankfurt/M. 1991; A. Macbeath, Ex- pflichtungen ein. Es ist allerdings, wendig, verstanden wird, sind meh- Vernunft letztlich nur auf das Mora-
periments in Living, London 1952; ähnlich wie bei der i Pflichtenkolli- rere gleichzeitig geltende Verpflich-
G. Gurvitch, Morale theorique et scien- lische gerichtet sieht (Kritik der rei-
sion, umstritten, ob im strengen Sinn tungen möglich. Lösungen m. D., bei
ce des mcrurs, Paris 1963; L. Reinisch nen Vernunft, B 825 ff) oder mit
gleichzeitig mehr als eine Verpflich- denen durch rationale, wohlerwoge-
(Hrsg.), Vom Sinn der Tradition, Mün- Fichte nicht bloß das Handeln, son-
tung gelten kann. Die i deontische ne Entscheidungen Gebote unerfüllt
chen 1970; P. F. Strawson, Gesell- dern auch das Erkennen als Selbst-
Logik faßt Verpflichtungen als Über- bleiben, setzen diese Gebote nicht
schaftl. M. u. persönl. Ideal, in: G. Gre- realisierung von i Freiheit begreift, -
wendorf, G. Meggle (Hrsg.), Sprache u. zeugungen auf, die wahr oder falsch außer Kraft. Daher bleibt die Frage, In polemischer Absicht bezeichnet
E, Frankfurt/M. 1974; G. Funke, Ge- sein können, Nach dem Prinzip, daß wie die unerfüllten Gebote zu verste- M. entweder ein Denken, das auf-
wohnheit, S., Sittlichkeit, Archiv f. Sollen Können einschließt, sei ledig- hen sind, als t Schuld oder als ver- grund abstraktformaler Gesetze die
Rechts- u. Sozialphilos. Bd.47, 1961; lich eine Verpflichtung geboten. Wej- antwortbare Einschränkung anderer
A. Gehlen, Al1thropol. Forschung, Lebendigkeit des wirklichen Men-
terhin geht sie davon aus, daß die ebenfalls geltender Verpflichtungen.
Reinbek 1968, Abschn. 3; ders., M. u. schen erstickt u. die Weite des sütl.
Verpflichtung zu einer Handlung x
HyperM., Frankfurt/M. 1973; W. Klu- Lit.: W. D. Ross, Foundations of Ethics Guten verbirgt, oder eines, das die
u. die Verpflichtung zu einer Hand-
xen, E des Ethos, Freiburg/München Oxford 1939; B. Williams, Ethical Dimension des Sittl. im Verhältnis zu
1974; R. Spaemann, Zur Kritik der po- lung y als Verpflichtung zu x u. y zu- Consistency, in: ders., Problems of the anderen Kulturbereichen und Beur-
lit, Utopie, Stuttgart 1977, S. 1 ff: Die sammengefaßt werden können (Ag- Self, Cambridge 1973,166-186; 1. Levi, teilungsaspekten überbewertet.
zwei Grundbegriffe der M.; ders., Mo- glomerationsprinzip). Wenn nun x u. Hard Choices, Cambridge 1986, O.H.
ralische Grundbegriffe, München y nicht gleichzeitig erfüllbar sind, chap.2; C. W. Gowans (ed.), Moral
;1992; N. Luhmann, S. H. Pfürtner schließt die deontische Logik, kön- Dilemmas, Oxford 1987; O. Höffe,
(Hrsg.), Theorietechnik u. M., Frank- Universalistische E u. Urteilskraft: ein
Moralität i Sittlichkeit.
nen x u. y nicht beide in einer Situa-
furt/Mo 1978; K. P. Rippe, e Relativis- rion geboten sein. Sie versteht das aristotelischer Blick auf Karrt, in: Zeit-
mus, Paderborn u. a. 1993; D. Copp, Moralkritik hinterfragt die in einer
schrift für philosophische Forschung 44
Morality, Normativity and Society,
Prädikat ,ist geboten' in Anlehnung
(1990), bes. 556 ff; W. V., Vernünftige Gesellschaft heffschende i Moral
New York/Oxford 1995; M. u. Macht: an das modallogische Prädikat ,ist Wahl, rationale Dilemmas u. morali- auf ihren verborgenen Zweck und
Merkur, H. 570/571, Stuttgart 1996. notwendig'. Da zwei einander wider- sche Konflikte, in: Martin Hollis, erschüttert so die Unmittelbarkeit ih-
O.R. sprechende Aussagen nicht beide W. V., (Hrsg.), Moralische Entschei- rer Geltung; die Gebote u. Verhote
T
!

Moralkritik 208 209 Moralprinzip

verlieren ihren Tabucharakter. M. der Ablehnung bestehender Verbind- von der Knappheit vieler Güter zu principium, gr. arche) jeweils "ein
entsteht dort, wo eine Gesellschafts- lichkeiten verbindet sich deshalb deren Überfluß oder umgekehrt), daß Erstes ... , aus dem eine Sache ent-
ordnung u. ihre leitenden Wertvor- zumindest implizit eine Bejahung der der Zweck, der der überlieferten weder besteht oder entsteht oder er-
stellungen zu zerfallen beginnen. Sie Idee sittl. Verbindlichkeit. Die Auf- Moral zugrundelag, eine Verände- kannt wird" (Aristoteles Metaph.
verschärft den Zerfall oder sucht ihn hebung einer Moral geschieht im rung ihrer Normen erforderlich 1013 a), einen letzten Grund des
aufzuhalten: M. ist entweder entlar- Namen von i Moralität; M. ist selbst macht, wenn der Zweck noch weiter Seins, des Werdens u. Erkennens. In
vend, indem sie einen kompromittie- ein moralisches Ereignis. - Auch die erreicht werden soll. transzendental-philosophischer Spra-
renden Grund, oder rechtfertigend, entlarvende M. ist in der Regel nicht (3) Während die entlarvende u. die che ( i Methoden der E) sind Prinzi-
indem sie einen legitimierenden bloß destruktiv. Nietzsehe z. B. kri- rechtfertigende M. eine Moral auf pien die letzten einheitsstiftenden
Grund aufzeigt. tisiert einerseits die angeblich seit ihre inhaltliche RichtigkeitprUfen (M. "Grundsätze und Regeln" theoreti-
(1) Die entlarvende M. weist auf Platon herrschende Einstellung, nach erster Ordnung), prüft eine M. zwei- scher u. praktischer Vernunft (vgl.
einen Zweck, der den Zwecken wi- der man den Sinn des Daseins ter Ordnung die Begriffe, Kriterien, Kant, Kritik d. r. Vernunft B 355 ff).
derspricht, die die jeweilige Moral bloß in lebensjenseitigen objektiven Prinzipien und i Methoden der Mo- Unter M. wird entsprechend im heu-
selbst vorschreibt: auf Neid der Göt- i Werten sucht, sowie ihr planes ral u. ihrer Kritik. Sie unterscheidet tigen moralphilosophischen Sprach-
ter (Sophisten), Egoismus der Herr- Gegenteil, den europäischen i Nihi- zwischen der Moral in ihrer ge- gebrauch der letzte bzw. ein letzter
schenden (Thrasymmachus in Pla- lismus des 19. Jh., der aUe dem Da- schichtlich wandelbaren u. oft unzu- praktischer Grundsatz verstanden,
tons ,Staat', 338f; i marxistische sein Verbindlichkeit gebenden Wer- länglichen Wirklichkeit u. ihrem der nicht aus einer allgemeine-
E), Ressentiment der Schwachen te, Normen u. Wahrheiten historisch übergeschichtlichen i Moralprinzip, ren i Norm ableitbar ist u. als Ka-
(KaIlikIes in P!atons ,Gorgias', 491f; relativiert. Andererseits deckt er ein sie fragt nach der formalen Qualität non der Deduktion, i Begründung,
Nietzsehe). Zu ihr gehört es auch, i Moralprinzip auf, das einen neuen eines Moralprinzips u. nach dem Rechtfertigung u. Kritik untergeord-
die anscheinend selbstlosen Regun- Lebenshorizont eröffnen soll: die Grund von Moral überhaupt, gleich neter Nonnen fungiert. Das M. dient
gen wie lvlitleid und Nächsten- Selbstbejahung u. Steigerung des woraussiejeweils inhaltlich bestehen. so gesehen als oberstes Kriterium, als
i Liebe als bloße Rationalisierungen i Lebens als i" Wille zur Macht". letzter Maßstab praktischen Argu-
des i Selbstinteresses (Hobbes, La Dieses Prinzip ist weniger ein neuer Lit.: Hobbes, Leviathan, Kap. 6; La mentierens, das implizit oder explizit
Rochefoucauld), das i Gewissen als Wert als ein neuer Ort der Wertset- Rochefoucauld, Maximen u. Reflexio- in jeder Begründung singulärer oder
eine nach Innen verlegte fremde zung, der nicht einfach alte Werte nen; 1. Kant, Beantwortung der Frage: genereller moralischer Urteile in An-
Was ist Aufklärung?; F. Nietzsehe,
Stimme (Freud, Adorno), eine Le- durch neue ersetzt, sondern sie - so- Menschliches, Allzumenschliches; dcrs., spruch genommen wird. Beispiele für
bensordnung als i entfremdend fern sie der M. standhalten - aus an- Morgenröte; ders., Jenseits von Gut u. solche M.ien sind: jedermann handle
(Marx) oder angeblich i freie Ent- deren Gründen rechtfertigt. Böse; ders., Zur Genalogie der Moral; jederzeit nach der vernünftigen
scheidungen als biologisch, psycho- (2) Die rechtfertigende M. kann ders., Aus dem Nachlaß der Achtziger- ,Natur' der Dinge (i stoische E),
logisch, geschichtlich u. ökonomisch- auf eine völlige Rechtfertigung oder jahre; J.-P. Sartre, Das Sein u. das nach dem Willen Gottes ( i theologi-
gesellschaftlich i determiniert (Dar- auf eine nur partielle hinauslaufen. Nichts, Hamburg 1952; Th. W. Ador- sche E), im Blick auf das größtmögli-
win, Nietzsehe, Freud, Marx) zu de- Im zweiten Fall werden zwar die no, Minima Moralia, Frankfurt/M. che eigene (e Egoismus: i Selbstin-
3 1970; R. P. Wolff u.a., Kritik der rei-
maskieren. Ziel der entlarvenden M. Leitprinzipien anerkannt, von innen teresse) oder allgemeine i Glück
nen Toleranz, Frankfurt/M. 8 1973;
ist die Desillusionierung überlieferter her die konkreten Normen aber kri- G. Vattimo, Friedrich Nietzsche, Stutt- (i Utilitarismus), nach verallgemei-
lllusionen, der Nachweis eines fal- tisiert. Die Kritik kann sich auf zwei gartlWeimar 1990; V. Gerhardt, Fried- nerungsfähigen Maximen bzw. in
schen Bewußtseins. M. intendiert Argumente berufen: Entweder ist die rich Nietzsehe, München 2 1995 . Anerkennung des Selbstwerts aller
Aufklärung, die den Menschen aus Moral verfallen, sie hat sich von ih- O.H. i Personen (Kant), nach in einem
seiner se1bstverschuldeten, von den rem Leitprinzip entfernt (etwa die herrschaftsfreien, vernünftigen Dia-
politischen u. religiösen Mächten be- Moral der sozialistischen Staaten Moralphilosophie i Ethik. log konsensfähigen Interessen ( i Dis-
wußt oder unbewußt beförderten vom humanen Anspruch der i mar- kursE). Die Ermittlung u. Entfaltung
Unmündigkeit befreien will. Ein fal- xistischen E) oder die Lebensbedin- Moralprinzip. In ontologischer u. er- des M. (vielfach auch Prinzip der
sches Bewußtsein bemißt sich an der gungen haben sich so verändert (von kenntnismetaphyischer Redeweise i Sittlichkeit genannt) ist zentrale
Idee eines richtigen Bewußtseins. Mit der Agrar- zur Industriegesellschaft, versteht man unter einem Prinzip (Jat. Aufgabe einer i normativen E; als
Moralprinzip 210
T
211 Moraltheologie

systemstiftendes Begründungsprinzip "Gliedes der Sinnenwelt", Die nicht- struktive Logik, E u, Wissenschafts- Theorie vom guten christlichen Le-
eines praktischen Normengefüges kongnitivistische Behandlung prakti- theorie, Kap, 11, Mannheim 2 1975; ben, Als E der Erlösten entfaltet sie
wird es häufig in verkürzender Aus- scher Urteile, die im Gefolge des M, G. Singer, Verallgemeinerung in der die Lehre von den re1igiös-sittL Ver-
drucksweise mit dem moralischen spätmittelalterlichen Nominalismus E, Frankfurt/M. 1975; J. J. Kupper-
mann, The Foundations of. Morality, pflichtungen U. den i Tugenden des
Gesetz bzw. dem Sittengesetz über- wie des neuzeitlichen i Empirismus durch die Taufe zum übernatürlichen
London 1983; p, Singer (Hrsg,), A
haupt identifiziert. auftrat, führt die in M.ien zum Aus- Companion to Ethics, Oxford 1991, Sein erhobenen t Menschen. Ent-
Kontrovers in der aktuellen philo- druck kommenden Geltungsansprü- Teil IV; G, Patzig, Gesammelte Schrif- sprechend der im christlichen Dogma
sophischen Diskussion ist die Beant- che auf irrationale Glaubensakte, ten 1. Grundlagen der E, Göttingen begründeten Unterscheidung von
wortung der Frage nach der Mög- Entscheidungen oder naturwüchsige 1994. M. F. i Natur U. Übernatur, von Schöp-
lichkeit rationaler Rechtfertigung des Gefühle zurück u, schneidet die Fra- fungsordnung u, Heilsgeschichte, vom
Geltungsanspruchs eines Prinzips, ge nach ihrer möglichen argumenta- Moralpsychologie heißt die wissen-
Reich der Natur U. dem der Gnade
das die rationale Begründung von tiven Rechtfertigung oder Kritik ab, schaftliche Betrachtungsweise, die
die subjektiven Bedingungen t süd. sowie entsprechend der katholischen
Zwecksetzungen, Handlungen u. Demgegenüber betonen i kritische Auffassung von der Beziehung beider
Handlungsnormen erst ermöglichen Theorie wie i konstruktive E wieder i Handeins, seine Motivation ( i Ge-
(die Gnade setzt die Natur voraus u,
soll. In der von Platon u. Aristoteles die mögliche Abkunft praktischer sinnung) untersucht. Dabei spielen
vollendet sie), leistet M, die Synthese
grundgelegten antiken u. mittelalter- Normen aus praktischer Vernunft. physiologische Bedingungen des Or-
,natürlicher' i E mit den ,Offen-
lichen Ontologie, der auch die E ein- Sie rekurrieren allerdings in ihrer ganismus (physiologische Psycholo-
gie) ebenso eine Rolle wie erlernte barungwahrheiten' der Heilsge-
gegliedert war, wurde das M. (bzw, ,Letztbegründung' nicht mehr auf schichte, Die erste Stufe der M. bil-
das, was mit diesem Modewort ge- eine transzendentale Metaphysik Verhaltensanomalien (Vel'haltenspsy-
det so eine rationale E, die sich in ih-
meint ist) u, die von ihm fundierten vernünftiger Subjektivität überhaupt chologie). Sie hat darüber hinaus die
rer faktischen Gestalt großenteils
Handlungsnormen (soweit über- (u, auf Autonomie als Bestimmungs- motivierende Bedeutung des aktuel-
(schöpfungstheologisch umgeprägt)
haupt in Gestalt genereller Verpflich- grund ihres Handeins) wie Kant len Bewußtseinslebens der i Person
stoisch-neuplatonischen Naturrechts-
tungsurteile expliziert) implizit oder u, Fichte, sondern maieutisch re- (Gestaltpsychologie) ebenso zu be-
rücksichtigen wie die Bedeutung der denken (i Naturrecht, stoische E)
explizit in einer Theorie objektiv- konstruierend auf transzendentale U. aristotelischer Tugendethik ver-
werthafter , hierarchisch gestufter Bedingungen zwischenmenschlicher jenseits der Bewußtseinsschwelle lie-
dankt. Die radikalen Forderungen
Seinsordnung (i das Gute) festge- Kommunikation: die moralische genden unbewußten Anteile des Er-
eschatologisch bestimmter JesusE
macht u. über sie im Begriff der Grundnorm läßt sich als unhinter- lebens (Psychoanalyse: i Psychothe-
rapie), ( i christliche E), die die aristoteli-
Vollendung bzw, des Glücks des gehbares Implikat vernunftorientier- sche Zentraltugend der i Gerechtig-
Menschen verankert. Die Transzen- ter Verständigung aufweisen; ihre Lit.: 1. H. Eckensberger, Entwicklung keit überbieten u, den Rahmen von
dentalphilosophie Kants sieht im Anerkennung habe selbst jener be- sozialer Kognition, Stuttgart 1980; für jedermann geltenden i Pflichten
formalen Gesetz des t kategorischen reits vollzogen, der diese Anerken- H Bertram (Hrsg,), Gesellschaftlicher sprengen, werden teils in Aszetik U.
Imperativs das oberste Kriterium der nung noch vor der Vernunft vorge- Zwang u, moralische Autonomie, Mystik verinnerlicht, teils in einen
moralischen Beurteilung menschli- brachter Argumente abhängig ma- Frankfurt/M. 1986; F.Oser (Hrsg.),
Transformation u. Entwicklung. Grund- nicht allgemein gebotenen, kirchen-
cher Willensbestimmungen, Sein un- chen will (Apel). juridisch eingebundenen ,Weg der
lagen der MoraJerziehung, Frank-
bedingter Sollensanspruch u. die in furt/Mo 1986; W, Edelstein, G, Nun- Vollkommenheit' (durch die Ordens-
ihm gebotene Prüfung der Verallge- Lit.: D. Hume, Eine Untersuchung über gelübde der Armut, Keuschheit U.
ner-Winkler (Hrsg,), Zur Bestimmung
meinerungsfähigkeit von Hand- die Prinzipien der Moral: L Kant,
der MoraL Beiträge zur Moralfor- des Gehorsams) aufgehoben. Die
lungsmaximen wird rekonstruiert als Grundlegung zur Metaphysik der Sit-
ten; J. G. Fichte, Das System der Sitten-
schung, Frankfurt/M. 1986; W. Edel- zweite Stufe i christlicher E entwik-
die Struktur spezifisch endlicher stein U. a. (Hrsg.), Moral U. Person, kelt die M. im allgemeinen aus der
lehre; J. Bentham, Eine Einführung in Frankfurt/M, 1993, A. S.
Vernunftautonomie, als nötigendes die Prinzipien der Moral u. der Gesetz- Lehre von den Sakramenten, die das
Verhältnis des "eigenen notwendigen gebung; G. E. Moore, Principia Ethica; übernatürliche Erlösungswerk Chri-
Wollens" eines "Gliedes einer intel- 1(,0, Apel, Transformation der Philo-
Moralstatistik t Empirismus.
sti u, die durch ihn freigesetzten
ligiblen Welt" zu sich selbst als eines sophie 11, Franldurt/M, 1973, 358 ff; Moraltheologie ist die von der ka- Gnaden in die konkrete geschichtli-
nicht von Natur aus vernünftigen p, Lorenzen, 0. Schwemmer, 1(on- tholischen Theologie entwickelte che Welt institutionell vermitteln, Im
Motivation 212 213 Naturrecht

Glauben an ihre Heilswirksamkeit Menschen hergestellten, sondern ge- logische Probleme sind eine Form UmweltE, Paderborn 1992; A. Barteis,
u. in der Befolgung der sie konsti- wachsenen, anorganischen u. organi- sozialer Probleme, da sie die Existenz Grundprobleme der modernen N.philo-
tuierenden rituellen Praxis sieht M. schen, pflanzlichen u. tierischen Ge- der menschlichen Gesellschaft ge- sophie, Paderborn 1996. W. V.
den Weg, die natiirliche i Sittlich- gebenheiten betrachtet (materialer fährden. Da ökologische Probleme in
keit zu iiberhöhen, die gnaden- N.begriff). Zum anderen gilt der In- hochzivilisierten Gesellschaften nicht Naturalismus i MetaE, Natur.
hafte Rechtfertigung durch Christus begriff der gesetzmäßig erfaßbaren gänzlich vermeidbar sind, die einmal Naturalistischer Fehlschluß i Me-
u. das übernatürliche i Leben zu ge- Bestimmungen eines Dinges wie auch Zflrstörte N. sich andererseits nicht taE.
winnen, zu bewahren u. zu vermeh- des Menschen als dessen N. (formaler aus eigener Kraft erneuern kann,
ren. N.begriff). N. wurde im materialen stehen politische u. ökonomische Naturrecht. Die Theorie des N. ver-
Sinne als Gegenbegriff zum i Men- Entscheidungen nicht nur unter dem sucht, faktisch bestehendes Recht in
Ut.: ]. Mausbach/G. Ermecke, Katholi-
sche M., Münster Bd. I-TI 9 1959, Bd. III
schen u. seinem Handeln (Aristote- Anspruch, die sozialen Kosten der Richtung auf eine i Ordnung zu
1°1961; B. Häring, Das Gesetz Christi, les), zu Geist (Hegel), zu i Freiheit Zerstörung von natürlicher Umwelt transzendieren, die menschlicher Set-
Freiburg 6 1961 ; J. Fuchs, Moral u. M. (Kant), zu Geschichte (Dro)'sen), zu geringer zu halten als die Gewinne zung bzw. Vereinbarung vorausliegt
nach dem Konzil, 1967; A. Auer, Auto- i Kultur u. Gesellschaft (Hobbes, zur Verbesserung menschlicher Le- u. diese normiert. Damit wendet sich
nome Moral u. Christlicher Glaube, Locke) als nicht-vernünftiges, kausal bensbedingungen ( i Lebensqualität); die Theorie gegen den Anspruch ei-
Düsseldorf 1971, W. Korff, Theologi- determiniertes Material menschli- sie stehen auch unter der sittl. Ver~ nes strengen i Rechtspositivismus,
sche E, Freiburg i. Br. 1975; ]. Ratzin- chen Gestaltens verstanden. N. galt pflichtung, zu verhindern, daß die demzufolge geltendes i Recht allein
ger, Prinzipien christlicher Moral, auch dort, wo ihr eigene Bewegungs- i Freiheit, die Lebens- u. Entfal- schon durch seine Gesetztheit als
Einsiedeln 1975; W. Kluxcn, Philoso- prinzipien (Aristoteles) oder eine in- tungsmöglichkeiten künftiger Gene- ,rechtens' oder gültig zu erweisen sei;
phische E bei Thomas v. Aquin, Ham-
burg 21980 ; E. Schockenhoff, Natur- nere rationale Gesetzlichkeit (I. Kant) rationen eingeschränkt werden. mit bescheideneren Formen des
recht u. Menschenwürde, Mainz 1996. zugebilligt wurde, als Mittel im Rechtspositivismus ist das N.sdenken
M.F. Dienst menschlicher Verfügungsge- Lit.: Aristoteles, Physik, Buch VIII; aber vereinbar.
walt. - Der Naturalismus lehnt zwar I. Kant, Kritik der reinen Vernunft, (a) Grundproblem jeder N.theorie
die Ausbeutung ( i Entfremdung) der § 26 u. A 216/B 263; K. Marx, Öko-
Motivation i Gesinnung, Handlung, sind Begriff u. i Begründung jener
N. ab, definiert aber Begriffe wie nomisch-philosophische Manuskripte,
Verstehen. III; J. G. Droysen, Historik, Darmstadt vorausliegenden Ordnung, die seit
Kultur u. Geist auch dort, wo er die 6 19 71, S. 406 ff; E. Nagel, Naturalism
den Sophisten u. Aristoteles als
Mündigkeit i Emanzipation. Versöhnung von Mensch u. N. for- Reconsidered, in: Proceedings and Ad- i ,Natur' angesprochen wird. Natur
dert (K. Marx), einseitig materiali- dresses of the American. Phi!. Associa- wird dabei verstanden als sinnvolles
Mut i Tapferkeit. stisch (i Materialismus). Er ver- don 28 (1954/55), 5-17; W. Heisen- u. verpflichtendes Ordnungsgefüge,
kennt damit ebenso wie der bloße berg, Das N.bild der heutigen Physik, das auch die Weise menschlichen
Mystik i Spiritualität. Verfügungsanspruch über die N., Hamburg 1965; K. H. Meyer-Abich Handelns u. Zusammenlebens nor-
daß die N. als Lebensraum des Men- (Hrsg.), Frieden mit der N., Freiburg mierend präformiert u. alles Gesetz,
1979; G. Großklaus (Hrsg.), N. als Ge-
schen nicht anders als die N. des
genwelt, Karlsruhe 1983; ]. Passmore, das sich naturwiichsiger i Sitte, ex-
N Menschen selbst der Kultur bedarf: Man's Responsibility for Nature, Lon- pliziter Vereinbarung oder willkürli-
der Pflege u. Erhaltung ihres Bestan- don 1974; D. Birnbacher (Hrsg.), chem Erlaß verdankt, als sinnvolle
Nächstenliebe i Liebe. des. - Die Zerstörbarkeit der N., die Ökologieu. E, Stuttgart 1981; R. Spae- Entsprechung u. Fortsetzung recht-
Probleme der Umweltverschmutzung mann, Das Natürliche u. das Vernünf- fertigt oder als Störung u. Abwei-
Narzißmus i Person. ( i anthropozentrisches u. biozentri- tige, München 1987; ders., N., in: Phi- chung diskreditiert. Bei Platon u.
sches Denken, Umweltschutz), der los. Essays, Stuttgart 1994; D. Emmet, Aristoteles, in Stoa (i stoische E),
The Passage of Nature, London 1991;
Nationalismus i Patriotismus-Kos- Knappheit von Rohstoffen u. des ge-
O. Höffe, Moral als Preis der Moderne,
Neuplatonismus u. christlicher Scho-
mopolitismus. ringer werdenden natürlichen Le- lastik gilt (trotz gewichtiger Unter-
Frankfurt/M. 1993; 11: Ökologische E;
bensraums der Menschen erinnern 1. Honnfelder (Hrsg.), N. als Gegen- schiede) Natur als Inbegriff einer
Natur wird einmal als die Gesamt- eindringlich an die i Verantwortung stand der Wissenschaft, FreiburglMün- hierarchisch gestuften, von i Zwek-
heit aller beobachtbaren, nicht von des Menschen gegenüber der N. Öko- chen 1992, bes. 151-190; M. Schlitt, ken bewegten Ordnung (Kosmos,
Naturrecht 214
T 215 Neid

bzw. Schöpfung), in der jedem Sei- meinschaftsordnung, sondern durch Vernunftrecht von sich aus zu seiner stadt 2 1972; F. Böckle, E. W. Böcken-
enden gemäß seinem Wesen der ihm eine rationale Konstruktion; diese er- Verwirklichung die Etablierung einer förde (Hrsg.), N. in der Kritik, Mainz
eigene Platz zugewiesen ist. Mensch- schließt aus vorgegebenen Prämissen positiven t Gewalt, die die Willkür 1973; O. Höffe, N. ohne naturalist.
liche Existenz, durch Bewußtsein u. (der Mensch als gesellig-ungeselliges des einen zur 'Kompatibilität mit der Fehlschluß, Wien 1980; dcrs., Politi-
sche Gerechtigkeit, Frankfurt/M. 1987,
t Freiheit vermittelt, kann u. soll im Bedürfnis- u. Triebwesen, die vor- Willkür des anderen zu zwingen Kap. 4; D. Mayer-Maly, P. M. Sirn,ons
vernünftigen Blick auf die zwecktäti- handenen Mittel der Befriedigung, vermag (t St\lat). Das positive Ge- (Hrsg.), Das N.s-denken heute u. mor-
ge Anordnung der Natur ihre aus die vernünftigen Rechte aller einzel- setz dient der Sicherung u. Durchset- gen, Berlin 1982; E. Schockenhoff, N.
vorgegebenen Anlagen ersichtliche nen) die Bedingungen der Ordnung zung des natürlichen Rechts, der u. Menschenwürde, Mainz 1996;
(unterschiedliche) Aufgabe überneh- gegenseitig vereinbarer Ansprüche. ,Probierstein der Rechtmäßigkeit ei- M. Kaufmann, Rechtsphilosophie, Frei-
men u. ihr Wesen selbsttätig vollen- Aus der Verbindlichkeit der Natur nes jeden öffentlichen Gesetzes' ist burg/München 1996 (Lit.); M. Forsch-
den. wird eine Verbindlichkeit der t Ver- die mögliche Zustimmung aller Be- ner, Koinos nomos -lex naturalis. Stoi-
(b) Die Fragwürdigkeit dieses Kon- nunft, die dort eine Preisgabe bzw. troffenen, insofern sie vernünftig sches u. christliches Naturgesetz, in:
Th. Grethlein, H. Leitner (Hrsg.), In-
zepts begleitet die N.theorie seit ih- Kontrolle der Natur verlangt, wo de- sind (t Gesellschaftsvertrag). Die mitten der Zeit, Würzburg 1996, 25-
ren Anfängen. Die sophistische Kri- ren Mechanik gerade nicht Ordnung teleologische lex naturalis war ein 46. M.F.
tik brachte die Schwierigkeit zum garantiert, sondern ins Chaos zu Gesetz natürlich vorgegebener Zwek-
Bewußtsein, in der erfahrbaren Na- führen droht (Naturzustand als Sta- ke, das N. der Neuzeit macht die ver- Naturzustand t Gesellschaftsver-
tur ein nicht von partikulären Interes- tus nicht durch transsubjektive Ver- nünftige Freiheit aller u. ihr empiri- trag.
sen bestimmtes Kriterium zu finden, nunft kontrollierter Rechtsansprü- sches Korrdat kompatibler Willkür-
das die Unterscheidung normativer che). In der Bestimmung der ver- freiheit zum Prinzip u. Maßstab allen Neid nennt man eine Haltung des
Aspekte von bloß faktischen der Na- nunftrechtlich zu sichernden Ansprü- positiven Rechts. Menschen, in der er seinen Mitmen-
tur erlaubt. Als ebenso schwierig che aller einzelnen bleibt ~ das ratio- schen körperliche und geistige Vor-
erwies sich die Aufgabe, in der vor- nalistische N. indessen einem schil- Lit.: Aristoteles, Nikomach. E, Buch V züge, Vermögen und Ansehen offen
gegebenen gesellschaftlichen Welt die lernden Naturalismus verhaftet 10; Cicero, De republica; ders. De legi- oder versteckt mißgönnt, weil er sie
natürlichen Momente von jenen (Hobbes, Grotius, Pufendorf, z. T. bus; 1'homas v. Aquin, Summa theol. I-
selbst besitzen möchte. Aufgrund
n, qu. 90-97; F. Suarez, De legibus ac
künstlichen zu trennen, die die im Rousseau). Erst Kant hat den Begriff Deo Legislatore; S. Pufendorf, De jure dieser egoistischen ( i Selbstinteresse)
Gewand expliziter Rechtsetzung oder eines "a priori durch jedes Menschen naturae et gentium; J. Locke, Essays on Prämisse ist der N. der sittl. Haltung
anonymer gesellschaftlicher Prozesse Vernunft erkennbaren Rechts" (Me- the Law of Nature; 1. Kam, Metaphy- des t Wohlwollens im zwischen-
auftretende menschliche Willkür je taph. d. Sitten § 36) geklärt. Er ist sik der Sitten, 1. Teil: Metaph. An- menschlichen Verhältnis entgegenge-
schon geprägt hat. Vollends proble- der Inbegriff aller Rechte u. t Pflich- fangsgründe der Rechtslehre; J. G. setzt. Die mittelalterliche t Tugend-
matisch wird teleologisch begriffenes ten, die sich aus dem Begriff eines Fichte, System des N.; G. W. F. HegeI, lehre in der t aristotelischen Tradi-
N. durch die Dominanz des neuzeit- freien Vernunftwesens ergeben, das Rechtsphilosophie; H. Kelsen, N.lehre tion (Thomas v. Aquin) rechnete den
lichen t Wissenschafts begriffs, der zu anderen freien Subjekten in ein u. Rechtspositivismus, Berlin 1928;
H. 1,. A. Hart, Der Begriff des Rechts, N. (lat. invidia) zu den Lastern. Die-
Natur als wertfreien, mathematisch Verhältnis der Interaktion, der Ab- Frankfurt/M. 1973; L. Strauss, N. se stellen eine seelische Disposition
beschreibbaren Kausalzusammen- hängigkeit u. möglicher Beeinträch- u. Geschichte, Stuttgart 1956; E. Bloch, dar, die unser t Handeln in der
hang bewegter Materie deutet, zu tigung tritt. Menschliche Vernunft N. u. menschliche Würde, Frank- Form begleitet, daß wir nicht im Be-
dem der Begriff des Rechts bzw. der bedarf zur Erreichung ihrer sittlichen furt/Mo 1961; H. Welzel, N, u. materia- sitze unserer selbst, d. h. nicht in ver-
t Pflicht in keine sinnvolle Bezie- Zwecke des äußeren Freiheitsspiel- le Gerechtigkeit, Göttingen '1962; nünftiger Weise bei uns sind. Diese
hung mehr gesetzt werden kann. raums; als Vernunft will sie auch die E. Wolff, Das Problem der N .lehre, rein e Betrachtungsweise unterstellt,
Konsequenterweise formt der Ratio- Vernunft der anderen: damit ist die Karlsruhe 4 1964; W. Maihofer (Hrsg.), daß es ausschließlich in der freien
nalismus der Moderne das N. zu ei- Teilung der äußeren Freiheitssphäre N. oder Rechtspositivismus?, Darm-
stadt 2 1972; J. Ritter, N. bei Aristote- Verfügung (t Verantw"ortung) des
nem Vernunftrecht um. Sein ana- nach einem alle in gleicher Weise les, in: ders., Metaphysik u. Politik, einzelnen steht, ob er sich für die
lytisch-synthetisches Verfahren be- verpflichtenden Gesetz anerkannt. Da Frankfurt/M. "1969; W. Röd, Geometri- Haltung des Wohlwollens oder des
greift Recht nicht mehr aus einer na- menschliche Willkür nicht von selbst scher Geist U. N., München 1970; N. entscheidet. Demgegenüber hat
turhaft-zweckvoll vorgegebenen Ge- diesem Gesetz gehorcht, verlangt das F. Heinimann, Nomos U. Physis"Darm- Hobbes gezeigt, daß N. und Miß-
Neigung 216 217 Nihilismus

gunst nicht ohne ihre gesellschaftli- Der N. Eine Theorie der Gesellschaft, i Moral u. Sitte noch durch die Be- führen kann, die jede Moral u. Sitte
chen Hintergründe verstanden wer- Freiburg 2 1968; M. Klein, Das Seelen- schwörung brüchig gewordener verachtet (Zynismus, benannt nach
den können. In der modernen Ge- leben dcs Kleinkindes, Reinbek 1972; den Kynikern - i kynische E -, einer
A. Altmann, Ressentiment u. Moral bei Grundsätze prinzipiell überwinden,
sellschaft, in der der Privategoismus Nietzsche, Bann 1977. A. S. sondern nur durch den Aufweis eines vom Sokrates-Schüler Antisthenes
des einzelnen nur durch vertragliche neuen, tatsächlich verbindlichen u. gcstifteten Philosophenschule, die ihr
Bindungen in Schranken gewiesen Neigung i Leidenschaft. deshalb auch allgemein überzeu- Ideal der Bedürfnislosigkeit bis' zur
werden kann, wird die bedingungslo- gungsfähigen Lebens- u. i Moral- Verachtung von Anstand u. Sitte
se Rivalität durch den reglementier- Neurose i Krankheit. prinzips. So hat Nietzsche den im verwirklichte; vgl. Diderot, Rameaus
ten Konkurrenzkampf ersetzt. Auf Neutralitätsthese i MetaE. 19. Jahrhundert zu beobachtenden Neffe). (3.1) Ein "naivereN." beruft
seinem Boden gedeihen N. und Eifer- Verfall des Glaubens an die soge- sich darauf, daß ständig gegebenen
sucht, weil jeder am meisten besitzen Nihilismus (lat. nihil: nichts) ist nannten platonisch-christlichen, am Verbindlichkeiten zuwider gehandelt
möchte. Diese gesellschaftliche Be- (1) als geschichtliche Erfahrung das Jenseits orientierten Sinnsetzungen u. wird. Ihm liegt das Mißverständnis
trachtungsweise allein erklärt jedoch Resultat der Entwertung aller ober- die Hinwendung zum Diesseits als eu- zugrunde, ein Sollensanspruch beste-
nicht, warum bestimmte Individuen sten, dem i Leben u. Sterben bislang ropäischen (heute wohl schon welt- he nur dann zu Recht, wenn er auch
an N. und Eifersucht erkranken, an- i Sinn gebenden sittl.-politischen weiten) N. diagnostiziert. Gegenüber erfüllt werde. (3.2) Der "e N. des
dere dagegen nur gelegentlich davon Grundsätze. Dort, wo die bisherigen einem "schwachen N.", dem ein Er- Weltmannes" weist auf die soziokul-
berührt werden. Nietzsche hat ver- i Normen u. i Werte ihre Geltung leiden des allgemeinen Sinnzerfalls turelle Verschiedenheit geltender
sucht, der tiefen psychologischen Ge- verlieren, weil das sie tragende Prin- das Leben zusammenbricht, setzte er Moral u. Sitte hin ( i Relativismus).
nese dieser Phänomene nachzugehen. zip, etwa der Glaube an i Gott (vgl. einen "starken N.", der aus dem Wil- Die Verschiedenheit betrifft aber zu-
Demnach scheint dem N. ein Res- Nietzsche: Gott ist tot) oder an die len zur Macht als dem neuen lebens- nächst nur die abgeleiteten Normen,
sentiment zugrunde zu liegen, das unverletzliche Würde (i Humanität) bejahenden Prinzip der Wertsetzung nicht die Prinzipien selbst. Unter
aus dem Schmerz über eine frühere jedes i Individuums fragwürdig ge- ( i Lebensphilosophie) heraus lebt wechselnden soziokulturellen Rand-
Verletzung, den daraus resultieren- worden ist, erscheint das Leben ins- (vgl. G. Benn, N. ist ein i Glücks- bedingungen lassen dieselben Prinzi-
den Rachegcfühlcn und ihrer Betäu- gesamt als sinnlos u. der N. wird zur gefühl). Allerdings hat es den An- pen nicht bloß andere abgeleitete
bung entspringt. Damit wird der N. bedrückenden Erfahrung einzelner schein, daß Nietzsche bloß ein Ge- Normen zu, sondern machen dies
zum Ausdruck einer unbewußten oder ganzer Gruppen u, i Gesell- gen prinzip zur brüchig gewordenen sogar erforderlich. (3.3) Der "e N.
Vorgeschichte, die die unbewältigte schaften. Das Gefühl der Leere u. Moral der Schwachen u. Schlecht- des Aufklärers" sucht jede Moral
Kränkung und die Position des Sinnslosigkeit des Lebens kann unbe- weggekommenen u. eine damit ver- durch Aufdecken kompromittieren-
Schwächeren zur Voraussetzung hat. schränktem Egoismus (i Selbstin- bundene Umwertung aller Werte, der Gründe zu entlarven. So berech-
Die psychoanalytische Deutung sieht teresse), Verbrechen, i Selbstmord nicht auch ein schlechthin allgemei- tigt aber seine i Moralkritik im Ein-
die Wurzel des N. in einer nicht be- oder apathischer Gleichgültigkeit nes Moralprinzip formuliert hat. zelfall sein mag - sie kann nur eine
wältigten oralen Gier, die Wurzel der ( i Indifferenz) gegenüber dem eige- Der (2) theoretische N. bestreitet bestimmte Moral, nicht jede Moral
Eifersucht dagegen in einer aus frü- nen Leben u. dem anderer Raum ge- jede Möglichkeit zur i wahren Er- verwerfen. Vielmehr beruft sich die
her Traumatisierung entspringenden ben (vg!. F. Dostojewski, Die Brüder kenntnis (Agnostizismus), der (3) Kritik, mindestens implizit, selbst auf
Verlustangst, die durch den völligen Karamasow; R. Musil, Der Mann e N. jede Möglichkeit, allgemein ver- allgemein verbindliche Prinzipien,
"Besitz" des anderen verdeckt wer- ohne Eigenschaften; F. Kafka, Der bindliche Grundsätze des persönli- ohne die die Kritik nicht sitt!. über-
den soll. Prozeß u.a.). Die Möglichkeit der chen u. politischen Lebens zu i be- zeugend wäre. In seiner Kritik leistet
Erfahrung der Sinnlosigkeit zeigt, gründen. Die Unterscheidung zwi- dieser Begründungsversuch des e N.
Lit.: Thomas v. Aquin, summa theol. l- daß dem Menschen der Sinn seines schen i guten (i Sittlichkeit) u. die Verwerfung einer bestehenden
n, q. 84 u. lI-lI, q. 36; Th. Hobbcs, Lebens nicht naturhaft vorgegeben i bösen Handlungen wird ebenso Moral u. zugleich die Anerkennung
Leviathan, Kap. I, 10 u. 13; F. Nietz-
sehe, Zur Generalogie der Moral, Erste ist, sondern von ihm gesucht u. ge- prinzipiell geleugnet wie die zwi- von moralischer Verbindlichkeit.
Abhandlung; M. Scheler, Das Ressen- stiftet werden muß. Der N. läßt sich schen i gerechten u. ungerechten po- Mit N. kennzeichnete als erster
timent im Aufbau der Morfl,len, in: deshalb weder durch Kritik an der litisch-sozialen Ordnungen (Amora- F. H. Jacobi im "Sendschreiben an
Vom Umsturz der Wertc; H. Schoecle, Diagnose eines Zerfalls herrschender lismus), was zu einer Lebenshaltung Fichte" (1799) dessen Idealismus,
Nirwana 218 T 219 Normative Ethik

der alles auf ein Nichts, das leere Ich, deutig. Im Ausgang vom lateini- der t praktischen Philosophie be- tive (der deontischen Modalitäten
gründe. Seit F. v. Baader bezeichnet schen Wortsinn (norma: Regel, Mu- schränkt; N.en haben eine grundle- ,geboten', ,verboten', ,freigestellt') u.
N. jede Leugnung Gottes u. der Of- ster, Maßstab, Vorschrift, leitender gende Funktion auch dort, wo es um vermag als formales Instrumentari-
fenbarung, seit dem russischen Anar- Grundsatz) läßt sich die Bedeu- die Gewinnung theoretischer Er- um ein gegebenes N.ensystem auf
chismus (t Herrschaft; vgl. Turgen- tungsvielfalt des Wortes N. wie folgt kenntnis geht. Wo immer menschli- seine innere Konsistenz hin wohl zu
jew, Väter u. Söhne) die Leugnung klassifizieren: (a) N. als empirisch ches Tun sich selbst u. seine Gegen- überprüfen, di~ses selbst aber nicht
der Gültigkeit jeder politischen Ord- ermittelter Durchschnittswert der ge- stände gesetzlich ordnet, findet Nor- wiederum zu begründen. Der i Em-
nung. Sartres Betonung der absolu- meinsamen Beschaffenheit einer mierung statt. N. ist so gesehen jede pirismus sicht in den BasisN.en unse-
ten t Freiheit u. t Verantwortung Klasse von Gegenständen, im Blick Handlungsregel, die die Form des res theoretischen u. praktischen Ar-
des Menschen, nach dem der Mensch auf den der einzelne Gegenstand als Denkens wie den Aufbau von Spra- gumentierens ,willkürliche Konven-
keine feste t Natur hat, sondern normal bzw. anomal bezeichnet wird che u. gegenständlicher Erkenntnis tionen', der Apriorismus rekurriert
nichts anderes als das ist; wozu er (Anomalie, Normalität). (b) N. als (also Redehandlungen), den Umgang auf in sich evidente Vernunftgesetze
sich selbst macht, hat seiner t exi- Idee, als ideativer Begriff, als Grenz- mit Dingen wie kommunikative des Denkens u. Handelns bzw. auf
stentialistischen E den Vorwurf des begriff einer Eigenschaft im Status Praxis einem Ordnungsschema un- eine vorgegebene Ordnung des Seins
N. eingetragen. unüberschreitbarer Vollkommenheit, terstellt, das die Beliebigkeit subjek- u. der Werte oder aber er versucht,
im Blick auf den empirische Gegen- tiven Meinens, Begehrens u. Tuns sie als vernünftige Festsetzungen ei-
Lit.: D. Diderot, Rameaus Neffe, Stutt- stände bzw. Handlungen als mehr transzendiert. Die logischen'- N.en nes rationalen Diskurses über Pro-
gart 1977, F. Nietzsehe, Aus dem oder weniger gelungene Annäherun- etwa sind jene Regeln, die die folge- bleme der Lebenspraxis zu rekon-
Nachlaß der Achtziger Jahre (Wille zur gen realisiert u. beurteilt werden (be-
Macht); G. Benn, Nach dem N., Stutt- richtige U. widerspruchsfreie Form struieren u. zu rechtfertigen.
gart 1932; M. Heidegger, Zur Seinsfra- vorzugte Beispiele sind Gegenstände möglichen Redens überhaupt be-
ge, Frankfurt/M. 1977; ders., Der eu- der Geometrie u. rationalen Me- stimmen; wissenschaftliche N.en kon- Lif.: O. W. Haseloff, H. Stachowiak
ropäische N., Pfullingen 1967; F. Sayre, chanik, aber auch der Kunst etc.). stituieren in ihren terminologischen (Hrsg.), Kultur u. N. Schriften zur wis-
Greek Cynics, Baltimore 1948; J.-P. (c) N. im technisch-pragmatischen u. methodischen Festsetzungen den senschaftlichen Weltorientierung, Ber-
Sartre, Das Sein ll. das Nichts, Ham- Sinn. Im Gegensatz zur N. als Grenz- Hn 1957; G. H. von Wright, Handlung,
Rahmen für ein mögliches System
burg 1952; E. Jünger, Über die Linie, N. u. Intention, Berlin 1976; P. Loren-
begriff eine nach Gesichtspunkten kognitiv-wahrer Aussagen über ei-
Frankfurt/M. 1950; W. Bröcker, Im zen, Normative Logic and Ethics,
der Zweckmäßigkeit u. Realisierbar- nen bestimmten Gegenstandsbereich, Mannheim 1964; A. Pieper, Artikel N.
Strudel des N., Kiel 1951; A. Camus,
Der Mensch in der Revolte, Hamburg
keit fixierte konventionale Maßein- technische N.en enthalten t prag- in: Handb. philos. Grundbegriffe, Bd.
2 1958; E. Mayer, Kritik des N., Mün-
heit bzw. Regel, die die Klassifizie- matisch fundierte Anweisungen me- 4; R. Bubner, Handlung, Sprache u.
chen 1958; M. Polany, Jenseits des N., rung von Gegenständen u.!oder die thodischer Naturbeherrschung, prak- Vernunft, Frankfurt/M. 1976, Kap. III-
Dordrecht/Stuttgart 1961; D. Arendt Schematisierung von Handlungen u. tische N.en sind (rechtliche u. mora- IV; O. HöHe, E u. Politik. Frankfurt/M.
3 1987, Kap. 3 (I); A. Pieper, Pragmati-
(Hrsg.), N. Die Anfänge von Jacobi bis Handlungserfolgen ermöglicht (Bei- lische) Grundsätze, die mehrere oder
Nietzsehe, Köln 1970; J. Salaguarda spiel: DIN-Norm, Spielregeln). (d) N. sche Ll. eNormenbegründung, Frank-
alle Subjekte einer Gruppe oder Ge- furt/Mo 1979; M. Forschner, Mensch
(Hrsg.), Philosophische Theologie im im rechtlichen oder moralischen Sinn sellschaft situationsabhängig oder si- U. Gesellschaft, Darmstadt 1989, Kap.
Schatten des N., Berlin 1971; W. Wei- als genereller Imperativ, der rechtli- tuationsunabhängig zu Zweckset-
er, N., Paderborn u.a. 1980; E. Seve- 1. (Lit.); A. Gibbard, Wise Choices, Apt
ches u. t sittl. Handeln von Einzel- zungen oder Handlungen auffordern Feelings. A Theory of Normative Jud-
rino, Vom Wesen des N., Stuttgart
1983. O. H. nen u. Gruppen orientiert. Sie kann U. die Form von Gemeinschaft vor- gement, OxfordlNew York 1990;
sich auf Handlungsziele (ZieIN.) u. geben (subjektiv-praktische Grund- G. Patzig, Relativität U. Objektivität
Formen des HandeIns, auf Handlun- sätze nennt man Maximen oder per- moralischer N.en, in: ders., Gesammel-
Nirwana i Buddhistische E. te Schriften I, Göttingen 1994, 9-43.
gen in Abhängigkeit von bestimmten sönliche Lebensgrundsätze).
t Situationen (bedingte N.) oder in M.F.
Nonkognitivismus t MetaE. Ein besonderes Problem philoso-
Unabhängigkeit von bestimmten Si- phischer Reflexion ist die N.en- Normalität t Norm.
Nonn. Die Rede von N.en ist um- tuationen (unbedingte N.) beziehen. begründung. Die t deontische Logik
gangs- u. wissenschaftssprachlich Die philosophische Rede von untersucht im Unterschied zur Logik Normative Ethik. Die n. E sucht die
ebenso vielfältig verbreitet wie viel- N.en ist keineswegs auf das Gebiet der Aussagen die Logik der Impera- sitt!. Gebote u. Verbote sowie die
Normative Ethik 220 221 Notsituation

sitd. Werturteile in einen systemati- gisehe, vor allem empirisch-pragma- ten; W. D. Ross, The Right and the könnte nur die Rede sein, wenn in
schen Zusammenhang zu bringen, tische Überlegungen zur Begründung Good; R. B. Brandt, Ethical Theory. einer derartigen Ausnahmesituation
der durch ein höchstes Gebot sittL Gebote ausgeschlossen. Eine The Problems of Normative and Cri- verschiedene sich ausschließende
(i Moralprinzip), evtl. auch mehrere Handlung gilt als sittl. richtig, wenn tical Ethics, Englewood CliHs./N. J. Pflichten gegeben sind, die auf gleich
1959; W. K. Frankena, Analyt. E,
solche Gebote konstituiert wird. Je sie Maximen folgt, die in sich gut München 1972, Kap. 2-5; G. Harman, starken Verpflichtungsgründen ru-
nachdem, was als höchstes Gebot sind; z.B. sind Versprechen als sol- Das Wesen der Moral, Frankfurt/M. hen. Die scholastische wie die kan-
gilt, lassen sich vier Positionen unter- che zu halten (Kant, Ross). Aller- 1981; O. Höffe, E u. Politik, Frank- tische E- bestreiten die objektive
scheiden (wobei die konkreten Ge- dings ist der teleologischen E, etwa furt/Mo 31987; R. Wimmer, Universali- Möglichkeit einer derartigen i Pflich-
bote sich häufig decken kön- dem Utilitarismus, die deontologi- sicrung in der E. Analyse, Kritik u. Re- tenkollision; im Bereich subjektiven
nen): (1) Die i theologische E stellt sehe E nicht diametral entgegenge- konstruktion e Rationalitätsansprüche, Meinens ist sie ein bekanntes Phä-
als Höchstes die Forderung auf, setzt. Denn sie vertritt auch die Ma- Frankfurt/M. 1980; F. Furger, Was E nomen (i Gewissenskonflikt).
dem Willen i Gottes zu -gehorchen begründet, Zürich 1984; J. Raz, The
xime, das Wohlergehen anderer zu In der i Rechtssprache werden
Morality of Freedom, Oxford 1986;
( i christliche, i islamische E ust). befördern, erfordert also bei ihrer ]. E. Tomberlin (Hrsg.), Ethics, Atasca- N.en unter dem Terminus Notstand
Das Grunddilemma dieser n. E hat Anwendung (nicht Begründung) em- dero 1992; E. Tugendhat, Vorlesungen verhandelt. Von Notstand wird dann
schon Platon im ,Eutyphron' fornm- pirisch-pragmatische Überlegungen. über E, Frankfurt/M. 1993. O. H. gesprochen, wenn entscheidende
liert: Ist etwas sitd. richtig (fromm), Überdies wird die Maxime nicht Rechtsgüter eines Individuums oder
weil es Gott geboten hat (eine Auto- bloß behauptet, sondern selbst noch Normative Kraft des Faktischen einer Gemeinschaft gefährdet sind U.
rität als Rechtfertigungsgrund), oder aus dem i kategorischen Imperativ i Empirismus. die Gefahr nur durch Verletzung ei-
hat es Gott geboten, weil es sittl. begründet, der auch weitere Maxi- nes fremden Rechtsgutes abgewendet
richtig ist (Gott als Inbegriff des men wie das Prinzip der Achtung vor Normenbegründung t Begründung. werden kann. Die Situation des Not-
Sittl.)? - Während (2) der i Utilita- der menschlichen Würde (i Huma- standes (aktuelle Gefahr für Leib U.
rismus das Wohlergehen aller Betrof- nität) oder ein i Gerechtigkeitsprin- Normenkonflikt i Pflichtenkollision. Leben) konstituiert ein Notrecht. Ju-
fenen für die höchste sitd. Forde- zip legitimiert, so daß diese Posi- ridisch unproblematisch U. in nahezu
rung hält, sieht es (3) die egoistische tion sowohl dem i Begrüngungs- Normenlogik i Deontische Logik. allen Rechtsordnungen anerkannt ist
E nur im eigenen langfristigen Wohl anspruch der Philosophie als auch das Recht der Notwehr (im Falle ei-
( i Selbstinteresse), sei es der einzel- gewöhnlichen Moralvorstellungen Normenwandel i Relativismus. nes unrechtmäßigen Angriffs auf
nen (Hobbes, La Rochefoucauld), sei mehr - entspricht als ein reiner Uti- mein Leben) u. der Nothilfe (im Fall
es einer Gruppe (t KlassenE). Beide litarismus. Zur n. E zählt auch die Notlüge t Notsituation. eines unrechten Angriffs auf das Le-
Formen der n. E betrachten die i Moralkritik, die die jeweils herr- ben anderer), das als letzte Verteidi-
Folgen einer Handlung u. bewerten schende t Moral zu entlarven oder Notsituation. Von N. spricht man in gungsmöglichkeit auch die Tötung
sie nach dem höchsten Ziel, dem zu rechtfertigen sucht. der E, wenn eine Person unter ver- des Angreifers erlaubt. Als proble-
empirisch-pragmatisch verstandenen Aus methodischen Gründen u. we- schiedenen moralisch verpflichten- matisch gilt die Berufung auf ein
i Glück. Eine n. E, die sich auf ein gen der Konkurrenz unterschiedli- den Handlungsnormen steht, deren Notrecht dann, wenn die Gefahr von
höchstes Ziel bezieht, heißt i teleo- cher n. Een geht es einer philosophi- Anwendung sich in einer konkreten keinem unrechtmäßigen Angriff aus-
logische E (griech. telos: Ziel, schen E nicht bloß um einen Zu- Entscheidungssituation gegenseitig geht u. die Abwehrhandlungen gegen
Zweck). Dazu gehört außer dem Uti- sammenhang unserer Moralvorstel- ausschließt (t Pflichtenkollision). In Rechte von Personen verstoßen, die
litarismus auch Aristoteles' i Stre- lungen, sondern auch darum, durch der Regel sind solche Konfliktsitua- bezüglich der Gefahr juridisch un-
bensE, die das Glück allerdings nicht eine Analyse des Begriffs der i Sitt- tionen lösbar nach dem Prinzip der schuldig sind. (Betrachtet man unge-
empirisch-pragmatisch versteht, oder lichkeit u. durch Anwendung ange- Güter- U. Pflichtenabwägung, dem- borenes menschliches Leben bereits
Nietzsches E, deren höchstes Ziel messener t Methoden eine Begrün- zufolge die Erfüllung einer höheren als Person, so sind hiermit etwa auch
die Steigerung des Lebens ist (i Le- dung zu leisten. Pflicht zu Lasten einer geringeren, Fälle medizinisch indizierter t Ab-
bensphilosophie). (4) In der deonto- die Rettung eines höheren Gutes zu treibung charakterisiert.) In diesem
logischen E (griech. to deon: das Er- Lit,,' Aristoteles, Nikomach. E; I. Kant, Lasten eines geringeren moralisch Fall spricht man nicht von rechtferti-
forderliche, die Pflicht) sind teleolo- Grundlegung zur Metaphysik der Sir- geboten ist. Von N. im strengen Sinn gendem, sondern von entschuldigen-
Notwehr 222 223 Organverpflanzung

dem Notstand, d. h. die Nothand- vorausgesehene u. in Kauf genom- Onanie i Sexualität. u. das Streben nach i Glück wie so-
lung wird als objektiv rechtswidrig mene Folge ist ( i Erfolg). ziales i Leben durch i Normen des
behauptet, jedoch nicht unter t Stra- Opportunismus i Konformität. HandeIns. Sie wird daher als Lösung
Lit.: Cicero, Pro Milone; Thomas
fe gestellt, weil vom Täter aufgrund
v. Aquin, Summa theo!. II-lI, qu. 64; des i Konflikts zwischen der egoisti-
seiner N. ein rechtmäßiges Verhalten I. Kant, Mctaph. d, Sitten, Einleitl,mg in Opposition t Demokratie. schen, von Selbsterhaltung bestimm-
nicht gefordert werden kann (Para- die Rechtslehre 11; ders., Von einem ver- ten Natur des Menschen (i Selbst-
debeispiele: ein Schiffbrüchiger stößt meintlichenRecht, aus Menschenliebe zu interesse) u.' der Notwendigkeit einer
den anderen vom Brett, um sich lügen; A. Baumgarten, Notstand u. Not- Optimismus t Lebensphilosophie,
sozialen Organisation (I-Iobbes' Pro-
selbst zu retten: Karneades; jemand wehr, Tübingen 1911; R. Maurach, blem der 0.) im Sinne einer bloßen
begeht ein Verbrechen, unter lebens- Kritik der Notstandslehre, Berlin 1935; Ordnung ist eine nach Gesetzen U. Versöhnung u. Integration abwei-
bedrohendem Druck: Befehlsnot- W. Gallas, Pflichtenkollision als Schuld- Regeln gegliederte Ganzheit von ein- chender u, gegensätzlicher Interessen
ausschließungsgrund, in; Festschr. Mez- ander wechselseitig zugeordneten
stand). Selbst wenn in solChen Fällen ger, MünchenlBerlin 1954; D. Kratsch, (T. Parsons) unzureichend verstan-
das Strafgesetz keine Sanktionen ver- Grenzen der Strafbarkeit im Notwehr- Elementen, die entweder vorgefun- den, Diesem Mißverständnis ent-
hängt, weil die durchs Gesetz an- recht, Berlin 1968; H. Suppert, Studien den U. entdeckt (0, der i Natur) spricht eine O. um der O. willen, die
gedrohte Strafe nicht größer sein zur Notwehr .. " Bann 1973; M. Kauf- oder durch menschliches Handeln u. O. als Selbstzweck begreift u. jedes
könnte als die N., so gilt doch, daß mann, Rechtsphilosophie, Freiburgl Denken bewirkt U. nach menschli- Abweichen von ihr durch Individuen
"es keine Not geben kann, welche, München 1996, 89 ff (Lit.). M, F. chen Bedürfnissen geschaffen wird oder Gruppen unabhängig von einem
was unrecht ist, gesetzmäßig mach- (0. des Denkens, der Logik, der Me- dabei entstandenen Schaden mit
Notwehr i Notsituation, Wider-
te" (Kant). Dies gilt übrigens für un- thodik, O. der i Kultur U. i Tech- Sanktionen (i Strafe) bedroht. -
standsrecht.
rechtmäßige Notstandshandlungen nik, O. des t Rechts), Der kosmo- Analog kann O. im individuellen Be-
jeglicher Art, auch für bloße Rede- Notwendigkeit i Kategorischer Im- logische (griech. kosmos, Welt) Be- reich zum Selbstzweck werden, wenn
handlungen (Notlüge), die die Rechts- perativ, Schicksal. griff der O. schließt von der vorfind- die O.liebe die Entscheidungs- u.
güter anderer mittelbar oder unmit- lichen O. der i Welt analog auf ei- Bewegungsfreiheit bei der Erfüllung
telbar verletzen. Nützlichkeitsmoral i Utilitarismus. nen Schöpfer oder ein vernünftiges eigener u. fremder Wünsche u. Be-
Während also der im Falle einer Prinzip (Platon), Erkenntnistheore- dürfnisse u. bei der Wahrnehmung
nicht durch ungerechten Angriff her- tisch ist der Begriff der O. begründet, von i Pflichten behindert.
beigeführten N. bemühte ,Rechts- o der von der 0, des Erkennens u. der
grundsatz' "Not kennt kein Gebot' Erfahrung die O. der Natur U. die Ut.: Platon, Gorgias, 503e-509c;
nur die rechtliche Straflosigkeit, nicht Objektiver Geist i Institution. übersinnliche O. der t Freiheit ablei- T, Hobbes, Leviathan, Kap, 13-15;
aber die objektive Rechtmäßigkeit tet (Kant). Die SittL u. rechtliche O. I. Kant, Prolegomena. ,., § 38; M,
einer Handlung zu begründen ver- Offenbarung i Religion. löst die O. der Natur ab, indem sie Scheler, Der Formalismus in der E u.
die materiale WertE, Bern 4 1954, Teil
mag, scheint das im Fall der Not- die Prinzipien der i Gerechtigkeit u.
1, Abschn. II. B; T. Parsons, Structure
wehr herangezogene Prinzip "vim vi Offene Gesellschaft i Gesellschaft, der auf t freier u, vernünftiger Bera- and Process in Modern Societies, Glen-
repellere licet" (Cicero, Thomas v. Kritischer Rationalismus. tung beruhenden i Entscheidung zur coe 1960, Teil IV, Kap. 8; H. Krings,
Aquin, S. Pufendorf u. a.) sowohl die Grundlage der sozialen U. kulturellen Ordo, Hamburg 21982; H. Barth, Die
juridische Straflosigkeit wie die mo- Öffentliche Gewalt i Gewalt, O. (t Institution) einer i Gesell- Idee der-O., Stuttgart 1958; H. Knhn,
ralische Erlaubtheit (u. U. sogar Ge- schaft macht. Sie befreit den i Men- F. Wiedermann (Hrsg.), Das Problem
botenheit) einer gewaltsamen Ver- Öffentliches Interesse i Gemein- schen vom Zwang seiner eigenen der 0., Meisenheim 1962; R, Zintl,
teidigungshandlung zu rechtfertigen. wohl. (Triebstruktur) U. der äußeren Na- Individualistische Theorien u. die O.
tur, indem sie die Befriedigung seiner der Gesellschaft, BerIin 1983; W. Dahl-
Die Befürworter dieses Grundsatzes berg, 0., Sein u. Bewußtsein, Frank-
verweisen in der Regel darauf, daß Ökologie i Umweltschutz. Bedürfnisse gesellschaftlich sichert. furt/Mo 1984. W. V.
die etwaige Tötung eines Angreifers Die sitt1. O.hat teleologischen (griech.
Ökologische E i Umweltschutz.
nicht Mittel zur Abwehr, sondern telos: Ziel) Charakter: sie ermöglicht Organverpflanzung i medizinische
deren unbeabsichtigte, wenn auch Ökonomie i WirtschaftsE. sowohl individuelle Selbstbestimm ung E.
Parlamentarismus 224 225 Patriotismus - Kosmopolitismus

p ehisch erheblich behindert sein, oder Patriotismus - Kosmopolitismus. P. als gleichberechtigte Mitbürger u. die
es müssen ihr wichtige Informatio- meint Liebe zur Heimat, zum Volk, ganze Erde als seine Heimat, als die
Parlamentarismus t Demokratie. nen (z. B. zur Gefährlichkeit einer zur eigenen politischen Gemein- große Weltstadt (Diderot) aner-
Handlung) fehlen. Eine Begrenzung schaft. Sitd. Bedeutung gewinnt P. kennt, dem geschichtlichen Umstand
Parteilichkeit t Gerechtigkeit. der Autonomie rationaler Erwachse- insofern, als die Bestimmung des Rechnung, daß ein einzelner Staat
ner ist darüber hinaus nur im Inter- Menschen u. des rechten Lebens in dem Menschen nicht mehr den sitt!.
Partizipation t Demokratie. esse der gleichen Autonomie anderer einen wesentlichen Zusammenhang Lebensinhalt zu vermitteln vermag.
vertretbar u. steht nur der staatlichen zum konkreten ,Ort des Wohnens' (::: P. als sitt1. Kategorie ist sinnvoll nur
Paternalismus bezeichnet den Ver- Rechtsordnung zu (Zwangsbefugnis: griech. ethos), zu der durch je eigene auf der Basis wirklicher u. möglicher
such eines einzelnen oder des Staates, t t
Recht, Staat), hierbei scheint es t Sitten, ,Gesetze u. t Institutionen politischer Gemeinschaft, die sich
das Wohlergehen anderer t Perso- jedoch angemessener, nicht von "P." verfaßten politischen Gemeinschaft durch spezifische Formen identitäts-
nen (bzw. der Staatsbürger) auch zu sprechen. In jedem anderen Fall gesetzt wird. Die Affirmation des stiftender Tradition, Sprache, Arbeit
ohne deren Einwilligung, extremen- soUten Personen als die besten Rich- Vaterlandes, des eigenen Volkes u. u. kommunikativer Interaktion kon-
falls sogar gegen ihren Willen herzu- ter über ihre eigenen Interessen ak- seiner politischen Ordnung u. die stituiert (Rousseau). Der neuzeitliche
stellen. Der Ausdruck P. wird fast zeptiert werden; selbst der Miß- Übernahme der zu seiner Erhaltung liberale Staat, der sich primär instru-
immer negativ verwendet, steht also brauch von Autonomie erschient als u. Pflege nötigen Verpflichtungen ist mental als vom Kalkül der Bürger ge-
für autoritär-illiberale Versuche die- sinnvoller als ein P. I<ant bezeichnet so gesehen eng verbunden mit der schaffene Sicherungsinstanz privater
ser Art. Das schließt nicht aus, daß eine "väterliche Regierung", die die Bejahung der eigenen sittl. Identität, t Rechte versteht, die tiefgreifende
es nicht auch berechtigte Eingriffe in Staatsbürger als "unmündige Kin- die sich mehr noch als den Eltern der ökonomische u. politische Ver-
die t Autonomie von Personen ge- der" behandle, sogar als den "größ- Polis verdankt (vgl. Platon, Kriton schränkung der Nationen u. ein ge-
ben kann, etwa die Verhinderung ten denkbaren Despotismus". Die 50 e-52 a). P. unterscheidet sich von sellschaftliches Leben, das zuneh-
der Selbsttötung eines psychisch Grenzziehung zwischen P. und be- der Verfallsform des Nationalismus mend durch universal standardisierte
Kranken oder die staatliche Festle- rechtigten Freiheitsbeschränkungen durch die Achtung der Eigenart Formen der t Arbeit, des Wett-
gung einer allgemeinen Schulpflicht. bleibt freilich häufig problematisch: fremder politischer Gemeinschaften bewerbs u. der t Kommunikation ge-
J. Rawls hingegen bezeichnet als beispielsweise im Fall einer lebensret- (t Toleranz) sowie durch die Aner- prägt ist, lassen den P. als geschicht-
"P." gerade solche institutionellen tenden Bluttransfusion bei Zeugen kennung jedes Menschen als eines lich überholt, als sitt!. indifferent,
Grundsätze, auf die man sich in ei- Jehovas oder im Fall einer gutge- Zwecks an sich selbst (t Humani- u. U. gar als bedenklich erscheinen.
nem fiktiv angesetzten Urzustand meinten Lüge zum (vermeintlichen tät), der weder als Fremder noch als Gleichwohl zeigt die jüngste Ge-
einigen würde, um die eigenen Inter- oder tatsächlichen) Wohl eines Mitbürger zum bloßen Mittel des ei- schichte, daß die 19norierung jeder
essen für den Fall sicherzustellen, Kranken ( t Krankheit). Auch gehen genen politischen Ganzen herabge- Bindung des Menschen an seine nä-
daß t Vernunft u. t Wille einer Per- die Auffassungen darüber auseinan- stuft werden darf (I<ant). Der einzel- here Heimat u. deren besondere sitt!.
son versagen. der, ab wann ein Sozialstaat zum pa- ne ist Teil des t Staates als des ihn u. kulturelle Traditionen durch einen
Solche berechtigten Eingriffe ternalistischen Fürsorgestaat wird. umfassenden u. tragenden Ganzen u. zentralistisch organisierten "Mehr-
scheinen imme~ dann vorzuliegen, ist doch als Mensch mehr als er. Das völkerstaat" für diesen auf Dauer
wenn man von einer hypothetischen Lit.: P!aton, Politeia, Buch III; I. Kant, Moment der Überlegenheit des ein- selbstdestruktiv ist. Gelebte Sittlich-
Zustimmung ausgehen darf; das ist Über den Gemeinspruch: Das mag in zelnen gewinnt eminente Bedeutung, keit baut sich auf in konzentrischen
dann der Fall, wenn die Einwilligung der Theorie richtig sein, tau~t aber sobald der Staat physisch u. sitt!. integrativen Kreisen. Ein politisches
einer Person unter normalen Um- nicht für die Praxis; J.5. Mill, Über die
verfällt bzw. eine nicht an freier po- Weltbürgertum u. moralischer Uni-
Freiheit; J. Rawls, Eine Theorie der Ge-
ständen als selbstverständlich gelten rechtigkeit, Frankfurt/M. 1975 (§§ 33, litischer Gemeinschaft orientierte versalismus bedürfen offensichtlich
kann, u. d. h., wenn zentrale t Inter- 39); R. Sartorius (Hrsg.), Paternalism, Funktion übernimmt. Der K. der der Stützung u. Bodenhaftung in
essen u. grundlegende t Bedürfnisse Minneapolis 1982; D. VanD'eVeer, Pa- Spätantike ( t stoische E) u. der Neu- partikulär u. regional gelebten u. er-
einer Person berührt sind. Dazu muß ternalistic Intervention, Princeton N.}. zeit (v. a. seit der Aufklärung) trägt lebten Handlungs- u. Traditionsge-
die betreffende Person zum fragli- 1986; O. HöHe, Vernunft u. Recht, in seiner Idee des Weltbürgertums meinschaften mit besonderen Sitten
chen Zeitpunkt kognitiv oder psy- Frankfurt/M. 1996, Kap. 9. C. H. (t Weltrepublik), das alle Menschen u. Symbolen (t Kommunitarismus),
Pazifismus 226 227 Person

um auf Dauer tragfähig zu sein: "Ist stellung wie "Schließlich geht es hier die Tendenz charakterisiert, P.alität Kontext bestimmter Handlungsmög-
es doch etwas Großes, dieselben um r,en" zum Ausdruck kommt. als ein nicht auf andere Phänomene lichkeiten ergibt ). Bei P. F. StrawSol1
Denkmäler der Vorfahren zu besit- Der p, wird dabei häufig eine unbe- zuriickführbares, als ein elementares gilt der r,begriff als "logisch primi-
zen, dieselben heiligen Handlungen dingte Bedeutung oder ein absoluter Faktum zu beschreiben, tiv", d. h. als nicht weiter analysier-
zu begehen u. gemeinsame Grabmä- Wert zugeschrieben; besonders Kant . Alltagssprachlich setzen wir den bar; eine P. ist demnach eine Entität,
ler zu haben" (Cicero, Oe off, I, 55). hat in der Selbstzweckformel seines Ausdruck "P.en" mit "Menschen" über die man sowohl Aussagen auf
i kategorischen Imperativs dieser In- gleich. Es ist daher naheliegend an- der körp'erlichen Ebene (M-Prä-
Lit.: PlatOll, Kriton; Cicero, De offici- tuition Ausdruck verliehen ("Handle zunehmen, daß der Bereich der P.en dikate) als auch der mentalen Ebene
is I, 50-58; ].-J. Rousseau, Discours sur so, daß du die Menschheit, sowohl in mit der Reichweite der biologischen (P-Prädikate) treffen kann.
l'economie politique; ders., Considera- deiner Person als in der Person eines Art homo sapiens zusammenfällt. Die Suche nach den zentralen De-
tions sur le gouvernement de Pologne; jeden anderen, jederzeit zugleich als Dagegen richtet sich das Bedenken, finitionsmerkmalen des P.-Begriffs
1. Kant, Über den Gemeinspruch: das
mag in der Theorie richtig sein ... Zweck, niemals bloß als Mittel dies sei nur ein kontingentes Faktum; erhält dadurch besondere Brisanz,
(v,a. Abschn. 11 u. ill); J. G. Fichte, Re- brauchst"). richtig ist, daß sich die Existenz daß sich aus ihnen ein Ausschlußkri-
den an die deutsche Nation (v. a, 8, Re- Begriffsgeschichtlich leitet sich p, nicht-menschlicher P ,en wie Außer- terium ergibt (Sind befruchtete Eizel-
de); P. Singer, The Expallding Circle, vom lateinischen Ausdruck "perso- irdischer, Engel, uns unbekannter len, Föten, Komatöse, Schwerstbe-
Oxford 1983, Kap. II; 0, Höffe, Ka- na" (= Theatermaske) ab; dessen Tiere oder künftig konstruierbarer hinderte usw. P,en?). Die Frage, wer
tegorische Rechtsprinzipien, Frank- übertragene Bedeutungen "Rolle (die intelligenter Maschinen nicht von als P. gelten soll, ist dann gleichbe-
furt/M, 1990, Kap. 9; ders., Vernunft jemand spielt)", "Funktion", "Ima- vornherein ausschließen läßt. Auch deutend mit der Frage, wem man
u. Recht, Frankfurt/M. 1996, Kap. 5 u, ge" führen auf dem Weg über die solche Ansprüche wie das Recht auf
wenn alle Menschen (u. nur Men-
7; K. Hübner, Das Nationale, Graz
u. a. 1991; A. Maclntyre, Ist Patriotis- sog. prosopogra phisehe Bibe1exegese schen) P.en sein mögen, sind sie es Überleben, auf Autonomie oder auf
mus eine Tugend?, in: A Honneth zur Anwendung von "P." auf die nicht, weil sie Menschen sind; ge- körperliche Unversehrtheit zugeste-
(Hrsg.), Kommunitarismus, Frank- drei Hypostasen Gottes. Ursprung sucht wird ein davon unabhängiges hen soll u, wem nicht. Bestritten
furt/Mo 1993, 84-102. M. F. des modernen P. begriffs ist somit die Kriterium. Dieses wird meist an- wird diese Konsequenz von D. Par-
christliche Trinitätsspekulation. Bei hand der Frage diskutiert, was p.ale fit, der die Vorstellung einer strilcten
Pazifismus t Friede. Thomas v. Aquin wird P.alität be- Identität über einen Zeitraum aus- p.alen Identität insgesamt zugunsten
sonders durch die Eigenschaft des macht. einer Konzeption der zeitlichen Folge
PersönlichkeitsE i Person. Selbständigseins charakterisiert (per Die heiden traditionellen Lösungen von P.en preisgeben will, sich damit
se existere). Seit der frühen Neuzeit sind einerseits die Annahme einer aber nicht durchgesetzt hat. Viel-
Person. Der P,begriff spielt in der E bildet sich bei den Naturrechtstheo- substantiellen Seele (z. B. Platon, Des- mehr bleiben die Konsequenzen der
eine prominente Rolle, da ,allein P.en retikern ein ethischer Personalismus cartes) als Grundlage der P.alität u. vorgeschlagenen P ,definitionen be-
als moralisch Handelnde auftreten aus, der P.en als moralische Entitäten andererseits die Annahme, daß eine sonders innerhalb der Diskussion um
können ( i Handlung). Noch wichti- (entia moralis) den bloßen Naturdin- bloß physische Kontinuität, etwa des i Abtreibung, Euthanasie u. Sterbe-
ger ist der Umstand, daß P.en viel- gen (entia physica) gegenüberstellt. In Gehirns, als Bedingung ausreicht. hilfe virulent.
leicht die einzigen, zumindest aber dieser Tradition steht der theologi- J. Locke hat demgegenüber ein psy- Mögliche Kriterien für das Vorlie-
die primären Adressaten e Handeins sche Personalismus des 19. Jahrhun- chologisches Kriterium vorgeschla- gen von Personalität sind Vernunft,
sind; ob daneben auch Nicht-P.en derts (F. SchleiermacheI', W. Stern, B. gen, nach dem P.en durch Selbstbe- Bewußtsein, Selbst bewußtsein, Kom-
wie Tiere oder gar Naturgüter P. Bowne, E. S, Brightman). Im wußtsein u. Erinnerungsfähigkeit munikationsfähigkeit oder sittl. Be-
(Flüsse, Wälder oder Meere) als Ob- 20. Jahrhundert wurde er teils von charakterisiert sind, Kal1t kritisiert wußtsein; bereits die traditionelle
jekte moralischer Verpflichtung gel- M. Seheler, teils von den jüdischen die gleichsam gegenständliche Auf- r:definition des Boethius nennt Ver-
ten sollen, ist kontrovers. In jedem Dialogphilosophen (M. Buber, F, Ro- fassung der P. bei Rationalisten und nunftfähigkeit als Kriterium von Per-
Fall hat der P .begriff im Kontext der senzweig, E. Levinas), teils von Neu- Empiristen u. unterscheidet ein trans- sonalität (persona: naturae ra-
Frage nach den Handlungszielen eine scholastikern (E. Gilson, j. Maritain, zendentales Subjekt (als Bedingung tionabilis il1dividua substantia; "P.
starke normative u. anti-reduktioni- E. Mounier) fortgeführt. Personali- der Möglichkeit der Erfahrung) von ist die unteilbare Substanz einer ver-
süsche Färbung, was in einer Fest- stische Ansätze sind insgesamt durch einer konkreten P. (die sich a üs dem nunftfähigen Natur"). Von Bedeu-
Personalismus

tung ist auch das von H. Frankfurt


228

and the Concept fo a P., in: Journal of


r 229

spielten i Normen können nur P.


Pflicht

sind nicht Gegenstand der Achtung,


vorgeschlagene Charakteristikum, Philosophy 68 (1971); B. Williams, sein, insofern diese Normen selbst ebensowenig wie ein Handeln nach
P.en verfügten über "Volitionen Probleme des Selbst, Stuttgart 1978; D. durch ein moralisches Gesetz be- Klugheitsmaximen im Dienst eines
Parfit, Reasons and Persons, Oxford
zweiter Ordnung", d. h. über WUn- gründet sind. Im Begriff der P. vernünftigen Lebensgenusses. Ach-
1984; M. F. Goodman (Hrsg.), What is
sche, Absichten, Entschlüsse usw., aPerson? CHfton N. J. 1988; M. Fuhr- kommt zum Ausdruck, daß ein freier tung empfinden wir vorzüglich einer
die sich auf Volitionen erster Ord- mann, B. Kible, G. Scherer, M. Scher- Wille einem unbedingten Sollen, ei- Person gegenüber, die um der P.
nung richten können. Alle diejenigen ner, Artikel P., in: Historisches Wör- nem schlechterdings gebietenden An- willen im Xonfliktfall auch gegen ih-
Definitionsversuche, die eine be- terbuch der Philosophie, Bd.7, 1989, spruch unterstellt ist, dem er nicht re Neigungen zu handeln vermag.
stimmte mentale oder kognitive Lei- 269-338; Th. Kobusch, Die Entdek- immer schon von selbst folgt. Der Der Begriff der P. impliziert den
stung als konstitutiv fUr P.en anset- kung der P., FreiburgiBaseVWien 1993; Begriff der P. impliziert je schon den Gedanken einer gesetzgebenden In-
zen, haben freilich teilweise kon- P. Singer, Praktische Ethik, Stuttgart Gedanken unbedingter Nötigung, die stanz. FUr die i stoische E figurierte
2 1994; R. Spaemann, P.en. Versuche
traintuitive Folgen, wie ehva die De- über den Unterschied zwischen "etwas" den faktischen Trieben u. Wünschen ,Natur' bzw. ,Weltvernunft' als ver-
batte um P. Singer oder der Vor- u. "jemand", Stuttgart 1996. C. H. (d.h. Neigungen) des Subjekts entge- pflichtender Grund, für die i christ-
schlag von M. Tüoler (in: M. F. gengesetzt sein kann u. nicht in die- liche E der persönliche i Gott, der
Goodman) zeigt, nur Lebewesen mit Personalismus i Person. sen ihre Begründung findet. Wenn die geschaffenen Subjekte in seinen
dem bewußten Wunsch weiterzule- Kant in der P. als "praktisch unbe- Geboten in Anspruch nimmt. Das
ben besäßen ein Lebensrecht; nach Perversion i Krankheit. dingter Notwendigkeit der Hand- P.gemäße ist so das Naturgemäße
Singer oder Tooler wären nicht nur lung", als "unbedingt nötigender bzw. das Gottgefällige. Erst die Neu-
Föten, sondern auch Kleinkinder Pessimismus i Lebensphilosophie. Verbindlichkeit eines nicht schlech- zeit (speziell Kant) entwickelte den
vom P .status ausgeschlossen. Eine terdings guten Willens" das Wesen der sitt!. Freiheit adäquaten Gedan-
Möglichkeit, solche Konsequenzen Pflicht ist ein Grundbegriff e Refle- sitt!. Forderung zu treffen glaubt u. ken der Autonomie, der P. als unbe-
zu vermeiden, ohne ein kognitives xion, der erstmals von der i stoi- Moralität als "Handeln aus reiner dingte Sclbstaufforderung u. Selbst-
P.en-Kriterium preiszugeben, könnte schen E (to kathäkon ::: das Gebüh- Achtung für dieses Gesetz" definiert, bindung vernünftiger i Freiheit eines
in der Unterscheidung zwischen ak- rende, Geziemende) ausgebildet, so liegen diesen Bestimmungen gän- Wesens interpretiert, das zur Ver-
tuellen u. potentiellen P.en oder auch über Cicero (officium ::: Pflicht) Ein- gige Erfahrungen zugrunde, die der nunft fähig u. nicht immer schon
zwischen strikten u. sozialen P.en gang in die i christliche E fand, in "natürliche gesunde Verstand" unter vernünftig ist. Grund der Verpflich-
(z. B. Kindern) liegen. R. Spaemann der deutschen Aufklärung zentrale dem Titel P. subsumiert. Jedermann tung ist somit die "Persönlichkeit"
verteidigt das P .kriterium der biolo- Bedeutung gewann (bei Wolf!' Cru- kann unterscheiden zwischen den als vernünftig freies Wesen.
gischen Zugehörigkeit zur Mensch- sius u. a. unter dem Terminus obli- Handlungen, die er tut, weil er dieses Nach der Art der Verpflichtung u.
heit; er wendet sich dagegen, den gatio ::: Verbindlichkeit) u. bei Kant oder jenes wUnscht u. begehrt, u. je- der Beziehung u. Erzwingbarkeit der
P.status als Resultat der (willkür- u. Fichte dann mit dem Wesen der nen Handlungen, die er ausführt, Handlungen, zu denen man ver-
lichen) Aufnahme in eine "Anerken- i Sittlichkeit in engste Beziehung ge- weil er sich zu ihnen verpflichtet pflichtet ist, unterscheidet man in der
nungsgemeinschaft" zu verstehen, setzt wurde. Heute spricht man von fühlt. Der Charakter verpflichtender Regel zwischen vollkommenen u.
aber auch dagegen, ihn als Zugehö- P.en im Sinne verbindlicher Aufga- Nötigung ist anderer Art als der ei- unvollkommenen P.en, zwischen
rigkeit zur Klasse aller Dinge mit ei- ben, die mit der spezifischen Funkti- nes rationalen Begehrens, das um P.en gegen sich selbst, gegen andere
ner Reihe von bestimmten angebba- on einer Person in einer Gruppe oder langfristiger u. übergeordneter Ziele u. gegen Gott (insofern Gott als
ren Eigenschaften zu interpretieren. Gesellschaft verbunden sind. Die willen die Verfolgung damit nicht nichterfahrbare Idee eines Vernunft-
philosophische Rede von P. meint die kompatibler Wünsche beschränkt. wesens neben anderen erfahrbaren
Lit.: Platon, Phaidon; ders., Phaidros; Gebotenheit einer Handlung im Blick Die Eigenart moralischer Verpflich- Vernunftwesen figuriert, nur noch
Aristoteles, De anima; Augustinus, De auf ein unbedingtes moralisches Ge- tung kommt ferner zum Vorschein zwischen P.eo gegen sich selbst u.
trinitate; Boethius, Contra Eutychen et
setz (i kategorischer Imperativ, im Gefühl der Achtung, das wir dem andere), zwischen RechtsP. u. Tu-
Nestorium; Thomas v. Aquin, Summa
theologica II-I, qu. I-XVIII; R. Descar- i Moralprinzip). Handlungen nach moralischen Gesetz u. dem Handeln gendP. Die vollkommenen (engen)
res, Meditationes de prima philosophia; juridisch fixierten u.!oder brauch- nach diesem Gesetz entgegenbringen. P.eo umreißen das Feld des unbe-
H. G. Frankfurt, Freedom of the Will tumsmäßig ( i Moral u. Sitte) einge- i Bedürfnisse u. ihre Befriedigung dingt Notwendigen der P.befolgung,
Pflichtenkollision 230 231 Philosophie der Befreiung

das jeden in gleicher Weise betrifft u. M. Forschner, Gesetz u. Freiheit. Zum verpflichtende Aufga be begründet schaftlichen Lebens ( t Institution), -
die gebotenen bzw. verbotenen Problem der Autonomie bei I. Kant, (vgl. etwa Abrahams Opfer seines t Moral. Dilemmata.
Handlungen eindeutig bestimmt (pri- München/Salzburg 1974, Teil VI; G. E. Sohnes Jsaak als klassisches Beispiel
Moore, Grundprobleme der E, Mün- des AT). Dem Gedanken einer mög- Lit.: I. Kant, Metaphysik der Sitten,
mär in Gestalt von Verboten, etwa chen 1975, Kap. IV; J. S. Fishkin, The
der Tötung, der Lüge, des Geizes lichen P. steht auch die E Kants ab- Rechtslehre, Einleitung; W. D. Ross,
Limits of Obligation, New Haven/Lon- The Right and the Good; ders., Moral
etc.), die unvollkommenen (weiten) don 1982. M. F. lehnend gegenüber. t Pflicht ist nach
Obligation; W. Gallas, P. als Schuldaus-
P.en sind solche, die zwar ein striktes ihm die objektiv praktische Not-
schließungsgrund, in: Festsehr. Mezger,
Gesetz für die Maxime der Hand- Pflichtenkollision. Unter P. versteht wendigkeit eine Handlung nach dem MünchenlBcrlin 1954; M. Forschner,
lungen enthalten, im Blick auf Art u. man den gleichzeitigen Bestand sol- Gesetz der Vernunft, u. da zwei ein- Reine Morallehre tl. Anthropologie, in:
Grad der Handlungen jedoch nichts cher Verbindlichkeiten ein u. dersel- ander entgegengesetzte Regeln, nicht Neue Hefte f. Philosophie, H. 22,
apriori bestimmen, sondern der frei- ben Person, die sich grundsätzlich zugleich notwendig sein können 1983; O. HöHe, Universalistische E u.
en Willkür bzw. der t Klugheit einen oder doch für den Moment der (Vernunft ist charakterisiert durch Urteilskraft. Ein aristotelischer Blick
Spielraum lassen (z. B. die P. zur Handlung gegenseitig ausschließen, ihre systematische Einheit), "ist eine auf Kant, in: Zeitschrift für philosophi-
Kollision der Pflichten u. Verbind- sche Forschung, 44/4, 1990. M. F.
Vervollkommnung der eigenen Na- gleichwohl aber als in zwingender
turanlagen). RechtsP.en sind solche, Weise verpflichtend anerkannt wer- lichkeiten gar nicht denkbar". Diese
für die eine äußere Gesetzgebung den. Dem Problem einer möglichen abstrakte Lösung der Frage, deren Phänomenologische E t Methoden
möglich ist, T ugendP .en jene, die P. sehen sich all jene E-Theorien Stringenz unbestreitbar ist, scheint der E.
nicht erzwingbar sind, weil sie zu konfrontiert, die eine Pluralität gleichwohl der Problematik konkre-
Zwecksetzungen verpflichten, die als irreduzibler Moral- t Normen bzw. ter t Notsituationen nicht gerecht zu Philanthropie i Liebe.
innere Gemütsakte von keiner äuße- nicht hierarchisierbarer t Werte ver- werden. So kann etwa die Pflicht, ei-
ren Gesetzgebung bewirkt u. von treten, die in der Anwendungssitua- nem Freund zu helfen, mit der Philosophie der Befreiung versteht
keiner Rechtsprechung beurteilt wer- rion konfligieren können (Normen- Pflicht, für die Familie zu sorgen, in sich als einen selbständigen philoso-
den können. Erzwingbar sind stets konflikt; z. B. kann das Gebot der der Einmaligkeit der Entscheidungs- phischen Ansatz aus Lateinamerika
nur p.gemäße (legale) Handlungen, Hilfeleistung mit dem Verbot der situation derart konfligieren, daß in bewußter Absetzung von der eu-
nicht aber Handlungen aus P. (mo- Lüge konfligieren; doch auch im beide Handlungsalternativen als sittl. ropäischen Tradition; ihr zentrales
ralische), d. h. solche, in denen das Rahmen ein u. derselben Norm sind u. unsittlich zugleich erscheinen, falls Thema ist die Überwindung kolonial
Gesetz auch das Motiv zur Hand- Konflikte denkbar, z. B. wenn meh~ Zllsatzkriterien wie Nähe u. Ferne geprägter DenkEormen, Die domi-
lung bildet (i Verdienstlichkeit). rere hilfsbedürftig sind, ich aber nur der Person etc. keine eindeutige Ent- nierenden abendländischen Ansätze
einem oder wenigen helfen kann). In scheidungnahelegen.Für W. D. Ross, von Ontologie u. Subjektphilosophie
Lit.: Cicero, De offidis; I. Kant, Grund- der im Anschluß an Platon u. Aristo- der einen möglichen objektiven bilden nach Ansicht der P. d. B. die
legung zur Metaph. d. Sitten; Kritik d. teles ausgebildeten scholastischen E Konflikt allgemeiner Verpflichtungs- Grundlage der weltweiten politischen
praktischen Vernunft, 1. Teil, 1. Buch, führte die Idee der Einheit des sittl. regeln (prima facie duties, z. B. Du Repression, der kulturellen Überheb-
3. Hauptstück; Metaph. d. Sitten, 2.
Teil, I. Ethische Elementarlehre; J. G. t Guten zum Gedanken eines ein- sollst nicht lügen, Du sollst Notlei- lichkeit des Westens, der wirtschaft-
heitlichen Systems der sittl. Welt mit denden helfen) anerkennt, ist in einer lichen Ausbeutung u. der Unter-
Fichte, Das System der Sittenlehre, 2. u.
3. Abschnitt; W. D. Ross, The Right hierarchisch gestufter Güter- u. Konfliktsituation die konkrete Pflicht drückung der Frau. Der P. d. B. dia-
and the Good, Oxford 1930; W. A. Pflichtenordnung. Der scheinbare (actual duty), die objektiv je nur eine gnostiziert als Wurzel solcher Phäno-
Pickard-Cambridge, Two Problems Konflikt sich ausschließender Ver- sein kann, nicht aus einem allgemei- mene der t Entfremdung eine philo-
about Duty, Mind Bd. 41, 1932; G. E. pflichtungen (etwa gegenüber sich ne Regelsystem allein deduzierbar, sophische Verdinglichung u. Entkon-
Hughes, Motive and Duty, Mind Bd.
53, 1944; M. Moritz, Studien zum
selbst, der t Familie, der t Gesell- sondern inuner nur als wahrschein- kretisierung der Person, die sich aus
schaft, dem i Staat, t Gott) ist ob- lich begründbar im Blick auf die der Einbeziehung aller Andersheit in
P.begriff in Kants kritischer E, The Ha- konkreten Umstände der Entschei- eine abstrakte u. systematische Ganz-
gue 1951; C. H. Whiteley, On Duties, jektiv lösbar zugunsten des stärkeren
Verpflichtungsgrundes, der in der dungssituation (t Klugheit). Der heit ergeben soll; diese Mißachtung
Proceedings of Aristotelian Sodety Bd.
53,1952/3; H. Reiner, Die Grundlagen hierarchischen Seinsordnung vorge- Reduzierung möglicher P.en dient die von Fremdheit sei die Voraussetzung
der Sittlichkeit, Meisenheim 2 1974; geben ist u. die in concreto allein institutionelle Gliederung des-- gesell- politisch-sozialer Ausbeutung. Gegen
Pietismus 232 233 Politik

eine solche redllktionistisch erlangte Einheit fehlt. Der P. kann metaphy- normativen Element verbinden, der Opladen 1980; J. L. Seurin (Hrsg.), La
Totalität setzt die P. d. B. selbst eine sisch verstanden werden u. mit Chri- Anerkennung der Vielfalt u, Unter- democratie pluraliste, Paris 1981;
unverkürzte Alterität u. Exteriorität stian Wolff jene Philosophien be- schiedlichkeit, In der t Demokratie 0, HöHe, Den Staat braucht selbst ein
des Mitmenschen (einschließlich zeichnen, die eine Vielfalt von Wesen gibt der p, den verschiedenen Kräf- Volk von Teufeln, Stuttgart 1988, 105-
124: P. u, Toleranz; J. Rawls, Die Idee
fremder Kulturen). Gestützt auf Ar- zur Erklärung der Welt annehmen. ten das i Recht, sich für ihre t In- des politischen Liberalismus, Frank-
beiten von], C. Scannone, S. Bondy In neuerer Zeit hat WiIliam fames teressen einzusetzen. Vertreter der äl- furt/M, 1992, Kap, 5-6, O. H.
u. L. Zea ist der Hauptvertreter der eine unendliche Menge begrenzter teren t kritischen Theorie verweisen
P. d. B. gegenwärtig E. Dussel. Er be- Tatsachen, Beziehungen u. Systeme jedoch auf Unterprivilegierte, die im Politik meint in einem vorläufigen
ruft sich besonders auf die von behauptet, die sich in ständigem Fluß Prozeß des Interessenausgleichs be- Sinne den ,Kampf um Macht' in
E. Levinas (gegen Heidegger) ent- befinden, zu immer neuen Verhält- nachteiligt sind, Carl Schmitt fürch- t Gesellschaft u. t Staat, Macht
wickelte E der "uneinholbaren An- nissen u. Strukturen führen u. für tet dagegen die zentralen anarchisti- wird dabei als Chance begriffen,
dersheit" des Mitmenschen, die in der deren Erkenntnis es keine festen Ka- schen Tendenzen des P., dessen "innerhalb einer sozialen Beziehung
Tradition des jüdisch-christlichen Per- tegorien u, Kriterien, sondern nur Kompromisse (t Konflikt) weder zu den eigenen Willen auch gegen Wi-
sonalismus steht (i Person). Durch perspektivische Orientierungspunkte einer moraL noch technisch-wirt- derstreben durchzusetzen" (M, We-
ihre zugleich politische wie meta- gibt. Der Pluralismus kann auch die schaftlich idealen t Politik führen. ber). Als formalisierte Form dieses
physische Ausrichtung besitzt die methodische Voraussetzung wert- Der p, folgt aus der Weltoffenheit Kampfes ist P. die "Kunst, gesell-
P. d. B eine enge Affinität zur latein- neutraler Sozialwissenschaften mei- des i Menschen, verbunden mit der schaftliche Tendenzen in rechtliche
amerikanischen "Theologie der Be- nen, die Mannigfaltigkeit von Kul- Vielfalt seiner Interessen, t Werte u, Formen umzusetzen" (H, Heller). P,
freiung" (L. Boff, G. Gutierrez). turformen, von der die "Soziologie Lebensentwürfe sowie seiner Irr- ist dann die Tätigkeit des Staates, in
auszugehen hat" (Scheler), Als e p, turnsanfälligkeit. Im p, tritt der der er sich gegen andere gesellschaft-
Lit.: E. Dussel, Para una etica de la li- bezeichnete Gehlen "die Tatsache, Reichtum menschlicher Möglichkei- liche u. politische Einheiten zu einem
beracion latinoamericana, 2 Bde., Bue- daß es mehrere voneinander funktio- ten, zugleich die Begrenztheit jeder Ganzen bildet (Integration) u. sein
nos Aires 1973; E. Dussel, D. E. Guillot nell wie genetisch unabhängige u. einzelnen Lebensgestalt zutage u. das Wesen bestimmt (R. Smend), In ihrer
(Hrsg.), Liberaci6n latinoamericana y
letzte sozialregulative Instanzen im Recht des Menschen, als selbstver- weitesten Auslegung ist p, jede Tä-
Emmanuel Levinas, Bucnos Aires 1975;
E. Dussel, Herrschaft u. Befreiung, Menschen gibt". Von Nietzsehe, antwortliche t Person u. mündiger tigkeit u. Lebensform in einem Staat
FreiburgiSchweiz 1985; H. Krumpel, Bergson u. M. Weher beeinflußt, Bürger seinen Lebensweg zu gehen, (G. Schmitt). - Während die letzte
Philosophie in Lateinamerika, Berlin wird das Ethos der Gegenseitigkeit Andererseits ist p, ein lmdialek- Auffassung keinen u. die übrigen nur
1992; H. ScheIkshorn, E der Befreiung, von dem des Wohlbefindens (Eudä- tischer Begriff, der die Vielfalt ohne einen sekundären Bezug zwischen E
Wien 1992; L. Zea, EI ~ensiamiento monismus: i Glück) unterschieden, die komplementäre Einheit u. die u. p, herstellen, ist dieses Verhältnis
latinoamcricano, Mexico 1976; ders., das i Familienethos mit seiner Er- Konkurrenz ohne Kooperation be- für Aristoteles zentral. für ihn ist
Signale aus dem Abseits. Eine latein- weiterung zum Humanitarismus greift. Lebensfähig u. wünschenswert die t Gerechtigkeit normative Be-
amerikanische Philosophie der Ge-
schichte, München 1989. C. H. (t Humanität) vom Ethos der In- t ist kein absoluter, nur ein relativer P. dingung u, wie das t Glück jedes
stitutionen, besonders des i Staats, einzelnen Ziel der p, als Lebensform
Pietismus i Christliche E. Während sie gewöhnlich nebenein- Lit.: W, James, Das pluralistische Uni- der freien Bürger einer Polis, p, als
ander bestehen, wenden sie sich in versum, Leipzig 1914; A. Gehlen, Mo- praktische Wissenschaft (t prakti-
Pleonexie t Besonnenheit. Krisenzeiten gegeneinander, ral und HypermoraL Eine pluralistische sche Philosophie) schließt E u, Öko-
Heute wird der P. vornehmlich ge- E, Frankfurt/M. 1973; G. Püttner, To- nomik ein, p, als Gegenstand der
Pluralismus ist ebenso wie t T ole- sellschaftlich u. politisch verstanden, leranz als Verfassungsprinzip. Prolego- Wissenschaft umfaßt alle Angelegen-
ranz ein Grundmerkmal der Moder- wobei sich empirische Elemente, eine mena zu einer rechtl. Theorie des plu- heiten der Bürger einer t Gesell-
ralistischen Staates, Berlin 1977; W. A.
ne. P. bedeutet nicht bloß eine Viel- Vielfalt von t Religionen u, Konfes- schaft. Ziel der p, als e Wissenschaft
Kelso, American Democratic Theory,
falt, sondern das gleichberechtigte sionen (religiöser P,), t Werten Pluralism and its Critics, Westport! u. t Praxis ist das gute t Handeln u.
Neben- u. Gegeneinander von natür- (WertP.), gesellschaftlichen Gruppen London 1978; E. Fraenkel, Deutsch- t Leben u, die beste t Verfassung.
lichen oder sozialen Elementen, de- (sozialer P,) u. politikbestimmenden land u, die westl. Demokratien, 71979, Sie soll durch BeIehrung, Gewöh-
nen ein übergeordnetes Prinzip der Kräften (politischer P.), mit einem 197-221; H.Oberreuter (Hrsg.), P., nung u. Einübung in die sittl. t Tu-
Politik 234 235 Pragmatik

genden in einem sich selbst genügen- mehr grundsätzlich an eine Staats- T. Hobbes, Leviathan, Kap. 5, 9, 11, oder im erkenntnistheoretischen
den (autarken), sütl. guten Leben form gebunden. 14, 18, 21; H. Kelscn, Reine Rechts- ( l' Pragmatismus) Sinn hat Inehrere
verwirklicht werden. Grundlegende Die Bindung der P. ,an Recht u. lehre, LeipziglWien 1934; H. Rehm, Bedeutungen: (a) die (Individual-)P.
Elemente der P., die praktisches Wis- l' Verfassung u. der Verzicht auf Geschichte der Staatsrechtswissen- untersucht, wie man am besten sein
schaft, Freiburg u.a. 1896; M. Weber,
sen, Können u. den sittl. Willen ver- Gewalt sind die grundlegenden For- persönliches Wohlergehen verfplgt.
P. als Beruf; J. Habermas, Theorie u.
einigt, sind Erfahrung, praktische derungen demokratischer P., die im Praxis, NeuwiedlBeriin 2 1967, S. 13-51; So nennt Kant die Ratschläge der
l' Klugheit u. sütl. Tugenden. Die normativen Sinne das antike Ideal W. Hennis, P. u. praktische Philoso- l' Klugheit, die die angemessenen
neuzeitliche Auffassung von P. ist ei- erneuert. Die sittl. Normen der phie, Neuwied/Berlin, 1963; H. Maier, Mittel für das eigene t Glück gebie-
nerseits geprägt durch die Trennung l' Grundrechte, des l' Gemeinwohls Die Lehre der P.... , in: Wissen- ten (rationales t Selbstinteresse),
der P. von einer spezifischen l' christ- u. der Daseinsvorsorge verpflichten schaftliche P., hrsg. von Oberndärfer, pragmatische Imperative im Unter-
lichen E (N. Machiavelli) u. anderer- diese P. in ihren legislativen, exeku- Freiburg 1962; J. G. A. Pocock, The schied zu den technischen u. den
seits durch die Forderurig, das er- tiven u. judikativen Funktionen u. Machiavellian Moment, Princeton l' kategorischen (moralischen) Impe-
1975; D. Sternberger, Drei Wurzeln der
wünschte Leben mit wissenschaftli- bei der Willensbildung. P. ist den P., Frankfurt/M. 1978; O. HöHe, Stra- rativen. Eine solche P. steht im Ge-
cher Genauigkeit herzustellen, mit- Verfassungszielen verantwortlich u. tegien der Humanität, Frankfurt/M. gensatz zur E als Theorie der l' Sitt-
hin P. zu einem Gegenstand theoreti- sütl. verpflichtet, sich unter den "1985, Kap. 10-12; ders., E u. P., lichkeit. (b) Sofern die P. den Spiel-
scher Wissenschaft zu machen (T. staatlichen u. sozialen Normen öf- Frankfurt/M. 3 1987, Kap. 6, 15; ders., raum oder das Können von Praxis
Hobbes). An die Stelle der E tritt bei fentlich u. vernünftig zu rechtferti- Sittl.-polit. Diskurse, Frankfurt/M. bestimmt, die E aber die Richtung
Machiavelli ein "bürgerlicher Hu- gen. P. hat nicht den Charakter einer 1981, 2. Teil; ders., Politische Gerech- oder das allgemeine Sollen, ist sie
manismus" (J. G. A. Pocock), der e Handlungslehre, ist aber bei der tigkeit, Frankfurt/M. 1987; ders., Ver- sittL indifferent. (c) Die P. steht dort
unter Glück (fortuna) u. Tugend (vir- Ausübung wie bei der Gewinnung nunft u. Recht, Frankfurt/M. 1996; in einem Komplementärverhältnis
K. Hartmann, Politische Philosophie,
tu) als Elemente der P. jeweils das von Macht an die genannten sittl. FreiburglMünchen 1981; R. Lay, E für zur E, wo sie die kultur- u. situati-
versteht, was zur Erneuerung des Normen gebunden. Die Möglichkei- Wirtschaft u. P., München 1983; onsinvariant gültigen Prinzipien der
Staatswesens im Augenblick gewalt- ten der P. sind in komplexen, hoch- S. Collini u. a., That Noble Science of E gemäß dem jeweiligen histori-
samer Befreiung von Unterdrückung industrialisierten l' Gesellschaften Politics, Cambridge "1983; W. Becker, schen, sozioökonomischen u. per-
u. Niedergang notwendig erscheint, einerseits abhängig von Planung u. W.Oelmüller (Hrsg.), P. u. Moral, sönlichen Handlungskontext zu
sei es Mord oder das Brechen von l' Wissenschaft. Diese können die München/Paderborn 1987; K. Bayertz konkretisieren sucht. Die so verstan-
Eiden u. Verträgen. Hobbes' rationa- Legitimität von P. sowohl steigern (Hrsg.), E u. P., Stuttgart 1996. W. V. dene P. übernimmt die für die Reali-
listisches Modell, Erkenntnis von Er- wie vermindern, jedoch nicht erset-
politische Beteiligung l' Demokratie. sierung sittl.-politischer l' Verant-
scheinungen u. Wirkungen aus deren zen. Andererseits sind die Möglich- wortung unabdingbare Aufgabe, den
Ursachen abzuleiten (reasoning), keiten der P. abhängig von Wi1lens- Politische Moral l' StandesE. Anspruch der Sittlichkeit bereichs- u.
trennt in seiner Anwendung auf Han- bildung u. öffentlichem Interesse. situationsgerecht aufzuarbeiten u. sie
deln u. P. das berechenbare Wirken Unter beiden Bedingungen ist P. ab- Politische Ökonomie l' WirtschaftsE. so mit den konkreten geschichtlichen
des l' Rechts-Systems des l' Staats hängig von ihrer sittl. Kompetenz, Verhältnissen zu vermitteln. Der
von den subjektiven Zielen der Poli- die zwar nicht über die Herstellbar- Polygamie l' Ehe. Versuch, die Vermittlung mittels rein
tiker. Damit wird eine Unterschei- keit politischer Ziele, jedoch über de- rationaler Verfahren durchzuführen
dung zwischen der subjektiv-will- ren humanen Wert u. damit über de- Positives Recht l' Recht. (wie im l' Utilitarismus mittels des
kürlichen P. u. der rechtlich gesicher- ren Bedeutung für Willens bildung u. hedonistischen Kalküls oder wie in
ten Weise des Regierens möglich, wie öffentliches Interesse kritisch urteilen Positivismus l' Empirismus. der l' konstruktiven E mittels eines
sie J. Bodin u. der l' Rechtspositivis- kann. Prädestination l' Vorsehung. bestimmten Beratungsmodells), er-
mus (Rehm, Kelsen) treffen. l' Recht Lit.: Aristoteles, Nikom. E, Buch I, VII, weist sich als eine sachunangemes-
wird damit, wie zuvor E, von P. ge- X; ders., P., Buch IIII; N. Machiavelli, Präskriptivismus l' MetaE. sene szientistische Verkürzung. -
treilllt, P reduziert sich auf den sub- discorsi. Gedahken über P. und Staats- (d) Die Untersuchung von Hand-
jektiven Kampf um Macht u. eine führung, Stuttgart 1966, Buch I, Pragmatik (griech. pragma: Hand- lungsregeln, die dem Wohlergehen
Technik der l' Gewalt u. ist nicht Kap. 4-7, Buch III. Kap.3-8 u. 49; lung) im e, nicht im semiotischen einer Gruppe, Gemeinschaft oder
Pragmatismus

dem alle Menschen ( i Utilitarismus)


dienen, zählt zur SozialP.
nicht die Wahrheit auf beliebige
236

Nützlichkeit reduziert. Erst fames


leugnet den Allgemeinheitscharakter
von Wirklichkeit U. bezeichnet Hy-
r 237

sprachanalytisches Denken {i Me-


thoden) zu begründen suchen. ~ Kri-
tisieren läßt sich am P. der undialek-
tische Vorrang der Praxis vor der
Praktische Philosophie

Rechts- U. StaatsP.). In einem weite-


ren Sinn kann man auch Anthropo-
logie; i Religions-, i Geschichts- U.
i KulturP. zu ihr rechnen. Die Zu-
Lit.: 1. Kant, Grundlegung zur Meta-
physik der Sitten, Akad. Ausg. Bd. I, S. pothesen, die für ein i Individuum Theorie (die Wahrheit als regulatives sammenfassung dieser DiszipHnen
416 ff; ders., Anthropologie in prag- zufriedenstellend wirken, als wahr, Erkenntnisideal wird der Lebens- zur p. P. gründet auf der Einsicht in
mat. Hinsicht; H. Lenk, Pragmatische wodurch Wahrheit zur Funktion der funktion der Erkenntnis geopfert) U. ihren sachlichen Zusammenhang:
Philosophie, Hamburg 1975; O. Höffe, Handelnden U. ihrer Anpassung an - mit Seheler - die Unterbewertung Das Normative ist auch für die Poli-
Strategien der Humanität, Frank-
furt/Mo 21985; A. Pieper, Pragmatische die Umwelt wird. Aber die Wissen- von Bildungswissen (Entfaltung der tik konstitutiv U. die politische Di-
U. eNormenbegründung, Freiburgl schaft wird - U. das entspricht ihrer Person) U. Erlösungswissen (Teilhabe mension für das Moralische. Dieser
München 1979, Kap. 3; H. Stachowiak modernen Grundeinstellung (i kri- am Höchsten). Zusammenhang gilt nicht bloß für
(Hrsg.), P., 5 Bde., Hamburg 1986 ff. tischer Rationalismus) - als prinzi- die Begründung der p. P. bei Aristo-
O.R. piell fallibel (irrtumsfähig) verstan- Lit.: K.-O. Apel (Hrsg.), C. S. Peirce, teIes U. die an ihn anknüpfende Lehr-
den: Die Gemeinschaft der Forscher Schriften, Frankfurt/M. 1976; ders., tradition bis ehr. Wolffs ,Philoso-
Pragmatismus (griech.pd.gma: Hand- sucht nach Wahrheit, ohne sich ihrer Der Denkweg von C. S. Peirce, Frank- phia practica universalis' (1738).
lung), bezeichnet eine in den USA je endgültig gewiß zu sein. In seiner furt/M 1975; E. Martens (Hrsg.), Tex- Auch durch die Trennung von Mo-
te der Philosophie des P. (c. S. Peirce,
von Peirce, farnes u. Dewey entwik- E wendet sich Peiree gegen einen W. James, F. C. S. Schiller, J. Dewey), ralität U. Legalität ( i Sittlichkeit) bei
kelte, in Europa von F. C. S. Schiller, VulgärP., der auf die Befriedigung Stuttgart 1975; W. James, Der P., Kant wird er nicht ganz aufgehoben;
Papini, Bergson, Simrnel U. Vaihin- sinnlicher Bedürfnisse zielt (i Freu- Hambul'g 1977; B. RusselI, Der P. denn Kants ,Metaphysik der Sitten'
ger ( i Lebensphilosophie) vertretene de). Letzter Zweck des Handelns sei (1909), in: Philosoph. U. polit. Aufsät- (1797) enthält eine i Rechts~ U. eine
philosophische Richtung, die in der vielmehr etwas, das sich aus Ver- ze, Stuttgart 1971; M. Scheler, Er- i Tugendlehre. HegeI erneuert in
i Wissenschaft nur jene Begriffe und nunftgründen empfiehlt: ein an sich kenntnis U. Arbeit, Frankfurt/M. 1977; seiner Rechtsphilosophie die aristo-
Sätze für sinnvoll hält, die sich auf die bewundernswertes i Ideal, d. i. et- ]. Dewey, Demokratie u. Erziehung, telische Tradition, U. der klassische
Braunschweig 1930; P. A. Schilpp
Praxis beziehen. Dabei bezeichnet was, das sich von einer unbegrenzten
(Hrsg.), The Philosophy of ]. Dewey,
i Utilitarismus betrifft das persönli-
Praxis nicht bloß Situations- oder Gemeinschaft in einem unbegrenzten New York 1939; J. V. Kempski, C. S. che ebenso wie das politische Han-
Lebenspraxis, sondern auch die expe- Handlungsverlauf (in the long run) Peirce U. der P., Stuttgart/Köln 1952; deln. Bei Nietzsehe, in der i existen-
rimentierende Forschungspraxis der konsistent verfolgen läßt. Dewey hat A. ]. Ayer, The Origins of P., San tialistischen U. der i WertE dagegen
Wissenschaftler. Der amerikanische gesellschaftlich-politische u. e-päda- Francisco 1968; W. V. Quine, Ontolog. verschwindet die politische, bei
P. reicht von einer Methode zur gogische Konsequenzen des P. gezo- Relativität ... , Stuttgart 1969; K.- Mal'x die moralische Dimension fast
Begriffserklärung über eine Konsen- gen. Er versteht die i Demokratie O. Apel U. H. Krings, in: H. M. Baum- vollständig.
sustheorie der i Wahrheit bis zu ei- als eine zur Forschergemeinschaft gartner (Hrsg.), Prinzip Freiheit, Frei- Mit der thematischen Abgrenzung
burg/München 1979; R. Rorty, Kon-
ner pädagogisch-politischen Theorie. analoge Lebensordnung: als die Ex- der p. P. von der theoretischen P. ist
tingenz, Ironie u. Solidarität, Frank-
Der Begründer Peiree betrachtet die perimentiergemeinschaft mündiger furt/Mo 1989; J. P. Murphy, Pragma- jedoch erst eine vorläufige Bedeu-
Wissenschaft im Gegensatz zur tra- Menschen, in der jeder dem anderen tism, Boulder u. a. 1990; K. Oehler, tung der p. P. erfaßt. Im eigentlichen
ditionellen Erkenntnis- u. Wissen- die Aufstellung plausibler Hypothe- eh. S. Peirce, München 1993. O. H. Sinn gehört zu ihr auch eine prakti-
schaftstheorie, nach der sie entweder sen, keiner aber dem anderen den sche Intention. Ohne auf methodi-
auf ersten Prinzipien (i Rationalis- Besitz absoluter Wahrheit zutraut. - Praktisches Gesetz i Moralprinzip. sches Vorgehen zu verzichten (i Me-
mus), oder letzten Tatsachen ( i Em- Der amerikanische P. hat großen thoden der E), will p. P. der sittl.
pirismus) beruhe, als je neuen Über- Einfluß auf die Wissenschafts- u. Ge- Praktische Philosophie. Die p. P. un- Verbesserung der Praxis dienen. Sie
gang von Zweifeln (verstanden als genstandstheorie von Quine u. die tersucht im Unterschied zur theoreti- beschränkt sich deshalb weder auf
Irritierung einer Verhaltensgewohn- transzendentale (Sprach-)P. vonApel, schen P. nicht Erkennen U. Sein, son- i MetaE noch auf die Erörterung
heit) zu gemeinsamen Überzeugun- auch Habermas, die zur Begrün- dern menschliche Praxis. Sie umfaßt des i Moralprinzips oder des i höch-
gen, die die Verhaltenssicherheit dung von i E u. i kritischer (Gesell- sowohl die i E als auch die i Wirt- sten Gutes. Weit lebensnäher prüft
wiederherstellen. Zwar wird hier schafts-)Theorie transzendentales u. schaftsE und i Politilc (Sozial-, sie auch die Herausforderung der E
Praktischer Syllogismus

durch e t Determinismus, t Nihi-


lismus u. i Relativismus, untersucht
sie das Sitd. in -seinen unterschiedli-
chen Aspekten u. gemäß den ver-
Praktische Vernunft
lichkeit.
i

Praktische Vernunftkritik
Freiheit, Sitt-

i
238

Metho-
r 239

der Jansenisten entgegen. Er wurde


von der katholischen Kirche verur-
teilt,
Psychosomatik

wissenschaften nicht die Verläßlich-


keit der Naturwissenschaften haben,
bezeichnet die Idee einer p. M. ein
wichtiges Moment der t praktischen
schiedenen Lebensbereichen (t Ar- den der E. Lit.: B. Pascal, Lettres a un Provincial; Philosophie unter den Bedingu~gen
beit, i Grundrechte, i Leib, i me- ]. Mausbach, Die katholische Moral u. moderner Wissenschaft: die Aufgabe,
Praxis i Handlung, Theorie-Praxis- ihre Gegner, Köln 5192J; ]. Ternus,
dizin. E, i Recht, i Tugend usw.). Zur Vorgeschichte der Moralsysteme moralische Gewißheit (d. h. ein Han-
Die p. P. kann Sittlichkeit jedoch Verhältnis. deln frei von Sclbstvorwürfen) zu su-
von Vitoria bis Medina, Paderborn
nicht ursprünglich hervorbringen, 1930. M. F. chen, obwohl es keine unbezweifel-
sondern nur eine schon vorhandene Prinzip der Nützlichkeit i Utilita- bare Richtigkeit gibt; ferner die Auf-
persönliche u. politische Sittlichkeit rismus. Proletariat i Marxistische E. gabe, in pluralistischen Gescllschaf-
erhellen u. reflexiv verbessern. - ten Regeln des Zusammenlebens zu
Prinzip der Sittlichkeit i Moralprin-
Kant u. noch deutlicher Fichte er-
zip. Propaganda t Manipulation. bestinunen, obwohl die Fragen nach
kennen der p. P. den Primat gegen- den letzten Verbindlichkeiten kon-
über der theoretischen P. zu, da nicht Prinzip der Verallgemeinerung i Ka- Provisorische Moral ist der Inbegriff trovers sind. - Descartes' Maximen
bloß das sitt!. Handeln, sondern tegorischer Imperativ. von sitt!. verantwortbaren Verhal- haben einen anti- i utopischen Cha-
auch das Erkennen als Selbst- tensregeln für jene Zwischenzeit, in rakter, wofür sich gute Gründe an-
realisierung von i Freiheit gilt. Probabilismus nennt man folgende, der man eine streng wissenschaftli- führen lassen, denn (1) gibt es ohne
Seit den Griechen dient der P. in v. a. von Jesuitentheologen der nach- che i E erarbeitet, sie aber noch eine Anerkennung von Bestehendem
der Regel die Mathematik als Vor- tridentinischen Zeit systematisch nicht vollendet hat. Der Begriff keine i Institutionen; (2) heißt Wol-
bild. Ihre Aufgabe einer p. P. erfüllt ausgebaute Moralmaxime: In i Ge- stammt von Descartes, der im Rah- len, Kontinuität stiften; (3) ist die na-
die E leichter, wenn sie sich - zu- wissens- i Konflikten bezüglich der men seiner neuen Universalwissen- türliche u. soziale Welt nicht beliebig
sätzlich oder statt dessen - an der Gebotenheit, Vcrbotenheit bzw. Er- schaft auch eine über jeden Zweifel veränderbar (Spaemann). Allerdings
Jurisprudenz und der i Medizin ori- laubtheit von i HandlUtlgen, die erhabene i Moral, ein neues Ver- gehört es zur zeitangemessenen
entiert, also an praxis- und fallorien- nicht eindeutig im Blick auf Sittenge- hältnis der i Menschen zur i Natur p. M., weder das Bestehende jeder
tierten, gegen ein bloß deduktives setz u. kirchliche Lehrautorität ent- u. zu seinesgleichen anvisierte. Weil i Moralkritik zu entziehen noch
Vorgehen skeptischen Wissenschaf- scheidbar sind, darf man einer hin- man aber das i Handeln nicht bis Moral u. i Politik ohne jede Wissen-
ten. länglich begründ baren u. von nam- zur Vollendung der Universalwissen- schaft zu i begründen.
haften Autoritäten vertretenen Mei- schaft suspendicren kann, stellt er
Lit.: ]. Ritter, Metaphysik u. Politik, nung folgen, selbst wenn die entge- eine aus drei Maximen bestehende Lit.: Descartcs, Abhandlung über die
Frankfurt/M. 1977; M. Riede1 (Hrsg.), gengesetzte Ansicht mehl' Wahr- p. M. auf: (1) Um nicht naiv seinen Methode, Kap. 3; R. Cumming, Dcs-
Rehabilitierung der p. P., 2 Bde., Frei- scheinlichkeit u. mehl' Autoritäten persönlichen Vorurteilen zu folgen, cartes' Pl'Ovisional Morality, The Re-
burg/München 1972, 1974; W. Hennis, auf ihrer Seite hat (lex dubia non solle man sich nach den Landesge- view of Metaphysics Bd.9, 1955/56;
Politik u. p. P., Stuttgart 1977; A. Ba- setzen, der ererbten i Religion u. R. Spaemann, hakt. Gewißheit. Des-
obligat). Nach dem ,Probabilioris-
ruzzi, Was ist p. P.?, München 1976; cartes' p. M., in; ders., Zur Kritik der
mus' darf von zwei sittJ. Meinungen den besonnensten Menschen des ei-
O. Höffe, E u. Politik, Frankfurt/M. polit. Utopie, Stuttgart 1977; A. Klemt,
.11987; ders., Sittl.-polit. Diskurse, nur die probablere (wahrscheinliche- genen Lebenskreises richten. (2) Ein
Dcscartes u. die Moral, Meisenheim
Frankfurt/M. 1981; ders., Artikel p. P., re) befolgt werden, nach dem ,Äqui- einmal eingeschlagener Weg ist bis 1971. o. H.
in: Staatslexikon, Bd. 4, Freiburg u. a. probabilismus' muß sie mindestens zum Beweis der Richtigkeit des Ge-
7 1988, Sp. 522-532; K. Bayertz (Hrsg.), so probabel sein wie die entgegen- genteils entschlossen weiterzugehen.
p. P. Grundoricntierungen angewandter (3) Man soll lieber die eigenen Wün-
Psychoanalyse i Psychotherapie.
stehende. Der Hinneigung zu einer
E, Reinbck b. Hamburg 1991. O. H. gering u. schwach begründeten Wahr- sche als die Weltordnung ändern
scheinlichkeitder katholischen i Ka- wollen. - Da man heute die i Wis- Psychose i Krankheit.
Praktischer Syllogismus t Deonti- suistik stellte sich der rigorose ,Tu- senschaft für einen unabschließbaren
sehe Logik. tiorisms' (i Rigorismus) Pascals u. Prozeß hält, überdies die Human- Psychosomatik t Krankheit.
Psychotherapie 240 241 Rassismus

Psychotherapie. Therapie ist der Ver- P., die psychosoziale Gesundheit des Unfähigkeit zu emotionalem Aus- anpaßt (i konform macht)? Wäh-
such der Wiederherstellung der Menschen eine notwendige Vorbe- druck u. der Bewußtseinsverengung. rend die Verhaltenstherapie eher am
durch i Krankheit zerstörten psy- dingung, wenn auch keine Garantie Ihre Therapie versucht an das be- durchschnittlichen Verhalten der Um-
chophysischen Einheit u. Interakti- darstellt, daß das i Gute getan u. wußt-aktuelle Erleben anzuknüpfen welt orientiert ist, fassen Gestaltthe-
onsfähigkeit des Menschen durch ein das i Böse unterlassen wird. u. durch Rollenspiel u. Aussprechen rapie u. psychoanalytische Therapie
kunstvolles methodisches Verfahren. Eine Bestimmung des Therapiebe- der Gefühle in Einzelbeziehungen u. das Ziel negativ als Leidbeseitigung.
Im engeren Sinne unterscheiden wir griffs muß die Einheit des bio- Gruppenkonstellationen die Krank- Allerdings ist keine Therapieform in
die medizinische Therapie, die bei logisch-psychologisch-soziologischen heitsbarrieren zu überwinden. Auch der Lage, die das individuelle i Leid
den Störungen der biologisch-phy- Wissens vom i Menschen im Blick die psychoanalytische Therapie ist mitverursachenden öffentlichen Kon-
siologischen Seite des Menschen an- haben. Dies wird bereits bei der Ver- gemäß einer frühen (Breuer-Freud- flikte zu lösen. Aber sie kann die
setzt, von der P., die die Störungen hältnisbestimmung der medizini- sehen) Bezeichnung eine Gespl'ächs- subjektive Fähigkeit wiederherstel-
seiner Erlebnis- u. Interaletionsfähig- schen Therapie u. der P. deutlich. therapie (talking eure). Ihre Absicht len, die Konflikte zu erleben u. gege-
keit im Blick hat (psychisch-soziale Die Entwicklung der i Medizin geht jedoch darauf, die als Krank- benenfalls an ihrer Beseitigung mit-
Seite). Da Krankheit die Freiwillig- zeigt, daß selbst im Falle organischer heitsursachen begriffenen frühkindli- zuarbeiten.
keit des Handelns als Voraussetzung Schädigung die psychologischen Ver- chen Beziehungskonflikte durch Wie-
derbelebung der Erinnerung (mit Hil- Lit.: E. H. Erikson, Einsicht u. Verant-
sittl. Handelns teilweise oder nahezu änderungen des Patienteü (Psycho-
fe der Traumanalyse) emotional aus- wortung. Die Rolle des Ethischen in
ganz zerstören kann, stellt Therapie somatik) u. die Einbettung in die der Psychoanalyse, Stuttgart 1966;
eine notwendige Bedingung zur Wie- Umweltbeziehungen (Medizinsozio- zutragen, um dadurch eine Neuori-
H. E. Richter, Die Gruppe, Reinbek
derherstellung voller i Verantwor- logie) nicht unberücksichtigt bleiben entierung des gegenwärtigen Erle-
1972; F. Perls, Gestalt-Therapie io Ak-
tung dar. Eine wesentliche Vorbe- können. Ebenso verlangt die P. teils bens zu erreichen. Entsprechend ih- tion, Stuttgart 1974; St. Rachmann,
dingung der Therapie ist die Krank- eine medizinische Abklärung körper- rem differenzierten Instrumentarium Angst. Formen, Ursachen u. Therapie,
heitseinsicht. Diese ist dadurch er- licher Schäden, teils eine begleitende unterscheidet sie mehrere Thel'a pie- München 1975; eh. Kl'aiker (Hrsg.),
schwert, daß es Verhaltensweisen des medizinische Unterstützung der P. formen. P. im analytischen Sinne Handbuch der Verhaltenstherapie,
meint ein Verfahren, das nur abge- München 2 1975; ders. u. B. Peter
Menschen gibt, die der Betreffende Die psychologischen Verfahren der
grenzte Konflikte anvisiert u. durch (Hrsg.), P.führer. Wege zur seelischen
in der vollen Überzeugung seiner Ge- Therapie im engeren Sinne unter- Gesundheit, München 1983; R. R.
sundheit oder sogar sittl. i Gesin- scheiden sich je nach ihrem Blick- Stützung der persönlichkeitseigenen
Greenson, Technik u. Praxis der Psy-
nung vollbringt, obwohl sie bereits winkel auf die menschliche Psyche Kräfte eine Lösung herbeizuführen choanalyse, Bd. I, Stuttgart 1975.
die Grenze zur Krankheit überschrit- als Verhaltenstherapie, Gestaltthe- sucht. Davon ist die Psychoanalyse A. S.
ten haben. Krankheitseinsicht im rapie u. psychoanalytische Therapie. zu unterscheiden, die in einem lang-
psychologischen Sinn bedeutet, die Die Verhaltel1spsychologie, die die wierigen Verfahren die emotionale Puritanismus i Christliche E.
Lösung der Lebensprobleme nicht Krankheit wesentlich als abweichen- Vorgeschiehteder i Person unter dem
allein mittels eigener sittl. Kräfte, des Verhalten des Organismus zur Blickwinkel von Stagnation u. Wie-
sondern in einer P. zu suchen. Um- Umwelt auffaßt, versteht P. als Mo- derholungen aufzuarbeiten sucht. Q
gekehrt gibt es Lebenskrisel1 (z. B. difikation des Verhaltens durch Ebenso sind die Verfahrensweisen der
bei Berufs- und Partnerschaftsenr- i Belohnung u. Bestrafung, d. h. als Individual- u. Gruppentherapie zu Quietismus i Stoische E.
scheidungen, bei Todeserfahrungen Verhaltenssteuerung u. Kontrolle. Sie unterscheiden, die sich durch das je-
etc.), die durchaus mit den eigenen erweist sich nicht nur bei begrenzten weilige "Setting" (klassische Zweier-
Kräften der i Person u. mit intersub- Symptomen (z. B. Stottern) als er- beziehung Analytiker - Analysand, R
jektiver Beratung zu bewältigen sind, folgreich, sondern besonders bei or- oder Analytiker - Gruppe) unter-
ohne daß eine P. angezeigt erscheint. ganischen (z. B. hirnorganischer) scheiden. Rache i Ehre.
In der Regel sind hier die Übergänge Schädigungen, bei denen nicht mehr Ist Gesundheit als Ziel der P. so
fließend. P. u. sitt1. Handeln stehen an Einsicht appelliert werden kann. verstanden, daß sie abweichendes Radikalismus i Gewalt.
in einem Ergänzungsverhältnis der Die Gestalttherapie sieht in der (nonkonformes) Verhalten des ein-
Art, daß die Leistung der geglückten Krankheit wesentliche Prozesse der zelnen dem öffentlichen Verhalten Rassismus i Diskriminierung.
Rationalismus 242 243 Recht

Rationalismus t Naturrecht. im objektiven Sinn ausdrücklich zu- oder Abschaffung von R.regeln zwei- ausgehende Gewalt als Mittel indivi-
erkannt sind. - Trotz einer ur- ter Ordnung). Die traditionelle dueller Konflikbewältigung abge-
Rationalität heißt ganz allgemein die sprünglichen Einheit u. immer noch Zweiteilung der R.gebiete in PrivatR. lehnt; jede nicht vom Gesetz legiti-
Fähigkeit u. der Maßstab zu einem bestehender mannigfaltiger Bezie- (Bürgerliches R., HandelsR.), das die mierte Gewaltanwendung ist R.bruch
vernunftgemäßen Vorgehen im Er- hungen (das VertragsR. z.B. enthält Interessen der Einzelnen, der Grup- (Friedensfunktion des R.). Durch das
kennen (t Methoden) u. Handeln. moral. Begriffe wie: Treu u. Glau- pen u. Verbände im Verhältnis zuei- R. wird die Willkür der einzelnen
Der nähere Begriff hängt davon ab, ben, Arglist, gute Sitten) ist das R. nander regelt, u. öffentliches R. wechselseitig eingeschränkt. Zugleich
ob man R. bloß als Mittelrichtigkeit heute begrifflich von i Moral u. Sit- (StaatR., VerwaltungsR., StrafR., werden subjektive R.e gewährt
versteht oder um die Dimension der te zu unterscheiden. Anfangs beruhte ProzeßR.), das öffentlichen Interes- (Schutz von Leben u. Eigentum,
leitenden Ziel- u. Zweckrichtigkeit das R. nur auf der ständigen, gleich- sen dient u. hoheitliche Maßnalunen Nichteinmischung von Polizei u. Ver-
erweitert (i Sittlichkeit, i kategori- förmigen R.sausübung u. auf der festlegt, ist nicht mehr unbestritten, waltung in Privatangelegenheiten:
scher Imperativ). einheitlichen R.süberzeugung der Be- da die strenge Trennung von privater i GrundR.e), die jedem Individuum
teiligten (GewohnheitsR.). Heute u. öffentlicher Sphäre nicht immer gegenüber anderen Individuen sowie
Ut.: H. Schnädelbach (Hrsg.), R. Phi- stammt das R. zum größten Teil aus durchzuhalten ist, z. B. ArbeitsR., gegenüber der Bevormundung durch
losophische Beiträge, Frankfurt/M. formellen Akten staatlicher Gewalt WirtschaftsR. u. SoziaiR. sich diesem Gruppen, selbst durch den Staat ei-
1984; M. Hollis, R. u. soziales Ver- (Verfassungs- u. Gesetzgebung, auch Schema weitgehend entziehen. nen Raum der freien Entfaltung u.
stehen, Frankfurt/M. 1991; N. Rescher, R.sprechung); es wird durch die Exe- eigenverantwortlichen Selbstverwirk-
R., Würzburg 1993. O. H. Das R. wurzelt in fundamentalen
kutivorgane des i Staates (Regie- Bedingungen des Menschseins, ohne lichung (i Freiheit) bestimmen u.
rung, Verwaltung, Polizei) durchge- aus ihnen ableitbar zu sein: Da Men- auch garantieren (Schutzfunktion des
Rationalitätskriterium i Entschei- setzt, seine Befolgung durch andere schen zur gleichen Zeit den gleichen R.). Um den in den modernen Ver-
dungstheorie. staatliche Organe, die Gerichte, for- Lebensraum teilen, geraten sie in fassungen gebotenen Schutz der
mell überprüft; u. dort, wo die Über- wechselseitigen Einfluß. Aufgrund Menschenwürde (i Humanität) kon-
Raub i Eigentum. tretung des R. i Strafen nach sich unterschiedlicher i Bedürfnisse, In- kret zu verwirklichen, hat sich der
zieht, werden sie öffentlich verhängt teressen u. i Sinnvorstellungen so- Staat als Ant\Vort auf die wirtschaft-
Realismus i MetaE. u. betreffen unmittelbar die i Frei- wie der Knappheit vieler Güter ist lichen u. sozialen Probleme fortge-
heit (Gefängnisstrafe) oder das i Ei- das Zusammenleben ständig von schrittener Industriegesellschaften
Rechenschaft i Verantwortung. gentum (Geldstrafe). Anders als die i Konflikten bedroht, die aufgrund vom liberalen zum sozialen R.staat
persönliche i Sittlichkeit (Morali- mangelnder i Instinkte nicht schon entwickelt, indem er im R. neben der
Recht im "objektiven" Sinn ist der tät) regelt das R. nur äußeres Verhal- biologisch geregelt sind. Überdies Friedens- u. Freiheitssicherung zu-
Inbegriff von normativen Verbind- ten u. schreibt keine i Gesinnungen, sind die Menschen in vielfacher Hin- nehmend existenzsichemde u. dar-
lichkeiten (Normen, aber auch Struk- etwa die i Gerechtigkeit als i T u- sicht aufeinander angewiesen (vgl. über hinaus wirtschafts- u. sozialge-
turen u. Verfahren sowie dem ihnen gend vor. - Das R. bildet einen kom- Hilfsbedürftigkeit der Kinder, i Se- staltende Aufgaben übernimmt.
gemäßen Verhalten), die - zu einer plexen hierarchischen Zusammen- xualität, Arbeitsteilung, Sprach- u. Durch Gesetze zur Sozialversiche-
bestimmten Zeit u. für eine konkrete hang. Es besteht aus Regeln erster t Kommunikationsbegabung). Das rung, -hilfe, -versorgung u. -förde-
politische Gemeinschaft gültig - das Ordnung mit Geboten (z. B. Steuern R. stellt jene Form dar, die wechsel- rung, durch SteuerR., Wettbewerbs-
Zusammenleben formell regeln. Die zu zahlen), Verboten (z. B. von Dieb- seitige Angewiesenheit u. die Kon- R., Mitbestimmungsgesetze usf. setzt
R.normen finden ihren Ausdruck vor stahl oder Mord) u. Verfahrensre- flikte zu bewältigen (sie zu lösen das R. Rahmenbedingungen für so-
allem in R.sätzen, den geschriebenen geln (z. B. über Ehe- oder Vertrags- oder schon ihr Entstehen zu verhin- ziale Sicherheit u. soziale Gerechtig-
oder ungeschriebenen (Gewohnheits- schließung) sowie aus Regeln zweiter dern), die sich nicht nach den jeweili- keit. - Der R.zustand entsteht nicht
R.) Gesetzen u. ihrer richterlichen Ordnung für die Entscheidung von gen Machtverhältnissen richtet, son- von allein, sondern muß geschaffen
Auslegung (RichterR.). R. im "sub- Streitfällen u. die Schaffung neuer dern an deren Stelle allgemeine Re- werden. Da die Konfliktbewältigung
jektiven" Sinn heißen die Ansprüche, R.verhältnisse (mit Verfahrensvor- geln, die Gesetze, treten läßt. Im nach Maßgabe der jeweiligen Macht-
etwas zu tun, zu fordern oder zu be- schriften u. normativen Leitprinzipi- R,zustand wird eine über die Aus- verhältnisse einen zumindest latenten
sitzen, die jemandem durch das R. en über die Einführung, Veränderung nahmesituation der i Notwehr hin- Kriegszustand bedeutet, der nicht
Recht 244 245 Rechtspositivismus

blog für die Schwächeren, sondern ter Gebiete ist es der Staat, der durch FreiheitsR.e, der polit. Mitwir- rechte ernstgenommen, Frankfurt/M.
auch für die Stärkeren von Nachteil die Legislative R. setzt, so wie er es kungsR.e: t Demokratie u. der So- 1984; R. Dreier, R. - Moral - Ideolo-
ist, liegt die Einrichtung des R.zu- durch die Exekutive u. das Ge- ziaIR.e) möglich u. oft genug drin- gie, Frankfurt/M. 1981; ders., R. -
Staat - Vernunft, Frankfurt/M. 1991;
standes - jenseits aller konkurrieren- richtswesen durchsetzt. Der Staat hat gend. Die R.kritik entbindet aller- U. Wesel, Frühformen des R. in vor-
den individuellen Interessen - im das R.monopol: Jede Setzung der dings nicht von der Pflicht zum staatlichen Gesellschaften, Frank-
gemeinsamen Interesse aller. Deshalb entsprechenden Staatsorgane schafft R.gehorsam; diese Pflicht ist aber furt/Mo 1985; F. Bydlinski, Fundamen-
setzt sie keine ausdrückliche sittl. tatsächlich geltendes R.: das positive nicht unaufhebbar (R.widerstand: tale R.sgrundsätze, WienlNew York
Motivation voraus, sondern läßt sich R. im Unterschied zur Idee des rich- t Gewissen); staatliche Normen wie 1988; V. Saladin, B. Sitter (Hrsg.), Wi-
schon aus dem aufgeklärten t Selbst- tigen Rechts, zur politisch-sozialen die Rassengesetze im Dritten Reich derstand im Rechtsstaat, Freiburg
interesse, als Ergebnis eines Vertra- i Gerechtigkeit u. zum Vernunft- verdienen keinen Gehorsam. (Schweiz) 1988; K. Günther, Der Sinn
oder t Naturrecht. Die Setzung des für Angemessenheit. Anwendungsdis-
ges von rationalen Egoisten, rekon-
kurse in Moral U. R., Frankfurt/M.
struieren (Hohhes, Rawls: t Gesell- R. aus der Macht des Gesetzgebers Lit.: Th. Hobbes, Leviathan, Kap. 13 ff; 1988; W. Böckenförde, R., Staat, Frei-
schaftsvertrag). bedeutet allerdings nicht, daß jedes I. Kant, Mctaphys. Anfangsgründe der heit, Frankfurt/M. 1991; A. Renaut,
Die Idee einer wechselseitigen positive R. aus einer willkürlichen R.lehre; J. Benrham, Of Laws in Gene- 1. Sosoe, Philosophie du droit, Paris
Willkür beschränkung, Friedens-, Exi- Dezision (t Entscheidung) stammt. ral; G. W.F. Hegel, Grundlinien der 1991; J, Derrida, Gesetzeskraft, Frank-
stenz- u. Freiheitssicherung konkre- In Anknüpfung an das Herkommen, Philosophie des R.; E. Durkheim, Phy- furt/Mo 1991; J. Habermas, Faktizität
aber auch in dessen Kritik, mit Bezug sik der Sitten u. dcs R.s. Vorlesungen 11. Geltung, Frankfurt/M. 1992; R. Ale-
tisiert sich in der für die Idee des zur Soziologie der Moral, Frankfurt/M.
R. grundlegenden Forderung nach auf die sich wandelnden wirtschaftli- xy, Begriff U. Geltung des R.s, Frei-
1991; G. Radbruch, R.sphilosophie, burg/Br. 1991; K. F. Röhl, Allgemeine
i Gleichheit vor dem Gesetz chen, gesellschaftlichen u. kulturellen Stuttgart ~1973; H. Kelsen, Reine R.lehre, Köln U. a. 1994; V. Jones,
(R.gleichheit). Damit das R. konkre- Verhältnisse u. in der Orientierung R.lehre, Wien "1960; H. 1. A. Hart, Der Rights, London 1994; M. Beck-Ma-
tes Verhalten bestimmen kann, müs- an der Idee der Gerechtigkeit wer- Begriff des R., Frankfurt/M. 1974; M. nagetta U. a. (Hrsg.), Der Gerechtig-
sen die einzelnen R.normen nach den die R.normen in einem formal Barkun, Law without Sanctions, New keitsanspruch des R.s, WienlNewYork
Tatbestand u. R.folge hinreichend festgelegten Prozeß politischer Ent- Haven/London 1968; L. Lautmann, W. 1996. O. H.
genau angegeben sein (Orientie- scheidung gewonnen u. durch die Maihofer, H. Sche1sky (Hrsg.), Die
Funktion des R. in der modernen Ge-
rungssicherheit des R.), weshalb im R.sprechung präzisiert u. fortgebildet
sellschaft, Bielefeld 1970; A. Görlitz Rechtfertigung t Begründung, Herr-
Gefolge der Aufklärung das R. vor (RichterR.). In einem komplizierten (Hrsg.), Handlexikon zur R.wissen- schaft.
allem in Kontinentaleuropa vor- Wechselverhältnis ist das R. sowohl schaft, München 1972; J. Freund, Le
nehmlich in kodifizierter Form: in die Bedingungen für Staat u. i Ge- droit aujourd'hui, Paris 1972; W. Mai- RechtsE t Gerechtigkeit, Natur-
R.büchern (Bürgerliches Gesetzbuch, sellschaft als auch deren Resultat. hofer (Hrsg.), Begriff u. Wesen des R., recht, Recht.
Strafgesetzbuch usf.) niedergelegt ist. Wie es die totalitären Staaten die- Darmstadt 1973; A. Kaufmann, W.
Damit die R.bestimmungen auch ses Jh. zur Genüge zeigen, ist das I-Iassemer (I-Irsg.), Einführung in R.phi- Rechtspositivismus. Der R. ist keine
eingehalten werden, gehören zu einer positive R. nicht immer auch formal losophie u. R.theorie der Gegenwart, homogene Theorie, sondern eine
I-IeidelbergIKarlsruhe 6 1994; O. Höffe,
R.ordnung unabhängige Gerichte, u. inhaltlich richtiges R. Um die E u. Politik, Frankfurt/M. .1 1987, weit verzweigte Familie teils beschei-
die das Verhalten von Individuen, staatliche Willkür einzuschränken, Kap. 6, 8. 14; ders., Polit. Gerechtig- dener, teils anspruchsvoller rechts-
Organisationen, von Verwaltung, gibt es die verfassungsrechtlichen keit, Frankfurt/M. 1987; ders., Kate- und staatsrheoretischer Positionen;
Polizei, selbst vom Gesetzgeber nach Geltungsnormen über die Entste- gorische R.sprinzipien, Frankfurt/M. fiir die E von Belang ist das Ver-
Maggabe der R.regeln erster u. zwei- hungsvoraussetzungen von Gesetzen, 1990; ders., Vernunft u. R., Frank- hältnis zur Idee eines moralisch rich-
ter Ordnung beurteilen u. das R. not- ferner Gerichte, die die Gesetze auf furt/Mo 1986; Neue Hefte für Philo- tigen t Rechts, der t Gerechtigkeit
falls auch gegen den Widerstand von ihre Verfassungsgemäßheit hin prü- sophie, H. 17: R. u. Moral, Göttin- bzw. des t Naturrechts. (1) Nach
Individuen u. Gruppen wirksam fen. Darüber hina us ist eine Kritik gen 1979; U. Nembach, K. v. Bonin einem rechts-e t Relativismus gibt
(Hrsg.), Begründung des R., 2 Bde.,
durchsetzen (Realisierungssicherheit des positiven R. nach Maßga be der es für die Gerechtigkeit keine kultur-
Göttingen 1979; R. B. Unger, Law in
des R.). - Mit Ausnahme weniger Lebenswirklichkeit, vor allem aber Modern Society, London 1976; E. E. übergreifend gültigen Kriterien; tat-
Sonderfälle (KirchenR., VölkerR.) u. im Namen der Gerechtigkeitsidee u. Ott, Die Methode der R.sanwendung, sächlich besteht aber Einigkeit so-
einiger gewohnheitsrechtlich geregel- der MenschenR.e (der persönlichen Zürich 1979; R. Dworkin, ··Bürger- wohl über das Prinzip der Tauschge-
Rechtsstaat

rechtigkeit, die Gleichwertigkeit des


Nehmens und Gebens, wie über
Grundsätze der Verfahrensgerechtig-
keit. (2) Der R. als Naturrechtskritik
Theorie der Moderne behauptet der
R., das Recht sei nicht schlechthin,
wohl aber in der Neuzeit von über-
positiven Elementen frei. Diese
246

r :::Chte oder kulturgeschichrlichc


Studien ihren Erfahrungsbereich er-
weitern u. dabei in den verschiede-
nen Gesellschaften auf sehr unter-
Relativismus

Promiskuität, die Rechtsform des


Zusammenlebens u. i Gerechtig-
keitsgrundsätze zumindest der Ver-
fahrens- u. der Tauschgerechtigkeit),
trägt Einwände zusammen, denen Ansicht übersieht nicht bloß die schiedliche Gebote u. Verbote sto- Zudem übersieht er meist, daß die
allerdings ein entsprechend modifi- rechtsdefinierende Gerechtigkeit, son- ßen, bei differenzierten Gesellschaf- beobachteten Unterschiede in 'der
ziertes "kritisches i Naturrecht" be- dern auch, daß gerade zur neuzeitli- ten sogar innerhalb von ihnen. Wer Regel nur die relativ konkreten All-
gegnen kann. (3) Der R. als Theorie chen Rechtsentwicklung die Aner- alle i Normen seiner Gruppe oder tagsnormen betreffen, Diese stellen
einer autonomen Rechtswissenschaft kennung von überpositiven Grund- Gesellschaft für sittl. richtig u. des- aber erst die Anwendung allgemeiner
versucht mit gutem Grund, eine so- sätzen gehört, von Gerechtigkeits- halb allgemeingültig hält, wird durch Grundsätze unter gewissen Randbe-
wohl von sitt!. wie politischen Ele- prinzipien wie der i Demokratie, diese Erfahrung in seinem sitt!. Be- dingungen dar: unter den für die je-
menten (möglichst) freie Wissen- den i Grund- u. Menschenrechten, wußtsein erschüttert. Setzt er die Er- weilige Gesellschaft charakteristi-
schaft zu etablieren u. vertritt dabei der Sozialstaatlichkeit u. dem i Um- fahrung absolut, muß er an der schen geographischen, klimatischen,
die Trennungsthese. Diese lautet, in weltschutz. Möglichkeit allgemeingültiger Maß- ökonomischen u. a. Situationsfakto-
unmißverständlicher Vereinfachung: stäbe verzweifeln u. in einen e R. ren, unter traditionellen Glaubens-
Trennung von Recht u. Moral; sie Ut.: Th, Hobbes, Leviathan, bes. verfallen, der sich aus der richtigen überzeugungen sowie empirischen
besteht genauer in der bloß begriffli- Kap, 26; I. Kant, Rechtslehre, "Ein- Beobachtung kultureller Vielfalt Kenntnissen über die wahrscheinli-
leitung in die Rechtslehre";], Bentham, chen Folgen der Handlungsweisen,
chen Trennung von positiv gelten- Of Laws in General; ], Austin, The noch keineswegs ableiten läßt. Ein
dem u. moralisch wünschbarem Province of ]urisprudence Determined, radikaler R. erklärt jede vergleichen- Erst wenn man aufgrund von kei-
Recht. (4) Anspruchsvoller ist ein (1832) London 1954; H. Kelsen, Reine de Kulturwissenschaft, sogar jeden neswegs immer einfachen Interpre-
rechtstheoretischer R., demzufolge Rechtslehre, Wien l1960; H. L. A. Hart, i interkulturellen Diskurs für un- tationsprozessen bei den konkreten
das positive Recht vollständig ohne Der Begriff des Rechts, Frankfurt/M, möglich. Indem er nur kultureigene Normen von den spezifischen Rand-
moralische Elemente zu definieren 1973; N. Luhmann, Ausdifferenzierung Rechte anerkennt, leistet er sogar bedingungen einer Gesellschaft ab-
sei. Den Diskussionsrahmen gibt des Rechts, Frankfurt/M. 1981; W. Ott, dem i Rassismus Vorschub. strahiert, findet man die sitt!. ent-
Hobbes' Wort vor: non veritas sed Der R" Berlin 2 1992; O. Höffe, Politi- Zwei Grundformen von e R, sind scheidenden Fundamentalnormen,
sche Gerechtigkeit, Frankfurt/M. 1987, (1.2) Der deskriptive R. als solcher
auctoritas fadt legern. Die Frage, ob TeilL O. H, zu unterscheiden: (1) Der empirische
das positive Recht tatsächlich ledig- R. hebt die Unterschiede zwischen beweist noch keinen prinzipiellen R.,
lich von einer Autorität abhängt, Rechtsstaat i Staat. den herrschenden i Moralen her- nach dem die sitt!. Grundsätze selbst
entscheidet sich am Begriff der Au- vor, ohne zur Berechtigung der Un- nur kulturrelativ sind, Ebensowenig
torität. Nach der Imperativentheorie Regel i Norm. terschiede Stellung zu nehmen. (1.1) bedeutet jeder Normenwandel schon
des älteren R., Hobbes, Bentham, Als kultureller oder deskriptiver R, einen moralischen Wandel der be-
Austin, reicht eine überlegene Macht
Regelutilitarismus i Utilitarismus,
betont er die Verschiedenheit der treffenden Gesellschaft. Oft haben
aus, nach H. Kelsen bedarf es einer Reiz u. Reaktion i Belohnen u. Be- Normen (des Sexualverhaltens, der sich nicht die Grundsätze, sondern
autorisierten Macht, nach Hart zu- strafen. Beziehungen zwischen Eltern u. Kin- bloß die Zeiten, nämlich die Rand-
sätzlich der Anerkennung der Betrof- dern usw.), fordert auch zu Recht bedingungen geändert, Und umge-
fenen. Die nähere Analyse zeigt, daß Relativismus. Der eR., der mehr von Achtung vor den unterschiedlichen kehrt: Wenn man trotz veränderter
sich ohne ein Minimum von Gerech- Sozialwissenschaftlern als Moralphi- i Kulturen u. ihren Traditionen Randbedingungen an denselben kon-
tigkeit eine rechtlich autorisierte losophen vertreten wird, bestreitet (i Toleranz), unterschlägt aber die kreten Normen festhält, verrät man
Macht nicht zureichend unterschei- die Allgemeingültigkeit einiger ebenso festzustellenden Gemeinsam- die einstmals bestimmenden sitt!.
den läßt von krimineller Gewalt. (schwächere Form) oder aller (stär- keiten (wie: Inzest-, Lügeverbot, Grundsätze.
Zum Begriff des bloß positiven kere u. im folgenden untersuchte i Lebensschutz, Anerkennung von Sobald man die beobachteten Nor-
Rechts gehört schon eine "rechts- Form) sittl. Maßstäbe. Er wird im- Hilfsbereitschaftu. i Tapferkeit, po- men als situations-, auch kulturspezi-
definierende Gerechtigkeit" (0. Höf- mer dann aktuell, wenn einzelne sitive Bewertung i ehelicher i Se- fische Anwendung (Kontextuali-
fe). (5) Als eine sozialgeschichtliehe oder Gruppen durch Reisen, Reise- xualbeziehung im Unterschied zur sierung) allgemeiner Grundsätze er-
Relativismus 248 249 Religion

kennt, ist es nicht mehr erstaunlich, systems einer Kultur gegenüber an- Moral Relativity, Berkeley/Los Angeles bestimmungen lassen sich besser eine
sondern geradezu notwendig, daß sie deren wissenschaftlich nachzuwei- 1984; K. P. Rippe, eR., Paderborn Reihe von Grundzügen nennen, die
nicht immer u. überall gleich sind: sen. 1993. O. H. mehr oder weniger vollständig gege-
Die erste Interpretation der kultu- Als e Pluralismus bezeichnet Geh- Religion (lat. religio: t Pflicht, Ge- ben sein müssen, um ein kulturelles
rellen Vielfalt erweist sich als per- len "die Tatsache, daß es mehrere wissenhaftigkeit, Ehrfurcht) ist ein Phänomen als R, bezeichnen zu kön-
spektivische Täuschung (vgl. die voneinander funktionell wie gene- Wort, dessen etymologische Herlei- nen. (a) Ein Glaube an übernatürli-
t Goldene Regel u, die Tausch- u. tisch unabhängige u. letzte sozialre- tung ebenso umstritten ist wie die che Wesen (t Gott) u. Kräfte, (b)
die Verfahrens- t Gerechtigkeit als gulative Instanzen im Menschen durch es bezeichnete Sache. Wäh- die Unterscheidung heiliger u. profa-
kulturübergreifende Moralkriterien). gibt". Von Nietzsehe, Bergson u. M, rend sich die Philologie auf die Ab- ner Gegenstände, (c) rituelle Akte,
Allerdings gibt es auch Unterschiede Weber beeinflußt, wird das Ethos der kunft des Wortes aus dem lat. Verb die sich um heilige Gegenstände zen-
in den Grundsätzen, z. B. bei Beleidi- Gegenseitigkeit von dem des Wohl- relegere (sich immer wieder hinwen- trieren, (d) die Annahme eines vom
gungen, Rache u. Großmut, die nicht befindens (Eudämonismus: t Glück) den, so Cicero, statt religare ::: zu- Göttlichen angeordneten u. sanktio-
gleichermaßen -.sirt!. gerechtfertigt unterschieden, das t Familienethos rückbinden, so Augustinus, Laktanz) nierten Moralkodex, (e) spezifische
sind. Man begeht vielmehr einen na- mit seiner Erweiterung zum Huma- zu einigen scheint, ist den versuchten Gefühle, die in Gegenwart heiliger
turalistischen Fehlschluß (t MetaE), nitarismus (t Humanität) vom Wesens bestimmungen nur gemein- Gegenstände u. ritueller Praxis ent-
wenn man aus dem empirisch-prin- Ethos der t Institutionen, besonders sam, daß mit dem Terminus Rein stehen u. in Verbindung gesetzt wer-
zipiellen R. einen (2) normativen R. des t Staats, Während sie gewöhn- Verhältnis des Menschen zum Gött- den zum Göttlichen, (f) Gebete u.
ableitet, nach dem die verschiedenen lich nebeneinander bestehen, wenden lichen angesprochen wird. Wie al- andere Formen der Kommunikation
Prinzipien gleicherweise süd. richtig sie sich in Krisenzeiten gegeneinan- lerdings die beiden Momente u, ihre mit dem Göttlichen, (g) eine aus Er-
sind. Der normative R. setzt zusätz- der, Beziehung beschaffen sein miissen, zählungen, Bildern u. Begriffen zu-
lich jene nonkognitivistische Rich- um sie als R. benennen zu können, sammengesetzte Vorstellung von Na-
tung der MetaE voraus, nach der ei- Lit.: F. Nietzsehe, Zur Genealogie der ist kontrovers, So charakterisiert tur u. Geschichte im ganzen, die den
ne rationale Beurteilung verschiede- Moral; E. Westermarck, Ethical Rela- man im Blick auf kulturelle Phäno- Platz des Individuums in der Welt u,
ner Prinzipien u. ihre t Begründung tivity, London 1932; A. Macbeath, Ex-
periments in Living, London 1952;
mene, die gemeinhin als R. bezeich- die Möglichkeit seines (irdischen
nicht möglich seien. Die süd. Grund- net werden, das Verhältnis teils als oder jenseitigen) Heils oder Unheils,
H. Kron, Ethos u. E. Der Pluralismus
sätze sollen je nach Individuum, primär kognitiven Zustand, als das seiner Erläsung oder Verdammung
der Kulturen u. das Problem des e Re-
Gruppe, Klasse, Rasse oder Kultur lativismus, Frankfurt/M.lBonn 1960; Fürwahrhalten (::: Glaube) eines Sy- vorzeichnet, (h) eine Art der Ge-
unterschiedlich sein. Dagegen läßt R, B. Brandt, Hopi Ethics, Chicago stems von Aussagen über das Beste- meinschaft, die durch Anerkennung
sich einwenden, damit verfehlte man 2 1974; W, Rudolph, Der kulturelle R., hen von Sachverhalten, die die Exi- u. Praxis des eben Genannten konsti-
den Sinn sittl. Grundsätze, die als Berlin 1986; G, Patzig, E ohne Meta- stenz des Göttlichen, sein Wesen u, tuiert wird (Kirche, Religionsgemein-
sittl. die Allgemeingültigkeit u. Ob- physik, Göttingen 1971, III.; O. Höffe, seine Beziehung zur Welt beschrei- schaft).
jektivität beanspruchen (t kategori- Praktische Philosophie - Das Modell ben, teils als eine Weise rituellen Die verschiedenen geschichtlichen
des Aristoteles, Berlin 21996, TeilII; R.en sind durch die Betonung eines
scher Imperativ). Überall dort, wo ders., Politische Gerechtigkeit, Frank- Verhaltens, das jene übermenschli-
sich diese Ansprüche nicht aufrecht- furt/Mo 1987, Teil I; A. Gehlen, Moral chen Mächte gnädig zu stimmen ver- oder mehrerer der genannten Grund-
erhalten lassen, gewinnt man keine u, Hypermora1. Eine pluralist. ~ sucht, von denen man glaubt, daß sie züge charakterisiert. Entsprechend
Argumente für den nonnativen R., Frankfurt/M. 1973; ]. Ladd (Hrsg.), den Lauf der Natur u. des menschli- dem Kriterium, wo das Göttliche
wohl solche gegen die angebliche Ethical Relativism, BelmontiCal. 1973; chen Lebens entscheidend beeinflus- primär gesucht u. lokalisiert u. wel-
t Sittlichkeit der entsprechenden M. ]. Herskovits, Cultural Relativism, sen (R. ::: Kult), teils als eine morali- che Art des Verhaltens als adäquate
Grundsätze (oder auch Grundwerte New York 1973; G. Harman, Moral sche Grundhaltung, teils als eine menschliche Antwort angesehen
u. -nonnen). Relativism Dcfended, in: The Philoso- emotionale Grunderfahrung (R, ::: wird, lassen sich typologisch sakra-
(3) Der meta-e R. stellt die me- phical Review Bd.84, 1975; R. Gin- mentale, prophetische u, mystische
ters, R. in der E, Düsseldorf 1978; das Gefühl schlechthinniger Abhän-
thodologische Behauptung auf, daß K. Günther, Der Sinn für Angemessen- gigkeit des Menschen vom unverfüg- R. unterscheiden. (a) Die sakramen-
es keine kulturübergreifende t Me- heit. Anwendungsdiskurse in Moral u. bar Göttlichen: Schleiermacher). Ge- tale R. sucht das Göttliche bzw, des-
thode gibt, die Gültigkeit des Moral- Recht, Frankfurt/M. 1988; D. B. Wong, genüber derartig einseitigen Wesens- sen Inkorporation oder Manifestati-

I
Religion 250 r;1 251 Religion

on primär in heiligen Dingen; (b) die talismus, so tendiert auch Mystik schaubarem, rituelle Praxis u. reli- als hätten moralische Überzeugungen
prophetische R. in Ereignissen der ( i Spiritualität) zur Trennung von giöse Lehre werden zunehmend als ihren Ursprung in religiösen Vorstel-
Geschichte u. in von Gott inspirier- R. u. Moral. Unter den klassischen bloß symbolische Aktion bzw. als lungen. Dieser Befund berührt indes-
ten Äußerungen großer begnadeter R.en können i Buddhismus u. phi- bloß mystische oder bildhafte Dar- sen noch nicht die begriffliche Ebene.
Persönlichkeiten (das Schlüsselwort losophischer i Hinduismus als vor- stellungsform aufgefaßt; als Morali- Hier wurde u. wird vielfach die Gel-
ist hier nicht Sakrament, sondern Of- züglich mystisch, i Judentum, i Is- sierung: verlieren Natur- u. ge- tung moralischer Gesetze als nUl~ auf
fenbarung); das Zentrum der (c) my- lam u. Konfuzianismus (i chine- schichtliche Ereignisse für den Men- die Souveränität eines gesetzgeben-
stischen R. bildet nicht ein gegen- sische E) als primär prophetisch, schen den Charakter des Geheimnis- den göttlichen Willens rückführbar
ständlich Göttliches, auch nicht ein populärer Hinduismus wie alle po- vollen, Schrecklichen, Unverfügba- angenommen (t theologische E),
pesonaJes göttliches Du, das sich in lytheistischen u. primitiven R.en als ren, Schicksalhaften, so verliert auch der Glaube an Gott entsprechend als
Wort u. Geschichte bekundet, son- vorwiegend sakramental bezeichnet das Göttliche den Charakter einer für Moralität konstitutiv erachtet
dern ein innerer Zustand, eine Erfah- werden, wenngleich Hochreligionen dunklen, geheimnisvollen Macht u. (noch in der Aufklärung, etwa bei
rung, die die Verschmelzung des In- wie Buddhismus, Hinduismus, Ju- nimmt zunehmend Züge an, die sich Locke u. Rousseau, galt deshalb
dividuums mit dem Göttlichen zum dentum u. Islam durch eine wechsel- als Ideale moralischen Verhaltens be- Atheismus als gleichbedeutend mit
Inhalt hat. - Bezüglich der Antwort volle Geschichte der Vermischung u. stimmen lassen (i Gerechtigkeit, Amoralität). Die Konsequenz dieses
auf das Göttliche konzentriert die Konflikte der drei verschiedenen i Liebe, Fürsorge, Erbarmen). Wäh- Gedankens wäre, daß keine Hand-
sakramentale R. ihr Interesse auf ri- Grundzüge geprägt sind. Dies zeigt rend in keiner der frühen Kulturen lung, keine Handlungsmaxime, kein
tuelle Akte, die die heiligen Gegen- sich besonders deutlich im i Chri- die Götter weder mit hohen morali- Handlungsziel als in sich gut oder
stände zum Bezugspunkt haben. stentum, wo der Konflikt des sakra- schen Attributen bedacht werden schlecht, sondern so nur im Rekurs
Primitive R.en, die durchwegs sa- mentalen mit dem prophetischen noch als Gesetzgeber u. Richter mo- auf einen souverän gebietenden gött-
kramentalen Charakter tragen, legen Element zu tiefgreifenden Spaltungen ralischen Verhaltens gelten, sondern lichen Willen quaJifizierbar wäre.
mehr Gewicht auf rituelle Untadelig- führte u. das mystische Element ein als Hüter der Erfüllung religiöser Dies widerspricht offenkundig dem
keit als auf moralische Integrität. Die wenn auch jederzeit beargwöhntes u. Praktiken fungieten, werden in Begriff eines moralischen Sollens, das
prophetische R. hingegen rückt die in rituelle, moralische u. dogmatische HochR.en die Gottesvorstellungen nicht dadurch begründ bar wird, daß
theoretische u. praktische Annahme Schranken gewiesenes Bürgerrecht zunehmend der Entwicklung morali- man auf den Befehl eines (wenn auch
der göttlichen Offenbarung in den erhielt. scher Normen angepaßt (vgl. etwa noch so potenten) arbiträren Willens
Mittelpunkt, der Glaube gilt als R.geschichtliche Untersuchungen die moralische Reinigung des Göt- verweist. Im Begriff eines allmächti-
höchste i Tugend, die adäquate haben mit einiger Plausibilität. in fast terglaubens in Griechenland durch gen u. allwissenden Gottes liegt
menschliche Antwort bildet eine allen bekannten R.en Entwicklungs- Sokrates u. Platon, im Judentum nichts, das die Begründung morali-
i sitt!. Grundhaltung auf der Basis tendenzen aufgewiesen, die sich als durch die Propheten; auch im Chri- scher Gehorsamsverpflichtung ent-
des Glaubens. Für die mystische R. progressive Säkularisierung, Spiritua- stentum verschwindet z. B. in der hielte. Dies ist der Grund dafür, daß
haben Askese ( i Verzicht) u. Kon- lisierung u. Moralisierung beschrei- Gegenwart der ehedem feste Glaube, theologische Reflexionen in morali-
templation (oder auch orgiastisch- ben lassen; als Säkularisierung: mit daß ein Ungetaufter, wie tugendhaft schen Begründungsfragen häufig auf
ekstatische Praktiken) entscheidende zunehmender Kenntnis weltlicher Ge- auch immer er lebt, nicht gerettet i Klugheitserwägungen rekurrieren.
Bedeutung auf dem Weg des Men- setzmäßigkeiten wird das Göttliche werden könne). Am Ende einer der- Viele R.en enthalten den Gedanken
schen zur Verschmelzung mit dem in einen der Erfahrungswelt jenseiti- artigen Entwicklung steht eine völli- der Unsterblichkeit der Seele bzw.
Göttlichen. Der Gebrauch von Ze- gen Bereich verlagert u. die Welt ge Moralisierung des Göttlichen einer endzeitlichen Wiederauferste-
remonien, die Annahme göttlicher entgöttlicht, oder die Theologumena (Gott ist Inbegriff des Guten, das hung u. eines jenseitigen Gerichts:
Botschaften, die Orientierung an mo- werden weltlich umgedeutet (etwa i höchste Gut, R. ist Anerkennung das vernünftige i Selbstinteresse
ralischen Normen mögen hilfreich Heils- zur i Fortschrittsgeschichte); moralischer Gesetze als göttlicher läßt es sinnvoll erscheinen, den Ge-
sein als Momente einer asketischen als Spiritualisierung: die Säkularisie- Gebote: Kant, Fichte). boten Gottes als des endzeitlichen
u. kontemplativen Praxis, bei Errei- rung geht einher mit einer Vergeisti- Die historisch-faktische Beziehung Richters zu folgeIl. Moralische Ver-
chung des Ziels verlieren sie jedoch gung des Göttlichen, seine Ptädikate zwischen R. und Moral (i Sittlich- pflichtung ist indessen als moralische
ihre Bedeutung. Wie der Sakramen- verlieren ihren Bezug zu dinglich An- keit) ist also keineswegs so zu sehen, nur aus einem in sich gültigen mora-
Religionsfreiheit 252 253 Revolution

lischen Prinzips begründbar. Die An- rung in die Theologie der R.en, Darm- Naturtatsachen. Religion als Re- Religion; A. Comte, Catechisme posi-
erkennung göttlicher Gebote als mo- stadt 1977; W. Buckert, Griechische R. sultat menschlicher Unwissenheit tiviste; F. Nietzsche, Zur Genealogie
der archaischen u. klassischen Epoche, schwinde proportional zum Fort- der Moral; ders., Der Antichrist;
ralisch verpflichtend ist nur dadurch S. Freud, Die Zukunft einer Illusion;
Stuttgart 1977; B. Mitchell, The Justifi- schritt menschlichen Wissens. Das
zu begründen, daß man die Gebote cation oE Religious Belief, London ders., Totem u. Tabu; E. Fromm, Psy-
selbst u. ihren Urheber als moralisch 21981; K. Wuchterl, Philosophie u. R., anthropologische Argument inter- choanalyse u. Religion, Zürich 1966;
erweist. Wir brauchen bereits mora- Stuttgart 1982; F. Wiedmann, R. u. pretiert Religion als Projektion an- B. Russell, Religion and Science, Ox-
lische Urteilsfähigkeit, ehe wir reli- Philosophie, Würzburg 1985; F. v. Kut- thropologischer Tatbestände, den ford 1960; R. Garaudy, Gott ist tot,
giöse Obligationen als moralisch schera, Vernunft u. Glaube, Berlin Gottesglauben als in wirkliche We- Berlin 1965; E. Bloch, Atheismus im
verpflichtend zu rechtfertigen ver- 1991; F. Ricken, F. Marty (Hrsg.), sen verwandelte Wünsche des Men- Christentum, Frankfurt/M. 1968;
mägen (so bereits Platon, Euthy- Kant über R., Stuttgart 1992. schen. Das moralische Argument H. R. Schlette, Skeptische Religions-
M.F. kennzeichnet Religion als Ideologie philosophie, Freiburg 1972; W. Bender,
phron, später vor allem 'Kant). Le- J. Deninger (Hrsg.), R., München
diglich empirisch beantwortbar ist der Schwachen, die den Starken an 1973; Arbeitstexte f. d. Unterricht: R.
die vor allem in der Aufklärung dis- Religionsfreiheit t Toleranz. seiner geglückten Selbstrealisation (Hrsg. N. Hoerster), Stuttgart 1984;
kutierte Frage, ob allein der religiöse hindern soll ll. das Diesseits zugun- H. Lübbe, Religion nach der Aufklä-
Glaube an eine unsterbliche Seele, an Religionskritik ist ein bestimmter sten eines imaginären Jenseits depo- rung, Graz 1986. M. F.
einen allwissenden u. richtenden Typus der Religionsphilosophie. Die- tenziert. Marx u. Engels übernehmen
Gott den Menschen auf die Dauer se entstand als relativ eigenständige den Gedanken der Projektion u. re- Resignation tIndifferenz.
die hinreichende Motivation zu sütl. philosophische Disziplin mit dem konstruieren die sozialen Bedingun-
Handeln zu geben vermag, Versuch der Aufklärung, t Religion gen der Entstehung dieser Wünsche, Resozialisierung i Strafe.
möglichst unabhängig von den Aus- die in Gestalt reli~iöser Projektion
Ressentiment t Neid.
Lit.: Platon, Euthyphron; Cicero, De sagen vorgegebener Religionen u, de- den politisch u. sozial Unterdrückten
natura deorum; Augustinus, De vera ren Anspruch auf übernatürliche Of- eine entlastende Illusion, den Herr- Reue t Schuld.
religione; Thoman v. Aquin, Summa fenbarung rein rational zu begrün- schenden ein willkommenes Instru-
theol. Il-II, qu. 8"1-10"1; F. Suarez, De den (Descartes, Locke, Leibniz, ment zur Verschleierung ungerechter Revolution (lat. revolvere: zurück-,
virtute et statu rc1igionis; I. Kant, Die [(ant, Fichte, Regel). Ihre zentralen Verhältnisse bescheren. Für die Psy-
R. innerhalb der Grenzen der bloßen umwälzen) ist politisch-historisch
Vernunft; ]. G. Fichte, Versuch einer Fragestellungen (1. nach der objekti- choanalyse Freuds ist Religion "ein eine Form von t Gewalt. Ihr Ziel ist
Kritik aller Offenbarung; G. W. F. He- ven Geltung religiöser Aussagen, 2. Versuch, die Sinneswelt, in die wir die radikale oder graduelle Verände-
gel, Vorlesungen über die Philosophie nach der moralischen u, sozialen gestellt sind, mittels der Wunschwelt rung der rechtlichen, politischen, so-
der R.; J. St. Mill, Thrce Essays on R.; Funktion religiöser Vorstellungen, 3. zu bewältigen". Insofern diese Illusi- zialen, ökonomischen oder religiösen
M. Scheler, Vom Ewigen im Menschen; nach der anthropologischen Basis on, deren Struktur u. Funktion sich i Ordnung, von t Verfassung u.
H. Bergson, Les Deux Sources de Ja der Entstehung von Religion) wur- nach dem Modell frühkindlicher see- t Staat. Die sozial R. soll von Aus-
morale et de la 1'.; W. G. Maclagan, den in der im 19. Jh. systematisch lischer Mechanismen entschlüsseln beutung (t Entfremdung) dnrch die
Theological Frontiers of Ethics, Lon-
auftretenden R. kritisch gegen Reli- lassen, durch ihr Denkverbot der t Herrschaft u. die t Institutionen
don 1961; R. Otto, Das Heilige, Mün-
chen .15 1963 ; W. P. Alston, Artikel R. gion überhaupt gewendet, u. zwar in wissenschaftlichen Wahrheitssuche sozialer Gruppen u. Klassen befreien.
in: Encyclopedia of Philosophy, Bd. 7; szientifischer (A. Comte), anthropo- Schranken setze, ist sie gefährlich u. Die nationale R. hat das Ziel natio-
M. Horkheimer, Die Sehnsucht nach logisch-moralischer (L. Feuerbach, der vernünftigen Lebensbewältigung naler Selbstbestimmung u. die Be-
dem ganz Anderen, Hamburg 1970; F. Nietzsche), soziologisch-politi- hinderlich. Gemeinsam ist all diesen freiung von militärischer, politischer
B. Mitchell (Hrsg.), The Philosophy of scher (K. Marx, F. Engels) u. psycho- religionskritischen Ansätzen die The- oder ökonomischer Unterdrückung
R., Oxford 1971; W. W. Bartley, Mo- logischer (S. Freud) Argumentations- se, daß Religion der Se1bsta ufklärung durchnationaleMinderheiten ( t Dis-
rality and R., London 1971; A. Auer, weise. Ihre Ansätze sind auch in der u. geglückten Selbstverwirklichung kriminierung) oder andere Staaten.
Autonome Moral tl. christlicher Glau-
be, Düsseldorf 1971; H. R. Schlette, gegenwärtigen R. leitend. Das szien- menschlichen Lebens im Wege steht. R.en entstehen als Aufruhr u. Auf-
Skeptische R.philosophie, Freiburg tifische Argument sieht in religiösen lehnung gegen Ungleichheit (Aristo-
1972; N. Luhmann, Funktion der R., Aussagen vorwissenschaftliehe Er- Lit.: L. Feuerbach, Das Wesen des teles) u. Rechtlosigkeit, Ihre Ur-
Frankfurt/M. 1977; H. Bürlde, Einfüh- klärungsversuche undurchschauter Christentums; K. Marx, F. Engels, Über sachen sind Volll jeweiligen Verlan-
RevolutionsE

gen nach t Gleichheit, von der bis-


herigen Ordnung u. den Gründen
ihrer Instabilität abhängig. R.en
setzen ein System sozialen Han-
men aber rational zu rechtfertigen
sein sollen, muß ihre Legitimation
auch vor der R. möglich sein. Die
254

Differenz zwischen historischer u. ab-


r : :. ", oe, ",' " """c"'" ';"',
in denen mehrere, gleicherweise sittl.
Grundsätze in Konflikt miteinander
geraten (t Pflichtenkollision). - Phi-
Risikoethik

bedarf es einer RJorschung, die mit


derselben Phantasie u. Sorgfalt mög-
liche Gefahren u. deren Wahrschein-
lichkeit erkundet wie die gewöhnli-
delns voraus, dessen t Normen u. soluter t Sittlichkeit wird damit frag- losophisch bezeichnet R. Kants The- che t Wissenschaft u. t Technik
t Werte als integrative Kräfte glei- würdig. Das Verhältnis von revolu- se, daß es zur t Sittlichkeit gehört, neue Chancen. Zunächst erkunde
chermaßen der Aufrechterhaltung tionärem Mittel (Gewalt) u. Zweck nicht bloß pflichtgemäß, sondern man die Art der Gefahren. Sodann
der Ordnung wie deren Auflösung u. (Freiheit) ist nur dann sittL legiti- auch aus t Pflicht, d. h. unter Aus- prüfe man, ob die noch unbekann-
Zerstörung dienen können. Die Ge- mierbar, wenn einmal die sitt!. Kri- schluß aller (sinnlichen) Neigungen ten, daher unheimlichen Gefahren
walt der R. ist daher die Kehrseite terien der R. bereits gerechtfertigt als letztem Bestimmungsgrund des sich in überschaubare, zudem be-
der bisherigen Ordnung (T. Parsons), sind u. die sozialen Kosten, die Ver- t Willens zu handeln. Im Gegensatz herrschbare Risiken überführen, ob
da sie sich mit denselben Normen, luste an t Leben u. Sachgütern, dazu fordert Schiller eine in der sich also die Gefahren domestizieren
die der Integration dienen, rechtfer- rechtfertigbar erscheinen. R. ist dann ,schönen Seele' (belle ame) Wirklich- lassen. Weiterhin kläre man den
tigen kann. R. kann demnach nie ei- nur als verfassungsmäßig garantier- keit werdende Harmonie von Ver- (nicht bloß finanziellen, sondern
ne totale Negation des bisherigen Sy- tes Widerstandsrecht (Art. 20, 4 GG) nunft und Sinnlichkeit, Pflicht u. auch personalen, sozialen, kulturel-
stems der t Gesellschaft u. ein abso- legitim. Neigung. Kant sieht sich jedoch mit len ... ) Preis des Domestizierens u.
luter Neubeginn sein. - Den Verlust Schiller einig, daß weniger eine "kar- achte dabei nicht nur auf den Nah-,
der Integrationskraft der ,alten' Lit.: Aristoteies, Politik, Buch V; täuserartige Gemütsstimmung" als sondern auch den Pernhorizont, also
K. Marx, Manifest der Kommunisti-
Ordnung begründen die Theorien ein "fröhliches Herz", ein heiteres u. auf die andernorts Betroffenen u. die
schen Partei; W. L Lenin, Werke,
der sozialistischen R. mit den extre- Bd. 25: Staat u. R.; H. Arendt, Über die freies Tun, die Echtheit tugendhafter künftigen Generationen. Nicht zu-
men Machtungleichheiten des Kapi- R., München 1963, Kap. 2-5; K. v. J Gesinnung verbürgt. letzt führe man Probephasen mit be-
talismus (t WirtschaftsE) u. der Beyme, Empirische R.forschung, Opla- gleitender Kontrolle ein. Dabei sind
den 1973, Abschn. 2, 3, 6; H. Marcuse, Li!.: F. Schiller, Über Anmut u. Würde; die Risiken, die man zu tragen bereit
damit verbundenen sozialen Krise.
Sie wird den Beherrschten als Wider- KonterR. u. Revolte, Frankfurt/M. L Kant, Die Religion innerhalb der ist, nur kulturabhängig zu bestim-
1973, Abschn. 2-4; J. EHul, Von der R. Grenzen der bloßen Vernunft, 1. St.,
spruch bewußt u. veranlaßt sie zum Anmerk. (Akad. Ausg. Bd. VI, S. 22- men. Das e Kriterium ist freilich kul-
Umsturz (Marx, Lenin). Der R. muß zur Revolte, Hamburg 1974, Teil I, II turunabhängig: die Gesamtnutzen-
IV; D. Claussen, List der Gewalt. Sozia- 25); O. HöHe, Kategorische Rechts-
einerseits eine Selbstanalyse der Ge- le R.en u. ihre Theorien, Frankfurt/M. prinzipien, Frankfurt/M. 1990, Kap. 7. erwartung muß höher als die Ge-
sellschaft in Form einer R.-Theorie
vorausgehen. Andererseits bildet sich
1982; N.O'Sullivan (Hrsg.), Revolu-
tionary Theory and PoJitical Reality,
I, O.H. samtschadenserwartung ausfallen.
Dazu kommt ein Gebot ausgleichen-
das ,neue Bewußtsein' erst in der R. New York 1983. W. V. Risikoethik. Aufgrund ihrer Dyna- der i Gerechtigkeit; Gruppen, die
selbst. - Das Problem der R.E ist die mik birgt die moderne Zivilisation durch gesamtgesellschaftlich vorteil-
Rechtfertigung revolutionärer Ge- RevolutionsE t Revolution. außer Chancen auch Risiken in sich, hafte Optionen benachteiligt werden,
walt. Sie soll als Mittel zur Herstel- d. h. Gefahren, von denen sie oft we- verdienen einen Ausgleich. Sich
lung von t Freiheit, t Glück u. Rigorismus (Iat. rigor: Starrheit, der die Art noch das Ausmaß, noch selbst vor zu hohen Risiken zu schüt-
t Frieden u. zur Be6:eiung von Härte, Strenge) bezeichnet umgangs- die Wahrscheinlichkeit des Eintrcf- zen ist bloß ein Ratschlag der Klug-
Angst u. Elend legiti~ sein. Freiheit sprachlich die e Position oder sittL fens näher kennt. Dies trifft sowohl heit; ein Gebot der Gerechtigkeit ist
wird dabei als Befreiung u. Gewalt Haltung, nach der man sitt!. Grund- auf wissenschaftlich-technische als es aber, anderen den Risiken nur mit
als Gegengewalt definiert. Ihre sittl. sätze (wie: nicht zu lügen, Verspre- auch wirtschaftlich-gesellschaftliche deren Zustimmung auszusetzen.
Rechtfertigung beruht auf einem chen zu halten) unter allen Umstän- Neuerungen zu. Weil ihre Nebenfol- Die entsprechende R.debatte ist
"historischen Kalkül" (H. Marcuse), den zu befolgen hat. Während der R. gen u. deren Bedeutung für die Men- eine Bringschuld. Wer sie unterIäßt,
der die absolute Gültigkeit sittL sich zu Recht gegen die Neigung der schen wesentlich unbekannt sind, handelt wie jemand, der Autos für
Normen bestreitet u, die R. selbst Menschen wendet, leichtfertig Aus- verhält sich hier die Zivilisation allzu den Verkehr erlaubt, bevor man eine
zum Kriterium neuer Normen u, nahmen von sittl. Geboten zu suchen leicht wie ein Skifahrer in unbekann- zuverlässige Bremstechnik einbaut.
Werte macht. - Falls die neuen Nor- (moralische Laxheit), übersieht oder tem Gelände u. bei NebeL Dagegen Die R.E richtet sich gegen einen Op-
Sadistisch-masochistisch 256 257 Schicksal

timismus, der stets auf guten Aus- tionsform mit der Ausbildung ag- scher) bedeutet auch das Sich-Ge- Geburt, dem Geschlecht, der Reifung
gang hofft. Statt schwärmerischer gressiver Tendenzen U. Triebe ver- nießen als Leidender u, Opfernder u. ihren Krisen (t Krankheit) bis zu
t Hoffnung bedarf es Nüchternheit knüpft. Alle gesellschaftlichen U. er- eine Verfehlung des Sittl. unserer Hinfälligkeit u. dem Tod
bei der Einschätzung neuer Optionen zieherischen Versuche, die Aggres- (t Leben), In zweiter Linie werden
u. Vor- u. Umsicht bei ihrer Verwirk- sivität zu unterdrücken, haben die Lit.: Marquis de Sade, Justine, in: Aus- auch die menschlichen Einrichtup.gen
lichung. Als Beweislastregel für Kon- umgekehrte Wirkung eines Aggressi- gewählte Werke, 6, Bd., Frankfurt/M. (soziale, kulturelle, ökonomische u.
fliktfälle legt sich das Gebot nahe: onsstaus mit der Gefahr eines abrup- 1972-73; S. Freud, Das ökonomische politische Institutionen) als schicksal-
Im Zweifelsfall für das Leben. Nur ten Ausbruchs gehabt. Wenn es in Problem des Masochismus, Werke, haft erfahren, Obgleich vom Men-
eine "Heuristik der Furcht" (jonas), der t Erziehung nicht gelingt, die Bd. XIII; J.-P. Sartre, Das Sein u. das
Nichts, III, Teil, 3. Kap., Hamburg schen geschaffen, sind sie dem neu-
die vornehmlich Übel erwartet, ist angestaute Aggression (t Gewalt) in geborenen Leben gegenüber vorge-
1952. A. S.
dagegen einseitig; denn weder die einer realitätsgerechten, kontrollier- geben (t Sozialisation), ehe dieses
Nutzen-Kosten- noch 'die Chancen- ten Form zuzulassen, können sich die Säkularisation t Religion, durch eigene Praxis in sie eingreifen
Risiken-Bilanz der Moderne fallen aggressiven mit den libidinösen Ten- kann. Freud spricht mit Blick auf die
insgesamt oder bezogen auf neue denzen des Menschen verbünden u. Sanktion t Belohnen U. Bestrafen, psychologische Entwicklung von
Optionen wie etwa die t Gentech- hinter seinem Rücken durchsetzen. Strafe. TriebS, Ebenso muß man vom sozia-
nik nur negativ aus. Die Psychoanalyse Freuds hat in den len (Klassen- u. Schichtenzugehärig-
Entwicklungen der Analphase (1.- Scham t Sexualität. keit) u. politischen S. (Krieg, Unter-
Lit.: H. Jonas, Das Prinzip Verantwor- 3. Lebensjahr) die Ansatzpunkte für drückung, Emigration u. Vertrei-
tung, Frankfurt/M. 1979; M. Douglas, die Ausbildung von s. u, m. Tenden-
A. Wildavsky, Risk and Culture. An Scheidung t Ehe. bung) sprechen. Die entscheidende
zen ausfindig gemacht. Danach be- Frage im Hinblick auf die schicksal-
Essay on thc Sclcction of Technical and fördern verfrühte Reinlichkeitsfor-
Environmental Dangers, Berkely 1983; Scheitern t Existentialistische E. haften Gegebenheiten besteht darin,
U. Beck, R.gesellschaft, Frankfurt/M.
derungen Gefühle der Hilflosigkeit wie sich menschliches Tun u. Ma-
1986; O. Höffe, Moral als Preis der u. Minderwertigkeit, die das Lust- Schicksal nennen wir die Gesamtheit chen zu ihnen verhält. Die philoso-
Moderne, Frankfurt/M. 31995, bes. streben an Gefügigkeit u. Unterwer- der Bindungen in uns u. außer uns, phischen Antworten reichen von der
Kap. 5; R. Münch, R.politik, Frank- fung binden (Aggression gegen sich die wir nicht durch eigene Tätigkeit Behauptung der t Determination
furt/Mo 1996. O. H. selbst). Umgekehrt erlauben die trot- hervorgebracht haben. Menschliches durch die Lebensumstände U. der
zigen Selbstbehauptungsversuche der
anal-s, Phase, an der Machtaus-
Tun u, Herstellen ist von Situa-t Aufforderung zu widerstandslosem
tions-Gegebenheiten abhängig, die es Sichfügen in das S. (Manichäismus,
5 übung u. Grausamkeit gegeniiber vorfindet u. an die es in seiner schöp- t Islamische E) bis zur Behauptung,
anderen Gefallen zu finden. Da s. ferischen Gestaltung anknüpfen daß der Mensch selbst seine Lebens-
Sadistisch-masochistisch. S. heißt ein Gefühle im zwischenmenschlichen muß. In diesem Sinn spricht Heideg- umstände produziert u. hervorbringt
Verhalten gegenüber anderen, in dem Verhältnis stets auch Momente der ger von der Geworfenheit des (Selbstproduktion des Geistes bzw.
die Ausübung von t Gewalt mit Identifikation mit dem leidenden menschlichen Daseins als Bedingung der Gattung bei Hegel u, Marx,
Lust (t Freude) verbunden ist, m. Partner einschließen, ist zwischen des Entwurfs. Schicksalhaft vorge- Konstitutionsgedanke der modernen
dagegen eines in dem sich die Lust- s. u, m. Verhalten eine innere Dia-
lektik des Sich-Sehens-im-Anderen
funden sind zunächst die Bedingun- Natur- t Wissenschaft u. t Tech-
empfindung mit dem Erleiden von gen der t Natur außer u, in uns. Die nik) u, der Aufforderung zur totalen,
Gewalt durch andere verknüpft. Die festzustellen, die sich auch im Wech- äußere Natur (geologische, ldimati- weltverändernden Praxis (t Hand-
Ausbildung s. oder m. Umgangsfor- sel der Gefühle in ein u, derselben sehe, ökologische Bedingungen etc.) lung), Die t Entscheidung innerhalb
men zwischen Menschen wird durch Person (Sadomasochismus) ausdrük- stellt dabei zugleich eine Chance wie dieses Spektrums von Möglichkeiten
gesellschaftliche Umstände gefördert, ken kann. Nicht nur die Lust an der eine Bedrohung für menschliches ist mitbedingt durch die metaphysi-
in denen Gewalt zur grundlegenden Grausamkeit bedroht das sittl. Ver-
halten. Gemäß Freuds Unterschei-
t Leben dar. Die Natur in uns ver- sche Sinndeutung des S. als blinder
Struktur gehört. Da die menschliche sieht uns schicksalhaft mit einer Notwendigkeit (t Lebensphiloso-
Erfahrung bisher keine gewaltfreien dung dreier Formen des Masochis- Körperkonstitution (t Leib) vom phie), als Schickung eines höheren
Räume kennt, ist jede t Sozialisa- mus (erotischer, femininer u. morali- Zeitpunkt u. den Umständen, unserer Wesens (Geschick, t christI. E,
Schintoismus 258 259 Schuld

i islam. E, i jüdische E) oder als nen. Die andere, der t Buddhismus, i Wille, sondern der faktische Ver- die er als sittl. Wesen seiner Würde
Produkt des Zufalls (materialistische kam im 6. Jh. von China über Korea stoß gegen Gesetze (i Rechts) ist, ist als i Person gegenüber hat. Deshalb
Theorien). Zwischen fatalistischer nach Japan u. übte lange Zeit den es notwendig, zwischen ihr u. mora- kann der Schaden, den er aus mora-
Hinnahme des S. u. der Annahme größeren Einfluß aus. Sofern Japaner lischer S. zu unterscheiden. In der lischer S. anderen u. sich zufügt, nur
grenzenloser Machbarkeit muß eine noch religiös - u. nicht Christen - Regel macht sich jemand, der ein dann bestraft werden, wenn die S.
differenzierte Beurteilung der sind, fühlen sie sich meist beiden Re- Verbrechen (i Strafe) begeht, auch gleichzeitig rechtlicher Natur ist:
menschlichen Situation zwischen ligionen verbunden, was dadurch moralisch schuldig. Jemand kann wenn eine Tat etwa die allgemeine
Machbarem, möglicherweise Mach- erleichtert ist, daß der japan. Bud- aber auch moralisch schuldig u. Sorgfaltspflicht verletzt oder vor-
barem u. möglicherweise nie Mach- dhismus viele Schirrto-Gottheiten als rechtlich unschuldig sein, wenn er sätzlich u. fahrlässig begangen wur-
barem unterscheiden. Da die vor- frühere Manifestationen Buddhas z.B. aus Eigeninteresse Gebote der de. Rechtliche u. moralische S. trifft
gegebene Natur nie völlig in verehrt. Der S. hat seinen Ursprung i Pflicht mißachtet, deren Erfüllung nur den, der s.fähig, d. h. sowohl
menschliche Produktion einholbar in der alten Tradition der Verehrung rechtlich nicht verbindlich ist. Um- hinsichtlich seines geistigen Zustands
ist, kommt es neben der Eindäm- von Göttern (kami), die sich in gekehrt ist nicht jeder Verstoß gegen zurechnungsfähig ist als auch das
mung ihrer schädlichen Wirkungen t Naturgeget;tständen u. -erscheinun- Gesetze, unter Umständen auch ein Maß seiner S. u. Verantwortung sei-
in Naturkatastrophen u. Krankheiten gen zeigen. Daraus entwickelte sich bewußt begangenes Verbrechen (z.B. nem geistigen Vermögen nach recht-
(i Leid) darauf an, ihre Eigenstän- ein Kult der Ahnenverehrung, der unter einer illegitimen t Herrschaft) lich u. moralisch beurteilen kann.
digkeit zu respektieren u. ihr gegen- sich auf die kaiserlichen Ahnen, die unmoralisch. Moralische S. trifft Diese Bedingungen sind Vorausset-
über eine neue Rezeptivität zu ent- Geister der Vorfahren, Schutzgötter auch den nicht, der eine Tat unter zungen der Rechtmäßigkeit von
wickeln, statt sie in sinnloser Weise u. die Formen der Natur erstreckt. t Gewalt oder Drohung, aus t Strafe. Sie soll nicht nur der Ab-
auszubeuten (i Umweltschutz). Da- Der S. kennt weder eine theologische Furcht, in Notwehr u. unter Gefahr schreckung u. Vergeltung u. als
gegen ist das S. durch die menschli- Lehre noch ein Glaubensbekenntnis, zur Rettung von t Leben beging. Sanktion dem gerechten Interessen-
chen Institutionen, da vom Men- auch keine E im engen Sinn. Trotz Rechtliche S. kann bestehen bleiben, ausgleich der beteiligten Individuen,
schen hervorgebracht, in seinem Sinn seiner Naturverbundenheit gehen wenn die mit ihr eingegangene mo- sondern der künftigen Möglichkeit,
veränderbar. Die Grundsätze der vom S. keine besonderen Impulse ralische S. getilgt ist, u. umgekehrt. - sittl. gut zu handeln, dienen. Die
i Humanität verbieten hier jedoch t
zum Umweltschutz aus. Moralische S. setzt als Kriterium die Strafe als Sühne für eine rechtliche S.
eine die freie Willens bildung miß- i Freiheit des t Menschen voraus: soll die Einsicht in die mit ihr einge-
achtende i gewaltsame Verände- Lit.: G. Kato, A Study of Shinto, Tokio er muß zwischen seiner sittl. gangene moralische S. ermöglichen.
rung oder zwangszweise Erhaltung. 1926; ders., A Historical Study of the t Pflicht u. einem sittl. nicht zu Der Sühnegedanke des Rechts im-
Religious Development of Shintoism, rechtfertigenden Interesse wählen. S. pliziert eine moralische Qualität der
Tokio 1973; D. C. Holtom, Thc Na-
Lit.: Altes Testament, Buch Hiob; Neu- ist zwar im rechtlichen wie im mora- rechtlichen S. Nur die Erkenntnis ei-
6011al Faith of Japan, New York
es Testament, Die Apokalypse des Jo- 11965; N. Naumann, Die einheimi- lischen Sinne vom subjektiven Ver- ner rechtlichen als moralischen S.
hannes; A. Schopenhauer, Die Welt als hältnis des Handelnden zu seiner Tat ermöglicht Reue: nicht aufgrund äu-
Wille u. Vorstellung; K. Marx, Öko- sche Religion Japans, 2 Bde., Leiden
1988/1994. O. H. abhängig. Die Schwere der morali- ßeren Zwangs, sondern aus freiem
nomisch-philosophische Manuskripte,
III. Manuskript; S. Freud, Triebe u. schen S. beruht aber nicht auf äuße- Willen seine Tat als S. anzunehmen
TriebS., Werke Bd. X; M. Heidegger, Schuld hat zweifache Bedeutung, ei- ren Kennzeichen einer t Situation, u. sich zur Umkehr, zur Orientierung
Sein u. Zeit, Tübingen 91960, §§ 31 u. ne moralische u. eine rechtliche. Mo- sondern auf der Schwere des Ver- seines Handelns an den sittl. Pflich-
32; ders., Die Frage nach der Technik, ralisch schuldig wird jemand, der mit zichts auf bestimmte Interessen zu- ten u. der Verantwortung sich selbst
in: Vorträge u. Aufsätze, Pfullingen seinen Handlungen oder Unterlas- gunsten einer Pflicht. Für die morali- u. seinen Mitmenschen gegenüber zu
1954; R. Guardini, Freiheit, Gnade, S., sungen oder durch bloßen Vorsatz sche S. ist im Unterschied zum entscheiden. - Das zur Reue not-
München 1949. A. S. bewußt u. nach freier i Entschei- rechtlich zumeßbaren Maß einer S. wendige, auf sittl. Kriterien beru-
dung gegen sein t Gewissen u. sittl. die t Strafe u. die Strafwürdigkeit hende S.bewußtsein ist von einem
Schintoismus (Schinto, japan. Weg t Normen verstößt. Da das Kriteri- sekundär, da der moralisch Schuldi~ sitt!. unbegründeten S.gefühl zu un-
der Götter) ist die ältere der beiden um rechtlicher S. nicht bewußtes ge primär sich selbst verfehlt. Er ver- terscheiden. Letzteres kann im Ver-
in Japan vorherrschenden Religio- Handeln oder Unterlassen u. böser stößt gegen die t Verantwortung, hältnis zur tatsächlichen S. übermä-
Schwangerschaftsabbruch 260 261 Selbstinteresse

ßig groß, gar nicht vorhanden oder Fairneß, FreiburglMünchen 1977; liegende Befriedigung der jeweils Mittel der Befriedigung ihrer Wün-
durch äußere Sanktionen erzwungen ders., Eine Theorie der Gerechtigkeit, vorhandenen flüchtigen Begierden sche beanspruchen, zu einem durch
sein. Wenn das S.gefühl unbewußt Frankfurt/M. 1975, Kap. 8; H. M. oder festverwurzelten Leidenschaften keine verbindlichen Regeln begrenz-
genossen u. aufrechterhalten wird, Baumgartner, A. Eser (Hrsg.), S. u.
Veranmrortung, Tübingen 1984. langfristig gesehen das eigene Glück ten Streit, zu "einem Krieg aller ge-
ist es Ausdruck einer Neurose w. v. eher verhindert als sicherstellt u. da gen alle" (Hobbes): Das zum allge-
( t Krankheit). Als Ausdruck des das ängstliche Verfolgen des eigenen meinen Gesetz gewordene S. gefähr-
Gerechtigkeitssinns ist das S.gefühl Glücks unnötige Sorgen schafft, for- det seinen eigenen Zweck, das per-
jedoch Bewußtsein der Verletzung Schwangerschaftsabbruch t Abtrei-
dert ein aufgeklärtes S. einerseits eine sönliche Glück. Die Gefährdung
auf Gegenseitigkeit beruhender Be- bung.
Kontrolle der Begierde u. Leiden- wird aufgehoben durch die Errich-
ziehungen des Vertrauens, der schaften, ferner eine rationale Über- tung eines i Rechtszustandes, der
t Freundschaft u. t Liebe u. inso- Seele t Leib, Religion, Verstehen, legung der Folgen von Handlungen das S. aller nach Maßgabe allgemei-
fern Zeichen einer freien u. zurech- u. ihre Bewertung nach Maßgabe des ner Gesetz einschränkt u. so eine ver-
nungsfähigen t Person (J. Rawls). Seelenwanderung i Hinduistische E. Glücks (i Entscheidungstheorie) so- nünftige i Konfliktregelung schafft
Der S.begriff der i christlichen E wie die Willenskraft, stets den Über- (i Entscheidungstheorie). Weil
faßt S. nicht nur als Verfehlung des Sein-Sollen-Fehlschluß i MetaE. legungen gemäß zu handeln; u. ande- man auf seine Mitmenschen in viel-
sittl. Wesens des Menschen, sondern rerseits ist es im S., nicht übermäßig fältiger Form angewiesen ist u. man
auch als Verfehlung gegen t Gott Selbst t Person. an sich selbst, zudem nicht bloß an sich durch Rücksicht, Ehrlichkeit
auf. Diese S. kann zwar durch Reue sinnliche Lust u. materiellen Gewinn, usw. ihr Vertrauen u. ihre Hilfsbe-
u. Umkehr gesühnt werden. Die ei~ Selbstbeherrschung i Besonnenheit. an Erfolg u. Macht zu denken. Das reitschaft erwirbt, kann ein aufge-
gentliche Aufhebung der S. ist aber S, für sich gebietet schon ein rationa- klärtes S. aus sich heraus viele der
nicht vom sitt!. Willen des einzelnen, Selbstbestimmung i Freiheit. les, wenn auch noch nichtsittl. Han- sitt!. t Pflichten anerkennen. Inso-
sondern allein von seinem Glauben deln. Da der Mensch jedoch selbst fern sie aber nicht als solche, son-
(sola fide: M. Luther) an die recht- Selbsterhaltung i Leben, Selbst- Verantwortung für Leib, Leben u. dern nur als Mittel zum eigenen
fertigende Gnade Gottes abhängig. mord. Wohlbefinden trägt, ist die Vernach- Wohl beachtet werden, handelt es
Eine Selbstvergewisserung von S. lässigung dieser Aufgaben nicht sittl" sich dann nach Kant gleichwohl nur
oder S.1osigkeit, wie sie moralisch u. Selbstidentität t Person. das S" sofern es die Aufgaben über- um Pflichtgemäßheit, nicht um
rechtlich möglich ist, bleibt dem ein- nimmt, sittl. Nur eine (schon durch t Sittlichkeit.
zelnen hinsichtlich seiner religiösen Selbstinteresse heißt der Beweggrund Butler u. vom Standpunkt der Psy- (2) Wird das Selbst nicht psycho-
S. versagt. eines Menschen, dem es in allem Tun choanalyse durch E. Fromm kritisier- logisch-subjektiv, sondern "objektiv"
u. Lassen letztlich nur um sich selbst te) falsche Gegenüberstellung von S. als das wahre Wesen des Menschen
Lit.: I. Karrt, Metaphysik der Sitten, geht. Die e Beurteilung des S. hängt u. Nächsten- i Liebe oder i Wohl- (i Humanität) verstanden, dann be-
Einleitung zur Tugendlchrc; G. W. F. vom Begriff des Selbst ab: (1) Ge- steht das S, in der -Entfaltung der
wollen hält das S, für schlechthin
Hegel, Rechtsphilosophie, §§ 105-118;
C. A. Campbell, P. H. Nowell-Smith, wöhnlich versteht man es psycholo- unsittl. Unsittl. ist es allerdings, das dem Menschen eigentümlichen künst-
E. Fromm, Free Will, Responsibility gisch-subjektiv als Inbegriff von S. zum letzten Maßstab allen Han- lerischen, sozialen, politischen u. in-
and Guilt, in: M. K. Munitz (Hrsg.), A Trieben, t Bedürfnissen u. Wün- de1ns zu machen u. es ohne Rück- tellektuellen Möglichkeit, vor allem
Modern Introduction to Ethics, New schen. Das S. richtet sich dann auf sicht auf die Interessen u. Rechte der in der Verwirklichung der menschli-
York 1958, 5.356-416; A. Kaufmann, deren Befriedigung u. sucht die Mitmenschen zu verfolgen (Egois- chen Vernunftfähigkeit. S. u. Sittlich-
Das S.prinzip, Heidelberg 1961; Selbsterhaltung, das Freisein von mus). Stirner behauptet, das einzig keit fallen hier zusammen (Aristo-
P. Manns, Fides absoluta ... , in: Fest- Not u. Entbehrungen, letztlich den Reale sei das Ich u. alles habe nur te/es, Spinoza). Das S. schließt von
schrift H. Jedin, Münster 1965;
Inbegriff der Erfüllung aller Interes- insoweit Wert, wie es dem Ich dient. vornherein ein bloß naturwüchsiges
F. Schlederer, 5., Reue u. Krankheit,
München 1970; P. Ricceur, Die Fehl- sen, das eigene t Glück - allerdings Wenn alle ausschließlich ihrem S. Leben aus, das allein durch sinnliche
barkeit des Menschen, FreiburglMün- ohne sich des Erfolgs sicher sein zu folgen, kommt es in der (prinzipiell Lust, durch Macht- u. Erwerbs-
ehen 1971; J. Rawls, Der Gerechtig- können. Das S. ist das natürliche nicht vermeidbaren) Situation, daß streben bestimmt ist. Unter Vor-
keitssinn, in: ders., Gerechtigkeit als Motiv des Menschen. Da die nächst- verschiedene Individuen dieselben aussetzung einer vernünftigen Kon-
Selbstmord 262 263 Selbstmord

trolle der Begierden u. i Leiden- Hobbes u. Spinoza den Menschen tet sich das i medizinische u. so- von Montaigne, Montesquieu, Vol-
schaften sieht Aristoteles den Men- auf das Generalziel der Selbsterhal- zialtherapeutische Tun nach dem taire u. Hume, später auch von
schen zu sich selbst finden in einem tung festlegen u. den S. nur als völli- Grundsatz "in dubio pro vita" u. Schopenhauer in Frage gestellt, von
durch i Gerechtigkeit, i Freund- ge Unfreiheit verstehen kann. Weil sucht dem S.gefährdeten wieder zur Charles Moore dagegen verteidigt. In
schaft u. die anderen i Tugenden der S. eine spezifisch menschliche, inneren Freiheit u. zu vertrauensvol- jüngerer Zeit hat Camus die Ans,icht
geleiteten Zusammenleben von Frei- zudem unwiderrufliche Handlung ist, len Sozialbeziehungen zu verhelfen. verworfen, im S. ließe sich die Ab-
en (bios politikos) oder im Leben der kommt seiner Bewertung seit jeher Auch die sittl. Wertung muß sich der surdität des Daseins überwinden,
Theorie (bios theoretikos). ein besonderes Gewicht zu; Camus meist pathologischen u. tragischen während Löwith, Kamlah u. Amery
kennt sogar "nur ein wirklich ernstes Situation von S.en bewußt sein. Be- sich für die Freiheit zum eigenen Tod
Lit.: Aristoteles, Nikomach. E, bes. philosophisches Problem: den S.", da vor man jemanden, der sich das Le- einsetzen.
Buch I u. X, 6-9; Th. Hobbes, Le- sich an ihm der i Sinn des Daseins ben nimmt, als feige u. sittl, verwerf- Eine abschließende Beurteilung des
viathan, bes. Kap. 6. u. 13; J. Butler u. entscheide. lich verurteilt oder als i tapfer u. S.es vom Prinzip der i Freiheit
B. Russell, in: Texte zur E, München Seit den wegweisenden Untersu- besonders frei rühmt, ist zu prüfen, hängt allerdings von deren Begriff
1976; D. Hume, Untersuchung über die chungen von Durkheim werden die ob er nicht an seinem Leben zerbro- ab. Die bloße Handlungsfreiheit
Prinzipien der Moral, Anhang 11;
psychischen, sozialen u. kulturellen chen, jedenfalls leidend u. hilfsbe- schließt den S. ein. Wenn man aber
B. de Mandeville, Die Bienenfabel oder
Private Laster, äffentl. Vorteile; Determinationsfaktoren für S.e un- dürftig ist. zur Freiheit auch die Offenheit u.
M. Stirner, Der Einzige u. sein Eigen- tersucht: Im Abendland (u. hier be- Die sittl. Beurteilung eines wirk- Fraglichkeit der Zukunft rechnet,
tum; H. Sidgwick, Die Methoden der E, sonders in Mitteleuropa) ist die lich freien S.es ist umstritten. Nach dann steckt im S. ein Moment der
Buch 11; E. Fromm! Psychoanalyse u. E, S.rate weit höher als in den i isla- Sokrates, Platon u. Aristoteles ist S. Negation, ebenso wenn man für die
Stuttgart u.a. 1954, S.134-155; mischen, i buddhistischen u. i hin- unerlaubt; nach der i epikureischen Freiheit die Sozialdimension für kon-
D. P. Gauthier (Hrsg.), MoraHty and duistischen Ländern, was aus der u. der i stoischen E (z.B. Seneca) ist stitutiv hält; u. vom Prinzip der un-
Rational Self-Interest, Englewood Auflösung persönlicher Beziehungen, man i frei, sich sein Leben zu neh- veräußerlichen Menschenwürde her
CliffslN. J. 1970; ders., Morals by Ag-
reement, Oxford 1987; K. Homann, aus der Abnahme religiöser Bindun- men, während in der i christlichen behält das Leben auch gegen Leid,
Rationalität u. Demokratie, Tübingen gen, auch der Fähigkeit, i Leid zu E seit Augustinus der S. als Verstoß Krankheit u. Erniedrigungen sein
1988; R. Axelrod, Die Evolution der verarbeiten, sowie aus dem moder- gegen das Tötungsverbot u. den unverlierbares Recht.
Kooperation, München 2 1991; R. Schüß- nen Bewußtsein erklärt werden Glauben gilt, daß der Mensch als Ge-
ler, Kooperation unter Egoisten, 01- kann, sein Leben selbstverantwort- schöpf Gottes nur ein "Nutzungs-", Lit.: Platon, Gesetze 873 c-d; Aristote-
denburg 1990; H. Krämer, Integrative lich zu gestalten. Die empirische kein "Verfügungsrecht" über sein les, Nikomach. E, X; Seneea, An Luci-
E, Frankfurt/M. 1992. O. H. S.forschung bezweifelt nicht, daß es Leben hat. Thomas v. Aquin ergänzt lius, bes. Brief 70; Augustinus, Der
den nach einer nüchternen Lebensbi- die Begründung des S.verbotes durch Gottesstaat, 116-27; Momaigne, Es-
lanz frei gewählten Tod gibt, trifft zwei Argumente im Anschluß an ~~is, Buch 2, Kap. 3; Montesquieu,
Selbstmord (engl./frz. suicide). Im S., Uber die Ursachen der Größe u. des
auch Freitod oder Selbsttötung ge- ihn jedoch selten an. Sie bestreitet Aristoteles: Der S. verstoße gegen die
Verfalls der Römer; ders., Persische
nannt, wartet man nicht auf den auch nicht, daß zum S. ein Moment Selbstliebe u. sei eine Ungerechtigkeit Briefe 76-77; D. Hllme, Of Sllicide, in:
"natürlichen Tod", sondern setzt der Stellungnahme gehört, zeigt aber, gegen die Gesellschaft. Im Mittelalter Essays; Ch. Moore, A FuHy Inquiry In-
seinem i Leben selbst ein Ende. Die daß er in aller Regel von Menschen u. bis weit in die Neuzeit (in Groß- to the Subject of Suicide, London 1790;
Möglichkeit des S.es steht nur dem verübt wird, die sich in einer funda- britannien bis 1961) war der S.ver- F. Nietzsehe, Also sprach Zarathustra,
i Menschen offen; sie zeigt, daß er mentalen Lebenskrise befinden, am such auch nach staatlichem Recht 1.. T., Vom freien Tode; E. Durkheim,
nicht einfach da ist, sondern sich zu Sinn des Lebens in jener konkreten strafbar, während es nach Kant zwar Der Selbstmord (frz. 1897), Frank-
Weise verzweifeln, daß sie nieman- sittl. verwerflich ist, über sein Leben furt/Mo 1983; A. Camus, Der Mythos
sich selbst verhält, in diesem Sinne von Sisyphos, Reinbek 1959; W. Bott-
frei ist, dabei eine radikale Verfü- den sehen, der sie versteht u. verläß- als bloßes Mittel zu beliebigem
ke, Suizid u. Strafrecht, Karlsruhc
gungsrnacht hat, die ihm auch eine lich zu ihnen hält - ein S.(versuch) ist Zweck zu disponieren, das S.verbot 1975; J. Amery, Hand an sich legen.
besondere i Verantwortung aufbür- ein "letzter Appell an die anderen"-, aber in die i Tugend-, nicht in die Diskurs über den Freitod, Stuttgart
det. Deshalb ist eine naturalistische u. deren Freiheit u., Verantwortung i Rechtslehre gehört. In der Aufklä- 1976; A. Eser (Hrsg.). Suizid U. Eutha-
Anthropologie falsch, die wie z. B. stark eingeschränkt ist. Deshalb rich- rung wird die christliche P-osition nasie als human- U. sozialwiss. Pro-
Selbsttötung 264 265 Sexualität

blem, Stuttgart 1976; H. Ebe1ing denn der biologische Sinn der Leib- Die Psychologie der S. ist im ho- kann (Onanie, Masturbation). Aber
(Hrsg.), Der Tod in der Moderne, Kö- lichkeit besteht in der Fortpflanzung hen Maße durch die Psychoanalyse es wird auch Versuche machen, seine
nigsteinn's. 1979 (bes. K. Löwith u. zur Arterhaltung. Durch Einbezie- S. Freuds entwickelt worden. Er zeig- Liebe zu den Beziehungspersonen in
W. Kamlah); A. Holderegger, Verfü- hung der psychischen u. sozialen te, daß sich auch im frühkindlichen geschlechtsspezifischer (ödipaler)
gung übel' den eigenen Tod?, Freiburg
Gesichtspunkte verschiebt sich al- Alter an den Organen der Nah- Weise zu erproben. Je nach dem, po-
i. Ü./Freiburg i. Br. 1982; Suizid u.
Recht auf den eigenen Tod, in: COllcili- 'lerdings die sittl. Problematik. Wenn rungsaufnahme u. der Ausscheidung sitiven Rollenangebot im Verhältnis
um 21,1985, H. 3 (darin z.B. A. Pie- der psychische Sinn der S. im Aus- eine über den bloßen Organzweck zur Versagung wird im Ausgang die
per); H.-L. Wedler, Der suizidgcfährde- druck personaler i Liebe besteht, hinausreichende Lusterfahrung (Or- hetero- oder homosexuelle Orientie-
te Patient, Stuttgart 1987; G. J. Fair- stellt sich die Frage, ob dieser allein ganlust) festmacht, die physiologisch rung vorherrschen.
bairn, Contemplating 5nicide - The mit andersgeschlecht!ichen Partnern durch Reizung der erogenen Zonen Die in der primären Sozialisation
Language and Ethics of Self-Hann, erreichbar ist. Desgleichen kann eine entsteht. Der engere Begriff der S. festgelegte sexuelle Ausrichtung ist
LondonlNcw York 1955; G. Minois, ungewünschte Schwangerschaft die wurde damit in den weiteren der Li- weitgehend von der Erziehungspra-
Die Geschichte des S., Düsseldorf!Zü-
rich 1996. O. H. personale Liebe gefährden. Berück- bido (libido sexualis) einbezogen. xis der Bezugspersonen abhängig.
sichtigt man als soziales Sinnkriteri- Für die menschliche i Sozialisation Schon aus diesem Grund kann sie
Selbsttötung i Selbstmord. um das i freie u. i friedliche Zu- bedeutet dies, daß die Libido eine dem erwachsenen Menschen nicht
sammenleben der Menschen, dann Entwicklung von der Realisierung voll ausgelastet werden. Zudem zeigt
Selbstverstümmelung i Leib. kann sich gegenüber der Forderung der Teiltriebe (Partialtriebe) an sich, daß jeder Mensch die Entwick-
uneingeschränkter Fortpflanzungs- durchmachen muß, bis sie günstigen- lung der sexuellen Partialtriebe
Selbstverwirklichung i Sinn. freiheit die Notwendigkeit einer i Ge- falls in die "vollsinnliche genitale" durchlaufen muß, die der sogenannte
burtenregelung ergeben, um Mensch- Liebe zum andersgeschlechtlichen Perverse ausschließlich verwirklicht.
SexualE i Sexualität.
heitskatastrophen durch Überbevöl- Während der Neurotiker seine libi-
Partner mündet. Die Stufen dieser
Sexualität. Mit S. bezeichnen wir die kerung zu vermeiden. Familienpla- Entwicklung beginnen mit der am dinösen Wünsche verdrängt hat, die
durch die Geschlechtsorgane männ- nung ist auf den Wegen der Emp- Modell der Nahrungsaufnahme er- ihn in Form von krankhaften Symp-
lich oder weiblich geprägte i Leib- fängnisverhütung, der i Abtreibung lernten (oralen) Liebe. Gelingt nur tomen wieder bedrängen, ist der Per-
lichkeit, die geschlechtsspezifische oder Sterilisation möglich. Bei der diese Interaktionsform, so werden verse auf eine frühe Entwicklungs-
psychologische Erlebnisweisen u. so- sitt!. Überlegung wird man in der spätere sexuelle Beziehungen nach stufe fixiert, deren Möglichkeiten er
ziale Interaktionsformen ermöglicht. Regel dem geringfügigeren Eingriff Art dieser frühen Symbiose erlebt. aber voll realisiert, wohingegen der
Das sittl. Problem der S. läßt sich in die Lebensvorgänge den Vorzug Dies bedeutet einen Vorrang des "Normale" seine Entwicklung zu
dementsprechend biologisch-physio- geben. Ein e Problem besonderen passiven Genusses verbunden mit andersgeschlecht!icher genitaler Lie-
logisch im Hinblick auf die eigene Gewichts wirft die i Abtreibung Abtrennungsängsten u. Neigung zur be vollendet hat. Eine Verurteilung
Leiblichkeit, psychologisch in Anbe- auf, da hier der biologisch vorstrulc- Gefühlsverschmelzung (z. B. auch or- der Homosexualität verbietet sich,
tracht der eigenen sexuellen Wün- turierte Sinn werdenden Lebens mit ganistisch in Promiskuität u. Grup- da sie als Ausdrucksmäglichkeit per-
sche u. Phantasien, soziologisch im dem psychischen der Liebe oder dem pen-S.). Die an den Ausscheidungs- sonaler Liebe ernstgenommen wer-
Hinblick auf die Interaktionsweise sozialen des freien Zusammenlebens funktionen festgemachten (analen) den muß. Auch Onanie u. Mastur-
mit anderen Menschen erfassen. in Konflikt gerät. Auch die Sterilisa- Libidoformen werden von passiver bation müssen als Ausdrucksformen
Keine Dimension kann in ihrer sittl. tion erfordert eine schwierige Abwä- Gefügigkeit (Ansatzpunkt einer ma- des Luststrebens akzeptiert werden.
Relevanz isoliert betrachtet werden. gung zwischen biologisch-psychi- sochistischen Entwkklung) bis zur Da in ihnen die Autoerotik vor-
Der Gesichtspunkt der Biologie u. schen i Bedürfnissen und sozialer aktiven trotzigen Gewaltsamkeit herrscht, besteht die sitt!. Verant-
Physiologie allein erlaubt lediglich Notwendigkeit. Aufgrund ihrer Un- (Ansatzpunkt für i sadistische Ent- wortung darin, sie nicht zum Ersatz
ein Recht der i "Natur" in dem en- widerruflichkeit muß hier im beson- wicklungen) reichen. Die Entdek- partnerschaftlicher Zuwendung wer-
gen Sinn abzuleiten, daß die sittl. deren Maße das menschliche i Recht kung der Geschlechtsorgane (phal- den zu lassen. Da das libidinöse
i Verantwortung vorrangig dem auf Selbstbestimmung u. Selbstreali- lische Phase) beim Kleinkind schließt Verlangen als Grundlcraft des Men-
Fortpflanzungszweck u. somit einer sierung auch im Hinblick auf Fort- ein, daß es sie autoerotisch reizen u. schen angesehen werden muß, stellt
heterosexuellen Partnerwahl gilt, pflanzung berücksichtigt werden. sich selbst Befriedigung verschaffen sich die Frage, ob ein i Verzicht auf
Sexualmord 266 267 Sinn

sie überhaupt möglich ist u. welchen Gefühlswahrnehmung eingestimmten drücken u. Begriffen in deren jewei- schlechten t Willen, der die an ihn
Sinn die Keuschheit haben könnte. Verständnisses lösen. Die soziale ligem Verwendungszusammenhang gerichteten Sollensansprüche bejaht
Nach psychoanalytischer Erkenntnis Partnerschaftsform der t Ehe ist da- eine bestimmte Bedeutung zuordnet. oder verneint, (2) Der lebensprakti-
ist ein absoluter Triebverzicht nicht her nur als Entwicklung aus einem Dabei ist der S, sprachlicher Zeichen sche S, ist weder funktional definier-
möglich. Als Lebensform kann sie wachsenden, emotional begründeten, (Worte, Sätze) ebenso wie der bar noch allein von sittI. Prinzipien
nur gelingen, wenn das Schicksal der ganzheitlichen Einverständnis zu se- nichtsprachlicher (Gesten etc.) ein- ableitbar. Er ist einerseits abhängig
Verdrängung vermieden u. eine freie hen. Sexuelle Gesichtspunkte lassen mal abhängig von der Absicht des- von sittl. Zwecken, andererseits von
Wahl erfolgt, sowie wenn statt des sich daher aus dem vorehelichen Pro- sen, der sie äußerst, u. zum anderen der menschlichen Erfahrung, die die-
sexuellen Partners geistige (sublime) zeß nicht ausschließen, wenngleich vom Erkennen dieser Absicht durch se Zwecke mit den individuellen Zie-
Möglichkeiten der Befriedigung er- die Scham wechselseitige Rücksicht- den Hörer (intentionaler S.). (1) Der len U. Wünschen vermittelt. Voraus-
schlossen werden. nahme erfordert. S. von t Handlungen u. Interessen setzung der Identifikation mit Zielen
Das sexuelle Bedürf~is des Men- Das Problem der S. hat auch po- ist allgemein von Zwecken u. wie t Freiheit, t Glück, t Liebe
schen allein führt noch zu keiner litische Bedeutung. Der Nachweis t Zielen bestimmt, zu deren Ver- ist die Erfahrung geglückter Vermitt-
Entwicklung fester sozialer Bezie- der psychodynamischen Beziehungen folgung Menschen entweder be- lungen (z, B. die Erfahrung der El-
hungen. Im Unterschied zum Tier ist zwischen S. u. Aggression durch die stimmbare u. rechtfertigbare Gründe ternliebe durch das Kind), Diese Er-
es nicht in den Zyklus eines Paa- Psychoanalyse hat zu der Einsicht oder nicht vollständig beschreibbare fahrung prägt den S, individueller
rungs-, Brut- u. Pflegeinstinktes geführt, daß sexuelle Unterdrückung Motive oder beides gleichzeitig ha- Lebensziele. Das Scheitern jener Ver-
( t Instinkt) gebunden. Mit der Be- die Verführbarkeit der Massen u. die ben. Abhängig von der Rcalisierbar- mittlungen in t Krankheit, t Leid,
friedigung erlischt das sexuelle In- Bereitschaft zu kriegerischen Ausein- keit von Zwecken u. Zielen ist der Verzweiflung U. Tod kann zur Erfah-
teresse bis zum erneuten Anwachsen. andersetzungen steigert. Auch aus funktionale S, von Handlungen, der rung der S.losigkeit U. S.gefährdung
Partner u. t Situationen der Befrie- diesem Grunde kann sich ein freies u. jedoch den S. der Zwecke selbst menschlichen Lebens (t existen-
digung können dabei prinzipiell friedliches öffentliches Zusanunenle- nicht näher qualifiziert. Unabhängig tialistische E, t Nihilismus) führen.
wechseln. Erst die durch t Hem- ben nur auf der Basis sexuell nicht von der Rcalisierbarkeit ist der S. Wird diese Erfahrung nicht als
mung der direkten sexuellen Befrie- unterdrückter privater Beziehungen sittl. Zwecke: Sie haben als Kriterien bloßes t Schicksal hingenommen
digung bestimmte Erotik erlaubt es, entwickeln. menschenwürdiger Lebensführung oder als t Entfremdung verworfen,
ein individuelles Interesse am andern normativen S. u, sind entsprechend macht sie eine S.dimension zugäng-
zu nehmen u. beständigere Bezie- Lit.: S. Freud, Drei Abhandlungen zur dem Wesen des t Menschen Zwek- lich, in der der S. z. B. von Liebe U.
hungsformen einzuleiten. Allerdings Sexualtheorie; M. Mead, Jugend u. Se- Glück über ihren Charakter als sittl.
ke in sich selbst u. Ausdruck des
xualität in primitiven Gesellschaften,
ist der partnerschaftlichen Bindungs- München 1970; W. Trillhaas, SexuaLE, Selbst-So menschlichen t Lebens (te- Ziele hinaus als notwendige Basis
kraft der Erotik durch die sexuelle Göttingen 1970; W. Reich, Die sexuelle leologischer S.). Sittl. zu rechtfertigen zwischenmenschlicher Beziehungen
Gewöhnung eine Grenze gesetzt, Revolution, Frankfurt/M. 1971; E. K. ist der Lebens-S. dann, wenn der ein- angesichts drohender S.-gefährdung
wenn nicht gemeinsame Lebensinter- Scheuch, Die überschätzte S., in: Mer- zelne die Geltung sittl. t Normen, erfahrbar wird. (3) Diese Erfahrung
essen u. geistige Beziehungen eine kur 2, Jhg. 30, Stuttgart 1976; Kirchli- das von ihnen bestimmte Verhältnis von S. impliziert einerseits die Aner-
Sublimierung zur personalen t Lie- che Sexualmoral u. menschliche S., zu seinen Mitmenschen, d. h. eine kennung der Freiheit des anderen U.
be ermöglichen. Zur E partnerschaft- hrsg. v. F. Böckle u. a" Düsseldorf 1977; soziale Rolle u. ihre t Pflichten, an der sittl, Normen sozialen Lebens,
M. Foucault, S. ll. Wahrheit, 3 Bde.,
lichen Beziehungen ist freilich fest- deren Erfüllung die Mitmenschen ih- andererseits die Einsicht, daß S.ver-
Frankfurt/M. 1986; H. Seck, A. Rieber,
zuhalten, daß weder ein sexuelles Anthropologie u. E der S., Mün- re Erwartung knüpfen, frei aner- wirklichung nicht durch egoistisches
Einverständnis die personale Liebe chenlSalzburg 1982; G. Kokott, Die S. kennt. Voraussetzung der Anerken- t Selbstinteresse, sondern nur durch
garantiert noch umgekehrt die per- des Menschen, München 1995. A. S. nung ist die Einsicht, daß jene Nor- menschliche Solidarität u, Gemein-
sonale Liebe auch die sexuelle Be- men zur Rechtfertigung von Hand- schaft möglich ist (t Humanität).
friedigung (vgl. das Problem von Sexualmord t Sexualität. lungen notwendig sind. Die Normen Das Wechselverhältnis von S.erfah-
Frigidität u. Impotenz). Beide Pro- stehen hinsichtlich der Rechtferti- rung U. der Anerkennung von Nor-
bleme lassen sich nur auf der mittle- Sinn ist in seiner Grundbedeutung gung der Lebensziele in einem Wech- men bestimmt daher den Grad der
ren Ebene eines emotionalen, auf die eine sprachliche Funktion, die Aus- selverhältnis mit dem guten oder Selbstverwirklichung des Menschen.
Sinnlichkeit 268 269 Sittlichkeit

Ihr Ziel ist es, bei der Wahrnehmung Sitte t Moral U. Sitte. Evidenz. - (b) Von S. G. spricht man nehmen, die die objektive Geltung
von Möglichkeiten u. der Entfaltung im Unterschied zu der in theoreti- moralischer Prinzipien verbürgt. -
individueller Anlagen eine Überein- Sittengesetz t Moralprinzip. schen Urteilen beanspruchten G., Ein für die Praxis spezifisches Pro-
kunft mit sich selbst u. seiner i Welt wenn sitt!. Phänomene (Werte oder blem ergibt sich bei fehlender s. G.
zu erreichen. Diese Übereinkunft ist Sittliche Gewißheit. (a) Häufig hat Gebote) eine objektive Interpretation Während in der Theorie bis zur end~
keine Anpassung an bestimmte äuße- G. die psychologische Bedeutung ei- erfahren. Objektivität besagt hier: gültigen Sicherung des Wissens je-
re Verhältnisse; sie ist vielmehr ab- nes unerschütterlichen, von jedem Wenn jemand ein sittl. Urteil fällt derzeit Urteilsenthaltung bzw. bloß
hängig von der in jeder zwischen- Zweifel freien subjektiven Über- ("dies ist gut, geboten" etc.), so hypothetische Zustimmung möglich
menschlichen Beziehung neu zu zeugtseins von der t Wahrheit eines spricht er einer Handlung, einer u. geboten ist, ist hypothetisches
leistenden S.stiftung u. der gemein- Sachverhalts bzw. der Geltung eines Handlungsmaxime, einem Hand- Handelns nicht möglich und dulden
schaftlichen Suche nach Möglich- t Wertes oder eines sitt!. Gebotes. lungsziel moralische Eigenschaften Handlungen häufig keinen Aufschub.
keiten der S,identifikation als Basis G. rückt so in die Nähe eines sub- zu, die diesen zukommen, unabhän- In diesem Zusammenhang steht Des-
gesellschaftlicher Integration. (4) Für jektiven t Gefühls oder besser, sie gig davon, ob sie von jemandem cartes' Konzept einer t provisori-
den Prozeß der S.stiftung u. sozialen benennt lediglich die Weise des Für- wahrgenommen werden oder nicht, schen Moral, deren Regeln u. a. die
Integration hat das i Verstehen des wahrhaltens, die sich durch seine Fe- unabhängig davon auch, welcher Art zwischenzeitliche Orientierung an
geschichtlichen S. der i Kultur, der stigkeit von anderen Weisen wie die emotionalen Reaktionen auf die- den Normen der Tradition empfeh-
i Religion, des i Staats u. seiner Glauben, Meinen, Vermuten, Unter~ se Eigenschaften bei ihm oder ande- len.
t Institutionen Bedeutung. Die Kri- stellen unterscheidet (G. der Zu- ren Personen sind. Wer immer in die-
terien dieser Lebensformen haben stimmung). - Daneben wird von G. sem Sinn moralisch urteilt, bean- Lit.: Descartes, Meditationes de prima
immer schon im Kontext der Rede sprucht s. G. Das mit S. G. erkannte philosophia; ders., Discours de la
einmal für den einzelnen eine teleo-
methode, Kap. II1; J. H. Newman, An
logischen S. analog den sirtL Normen von objektivem Wissen gesprochen: i Gute unterscheidet sich von dem Essay in Aid of a Grammer of Assent;
u. bestimmen zum anderen die Re- G. als festes, unverlierbares, gesi- theoretisch Erkannten durch die Art G. E. Moore, Certainty, in: Philos. Pa-
geln sozialen Verhaltens. chertes U. anerkanntes Wissen, das seines Anspruchs, der nicht nur theo- pers, London 1959; K. Löwith, Wissen,
im Zusammenstimmen von Einsicht retische Zustimmung, sondern prak- Glaube u. Skepsis, Göttingen '1958;
Lit.: R. Lauth, Die frage nach dem S. des Subjekts (subjektive Evidenz), tische Billigung fordert. - Außerhalb D. Henrich, Der Begriff der sittL Ein-
des Daseins, München 1953; M. Hei- Klarheit u. Deutlichkeit der Sache jedes Anspruchs auf Evidenz des sicht U. Kants Lehre vom Faktum der
degger, Identität u. Differenz, Pfullingen (objektive Evidenz) u. willentlicher SittL bleiben meta-e Theorien, die Vernunft, in: Die Gegenwart der Grie-
1957; K. Baier, The Meaning of Life, Zustimmung besteht. Die mannig- s'ich nicht mit der Wahrheit sitt!. Ur- chen im neueren Denken (Festschr. Ga-
Canberra 1957; H Krings, S. u. Ord- damer), Tübingen 1960; F. Wiedmann,
faltigen Differenzierungen (unmittel- teile u. ihrer Begründungsprinzipien Das Problem dcr Gewißheit, München
nung, in: Philos. Jahrb., Bd. 69, 1961/
62; R. Wisser (Hrsg.), S. u. Sein, Tü- bare-reflektierte, sinnliche-intuitive- befassen, sondern allein ihre formal- 1966; W. Stegmüller, Metaphysik,
bingen 1960; H. Reiner, Der S. unseres rationale, theoretische-praktische, logisehe Struktur untersuchen Skepsis, Wissenschaft, Berlin/Heidel-
Daseins, Tübingen 2 1964; G. Frege, si ttliche-religiöse-ästhetische, asser- ( i MetaE). Auf eine spezifisch s. G. berglNew York 2 1969; R. Spaemann,
Über S. 11. Bedeutung, in: G. Patzig torische-apodiktische etc.) beziehen können auch "naturalistische" Theo- Praktische G., in: ders. Zur Kritik der
(Hrsg.), Funktion, Begriff, Bedeutung, sich auf die Weise des Zustande- rien verzichten, die sitt!. Phänomene polit. Utopic, Stuttgart 1977; F. v. Kut-
Göttingen 31969; N. Luhmann, S. als kommens, auf subjektive Erkennt- als naturale Phänomene interpretie- schera, Grundlagen der E, Beflin 1982,
Grundbegriff der Soziologie, in: Haber- nisquellen u. objektives Bezugsfeld Kap. 6; W. Baumgartner (Hrsg.), G. U.
ren, die alle Aussagen über Sitt!. um-
mas/Luhmann, Theorie der Gesellschaft Gewissen, Festschr. f. F. Wicdmann,
sowie auf die Art der Geltung des als formen in Aussagen über Naturvor- Würzburg 1987. M. F.
oder SozialtechilOlogie ... , Frank-
furt/Mo 1971; A. Schütz, Der s.hafte gewiß Behaupteten. Was gewiß ist, gänge, in denen keine sitt1. Prädikate
Aufbau der sozialen Welt ... , Frank- wird sprachüblich als Wissen be- mehr vorkommen U. die von anderen Sittliche Urteilskraft t Klugheit.
furt/Mo 1974, Abschn. 2 U. 3; M. Mül- zeichnet, U. Wissen impliziert den theoretischen Aussagen (naturwis-
ler, S.deutungen der Geschichte, Zürich Anspruch auf Evidenz. All unser Be- senschaftlicher oder metaphysischer Sittlichkeit bezeichnet die uneinge-
1976, Abschn. 1 U. 2. W. V. haupten u. Negieren, Argumentieren, Art) nicht unterscheidbar sind. Jede schränkte Verbindlichkeit, unter der
Ableiten, Widerlegen, Überprüfen ist t normative E hingegen muß die der t Mensch in seinem Verhalten
Sinnlichkeit t Leidenschaft. ein ununterbrochener Rekurs auf Möglichkeit einer spezifisch S. G. an- zu den Mitmenschen, aber auch zur
Sittlichkeit 270 271 Sittlichkeit

Natur u. zu sich selbst steht. S. ist ein auftretenden Anspruch gestellt, rich- einer bestimmten Moral identisch, wendigkeit von Techniken u. Kün-
Anspruch, der im Unterschied zum tig zu sein: Technische oder instru- vielmehr bezeichnet sie den unbe- sten für die menschliche Existenz -
t Recht nicht einklagbar ist u. an- mentelle Verbindlichkeiten richten dingten normativen Anspruch, von diese ist erst dann in sich sinnvoll,
ders als die jeweils herrschende sich gegen sachliche Fehler, durch dem her die Moral ihre Rechtferti- wenn sie sittl.-praktisch geführt
t Moralu. Sitte nicht aufgrund von die ein bestimmtes t Ziel verfehlt gung oder auch Disqualifizierung er- wird. S. zeigt sich im guten u. ,ge-
sozialen Sanktionen, sondern um sei- wird; (sozial-) t pragmatische Ver- fährt. S. schließt deshalb t Moral- rechten Miteinanderhandeln, das
ner selbst willen zu befolgen ist: S. bindlichkeiten verwerfen Ziele, die kritik nicht aus, kann diese vielmehr durch t Erziehung u. Übung zu ei-
wendet sich an den Menschen als zum eigenen Schaden gereichen (von herausfordern, wie es die Kritik an ner die t Leidenschaft beherrschen-
freies Vernunftwesen (t Freiheit). einzelnen oder ganzen Gruppen u. der t Vergeltungsmoral im Namen den Haltung der t Tugend wird u.
Sofern man sich ihrem Anspruch Gesellschaften). Während es in sol- einer Moral der (Nächsten- u. Fein- sich im Ethos der Gemeinschaft dar-
stellt, tut man t das Gu.te, sofern man chen Fällen um begrenzte u. bedingte des-) t Liebe gezeigt hat. stellt. S. realisiert sich hier als Einheit
absichtlich zuwiderhandelt, t das Verbindlichkeiten geht, bezeichnet S. Der nähere Begriff der S. hängt von "Subjektivem", der Tugend des
Böse. Zwar steht der Mensch unter die Dimension des Unbedingten, mit der Grundvorstellung vom Men- einzelnen, u. "Objektivem", dem ge-
mannigfachen biologischen, psycho- durch die menschliche Praxis als schen u. seiner Praxis zusammen. schichtlichen Ethos. Ihr Prinzip ist -
logischen u. soziokulturellen Bedin- ganze verantwortbar ist. Da es will- Aus den Versuchen, S. zu bestimmen, als grundsätzlich nicht mehr über-
gungen (t Determination). Durch kürlich wäre, Fragen der Richtigkeit zwei heraus: (1) Betrachtet bietbares Ziel - das t Glück (eu-
sie ist er aber nicht vollständig fest- auf die Dimensionen des Techni- mit der für die griechische Le- daimonia), sofern es nicht ein quan-
gelegt. Indem er sich zu ihnen in ein schen u. Pragmatischen zu beschrän- bensauffassung exemplarischen Ni- titatives Maximum an persönlichem
Verhältnis setzt u. sie benennt, beur- ken, bezeichnet S. einen unabweis- komachischen E des Aristoteles das u. gesellschaftlichem Wohlergehen
teilt, anerkennt oder verwirft u. auf baren Anspruch. Menschliche Praxis menschliche Tun als spontane Bewe- meint (t Utilitarismus), sondern die
ihre Veränderung hinarbeitet, reali- erschöpft sich nicht darin, Funktion gung auf ein Ziel hin ( t Streben), so Qualität des Sichselbst-Genugseins
siert 'er sich als sittl. Wesen u. zeigt, für anderes zu sein, sondern sucht kann man es nur dann als in sich (autarkeia) eines klugen u. gerechten
daß er über Vernunft nicht bloß im letztlich einen t Sinn in sich selbst. sinnvoll denken, wenn man es nicht Zusammenlebens.
Bereich des Erkennens (theoretische S. ist nicht auf bestimmte Bereiche technisch-pragmatisch versteht. Denn (2) Das Aristotelische Modell ist
Vernunft), sondern auch im Bereich u. Aspekte des Lebens beschränkt, andernfalls käme es nicht auf das nur soweit angemessen, wie mensch-
des Handeins (praktische Vernunft) weder auf t Sexualität noch auf au- Tun selbst, sondern auf sein Resultat liches Handeln tatsächlich ein Ver-
verfügt. Im Unterschied zum Tier ßergewöhnliche t Grenzsituationen; an, bei dem zu fragen wäre, wo- folgen vorgegebener Ziele, ein Stre-
trägt der Mensch für seine Existenz sittl. sein heißt, sein Leben in allen rumwillen es hervorgebracht werden ben, ist. Mit dem Ethos setzt es einen
selbst t Verantwortung. Bereichen verantwortbar führen. Die soll, usf. Es ließe sich kein prinzipiell allgemeinen sozialen Konsens über
S. ist keine Illusion, denn sie ist konkrete sittl. Praxis ist von vielen höchstes Ziel denken, von dem her ein ökonomisch-politisches Normge-
nicht erst dann wirklich, wenn man soziokulturellen Faktoren abhängig. das Tun als ganzes seinen Sinn er- füge voraus, z. B. darüber, welche
in einer Gesellschaft mit der Weil sich diese Bedingungen verän- fährt. Anders ist es, wenn man das Regeln in bezug auf die Verteilung
schlechthin richtigen Moral lebt u. dern, nimmt die S. im Verlauf der Handeln sittl.-praktisch versteht u. von Gütern u. Lasten in einer Gesell-
diese auch stets befolgt. S. beweist Geschichte verschiedene Konkretio- wenn es (nach der Figur einer Rück- schaft gerecht sind. Durch Moral-
ihre Realität schon u. am augenfäl- nen an. S. dokumentiert sich nicht in wendung auf sich selbst) die imma- kritik im Namen von S. wird aber
ligsten dort, wo man über Praxis einer zeitlos u. unfehlbar gültigen nente Vollkommenheit sucht. Letzt- ein gegebenes Ethos in Frage gestellt.
(Einzelhandlungen, Institutionen) ur- Tafel angeblich absoluter Werte u. lich kommt es nicht darauf an, Menschliches Handeln ist demnach
teilt, sie sollte schlechthin nicht so Normen u. wird daher auch nicht Werke zu vollbringen oder Bedürf- komplizierter als nur sittl. "Streben".
sein, wie sie tatsächlich ist. Damit durch den welt- u. geschichtsweit zu nisse zu befriedigen, sondern darauf, In Verschärfung des Problems nimmt
weigert man sich, ein Gegebenes als beobachtenden Wandel (e t Relativ- normativ gebildete Handlungsinten- Kant Grundelemente der vom grie-
bloß Gegebenes anzuerkennen. Die ismus) kompromittiert, vielmehr tionen zu realisieren, z. B. im Um- chischen Denken abweichenden bi-
Praxis wird der Verantwortung der kann ohne ihn S. nicht zu ihrer ge- gang mit Besitz u. Geld nicht primär blisch- i christlichen E auf. Nach
Menschen zugerechnet u. unter den schichtlich angemessenen konkreten Reichtum zu vermehren, sondern Kant besteht S. nicht bloß in der
mit unterschiedlicher Radikalität Darstellung kommen. S. ist nicht mit t gerecht zu sein. Bei aller- Not- Herrschaft über sinnliche Antriebe,
Sittlichkeit 272 273 Situation

sondern in der Unabhängigkeit von grund des Handelns ausmacht ("aus Moralität, die Freiheit, zu geschicht- u. jetzt gut ist, verschieden ausfällt.
ihnen. In einer Radikalisierung der Pflicht handeln"). Moralität doku- lich-politischer Wirklichkeit kom- Die antike Philosophie war der Auf-
im Begriff der S. angesprochenen mentiert sich im i Gewissen, in der men. Allerdings soll damit nicht jede fassung, daß sich das menschliche
Auflösung von Verhaltensweisen als i Gesinnung u. in der Stärke des Form dieser Institutionen gerechtfer- Handeln über das Werden U. Verge-
bloßen Gegebenheiten kommt es vor Vorsatzes, der i Tugend. S. als Mo- tigt werden. Deren Interpretation als hen der Dinge hinaus an einem We-
jedem Verfolgen von Zielen darauf ralität ist indessen keine folgenlose Wirklichkeit der Freiheit setzt viel- sens bestand orientieren könne, der
an, aus einer Distanz zu Zielen diese Innerlichkeit. Mehr als "frommer mehr einen normativen Begriff dieser unabhängig von unserer Auffas-
allererst zu setzen. Das menschliche Wunsch", fordert sie die Aufbietung Institutionen voraus. sungsweise die sitt!. i Ordnung der
Handeln entspricht einem Begehren, aller Mittel, soweit sie in der Gewalt Welt repräsentiert (Kosmosgedanke),
das in einem freien Verhältnis zu sich des Handelnden stehen. Allerdings Lit.: Aristoteles, Nikomach. E; wenngleich sich die Handlung in der
selbst steht, dem autonomen ist dort, wo die Kräfte nicht ausrei- D. Hume, Untersuchung über die Prin- rechten S. (Kairos) realisieren müsse.
i Willen. Prinzip der S. ist nicht der chen u. der Mangel nicht selbst- zipien der Moral; L Kant, Grundlegung Demgegenüber betonen moderne
Inbegriff des Erreichens aller Ziele, verschuldet ist, die Defizienz keine zur Metaphysik der Sitten; ders., Kritik phänomenologische Ansätze, daß
das Glück, sondern der Grund des moralische. - Moralität ist von der der praktischen Vernunft, bes. 1. Buch;
ders., Die Metaphysik der Sitten; man die Aussagen über die Beschaf-
Selbst-Setzens von Zielen, die Frei- Legalität unterschieden, die einer- fenheit der Dinge nicht von der
heit im Sinne von Autonomie. Kant seits, in bezug auf einzelne, die
J. G. Fichte, System der Sittenlehre;
G. W. F. Hegel, Grundlinien der Philo- menschlichen Zugangsweise (i Ver-
denkt die S. im Gegensatz zur laten- Übereinstimmung einer Handlung sophie des Rechts; J. Ritter, Moralität stehen) abtrennen könne, sondern
ten Willkür im handelnden Subjekt, mit dem Sittengesetz ohne Berück- u. S., in: dets., Metaphysik u. Politik, daß sie s.spezifisch seien. Zwar ist
zur Gefährdung vernünftigen Han- sichtigung der zugrundeliegenden Frankfurt/M. 1969; R. M. Hare, Frei- die menschliche Intention von der
delns durch die Macht der i Be- Maxime meint ("pflichtgemäß han- heit u. Vernunft, Diisse1dorf 1973; UmweltS. bestimmt U. motiviert, zu-
dürfnisse, Leidenschaften u. Triebe. deln") und die andererseits, in bezug IC Baier, Der Standpunkt der Moral,
gleich aber erhalten die Dinge durch
S. dokumentiert sich deshalb in der auf die Gemeinschaft, die Sphäre des Düsseldorf 1974; H. Reiner, Die
Grundlagen der S., Meisenheim 1974; die Intention erst ihren umweltlichen
Tatsache des Bewußtseins, zu be- Rechts bezeichnet, die das Dasein Sinn. S. U. menschliche Intention be-
O. Höffe, SittL-politische Diskurse,
stimmten Handlungen verpflichtet zu der äußeren Freiheit regelt. Aus der Frankfurt/M. 1981, Teil I; ders., Kate- stimmen sich daher wechselseitig.
sein ohne Rücksicht auf entgegenste- Legalität einer Handlung kann man gorische Rechtsprinzipien, Frank- Jede menschliche Stellungnahme
hende Antriebe u. Chancen der Ver- nicht auf ihre Moralität schließen, da furt/Mo 1990; ders. (Hrsg.), Grundle- stellt eine Wertung ( i Wert) dar, die
wirklichung (Faktum der Vernunft). die entsprechende Handlung auch gung zur Metaphysik der Sitten, Frank- in die S. eingreift U. sie verändert.
Ihr Anspruch richtet sich an ein We- aus nichtsittl. Motiven entspringen furt/Mo 21993; ders. (Hrsg.), Aristote- Durch solche Weiter bestimmungen
sen, das seine sinnlichen Beweggrün- kann, so der Angst vor sozialer Äch- les, Nikomach. E, Berlin 1995;
W. Kuhlmann (Hrsg.), Moralität U. S., treffen wir stets neue S.en an, die je-
de nicht abstreifen kann, sondern ein tung, gerichtlicher Verfolgung oder
Frankfurt/M. 1986; G. Harman, Das der sittl. t Entscheidung den Cha-
Bedürfniswesen bleibt. S. drückt sich der Strafe im Jenseits. - Während bei rakter des Einmaligen U. Besonderen
Wesen der Moral, Frankfurt/M. 1981;
deshalb in bezug auf den Menschen Kant S. das gleiche wie Moralität J. L. MacHe, E, Stuttgart 1981. O. H. geben. Eine E, die die Bestimmung
in einem Sollen, im i kategorischen bedeutet, führt Hege! aus Kritik am des i Guten ausschließlich von der
Imperativ, aus. Dieser stellt an das imperativischen Charakter von Situation nennen wir die Gegeben- jeweiligen S. abhängig macht U. all-
Sinneswesen Mensch den Anspruch, [(ants Moralität u. unter Rückgriff heiten U. Möglichkeiten unserer na- gemeine i Werte U. i Normen
je neu seine Bedürfnisnatur so radi- auf Aristoteles und das griechische türlichen u. mitmenschlichen (öko- leugnet, nennen wir SituationsE. In-
kal zu überschreiten, daß er im Ethos S. wieder als politischen Be- nomischen, sozialen, politischen U. des bildet jeder Mensch Gewohnhei-
Überschreiten sein eigentliches griff ein, den er von der auf die sub- kulturellen) Umwelt, mit denen wir ten U. Regeln (Maximen) aus, die für
Selbst, seine Vernunftnatur, findet. jektive Seite beschränkten Moralität uns erkennend, i wollend U. typische S.en gleichermaßen gelten.
S. wird bei Kant als Qualifikation abhebt. S. wird zum Inbegriff jener i handelnd auseinandersetzen müs- Darüber hinaus trifft er auf S.en, die
des Subjekts, als Moralität gedacht, bei Kant zur Legalität gehörenden sen. Die Berücksichtigung der S. ist bereits durch Handlungsgewohnhei-
nach der die Übereinstimmung mit i Institutionen i Familie, bürger- deshalb von sitt!. Bedeutung, weil je ten u. Regeln der Mitmenschen
dem Sittengesetz (i Moralprinzip) liche i Gesellschaft u. t Staat. In nach ihrer Beschaffenheit die kon- (gesellschaftliche i Normen) struk-
selbst unmittelbar den Bestimmungs- ihnen sieht Hege! das Prinzip der krete Bestimmung dessen, was hier turiert sind U. einen Zusammenhang
SituationsE 274 Sozialethik

(Kontext) bilden, in den er sich ein- Sozialdarwinismus nennt sich eine der Euthanasie (i medizin. E), u, Prinzipien menschlichen Zusam-
fügen soll. Aber weder die wechseln- pseudowissenschaftliche, sog, rassen- - Der humane Wert des i Lebens menlebens im institutionalisierten u.
den S.en noch die persönlichen oder hygienische Bewegung, die besonders wird nicht etwa auf biologisch halt- nichtinstitutionalisierten Bereich. Die
gesellschaftlichen Regeln allein sind Ende des 19, Jahrhunderts in Europa bare Grundbedingungen, sondern S. im engeren Sinn klammert die
zur Bestimmung des Guten hinrei- verbreitet war, aber erst in den An- auf rassistische Gesichtspunkte re- t Pflichten aus, die der Mensch ,als
chend. Vielmehr bedarf es der Ori- schammgen des Nationalsozialismus duziert, die gegen die menschlichen t Individuum gegenüber anderen
entierung an einem schlechthin gülti- ihren Höhepunkt fand. Der S, lehnt i Grundrechte u, die Selbstentfal- hat, u, konzentriert sich auf die nor-
gen unbedingten Maßstab (i kate- sich äußerlich an den Darwinismus tung der i Person gerichtet sind, malen Fragen der Grundinstitutio-
gorischer Imperativ, i Moralprin- an: Da mehr Einzelwesen jeder Art Der i Mensch gilt lediglich als nen: auf den i Sinn u, die sitt!. an-
zip), der jedoch nur in wechselnden geboren werden, als tatsächlich leben Züchter oder ZuchtmateriaL Für ei- gemessene i Ordnung von i Ehe u,
geschichtlichen Stellungnahmen zu können, sei der Kampf ums Dasein ne Beurteilung von minder- oder t Familie, i Eigentum u, i Wirt-
verschiedenen S.en eingelöst werden notwendig (i evolutionistische E, hochwertigem Leben gibt es weder schaft, i Recht, t Strafe, t Staat
kann. Soziobiologie), Er werde schließlich sitt1. noch wissenschaftliche Kriteri- usw. Die S, stellt die notwendige Er-
von den Wesen mit den vorteilhafte- en, Auch die biologische Konstituti- gänzung zur IndividualE dar, die die
Lit.: ].-P. Sartre, Das Sein u. das ren Anlagen, die sich durch natürli-
Nichts, IV, Teil, Hamburg 1952;
on des Menschen läßt sich nur unter i Verantwortung des Individuums
che Züchtung vervollkommnen, ge- Berücksichtigung seiner sozialen u, gegenüber dem Mitmenschen u, sich
M, Merleau-Ponty, Phänomenologie wonnen, Diese Grundthesen werden
der Wahrnehmung, Berlin 2 1974; p, Ri- personalen Bestimmung verstehen selbst untersucht, ferner die Aufga-
cceur, Le volontaire et I'involontaire, vom S. als soziale Entwicklungsge- (A. Portmann), ben der Gesellschaft gegenüber den
Paris 1948; j. Fuchs, S, u, Entschei- setze zur Erhaltung einer als hoch- Individuen (i Subsidiarität). Auch
dung, Frankfurt/M. 1952; D, v, Hilde- wertig geltenden menschlichen Rasse Lit,: eh. Darwin, Übel' die Entstehung wenn manche Sozial- t Pragmatiken
brand, Wahre Sittlichkeit u, S,E, Düs- verstanden, Das Prinzip des ,Rassen- der Arten, , .,Stuttgart 1974;]. B, Hay- (z. S, i Utilitarismus, auch i kon-
seldorf 1957; 0, Höffe, Praktische wohls' (A. Ploetz) ersetzt das des craft, Natürliche Auslese u. Rassenver- struktive E u, i kritische Theorie)
Philosophie, Das Modell des Aristote- i Gemeinwohls u. dient zur Legi- besserung, Leipzig 1895; A, Ploetz,
dazu neigen, nur die zwischen-
les, Teil Ir, Berlin 2 1996; ]. Barwise, timation der Eugenik: Kranke u. Lei- Rassentüchtigkeit u. Sozialismus, Neue
]. Pcrry, S, ll. Einstellungen, Berlin deutsche Rundschau, 1894; Kritisch: menschlichen Aspekte des i Han-
stungsschwache sollen der ,Zucht- delns für e relevant zu halten, ist dies
1987. A.S. H, Conrad-Martius, Utopien der Men-
wahl' u. der harten sozialen Auslese schenzüchtung, Der S, u. seine Folgen, für die S, nicht spezifisch, u. noch
SituationsE i Situation. zum Opfer fallen, Der extreme S. München 1955; A. Portmann, Biolo- weniger angemessen ist es, nur den
(j. B, Haycraft, A. Tille) fordert die gische Fragmente zu einer Lehre vom institutionalisierten Bereich für e be-
Skeptizismus i Begründung, "Opferung" des einzelnen für Rasse Menschen, Basei/Stuttgart 3 1969;
deutungsvoll zu erachten, - Die S,
u, Volk u, lehnt soziale Maßnahmen H. M. Peters, Historische, soziologische geht davon aus, daß der i Mensch
im Gegensatz zum gemäßigten S, ab. u. erkenntniskritische Aspekte der Leh-
Sklavenmoral i Herrenmoral- Skla- re Darwins, in: Neue Anthropologie, keine beziehungslose Monade, son-
venmoral, Lebensphilosophie. Beide Strömungen stehen im Gegen- dern "von Natur aus" ein soziales u,
satz zum i Sozialismus. - Die An- hrsg. v, H.-G. Gadamer u. a., Bd.1,
Stuttgart 1972; H. W, Koch, Der S" politisches Wesen ist: Aufgrund an-
Skrupellosigkeit' i Hemmung, schauUlIgen des S. reichen von einer seine Genese u. sein Einfluß auf das thropologischer Bedingungen wie der
freiwillig an rassischen Prinzipien imperialistische Denken, München i Sexualität, des Mangels an i In-
Solidarität i Wohlwollen, orientierten Wahl des Gatten bis zur 1973; H. G. Marten, Sozialbiologis- stinkten u. der Sprachbegabung ist
wissenschaftlichen Keimauslese u. mus, Frankfurt/M. 1983. W. V, der Mensch teils zum nackten Über-
Solidaritätsprinzip i Christliche E. künstlichen Züchtung des Menschen, leben als Individuum u. als Art, teils
für die jedoch keiner Wertmaßstäbe Sozialer Friede i Friede. zum angenehmen Leben, teils zur
Solipsismus t Kommunikation. entwickelt, sondern die vagen Kenn- Persönlichkeitsbildung, Selbstach-
zeichen der sog. ,arischen' Rasse ge- Soziale Integration i Sozialisation, tung u, Selbstverwirklichung auf Ko-
Sollen i Pflicht, fordert wurden. Der S, fördert Ras- operation: auf die Hilfe u, Anerken-
sismus u, Antisemitismus ( i Diskri- Sozialethik. Die S. in einem weiteren nung von anderen u. die Auseinan-
Sowjetische E i Marxistische E. minierung); er diente zur Rechtferti- Sinn untersucht die sittI. i Normen dersetzung mit ihnen, angewiesen,
Sozialisation 276 277 Sozialisation

Auf der anderen Seite ist das Mitein- politische Ordnung in ihren ver- nennen diejenige Phase "primäre Ihre ungeschiedene Mutter-Kind-
anderleben nicht durch angeborene schiedenen Bereichen u, Aspekten Sozialisation", in der ein beginnen- Einheit (Wahrnehmung von Teilob-
Verhaltensmuster gesichert, sondern des näheren auszugestalten ist, Bei des menschliches Wesen die Grund- jekten) wird allmählich von der Rea-
durch unterschiedliche i Bedürfnis- deren konkreter Bestimmung durch qualifikationen des HandeIns der litätserfahrung (Individuation) abge-
se u. Interessen, durch die Knappheit die Gesetzgebung ist auf die Bedürf- Person erwirbt, u. "sekundär" die- löst. Zunächst stehen Tast-' U.
aller Güter sowie durch i Leiden- nisse, Interessen u, Sinnvorstellungen jenige, in der es zur ausgebildeten Gesichtswahrnehmung im Vorder-
schaften wie t Neid, Eifersucht u. der Betroffenen in ihrer besonderen Handlungsfähigkeit neue Qualifika- grund. Das blickerwidernde Lächeln
Haß bedroht. Ohne entsprechende sozio-ökonomischen u. geschichtlich- tionen hinzuerwirbt. Dabei werden des Säuglings kann als erstes Indiz
Erziehung, Selbstkontrolle u, institu- kulturellen i Situation Rüdesicht zu auch die Qualifikationen des t gut einer intentionalen Erlebnisform an-
tionelle Vorlcehrung gelingt weder nehmen, wofür die Erkenntnisse der oder i böse HandeIns erlernt, mit- gesehen werden, die Aussonderung
das Überleben noch das i glückliche Wirtschafts- u, Humanwissenschaf- hin die moralische Urteilsfähigkeit der Mutter als Individuum in der
Leben, ten dienlich sind. im Kind ausgebildet. - Philosophi- sog. Acht-Monateangst als erste
Die S. stellt menschliche Kommu- scher Ausgangspunkt einer S. theorie explizite Sozialbeziehung. Die Unge-
Lif.: Aristoteles, Politik, Buch I;
nikation u, Interaktion unter die ist das Verständnis des i Menschen sichertheit der Bedürfnisbefriedigung
Th. Hobbes, Vom Bürger, bes. Kap. 1
Grundkriterien von politischer u. 2; 1. Kant, Metaphysik der Sitten; als eines i Bedürfniswesens, das in außer halb des Blickkontakts mit der
t Freiheit u, t Gerechtigkeit (hier G. W. F. Hegel, Grundlinien der Philo- seiner Umwelt Befriedigung zu errei- Mutter nötigt zur Entwicklung der
verstanden als Prinzip des Rechts, sophie des Rechts; J. S. Mill, Über die chen sucht. Unter diesem Gesichts- dritten S.stufe (ab dem "15. Lebens-
nicht der i Tugend). Durch sie wird Freiheit, bes. Kap. 3 u. 4; Th. Litt, In- punkt können sowohl die biologi- monat), in der sich die S. des Men-
ein in sich sinnvolles Zusammenk- dividuum u. Gemeinschaft, Leipzig schen Voraussetzungen der Reifung schen endgültig vom Tier trennt: die
ben möglich, das auf der wechselsei- J 1926; A. F. Utz, Bibliographie der S., Sprache, Diese wird im Kontext mit
wie die psychologischen der Ent-
tigen Anerkennung der Menschen als Freiburg 1956ff; T. Rendtorff, A. Rich wicklung U. die soziologischen der Handlungen erlernt. Im Unterschied
(Hrsg.), Humane Gesellschaft, Zürich
t Personen gleicher Würde basiert 1970; ]. Rawls, Eine Theorie der Ge- Interaktion integriert werden, zu den tierischen Signalen, die an
u. in dem i Konflikte nicht nach rechtigkeit, Frankfurt/M. "1975; Der primäre Teil der S. gliedert identische Situationen (z. B. Gefahr)
den jeweiligen Machtverhältnissen, O. Höffe, Sittl.-polit. Diskurse, Frank- sich in drei Organisationsstufen. In gebunden sind, ist die Sprache sym-
sondern aufgrund allgemeiner Geset- furt/Mo 1981, Teil I; ders., Politische der coenästhetischen oder autisti- bolisch: Ihre Handlungsanweisungen
ze geregelt werden, die einer gleichen Gerechtigkeit, Frankfurt/M. 1987; schen Phase (1.-3. Lebensmonat) können auf analoge Situationen an-
u, wechselseitigen Einschränkung u. ders., Vernunft u. Recht, Frankfurt/M. steht die Bedürfnisbefriedigung nach gewandt u. daher in ein Netz von
Sicherung des individuellen u. grup- 1996; Handbuch der christI. E, 3 Bde., Art des intrautrinären Lebens im Bedeutungen eingebettet werden. -
penmäßigen Lebensraumes dienen. Freiburg u.a. 1978-1982; F. Furger, Vordergrund. Körperempfindungen Das Erlernen der Sprache in Einheit
Zu den Prinzipien einer S. gehören J. Wiemeyer (Hrsg.), Christliche S. im (Sensationen) zeigen die steigende mit bestimmten Interaktionsformen
weltweiten Horizont, Münster 1992.
auch Solidarität ( t Wohlwollen) als G.R. Spannung (Anwachsen der Unlustge- ist gleichzeitig auch mit einer effekti-
Mitgefühl u, Hilfe für Notleidende u, fühle) u, Entspannung (Lust: ven Wertung als lieb oder freundlich,
Unterdrückte sowie i Toleranz als Sozialisation nennen wir ein Inter- i Freude) im Säugling an, während als gut oder böse verknüpft. In den
Achtung andersartiger Anschauun- aletionsgeschehen, in dem der her- die Wahrnehmungsorgane noch Geboten U. Verboten der Eltern,
gen u. Handlungsweisen. - Als Prin- anwachsende Mensch ebensosehr in durch hohe Reizschwellen geschützt speziell in der Geste des "Nein"
zip der Unantastbarkeit der Würde die Regeln gesellschaftlichen Lebens sind. Die Bedürfnisbefriedigung er- werden sie explizit gemacht. Daran
des Menschen, als t Grundrechte u, eingeführt wird U. seine Rollen er- folgt nach Art des Reiz-Reaktions- knüpft sich für das Kind die Unter-
als normative Leitprinzipien wie das lernt wie er sich in Verinnerlichung musters mit dem Vorrang des affek- scheidung des i Ideals von der
Gebot, den demokratischen u. sozia- U. Auseinandersetzung mit ihnen tiven Lebens. Versagungen nötigen Wirklichkeit, des Sollens vom Sein U.
len Rechtsstaat zu verwirklichen, zum t Individuum ausbildet. Soziale zum Übergang in die zweite Phase, damit die Genese des moralischen
sind die Grundforderungen der S, in Integration (i Gesellschaft) u. In- die durch Ausbildung des wahrneh- Urteils. Dieses entwickelt sich in den
die Verfassungen moderner Staaten dividuierung bilden die beiden sich mend-intentionalen Bewußtseins be- drei Stufen: a) Orientierung an äuße-
eingegangen u. stellen die Grundkri- gegenseitig bedingenden Momente stimmt ist (diakritische oder symbio- ren Sanktionen u. deren Folgen, b)
terien dar, nach denen die soziale u. dieses Entwicklungsgeschehens. Wir tische Phase: 3.-15. Lebensrrionat). Sich-bestimmen-Lassen von der eta-
Sozialismus 278 Spiel

blierten i Autorität (Verhaltensfor- Soziobiologie heißt die Interpretation bei höheren Wirbeltieren auch einen Erhaltung seines i Lebens notwen-
mung), c) Verinnerlichen der Prin- des Sozialverhaltens von Tier u. "reziproken Altruismus", bei dem dige Bearbeitung der t Natur hin-
zipien u. deren flexible Anwendung Mensch aus der Sicht der biologi- nicht-verwandte Individuen einander aus ( i Arbeit) in freier Weise seine
auf die konkrete i Situation. Die schen Evolutionstheorie (in Verbin- in überschaubarer Zeit vergleichbare formgebenden Fähigkeiten in Aus-
Verbote gehen dabei ins Über-Ich, dung mit der Neurophysiologie); der Vorteile verschaffen, Die Anwen- einandersetzung mit dem Stoff, er-
die Gebote ins Ich-Ideal ein. Bei Begriff S. wurde von E. 0, Wilson dung der S. auf den Menschen ist probt. Die Möglichkeit des S. ist da-
Strenge oder Nachgiebigkeit der Au- (1975) geprägt. Ihre Grundannahme höchst kontrovers (z. B. bei der Frage her von der Beschaffenheit der Ar-
toritäten (Verhaltenssteuerung) wird lautet, daß auch soziales Verhalten nach einer genetischen Bedingtheit beitswelt abhängig, weil die Arbeit
das Über-Ich übermäßiges Schuld- der natürlichen Selektion unterliegt. geschlechtsspezifischen Rollenverhal- die Bedingungen für den Freiraum
bewußtsein hzw. Strafbedürfnisse Trifft dies zu, so muß es sich in evo- tens oder nach einem "Gen für Ar- der Muße schaffen muß (Lösung des
(übersozialisiertes Verhalten) oder lutionstheoretischen Begriffen dar- mut"); vor allem aus zwei Gründen Problems der Selbsterhaltung) u. weil
im Falle labilen Verhaltens ein man- stellen lassen. Reduktionistisch ver- ist hier Vorsicht geboten: Zum einen sie, solange sie die Kräfte des Men-
gelndes Normenbewußtsein (asozia- standen, müßte die S. sogar zu einer dürfte es angemessener sein, Men- schen in einseitiger Weise bindet, die
les Verhalten) ausbilden, was zu star- Ablösung der bisherigen Humanso- schen als "genetisch disponiert" Notwendigkeit eines Ausgleichs u,
ke t Hemmungen oder aber Hem- ziologie durch eine strikt naturwis- denn als "genetisch determiniert" zu einer Ergänzung des Menschseins in
mungslosigkeit zur Folge hat. In dem senschaftliche Sozialtheorie führen. bezeichnen; eine restlose Erklärung der Freizeit hervorruft. Die Arbeit
Maße, wie sich die elterliche Erzie- Die Basis der evolutionären Betrach- kultureller, besonders ethischer Phä- muß daher im Unterschied zu Hui-
hungspraxis an Realerfordernissen tungsweise der S. bildet die Konzep- nomene mittels der S. scheint un- zinga als die grundlegende Bedin-
orientiert, werden die verinnerlichten tion einer "Genselektion" (nicht et- plausibel. Zum anderen ist bei der gung der i Kultur angesehen wer-
Verbote dem Selbst einen i Ent- wa einer Gruppen- oder Individuen- Diskussion der S. innerhalb der den. Innerhalb der durch sie fest-
scheidungsspielraum freilassen u. selektion). In älteren darwinistischen t evolutionären E jeder naturalisti- gelegten Grenzen überschreitet je-
damit ein relativ autonomes i Ge- Theorien ist das "altruistische" Ver- sche Fehlschluß zu vermeiden; auch doch das S. den Bereich der Notwen-
wissen u. soziales Handeln ermögli- halten zahlreicher Tiere unerklärbar; wenn sich Verhaltensgrundsätze mit digkeitzugunsten einer freieren u. um-
chen. theoriegemäß müßte es innerhalb der Hilfe der S. empirisch erklären lassen fassenderen Realisierung des Mensch-
Evolution verschwinden, da es sich sollten, folgt daraus nicht, daß sie lichen (t Humanität), das im S. auf
Lit.: R. Spitz, Vom Säugling zum auf die Chancen der es praktizieren- gut, gültig, wünschenswert oder seine vollen Möglichkeiten vorgreift.
Kleinkind, Stuttgart 4 1974; ]. Piaget, den Individuen u. Gruppen im Se- richtig sind, Dies wird bereits deutlich in den von
Das moralische Urteil beim Kinde,
Frankfurt/M. 1973; A. Lorenzer, Zur lektionswettkampf i. d. R. nachteilig der Funktionslust bestimmten S.en
Begründung einer materialistischen auswirkt, Die von der S. geprägten Lit.: eh. Dal'win, Die Abstammung des der Kinder 11, dem Wettstreit der
S.theorie, Frankfurt/M. 1972; J. Ha- Begriffe Verwandtschaftsselektion Menschen; ders" die Entstehung der Heranwachsenden, ebenso wie im
bermas, Stichworte zu einer Theorie (kin selection) u. Gesamtfitness (in- Arten; E. O. Wilsol1, Sociobiology. The künstlerischen u. kultischen S. der
der S., in: ders., Kultur u. Kritik, clusive fitness) erlauben es hingegen, New Synthesis, Cambridge, Mass.l Erwachsenen, das sich im Fest er-
Frankfurt/M. 1973; D. Geulen, Das in der Begünstigung ähnlicher Gen- London 1975; R, Dawkins, Das egoi- eignet. Voraussetzung dafür sind
vergesellschaftete Subjekt. Zur Grund- Ausstattungen einen wichtigen Selek- stische Gen, Hamburg 1996 (eng!. freilich neben dem Freisein vom
legung der S.theorie, Frankfurt/M. 1976); D, p, Barash, Sociobiology and
tionsvorteil zu sehen; Individuen be- Selbsterhaltungsdruck eine differen-
2 1989; H. Veith, Theorien der S., Frank- Behavior, London/New York 1977;
furt/M.I New York 1996. A. S, günstigen demnach genetische Ver- F. M. Wuketits, Gene, Kultur u. Moral, zierte Umweltbeziehung u. ein Ge-
wandte - eine Behauptung, die sich Darmstadt 1990; K. Bayenz (Hrsg.), meinschaftsbewußtsein (Portmann).
Sozialismus i WirtschaftsE, empirisch eindrucksvoll bestätigen Evolution u. E, Stuttgart 1993; Die Arbeirsaskese der bürgerlichen
läßt. Auf diese Weise erscheint nicht W. Lütterfelds, T. Mohrs (Hrsg.), Evo- i Gesellschaft u, die modernen
SozialistischeE t Marxistische E. mehr das Individuum als Nutznießer lutionäre E zwischen Naturalismus u, Technologien haben dagegen dem
der Evolution; es dient als bloße Idealismus, Darmstadt 1993, C. H. Menschen einerseits das Bewußtsein
Sozialpragmatik t Pragmatik. "Überlebensmaschine" für Gen-Aus- der Selbstbestimmung u. i Freiheit
stattungen. Neben verwandtenbezo- Spiel meint eine Tätigkeit des (Autonomie) u. damit der nahezu
Sozialstaat t Staat. genem Altruismus gibt es allerdings i Menschen, in der er über die zur unbegrenzten Fähigkeit des Herstel-
Spieltheorie 280 281 Spiritualität

lens u. Machens vermittelt, ihn aber Lit.: F. Schiller, Über die ästhetische Wcltinterpretation, die sich in den voraus u. beinhaltet eine emotional
andererseits seiner natürlichen Um- Erziehung des Menschen, bes. 15. u. Antithesen von Gott-Welt, Geist- besetzte, affirmativ sich versenkende
welt t entfremdet. Dadurch ist er in 23. Brief; F. J.]' Buytendijk, Wesen u. Leib, Irdisches-Jenseitiges, Licht- Betrachtung der Heilstaten Gottes in
Sinn des S., Berlin 1934; ]. Huizinga, Geschichte u. endzeitlicher Zukunft,
das Dilemma geraten, daß die Frei- Finsternis dokumentiert, beinhaltet
Homo Ludens. Vom Ursprung der Kul-
heit des Formierens gleichzeitig eine tur im 5., Hamburg 1956, H. Rahner, S. die gedankliche, emotionelle, wil- die zugleich die persönliche Bezie-
Ausbeutung der Natur als Material Der spielende Mensch, Einsiedeln lentliche u. lebenspraktische Loslö- hung (nach Nähe u. Ferne) zu diesem
bedeutet, ebenso wie in ihm die Ver- 1952; E. Fink, S. als Weltsymbol, sung von dieseitsorientiel'ten Interes- von Gott angebotenen u. eröffneten
wirklichung der t Vernunft einer Stuttgart 1960; 1. Heidemann, Der Be- sen, derart, daß man den Gütern übernatürlichen Leben bewußt-
Unterdrückung der Sinnlichkeit griff des 5., Berlin 1968; G. Lukiics, "dieser Welt" gegenüber eine Indif- macht. Ist Askese der Stufe der Läu-
(t Leidenschaft), die Erfüllung der Geschichte u. Klassenbewußtsein, ferenz entwickelt, die einen jederzeit terung zugeordnet, so korrespondiert
t Pflicht den t Verzicht auf die Neuwicd-Berlin 1970, S.245-267; gelassenen Verzicht auf sie "um des Meditation der Stufe der Erleuch-
A. Portmann, D. Kamper, Das S. in
Neigungen einschließt "(Kant). Diese Himmelreiches willen" ermöglicht. tung. Einigen wenigen gelingt auf
biologischer u. philosophischer Sicht,
Entzweiung der Praxis sucht Schiller Merkur Bd.9, 1975; J. Piaget, Nach- (Die Befreiung von der Verfangen- dem Wege kontemplativer Versen-
dadurch zu überwinden, daß er Ver- ahmung, S. u. Traum, Ges. Werke heit in die "Welt" hat nicht not- kung die Stufe der Einigung, des my-
nunft u. Sinnlichkeit im Ästhetisch- Bd.5, Stuttgart 1975; W. Heusmann, wendig deren Verachtung zur Folge; stischen Erlebnisses, das durch die
werden des Menschen vereinigen will. K. Lotter (Hrsg.), Lexikon der Asthe- sie wird nur von einem Standpunkt Minderung des Abstandsgefühls,
Die Kunst soll das Auseinanderfallen tik, München 1992. jenseits der "Welt" aus erlebt u. ge- durch beglikkende Partizipation am
von Form- u. Stofftrieb durch Ver- A. S. deutet.) Aus diesem Grundzug christ- bzw. Verschmelzung mit dem göttli-
wirklichung des S.-triebs überwinden, licher S. resultiert die Bestimmung chen Leben gekennzeichnet ist.
da der Mensch nur da ganz Mensch Spieltheorie t Entscheidungstheorie. der einzelnen Momente, die ein gei- (Obwohl der Begriff der S. im christ-
sei, wo er spielt. Eine E, die die Rea- stiges Leben konstituieren. Als vor- lichen Sprachraum beheimatet ist,
lisierung des t Guten an das Her- Spiritualität ist kein philosophischer zügliches Mittel irdischer Abtötung hat die ihm korrespondierende Pra-
vorbringen der schönen Gestalt (An- Begriff, sondern ein Wort der christ- u. läuternden Aufstiegs galt u. gilt xis der Askese, der Meditation u. der
mut) bindet, heißt ästhetische Moral. lich-religiösen Bildungssprache, die die Askese (t Verzicht): d.h. negativ Mystik ihre Parallelen in anderen
Für Schiller wird sie zum Modell für sich mit religiöser Erba uung, asketi- die (dauernde bzw. zeitweilige) Ent- Religionen, so vor allem im Bud-
menschliche Praxis überhaupt. Da- scher Praxis u. gläubiger Frömmig- haltung bzw. Beschränkung von dhismus: t buddhistische E, u. Hin-
mit wird das Problem aufgeworfen, lceitsübung befaßt. Im allgemeinen Schlaf, Essen, Kleidung, Gemein- duismus: t hinduistische E.) Zwar
ob die Kunst zum Modell der Ar- meint es jenen religiös-sittl. Grund- schaft mit anderen, Sprache, Besitz, bieten die geschichtlichen Erschei-
beitswelt werden kann oder nur de- habitus, der ein "Leben nach dem Geschlechtsgenuß etc., positiv die nungsfonnen christlicher S. ein brei-
ren Abbild darstellt. Idealismus u. Geist" (geistliches Leben) im Gegen- körperliche Peinigung durch sich tes, variantenreiches Spektrum, doch
Realismus sind in der Kunst die satz zu einem "Leben nach dem Flei- selbst oder andere (sie wird in der von Anfang an ist der gegen die
Antwort darauf. Während der Idea- sche" (dem Leben des unerlösten, Moderne meist abgelehnt). Das Le- "Finsternis der Welt" gerichtete
lismus dem S. freien Lauf läßt, schei- selbstbezogenen, auf natürliche In- ben nach dem Fleische wird abgetö- Grundzug dominant. Märtyrer, As-
tert er am fehlenden Realitätsgehalt. teressen beschränkten Menschen) be- tet, um ein geistliches Leben freizu- keten, Jungfrauen u. Mönche waren
Hingegen bedeutet die strikte Bin- stimmt. S. bedeutet so das Ergriffen- setzen. Zugleich wird der Mensch in stets die großen Leitbilder christli-
dung der Kunst an die getreue Wie- sein vom Hl. Geist, das lebendige symbolischer Weise mit dem getöte- cher Frömmigkeit. In der Antike
dergabe der Wirklichkeit den Verlust Erfaßtsein von der Heilswirklichkeit ten Gott geeint, um sich mit dem (Klemens v. AlexandreiaJ, in Mittel-
der Spontaneität u. Phantasie. Künst- t Gottes. S. ist also keine theoreti- Auferstandenen einigen zu können. alter (Thomas v. Aquin), t Huma-
lerische Phantasie u. Wirklichkeits- sche, sondern eine praktische Kate- Diese asketische Praxis wird teils nismus (Erasmus v. Rotterdam,
bezug müssen ebenso in einem diffe- gorie u. bezeichnet zumeist die begleitet, teils abgelöst durch eine Franz v. Sales), Reformation (Lut-
renzierten Wechselverhältnis gesehen Grund- t Tugend eines christlichen spezifische Form der Frömmigkeit: her, Cafvin) finden sich Ansätze, eine
werden, wie S. u. Arbeit aufeinander Lebens überhaupt. Auf dem Hinter- die Meditation. Sie setzt bereits ein dem "Weltauftrag" zugeordnete S.
einwirken müssen, ohne daß sie auf- grund einer mehr oder weniger a us- gewisses Maß an Freiheit von der des "Laien" zu entwickeln (beispiel-
einander reduziert werden könnten. geprägten dualistischen Daseins- u. Verfallenheit an irdische Interessen haft hierfür ist die reformatorische
Sprachenanalytische E 282 283 Staat

Interpretation des weltlichen Berufes Sprache i Kommunikation. Erhaltung der naturgesetzlieh veran- konzipiert war (Locke), unmöglich
als Berufung: i BerufsE); hierzu ge- kerten Prinzipien der i Gleichheit, macht. Dabei sind jedoch Freiheit,
hört auch die katholische Bemühung Staat. Der S. hat als politische u. or- des i Lebens u. der i Freiheit der Gleichheit u. Selbständigkeit unab-
um eine christliche i SozialE im 19. ganisatorische Einheit u. i Ordnung Menschen u, ihres durch i Arbeit dingbare Attribute des S.bürgers.
u. 20. Jh. (J. M. SaUer, Leu XIII, Pi- einer i Gesellschaft sittl.-anthropo- geschaffenen i Eigentums dienen Ziel der republikanischen Verfassung
us XI, Pius XII) u. um eine politische logische, rechtliche (i Recht), öko- soll (Locke). Der S. ist zwar Mono- ist nicht das Wohl u. Glück des Bür-
Theologie (J. Moltmann, J. B. Metz); nomische, sozio-kulturelle u. geogra- pol der Macht, soll aber durch das gers, sondern das "Heil des S,", die
doch bleiben diese Versuche häufig phisch-ethnische Bedingungen. Die System des i Rechts den einzelnen "größte Übereinstimmung der Ver-
(vor allem im Katholizismus) hinter unterschiedlichen S,theorien geben vor der widerrechtlichen i Gewalt fassung mit Rechtsprinzipien"
den monastischen Idealen zurück jeweils einigen dieser Bedingungen anderer Individuen u. Gruppen u. (Kant). Die Gerechtigkeit wird auf-
oder haben nur deren Anpassung an höhere Bedeutung als den anderen. - selbst des S. schützen. Die Trennung grund des Prinzips apriorischer
veränderte soziale u. k~lturel1e Ge- Die Theorien des idealen S. geben von s.1iehen u. individuell-sozialen Rechtfertigung von Rechtsansprü-
gebenheiten zum Inhalt (wie etwa bei den sittl.-anthropologischen Bedin- Interessen dieses auf seine Rechts- u, chen als "öffentlich kundbar" ge-
eh. Foucauld u. R. Schutz). gungen den Vorrang; sie konstruie- äußeren Machtfunktionen beschränk- dacht (Prinzip der Publizität), u. je-
ren den besten S. entweder als Ein- ten S.begriffs (MinimalS.) wird auf- des Unrecht soll nach diesem Kri-
Ut.: Klemens v. Alexandreia, Paidago- heit analog zum Menschen, in der gehoben, wenn der allgemeine Wille terium "durch ein Experiment der
gas; Augustimts, Confessiones; Bona- das i Glück aller unter der i Herr- als Wille der Mehrheit mit dem S. reinen Vernunft" unmittelbar er-
ventura, Itinerarium mentis in Deum; schaft des i Guten, der i Gerech-
Meister Eckhart, Reden der Unter- identifiziert wird (Rousseau). Das kennbar sein. In dieser S.theorie soll
tigkeit u. i Wahrheit durch i Er- Recht ist dann nicht mehr nur Funk- das pflichtgemäße Handeln (Legali-
scheidung; Thomas v. Kempen, Nach-
folge Christi; Ignatius v. Loyola, Exer- ziehung erreicht werden soll (Platon) tion s.licher Macht, sondern formal tät), nieht aber die Gesinnung des
zitien; Franz v. Sales, Les vrays oder als Vielheit u. Gemeinschaft, mit ihr identisch. Die politische Ge- einzelnen (Moralität) durch Erzie-
entretiens spirituels; Bossuet, Oraisons die von der besten i Verfassung mit meinschaft wird als handelndes Sub- hung ,von oben' gesteigert werden.-
funebres; FenClon, Traite de I'education dem Ziel des Glücks jedes einzelnen jekt analog der natürlichen Person Diese Trennung zwischen der sittt.
des filles; ders., Maximes de Saints; zu einem Ganzen geformt wird, in des Monarchen gedacht (Souveräni- Natur des Rechts u. dem sittl. Wesen
P. Pourrat, Spiritualite chretienne I-IV, dem quantitative Verhältnisse (Ar- tät), deren Handlungen der Gesell- des Menschen ist dann überwunden,
Paris 11921-1928; A., Farges, Voies mut-Reichtum) u. qualitative Kriteri-
ordinaires de la vie spirituelle, Paris schaftsvertrag Verbindlichkeit ver- wenn der S. nicht nur rechtlich, son-
en (Herrschaft der Besten) ein leiht. Der Zweck des "Spiels der dern auch sittl. zum System wird, in
1925; R. Garrigou-Lagrange, Les trois
ages de la vie interieure, 1-11, Paris Gleichgewicht bilden (Aristoteles). Staatsmaschine" (Rousseau) ist es, dem das Einzelinteresse u. die mora-
1938; E. d'Ascoli, Spiritualita pre- Das vernünftige u. politische Wesen den einzelnen auch gegen seinen Wil- lischen Prinzipien "aufgehoben" u.
crestiana, Brescia 1952; J. Gauthier, des Menschen ermöglicht die Gel- len zu zwingen, frei zu sein. vereinigt sind. Der S, als "Wirklich-
Spiritualite catholique, Paris 1953; tung der Gerechtigkeit u. der ange- Die idealistischen S.theorien grei- keit der sittlichen Idee" u. als "göttli-
R. Guardini, Der Herr, Paderborn borenen u. anerzogenen i Tugenden fen die rechtlichen Elemente der in- che Idee, wie sie auf Erden vorhan-
1J 1964; eh. Foucauld, Oeuvres spiri- als Prinzipien des S. strumentalistischen auf u. leiten sie den ist" (Hegei), verbindet das
tuelles, Paris 1958; R. Spaemann, Re- Die instrumentalistischen S,theo-
flexion u. Spontanität Studien über von den anthropologischen Prinzipi- Selbstbewußtsein des einzelnen u. die
rien stellen die rechtlichen u. öko- en des Menschen als eines Ver- Freiheit aller zu einer Einheit.
FeneIon, Stuttgart 1963; H. Dumoulin,
Östliche Meditation u. christliche My- nomisch-sozialen Bedingungen des S. nunftwesens ab. Der Gesamtwille als Die Theorie des Rechts-S. vereinigt
stik, Freiburg 1966; Glaubenserfahrung in den Vordergrund. Danach ist der Handlungssubjekt entstammt nun "a Elemente der idealistischen S.theo-
u. Meditation. Wege einer neuen S., S. Ergebnis eines i Gesellschaftsver- priori aus der Vernunft" (l(ant). Er rien u. legt sie institutionell aus. Die
FreiburglBaselfWien 1975; G. Ruh- trags, der einerseits dem Überleben wird vom aufgeklärten Herrscher, Garantien von i Eigentum, Ver-
bach, J. Sudbrack (Hrsg.), Große My- der im Naturzustand sich wech- dem "personifizierten Recht", wahr- trags- u. Gewerbefreiheit wie auch
stiker, München 1984. M. F. selseitig bedrohenden i Individuen genommen u. verwirklicht. Ihm ge- die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung
mit der Zustimmung aller (Konsens) genüber haben die Bürger absolute sind rechtsstaatliche Kriterien, die
Sprachen analytische E i MetaE, u. der Sicherung ihrer individuellen Gehorsamspflicht, die ein Recht auf zwar von der Erklärung der i Men-
Methoden der E. Interessen (Hohbes), andererseits der Widerstand, wie es zuvor' bereits schenrechte beeinflußt sind, aber zu-
Staat 284 285 Standesethik

nächst primär unter den Bedürfnis- fentlichen Fürsorge, wie sie der die Macht des S. ihre Grenzen u. ehen 1976; E. W. Böckenförde, 5., Ge-
sen der liberalen Konkurrenzgesell- Wohlfahrts-So anstrebt, erhöht nicht wird unkontrollierbar (J. S. Mill). sellschaft, Freiheit, Frankfurt/M. 1976;
H. Krings, S. u. Freiheit, Freiburg i. Br.
schaft (t WirtschaftsE) ausgelegt per se die Partizipation der Bürger U. Freiheit muß, um Kriterium für die
1980, S.185ff; P. Koslowski u.a.
werden. Auch hier gilt der S. noch gewährleistet weder die individuellen Kontrolle staat!. Gewalt zu sein, (Hrsg.), Chancen u. Grenzen des Sozi-
als handelndes Subjekt (G. Jellinek); noch die sozialen U. ökonomischen über ihren theoretischen Charakter aIS., Tübingen 1983; O. Höffe, Polit.
er ist aber, wie auch neuerdings wie- Entfaltungsmöglichkeiten. Eine ge- als kritisches Prinzip hinaus einen Gerechtigkeit. Grundlegung einer krit.
der von neoliberalen S.theorien rechte Verteilung ist nicht unabhän- sozialen u. individuellen Glückswert Philosophie von Recht u. 5., Frank-
(R. Nozick) vorgeschlagen wird, von gig von der Steigerung des Sozial- haben. Sie muß daher einerseits eine furt/Mo 1987; ders., Vernunft U. Recht,
ökonomischen u. sozialen Aufgaben produkts möglich. konkrete Gestalt haben, um als kriti- Frankfurt/M. 1996, Teil 11; H. Willke,
befreit (Minimal-S.). Dieser Vorrang Eine Hypostasierung des S. im sches Prinzip ein gesetzlicher Maß- Ironie des S.es, Frankfurt/M. 1992.
W. V.
des formalen Rechts wird im sozia- Sinne der instrumentalistischen u. stab der Beurteilung freiheitlichen
len Rechts-S. (Art. 28, 1 GG) über- idealistischen Theorien birgt sowohl Verhaltens in S. u. Gesellschaft zu
wunden, indem über die Gewaltver- die Gefahr des totalen S. wie die der sein; sie muß andererseits konkret StaatsE t Gerechtigkeit, Staat.
teilung u. die Unabhängigkeit der Auflösung staatlicher Ordnung in sein, um sich selbst in ihrer jeweils
Rechtsprechung als formale Kriterien Anarchie u. i Revolution. Beide be- unzureichenden Gestalt kritisieren u. Standesethik. Die S. bestimmt die
des Rechts-S. hinaus die materialen gründen die Notwendigkeit des Ab- damit neue Maßstäbe ihrer Verwirk- sitt1. q Pflichten der Menschen unter
Aufgaben der Sicherung der Kon- sterbens des S. damit, daß der hy- lichung setzen zu können. Berücksichtigung ihrer sozialen Stel-
sumbedürfnisse u. des i Gemein- postasierte S. nicht legitimierbar ist. lung (z. B. als Vater, Arzt, Beamter
wohls institutionell gesichert werden: Zur Abwendung dieser Gefahr Lit.: Platon, Der 5., Buch V-VII; Ari- etc.), ihrer Funktionen U. Leistungen
Die Identifikation von S. u. Rechts- macht die t Verfassung unserer stoteles, Politik, Buch I-III; T. Hobbes, in t Familie, Beruf (t BerufsE) U.
ordnung wird im Sozialstaat (Art. 20 t Demokratie die Würde (t Huma- Leviathan, Kap. 17-24; ]. Locke, Über t Gesellschaft. Die Stände entspre-
u. 28 GG) aufgehoben, der verpflich- nität) u. Freiheit des Menschen zum die Regierung, Kap. 7-14; J.-J. Rous- chen dem jeweiligen sozialen Status,
tet ist, soziale Gegensätze auszuglei- absoluten Maßstab der Rechtferti- seau, Der Gesellschaftsvertrag, Buch I, bestimmten Fähigkeiten U. Bildungs-
chen, eine gerechte Sozial ordnung gung staatlichen HandeIns. Der S. Kap. 5-8; l. Kant. Über den Gemein- niveau. Die ihnen entsprechenden
spruch ... , 11; ders., Zum ewigen Frie-
u. sozialen t Frieden zu garantieren. kann nicht, etwa im Sinne eines den, 11; G. W. F. Hegel, Rechtsphiloso- t Tugenden (z. B. die Unbestech-
Der S. ist kein autonom handeln- quasitheologischen Verständnisses phie, §§ 257-360; K. Marx, Kritik der lichkeit des Beamten, die Fairneß des
des Subjekt mehr, sondern einem von Souveränität, Legitimationsprin- HegeIschen Rechtsphilosophie; J. S. Sportlers etc.) sind keine Bedingun-
System der Kontrollen zwischen zip seiner selbst sein. Im repräsenta- Mill, Über die Freiheit, Abschn. I-V; gen, sondern Folgen der Standeszu-
den einzelnen Gewalten unterwor- tiven System des demokratischen S. ders., Representative Government, Ab- gehörigkeit; sie stellen die t Ehrbe-
fen. Zur Sicherung des Gleichge- bleibt das Element des ,Konsens' der schn.I-III u. XVIII; G. Jellinek, Allge- griffe der Stände dar U. beinhalten
wichts zwischen formalen u. sozialen Vertragstheorien nicht formal, son- meine S.lehre, Berlin 3 1929; S. l. Benn, bestimmte sittl. t Pflichten U. sozia-
R. S. Peters, Sodal Principles and the
rechtsstaatlichen Prinzipien (t Frei- dern wird durch Wahlen U. politische le Erwartungen ihnen gegenüber: de-
Democratic State, London 4 1965;
heit, t Gleichheit, t Grundrechte) Willensbildung konkret. Eine e Legi- M. J. C. Vile, Constitutionalism and ren politische Moral, die positions-
u. zur politischen Willensbildung ist timation des S. ist nur möglich, wenn the Separation of Powers, Oxford gebundenen sittI. Pflichten, die im
ein Ausbau sowohl von Rationali- an die Stelle des Prinzips der Souve- 1967; R. Smend, S.rechtliche Abhand- Unterschied zu den allgemeinen sittl.
tätskontrollen, zu denen u. a. die ränität u. des formalen Ver- lungen u. andere Aufsätze, Berlin 1968; t Normen der t Politik (t Grund-
wissenschaftliche Politik beratung tragsprinzips das der t Freiheit tritt. H. Kuhn, Der 5., München 1967; c.- rechte) gewohnheitsrechtlicher Natur
zählt, wie der Kooperation zwischen Diese Forderung gerät aber dann mit E. Bärseh, Der S.begriff in der neueren sind. - Im Unterschied zu sozia-
repräsentativen Organen (Parlamen- sich selbst in Widerspruch, wenn deutschen S.1ehre ... , Berlin 1974; len Klassen ( t KlassenE) bilden die
Freiheit über ihre grundrechtlichen M. Kriele, Einführung in die S.1ehre, modern begriffenen Stände keine
ten), staatlichen Bürokratien u. Or-
Reinbek 1975; W.-D. Narr, C. Offe
ganen (Verbänden), die gesellschaft- Bestimmungen hina us als unbegrenzt (Hrsg.). WohlfahrtsS. u. Massenloyali- streng definierbare soziale Kategorie
liche Gruppen repräsentieren, not- oder als unbedingtes Prinzip nur tät, Köln 1975; M.Oakeshott, On u. bezeichnen weder Summen von
wendig. Eine bloße Steigerung des formal gedacht wird. Mit der Unbe- Human Conduct, Oxford 1975, III; Menschen in gleicher ökonomischer
Systems der sozialen Vorsorge u. öf- grenztheit der Freiheit verliert auch R. Nozick, Anarchie, 5., Utopia, Mün- Lage noch organisierte ökonomische
Sterbehilfe 286 287 Stoische Ethik

Machtfaktoren, sondern Gruppen, ten Jh. n. ehr. Sie wird in drei Peri- Menschen als lebendiger, selbstbe- den Menschen im privaten Genuß
die durch gleiches Ansehen, Prestige oden eingeteilt: die ältere (Zenon, wußter Geist (Nous). Dieser göttli- des festlichen Lebens auf seine eigene
u. gemeinsame Attribute verbunden Kleanthes, Chrysipp), die mittlere che Kosmos wird als der große Welt- autark u. unerschütterlich gemachte
sind. Demgegenüber bestimmte der (Panaitios, Poseidonios) u. die jünge- staat bezeichnet, in den alle Dinge u. Natur zu stellen (dies ist das Ziel der
historisch-politische Standesbegriff re Stoa (Seneea, Musonius, Epiktet, Wesen, hierarchisch gestnft, als Ataraxie), ist für die s.E eine teleo-
seit dem Mittelalter seine Mitglied- Mare Aurel). Ihr Gedankengebäude, Glieder eingeordnet sind. Freier Bür- logisch interpretierte Natur die In-
schaft als Grundlage der staatlichen das sich in Logik, Physik u. i E ger dieses i Staates kann u. soll der stanz, die jedem Menschen seinen
i Ordnung streng erblich (Adel, gliedert u. synkretistisch aus kynisch- Mensch werden, insofern er sich be- Ort im Ganzen zuweist u. auf die
Geistlichkeit, Bürger etc.) und, über sokratischen, aristotelischen u. vor- wußt u. willentlich seinen Gesetzen Erhaltung u. Vollendung seiner Na-
die Pflichten hinaus, durch rechtli- derorientalisch-religiösen Elementen (das Gesetz des Weltstaats = das Na- turanlage (immer schon als Anlage
che, von einer 0 brigkeit sanktionier- zusammensetzt, stellt nach dem Ver- turgesetz im praktischen Sinn) hin- zu Vernunft u. selbstwerthafter Tu-
te Privilegien. - Die theologischen fall der griechischen Polis erstmals gibt u. in ihren Dienst stellt. i Sitt- gend ausgelegt) verpflichtet. Die
Stände bezeichnen einmal die beson- eine universale E ins Zentrum des lichkeit bzw. i Tugend wird also i Pflicht (to kathäkon, to kator-
dere Stellung in der Glaubensge- Interesses. Im römischen Kaiserreich bestimmt als bewußte u. willentliche thöma) wird erstmals zum zentralen
meinschaft u. die ihr entsprechenden zur beherrschenden Geistesmacht ge- Übernahme der zweckvollen, dnrch Terminus der E. Obwohl die har-
Pflichten als Laie, Kleriker, Ordens- worden, vom Christentum in we- Vernunft erkennbaren Gesetzlichkeit monische Persönlichkeit, das vollen-
angehöriger, zum andern die Phasen sentlichen Grundsätzen absorbiert u. der Natur; sie ist zugleich notwendi- dete i Individuum das Ziel auch der
der menschheitlichen u. individuellen in der neuzeitlichen Aufklärung als ge u. hinreichende Bedingung für stoischen ars vivel1di darstellt, wird
Heilsgeschichte (Stand der Erbsünde Alternative zur i christlichen E wie- menschliches i Glück. Ihre Antithe- dies als nur in Gemeinschaft mit an-
oder Erlösung bzw. Stand der Gnade derbelebt (v. a. Montaigne, Rous- se bildet ein Leben nach der deren erreichbar konzipiert. Vor al-
oder Sünde). seau), gewinnt die s.E wirkungsge- i Leidenschaft, nach den widerver- lem die i sozial-e Maximen haben
schichtlich die größte Macht, die je nünftigen, auf sich selbst zentrierten die bleibende Bedeutung der Stoa
Lit.: Arisrote1es, Politik, Buch III; eine philosophische E hat erringen Trieben, die ihre flüchtige Befriedi- begründet: im familiären Bereich
W. Schöllgen, Der Begriff der Standes- können (Dilthey). Die s.E ist nicht gung in äußeren Glücksgütern su- sind es die geforderte Gleichberech-
pflicht in seiner Bedeutung für die heu- i theologisch, auch nicht (im kanti- chen, die nicht ausschließlich in der tigung von Mann 1I. Fran, das Eigen-
tige Pastoral- u. Moralpädagogik, in:
Konkrete E, Düsse1dorf 1961, S. 107ff; sehen Sinn) rein rational, sondern Verfügungsgewalt innerer i Freiheit recht das Kindes, die Gleichheit von
J. H. Kaiser, Ständestaat, in: Staatslexi- kosmologisch begründet. Die i Welt liegen, u. die den Menschen auf die Herren u. Sklaven als Menschen, im
kon der Görres-Gesellschaft, Bd. 7, ist ihr als Kosmos, in ihrer schönen Stufe eines animalischen Lebens her- gesellschaftlichen die Verpflichtung
Sp. 657; W. Korff, Ehre, Prestige, Ge- u. vernünftigen i Ordnung, der absinken lassen. Das Ideal der s.E, der Reichen zur (Nächsten-) i lie-
wissen, Köln 1966, S. 65 ff, 165 ff; höchste i Sinn, das Göttliche selbst. der stoische Weise, ist entsprechend be, die positive Wertung der i Ar-
M. Weber, Wirtschaft u. Gesellschaft, Ihr Prinzip ist die identische göttliche charakterisiert durch Apathie, durch beit, die Begründung einer spezifi-
Tübingen 5 1972, S. 179 ff; G. Lenski, Substanz des lebenden u. belebenden Leidenschaftslosigkeit, durch innere schen i Berufs- u. GeschäftsE, im
Macht u. Privileg, Frankfurt/M. 1973, Feuers (das Pneuma, die Seele, die Seelenruhe, die freilich nicht mit politischen die Verpflichtung des Bür-
S.I12ff. W. V.
i Vernunft des Alls), die sich peri- qUietistischer Passivität zu verwech- gers zum aktiven Beitrag in der so-
Sterbehilfe i Medizinische E. odisch in die Mannigfaltigkeit der seln ist, sondern als gleichmütige cietas civilis, die dort ihre Grenze
Elemente u. ihrer konkreten Verbin- Kontrolle der Gefühle vernünftiges findet, wo das positive Gesetz dem
Sterilisation i Geburtenregelung, Se- dungen auseinanderlegt u. wieder in i Wohlwollens für andere (Eupa- ewigen Naturgesetz widerspricht.
xualität. sich zurücknimmt (Ekpyrosis-Palin- thie) u. tätiges Engagement in der Wesentlich kosmopolitisch orientiert
genesis). In den Dingen erscheint die- gesellschaftlich-geschichtlichen Welt ( t Patriotismus-Kosmopolitismus),
Stoische Ethik. Die Stoa gilt als ein- ses Feuer als wesentliche, gestaltge- neben sich hat. Dies unterscheidet sie hat die Stoa erstmals ein allgemein
flußreichste philosophische Schule bende Qualität (Hexis), in den Pflan- von der Ataraxie i Epikurs, des verpflichtendes Naturgesetz u. die
der Spätantike, ihre Blütezeit reicht zen als wachsende i Natur (Physis), großen Gegenspielers der S.E. Wäh- daraus resultierenden i Rechte des
über fünf Jhe.: vom Verfall des Alex- in den Tieren als sich bewegende u. rend Epikur die Natur als Welt dem Menschen als Menschen ( i Grnnd-
anderreichs bis zum Ende des zwei- begehrende Seele (Psyche), in den atomistischen Zufall preisgibt, um rechte) formuliert u. in der Idee eines
Stolz 288 289 Strafe

einheitlichen Weltstaates ( i Weltre- dadurch, daß ihre Kriterien (was u. fen selbst für kleine Vergehen jeden der Rechtsordnung. Die Wiederein-
publik) den Gedanken der Mensch- wie hoch bestraft wird) öffentlich Regelverstoß zu verhindern. gliederung von S.fälligen in die Ge-
heit u. allgemeinen Brüderlichkeit bekannt sind u. daß die S. erst nach (2) Die Vergeltungstheorie als all- sellschaft kann zwar weder einziges
propagiert. einem Verstoß erfolgt, so daß dem gemeine S.theorie (Kant, Heget, noch höchstes S.ziel sein, weil sie die
i Individuum die Wahl zwischen E. Brunner) rechtfertigt nicht die na- Verhinderung von Rückfalltaten der
Lit.: Stoicorum vcterum fragmenta Rechtsgehorsam u. Risiko von S. an- turwüchsige Reaktion des verletzten von Erstverbrechen unterordnet u.
(Hrsg. v. Arnim); Cicero, De officiis; Rechtsempfindens einer Gesellschaft,
heimgestellt ist. S. verbindet soziale weil sie die gerechte S.zumessung
ders., De finibus bonorum et malorum;
Seneca, Ad Lucilium epistulae morales; Kontrolle mit individueller i Frei- die Rache (Genugtuung des Opfers, einschränkt: Es müßte nicht nach
Epiktet, Diatribai, Encheiridion (Hrsg. heit. Eine e annehmbare Begründung Talionsgesetz), sondern geht vom Tatschwere, sondern nach Erzie-
Flavius Arrianus); Mare Aurel, Wege der S. kann keine der drei in den Begriff der (wiederausgleichenden) hungsbedüftigkeit des Täters gestraft
zu sich selbst; A. Bonhöffer, Die E des zeitgenössischen S.theorien vorherr- Gerechtigkeit aus (Retributionstheo- werden, so daß etwa der Konflikttä-
Stoikers Epiktet, 1894, -Neudr. Stutt- schenden Prinzipien" Abschreckung, rie). Sie betrachtet den Rechtsbruch ter, der aus einer spezifischen, sich
gart 1968; Hierocles, E. Elementarlehre Vergeltung u. Besserung für sich al- als Anmaßung einer Ausnalunestel- kaum wiederholenden i Situation
(Hrsg. v. Arnim) Berlin 1906; M. Poh- lein als zureichend betrachten, son- lung gegenüber den Mitbürgern, was heraus handelt, gegenüber dem
lenz, Die Stoa. Geschichte einer geisti- einen Ausgleich mittels S. erfordert.
gen Bewegung, 2 Bde., Göttingen 41970/ dern muß in einer differenzierten Ge- Hangtäter bevorzugt würde. Zudem
72; B. Inwood, Ethics and Human samtkonzeption nach deren Ver- Als Theorie bloß der S.zuerkennung kann die innere Anerkennung der
Action in Early Stoicism, Oxford 1985; bindung suchen. bedeutet die Vergeltungstheorie eine Rechtsordnung nicht erzwungen
A. A. Long, D. N. Sedley, The Helleni- (1)Dievon Hobbes, Beccaria, Ben- einschränkende Bedingung jeder werden. Sinnvoll dagegen ist die Re-
stic Philosophers, 2 Bde., Cambridge tham, Schopenhauer, A. v. Feuerbach S.theorie, auch der Abschreckungs- sozialisierung als ein Kriterium des
1987, Bd. I, 344-437; Bd. Ir, 341-431, u. dem neueren i Utilitarismus ver- theorie. Danach darf man nur den S.vollzugs, was tiefgreifende Verän-
(Lit.); M. Porschner, Die stoische E, tretene Theorie der Abschreckung Rechtsbrecher, u. zwar nur den zu- denmgen der überkommenen Praxis
Darmstadt 21995 (Lit.); A. A. Long, (Genera/prävention) sieht als allge- rechnungsfähigen ( i Verantwor- notwendig macht, aber auch (als
Stoic Studics, Cambridge 1996. M. F.
meines S.ziel den Interessenschutz tung), nicht auch Unschuldige be- S.aussetzung zur Bewährung, als
Stolz i Ehre. der Allgemeinheit: Durch S.andro- strafen, selbst dort nicht, wo man bedingte Entlassung, Urlaub, offe-
hung sollen potentielle Rechtsbre- mit solcher Bestrafung evtl. einen ner oder halboffener Vollzug) gele-
Strafe ist ganz allgemein ein Übel, cher abgeschreckt u. zur Rechtstreue größeren Schaden für die Allgemein- gentlich in i Konflikt mit dem Ziel
das jemand einem anderen, weil die- motiviert werden, so daß die Häu- heit verhindern könnte. Die Gerech- der öffentlichen Sicherheit geraten
ser eine mißbilligte i Handlung aus- figkeit von Rechtsbrüchen gemin- tigkeit verlangt ferner, ohne Ansehell kann.
geführt hat, mit Absicht zufügt dert wird u. Rechtsgüter wie der i Person gleiche Taten gleich u. Die Todesstrafe, die man früher
(Sanktion: Zwangsmaßnahme). S. als t Leben, Gesundheit, Handlungs- ungleiche Taten nach Maßgabe der zur Abschreckung besonders schlim-
Institution des i Rechts (staatliche freiheit, i Ehre öffentlichen Schutz Schwere des Rechtsbruchs zu bestra- mer Gewaltverbrechen als notwendig
KriminalS.) wird nach einem vor- erhalten. In manchen Bereichen fen (parlcübertretungen u. Laden- erachtete, ist in den meisten moder-
sätzlichen (bewußten u. gewollten) scheint die Abschreckungswirkung diebstähle geringer als Vergewalti- nen Rechtssystemen abgeschafft
Verstoß gegen Rechtsnormen von relativ hoch zu sein (bei Steuerhin- gung oder vorsätzliche Tötung). worden: teils weil eine wirksame Ab-
den dazu autorisierten Personen terziehung, Versicherungsbetrug, be- (3) Die Resozialisierungstheorie, in schreckung von ihr gar nicht aus-
(Richtern) zur Aufrechterhaltung der trunkenem Fahren, vorsätzlicher Tö- Deutschland seit F. v. Liszt, neuer- geht, teils weil sie eine totale Verfü-
Rechtsordnung verhängt u. fügt dem tung usw.), in anderen dagegen dings besonders von den Autoren des gung über menschliches Lehen
Täter etwas ihm im allgemeinen Un- relativ gering (etwa bei Notzucht). "Alternativentwurfs zum S.recht" beinhaltet, was dem Staat nicht mehr
angenehmes, Schmerzliches zu Schon deshalb erscheint die Begrün- vertreten, zielt auf eine Verhinderung zugebilligt wird. Unter dem Ge-
(GeldS., FreiheitsS. usw.). S. unter- dung der Institution S. durch Ab- weiterer S.taten seitens der Täter. Sie sichtspunkt einer i Humanisierung
scheidet sich von der i Manipula- schreckung allein als nicht zurei- fordert die Stärkung der Disposition des S.vollzugs wird neuerdings auch
tion (Konditionierung, Propaganda) chend. Trotzdem versucht die Fajia u. Fähigkeit zu rechtskonformem die lebenslange FreiheitsS. verwor-
sowie der Unschädlichmachung von (Legismus), eine der Schulen i chi- Verhalten bei Rechtsbrechern auf- fen, da der Gefangene nach einer be-
Menschen mit asozialen Tendenzen nesischer E, durch drakonische Stra- grund einer inneren Anerkennung stimmten Zeit seelisch so weit ab-
Straftheorien 290 291 Strukturalismus

stumpft, daß er die Fähigkeit verliert, 1975; H. Ostermeyer, Die bestrafte Ge- Menschen spezifische Bewegungs- schlechthin höchsten Zieles bildet,
für seine i Schuld einzustehen u. für sellschaft, München 1975; M. Fou- form ("die Sonderstellung des Men- gewinnt man das Prinzip des S.: den
sie zu sühnen. cault, Überwachen u. S.n, Frankfurt/M. schen im Kosmos": M. Scheler) u. Begriff eines Zieles, über das hinaus
Eine ideologiekritische Betrach- 1977; j. Rohrbach, Schuld u. S., Kastel-
zugleich den Zusammenhang des kein -Ziel mehr gedacht werden
lann 1978; Amnesty International, Die
tung der S. behauptet, sie gründe in Todesstrafe, Reinbek 1979; C. Hin- Menschen mit der Natur, die Teilha- kann, den Begriff des t Glück~ (im
einem primär triebhaften S.verlangen keldey (Hrsg.), S.justiz in alter Zeit, be am Gurndphänomen der Bewe- Sinne von Autarkie). Da jedes Her-
der Gesellschaft, das individual- u. Rothenburg o. d. T. 1980; U. Neu- gung. stellen nicht um seiner selbst, son-
massenpsychologische Wurzeln habe mann, U. Schroth, Neuere Theorien In einer E, die vom S. als der dern um eines anderen willen ge-
(P. Reiwald, K. Ostermeyer u.a.): von Kriminalität u. S., Darmstadt Grundstruktur menschlichen i Han- schieht, läßt sich das menschliche
Die Institution der S. diene der mora- 1980; U. Tähtinen, Non-violent Theo- de1ns ausgeht, in einer S.E (etwa bei Leben trotz aUer Notwendigkeit po-
lischen Selbstbestätigung, der Projek- ries of Punishment. Indian and We- litischer Tätigkeiten letztlich nur auf
Aristoteles) gilt ein Handeln als sittI.
tion eigener Schuldgefühle auf den stern, Helsinki 1982; W. Hassemer, der Grundlage sittl. Praxis als sinn-
gut, wellil es sich seine Ziele nicht
K. Lüdersen, W. Naucke, Fortschritte
Verbrecher, der Abfuhr individueller im Strafrecht durch die Sozial- durch die Affekte u. i Leidenschaf- voll, als glücklich gelungen denken. -
u. kollektiver Aggressionen, der Ver- wissenschaften?, Heidelberg 1983; ten u. die Mittel nicht durch momen- Das neuzeitliche Denken hat den
festigung von t Herrschaft usw. J. Feinberg, The Moral Limits of the tane Einfälle vorgeben läßt (unsittl. S.begriff als Grundbegriff humaner
Diese Kritik trifft aber, soweit über- Criminal Law, 4 Bde., Oxford 1984 ff; S.), sondern wenn es aufgrund eines Praxis in Frage gesteilt, einerseits in
haupt, nur die FreiheitsS., nicht das R. A. Duff, Trials and Punishment, gelungenen i Erziehungsprozesses Richtung auf eine Radikalisierung
ganze S.system. Zudem übersieht sie Cambridge 1986; O. Höffe, Kategori- spontan jene Ziele verfolgt, die der menschlicher Verantwortlichkeit
sche Rechtsprinzipien, Frankfurt/M.
über mancher Irrationalität gegebe-
1990, Kap. 8; K. A. Papageorgion,
i Tugend entsprechen, u. Mittel u. durch die Begründung von Zielen
ner S.systeme das legitime Interesse Wege wählt, die aus reiflicher Über- aus der autonomen praktischen Ver-
Schaden u. S., Baden-Baden 1994;
von i Staat u. i Gesellschaft am J. Simmons u.a. (Hrsg.), Punishment, legung stammen (sittl. S.). - Neben nunft (i Freiheit: Kant), anderer-
Schutz von Rechtsgütern. Princeton 1995. O. H. dieser Unterscheidung von sitt!. u. seits in Richtung auf eine Einschrän-
unsittl. S. läßt sich beim S. die Unter- kung menschlicher Verantwortlich-
Lit.: Th. Hobbes, Leviathan, Kap. 28;
C. B. Beccaria, Über Verbrechen u. S.n Straftheorien i Strafe. scheidung zwischen Poiesis u. Praxis keit durch Aufweis vor- u. unter be-
treffen. Sie geht auf Aristoteles zu- wußter i Determination menschli-
(1794), Leipzig 1905; I. Kant, Die Me-
taphysik der Sitten, Akad. Ausg. VI Streben bedeutet, mit eigenen Kräf- rück u. ist für die Theorie menschli- chen S. (Triebkräfte: S. Freud).
331-337; J. Bentham, An Introduction ten u. nicht aus äußerem Zwang, chen Handeins fundamental gewor-
to the Principles of Morals and Legis- sondern aus eigenem Antrieb auf ein den. Poiesis (Herstellen, Machen) Lit.: Aristoteles, Über die Seele, Kap. III
lation, §§ 12-17; G. W. F. HegeI, i Ziel zugehen. S. heißt jede spon- bezeichnet ein S., sofern es auf etwas 9-11; ders., Nikomach. E, bes. Kap. I 1
Grundlinien der Philosophie des tane u. finale Aktivität. Das setzt (ein Werk, Resultat oder einen Zu- n. 5, III 1-7; VI 2, 4-5, 8-10; B. de Spi-
Rechts, §§ 90-103, 220-229; P. Rei- nicht bloß - was man schon bei Or- stand) zugeht, das für etwas anderes noza, E, 3. Teil; J. G. Fichte, Grundlage
wald, Die Gesellschaft u. ihre Verbre- der gesamten Wissenschaftslehre, §§ 5-
ganismen findet - ein ziel- oder als die S.bewegung selbst gut ist, die
cher, Frankfurt/M. 2 1974; H. L. 7; J. Malik, Der Begriff des S. bei Tho-
A. Hart, Recht u. Moral, Göttingen zweckgemäßes Verhalten voraus, es hervorgebracht hat. Das Resultat mas v. Aquin, Philosoph. Jahrb. Bd. 70,
1971, S. 58 ff; P. NoH, Die e Begrün- sondern auch, daß man sich das Ziel ist etwa gut, um es zu verkaufen, zu 1962/63; M. de Biran, L'effort, Paris
dung der S., Tübingen 1962; J. Bau- vorstellt, es bejaht u. mit den ent- gebrauchen oder um es auszustellen 1966; O. HöHe, E u. Politik, Frank-
mann (Hrsg.), Progranun für ein neues sprechenden Mitteln zu verfolgen u. Anerkennung zu finden. Praxis furt/Mo 3 1987 , Kap. 11; ders., Aristote-
S.recht, Frankfurt/M. 1968; E. Schmid- sucht S. ist keine rein naturhafte, (Handeln) dagegen bezeichnet ein 5., lcs, München 1996, Kap. 13. O. H.
häuser, Vom Sinn der S., Göttingen sondern eine reflektierte, eine be- sofern es seinen Sinn in sich selbst
"1971; H. Holzhauser, Willensfreiheit
u. 5., Berlin 1970; B. Gareis, E. Wies-
wußte und freiwillige Tätigkeit, die hat, etwa ein Umgang mit Besitz u. StrebensE i Streben.
deshalb dem Subjekt zugerechnet Macht, der nicht Reichtum u. Ein-
net (Hrsg.), Hat S. Sinn?, Freiburg
1974; G. S. Becker, Essays in the Eco- werden kann; es trägt dafür i Ver- fluß vermehren, sondern i gerecht Strukturalismus. Der S. ist eine wis-
nomics of Crime and Punishment, New antwortung. Insofern ist S. keine na- sein will. senschaftliche Methode im Bereich
York 1974; A. Ross, On Guilt, Re- turphilosophische, sondern eine e Wenn man zu den Zielen, die jedes der Humanwissenschaften (Ethnolo-
sponsibility and Punishment, London Kategorie. Es bezeiChnet eine für den S. als S. verfolgt, den Begriff eines gie, Psychoanalyse, Geschichts-, Lite-
Subsidiarität 292 293 Sucht

ratur- u. Sprachwissenschaft), die 1973; M. Foucault, Archäologie des wenn erforderlich, Zwischeninstan- besondere bei ra uscherzeugenden
menschliche Äußerungen u. Verhal- Wissens, Frankfurt/M. 1973; ders., zen einzuschieben. Weil der Einzel- Mitteln), bei denen der regelmäßige
tensweisen nicht als isolierte Er- Von der Subversion des Wissens, Mün- mensch das Maß abgibt, spricht sich Mißbrauch Abhängigkeit (physischer
chen 1974; P. Pettit, The Concept of u. psychischer Art) erzeugt u. fort-
scheinungen, sondern als Teile eines bei Kompetenzkonflikten die S. nicht
Structuralism, Dublin 1975; K. Füsse1,
systematischen Zusammenhangs er- Zeichen u. Strukturen, Münster 1983; grundsätzlich für die kleinere Einheit schreitend die Identität der i Person
klärt. Die Modelle der Struktur sind U. Horstmann, Parakritik u. Dekon- aus, sondern für diejenige, die am auflöst. Zahlreiche S.Phänomene
das sprachliche Laut- und Zeichen- struktion, Würzburg 1983. W. V. meisten dem Individuum dient. (Freß- u. MagerS., Alkoholismus, Ni-
system. Die Laute oder Zeichen wer- In der i Rechts- u. Staatstheorie kotin- u. Drogenmißbrauch) kreisen
den entsprechend ihrer Funktion, Subsidiarität (lat. subsidium: Hilfe) ist die S. ein Kompetenzverteilungs- um den Bereich der Oralität im wei-
Austauschbarkeit, Kombinierbarkeit ist ein Prinzip der t Sozial- u. der prinzip im Sinne einer Rechts- u. testen Sinn. Das durch den Miß-
u. Ersatzbarkeit innerhalb der Spra- StaatsE, das früher nur aus der Staatsidee, nicht einer entscheidungs- brauch vorübergehend gesteigerte
che (langue u. langage) u. des Spre- christlichen Soziallehre bekannt war, genauen Regel: Kompetenzen wer- Wohlbefinden wird dabei jeweils von
chens (parole) nicht nach ihrer zeitli- namentlich den Enzykliken Rerum den nicht von oben nach unten, son- einer Phase der Depression u. Nie-
chen Abfolge (Diachronie), sondern Novarum (1981) u. Quadragesima dern umgekehrt delegiert; sie gehen dergeschlagenheit abgelöst, die nach
zu einem bestimmten Zeitpunkt be- anno (1931). Die Sache ist älter, letztlich von den Betroffenen, dem einer Wiederholung des Befriedi-
stimmt (Synchronie). Da die Sprache konfessionsunabhängig u. geht bis Volk, aus (i Demokratie). Als Kom- gungserlaubnisses verlangt. Daraus
als soziales Phänomen verstanden auf Platan (Politeia H, 369b) u. Ari- petenzausübungsprinzip spricht die ergibt sich der nahezu ausweglose
wird, sollen deren Gesetze für die stoteles (Politik I 2) zurück: Weil das S. den Handlungsvorrang den Ein- Zirkel der S., der den Kranken im-
Gesamtheit aller menschlichen Ver~ letztentscheidende Maß, der einzelne zelstaaten vor Europa oder einer mer tiefer in die Abhängigkeit u. kör-
hältnisse als Grundform von t Ge- Mensch, sich nicht selbst genug ist, i Weltrepublik zu. Dafür gibt es perliche Erkrankung treibt. Untersu-
sellschaft gültig sein. Die Struktur ist bedarf er jener Kooperation mit sei- drei Kriterien: nach der Erfordernis- chungen über den Verlauf der Ein-
demgemäß ein Regelsystem, das so- nesgleichen, die in der i :Familie be- klausel muß die höhere Einheit je- stiegs- über die Gewöhnungs-, die
ziales Verhalten ebenso wie Er- ginnt u. über Sippe, Dorf hin zum weils überhaupt erforderlich sein; Verzweiflungsphase bis zur Selbst-
kenntnisprozesse unabhängig vom politischen Gemeinwesen u. am Ende nach der Besser-Klausel muß sie die zerstörung der Person zeigen, daß
Bewußtsein des denkenden u. han- - wie man ergänzen muß - zu einer Sache besser machen; u. nach dem stets frühkindliche Schädigungen für
delnden Subjekts steuert (G. Levi- i Weltrepublik reicht. Dabei haben Gebot der Verhältnismäßigkeit darf die Entstehung mitverantwortlich
Strauss) u. mit ihrer fortschreitenden die "Stufen" der Gesellschaft keinen sie nur die geringstnötige Kompe- sind, daß eine zerrüttete i Ehe u.
Aufklärung als politisches u. soziales Selbstzweck, sollen vielmehr dem tenzart in Anspruch nehmen. i Familie, verfehlter i Beruf oder
Steuerungsinstrument dienen soll. einzelnen Hilfe bringen. Die morali- Vereinsamung als auslösende Fakto-
Der S. betrachtet den i Menschen Lit.: H. Schnatz (Hrsg.), Päpstliche ren dazu kommen u. eine ausgepräg-
sche Grundlage der S. bildet nicht
Verlautbarungen zu Staat u. Gesell-
als Produkt der anonymen Regeln die i christliche Nächstenliebe, son- te i Selbstmordneigung die S.erkran-
schaft, Darmstadt 1973, bes. 405 f;
der "Ordnung der Dinge" (M. Fou- dern die t Gerechtigkeit. Die S. geht O. v. Nell-Breuning: Baugesetze der kungen begleitet. Psychoanalytische
cault) u. spricht sozialen u. sittl. von einer Hierarchie von Gesell- Gesellschaft. Solidarität u. S., Freiburg Deutungen sehen die S.erkrankung
i Normen jeglichen Wert ab. Um- schaftsstufen aus u. besagt, daß - 1990; D. Merten (Hrsg.), Die S. Euro- im Zusammenhang des Mißglückens
stritten ist der S. nicht nur hinsicht- hier gegen den i Kommunitarismus pas, Berlin 2 1994; K. W. Nörr, Th. Op- der Objektbeziehungen (in der Part-
lich seiner anti-humanistischen Ideo- - alles, was der einzelne aus eigener permann (Hrsg.), S.: Idee u. Wirklich- nerschaft oder im Berufsleben) u. der
logie u. der mechanistischen Über- Initiative u. mit eigenen Kräften zu keit, Tübingen 1996; C. Stewing, S. u. darauffolgenden regressiven Abwen-
tragung sprachlicher Strukturen auf leisten vermag, ihm nicht entzogen Föderalismus in der Europäischen Uni- dung in die Welt frühkindlicher Er-
on, Köln u. a. 1992; O. Höffe, Ver-
die soziale Wirklichkeit, sondern werden u. der Gemeinschaft zuge- nunft ll. Recht, Frankfurt/M. 1996, lebnisweisen. Die primärnarzißtische
auch als wissenschaftliche Methode. wiesen werden darf. Und gegen die Kap. 10. O. H. GefühlsweIt soll die fehlende t per-
Ut.: C. Levi-Strauss, Das wilde Den- Gefahr der Machtakkumulation det sonale Identität ersetzen; statt dessen
ken, Frankfurt/M. 1968; G. Schiwy, höheren Instanzen verlangt sie, ei- Sucht heißt ein i krankhaftes Ver- spaltet sie die Persönlichkeit fort-
Der französische S., Reinbek 1969; nerseits keine Zuständigkeit höher halten vor allem im Bereich der Nah- schreitend auf. Im Extremfall endet
ders., S. u. Zeichensysteme, München als nötig anzusetzen, andererseits, rungs- u. Genußmittelaufnahme (ins- die S. in der Selbstzerstörung, in
Sühne 294 Tabu

asozialen Handlungen (insbes. im Systemtheorie. Die S., die vor allem mender Komplexität der Gesellschaft furt/Mo 1975; F. Schah, Freiheit als
Bereich der Kriminalität), im körper- von T. Parsons begründet wurde u. möglich ist, als unsittl. beurteilen. Indifferenz, Frankfurt/M. 1982.
lichen Verfall, in der Psychose oder hierzulande u. a. von N. Luhmann Sollensansprüche erfüllen lediglich w. v.
im Selbstmord. Dem Auftreten der vertreten wird, untersucht die relativ die Funktion, faktische Erwartungen
S.erkrankung vorgelagerte frühkind- unveränderlichen gesellschaftlichen auf Dauer vor Enttäuschung zu si- T
liche Schädigung lähmt bereits in der Bedingungen, die sowohl das mensch- chern u. Enttäuschungen, die not-
Anfangsphase die persönlichkeitsei- liche Handeln wie dessen soziale Zu- wendig auftreten, da jedes System Tabu. Mit T. bezeichnen wir Gegen-
genen Kräfte. Wichtigste vorbeugen- sammenhänge stabilisieren bzw. ver- für seine Wirklichkeit zu einfach u. stände, Bereiche U. Vorstellungen,
de Maßnahme ist eine i Erzie- ändern. Als Systeme des Handelns zu unzureichend ist, abzuwickeln. - die als unberührbar u. verboten gel-
hungspraxis, die durch realitätsge- gelten alle realen Ganzheiten wie Die S. hat für die i Gerechtigkeit ten U. daher zu vermeiden sind. T.s
rechte Aufklärung die Neugierde des Gesellschaften u. soziale Gruppen, keinen genuinen Ort. Sie versteht entstanden ursprünglich meist im
Jugendlichen befriedigt u. durch aber auch kulturelle Normen, Wert- sittl. Normen einseitig als Anpas- Zusammenhang der i Religion U.
schrittweise Gewöhnung an den not- systeme u. Gegenstände der äußeren sungsfunktionen der sozialen Inter- der Erfahrung des Numinosen. Sie
wendigen i Verzicht (optimale Fru- i Natur, die sich in der unübersicht- aktion. Sie berücksichtigt nicht aus- qualifizierten bestimmte Bereiche als
stration) den Wirklichkeitsbezug för- lichen Vielfalt der veränderlichen reichend, daß sittl. Prinzipien nicht unberührbar, weil sie als heilig U.
dert. In der fortgeschrittenen Phase Umwelt erhalten. Die Systeme haben unmittelbare, sondern indirekte übermächtig oder auch als i böse u.
der S.gewöhnung u. Selbstzerstörung die Funktion, die komplexe Umwelt Zwecke des Handelns sind u. diesem gefährlich galten. Die Skala der reli-
müssen wir mit einem weitgehenden durch bestimmte Formen der Erleb- weder als fixe Werthierarchie gegen- giösen T.s. reicht von primitiven
Verlust der Freiwilligkeit (i Hand~ nisverarbeitung (Wahrnehmungsge- überstehen noch an konkrete Hand- i Naturphänomenen bis zum mo-
lung) u. Selbststeuerung der Person wohnheiten, Wirklichkeitsdeutungen, lungsziele gebunden sind. So lassen notheistischen Verbot der Benennung
(i Abulie) rechnen. Die i sitt!. Werte), die sich institutionell verfe- sich z. B. indirekt vom Prinzip der i Gottes. T.s. haben ebenso soziale,
Aufgabe der Mitmenschen kann da- stigt haben (i Institutionen), zu i Humanität für die Bereiche kom- wirtschaftliche U. politische Bedeu-
her nur darin bestehen, durch teil- vereinfachen u. dadurch konkretes plexer sozialer Systeme im Hinblick tung. In ihnen drückt sich aus, was
nehmendes i Verstehen die noch Verhalten zu erleichtern. Die S. ver- auf die tatsächlichen sozialen Erwar- eine Gruppe oder i Gesellschaft für
vorhandene Bereitschaft zur Selbst- tritt die These, daß eine feste Rang- tungen unterschiedliche, konsensfä- ihren Bestand als besonders gefähr-
hilfe oder i Psychotherapie u. me- ordnung von i Werten, gemessen hige Kriterien humanen i Lebens lich erachtet u. durch Vermeidungen
dizinischen Therapie zu unterstützen. an der komplexen Situation jeder ableiten. zu bannen sucht. Dies beginnt bei
Handlung, zu starr sei u. den hygienischen Vorschriften, der Re-
Lit.: A. Mitscherlieh, Vom Ursprung i Menschen lebensunfähig mache. Lit.: T. Parsans, The Structure of Social glementierung der i Sexualität U.
der S., Stuttgart 1963; J. v. Scheidt, Der Action, Glel1coe 2 1949, S.739ff; ders.,
falsche Weg zum Selbst. Studien zur Im konkreten Handeln müßten je- Aggression (Sicherung der i Herr-
weils bestimmte Werte zugunsten de- Das System moderner Gesellschaften, schaft). Im persönlichen Bereich
Drogenkarriere, München 1976; München 1972, Kap. 2; J. B. Berg-
J. Eisenburg (Hrsg.), S. Ein Massen- rer aufgegeben werden, die bestimm- macht sich die Tabuisierung häufig
mann, Die Theorie des sozialen Systems
phänomen als Alarmsignal, Düsseldorf te Wirkungen zur Erhaltung des von T. Parsons, Frankfurt/M. 1967, an den eindrucksvollsten Erfahrun-
1988; D. Ladewig, S. u. S.krankheiten, Bestands von sozialen Systemen er- Abschn. II, VIII: Rechtssoziologie, gen des menschlichen i Lebens, an
München 1996. A. S. wartbar machen. Demgemäß ver- Bd. 1, Reinbek 1972, Abschn. 11,2, 11, 8 den Bereichen der Ge burt, der Se-
steht die S. sittl. i Ziele nicht als u. III, 3; ders., Zweckbegriff u. System- xualität u. des Todes fest. Aufklä-
Sühne i Schuld. allgemeine Handlungsziele, sondern rationalität, Frankfurt/M. 1973, Kap. I, rungsbewegungen haben besonders
Sünde i Böse, das. als Funktionen zur Verminderung III, 3 u. IV. 2.; R. Prewo u. a., Sy- dann die menschliche i Vernunft
(Reduktion) von Komplexität, relativ stemtheoretische Ansätze in der Sozio- gegen den T.Glauben mobilisiert,
Suizid i Selbstmord. zu bestimmten Wirkungen (Funk- logie, Reinbek 1973, Abschn. III;
O. HöHe, Strategien der Iiumanität, wenn er im Dienst der Unterdrük-
tionalismus). SittI. Nonnen gelten Frankfurt/M. z1985, Kap. 10 u. 11; kung stand. - Ein Bereich, der bei
Supererogation i Verdiensdichkeit. dann als unzureichend, da sie abwei- ders., Kategorische Rechtsprinzipien, den primitiven Völkern tabuisiert
chendes Verhalten ohne Rücksicht Frankfurt/M. 1990, Kap. 3.1; H.]. Gie- wird, ist das Totem. Mit Totemismus
Sympathie i Wohlwollen. darauf, daß es erst aufgrund zuneh- gel (Hrsg.), System u. Krise, Frank- bezeichnen wir die animistische Vor-
Tadel 296 297 Technik

stellung, daß ein einzelner oder eine erkannten Ziele u. Mittel auch dann einer Tugend, die im Konfliktfall um mach. E, Buch VI, 4 u. 5). So in den
Gruppe (Sippe, Stamm) in einer ma- verfolgen läßt, wenn dieses Verfol- sitt!. Ziele willen auch die Furcht vor Zusammenhang einer neu konstitu-
gischen Beziehung des Lebensaus- gen mit wirklichen oder möglichen dem Tod zu überwinden vermag, ierten t praktischen Philosophie ge-
tausches zu einer Pflanze oder einem Gefahren u. Beeinträchtigungen für hängt entscheidend von einer den stellt, bedeutet T. ein auf generali-
Tier (Totemtier) steht. Freud hat die- seine ,äußeren' Glücksgüter (soziale Aufbau der E bestimmenden Theorie sierter Erfahrung beruhendes u. nach
ses Phänomen unter gewaltsamer Anerkennung u. Macht, Besitz, ja der t Güter u. Zwecke ab. Wo (wie lehrbaren Regeln vorgehendes I(ön-
Übertragung der psychoanalytischen Leib u. Leben) verbunden ist. T. ist etwa bei Hobbes) das Leben als neu im Herstellen von Gegenständen
(t Psychotherapie) Einsicht des die Tugend des Mutes, der um sittI. größtes Gut, t Sittlichkeit als Inbe- dinglicher (Werkzeuge, Gebrauchs-
Ödipuskomplexes auf die Kulturan- Ziele willen die Empfindungen der griff der ein friedliches Leben si- güter, Kunstwerke) oder geistiger Art
thropologie als symbolische Präsenz Angst, der Furcht u. des Schmerzes chernden Verhaltensweisen sowie die (etwa sprachliche Gebilde), im Her-
des ermordeten Stammesvaters zu zu überwinden vermag, u. ist inso- Furcht vor gewaltsamen Tod als ver- vorbringen von Zuständen (der Ge-
deuten versucht. Neucre ethnologi- fern der Feigheit entgegengesetzt; sie nünftigmachender Affekt begriffen sundheit durch den Arzt: t medizi-
sche Untersuchungen konnten diese ist als Tugend an vernünftige Über- wird, ist diesem Begriff von T. die nische E) oder im Betreiben von Ge-
Ansicht nicht bestätigen. legung u. sitt!. Einsicht gebunden u. letzte Begründungsbasis entzogen. schäften (die Techne des Händlers).
insofern von unbedachter Kühnheit T. ist die Fähigkeit, Vorgegebenes
Lit., S. P"ud, Tutem u. T.; B. Mali- unterschieden. Tapfer kann nur sein, Lit.: Platon, Laches; Aristoteles, Niko- mit natürlichen oder selbstverfertig-
nowski, Magie, Wissenschaft u. Religi- wer i Sittlichkeit als Endziel aner- mach. E, Buch III; Cicero, De officiis; ten Mitteln nach bestimmten Regeln
on, Frankfurt/M. 1973; J. Haeckel, kennt u. wer verwundbar ist. Da der Thomas v. Aquin, Summa theol. II-II, auf einen gegebenen t Zweck hin
Der heutige Stand des Totemproblerns, q. 123-128; Quaest. disp. de virtutibus
Tod die größte Verwundung mensch- umzugestalten. Dieser antike u. auch
in: Mitteilungen der Anthropologischen cardinalibus; H. Cühen, E des reinen
Gesellschaft 82, Wien 1953; Th. W. lichen Lebens darstellt, bewährt sich Willens, Kap. 13; O. F. Bollnow, mittelalterliche Begriff von T. als
Adorno, SexualT. u. Recht heute, in: T. paradigmatisch im Angesicht des Wesen u. Wandel der Tugenden, menschlicher Kunstfertigkeit im wei-
Eingriffe, Frankfurt/M. 1963; C. U!vi- Todes. So gesehen wird es verständ- Frankfurt/M. 1958, Kap. V.; J. Pieper, testen Sinn gewinnt eine neue, pri-
Strauss, Das wilde Denken, Frank- lich, wenn T. im eigentlichen Sinn als Vom Sinn der T., München R1963 ; mär vom Resultat bestimmte Bedeu-
furt/M.1968. A. S. Bereitschaft, im Kampf (für die Polis, 1. Strauss, Hobbes' politische Wissen- tung durch die in der Renaissance
den Staat, das Reich Gottes) zu fal- schaft, NeuwiedlBeriin 1965, Kap. IV: beginnende Verschmelzung von T.
Tadel t Belohnen u. Bestrafen. len (Aristoteles, Augustinus, Thomas Adelstugend; M. J. Mills, The Discussi- u. Naturwissenschaft: Die prakti~
on$ of Andreia in the Eudemian and
v. Aquin) bestimmt u. in der Ge- sehe Naturbewältigung wird theore-
Nicomachean Ethics, in: Phronesis 25
Tao t Dao: chinesische E. schichte zumeist als militärische Tu- (1980), 198-218; D. S. Hutehinson, tisch durchdrungen, rekonstruiert u.
gend ausgezeichnet wurde. Gleich- The Virtues of Aristotle, London 1986. vorbereitet, die Naturwissenschaft
Tapferkeit (gI'. andreia, lat. fortitu- wohl ist diese Beschränkung weder M. F. selbst, aufs engste mit künstlichem
do, frz. courage) gilt seit der antiken rational t begründ bar noch durch Gerät verbunden, definiert ihre Be-
E als eine der vier Kardinaltugenden den heutigen Sprachgebrauch abge- Technik. Das griechische Wort griffe zunehmend ,operational' durch
(neben i Klugheit, t Besonnenheit, deckt. T. bewährt sich sowohl in ge- Techne wird von den Anfängen phi- Schemata instrumentellen Handeins.
t Gerechtigkeit), die zusammen die duldiger Hinnahme von Unverän- losophischer Reflexion bis Platon Die Verfeinerung überkonunener u.
Grundbedingungen sitt!. vollkom- derlichem wie im aktiven Einsatz für meist synonym mit Wissen (Episte- Ennvicklung neuer Geräte bis hin zu
menen Handelns darstellen. Über- sitt!. Ziele jeglicher Art. Ihre von he- me) verwendet u. meint: sich auf et- Maschinen u. Systemen sich selbst
nimmt man die durch die Aristoteli- roischem Todesmut entfernte u. für was verstehen, mit einer Sache ver- regulierender Automation verlagern
sche E erarbeitete Bestinunung sittl. die gesellschaftliche Alltagspraxis re- traut sein u. umgehen können. Ari- den Schwerpunkt der Tätigkeit vom
t Tugend als einer durch Natur- levantere Bedeutung zeigt sie als stoteles verändert u. präzisiert den Subjekt in eine objektivierte Welt der
anlage, einsichtige Entscheidung u. Zivilcourage, die im aktiven Vertre- Begriff durch die Unterscheidung Mittel u. ersetzen immer mehr Funk-
Gewöhnung vermittelten Haltung ten des rechtlich u. moralisch als von Techne u. Phronesis (i Klug- tionen des Menschen im Umgang mit
sitt!. Wollens u. Handeins, so läßt richtig Erkannten eigene wirtschaft- heit), zweier Wissensformen, die es der Natur u. mit seinesgleichen.
sich T. definieren als jener Habitus, liche u. soziale Nachteile riskiert. Die im Gegensatz zu Episteme mit Ver- Durch die dem neuzeitlichen natur-
der einen Menschen die als richtig Rechtfertigung der T. indessen als änderbarem zu tun haben (Niko- wissenschaftlich-technischen Denken
Technikfolgen 298 299 Theologische Ethik

immanente Tendenz, das Feld mögli- striegescllschaft, Berlin 1990; J.-P. strie u. Lebensmittelproduktion; (d) Temperament i Leidenschaft.
cher Machbarkeit bis ins letzte aus- Wils, D. Mieth (Hrsg.), E ohne Chan- die Abschätzung von Gefahren und
ce? Erkundungen im technologischen
zuschöpfen (T. als Resultat eines Zeitalter, Tübingen l1991; K. Bayertz, Chancen der Prägung, Bildung, Ma- T errar i Gewalt.
tendenziell universalen Herrschafts- Wissenschaft, T. u. Verantwortung, in: nipulation u. Deformation des Men-
willens: Heidegger), werden Poten- ders. (Hrsg.), Praktische Philosophie, schen durch die moderne Medien- Theodizee i Böse, das.
tiale der Natur freigesetzt u. Mittel Hamburg 1991, 173-209 (Lit.); und Computertechnik; (e) die Si-
der Produktion (u. Destruktion), des O. HöHe, Moral als Preis der Moderne, cherung der Humanität der Arbeits- Theologische Ethik. Unter t.E sind
Verkehrs, der Information, der Or- Frankfurt/M. 3 1995; G. Ropohl, E u. welt im Rahmen der Globalisierung all jene Theorien einer i normativen
ganisation etc. geschaffen, die ihrer- T.bewertung, Frankfurt/M. 1996. der marktgesellschaftlichen Ökono- E subsumierbar, die die moralische
M.F. Qualität menschlichen Handelns auf
seits menschliches Leben u. Zusam- mie, die durch die neuen Techniken
menleben nunmehr unhintergehbar und Systeme der Information u. Mo- ihre Entsprechung bzw. Nichtent-
bestimmen. Die J)roblematik der T. Technikfolgen sind ein gewichtiges bilität ermöglicht und vorangetrie- sprechung dem Willen i Gottes ge-
besteht darin, daß sie Natur wie ge- Thema der E geworden, weil die wis- ben wird. genüber gründen. Die t.E beantwor-
sellschaftliches Leben mehr u. mehr senschaftlich geleitete Technik die Primäre Fragestellungen der all- tet die Frage nach dem i Moral-
in den Prozeß technischer Funk- Arbeits- u. Lebenswelt der Menschen gemeinen E im Kontext der T. bezie- prinzip u. dessen Rechtfertigungs-
tionalität hineinzieht u. zu Momen- in globalem Umfang immer nachhal- hen sich auf den Begriff der (geteilten möglichkeit durch den Rekurs auf
ten ihrer i Rationalität macht, ohne tiger beeinflußt, umgestaltet u. auch u. eingeschränkten) i Verantwor- die gesetzgebende i Autorität des
die überkommenen wie neu entste- schafft, u. die künftigen Chancen der tung des Handelns unter Bedingun- göttlichen Willens, dem alle endli-
henden Fragen handlungsorientieren_- Menschheit auf ein Überleben u. ein gen technischer Systeme u. der Ver- chen, geschaffenen Wesen zu absolu-
der Zwecksetzung u. Sinninterpre- Leben in Würde von den Folgen antwortlichkeit des Handelns unter tem Gehorsam verpflichtet sind. Die
tation beantworten zu können. Der ebenso wie der Weiterentwicklung Bedingungen zunehmender Progno- Frage nach der Erkennbarkeit dieses
immer stärkeren Rückwirkung des der technischen Welt abhängen. seschwierigkeiten bezüglich der Ne- Willens wird im allgemeinen schöp-
wissenschaftlich-technischen i Fort- Primäre Problemfelder praktischer benfolgen der Entwicklung u. des fungs-t. durch den Verweis auf nor-
schritts auf den institutionellen Rah- Verantwortung und ethischer Refle- Einsatzes von Technik (i RisikoE). mativ ausgezeichnete Ordnungen,
men von Gesellschaft wie auf das xion, die sich durch T. in diesem die in der Welt ersichtlich u. als Aus-
Leben des Einzelnen korrespondiert Jahrhundert eröffneten u. eröffnen, Lit.: K. Bayertz, Wissenschaft, Technik druck des Schöpferwillens interpre-
keineswegs von selbst eine Zunahme sind: {al die Sicherung der globalen u. Verantwortung. Grundlagen der tierbar" sind, und/oder durch den
praktischer Vernunft (i Technik- Umwelt der Menschen angesichts ei- Wissenschafts- u. TechnikE, in: ders. Glauben an direkte Offenbarung
folgen). ner Gefährdung der gesamten Bio- (Hrsg.), Praktische Philosophie. Grund- Gottes (i Religion) in bestimmten
sphäre u. der ökologischen ,Nische' orientierung angewandter E, Hamblll'g Personen oder Institutionen beant-
Lit.: O. Spengler, Der Mensch u. die menschlichen Lebens durch Schad- 1991; C. F. Gethmann, Die E techni- wortet. Die t.E ist streng genommen
T., München 1931; F. Dessauer, Streit schen Handclns im Rahmen der T.be-
stoffemission u. Verbrauch von na- urteilung, in: A. Grunwald, H. Sax nur dann konsequent, wenn sie allein
um die T., Frankfurt/M. 1956; türlichen Resourcen; (b) die Klärung
A. Gehlen, Die Seele im technischen (Hrsg.), Technikbeurteilung in der den souveränen Willen Gottes zum
Zeitalter, Hamhurg 1957; M. Heideg- der moralischen ErlaubtheitiNichter- Raumfahrt, Berlin 1994; H. Hastedt, Grund moralischer Verpflichtung
ger, Die Frage nach der T., in: Vorträge laubtheit der militärischen u. zivilen Aufklärung u. Technik, Frankfurt/M. macht, nicht aber gewisse moralische
u. Aufsätze, Pfullingen l1959; J. Ha- Nutzung der Kernenergie im Blick 1994; C. Hubig, Technik- u. Wissen- Eigenschaften dieses Willens (wie
bermas, T. u. Wissenschaft als ,Ideo- auf Folgen, Folgelasten u. Risiken schaftsE, Heidelberg 1993; H. Lenk, seine absolute Güte u. Vollkommen-
logie', Frankfurt/M. ll969; H. Lenk, ihrer Verwendung; (c) die Sicherung Zwischen Wissenschaft und E, Frank- heit), da dann ein vom Willen Gottes
Philosophie im technologischen Zeital- artgerechten tierischen Lebens furt 1992; G. Patzig, Gesanunelte
unabhängiges Kriterium des mora-
ter, Stuttgart 1971; S. Müller, Vernunft Schriften II: Angewandte E, Göttingen
(i Tierschutz) ebenso wie menschli- 1993. M. F. lisch Richtigen in Anspruch genom-
u. T., Freiburg/München 1976; W. C. cher Würde ( i Humanität) im Rah- men würde; vgl. dazu etwa die Frage
Zimmerli, T. oder: Wissen wir, was wir
tun?, BaselJStuttgart 1976; H. Lenk, men der Anwendung von Biotechno- Technokratie i Herrschaft. Platons (Euthyphron): Ist etwas gut,
G. Ropohl, T. u. E, Stuttgart 1987; logie im Bereich der Humanmedizin weil die Götter es geboten haben,
H. Lübbe, Der Lebenssinn der Indu- (i medizinische E), der Agrarindu- Telelogische E i Normative E, Ziel. oder haben die Götter es geboten,
Theologische Tugenden 300
T 301 Theorie-Praxis-Verhältnis

weil es gut ist? Eine konsequente t.E Anweisung vernünftig zu leben; 1. Kant, Divergenzen auf. Zugeständnisse an len, die apriorisch notwendig allen
vertreten so gesehen nur alttesta- Kritik der praktischen Vernunft I. Teil, die eigene Person differieren oft mit sitt!. Aussagen zukommen muß
mentliche (vgl. das klassische Bei- II. Buch, 2. Hauptstiick; E. Brunner, Forderungen der Allgemeinheit ge- (Kant), ergibt zwar ein Kriterium für
Das Grundproblem der E, Zürich
spiel des von Abraham geforderten 1931; ders., Das Gebot u. die Ordnun- genüber, selbst in ein u. derselben sittl. Urteile, nämlich daß sie der
Sohnesopfers) u. z. T. auch neute- gen, Zürich 4 1939; F. Melde, Gesetz u. Person treten Erkennen u. Handeln, Form der Allgemeinverbindlichkeit
stamentliche Autoren, der Nomina- Gewissen, Grundfragen t.E in ökume- innere Überzeugung u. tatsächliches u. Gesetzmäßigkeit genügen müssen
lismus des Spätmittelalters (Duns nischer Sicht, LuzernlStuttgarr 1965; Verhalten auseinander (i doppelte (t kategorischer Imperativ). Aber
Scotus, Wilhelm v. Ockham, Luther) G. E. M. Anscombe, Ethics, Religion Moral). Sittl. Probleme sind jedoch dieses ist lediglich negativ (d.h. nicht
u. pietistische Richtungen der Schul- and Politics, Coll. Phi!. Pap. IlI, Oxford dadurch von echten (persönlichen verallgemeinerbare Grundsätze eli-
philosophie (Crusius). Die meisten 1981; E. Würthweil1, O. Merk, Ver- oder sozialen) Orientierungskrisen minierend) u. kann daher der sittl. P.
religiösen Moralsysteme hingegen antwortung, Stuttgart 1982; J. Rohls, zu unterscheiden, daß jene eine Lö-
Geschichte oder E, Tübingen 1991; keinen positiven Inhalt geben. (c)
folgen in der Rechtfertigung ihres E. Schockcnhoff, Naturrecht u. Men- sung innerhalb der unmittelbar aner- Der T.typus der Analyse wiederum
Verweises auf den Willen Gottes als schenwürde, Mainz 1996. M. .F. kannten Grundsätze der Sitte erlau- kann entweder rein begriffs- u.
letzten Kanon menschlicher Ver- ben, dagegen in diesen die Prinzipien sprachanalytisch verstanden werden.
pflichtung verschiedenen, nicht t. Theologische Tugenden i Tugend. des sitd. Handelns selbst u. ihre Be- Dann verzichtet er auf einen inhaltli-
Gründen (wohl in Anbetracht der gründung in Frage stehen, so etwa chen Bezug zur eigenen Lebenspra-
Tatsache, daß ein souveräner gött- Theorie-Praxis-Verhältnis. DasT.P.V. wenn die eigene i Gewissensent- xis, sichtet wertfrei die verschiedenen
licher Wille allein ein wenig plausi- bezeichnet in der E die Beziehung, scheidung gegen die t Normen der sittI. Aussagen u. untersucht nur ihre
bles Moralprinzip abgibt): Der Be- die zwischen der unmittelbaren i Gesellschaft steht. Die Frage der logische Form (i deontische Logik,
griff Gottes als Personifizierung Verwirklichung der i Sittlichkeit im Legitimität sitt!. Prinzipien erfordert r MetaE, i Methoden der E). Ab-
des an sich i Guten, als Inbegriff i Handeln (dem Ethos des Han- T., die durch methodische Distanzie- gesehen davon, daß solche normative
der i Werte, als Verteiler ewigen delnden) u. dem wissenschaftlichen rung u. reflexive i Begründung die Neutralität schwerlich erreichbar ist,
i Glücks oder ewiger Verdammnis, Begreifen dieses HandeIns (der i E) Wiederherstellung der Einheit der beraubt sich diese T. der inhaltlichen
als Ideal absoluter Vernunft (intellec- besteht. Wenn diese Beziehung nicht sitt!. P. einleiten 5011. Rückwirkung auf P. (d) Dagegen be-
tus archetypus) liefert jenen Grund, äußerlich u. zufällig sein soll, muß es (a) Die E als T. ist seit Aristoteles deutet ein inhaltliches Verständnis
auf dem für das Moralprinzip der t.E im sittl. Handeln Gründe geben, die vor allem dadurch gekennzeichnet, als hermeneutische Analyse, daß sich
argumentiert wird. Insofern die Exi- seine Analyse durch T. sinnvoll ma- daß im Unterschied zur Naturer- die T. an die unmittelbare Geltung
stenz des göttlichen Willens nicht als chen, bzw. die T. muß eine Rück- kenntnis, bei der die Erfahrung stets sütl. Maßstäbe (der Tradition bei
rechtfertigender Grund moralischer wirkung auf die sittl. P. haben. Die nachträglich zur Überprüfung der T. Gadamer u. J. Ritter) bindet u. nur
Verbindlichkeit, sondern als theoreti- sittl. P. im alltäglichen Lebenskon- im Experiment befragt werden kann, deren Auslegung dient. (e) Der kri-
sches Postulat einer endlichen Ver- text beruft sich auf die unmittelbare eine philosophische Besthäftigung tisch-dialektische T.typus wiederum
nunft in praktischer Absicht fungiert, Erfahrung, daß das rBöse u. das mit dem Gegenstand der sittl. P. stets unterscheidet sich davon, daß er in
ein Postulat, das die Bedingung einer i Leid nicht, das i Gute u. die eigene sittl. Erfahrung voraussetzt der Unmittelbarkeit von t Sitte u.
Synthese von t Natur u. i Freiheit, i Freude jedoch sein sollen. Erleben (t praktische Philosophie). Damit Gewohnheit wesentlich die negative
von i Glück u. Moralität enthält, ist ( t Verstehen) u. praktische Stel- scheidet ein T.typus im Sinne der Erfahrung der i Entfremdung sieht,
die religiöse Interpretation des Sit- lungnahme im Handeln sind wech- empirischen Wissenschaften aus, der die durch gesellschaftliche Analyse
tengesetzes als eines göttlichen Ge- selseitig aufeinander bezogen. Selbst- begründet erklären kann, warum der in i Leid, Sinnlosigkeit u. Bos-
bots mit einer autonomen Moralbe- erfahrung, soziale Erfahrung u. die dies u. nur dies unter den gegebenen heit enthaltenen Widersprüche ihrer-
gründung vereinbar (Kant). Erfahrung der natürlichen Umwelt Umständen sitt!. richtig ist (Hempel- seits negiert u. dadurch überwunden
bilden den Zusammenhang einer Le- Oppenheim-Modell wissenschaftli- werden soll. - T.typen mit größt-
Lit.: Platon, Euthyphron; Chr. A. Cru-
benswelt (Husserl), in der das Han- chen Erklärens). (b) Das andere Ver- möglichem Objektivitätsanspl"Uch u.
sius, Entwurf der notwendigen Ver- deln immer schon durch Lebensge- fahren, unter Verzicht auf empiri- methodischer Strenge (sprachanalyti-
nunft-Wahrheiten, wiefern sie den zu- wohnheiten u. i Sitte geregelt ist. sches Wissen die transzendentale sche, transzendentale E) handeln die-
fälligen entgegengesetzt werden; ders., Doch bereits im Alltag brechen die Frage nach der Wissensform zu stel- sen Vorzug durch P.ferne u. fehlende
Therapie 302 T 303 Tierschutz

Motivationskraft ein. Hingegen fehlt Tierschutz. Der T. umfaßt alle Maß- "partnerschaftliche" Beziehung zum Im Laufe des 19. Jahrhunderts bil-
der p.nahen Theorie (hermeneutische nahmen, die das Leben u. Wohlbe- Tier vor; für die t jüdische u. det sich in Europa ein organisierter
E) die kritische Distanz zur Erfah- finden der Tiere namentlich gegen t christliche E ist das Tier von Gott T. mit T.-vereinen, T.-heimen u. T.-
rung. Die Lösung des Problems der Eingriffe u. Bedrohungen von seiten geschaffen, zugleich dem Menschen gesetzen aus, die vor allem die Tier-
P.relevanz kann nur in einem mittle- des Menschen schützen, der seit je- untergeordnet, was als eine T reuhän- quälerei verbieten u. seit dem deut-
ren T.typus gelingen, der aus der her in Gemeinschaft u. Auseinander- derschaft verstanden werden kann, schen T.-gesetz von 1933 das Tier
kritischen Analyse konkreter Erfah- setzung mit dem Tier lebt, das er bei Franz von Assisi zur "E der Brü- "des Tieres wegen" schützen, was in
rung Modelle sittl. Handelns entwik- teils als nützlich (als Beute, Haus- u. derlichkeit" überhöht wird, freilich den neueren T .gesetzen Europas ge-
kelt, die den Spielraum für die sittl. Zuchttier), teils als gefährlich u. nicht zu einer allgemeinen T.-E führt, nerell als Leitprinzip anerkannt wird.
Wahl offen halten. In ihm könnte schädlich (als "wildes Tier", "Schäd- gelegentlich sogar als absolute Ver- Danach ist z. B. bei der Tierhaltung
sich die methodische Strenge, die der ling" u. Krankheitsüberträger) erlebt fügungsgewalt des Menschen über eine artgemäße Nahrung u. Pflege
Gegenstand erlaubt, mit "der Moti- u. für das er leicht zum "Univer- das Tier mißdeutet wird. Ansätze ei- sowie eine verhaltensgerechte Unter-
vationskraft für die praktische Ver- salfeind" werden kann. Der T. be- nes e T.es finden sich auch bei Py- bringung, beim Töten von Wirbeltie-
wirklichung verbinden. trifft als individueller jedes Einzeltier thagoras u. später bei Plutarch. Aber ren eine Betäubung u. bei Tierversu-
(z. B. Verbot der Tierquälerei, Gebot für die europäische Rechtsentwick- chen eine Einschränkung auf das
Lit.: Aristoteles, Nikomach, E, Buch I; der artgerechten Haltung) u. als kol- lung ist die Unterscheidung des römi- unerläßliche Maß verbindlich. Ange-
I. Kant, Kritik der praktischen Ver- lektiver die Arten (vgl. Jagdrecht, schen Rechts zwischen Personen u. fangen mit gewissen Formen der
nunft, I. Teil, 1. u. 3. Buch; E. Husserl, Naturschutz). Er beginnt mit Sachen u, die Zuordnung der Tiere Massentierhaltung u. des Tiertrans-
Die Krisis der europäischen Wissen- menschlichen Interessen (anthropo- zur Sachellwelt bestimmend gewor- ports über den Mangel einer stren-
schaften, Husserliana Bd. VI, Den zentrischer T.): (a) dem wirtschaftli- den. Der daraus resultierenden grund- gen Leidensbegrenzung bei Tierver-
Haag 1954 III. Teil A; G. E. Moore, chen Motiv, einen Vermögenswert sätzlichen Rechtlosigkeit des Tieres suchen bis hin zu gewissen Sport-
Grundprobleme der E., München 1975; zu erhalten u, seinen Ertrag zu stei- tritt die t utilitaristische Forderung arten u. dem Ausrotten oder Ver-
N. Lobkowicz, Theory and Practice,
London 1969; W. Stegmüller, Probleme gern, (b) dem sozialen Motiv, die entgegen, sich um das Wohlergehen drängen vieler Wildtiere, ist der fol-
u. Resultate der Wissenschaftst., Bd. I, Gefühle jener zu schonen, die an aller empfindungsfähigen Lebewesen gende Grundsatz des e T.es trotzdem
Berlin, Heidelberg, New York 1969; Tierquälerei Anstoß nehmen u. (c) zu sorgen (j, Bentham, ferner Scho- noch nicht voll verwirklicht: "Dieses
M. Theunissen, Die Verwirklichung der dem pädagogischen Motiv, einer all- penhauers "E des Mitleids" u. Gesetz dient dem Schutz des Lebens
Vernunft. Zu T.-P.-Diskussion im An- gemeinen Verrohung .entgegen zu A. Schweitzers "E der Ehrfurcht vor u. Wohlbefindens des Tieres. Nie-
schluß an Heget, Tübingen 1970; wirken (vgl. z.B. Kant); er reicht dem Leben"). Eine säkularisierte T.- mand darf einem Tier ohne vernünf-
H. G. Gadamer, Hermeneutik als prak- aber darüber hinaus zum (d) t Um- E nimmt Abschied von einem t an- tigen Grund Schmerzen, Leiden oder
tische Philosophie, in: M. Riedel (Hrsg.),
weltschutzmotiv, die Artenvielfalt zu thropozentrischen Denken, demzu- Schäden zufügen." (T.gesetz, § 1.)
Rehabilitierung der prakt. Philos. Bd. I;
W. Wieland, Prakt. Philos. u. Wissen- erhalten, und schließlich (e) zum folge es im sitt!. 'Handeln letztlich le-
Lit.: I. Kant, Die Metaphysik der Sit-
schaftst., ebd.; O. Höffe, Praktische sittlichen Motiv, das Tier als solches diglich auf Interessen der Menschen ten, II. Tugendlehre, § 17; J. Bentham,
Philosophie. Das Modell des Aristote- zu schützen (e T,). ankommt, u. tritt einem menschli- An Introduction of thc Principles of
les, Kap. I 3-5 u. Ir, 5, Berlin 2 1996; Der e T. ist zuerst religiös, später chen Gattungsegoismus entgegen. Sie Morals and Legislation, § 17 (4) Anm.;
ders., Praktische Philosophie, in: Staats- philosphisch -wissenschafdich geprägt wendet die sittl. Grundsätze, (a) Glei- C. Darwin, Expression to the Emotion
lexikon, Bd. 4, Freiburg u. a. 7 1988, u. hängt davon ab, ob der t Mensch ches gemäß seiner Gleichheit gleich in Man and Animals, New York 1955;
Sp.522-532; J. Habermas, Wahr- einseitig in seiner Sonderstellung zu behandeln u. (b) niemanden zu A. Schwcitzcr, Kultur u. E, München
heitsT.en, in: Festschrift für W. Schulz, oder auch im Zusammenhang mit 2 1972, Kap. XXI-XXII; L. Kotter, Vom
Pfullingen 1973; A. Schöpf, Sigmund schädigen, auf jene höher entwickel-
der Tierwelt gesehen wird: In den ten Tiere an, die - wie jedermann be- Recht des Tieres, München 1966;
Freud, München 1982; S. Gosepath, S. elark, The Moral Status of Animals,
Aufgeklärtes Eigeninteresse. Eine Theo- Naturreligionen gilt das Tier dem obachten kann u. die wissenschaftli- Oxford 1977; A. Lorz, T.gesetz. Kom-
rie theoretischer u. praktischer Ratio- Menschen als artverwandt; nach der che Verhaltensforschung seit Darwin mentar, München 41992; K. Drawer, T.
nalität, Frankfurt a. M. 1992. A. S. t hinduistischen u. t buddhisti- I
vielfach bestätigt - schmerz-, angst- in Deutschland, Liibeck 1980; P. Sin-
schen E ist es verboten, Tiere zu tö- u. leidensfähig sind, u. gebietet, dar- ger, Befreiung der Tiere, München
Therapie t Psychotherapie. ten; im alten Ägypten herrscht eine auf gebührend Rücksicht zu nehmen. 1982; ders. (Hrsg.), Verteidigt die Tie-
I

II
'J
Tod 304 305 Toleranz

re, Wien 1986; G. M. Teusch, Tierver- Testament T.freundliche Elemente ist, mit Nachsicht begegnet. T. ist rechte der Religions-, Glaubens-, Ge-
suche u. T.) München 1983; ders., finden: etwa das Gleichnis vom Un- eine handlungsorientierte Haltung, wissens- u. Meinungsfreiheit. Trotz
Mensch u. Tier. Lexikon der T.E, Göt- kraut unter dem Weizen (Md3, 24- die im Andersartigen soweit möglich der Bedenken von Marcuse, Wolff u.
tingen 1987; U. Händel (Hrsg.), T. 30 u, 36--43) u, Jesus Verhalten, zur einen Wert zu entdecken u. ihm ein anderen bleibt T. eine Grundtugend
Testfall unserer Menschlichkeit, Frank-
Nachfolge einzuladen, nicht zu Lebensrecht zu gewähren sucht. T. der modernen pluralistischen i De-
furt/Mo 1984; U. Wolf, Das Tier in der
Moral, Frankfurt/M. 1990; C. A. Rein- zwingen, während christliche Denker gründet in der Einsicht, daß kein mokratie, durch die sie ihre politisch-
hardt (Rrsg.), Sind Tierversuche ver- der Frühzeit (Tertullian) T, forder- t Mensch schlechthin irrtums- u. soziale Ordnung aufrechterhält, in-
tretbar?, Zürich 1990; H.-P. Schütt ten, wird sie - sobald das Christen- vorurteilsfrei ist, ferner im Wissen dem sie die Vielfalt rivalisierender
(Rrsg.), Die Vernunft der Tiere, Frank- tum zur Staatsreligion avancierte - um den Reichtum u. die perspektivi- Bekenntnisse, t Weltanschauungen
furt/Mo 1990; O. Höffe, Moral als Preis bis weit über die Reformationszeit sche Befangenheit jeder konkreten u. politischer Programme als legitim
der Moderne, Frankfurt/M. 31995, Kap. hinaus häufig mißachtet. Die gewalt- Selbstverwirklichung, besonders aber respektiert. Zugleich schützt die T.,
12-13; A. Bondolfi (Rrsg.); Mensch u. same Bekehrung von Heiden bleibt in der Anerkennung anderer als frei- sofern sie zur sozialen Wirklichkeit
Tier, Freiburg (Schweiz) 1994; T, B.
zwar die Ausnahme, gegen Häretiker er u. ebenbürtiger t Personen, die wird, die Minderheiten, Randgrup-
Schmidt, Das Tier - Ein Rechtssub-
jekt?, Regensburg 1996. O. H. breitet sich aber seit dem 11. Jh. die das t Recht haben, die eigenen Vor- pen, auch Einzelgänger vor Repres-
Todesstrafe aus u. erhält sich bis stellungen zu äußern u. nach ihnen sionen u. t Diskriminierungen eines
Tod i Lehen, Leid, Selbstmord, weit über die Reformation. Im christ- zu handeln, soweit sie nicht dasselbe unduldsamen Fanatismus, der, die
auch Hirntod: medizinische E. lichen Humanismus (Dante, Mar- Recht anderer beeinträchtigen. T. er- eigenen Überzeugungen absolut set-
siNus v. Padua, Nikolaus v. Kues, möglicht ein von t Freiheit u. t Hu- zend, sie anderen mit offener oder
Todesstrafe i Strafe. Sebastian Castellio), der deutschen manität bestimmtes Zusammenleben. versteckter t Gewalt aufzwingt. T.
Mystik, vor allem der Aufklärung Sie endet dort, wo es um die Mißach- schließt nicht die Kritik an, den Pro-
Tötung i Lehel1. (Spinoza, Locke, Voltaire, Rousseau, tung der Rechte anderer geht. Des- test gegen u. die Auseinandersetzung
Lessing, Schiller u, a.) wird sie er- halb ist sie nicht in dem Sinn repres- mit anderen Lebensvorstellungen
Toleranz (lat. Duldung) meint das neut, jetzt zusammen mit der religiö- siv, daß sie auch die Duldung der aus. Im Gegensatz zur blanken Kon-
Gelten- u. Gewährenlassen (passive sen Neutralität des t Staates gefor- Unterdrückten gegenüber ihren Un- frontation eröffnet sie aber einen
T.), besser noch: die Achtung, sogar dert, von Locke u. Rousseau freilich terdrückern (Marcuse) fordert. T. ist Freiraum, in dem die t Konflikte
freie Anerkennung (aktive u. kreative erst als beschränkte T. - Atheisten ein Zeichen von Selbstüberwindung sachlich ausgetragen u. entgegenge-
T.) andersartiger Anschauungen u. sind ausgeschlossen -, da andernfalls - sie muß aggressiv-destruktiven setzte Meinungen rational diskutiert
Handlungsweisen. Im griechisch-rö- die öffentliche Ordnung gefährdet Triebwünschen abgerungen werden werden können. - Zur T. auf inter-
mischen Polytheismus war sie minde- sei. Seit dem Augsburger Religions- (Mitscherlich) - u. von Ichstärke, nationaler Ebene gehört eine Ach-
stens als religiöse T. weitgehend frieden (1555) u. dem Edikt von weil sie die Interessen anderer grund- tung der verschiedenen Kulturen u.
selbstverständlich, Rom erlaubt den Nantes (1598) werden zahlreiche sätzlich anerkennt u. die Auseinan- Traditionen, die jeden Ethnozentris-
besiegten Völkern, ihre eigenen Kulte T.edikte erlassen, lange Zeit aber nur dersetzung mit fremden Meinungen mus ablehnt u. sich auf einen t in-
auszuüben, sogar sie zu verbreiten; widerstrebend. nicht scheut. T. vollendet sich im le- terkulturellen Diskurs einläßt.
die Christen werden nicht aus reli- Als persönliche Haltung gegenüber bendigen Interesse an der Lebens- u.
giösen Gründen verfolgt, sondern den Mitmenschen ist T. keineswegs Kulturform anderer u. ist dann eine Lit.: Nikolaus von Kues, De pace fidei;
weil man von ihrer Weigerung, den an Gleichgültigkeit gegen religiöse, säkularisierte u. zurückhaltende Wei- M. E. de Montaigne, De 1a liberte de
überlieferten Göttern zu opfern, eine weltanschauliche, sittlich. u, politi- se von i (Nächsten-)Liebe. Die T. conscience; B, de Spinoza, Theo1og.-
Bestrafung des ganzen Gemeinwe- sche Fragen gebunden (T. als Alibi dient auch der t Wahrheit; denn die polit. Traktat, bes. Kap, 20; J. Locke,
des t Nihilismus). Vielmehr setzt sie freie Auseinandersetzung unter- Ein Brief über T.; F. M. Voltaire, Traite
sens fürchtet. Mit den die absolute
sur la tolerance; G. E. Lessing, Nathan
t Wahrheit beanspruchenden mo- voraus, daß man feste Überzeugun- schiedlicher Meinungen befreit von der Weise; F. Schiller, Don Carlos;
notheistischen Religionen (dem Chri- gen hat u. trotzdem die anderer re- Vorurteilen u, setzt neue Erkenntnis J. S. Mill, Über die Freiheit, bes. Kap. 3
stentum als Erbe der t jüdischen spektiert. T. ist nicht die kontempla- frei. u. 4; N. Hilling, Die deutschen Reichs-
Religion, dem t Islam) wird sie zum tive Haltung eines unbeteiligten Be- Staatliche T. realisiert sich in der gesetze über T. u. konfessionelle Pari-
Problem, Während sich im Neuen obachters, der allem, was war oder rechtlichen Sicherung der t Grund- tät, Bonn 1917; J. Maritain, Wahrh. u.
Totalitarismus 306 307 Tugend

T., Heidelberg 1960; O. Busch, T. u. Tugend (griech. arete, lat. virtus) ist u. mit denen der Mitmenschen im schiede in bezug auf Temperament,
Grundgesetz. Ein Beitrag zur Geschich- seit Platon u. Aristoteles ein Grund- Einklang stehen können, T. haben Fähigkeit u. Lage offenen Haltungen,
te des T.denkens, Bonn 1967; H. Mar- begriff der t E, der zwar in der heißt, folgerichtig u. aus t Verant- in der jeweiligen soziokulturellen u.
cuse, B. Moore, R. P. Wolff, Kritik der Neuzeit gegenüber dem Begriff der persönlichen t Situation neu u. je
reinen T., Frankfurt/M. 21970; ]. Lec- wortung für sich u. seine Mitmen-
ler, Geschichte der Religionsfreiheit im t Pflicht u. wegen der Hervorhe- schen ein Leben zu führen, das der selbst die Mitte zwischen den heiden
Zeitalter der Reformation, 2 Bde., bung e peri pherer instrumentaler u. Selbstverwirklichung dient u. sich Extremen zu finden, dem Übermaß
Stuttgart 1965; A. v. Campenhausen, funktionaler "bürgerlicher T.en" mit einer eigenen, der höchsten Form u. dem Mangel, in denen sich der
Religionsfreiheit, Göttingen 1971; (t Ordnungsliebe, Sparsamkeit, von t Freude verbindet. T. zeigt Mensch verfehlen würde. (b) i Ge-
A. Mitscherlich, T. Überprüfung eines Pünktlichkeit, Fleiß: t Arbeit) ab- sich nicht (bloß) in exzeptionellen rechtigkeit ist die Haltung der Ach-
Begriffs, Frankfurt/M. 1974; U. Schultz gewertet wurde, recht verstanden heroischen Taten, sondern bringt tung vor der Würde seiner selbst u.
(Hrsg.), T. Die Krise der demokrat. aber seine zentrale e Bedeutung nicht sich in einem ganzen Leben mit sei- seiner Mitmenschen, die sich glei-
Tugend ... , Reinbek 1974; P. King, verloren hat. T. ist das t Ideal der cherweise gegen Unrechttun u. Un-
Toleration, London 1976; K. Rahner, nen verschiedenen Aspekten u. Be-
T. in der Kirche, Freiburg u. a. 1977; t (Selbst-}Erziehung zu einer reichen zur Geltung. rechtleiden wendet. (c) t Tapferkeit
H. Lutz (Hrsg.), Zur Geschichte der T. menschlich vortrefflichen Persön- Man kann die eine Haltung sitt!. ist die sowohl Tollkühnheit als auch
u. Religionsfreiheit, Darmstadt 1977; lichkeit. Sie beinhaltet weder die Un- Lebens, die T., auch unter verschie- Feigheit abwehrende Bereitschaft,
G. Püttner, T. als Verfassungsprinzip, terdrückung aller spontanen Nei- denen Aspekten betrachten u. dann auch gegen physische, soziale oder
Berlin 1977; A. Pieper, Pragmat. u. e gungen oder den Rückzug in weltab- von einer Mehrzahl von T.en spre- politische Bedrohung (Zivilcourage)
Normenbegründung, FreiburglMün- gewandte Askese (t Verzicht) noch chen. Seit Platon ist für das abend- für sein Leben u. seine Überzeugun-
ehen 1979; Kap. 7: Zum Verhältnis die Konservierung geschichtlich ländische Ethos die Aufgliederung in gen einzutreten; dann auch die Be-
von T. u. Autonomie; H. R. Guggisberg
überholter oder die Überbewertung vier Grundhaltungen, die Kardinal- reitschaft, in t Leid, Verfolgung,
(Hrsg.), Religiöse T., Stuttgart 1984;
]. Neumann, M. W. Fischer (Hrsg.), T. instrumenteller Verhaltensnormen. T.en, maßgeblich (Aristoteles nennt schwerer Krankheit zu seinem Leben
u. Repression. Zur Lage religiöser Min- T. ist eine durch fortgesetzte Übung noch andere, u. die t christliche E u. dessen Würde zu stehen. (d) Die
derheiten ... , Frankfurt/M. 1983; erworbene Lebenshaltung: die Dis- erweitert sie um die theologischen t Besonnenheit (Maß) lehnt eine
O. HöHe, Den Staat braucht selbst ein position (Charakter) der emotionalen T.en Glaube, t Liebe u. t Hoff- Unterdrückung der menschlichen
Volk von Teufeln, Stuttgarr 1988, 105- u. kognitiven Fähigkeiten u. Kräfte, nung); (a) Die t Klugheit, eine Ver- Triebkräfte ebenso wie ihre zügellose
124; W. Kerber (Hrsg.), Wie tolerant
ist der-Islam? München 1991;]. Rawls,
das sitt!. t Gute zu verfolgen, so standesT. (arete dianoetike), ist die Befriedigung ab. Dem Verlangen des
daß es weder aus Zufall noch aus Fähigkeit U. feste Bereitschaft, die Menschen nach Essen, Trinken u.
Die Idee des pol. Liberalismus, Frank-
Gewohnheit oder sozialem Zwang, hier u. jetzt richtigen Wege u. Mittel sexueller Freude, nach Reichtum u.
furt/Mo 1992; Ch. Taylor, Mulitkultu-
ralismus ... , Frankfurt/M. 1993. O. H. sondern aus t Freiheit, gleichwohl zu erkennen u. - gegenüber ideologi- sozialer Geltung sowie der Abnei-
mit einer gewissen NOhVendigkeit, schen Täuschungen, auch Selbsttäu- gung gegen Schmerz u. Leid entzieht
Totalitarismus t Herrschaft. nämlich aus dem Können u. der schungen usw. - mit Kritik u. Reali- sie ihre naturwüchsige Eigenmacht,
(kh-)Stärlce einer sittl. gebildeten tätssinn das sitt!. Gute situationsge- ordnet sie in eine harmonische Erfül-
Totemismus t Tabu. Persönlichkeit heraus geschieht. T. recht zu bestimmen. Die drei ande- lung der verschiedenen sinnlichen
haben bedeutet, Spielball weder sei-. ren Kardinal-T.en sind sittl. T.en wie nichtsinnlichen Freuden ein u.
Tradition t Moral u. Sitte. ner Triebkräfte: der naturwüchsigen (aretai ethikai), die - in nOhVendiger ermöglicht t Glück.
t Bedürfnisse u. t Leidenschaften Ergänzung zur Klugheit - den Men- Auf der Grundlage seines Begriffs
Transzendentale E t Methoden der (Laster), noch der sozialen Rol- schen fähig u. bereit halten, unbeirrt der Freiheit als Autonomie bestimmt
E. 1eIlerwartungen zu sein, sich viel- u. mit aller' Kraft sein Wollen u. Kant die T. als die moralische Stärke
Trennungsthese t Rechtspositivis-
mehr in ein kritisches Verhältnis zu t Streben auf das sitt1. Gute zu rich- in der Befolgung seiner Pflicht, die
ihnen gestellt u. die natürlichen u, ten. lilte grundlegende Bestimmung niemals zur Gewohnheit werden,
mus.
sozialen Antriebskräfte so entfaltet geht auf Aristoteles zurück. Nach sondern immer ganz neu u. ur-
Treue t Hoffnung. zu haben, daß man jene t Zwecke ihm sind sittl. T.en keine starren sprünglich aus der Denkungsart her-
sich spontan setzt sowie zielstrebig u. oder objektiv berechenbaren Verhal- vorgehen soll. - Zu den gegenwärtig
Trieb t Bedürfnis. überlegt verfolgt, die untereinander tensmuster, sondern die für Unter- relevanten T.en sind auch Solidarität
Tugend 308 309 Umweltschutz

(t Wohlwollen) als Bereitschaft zur Epikie bedarf, um ein angemessenes Modern Moral Philosophy, in: Philo- Überlegung t Handlung.
Hilfe für Notleidende u. Unterdrück- Urteil zu erhalten) allgemeine Pflich- sophy 33 (1958), 1-19 (dt. in:
te, t Toleranz als Achtung anders- ten den Erfordernissen des Einzelfalls G. Grewendorf, G. Meggle (Hrsg.), Übermensch t Lebensphilosophie.
artiger Anschauungen u. Handlungs- gegenüber unzureichend bleiben, Sprache ll. E, Frankfurt/M. 1974);
O. F. Bollnow, Wesen u. Wandel der Überzeugung u. tatsächliches Verhal-
weisen sowie t Gelassenheit als die während die T. richtige u. angemes-
T.en, Frankfurt/M. u.a. 21975; J. Pie- ten t Theorie-Praxis-Verhältnis.
Fähigkeit zu rechnen, die Welt u. die sene t Entscheidungen in allen ein- per, Das Viergespann Klugheit, Gerech-
Mitmenschen anzunehmen, den rech- zelnen t Situationen ermöglicht. Ein
ten Zeitpunkt des Handeins abzu- weiterer Vorzug der T.-E wurde
tigkeit, Tapferkeit, Maß, München
1977; W. Jankelevitch, Traite des ver-
Umkehr t Schuld.
warten u. das rechte Maß des Tuns darin gesehen, daß der T.-Begriff tus, 3 Bde., Paris 1968; O. Höffe, Umweltschutz (engl. environmental
einzuschätzen. nicht grundsätzlich die Vernachlässi- Praktische Philosophie - Das Modell protection) ist ein Sammelbegriff für
In der neueren Debatte um die gung von Interessen des Handelnden des Arisroteles, Berlin 2 1996, Kap. II 2,
alle Maßnahmen zur Bewahrung u.
philosophischen Grundlagen der verlangt: auch durch T.en, die in er- 3, 5; ders., Sittl.-polit. Diskurse, Frank-
furt/Mo 1981, Kap. 4; E. H. Erik- Schaffung lebensgerechter Umwelt-
tEerfährt der Begriff der T. aus ster Linie anderen zugute kommen, bedingungen für den Menschen. Wie
son, Einsicht u. Verantwortung, Frank-
verschiedenen Gründen wieder Be- ist der Handelnde immer auf sein ei- furt/Mo 1971, S.95-140; O. Betz jedes Lebewesen, so ist auch der
achtung: Im Unterschied zu einer an genes Wohlergehen und t Glück b,e- (Hrsg.), T,en für heute, München 1973; Mensch mit seiner Umwelt, die gat-
der Erfüllung von allgemeinen Re- zogen, u. zwar besonders dann, wenn P. T. Geach, The Virtues, Cambridge tungsgeschichtlich gesehen zunächst
geln u. t Pflichten (deontische E) die T. als ein Wert in sich und somit 1977; J. D. Wallace, Virtues and Vices, als t Natur (als von sich her, d.h.
oder an den Folgen einer t Hand- als ein Bestandteil des guten Lebens Ithaca/London 1978; P. Foot, Virtues ohne menschliches Zutun Bestehen-
lung (konsequentialistische E) orien- geschätzt u. nicht nur instrumentell and Vices, Berkeley u. a. 1978, I;
des u. Werdendes) begegnet, in eng-
tierten E steht bei einer T.-E nicht die auf die Erreichung bestimmter Ziele A. MacIntyre, After Virtue, London
2 1985; M. C. Nussbaum, The Fragility
ster Wechselbeziehung, die sich als
Bewertung der einzelnen Handlung, bezogen wird. Schließlich vermag die ökologisches Kreislaufsystem be-
of Goodness, Cambridge 1986;
sondern die Bewertung der handeln- T.-E im Vergleich mit der deonti- D. S. Hutehinson, The Virtues of Ari- schreiben läßt (Ökologie, gr. Haus-
den t Person im Vordergrund. Der sehen und konsequentialistischen E. stode, London 1986; R. Malkowski halts{mnde, d. h. die Wissenschaft
T.-E zufolge sind unsere Handlungen das Phänomen des t Verdienstlichen (Hrsg.), von T.en u. Lastern, Frank- von den Beziehungen der Lebewesen
dann gut, wenn sie so wie die (Supererogation) besser zu erklären. furt/Mo 1987; B. Louden, Morality and zu ihrer Umwelt). Natur liefert jene
Handlungen eines T.haften sind. An- Die zahlreichen Erneuerungen der Moral Theory, New York 1992; Elemente, deren Konsum zur Erhal-
ders als im Begriff der Pflichterfül- T.-E unterscheiden sich vor allem in J. W. Chapman, W. A. Galston (Hrsg,),
tung u. Reproduktion des organi-
lung oder der Handlungskonseguenz der Frage, ob die T. universal vom Virtue, New York 1992; U, Wickert
(Hrsg.), Das Buch der T.en, Hamburg schen Lebens erforderlich ist. Die
ist im Begriff der T. immer schon die Begriff des menschlichen Wohlerge- 1995; O.O'Neill, T. u. Gerechtigkeit, Konsumtion entzieht der Natur Pro-
Anforderung enthalten, daß die rich- hens oder nur parochial und t rela- Berlin 1996; R. Crisp (Hrsg.), How dukte u. gibt ihr Abfallprodukte zu-
tigen Handlungen auch aus den tivistisch von den Zielen und Gütern Should one Live? Oxford 1996; rück. Solange dieser Austausch so
richtigen Motiven heraus erfolgen, bestimmter Gemeinschaften abhän- K. P. Rippe, P. Schaber (Hrsg.), Tu- geartet ist, daß Natur in kontinuier-
d. h. man muß die guten Handlungen gig zu machen ist, gendE, Stuttgart 1997; R. Crisp, lichen Auf- u. Abbauprozessen, teils
freiwillig u. gerne tun (Aristoteles), M. Slote (Hrsg.), Virtue Ethics, Oxford sich selbst regulierend u. regenerie-
weil sich die echte t.hafte Gesinnung Lit.: Platon, Charmides, Laches, Pmta-
1997. O. H.
rend, teils vom Menschen bewußt
nur in einer fröhlichen Gemütsstim- goras; Aristoteles, Nikomach. E, gesteuert, die für menschliches Leben
mung äußert, "ohne welche man nie Buch II-VI; Thomas v, A., De virtuti- erforderlichen materiellen Bedingun-
gewiß ist, das Gute auch lieb gewon- bus cardinalibus; A. Geulincx, E oder U
gen bereitstellt u. bereitzustellen ver-
nen, d. i. es in seine Maxime aufge- über die KardinalT.en (Fleiß, Gehor-
sam, Gerechtigkeit, Demut); A. Smith, Übel t das Böse. mag, spricht man von ökologischem
nommen zu haben" (Kant). Gleichgewicht zwischen Mensch u.
Theorie der e Gefühle; I. Kant, Die Me-
In neuerer Zeit wurde vor allem taphysik der Sitten, 2. Teil: T.lehre; Über-Ich t Gewissen. Natur. U. wird dann zum Problem,
hervorgehoben, daß (ähnlich wie die F, Nietzsche, Unsere T.en, in: Jenseits wenn durch den menschlichen Ein-
t Gerechtigkeit im Einzelfall der von Gut u. Böse; M. Scheler, Zur Re- Überleben t Evolutionistische E, griff in Natur dieses Gleichgewicht
Ergänzung durch die Billigkeit bzw. habilitierung der T.; E. Anscombe, Soziobiologie, Leben. gefährdet ist.
Umweltschutz 310 311 Universalisierungsprinzip

Das menschliche Ökosystem wird nichtmenschliche Leben bedrohen lung u. Rechtfertigung von Verfah- Problems of the 21st Century, Notre
von primärer u. sekundärer Umwelt bzw. in seinem Entfaltungsspielraum ren vernünftiger Bewertung von Dame (Ind.) 1979; H. Jonas, Das Prin-
gebildet. Zur primären Umwelt (Bio- beeinträchtigen. Die Umweltkrise hat Techniken mit hohen Umweltrisiken zip Verantwortung, Frankfurt/M.
1979; D. Birnbacher (Hrsg.), Ökologie
sphäre) zählt man Luft, Wasser, Ga- den Anstoß zur ökologischen E ge- (nach Gesichtspunkten des Scha- u. E, Stuttgart 1980; ders., Verantwor-
se, Mineralien, Pflanzen, Tiere etc. geben. Deren wichtigste Richtungen denspotentials, der Eintrittswahr- tung für zukünftigc Generationen,
Mit sekundärer Umwelt (Techno- lassen sich nach dem Gesichtspunkt scheinlichkeit, der psychologischen Stuttgart 1988; ders., Mensch u. Natur.
sphäre) werden die von der primären eines i anthropozentrischen, patho- Wirkung des Bestehens von Kata- Grundzüge der ökologischen E, in:
Umwelt durch menschliche Tätigkeit zentrischen oder biozentrischen An- strophenrisiken etc.); schließlich die K. Bayertz (Hrsg.), Praktische Philoso-
herausgehobenen u. hergestellten Sy- satzes unterscheiden: je nachdem, ob Frage nach der geeigneten institu- phie, Hamburg 1991, 278-321 (Lit.);
steme bezeichnet, wie Wohnba uten, in der Begründung von Verhaltens- tionellen Form politisch u. mora- R. Attfield, The Ethics for Environmen-
Maschinen, Industrie- Verkehrs-, In- normen gegenüber der Umwelt der lisch akzeptabler i Entscheidungs- tal Concern, Oxford 1983; G. Patzig,
Ökologische E - innerhalb der Grenzen
formationssysteme etc. U: hat ent- Mensch, die Empfindungs- und Lei- findung, - Die grenzüberschreitende der bloßen Vernunft, Göttingen 1983;
sprechend zum Inhalt die Verhin- densfähigkeit von Lebewesen oder Qualität vieler Umweltbelastungen, G. M. Teutsch, Lexikon der UmweltE,
derung von Störungen in diesem Um- das Leben gleich welcher Art und ihre Komplexität, ihr zeitlicher Wir- Göttingen/Düsseldorf 1985; H. Lübbe,
weltsystem, die gesundheitliche Stufe als grundlegende Wertungs- kungshorizont, ihre häufige Irrever- E. Ströker (Hrsg.), Ökologische Pro-
Nachteile bzw. lebensbedrohende quelle fungiert. Mit dem Begriff U. sibilität u. ihre zum Teil verzweigte bleme im kulturellen Wandel, Mün-
Folgen für den Menschen entstehen kann man nun alle Zielsetzungen in u. uneindeutige Verursacherstruktur chenIPaderborn 1986; H. Rolston, En-
lassen, wobei unter Gesundheit u. bezug auf die Natur bezeichnen, die stellen eine neuartige Herausforde- vironmental Ethics, Philadelphia 1988;
menschenwürdigem Leben nicht nur eindeutig anthropozentrisch begrün- rung für die nationale u. internatio- H. Walletschek, J. Graw (Hrsg.), Öko-
Lexikon, München 1988; E. C. Har-
Freisein von i Krankheit u. Gebre- det werden können: die Vermeidung nale Politik dar. Deren Beantwor- grove, Foundations of Environmental
chen, sondern der Zustand körperli- oder Linderung direkter oder indi- tung wird über das Schicksal der Ethics, Engelwood Cliffs (N. J.) 1989;
chen, geistigen u. sozialen Wohlbe- rekter, gegenwärtiger oder zukünfti- Menschheit in den nächsten beiden V. Hösle, Philosophie der ökologischen
findens zu verstehen ist. Die Aufgabe ger Schädigungen u. Belästigungen Generationen entscheiden. Krise, München 1991; D. Cansier,
des U. hat so gesehen die Bestim- von Menschen sowie die langfristige Umweltökonomie, StuttgartlJena 1993;
mung der Qualität menschenwürdi- Sicherung ihrer natürlichen Lebens- Lit.: H. H. Bennett, Soil Conservation, 1. Schäfer, Das Bacon-Projekt, Frank-
London 1939; Z, Dorst, Before Naturc furt/Mo 1993; J. Nida-Rümelin, D. v. d.
gen Lebens zur Voraussetzung grundlagen. Da die Umweltgüter in Dies, Moskau 1968; B. Commoner, pfordten (Hrsg.), Ökologische E u.
(i Lebensqualität, i Humanität). der Regel den Charakter öffentlicher The Closing Circle, New York 1971; Rechtstheorie, Baden-Baden 1995;
Die Entwicklung der Menschheit i Güter haben u. ihre Bedrohung P. Atteslander, Die letzten Tage der O. HöHe, Moral als Preis der Moderne,
seit der industriellen Revolution hat bzw. Sicherung von kollektivem Gegenwart, BernlMünchen/Wien 1971; Frankfurt/M. 3 1995, Teil lI-III; D. v.d.
in den letzten Jahrzehnten zu einer Handeln abhängt, sind primär poli- P. u. A. Ehrlich, Bevölkerungswachstum Pfordten, Ökologische E, Reinbek
ernsthaften Umweltkrise geführt. tisch-rechtliche Regelungen nötig u. Umweltkrise, Frankfurt/M. 1972; 1996. M. F.
Die wichtigsten Problemfaktoren (die den Gesichtspunkten der i Ge- H. Grümm, Enel'giccrzeugung u. Um-
sind: ein dramatisches Wachstum' der rechtigkeit, der Zweckmäßigkeit u. welt, in: Atomwirtschaft-Atomtechnik, Umwertung aller Werte i Nihilis-
Düsseldorf 1971; J. W. Forrester, Der mus.
Erdbevölkerung, der immense Ver- der Rechtssicherheit zu genügen ha- teuflische Regelkreis, Stuttgart 1972;
brauch fossiler Energieträger, der ben). G. Friedrichs (Hrsg.), Aufgabe Zu-
Einsatz u. die Verbreitung neben- Von philosophischem Gewicht kunft, Qualität des Lebens. Bd.4 Um-
Unbeherrschtheit i Besonnenheit,
wirkungsreicher u. risikobelasteter sind einmal die besonderen Dimen- welt, Frankfurt/M. 1972; U. U. Wirt- Willensschwäche.
T echnologien u. ihrer Produkte in sionen gegenwärtiger Umweltpro- schaftswachstum, Frauenfeld 1972;
H. D. Engelhardt (Hrsg.), Umweltstra- Ungehorsam, bürgerlicherlziviler
der menschlichen Arbeits- u. Le- bleme: neben der mit ihnen verbun~
benswelt sowie in deren Gefolge die denen Beeinträchtigung unmittelbar tegie. UmweltE der Industriegesell- t Widerstandsrecht.
Belastung der Erde u. ihrer Atmo- Betroffener ihre räumlichen u. zeitli- schaft, Gütersloh 1975; Zeitschrift
"Environmental Ethics" 1979 ff; Universale E i KlassenE.
sphäre mit Abfallprodukten, Strah- chen Fernwirkungen ebenso wie ihre J. Passmore, Man's Responsibility for
lungen, Schadstoffen u. toxischen teils sichere, teils mögliche Irrever- Nature, London 2 1980; K. E. Good- Universalisierungsprinzip i Deonti-
Substanzen, die das menschliche u. sibilität; zum zweiten die Entwidc- paster, K. M. Sayre (Hrsg.), Ethics and sehe Logik, Kategorischer Imperativ.
Unparteilichkeit 312 313 Utopie

Unparteilichkeit t Gerechtigkeit. pen, sondern das aller von der geI-U.: J. O. Urmson, R. B. Brandt). Kap. 4; ders., E u. Politik, Frankfurt/M.
Handlung Betroffenen. Im Gegensatz Noch überzeugender ist eine Dreistu- 2 1984, Kap. 4; ders. Kategorische
Unsterblichkeit der Se'ele t Religion. zu jedem Egoismus (t Selbstinteres- fung: (a) Man suche eine zum Rechtsprinzipien, Frankfurt/M. 1990,
Kap. 6; D. Lyons, Forms and Limits of
se) verpflichtet sich der U. auf das i Glück taugliche Lebensform; (b) Utilitarianism, Oxford 1965; N. Hoer-
Urteil i MetaE. allgemeine Wohlergehen (Sozialprin- in ihrem Rahmen entwickle man Re- ster, Utilitarist. E u. Verallgemeinerung,
zip). geln oder auch Grundhaltungen FreiburglMünchen 21977; J. Rawls, Ei-
Urteilskraft i Klugheit. Nach antiken Vorläufern (Ari- (i Tugenden); (c) erst von ihnen aus ne Theorie der Gerechtigkeit, Frank-
stipp, i epikureische E) u. nach läßt sich das konkrete Handeln be- furt/Mo 1975, Kap. 1; A. Quinion, Uti-
Utilitarismus (lat. utilis: nützlich) ist Vorarbeiten von Hobbes, Hume, stimmen. Selbst der Regel-U. steht Iitarian Ethics, London 1973; J. c.
eine Richtung der normativen E, die, Priestley u. a. findet sich die erste sy- noch im Gegensatz zu sittl. Überzeu- Harsanyi, Essays on Ethics, Sodal Be-
oft als Nützlichkeitsmoral abgestem- stematische Darstellung in j. Bent- gungen, nach denen jeder i Grund- havior and Scientific Explanation,
pelt, sich in der englischsprachigen hams ,Einführung in die Prinzipien Dordrecht 1978; B. Williams, Kritik
rechte hat, die auch zugunsten des des U., Frankfurt/M. 1979; W. R. Köh-
Welt zu einem differenzierten In- von Moral und Gesetzgebung' Wohlergehens anderer nicht verletzt ler, Zur Geschichte u. Struktur der uti-
strument der empirisch-rationalen (1789). Diese Schrift, Grundlage vie- werden dürfen (J. Rawls). Dem litaristischen E, Frankfurt/M. 1979;
Normenbegründung u. Gesellschafts- ler gesellschaftlicher u. politischer könnte ein den U. ergänzendes Kor- R. B. Brandt, A Theory of the Good
reform entwickelt hat. Kriterium der Reformen, entwickelt auch ein (aller- rektiv-Prinzip der i Gerechtigkeit and the Right, Oxford 1979; ASen,
sittl. Verbindlichkeit ist das Prinzip dings zu grobes) Instrument zur entgegenkommen, das für Vertei- B. Williams, Utilitarianism and beyond,
der Nützlichkeit, nach dem jene Messung des sozialen Nutzens von lungsfragen zuständig ist. Cambridge 1982; R. G. Frey (Hrsg.),
Handlung sitt1. geboten ist, deren Handlungen, den hedonistischen Die Stärke des U. beruht darin, Utility and Rights, Oxford 1985;
Folgen für das i Glück aller Betrof- Kalkül, der zum Ausgangspunkt der R. W. Trapp, "Nicht-klassischer" U.
daß er rationale Elemente (Prinzip Eine Theorie der Gerechtigkeit, Frank-
fenen optimal sind. Dieses i Moral- Wohlfahrtsökonomie wurde ( i Ent- der Nützlichkeit) mit empirischen furt/Mo 1988; W. Schrader, U. Gähde
prinzip enthält vier Teilprinzipien: scheidungstheorie). j. S. Mills ,Utili- (Kenntnisse über die Folgen einer (Hrsg.), Der klassische U., Bcrlin 1992;
(1) Im Unterschied zur deontologi- tarismus' (1863) sucht den U. durch Handlung u. deren Bedeutung für das R. M. Hare, Moralisches Denken,
sehen E ( i normative E) sind Hand- die Unterscheidung von höheren u. Wohlergehen der Betroffenen) ver- Frankfurt/M. 1992; J. Nida-Rümelin,
lungen nicht aus sich heraus, sondern niederen i Freuden zu verbessern. bindet, ferner, daß die von ihm abge- Kritik des Konsequentialismus, Mün-
von ihren Folgen her zu beurteilen Die differenzierteste klassische Dar- leiteten sittl. Pflichten weitgehend chen 1993; M. Häyri, Liberal Utilitari-
(Konsequenzen-Prinzip). (2) Der stellung ist H. Sidgwicks ,Die Me- mit den gewöhnlichen sittl. Über- aoism and Applied Ethics, Lon-
Maßstab der Folgen ist ihr Nutzen, thoden der E' (1874). - In der ersten don/New York 1994. O. H.
zeugungen übereinstimmen. Kritisie-
nicht der für beliebige Ziele oder Hälfte dieses Jh. heftig umstritten, ren kann man, daß er die Gerechtig- Utopie (griech.: ohne Ort). Eine U.
Werte (gegen N. Hartmanns Vor- erfährt der U. seitdem eine Erneue- keitsfrage nicht angemessen löst, daß entwirft eine mit der gegebenen
wurf des Wertnihilismus), sondern rung. Gegen den Einwand, sittl. er Moralprobleme nur im Verhältnis Wirklichkeit nicht übereinstimmen-
der für das in sich Gute (Utilitäts- Pflichten (z.B. Versprechen zu halten der Menschen zueinander, nicht den technische, ökonomische, politi-
prinzip). (3) Als in sich gut u. höch- [i Wahrheit], Schulden zurückzu-. auch des Menschen zu sich selbst sche oder religiöse i Ordnung. Der
ster i Wert gilt die Erfüllung der zahlen) seien immer gültig u. nicht ( i Pflichten) sieht, schließlich, daß Entwurf kann positiv das Bild einer
menschlichen i Bedürfnisse u. Inter- nur dann, wenn sie dem sozialen bei ihm eine zureichende i Be- Zukunft, in der jeder Mangel an
essen, das Glück, wobei es den ein- Wohlergehen dienen, soll das Prinzip gründung des Nützlichkeitsprinzips i Frieden, i Freiheit, i Gerechtig-
zelnen überlassen bleibt, worin sie der Nützlichkeit nicht mehr auf ein- fehlt. keit U. i Glück aufgehoben ist (po-
ihr Glück erwarten. Das Kriterium zelne Handlungen (Handlungs-U.: sitive U., z.B. K. Marx) oder negativ
dafür ist das Maß an i Freude, das j.]. C. Smart), sondern auf Arten Ut.: J. Bentham, An Introductioo to Schreckbilder von i Gewalt u. Un-
eine Handlung hervorruft, vermin- oder Regeln von Handlungen ange- the Principles of Morals and Legislati-
on; ]. S. Mill, Utilitarismus; O. Höffe terdrückung (negative U., Z. B.
dert um das mit ihr verbundene Maß wandt werden: Jene Handlungen gilt A. Huxley, E. jünger) oder konkret
an Leid (hedonistisches Prinzip). (4) als sittl. erlaubt, die mit einer dem (Hrsg.), Einführung in die utilitarist.
E. Klassische U. zeitgenössische Texte, größtmögliche Verbesserungen vor-
Ausschlaggebend ist nicht das Glück sozialen Wohlergehen dienenden Tübingen 2 1992; ders., Strategien der handener humaner U. sozialer Mög-
bestimmter Individuen oder Grup- Handlungsregel übereinstimmt (Re- Humanität, Frankfurt/M. '1985, lichkeit vorstellen (konkrete U., Z. B.

J
Verallgemeinerung 314 315 Verantwortung

H. Marcuse, E. Bloch), Technische u, Gewalt. - U,n können eine integrale V" "die jemand trägt", dabei als Aufgrund seiner Fähigkeit zur V,
politische U.n setzen jeweils kritische Rolle in bestehenden Gesellschaften (1.1) spezifische AufgabenV. die Zu- wird der i Mensch zum Rechtssub-
Gegenbilder zu einer vorhandenen spielen (vgL Th. Morus oder i christ- ständigkeit für bestimmte Rollen, jekt bzw, moralischen (auch religiö-
Wirklichkeit: als eine Form des be- liche E). Ohne utopische (im Sinne Funktionen u. Ämter u. als (1.2) ge- sen) Subjekt, das für sein i Handeln
sten i Staates (Platon), als ver- von "kritische") Elemente kommen nerelle HandlungsV. die Zuständig- und dessen Folgen einzustehen hat u,
nünftige, technische oder moralische freiheitliche u, soziale politische Ord- keit für die Folgen u, Nebenfolgen im Bereich des i Rechts i Strafen
Ideale (Th. Morus, F. Bacon) oder nungen nicht aus (i Demokrarie, des eigenen Tun u, Lassens, (2) Die oder i Belohnungen, des Sozialen
als Lösungen sozialer Probleme unter i Gerechtigkeit, i Gleichheit), Kri- {Sekundär-)V., "zu der man gezogen Lob oder Tadel, moralisch gesehen
veränderten politischen u. ökonomi- terium ihrer utopischen, nicht als wird", die RechenschaftsV" führt ein aber Achtung oder Verachtung ver-
schen Bedingungen {G. Fourier}. Eine vollkommen realisierbar erachteten Moment der Anschuldigung, zumin- dient. - Die rechtliche V, betrifft
vollkommene Veränderung der Handlungsziele ist, im Gegensatz zu dest Verdächtigung mit sich, Zu- Verpflichtungen aus Aufgaben u,
Wirklichkeit u. einen neueh, von sei- revolutionären U,n, ihre vernünftige ständigkeiten seien vernachlässigt, Ämtern, die man übernommen hat,
nen i Leiden u. Mängeln erlösten Legitimierbarkeit. (3) Bewahrheitet sich die Anschuldi- oder das Einhalten der allgemeinen
i Menschen fordern religiöse D.n gung, so wird man erneut zur V. Gebote u. Verbote des Rechts. Ihre
(z. B. Wiedertäufer, Th. Münzer) zur Lit.: K. J. Heinisch (Hrsg,), Der utopi- "gezogen": Die TertiärV. besteht in subjektive Bedingung der Möglich-
sche Staat, Hamburg 1960, bes, keit ist, daß man über Zurechnungs-
Verwirklichung einer tausendjähri- der Haftung für Verfehlungen oder
Th, Morus, F, Bacon; H. Swoboda
gen Herrschaft Christi (Chiliasmus, (Hrsg.), Der Traum vom besten Staat, Vernachlässigungen, in Schadenser- fähigkeit verfügt, insofern man aus
von griech. tausend) u. revolutionäre München 1972; K. Marx, Ökono- satz u, Wiedergutmachung, evtl. eigenem Antrieb u. in einem Über-
D.n (i Revolution) zur Verwirkli- misch-philosophische Manuskripte, auch i Strafe. schauen der i Situation u, der
chung eines von Herrschaft u. i Ge- Mskr. III; A. Huxley, Schöne neue Die der RechenschaftsV, u, der Handlungsfolgen, also freiwillig u.
walt befreiten Reichs der Freiheit Welt, München/Zürich 1976; E. Jün- Haftung vorgeordnete AufgabenV. bewußt (i Streben) handeln kann,
{K. Marx}, - Ihren mythischen Cha- ger, Heliopolis, Tübingen 1949; u. HandlungsV. bestehen in einer was durch die frühkindlichen Erzie~
rakter verliert die U" wenn ihr Ziel M. Buber, Pfade in Utopia, Heide1berg dreistelligen Beziehung: der Zustän- hungsprozesse stark beeinflußt wird
1950; K. Mannheim, Ideologie u. U.,
in den Begriff der mündigen i Ge- digkeit (a) von i Personen (b) {i:tr (i Sozialisation). Zurechnungsfähig-
Frankfurt 31952, Abschn, IV; J. Haber-
sellschaft umgemünzr wird. Die mas, Erkenntnis u. Interessen, Frank- übernommene Aufgaben bzw. für keit impliziert nicht, daß der Mensch
Funktion der U. übernimmt in dieser furt/Mo 1968, Abschn. I; E. Bloch, das eigene Tun u, Lassen, auch für ein Wesen ist,' das i frei von jegli-
rational definierten Gesellschaft die Geist der u. (,1923), Frankfurt/M. Charaktereigenschaften (c) vor einer cher äußeren oder inneren i Deter-
von emanzipatorischem Erkenntnis- 1973, S.291-347; R, Nozick, Anar- Instanz, die Rechenschaft fordert: mination ist. Allerdings können im
interesse geleitete u. durch Sprache chie, Staat, Utopia, München 1976, z. B. vor einem Gericht, vor den Mit- Einzelfall spezifische Gründe, wie sie
real ermöglichte Antizipation (lat., Teil 3; R, Spaemann, Zur Kritik der menschen, auch vor dem i Gewis- schon Aristoteles diskutiert hat, von
Vorwegnahme) des "gelungenen Le- polit. U., Stuttgart 1977; W. Voßkamp sen oder vor i Gott (d) nach Maß- V. teilweise oder vollständig entla-
bens" (J. Habermas). - Problema- (Hrsg.), U.forschung, Stuttgarr 1982; sten, Z. B. Zwang, Nötigung, Irrtum,
0, Höffe, Kategorische Rechtsprinzipi- gabe gewisser Kriterien, Nur einfa-
tisch in allen D.n ist ihr ungeklärtes en, Frankfurt/M, 1990, Kap. 9; S, Ben- che Aufgaben lassen sich vorweg u, Geisteskrankheit, Für den Psycholo-
Verhältnis zur Geschichte, die aus habib, Kritik, Norm U. U" Frank- in einem simplen Pflichtenheft fest- gen U. Juristen ist die Grenze zwi-
dem Vorrang der Zukunfr entste- furt/M, 1992. w. V. legen, so daß Gewissenhaftigkeit schen Verantwortlichkeit u, Nicht-
hende Unterbewertung von Vergan- ausreicht. Die Aufgaben der sog, verantwortlichkeit oft schwierig zu
genheit u, Gegenwart, Dabei bildet V.sträger (Eltern, Politiker, Unter- ziehen,
nicht die begrenzte Realisierbarkeit v nehmer, Intellektuelle. , .) sind SittI. ist das Übernehmen von V.,
urop, Forderungen das Moment der strukturell komplexer: weder wohl- sofern es nicht aufgrund zu erwar-
Gefahr, sondern die Fehleinschät- Verallgemeinerung i Kategorischer definiert noch von Kollisionen frei, tender Belohnungen u, Strafen, son-
zung real verfügbarer Mittel u, die Imperativ, weshalb es zusätzlich einer Sensibili- dern deshalb geschieht, weil man
Möglichkeit des Umschlagens ent- tät für neu entstehende Aufgaben U. sich selbst als für Mitmenschen, die
täuschter u. überzogener i Hoff- Verantwortung ist ein mehrstufiges einer höherstufigen Urteilskraft be- Welt u, sich selbst verantwortlich er-
nung in die ursprünglich bekämpfte Phänomen, Es gibt (1) die (Primär-) darf. kennt U. sich gemäß dieser V. als

I
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VerantwortungsE 316 317 Verfassung

Person einsetzt (sittl. Engagement im VerantwortungsE i Verantwortung. obligatorisch, freilich nur in einem kategorische Imperativ, die vollkom-
Gegensatz zum natürlichen Egois- indirekten Sinn, da aus ihnen keine m'enen u. die unvollkommenen Pflich-
i ten, in: Zeitschrift für philosophische
mus: i Selbstinteresse). Sittl. V. be- Verbindlichkeit Pflicht. eindeutigen Handlungsforderungen
Forschung 37 (1983); M. Baron, Kan-
trifft auch die Welt (der i Familie, entstehen sollen; daher sind Tugend-
tian Ethics and Supererogation, in:
des Arbeitsplatzes, der i Politik), in Verbot t Deontische Logik. pflichten anders als Rechtspflichten Journal ofPhilosophie 84 (1987).
der man lebt, ohne hier formelle Zu- staatlicherseits nicht erzwingbar. In C.H.
ständigkeiten übernommen zu ha- Verbrechen i Strafe. der gegenwärtigen E-debatte wird
ben. Denn die Lebensverhältnisse des der Begriff der V. vor allem von Verfahrensgerechtigkeit i Gerech-
Menschen sind mindestens zum Teil Verdrängung i Krankheit. ]. O. Urmson verteidigt. Urmson tigkeit.
erst durch gemeinsame i Arbeit u. lehnt die dreifache Einteilung von
wechselseitiges Verhalten so gewor- Verdienstlichkeit (Supererogation) Handlungen in moralisch verbotene, Verfassung ist als politische, ökono-
den, wie sie sind, u. sind durch deren bezeichnet den Bereich moralisch gu- erlaubte u. verpflichtende als unge- mische, rechtliche u. soziale i Ord-
Veränderung beeinflußbar.- Die V.E, ter i Handlungen, soweit diese nügend ab; unerfaßt bleiben hier die nung, als Grundgesetz eines tStaa-
die M. Weber zum Beruf der Politik durch ihre vorzügliche sittl. Qualität Taten von Heiligen u. Helden, deren tes, ein System von i Normen, die
rechnet u., nicht ganz sachgerecht, in über das Maß des e strikt Geforder- außerordentliche Dignität sich weder die i Gesellschaft zu einem rechtli-
kontradiktorischem Gegensatz zur ten hinausgehen. In der traditionellen als nur "erlaubt" noch als chen Ganzen integrieren. Nach Ari-
i GesinnungsE stellt, fordert, nicht i christlichen E wird V. besonders "verpflichtend" beschreiben lasse. stoteles sind die V.en gut, die das
einfach hohen Geboten zu folgen, mit den Leistungen der Heiligen oder Kritiker der von Urmson geforderten i Gemeinwohl im Auge haben, u.
vielmehr in erster Linie auf die vor- bedeutender Glaubenszeugen in Ver- vierten Kategorie wenden hiergegen die besten V.en sind die, die ein
aussehbaren Folgen der Handlungen bindung gebracht. Thomas v. Aquin ein, daß es die Pflicht eines jeden sei, Gleichgewicht zwischen den sittL
zu achten u. für sie aufzukommen. versteht alle freiwilligen Überschrei- die ihm jeweils mögliche beste (i Freiheit, t Gerechtigkeit) u. so-
tungen des Gebotenen als verdienst- Handlung zu tun; daher sei eine vier- zialen (i Gleichheit, Reichtum, Ar-
Lit.: Aristoteles, Nikomach. E, Kap. III lich; er vertritt die Ansicht, die Ver- te Kategorie unnötig. Die Kritik mut) Kriterien von i Demokratie u.
1-7; M. Weber, Politik als Beruf, in: dienste der Heiligen gehörten der kann dann etwa lauten, daß es sich Oligarchie herstellen. Die V. legt die
Ges. polit. Schriften; W. Weischede1, bei Heiligen u. Helden nur um be- Herrschaftsordnung, die Verteilung
Das Wesen der V., Frankfurt/M. 2 1958; gesamten Kirche als ein Besitz, der
H. Morris (Hrsg.), Freedom and Re- sich auf andere Personen übertragen sonders leistungsfähige moralische der Machtkompetenzen (Gewalten-
sponsibility, Stanford 1961; K. Engisch, lasse. Die Reformatoren widerspre- Personen handelt. Über Sinn oder teilung) u. die Prinzipien ihrer Or-
Die Lehre von der Willensfreiheit in der chen dieser Konzeption von V., in- Unsinn des Begriffs der V. entschei- ganisationen schriftlich oder nicht-
strafrechtsphilosoph. Doktrin der Ge- dem sie die Vorstellung, gute Werke' det also die Frage, ob sich basale schriftlich (z. B. England) fest, ga-
genwart, Berlin ~1965; W. Schulz, Phi- ließen sich im Übermaß tun, grund- Pflichten von einem freiwilligen, für rantiert die t Grundrecht u. die
losophie in der veränderten Welt, Pful- sätzlich ablehnen u. gutes Handeln die Allgemeinheit unzumutbaren rechtliche Sicherung des einzelnen
lingen J 1976, Kap. V: V.; G. Picht, auf der Basis einer Gnadentheorie Surplus präzise trennen lassen oder gegenüber dem Staat. Die Normen
Wahrheit, Vernunft, V., Stuttgart 1969; der V. sind in einer V.-Urkunde hin-
erklären. Kant dagegen hat die Vor- . ob man sich jeden Handelnden als
R.Ingarden, Über die V., Stuttgart
1970; F. H. Erikson, Einsicht u. V., stellung von V. in seiner Lehre von zur schrittweisen Erweiterung seines sichtlich ihrer jeweiligen historisch-
Frankfurt/M. 1971; R. Ginters (Hrsg.), den "unvollkommenen Pflichten" moralischen Aktionsfeldes verpflich- konkreten Geltung nicht vollständig
Freiheit u, Verantwortlichkeit, Düssel- wiederaufgegriffen; danach gibt es tet vorstellen soll. beschreibbar, sondern nur grund-
dorf 1977; H. Jonas, Das Prinzip V., neben den vollkommenen Pflichten sätzlich zu umreißen, da sie als all-
Versuch einer E für die technologi- (Rechtspflichten) noch ein verdienst- Lit.: Thomas v. Aquin, Summa theolo- gemeine Prinzipien unter allen histo-
sche Zivilisation, Fra,nkfurt/M. 1979; liches Mehr, darunter etwa die För- gica 11-11, qu. 58,3 u. a.; I. Kaut, Meta- rischen Bedingungen gelten sollen.
H. M. Baumgartner/ A. Eser (Hrsg.), derung des Glücks anderer oder die physik der Sitten; J. O. Urmson, Saiuts Die Verwirklichung u. Interpretation
Schuld u. V., Tübingen 1983; P. Sa- and Heroes, in: A. Melden (Hrsg.), Es-
Selbstvervollkommnung (Tugend- der Grundrechte u. der Prinzipien
ladin, V. als Staatsprinzip, BernJ says in Moral Philosophy, Seattle 1958;
Stuttgart 1984; O. HöHe, Moral als pflichten). Kant hält solche unvoll- J. Fishkin, The Limits of Obligation, des Rechtsstaats sind Aufgabe der
Preis der Moderne, Frankfurt/M. kommenen Pflichten allerdings nicht New Haven 1982; D. Heyd, Superero- i Politik, der Rechtsprechung u. des
31995, bes. Kap. 2. O. H. für freiwillig, sondern durchaus für gation, London 1982; W. Kcrsting, Der gesellschaftlichen Lebens. Von die-
Vergebung 318 r 319 Verstehen

sem engeren politisch-rechtlichen Be- lingen 1966; E. W. Böckenförde, Staat, hungen der Menschen untereinander Humanwissenschaften, die vom kau-
griff der V. als System von Rechtsga- Gesellschaft, Freiheit. Studien ... zum dem Maßstab äquivalenter Gegen- salen Erklären unterschieden wird.
rantien u. Machtverhältnissen zum V.recht, Frankfurt/M. 1976; W. Hen- seitigkeit unterstellt (lex taJionis: Während sich dieses auf naturwis-
nis, V. u. V.-Wirklichkeit, Tübingen Gleiches mit Gleichem vergelten; senschaftliche Vorgänge, besonders
Schutz von Individuen u. Gruppen ist 1968; K. Hesse, Die normative Kraft
der weitere Begriff der V. als Da- des V., Tübingen 1959; K. Loe-
i jüdische E, i Goldene Regel). - auf das dem Menschen mit dem Tier
seinsweise u. Lebensform der Gesell- wenstein, V.-Lehre, Tübingcn 2 1969; Nach der i hinduistischen E ist der gemeinsame Verhalten bezieht u. es
schaft (c. Schmitt) u. als individuell C. Schmitt, V.-Lehre, Berlin 5 1970; ganze Kosmos von einem sitt!. Ver- in Reiz-Reaktionszusammenhängen
verbindlicher Sollensanspruch zu un- G. Bien, Die Grundlegung der polit. Phi- geltungsgesetz (Karma) beherrscht. ( i Belohnen-Bestrafen) ursächlich
terscheiden. Im engeren Sinn ver- losophie bei Aristoteles, Freiburg/Mün- begreift, hat das V. die spezifisch
ehen 1973, Teil V; P. Haungs (Hrsg.), Lit.: L Kant, Die Religion innerhalb der menschliche Ausdruckssphäre mit Er-
pflichtet die V. politisches, rechtli-
ches u. ökonomisches Handeln auf V. u. politisches System, Stuttgart 1984; Grenzen der bloßen Vernunft,
IV. Stück; V. Hamp U. a., Art. Vergel-
leben, Gestik, Sprache u. t Handlun-
O. Höffe, Vernunft u. Recht, Frank- gen zum Gegenstand. Es besteht darin,
ihre Werte u. Ziele u. be'stimmt die furt/Mo 1996, Kap. 12. W. V. tung, in: Lexikon f. Theol. u. Kirche
gesetzlichen Verfahren zur Regelung Bd. X; A. Dihle, Die Goldene Regel, daß dem beobachtbaren Verhalten ei-
von i Konflikten. Die V. enthält die Göttingen 1962; F. Rickers u. a., Ver- ne Intention oder Zielorientierung
Vergebung i Verzeihung.
geltung u. Vergebung, Frankfurt/MJ unterstellt wird, durch das es eine
Verfahrensregeln für die Gesetzge-
München 1974; R. Brandt (Hrsg.), Interpretation oder i Sinndeutung
bung u. ihre eigene Änderung. Sie Vergeltung i Strafe. Rechtsphilosophie der Aufklärung, erhält. Seit Husserl verstehen wir un-
schließt davon die Grundrechte als
Berlin/New York 1982 (eattaneo, ter Intentionalität die wissentlich-
ihre eigenen normativen Grundprin- Vergeltullgsmoral, oft synonym mit Forschner, Höffe, Oberer). M. F.
zipien aus u. setzt als letzte Entschei- Lohnmoral, ist ein meist polemisch willentlich-emotionale Gerichtetheit
verwendetes Wort, das sowohl eine des Bewußtseins auf etwas. Aufgrund
dungsinstanz über Änderungen u. Verhalten i Handlung.
des Begreifens des sichtbaren Da-
Ergänzungen die V.-Gerichtsbarkeit Weise sittL Gesinnung wie bestimm-
ein. Dieses Kriterium unterscheidet te e Theorien charakterisiert. Von Verhaltensforschung i Instinkt, So- tums vom i Ziel her wird das V. oft
freiheitlich-demokratische von auto- (egoistischer) Lohnmoral spricht zialisation. teleologisch oder finalistisch ge-
ritären V.en. Die Anerkennbarkeit man, wenn Personen anderen Perso- nannt.
der V.-Normen ist Inhalt einer hypo- nen gegenüber die Regeln der i Hu- Verhaltenssteuerung i Sozialisation. V. ist eine Erkenntnisweise, die be-
thetisch vorausgesetzten allgemeinen manität, der tGerechtigkeit, der reits im alltäglichen Lebenszusam-
Übereinkunft (i Konsens) bzw. ei- Fairneß etc. nur deshalb befolgen, Verhaltensstörung i Krankheit. menhang geübt wird. In ihm verbin-
nes i Gesellschaftsvertrages, wäh- um im diesseitigen u.loder in einem det sich eine Erkenntnis- u. Sprech-
Verhaltenstheorie i Belohnen U. Be- leistung (Erfassen des Sinngehalts
rend deren Normativität u. Ver- erhofften jenseitigen Leben von eben'
strafen, Psychotherapie. bzw. der Bedeutung eines Ereignis-
pflichtungscharakter als Grundlage diesen oder von anderen Personen
des Vertrags u. der Übereinkunft dafür belohnt bzw. nicht bestraft zu ses) mit einer emotionalen Stellung-
Verleumdung i Ehre. nahme. Diese verlangt vom V.den
vorausgesetzt sind. Normativität u. werden (do ut des). Von Lohnmoral
Verpflichtungscharakter bleiben da- bzw. V. ist ferner die Rede in bezug . eine Einfühlung (Empathie). Frühe
Vernunft i Freiheit, Sittlichkeit.
V.theorien haben darin allein die
her auch bei V.-Änderungen u. -Er- auf Theorien egoistischer E, die sitt!.
gänzungen unantastbar. V.-Normen Gesetze H. Ziele nicht als in sich Vernunftkritik i Methoden der E. spezifische V.leistung gesehen U. da-
sind nur insofern historischem Wan- sinnvoll U. verbindlich anerkennen, zu beigetragen, daß es als irrational
del unterworfen, als der Wille der V. sondern nur als bedingte Imperative Versagung i Verzicht. abgewertet wurde. Die Sprach-
nicht von dem des Gesetzgebers zur Erreichung persönlicher Vorteile. spieltheorie Wittgensteins hat ge-
trennbar ist. Sie setzen andererseits Von V. wird schließlich gesprochen Versöhnung i Friede. zeigt, daß darüber hinaus zum V. ei-
aber einen sitd. Anspruch, der nicht bezüglich t normativer e Theorien, ne praktische Einsicht gehört. So
Gegenstand, sondern kritisches Kor- deren Gesetze auf einer spezifischen Versprechen i Wahrheit. habe ich eine Sache erst wirklich ver-
relat sozialen Wandels ist. Interpretation des Prinzips kommu~ standen, wenn ich praktisch zeigen
tativer Gerechtigkeit basieren, das die Verstehen meint seit dem 19. Jh, die kann, wie man es macht. Erkennen,
Lit.: Aristoteles, Politik, Buch III;
W. Abendroth, Das Grundgesetz, Pful- gesollten sitd. u. rechtlichen ßezie- Erkenntnisweise der Geistes- oder Sprechen u. Handeln verdeutlichen
Verstehen 320 321 Verzeihung

sich wechselseitig. Im V. verbindet dein als praktisches i Begründen terpretation. Ein Versuch über Freud, Schuldigen, um des i Gemeinwohls
sich somit das Erkennen-Sprechen oder Rechtfertigen bezeichnet u. da- Frankfurt/M. 1969, S.15-72, 352- oder der Größe des Schadens willen
mit einer praktischen Fähigkeit u. bei an die Form des praktischen 428; K.-O. Ape1, Neue Versuche über notwendig ist. Analog zur V. zwi-
einer emotionalen Stellungnahme Syllogismus (i deontische Logik) Erklären 0. V., Frankfurt/M. 1978; schen Personen können auch öffent-
ders., Die Erldären-V.-Kontroverse in
(i Theorie-Praxis). Strukturell gese- bei Aristoteles anzuknüpfen ver-
transzendentalpragmatischer Sicht, liche u. rechtliche Maßnahmen ge-
hen ist das V. von Vorannahmen sucht. Danach kann ich eine Hand- Frankfurt/M. 1979; M. Riedel, V. oder genüber einzelnen u. Gruppen (Be-
(Meinungen, Lebensregeln) be- lung als sinnvoll begründen, wenn Erklären?, Stuttgart 1978; R. SeIman, gnadigung, Amnestie), aber auch
stimmt, die der Erlebende an ein Er- ich davon ausgehe, daß 1. die Ab- Die Entwicklung des sozialen V.s, Friedensverträge zwischen Staat u.
eignis (inneres oder äußeres, Natur- sicht bestand, das i Ziel p zu errei- Frankfurt/M. 1984; D. Davidson, Völkern anstelle von Vergeltung
oder zwischenmenschliches Ereignis) chen, u. 2. die Überzeugung vorhan- Wahrheit u. Interpretation, Frank- (i Strafe) V. als Grundlage einer
heranträgt u. die seine Erwartungen den war, daß a das geeignete Mittel furt/Mo 1986; T. Haussmann, Erklä- Versöhnung bewirken. - V. gilt
bestimmen. Im Erlebnis· bestätigen ist, um p zu erreichen. ren u. V. Zur Theorie u. Pragmatik der schon für jene E-en als sittL
Geschichtswissenschaft, Frankfurt/M.
oder korrigieren sich diese Voran- Das V. stößt auf Schwierigkeiten,
1991. A. S. i Pflicht, die V. nicht aus der höhe-
nahmen am tatsächlichen Ereignis u. wenn die Intention oder der Sinnge- ren Pflicht der Nächsten- oder Fein-
bestimmen die Ausgangsbasis des halt einer Handlung durch i Krank- Vertragstheorien i Gesellschaftsver- desliebe ableiten, sondern sich auf
nächsten V.vorgangs. Aufgrund der heit oder Unterdrückung in systema- trag. das i Wohl wollen als menschlichen
gegenseitigen Weiterbestimmung von tischer Weise gebrochen sind. Wenn Charakter u. auf die Ordnung der
Vorannahme u. Ereignis wurde diese sich die Handlung in widersprechen- Verzeihung. Die V. (auch: Verge- i Natur berufen: diese unterscheidet
Erkenntnisweise von Heidegger de Intentionen auflöst, wie beim neu- bung) vergilt eine Verfehlung oder nicht zwischen Guten u. Schlechten
"hermeneutischer Zirkel" genannt. rotischen Konflikt, oder von der le- i Schuld nicht durch i Strafe, Ra- ( i stoische E) u. gibt den Menschen
Um eine Verwechslung mit dem feh- benspraktischen Wirklichkeit syste- che oder i Haß. V. ist eine singuläre die harmonischen Ziele ihres Han-
lerhaften logischen Zirkel zu vermei- matisch abgespalten ist, wie in der Beziehung zwischen zwei Personen, delns vor (i chinesische E). Die
den, sollte man besser von einem spi- psychose, ist ein unmittelbares V. die der Nächstenliebe, der i Tole- i christliche E verheißt demjenigen
ralförmigen Erkenntnisprozeß spre- nicht mehr möglich. "Unsinn" u. ranz u. Großmut einen Vorrang vor V. durch i Gott, der seinen Feinden
chen. In den Human- oder Geistes- Sinnlosigkeit können dann nur aus der i Gerechtigkeit einräumt. Da- verziehen hat. Wer nicht verzeiht,
wissenschaften wird diese Erkennt- biographischen oder gesellschaftli- bei kann die moralische Besserung verletzt sein eigenes Wesen als
nisweise aufgrund der Eigentümlich- chen Bedingungen rekonstruiert wer- des Schuldigen ein Motiv der V. sein. Ebenbild Gottes. Darüber hinaus
keit des Gegenstandes in die Wis- den. Ein V., das private Bedeutungen Durch V. wird eine Person aber nicht sieht die christliche E ein Motiv für
senschaft übernommen. Im Unter- u. Regelsysteme sowie ideologisch primär in einer Gruppe oder Gesell- V. in der eigenen Mitschuld des
schied zu einer kausalen Erklärung verstellten Sinn erschließt, nennt schaft rehabilitiert, sondern wieder Menschen, sofern er auf bewußte
der Natur, die auf die Warum-Frage man seit der kritischen Theorie von in eine persönliche Beziehung (der oder unbewußte, direkte oder indi-
antwortet, muß man in ihr eine Ana- Horkheimer, Adorno u. Habermas i Freundschaft, des Vertrauens rekte Weise Anlaß zu einer Feind-
lyse der Bedeutung menschlicher Tiefenhermeneutik oder kritisches u.a.) aufgenommen. Die verletzte schaft oder Verfehlung gegeben hat.
Ausdrucksformen sehen, die auf die Verstehen. Person schließt ihre Gefühle u. Inter- Die besangene Schuld soll dadurch
Wie-möglich-Frage antwortet. Ein essen aus u. will ausschließlich dem jedoch nicht verharmlost werden.
Ereignis wird dabei aus einem Er- Lit.: W. Dilthey, Der Aufbau der ge- Wohl dessen dienen, der gegen das
wartungs- oder Regelzusammenhang schichtlichen Welt in den Geisteswis- i Recht oder die i Sitte verstoßen Lit.: Neues Testament, Bergpredigt
verstanden, der seine Bedeutung senschaften, Frankfurt/M. 1974; H. G. Mt 5,1 ff, Lk 6, 17 ff; Seneca, De bene-
hat. Dessen Schuld wird nicht objek-
expliziert. Logisch gesehen kann Gadamer, Wahrheit und Methode, ficiis, Buch IV, Kap. 26, 1 u. 28, 3;
Tübingen 2 1965; A. Lorenzer, Sprach- tiv, gegenüber Dritten, sondern nur
man daher von einem begriffsanaly- Thomas v. Aquin, Summa theologica
zerstörung und Rekonstruktion, Frank- für den aufgehoben, der verzeiht. V. lI-lI, q. 25 a. 8 u. ur, q. 84-90; G. W.
tischen Verfahren sprechen. Neuere furt/Mo 1970; Hemeneutik 0. Ideolo- schließt daher die Forderung einer F. HegeI, Phänomenologie des Geistes,
methodologische Untersuchungen (v. giekritik, Frankfurt/M. 1971; G. H. angemessenen Sühne u. Wiedergut- Teil VI, C, c; J. H. Newman, Lectu-
Wright) haben diese Erkenntnisweise v. Wright, Erklären und Verstehen, machung gegenüber Dritten nicht res on Justification, London 1840;
mit Blick auf das menschliche Han- Frankfurt/M. 1974; P. Ricceur, Die In- aus, wenn diese zur Besserung des H. Küng, Rechtfertigung, Einsiedeln
Verzicht

J 957; G. Löhr, Gott - Gebote - Ideale,


Göttiogen 1991, S. 114 ff. W. V.

Verzicht nennen wir die freiwillige


kennt die Psychologie folgende Lö-
sungsversuche: Entweder führen die
Versagungen dazu, die eigenen Wün-
sche abzuwehren; diese radikale
322

r 323

siert, daß sie dem Knecht V. abfor-


dert, um dem Herrn das Genießen zu
ermöglichen (Hegel) . Sie katm sich
aber ebenso als berechtigt erweisen,
Vorbild t Ideal.
Vorsehung

Vorsehung ist ein -Begriff der philo-


sophischen u. theologischen Traditi-
Einschränkung unseres Luststrebens. Form unbewußten V. schlägt in die wenn sie sich am Maßstab der realen on. Er interpretiert die der menschli-
Die E-en der jüngsten Vergangenheit neurotische t Krankheit um. Oder ökonomischen Möglichkeiten einer chen Planung, Verfügung u. z. T.
schwankten zwischen einer extremen sie leiten den Rückzug aus einer fru- Gesellschaft bemißt, die ihre Arbeit auch Erkenntnis entzogenen Momen-
V.moral u. einer ebenso einseitigen strierenden Wirklichkeit in die ur- so organisiert hat, daß deren Früchte te von Natur u. i Geschichte ebenso
Lustmoral (t Freude). Religiöse sprüngliche Gefühlswelt des Säug- den Arbeitenden zugute kommt. Eine wie die i Handlungen der i Men-
Auffassungen betonten umso mehr lings ein; diese illusorische Weise der besondere Bedeutung gewinnt daher schen selbst als Produkte einer über-
die Forderung von V. u. Opferbereit- v.freien Wunscherfüllung endet in das Problem des V. unter den Bedin- menschlichen i Vernunft. Ursprüng-
schaft für dieses Leben, als sie sein der i Sucht oder im psychotischen gungen einer Überflußgesellschaft. lich aus der zweckmäßigen i Ord-
Schwergewicht ins Jenseitige verleg- Wahn. Die einzige Weise, mit der Für sie stellt sich nach innen das nung des Makrokosmos wie lebender
ten. Die aus calvinistisch-christlichen Wirklichkeit fertig zu werden, ohne Problem, ob nicht bei weitgehend Organismen erschlossen, meint V.
Ursprüngen erwachsene Theorie des die eigenen Wünsche aufzugeben, gesicherter Güterversorgung ein die zweckvoll schaffende Ordnungs-
Kapitalismus erforderte den V. auf besteht darin, die unmittelbare Be- Wachstum der Produktion um seiner macht einer unpersönlichen göttli-
Genuß um der Ansammlung des friedigung aufzuschieben, um mittels selbst willen sinnlos werden kann u. chen Weltvernunft (die i stoische
Kapitals willen (Max Weber). Dem- Nachdenken u. Handeln die Wirk- daher V. auf übermäßigen Luxus pronoia) oder einer jenseitigen all-
gegenüber forderte die i kritische lichkeit so zu formieren, daß sie Be- sittl. gefordert ist. Nach außen er- mächtigen u. allwissenden Schöpfer-
Gesellschaftstheorie H. Marcuses den friedigung erlaubt. Die Vermittlung hebt sich die Frage, ob nicht der person (die providentia der christli-
Abbau überflüssiger gesellschaftli- von Lustprinzip u. Realitätsprinzip Realitätssinn von den reichen Län- chen Theologie). Unter ihrer vor-
cher Einschränkungen, die Befreiung ist nur in der i Arbeit (von der dern einen spezifischen V. fordert, sorgenden Planung würden die Welt,
des Luststrebens u, die Erotisierung unmittelbaren Bearbeitung der Natur um zur Ermäglichung eines men- d.h. das Bleibende u. Werdende der
der Gesamtpersönlichkeit. Zwischen bis zur geistigen Arbeit) u. vermittels schenwürdigen Lebens eine Umver- i Natur, wie die Geschichte u.
V.-moral u. Luststreben bedarf es der sozialen Beziehungen möglich. teilung des Reichtums zugunsten der Handlungen der Menschen eine sinn-
einer neuen e Orientierung. Die i Sozialisation des Menschen armen Länder zu erreichen. volle Einheit, die auch menschliche
Die Psychologie des Säuglings u. kann somit nur gelingen, wenn sie i Freiheit nicht zu sprengen vermag.
Kleinkindes zeigt, daß sie zunächst eine relative Frustrationstoleranz Lit.: G. W. F. Hege!, Phänomenologie Das Grundproblem des V.gedankens
ganz auf das Luststreben eingestellt ausbilden hilft. Diese Einsicht bildet des Geistes, cd. J. Hoffmeister, Ham-
burg 6 1952, S.141-150; M. Weber, ist die Koordinierung der Möglich-
u. dem V. abgeneigt sind. Die frühe die Grundlage für d.le sittl. Forde- keit menschlicher Freiheit mit der
symbiotische Beziehung zwischen er- Die protestantische E; H. Marcuse,
rung eines freiwilligen V., der sich in vorgeblichen Wirklichkeit einer alles
Triebstruktur und Gesellschaft, Frank-
nährend-liebender Mutter u. Säug- den religiösen E-en meist auf Armut, furt/Mo 1967; R. Bergiu8, Frustration, lenkenden, erhaltenden u. vorausbe-
ling (primärer Narzißmus) erlaubt Keuschheit (Ehelosigkeit u. Enthalt- in: Handbuch der Psychologie II, Göt- stimmenden Ordnungsinstanz. In
ein ungestörtes Wohlbefinden, das samkeit) u. Gehorsam bezieht. Aber tingen 2 1970; R. Spitz, Vom Säugling verschärfter, weil individualisierter
"ozeanische Gefühl" einer affektiven auch die klassisch-philosophischen zum Kleinkind, Stuttgart 4 1974. A. S. Form tritt es auf in der christlichen
Einheit (Herrschaft des Lustprin- E-en kennen eine Asketik als Lehre Lehre von der Prädestination: Das
zips). Auf früh einbrechende Versa- von der praktischen Einübung des Verzweiflung i Hoffnung, Leid.
endgültige Heil oder Unheil des ein-
gungen reagiert der Säugling mit guten HandeIns, die auch den Aspekt
Wut, Enttäuschung u. Aggression, des V. einschließt.
Völkerbund i Weltrepublik. zelnen ist vora usbestimmt im ewigen
göttlichen Heilsratschluß (Paulus,
ehe er sich in fortschreitendem Maße i Ideologiekritisch gesehen ist die Vollkommenheit i Gott. Röm.8,29ff; 9-11; Eph.l) u. soll
mit der Umwelt auseinandersetzt sitd. Forderung des V. jedoch in sich sich gleichwohl der Freiheit des
(Herrschaft des Realitätsprinzips). zweideutig. Sie kann im Dienste der
I Voluntarismus i Lebensphilosophie. Menschen verdanken. i Gott bewe-
Zwischen Luststreben u. Einschrän- Unterdrückung stehen, welm eine ge u. bestimme den menschlichen
kungen von seiten der Wirklichkeit Gesellschaft die Arbeit so organi- Voraussicht i Erfolg. t Willen unmittelbar, ohne seine
I
j
Vorurteil 324 325 Wahrheit

Freiheit zu beeinträchtigen (vgl. Wahrhaftigkeit t Wahrheit. Wahrhaftigkeit der Gesinnung ist je- sie in den Gegensatz zu anderen
Thomas v. Aquin, Summa theol. 1., doch, wie Nietzsehe u. Freud zeigten, ebenso persönlichen Wertungen ge-
q 10535; I-lI, q 109a 1). Nach der Wahrheit meint im sittl. Bereich den nicht nur Irrtümern oder der Versu- raten kann, die gleichfalls als sittl.
Kritik der philosophischen Grundla- Maßstab oder das Kriterium, an dem chung zur Lüge ausgesetzt. Selbst die gut gelten wollen. Die gesellschaftli-
gen einer objektiv-teleologischen Na- sich das menschliche Handeln als gut Lebensfüge als wissentlich-willent- che Allgemeinheit beansprucht daher
tur- u. Geschichtsbetrachtung durch oder schlecht erweist. Durch den Be- liche Verleugnung einer grundlegen- aufgrund ihrer geschichtlichen Er-
Kant könnte das mit dem Begriff V. zug auf das t Handeln unterschei- den sittl. Einsicht unterscheidet sich fahrung gegenüber dem i Indivi-
Gemeinte philosophisch als Idee der det sie sich als praktische W. von der noch von den unbewußten Täu- duum den Vorrang ihrer Normen
reflektierenden Urteilskraft u. als Po- theoretischen der Naturerkenntnis. schungen, die reflexiv nicht erkenn- u. Wertungen. In Gewohnheit u.
stulat der endlichen praktischen Ver- Da Handlungen stets i wertende bar sind. Der Schmerz über versagte i Sitte festgehalten, bilden sie einen
nunft verstanden werden; menschli- Stellungnahmen zur Sache darstellen, Wünsche (Trauma) kann dadurch festen Maßstab, an dem sich das In-
ches Erkenntnisinteresse unterstellt ist der Handelnde zunächst an sie betäubt werden, daß er aus dem Be- dividuum orientieren soll (traditions-
der Natur in ihrer Mannigfaltigkeit je verwiesen, um an ihrer Beschaffen- wußtsein verdrängt u. nicht mehr gebundenes gesellschaftliches W.kri-
schon eine rational faßbare systema- heit die sittl. Qualität seines Han- wahrgenommen wird. Als unbewuß- terium). Deshalb forderte schon die
tische Einheit, um sinnvoll forschen delns ablesen zu können. So scheint te Kränkung (Ressentiment) wird er antike Philosophie (Platon, Aristote-
zu können; praktische Vernunft un- das Ziel der Gesundheit von der Sa- zur Wurzel der Verkennung der fes) vom sitd. Handelnden die Ein-
terstellt der Naturgeschichte der che her besser zu sein als das des Wirklichkeit u. der Illusion, die sich übung in das Ethos (Sitte, Gewohn-
Menschengattung je schon eine ver- Vergnügens, das Gutsein wäre dem- sogar den Anschein sittl. Gesinnung heit) der Gemeinschaft. Dieses kann
nünftige ,Naturabsicht', um an ihrem nach in der Seinsverfassung selbst geben kann. Die W. sittl. HandeIns jedoch nur solange sittl. Handeln ga-
Gebot der Darstellung des Sittenge- begründet u. nach ihrem Aufbau zu läßt sich somit nicht an der Bewuß- rantieren, als das Individuum seine
setzes in der gesellschaftlich-geschicht- bestimmen (ontologisches W.krite- theit über eigene Motive festmachen, wesentlichen Bedürfnisse in ihm
lichen Welt nicht zu verzweifeln. rium). In diesem Sinne stützen sich sondern allenfalls an einer lebens- verwirklichen kann. Die in der Ge-
die Aristotelische E u. die auf ihr ba- praktisch-affektiven Übereinstim- sellschaft sichtbar werdenden Wider-
Lit.: Seneca, De providentia; W. Eich-
roth, V.glaube im AT, Festschr. sierende Tradition der ontologischen mung der t Person. Diese wiederum sprüche u. t Leiderfahrungen be-
O. Proksch, Leipzig 1934; R. Bultmann, E auf die Ordnung der Dinge, an der hängt davon ab, ob es gelingt, so- wirken, daß der sittl. Anspruch des
Das Christentum im Rahmen der anti- sich die sittl. Zielfindung bewahrhei- wohl die eigenen unbewußten Wün- einzelnen mit Tradition u. Sitte in
ken Religionen, Zürich 21954; N. Scholl, ten soll. Obgleich die Sachorientie- sche (Es) wie die in Forderungen u, Konflikt gerät. Die Gewissensent-
Providentia. Untersuchungen zur V.leh- rung ein notwendiges Moment bei Schuldgefühlen verinnerlichten An- scheidung des einzelnen erhält hier
re bei Platin u. Augustin, Freibul'g der Bestimmung sittl. HandeIns dar- sprüche der Allgemeinheit (Über-Ich; ihr Recht gegenüber dem Beharren
1960; M. Pontifex, Fl'eedom and Pl'O- stellt, läßt sich doch das Gutsein Ich-Ideal) zuzulassen. In der Vermitt- auf Tradition u. Sitte. Eine gesell-
vidcncc, New York 1960; N. A. Luyten nicht einfach an den Gegenständen lung von Wunsch u. Forderung, von schaftliche Neuorientierung ist nur
(Hrsg.), Zufall, Freiheit, V., Freiburg/
München 1975; M. Dragona-Mona- ablesen; es hängt vielmehr von den Eigenem u. Anderem bildet sich das möglich, wenn sie das Recht des ein-
chou, The Stoic Arguments for the Exi- menschlichen Wünschen u. i Be- "Ich bin" einer Persönlichkeit, sein zelnen auf freie Stellungnahme achtet
stence and Providence of the Gods, dürfnissen ab, welche Sachen als selbständiges i Gewissen. Diese in- (formale Anerkennung) u. seine we-
Athens 1976; P. Geach, Providence and vorrangig ausgezeichnet u. welche nere Übereinstimmung meiner ver- sentlichen Bedürfnisse berücksichtigt
Evil, Cambl'idge 1977. M. F. lediglich als Mittel betrachtet werden schiedenen i Strebungen in der Ein- (inhaltliche Anerkennung). Die neu-
Vorurteil i Diskriminierung.
( t Situation). Die W. sittl. Handelns heit des "Ich bin" (intentionales zeitlichen Naturrechtstheorien lösen
bemißt sich somit ebensosehr an der Bewußtsein), das sich organisch im die Frage der Neubegründung e W.
Aufrichtigkeit subjektiver Stellung- Leib Ausdruck verschafft, begründet durch das Prinzip der Übereinkunft
w nahmen. Die subjektive Verpflich- die Wahrhaftigkeit der t Person (Konsens) u. vertraglichen Bindung
tung zur W. (z.B. im Versprechen) (subjektives W.kriterium). Aber die (Hobbes, Rousseau, Kant, Rawls:
Wagnis t Existentialistische E. nennen wir Wahrhaftigkeit im Un- innere Stimmigkeit der eigenen i Gesellschaftsvertrag). Neuere The-
terschied zum t Gutsein als der ob- Wertschätzung kann allein kein zu- orien machen auch die inhaltliche
Wahl t Demokratie, Entscheidung. jektiven W. des HandeIns. Die reichendes W.kriterium bilden, weil Seite der menschlichen Bedürfnisse
Wandel der Moral 326 327 Welt

zum Gegenstand von Beratung und ders, (Hrsg,), Der W.sbegriff. Neue einem beamtenrechtlichen Status Entscheidung des Gewissens .. " Köln
Konsens und überlassen ihre Befrie- Erklärungsversuche, Darmstadt 1987; angenähert. Der W, bleibt auf den 1969; W. Durchrow, G. Schaffenroth
digung nicht dem Durchsetzungs- ders., Grundlagen einer Theorie der Ausnahmefall, das Versagen der Ab- (Hrsg.), Konflikte zwischen W, u. Frie-
W., BerlinlNew York 1990; D, David- densdienst, Stuttgart/München 1970;
vermögen des einzelnen (Apel, Ha- schreckung, ausgerichtet, das den
son, W. u. Interpretation, Frankfurt/M. F. W, Seidler, H. Rcindl, W. u. Zivil-
bermas), Der praktische Diskurs, der 1986; B, Hooker (Hrsg.), Truth in Auftrag der Vernichtung u. Tötung dienst, München/Wien 1971, Teil U,
sich am Kriterium der ideal'en Kom- Ethics, Oxford 1996. A. S. des Gegners in Kraft setzt. Wer als III; R. Spaemann, Ist Gewissen testbar?
munikationsgemeinschaft orientieren Wehrpflichtiger diesen Auftrag aus in: Deutsche Zeitung, Nt. 20, 1976.
muß, hat den, Sinn, das gestörte ge- Wandel der Moral l' Moral u, Sitte, weltanschaulichen, humanitären, po- W. V.
sellschaftliche Einverständnis über Relativismus. litischen oder völkerrechtlichen
die wahren, d, h. vernünftigen Be- Gründen für unvereinbar mit seinem Weisheit l' Klugheit,
dürfnisse reflexiv wiederherzustellen Wehrdienst, Der W. ist in l' Demo- l' Gewissen hält, hat das Grund-
(1' DiskursE), Die durch' Argumen- kratien wie der Bundesrepublik recht auf Kriegsdienstverweigerung Welt bezeichnet den gesamten Le-
tation wiedergewonnene Überein- Deutschland verfassungsmäßig als (Art. 4, 3 GG u. § 25 Wehrpflichtge- bens-, Gestaltungs- u. Vorstellungs-
stimmung bildet den neuen Maßsta b Schutz des l' Staates auf die Abwehr setz): das Recht, den Dienst mit der raum des l' Menschen, Griechisch
sittl. Handeins (diskursives gesell- außerstaatlicher Gefahren u. die Si- Waffe bereits im Frieden zu verwei- bedeutet W. als Kosmos ursprünglich
schaftliches W.ktiterium), Die An- cherung des l' Friedens beschränkt gern. Er kann anstelle des W. einen die l' Ordnung sowohl des künstlich
wendbarkeit dieses Maßstabes ist je- (Verbot eines Angriffskrieges, zivilen Ersatzdienst in sozialen u. Hergestellten wie des l' Rechts, aber
doch nicht nur abhängig vom Art. 26, 1 GG). Die W.leistenden karitativen Organisationen ,leisten. auch die schöne Ordnung der
Situationswissen u. von der subjekti- sollen für die freiheitlich-demokra- Die sittL Verpflichtung, nicht gegen W, "Himmel u. Erde, Götter u. Men-
ven Wahrhaftigkeit, sondern auch tische Grundordnung eintreten u. sie rechtfertigbare Überzeugungen zu schen" sind für Platon die W., die
von einem Minimum an lebensprak- gegen äußere Angriffe verteidigen. handeln, wird vom Gesetzgeber durch die l' Tugend der l' Freund-
tisch eingespieltem Ethos der Gesell- Sie sind verpflichtet, allen Befehlen prinzipiell anerkannt. Problem der schaft zusammengehalten wird; er
schaft, Die W.kriterien sittl. Han- gegenüber, sowie sie die Würde des Anerkennung von Kriegsdienstver- unterscheidet die erkennbare geistige
delns verweisen somit aufeinander, Menschen nicht verletzen (1' Huma~ weigerern ist es, daß das Gewissen von deren Abbild, der sinnlichen W.
ohne daß eines allein absolute Gel- nität), Gehorsam zu leisten. Obwohl nicht durch inhaltliche Unterschei- Für Aristoteles ist die W.-Erkenntnis
tung beanspruchen könnte. einige ihrer l' Grundrechte (z, B. dungen, sondern durch seine Unbe- (Kosmologie) u. die Erkenntnis der
freie Meinungsäußerung, Freizügig-· dingtheit begründet ist. Es gibt daher Bewegungsprinzipien der Gestirne,
Lit,: Platon, PoHteia, Buch VI-VIII; keit) eingeschränkt sind, genießen sie keine objektiven Verfahren, ein Ge- des Menschen, seines Handelns,
Aristoteles, Nikomach. E, Buch VI, 1- den vollen Schutz des Grundgesetzes. wissen zu prüfen, Das die Gewissens- Herstellens u, Denkens u. der Natur,
Z; Th, Hobbes, Leviathan, Kap, I, 14- Die Aufgabe der Kriegsverhinderung entscheidung der Kriegsdienstverwei- die höchste Wissenschaft. Erst mit
15; ].-]. Rousseau, Der Geseltschafts- im Zeitalter der atomaren Vernich- gerung aber nicht zur Privilegierung Thomas v. Aquin gewinnt die l' Na-
vertrag, Buch I, München 1959; tungswaffen durch eine glaubhafte berechtigen soll, wird bisher an ihrer tur u. ihre Erforschung Bedeutung
L Kant, Grundlegung zur Metaphysik
Abschreckung hat den W. in hohem öffentlichen Rechtfertigung, der Äu- für die W., eine Entwicklung, die mit
der Sitten; ders., Über ein vermeintli-
ches Recht, aus Menschenliebe zu lü- Maße technisiert, Darüber hinaus ßerung von Gründen u, ihrer Beurtei- der zentralen Stellung des Menschen
gen; F. Nietzsehe, Genealogie der Mo- hat die Demokratisierung des Wehr- lung durch zivile Ausschüsse, festge- gegenüber der W. in der christlichen
ral; ders., Über W. u. Lüge im außer- wesens durch eine demokratische halten. Der glaubhafte Test des Ge- Theologie eingeleitet u. mit dem
moralischen Sinn; A. Denecke, Wahr- Wehrgesetzgebung, durch einen zivi- wissens, das Inkaufnehmen von Wandel vom geo- zum heliozentri-
haftigkeit, Göttingen 1972; K.-O. Ape!, len Oberbefehl u. eine zivile Verwal- Nachteilen durch Kriegsdienstver- schen W.-Bild vollendet wurde (ko-
Transformationen der Philosophie, tung u. ferner die Unterrichtung der weigerer (R. Spaemann), würde um- pernikanische Wende). Als Inbegriff
Frankfurt/M. 1973; Bd. II, S. 358-435; Soldaten über ihre Rechte u. Pflich- gekehrt zur Privilegierung der W.lei- aller Erscheinungen ist W. für Kant
J. Habermas, W.theorien, in: Festschrift ten als Staatsbürger u, den politi- stenden führen. kein Gegenstand der Erkenntnis,
für W, Schulz, Pfullingen 1973; 0, Höf-
fe, E u, Politik, Kap. 8-9, Frankfurt/M. schen Zweck des W. (innere Füh- sondern Inbegriff aller Gegenstände.
3 1987; B. Punte!, W.s-theorien in der rung) das traditionelle Autoritätsver- Lit.: N. G. Baudissin, Soldat für den Mit jeder Aussage über die W. in ih-
Neueren Philosophie, Darmstadr 1978; hältnis der Soldaten verändert u. Frieden, München 1969; W. v, Bredow, rer Gesamtheit verstrickt sich die

J
Weltanschauung 328 329 Weltgeschichte

Vernunft in Widersprüche (Antino- der Romantik u. dem Historismus abschirmen, entziehen sich dem von ehen t Handlungen u. Widerfahr-
mien). Der sinnlichen W. steht die verwendeter Begriff, meint heute eine Philosophie, i Wissenschaft, auch nissen bestehendes Geschehen (res
der Vernunft, insbesondere des in sich einheitliche, nicht notwendig t Religionen erhobenen t Wahr- gestae) sowie dessen erinnernde Ver-
t Sittlichen gegenüber. Die Phäno- vollständig bewußte Gesamtauffas- heitsanspruch u. begründen konkur- gegenwärtigung (memoria, historia
menologie (E. Husserl) vereinigt die- sung von Struktur u, Wesen, Ur- rierende Lebensformen, ohne eine rerum gestarum). G. als empirische
se getrennten W.en u. begreift W. als sprung u. i Sinn der t Welt u. des vernünftige Lösung ihrer Konkur- Wissenschaft ist nie bloß beschrei-
Horizont des i Verstehens u. Han- menschlichen t Lebens in ihr. renz zuzulassen. Sie vertreten dann bende Datenreihung, sondern als ra-
delns. W. ist bei der Erkenntnis der (Rawls spricht von "comprehensive implizit einen dogmatischen i Rela- tionale Verarbeitung historischer
Phänomene sowohl Thema wie des- doctrines": umfassenden Lehren,) tivismus u. sind - latent oder mani- Quellen je schon von systematischen
sen Voraussetzung. Sie schafft Be- Während ein Weltbild die Zusam- fest - totalitär. Vorstellungen bezüglich der Zu-
wußtsein u. wird zugleich im Be- menfassung u. gedankliche Verarbei- sammenhänge der Ereignisse getra-
wußtsein geschaffen (Lebens-W.), als tung der Ergebnisse der Natur- u. Li!.: W. Dilthey, W.1ehre, (Ges. Schrif- gen. Die totalisierende Frage nach
Sozialwissenschaften zu einer wis- ten, Bd. 8), Stuttgart/Göttingen 2 1960; dem Ganzen als spezifisch ge-
Natur-, Kultur- u. technische W. Die
M. Scheler, Philosoph. W., Bern/Mün- schichtsphilosophisches Problem er-
Existenzphilosophie (M. Heidegger) senschaftlichen Gesamtschau der
ehen 31968; K. Jaspers, PSlchologie der
bestimmt das Dasein des Menschen Welt versucht, ist eine W. der Inbe- W.en, HeidelbergiBerlin, 1960; L. Ga- gibt sich, wenn man herauszufinden
als In-der-W.-Sein (t existentialisti- griff von zunächst vorwissenschaft- briel, Logik der W., Graz u. a. 1949; versucht, was der Zusammenhang a11
sche E): W. ist der geschichtliche lieh ausgebildeten, durch unter- M. Heidegger, Die Zeit des Weltbildes, der einzelnen Zusammenhänge sei,
Spielraum u. t Sinn-Horizont der schiedliche natürliche u. geschicht- in: Holzwege, Frankfurt/M. 1972; die der Historiker feststellt. Das
Geschichte. Die i christliche E liche Einflüsse geprägten Grundvor- O. Marquard, W.typologie, in: Schwie- philosophische Interesse intendiert
spricht von der W.-Verantwortung stellungen, die zudem die i metho- rigkeiten mit der Geschichtsphiloso- also nicht W.G. als Totalität aller
des Menschen, die sich in den sittl. dischen Grenzen der Einzelwissen~ phie, Frankfurt/M. 1973; G. Dux, Die historischen Ereignisse im Sinn einer
Logik der Weltbilder. Sinnstrukturen
Forderungen der Sachlichkeit im Er- schaften überschreiten, theoretische Ereignis- oder Datenvollständigkeit,
im Wandel der Geschichte, Frank-
kennen, Gestalten u. Nutzen der W. u. praktische Überzeugungen in einer furt/Mo 1982; N. Smart, Worldviews. sondern als Totalität im Sinne der
u. im Verzicht auf w.-haft Materiel- ursprünglichen Einheit verbinden u. Crosscultural Explorations of Human systematischen Einheit der histori-
les darstellen soll. Die technisch-wis- eine wertende Stellungnahme zum Beliefs, New York 1983; P. Kondylis, schen Datenfülle. Philosophie der
senschaftlichen oder politisch-welt- Ganzen der Welt vornehmen. W.en Macht U. Entscheidung. Die Herausbil- W.G. ist so gesehen die Frage nach
anschaulichen W.-Bilder setzen ge- sind das für i Kulturen u, Epochen, dung der Weltbilder U. die Wertfrage, dem Wesen der G., nach ihrem Ur-
gen die Gefährdung des t Lebens religiöse u. politische Gruppen, Be- Stuttgart 1984; S. W. Sire, The Univer- sprung U. Ziel, nach den ihren Gang
se Next Door. A Guide Book to World
oder seines t Sinnes Entwürfe, die wegungen oder Richtungen charak- bestimmenden Gesetzen, nach ihrem
Views, Leicester 1988; J. Rawls, Die
die Erhaltung der W. mit bestimmten teristische umfassende Bezugssystem Idee des politischen Liberalismus, i Sinn.
sittl. Grundforderungen verbinden. des Erkennens, i Hande1ns u. Beur- Frankfurt/M. 1992; ders., Political Li- Insofern G, als Zusammenhang
teilens (antike oder mittelalterliche, beralism, New York 1993. O. H. menschlicher i Handlungen vorge-
Lit.: Plaron, Gorgias, 508 a ff; 1. Kant, christliche oder buddhistische, libera- stellt wird, scheidet die Möglichkeit
Kritik der reinen Vernunft, B 448 ff; le oder marxistische W.). Sie be- Weltbild i Weltanschauung. einer naturkausalen Systematisierung
E, Husserl, Die Krisis der europäischen gründen eine spezifische Weise der als unzureichend aus, Der teleologi-
Wissenschaften, Den Haag 1959; politischen-sozialen Grundstruktur Weltbürger t Patriotismus Kos- schen Systematisierung, derzufolge
M, Heidegger, Sein u. Zeit, Kap. 3 u, 4;
K. Löwith, Der W.-Begriff der neuzeit- einer Gemeinschaft u. des persönli- mopolitismus, Weltrepublik. der G. ein alle Handlungen koordi-
lichen Philosophie, Heidelberg 2 1968; chen Lebens innerhalb dieser Struk- nierender einheitlicher menschlicher
G. Brandt, Die Lebens-W., Berlin 1971; tur. Aufgrund von humanen u. ra~ Weltbürgerrecht i Weltrepublik. Plan zugrundeläge, widerspricht jede
G. Dux, Die Logik der W.-Bilder, tionalen Überlegungen sowie von Erfahrung. Das ,objektiv-teleologi-
Frankfurt/M. 1982. W, V. methodisch gewonnenen Erfahrun- Weltgeist t Weltgeschichte. sche' Konzept versucht die Interpre-
gen sind W.en zu korrigieren. W.en tation des Zusanunenhangs der Er-
Weltanschauung, ein bereits von u. ihre Anhänger, die sich gegen sol- Weltgeschichte (= W.G.). G. bedeu- eignisse aus einem ihnen selbst zu-
W, v. Humboldt, besonders aber seit che Kritik- o. Veränderungsprozesse tet ein aus (vergangenen) menschli- grundeliegenden U. sie objektiv, un-
Weltrepublik 330 331 W cltrcpublik

abhängig von subjektiven Absichten allein in die eigene vernünftige Ab- fassende Rechts- u. Staatsgemein- staat (Höffe). Das primordiale Recht
der Menschen determinierenden End- sicht des Menschen zu legen hieße schaft (Weltstaat). Der wichtigste der Personen enthält das Recht, kol-
i Zweck. Das klassische Interpreta- die Augen verschließen vor der je- Theoretiker einer W. ist Kant mit der lektive Idenritäten auszubilden, ihnen
tionsmodell hierfür ist das der W.G. derzeit möglichen u. wirklichen Un- Schrift Zum ewigen Frieden. Mit eine Rechtsform zu verleihen u. diese
als Heilsgeschichte (von Augustinus vernunft u. Amoralität der Men- dem Argument, eine W. gefährde die staatsförmig zu sichern; folglich
bis Bossuet, seine Kritik vor allem schen. W,G. ist der praktisch be- politische u. kulturelle Integrität der bleiben Einzelstaaten legitim. Ob-
bei P. Bayle u. Voltaire), derzufolge gründete Versuch, in dem "scheinbar Einzelstaaten ist der t Kommunita- wohl es auf Dauer ein Weltparla-
alle Ereignisse letztlich dem vom widersinnigen Gang menschlicher rismus gegen jederart W. skeptisch ment, eine Weltregierung U. eine
göttlichen Willen gesetzten Ziel die- Dinge" eine "Naturabsicht" zu re- (Walzer). Der Globalismus (Beitz Welt justiz braucht, ist aus pragmati-
nen müssen. Im Ausgang nicht von konstruieren, die die zeitliche Evolu- u. a.) dagegen hält die Einzelstaaten schen (um Erfahrungen zu sammeln)
theologischen Dogmen, sondern von tion einer Rechtsverfassung, die Kul- nur als historische Durchgangsstufe u. rechtsmoralischen Gründen (Ge-
Theoremen einer idealistischen turgenese der Menschengattung zum für berechtigt u, setzt sich für jenen waltverbot) die W. für lange Zeit
Geistmetaphysik entwickelt Hegel Inhalt hat. Philosophie der W.G. ist homogenen Weltstaat ein, der die nichts anderes als der Inbegriff der
(in teilweisem Anschluß an Herder) die naturteleologische Rekonstrukti- Einzelstaaten aufsaugt bzw. zu Pro- Rechtsgestaltcn, die man nach U.
eine säkularisierte Variante dieses on der politischen t Vernunft aus vinzen degradiert. nach für die verschiedenen Konflikt-
Modells: W. G. ist "die Auslegung der G., ein an historischen Daten zu Zugunsten einer W. spricht das themen einrichtet. Eine weitergehen-
des Geistes in der Zeit", der Gang messender Gedanke der moralisch universale rechtsmoral. Gebot, daß de W. darf man erst dann einrichten,
des einen Weltgeistes, der in der Ge- bestimmten Vernunft, um dem Zwei- über Konflikte zwischen den Men- wenn hinreichend Vorsorge getroffen
schichte der getrennt erscheinenden fel an der geschichtlichen Realisier- schen nicht die private Meinung U. ist gegen Gefahren wie Bürgerferne,
Nationen u. ihrer Schicksale die ver- barkeit ihres Ziels zu begegnen. Gewalt entscheiden darf, sondern Überbürokratisierung, Machtakku-
schiedenen Stufen seiner Bildung nur das t Recht u. seine t staats- mulation u. mangelnde politische Öf-
durchläuft, um schließlich in den Lit.: Augustinus, Vom Gottesstaat; förmige Sicherung. Deshalb ist mehr fentlichkeit. - Nicht als Ersatz, wohl
rechtlich-politischen Institutionen Bossuet, Discours sur I'histoire univer- als Kants Völkerbund vonnöten. Ei- aber zur Vorbereitung einer W. emp-
wie im Bewußtsein der Menschen zu selle; G. B. Vica, Prinzipien einer neuen ne neue Dringlichkeit gewinnt das fehlen sich zwei schon von Kant ver-
seiner Vollendung, zur Wirklichkeit Wissenschaft von der gemeinsamen Na- Rechtsgebot durch die Globalisie- tretene friedensförderndc Strategien:
seiner i Freiheit zu gelangen, Hegels tur der Völker; Voltaire, Essai sur les
moeurs et I'esprit des nations; rung der Lebensverhältnisse. Sie be- die Demokratisierung aller Staaten U.
objektives Wissen beanspruchender J. G. Herder, Ideen zur Philosophie der ginnt bei den Verflechtungen von der freie, eine weltweite Prosperität
Gedanke, daß es in der W. vernünf- G. der Menschheit; 1. Kant, Schriften Wirtschaft, Wissenschaft, Medien u, befördernde Handel.
tig zugegangen sei, verdrängt den zur G.philosophie, Stuttgart 1974; Kultur U. setzt sich in einer sich Zuständig ist eine W. vor allem
kritischen Ansatz, den die G.philo- G. W. F. Hegel, Vorlesungen über die weltweit abzeichnenden Gesell- für den Welt- i Frieden, dabei - au-
sophie durch Kant erhielt. Nach Philosophie der G.; F. Nietzsche, Vom schaftsform fort, die durch drei Fak- ßer der Fortbildung des Völkerrechts
Kant ist aus einsichtigen Gründen Nutzen u. Nachteil der G. für das Le- toren bestimmt ist: Wissenschaft u. - für zwei "Menschenrechte von
ben; j. Burckhardt, W.liche Betrach-
die Einheit der G. kein möglicher
tungen, Stuttgart 1963; L. v. Ranke, t Technik, durch rationales Wirt- Staaten", für ihre territoriale Integri-
Gegenstand theoretischen Wissens, schaften u. durch die Verbindung tät u, ihre politische u. kulturelle
W.G., München 1921; R. G. Colling-
sondern methodische Hypothese in wood, Philosophie der G., Stuttgart von t Menschenrechten, i Demo- Selbstbestimmung, ferner für ein
i pragmatisch-praktischer Absicht: 1955; K. Löwith, W.G. u. Heilsgesche- kratie u. Gewaltenteilung, also den Weltbürgerrecht, das - nicht anstelle
Moralität (t Sittlichkeit) bedarf zu hen, Stuttgart 6 1973; W. Kamlah, demokratischen Verfassungsstaat. der nationalen Bürgerrechte, wohl
ihrer Realisierung in der Welt der Utopie, Eschatologie, G.steleologie, Da die primäre Rechtssicherung aber zu ihrer Ergänzung - die Bezie-
Etablierung einer allgemeinen das Mannheim 1969; R. Bubner, G,spro- durch die Einzelstaaten erfolgt, ist hungen von Privaten (Individuen,
i Recht verwaltenden bürgerlichen zcsse u. Handlungsnormen, Frank- die W. nut als deren rechtsfärmige Gruppen, Verbänden, Unternehmen)
i Gesellschaft. Die praktisch gefor- furt/Mo 1984. M. F.
Koexistenz, als ein Sekundärstaat zu fremden Staaten u. deren Privaten
derte Realisierung dieses Ziels muß (Völkerstaat i. S. eines Staates von regelt. Zu Recht verlangt Kant hier
theoretisch als erreichbar angenom- Weltrepublik (gr. kosmopolis) heißt Staaten) mit relativ wenigen Kompe- ein Besuchsrecht, demzufolge man
men werden. Die Bedingung hierfür eine die gesamte Erde ("Welt") um- tenzen, legitim: die W. als Minimal- nicht feindselig behandelt werden
l

Weltrevolution 332 333 Wert

darf, aber kein Gastrecht, das zu ei- tierungsstandards u. Leitvorstellun- "W ,ewandel" oder "Pluralismus der "Tyrannei der W.e", da W.e durch
ner anspruchsvolleren t Philanthro- gen, von denen sich Individuen u. W.e", die der Zeitdiagnose der em- ihre subjektive Prägung in einem
pie ("Menschenliebe") gehört u. Gruppen bei ihrer Handlungswahl pirischen Sozialforschung entstam- wechselseitigen Ausschlußverhältnis
gern zu Kolonialismus u. Imperalis- leiten lassen. Älter als die philoso- men. zueinander stünden. Die zentralen
mus (t Diskriminierung) miß- phische Diskussion um den W.begriff Die W. philosophie bildete in der philosophischen Schwächen des
braucht wird. Einzuschreiten (freilich ist die W.debatte in der Ökono- zweiten Hälfte des 19. u, in der er- W.begriffs liegen in seiner (schein-
unter dem Gleichheitsgebot) hat eine mie, wo man einen (objektiven) sten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine baren oder tatsächlichen) Subjektivi-
W. auch etwa bei Völkermord, um TauschW. von einem (subjektiven) wichtige Gegenbewegung zum posi- tät u. seiner ontologischen Sonder-
den internationalen Terrorismus u. GebrauchsW. unterscheidet. Der W. tivistischen Wissenschaftsverständ- stellung (Gibt es W.e-an-sich?). In
Drogenhandel sowie die Verbreitung eines ökonomischen Gutes bemißt nis. Grundthese aller W.philosophien die W.hierarchie eines Individuums
von ABC-Waffen zu bekämpfen u. sich an den Faktoren Bedürfnis, ist die Selbständigkeit u. Irreduzi- fließen subjektive u. situative, soziale
um ein Sezessionsrecht (staatliches Nützlichkeit u. relative Seltenheit. bilität des Bereichs der W.e gegen- u. kulturspezifische Aspekte ein; die
"Scheidungsrecht") im objektiven Eine Theorie des objektiven Ar- über dem Bereich der Tatsachen u. Chancen für eine objektive oder
Sinn zu entwickeln, also jene Regeln, beitW.s wurde erstmals von D. Ri- damit die Autonomie der w.set- wenigstens intersubjektiv verbindli-
nach denen die Loslösung von einem cardo vertreten; K. Marx stützt sich zenden Vernunft gegenüber empiri- che W,ordnung (Axiologie) scheinen
bestehenden Staat legitim wäre. Nicht für seine These von der Ausbeutung schen Gesetzmäßigkeiten, Beglünder daher eher ungünstig. Auch dürfte es
zuletzt ist für alle ein Recht auf Sub- der Arbeiter auf die Konzeption ei- der W.philosophie ist H. Latze, an schwierig sein, alle Bereiche, in de-
sistenz zu garantieren. Weitere Hilfs- nes MehrW.s, der durch Arbeit er- den sich A. Ritschl u. die neukantia- nen man von W.en spricht (wie E,
aufgaben sind, weil nicht gerechtig- zeugt wird, In der Soziologie kam es nische W.lehre (W, Windelband, Religion, Ökonomie, Freizeit, Ar-
keitsgeboten, einer anderen, karitati- zu Beginn des Jahrhunderts zu einem H. Rickert) anschlossen. Rickert beitswelt, Politik) innerhalb einer
ven Weltorganisationzu übertragen. heftig geführten "W.urteilsstreit", wendet sich gegen die Dominanz der einzigen Theorie zu verknüpfen.
bei dem es um die Frage ging, ob das naturwissenschaftlichen Ideals der
Lit.: I. Kant, Zum ewigen Frieden; von M. Weber vertretene Postulat W.freiheit u. verteidigt demgegen- Lit.: D. Ricardo, Grundsätze der politi-
Ch. Beitz, Political Theory and Inter- der "W .freiheit der Wissenschaft" schen Ökonomie u. der Besteuerung,
über die W.bestimmtheit der Ge-
national Relations, Princeton 1979; Kap. 1, 1817/21; H. Lotze, Metaphy-
ders. u, a, (Hrsg,), International Ethics, haltbar ist. AhnIich gelagert ist der schichts- u, Kulturwissenschaften. sik, 1841; K. Marx, Das Kapital,
Princeton 1985; B. Russett, Grasping Konflikt um eine ennveder schritt- Die beiden wichtigsten W.philo- 1867-94; A. Meinong, Abhandlungen
the Democratic Peace, Princeton 1992; weise vollzieh bare Sozialtechnik oder sophen des 20. Jahrhunderts sind zur W.theorie, Gesamtausgabe Bd,3;
]. Rawls, Thc Law of Peoples, in: Criti- eine revolutionäre Gesellschaftsver- M. Scheler u. N. Hartmann. In der F. Nietzsehe, Nachgelassene Fragmen-
cal Inquiry 20 (1993), 36--:-68; D. Held, änderung, wie er in den sechziger Behauptung einer selbständigen te, KSA 9-13; H, Rickert, Die Grenzen
Democracy and the Global Order, Jahren im sog. "Positivismusstreit" Sphäre geht Schelers materiale W.E der naturwissenschaftlichen Begriffsbil-
Cambridge 1995; O. Höffe (Hrsg.), ausgetragen wurde (u. a. zwischen am weitesten (t formale E - mate- dung, 1896/1902; M. Scheler, Der
l. Kant, Zum ewigen Frieden, Berlin Th. W. Adorno u. J. Habermas ei~ Formalismus in der E u. die materiale
riale E); er nimmt eine intuitive We-
1995; ders" Vernunft u. Recht, Frank- W.E, 1913116; W. Windeiband, Einlei-
furt/M. 1996, Kap.5; M. Lutz-Bach- nerseits u, K. Popper sowie H. Albert sensschau an, in der W.e als "ideale tung in die Philosophie, 1914;
mann, ]. Bohmann (Hrsg.), Frieden andererseits). In der empirischen So- Objekte" u. überdies ihre Hierarchie M. Weber, Der Sinn der ,W.freiheit'
durch Recht, Frankfurt/M. 1996. zialforschung wird für die Gegen- apriori "erfühlt" werden sollen. Eine der soziologischen u, ökonomischen
G.H. wart häufig ein W.wandel kon- frühe Kritik der W.philosophie ist Wissenschaften, 1918; N. Hartmann,
statiert, u. zwar von den "Pflicht- Nietzsches Forderung nach einer E, 1926; C. Schmitt, Die Tyrannei der
Weltrevolution t Marxistische E. oder AkzeptanzW.en" (fleiß, Dis- "Umwertung der W.e"; er wendet W.e, Hamburg 1979; K. H. HilJmann,
ziplin, Pünktlichkeit) zu den "Selbst- sich damit scharf gegen die christli- W.wandel, Darmstadt 21989; H. Kla-
Weltstaat t Weltrepublik.
verwirklichungsW .en" (Autonomie, che Moral u. die traditionelle Meta-
ges, W.dynamik, Osnabriick 1988;
H, Kcuth, Wissenschaft u. W,urteil. Zu
Werbung t Manipulation. Kreativität, Lebensgenuß). Der W.- physik (t Nihilismus). Prominent W.urteilsdiskussion u. Positivismus-
begriff ist in der gegenwärtigen öf- sind ferner Heideggers frühe Kritik streit, Tübingen 1989; C. I. Lewis, An
Wert. Unter W.en versteht man die fentlichen Debatte stark mit Formeln an der Unverbindlichkeit von W.en Analysis of Knowledge and Valuation,
bewußten oder unbewußten Orien- konnotiert wie "Verfall der W.e", sowie C. Schmitts Rede von einer 1946; N. Rescher, Introduction to Va-
WertE 334
r 335 Wille

lue Theory, 1969; M. Riedel, Norm u. Bürger beanspruchen, geht dann in damentale Staatsaufgaben wie den Wille bezeichnet die mentale Fähig-
W.urtcil, Stuttgart 1979; E. Anderson, die ersten Grund- U. Menschen- i Frieden U. die Achtung der Men- keit von t Personen, selbständige
Value in Ethics and Economics, Cam- rechtserklärungen ein U. wird nach schenrechte aufs Spiel setzen; aller- Akte der t Entscheidung u. der
bridge/Mo 1993. C. H.
den Erfahrungen mit dem National- dings ist in der Regel nicht die Wahl vorzunehmen. Der W. er-
sozialismus in einige deutsche Län- grundsätzliche Anerkennung, son- scheint dabei als ein selbständiges U.
WertE t Methoden der E, Wert.
derverfassungen (Berlin, Bremen, dern die konkrete Gefährdung dieser unabhängiges Vermögen der Erstaus-
Wert freiheit t Wert, WissenschaftsE. Hessen), später auch ins Grundgesetz Staatsaufgaben umstritten. lösung von Ereignissen; er bezeichnet
(Art.20, 4) aufgenommen. In den die Fähigkeit, eine Kausalreihe in
meisten anderen Staaten ist dies je- Ut.: Sophokles, Antigone; Platon, Kri-
Widerstandsrecht. Nach dem W.R. Gang zu setzen (Spontaneität des
ton; J. Locke, Über die Regierung,
kann die als selbstverständlich vor- doch nicht der Fall; die Leitforde- Kap. XVIII; I. Kant, Die Metaphysik W.). Wie der Übergang von einem
ausgesetzte Pflicht zum Rechtsgehor- rungen der politischen t Gerechtig- der Sitten, I. Rechtslehre, Staatsrecht, mentalen Vorgang zu einem Folge-
sam aufgrund überpositiver Rechts- keit sind nämlich in die Verfassungs- Allg. Anm., A.; J. S. Mill, Über die ereignis in der Außenwelt erklärt
verbindlichkeiten ( t Naturrecht) auf- staaten eingegangen, zudem wirft ein Freiheit; H. D. Thoreau, Über die werden kann, ist dabei freilich
gehoben U. ein W. gegen das Gesetz "legalisiertes W.R." verfassungstheo~ Pflicht zum Ungehorsam gegen den höchst umstritten. Der W.nsbegriff
oder gegen Erlasse der Exekutive retische Probleme auf, weshalb es Staat, Zürich 1967; K. Wolzendorf, unterstellt näherhin, daß die be-
sittl. erlaubt sein. Die abendländi- Z. B. I<ant abgelehnt hat. Staatsrecht U. Naturrecht in der Lehre zeichnete geistige Fähigkeit durch
Als ein sittl., nicht notwendiger- vom W.R. des Volkes ... , Breslau
sche Idee des W.R.s hat antike, bibli- 1916; F. Kern, Gottesgnadentum U. keine der zur Wahl stehenden Op-
sche U. germanische Wurzeln: Aus weise positivrechtlicher Anspruch W.R. im frühen Mittelalter, Neudr. tionen und durch keine inneren De-
Gehorsam gegen eine göttliche kann das W.R. aber auch heute, Darmstadt 1970; H. v. Borch, Obrig- terminanten (Instinkt, Trieb, Soziali-
Pflicht leistet Antigone dem Tyran- freilich nur ausnahmsweise U. unter keit U. W., Tübingen 1954; J.Isensee, sation, Charakter) vollständig festge-
nen Kreon Widerstand U. nimmt da- strengen Bedingungen, gerechtfertigt Das legalisierte W.R., Bad Homburg legt wird. Im W.nsakt spielen natura-
für den Tod in Kauf (vgl. Sophokles); sein: (a) bei einem offensichtlichen, 1969; H. A. Bedau (Hrsg.), Civil Dis- le, soziale und charakterliche Ten-
Sokrates hält dagegen bei einem zudem elementaren Unrecht, (b) obedience, New York 1969; H. Mandt, denzen U. Dispositionen zwar eine
grundsätzlichen Einverständnis mit nach Ausschöpfen der für Protest U. Tyrannislehre U. W.R., Darmstadt- wichtige, häufig sogar eine dominan-
Opposition legalen Rechts- U. Poli- Neuwied 1974; J. Rawls, Eine Theorie
der politischen Ordnung den W. der Gerechtigkeit, Frankfurt/M. 1975, te, aber keine determinierende Rolle.
selbst gegen ein ungerechtes Todes- tikmittel, (c) mit der Bereitschaft, §§ 53-59; O. HöHe, Sittl.-politische Vielmehr kommt zu ihnen das Ele-
urteil für illegitim (vgl. Platons "Kri- Nachteile in Kauf zu nehmen (vgl. Diskurse, Frankfurt/M. 1981, Kap. 6; ment bewußter Überlegung hinzu,
ton"). Im Christentum entsteht das Rawls' Aufrichtigkeitstest) U. (d) un- R. Saage, Herrschaft, Toleranz, Wider- das eine vom W. bestimmte Aktivität
W.R. aus dem Konflikt zwischen der ter Verzicht auf t Gewalt. Um nicht stand. Studien zur polit. Theorie der zu einer t Handlung macht - im
Forderung, der von t Gott einge- falsches Pathos eines W.es gegen Ty- niederländ. u. der engl. Revolution, Unterschied zur nicht-willentlichen
setzten Obrigkeit Gehorsam zu lei- rannen anklingen zu lassen, spricht Frankfurt/M. 1981; P. Glotz (Hrsg.), Aktivität von Tieren oder zu bloßen
man im Anschluß an Thoreaus Pro- Ziviler Ungehorsam im Rechtsstaat, Ereignissen. Daneben ist der W.akt
sten (Röm 13,1), U. dem Gebot, Gott Frankfurt/M. 1983; T. Meyer U. a.
mehr zu gehorchen als den Men- test gegen die nordamerikanische meist wesentlich von Emotionen ge-
(Hrsg.), W.R. in der Demokratie. Pro
schen (Apg 5,29). Nach dem Lehens- Sklaverei heute besser von einem U. Contra, Köln 1984; P. Saladin, prägt. Das konative (Antrieb, Moti-
recht darf bei offensichtlichen Rechts- bürgerlichen (zivilen) Ungehorsam, B. Sitter, W. im Rechtsstaat, Freiburg vation) und das affektive Element
verstößen die Treuepflicht aufgekün- der (a) sittl.-politisch motiviert, (b) 1. Ü. 1988; R. A. Rhinow, W. im unterliegen dem kognitiv-deliberati-
digt U. W. geleistet werden. öffentlich, aber (c) gewaltlos, über- Rechtsstaat, Berlin 1984; T. Lasker, ven (rational abwägenden) Element
Im Mittelalter bildet sich das W.R. dies (d) unter Beachtung des Gebotes Ziviler .Ungehorsam. Geschichte, Be- aber in dem Sinn, daß selbst eine
zu einem Instrument aus, mit dem der Verhältnismäßigkeit (e) geltendes griff, Rechtfertigung, Frankfurt/M. U. a. Entscheidung für ein Triebziel oder
Recht verletzt U. (f) einer Minderheit 1989; P. Harris (Hrsg.), Civil Disobe-
der Herrscher wirksam kontrolliert eine Entscheidung aus Affekt als be-
als Notrecht dient, mit dem sie an dience, Lanham 1989; I. Maus, Zur
werden kann, das aber bis in die frü- Aufklärung der Demokratietheorie, wußt getroffen gelten müssen. Der
he Neuzeit (vgl. Althusius) nur den die Mehrheit bzw. ihre politischen Frankfurt/M. 1992. O. H. W.nsbegriff steht nicht allein für den
Ständen, nicht Privatpersonen zu- Repräsentanten appelliert, Entschei- Entscheidungsakt, sondern zusätzlich
kommt. Erst bei Locke kann es jeder dungen zu überprüfen, die (g) so fun- Wiedergeburt t hinduistische E. auch fUr das Festhalten an einer be-
!,
Wille 336 337 Willensschwäche

wußten Entscheidung, so daß man keit einer W,nsfreiheit (Indeterminis- im Gegensatz zur bloßen Willkür - überhaupt W. gebe; denn niemand
Unbeherrschtheit oder Handeln wi- mus)? Oder bilden W.nsfreiheit u. frei von allen Neigungen; er befolgt handle wider sein besseres Wissen,
der besser Einsicht auch als t W.ns- Determinismus gar keine zwingende ausschließlich die Gesetze der reinen sondern nur aus Unwissenheit. Die
schwäche bezeichnen kann. Alternative, sondern lassen sich mit- praktischen Vernunft. Bei Schopen- bis heute maßgebliche Untersuchung
Der W. enthält zwar die Möglich- einander logisch vereinbaren {Kom- hauer erscheint der W, als ein hypo- stammt von Aristoteles. Er sieht W.
keit bloßer Willkür {Voluntarismus, patibilismus}? stasiertes We!tprinzip (Wo als "Ding dort gegeben, wo jemand im Unter-
Dezisionismus}; aber eine echte Be- Ideengeschichtlich betrachtet dürf- an sich"), bei Nietzsehe als Streben schied zur moralischen Schlechtigkeit
liebigkeit der Entscheidung besteht te der W.nsbegriff eine späte Entdek- nach Erhaltung und Steigerung der (moralisch schlechten Gewohnhei-
nur im seltenen Fall eines motivatio- kung sein; es gibt gute Gründe anzu- Lebensmöglichkeiten mit dem Ziel- ten) zwar gute Gewohnheiten besitzt,
nalen Gleichgewichts, Andernfalls nehmen, daß die griechische Philoso- punkt des "Übermenschen" {Wo zur sich aber gelegentlich durch Zorn,
gibt es eine Freiheit zur Willkür al- phie, zumindest vor deri Stoikern, Macht}. Eine grundlegende sprach- Begierde oder Lust abbringen läßt.
lenfalls im deskriptiven, aber nicht nicht vollständig über ihn verfügt; sie analytische Kritik des W.nsbegriffs Anders als bei Dante fallen daher die
im normativen Sinn. Gleichgültig, versteht unter dem W. stets nur eine hat Ryle vorgetragen; danach soll Sünden des Leoparden, Wollust U.
wofür sich eine Person entscheidet: Strebenstendenz {boulesis, vo/untas}, der Begriff einer W.nshandlung kei- Habgier, weil moraL schlechte Hal-
eine ausreichende Überlegung soll nicht ein Entscheidungsvermögen (li- nen vertretbaren Sinn ergeben. tungen, nicht unter die W. Bei der
die Basis ihrer Entscheidung bilden. berum arbitrium). Zwar verfügt be- W. sind die moral. Vorgaben richti-
Faktisch bildet die Überlegung zu- reits Aristoteles über Grundzüge ei- Ut.: Aristotelcs, Nikomachische E, gen t Handelns noch nicht hinrei-
mindest einen gewissen Teil: jemand ner Theorie des handlungsverursa- Buch III; Augustinus, De libero arbi- chend verwurzelt. Man weiß zwar,
hätte auch anders entscheiden kön- trio; R. Descartes, Meditationes de
chenden Wahlvermögens (hekousion, was man tut oder wozu, handelt also
prima philosophia, IV; Th. Hobbes,
nen. Aus diesem Grund gilt für jede prohairesis); in gewissem Umfang Leviathan; ].-]. Rousseau, vom Gesell- freiwillig, aber - einem Betrunkenen
willentliche Aktivität das Prinzip der erklärt bereits er Handlungen für zu- schaftsvertrag; L Kant, Grundlegung ähnlich - insofern mit begrenztem
moralischen und juristischen Zure- rechenbar. Allerdings ergibt sich ein zur Metaphysik der Sitten; A. Scho- Wissen, als man von ihm keinen Ge-
chenbarkeit {Imputabilität}. Liegt ei- vollständiger W.nsbegriff erst aus penhauer, Die Welt als W. u. Vorstel- brauch macht; man hat das Wissen
nem W.nsakt keine ausreichende dem Einfluß jüdisch-christlicher Ele- lung; F. Nietzsehe, Also sprach Zarat- nur wie einen toten Besitz. Zu Recht
Überlegung zugrunde, so daß z. B. mente auf die Philosophie, vermut- hustra; ders., Nachgelassene Fragmen- sieht Aristoteles zwei Arten von W,:
vorhersehbare nachteilige Folgen ein- lich bei Augustinus (vgl. A. Dihle). te, KSA 9-13; G. Ryle, Der Begriff "Die einen überlegen zwar, bleiben
des Geistes, Stuttgart 1969, Kap. 3;
treten, so ist die handelnde Person Eine prominente Rolle spielt der'
A. Kenny, Will, Freedom, and Power, infolge der t Leidenschaft nicht bei
auch für den Mangel an Überlegung W.nsbegriff im spätmittelalterlicher Oxford 1975; ders., Freewill and Re- ihrer Überlegung; die anderen wer-
verantwortlich (t Verantwortung), Voluntarismus eines Wilhelm v. Ock- sponsibility, London 1978; U. Pothast den mangels Überlegung durch die
Ein zentrales Problem des so ver- ham oder Heinrich v, Gent, in dem (Hrsg.), Freies Handeln U. Determinis- Leidenschaften geführt." Auf beide
standenen W.nsbegriffs ist die Frage der W. Gottes als absolutes Vermö- mus, Frankfurt/M. 1978; A. Dihle, Die Fälle trifft zu, was Davidson für das
nach der W.nsfreiheit. Besteht eine gen gedeutet wird. Bei Descartes ist Vorstellung vom W. in der Antike, "Besondere an der Unbeherrscht-
vollständige kausale t Determina- es dagegen der menschliche W., der Göttingen 1985; T. Honderich, How heit" hält, "daß sich der Handelnde
tion aller Naturvorgänge, der (evt1. als unendliches Vermögen gedeutet Free Are You? OxfordlNew Y ork selbst nicht verstehen kann: Er er-
1993; G. Seebaß, Wollen, Frankfurt/M.
unbewußt) auch der W. unterliegt wird. Für Hobbes ist der W. der je- kennt in seinem eigenen absichtli-
1993. C. H.
{Determinismus}? Dann scheint sich weils gerade handlungswirksam wer- chen Verhalten etwas wesentlich
W.nsfreiheit nicht länger behaupten dende Affekt oder die Neigung. Rous- WillensE tWille. Vernunftwidriges" .
zu lassen. Oder gibt es neben der seau verwendet den Begriff eines
Kausalität der Naturprozesse noch "allgemeinen W.s" {volonte general} Willensschwäche oder Unbeherrscht- Lit.: Platon, Protagoras 351 a-360e;
eine Kausalität aus t Freiheit zur Fundierung seiner Vertragstheo- Aristoteles, Nikomach. E, VII 1-14;
heit (griech. akrasia) ist eine Form Thomas v. Aquin, Summa thcoL 1-11,
(Kant)? Sind naturwissenschaftliche rie ( t Gesellschaftsvertrag), Kant be- moral. Pathologie, deren genaue be- q. 77; Dante, Göttliche Komödie, 5. Ge-
Beobachtungen, die für die Indeter- stimmt den W. als Vermögen, sein griffliche Bestimmung seit der Antike sang, V. 56f; D. Davidson, Wie ist W.
miniertheit bestimmter Prozesse Begehren von Zweckvorstellungen (SokrateslPlaton U. Aristoteles) um- möglich? in: ders., Handlung U. Ereig-
sprechen, Indizien für die Möglich- leiten zu lassen; der "reine" W.' ist - stritten ist. Sokrates zweifelt, daß es nis, Frankfurt/M. 1985,43-72. O. H.
Wille zur Macht 338
I 339 Wirtschafts ethik

Wille zur Macht


phie.
t Lebensphiloso- reicht werden können, Die Wirt-
schaftssubjekte sollen die Güter, das
Geld oder andere knappe Mittel un-
I Gesellschaft gleichzeitig das t Ge-
meinwohl steigere (A. Smith, ). Ben-
tham}. Wie durch eine "unsichtbare
zipien auf: er radikalisiert den Wett-
bewerb u. führt zur Entfaltung u.
zum Wohlstand von immer weniger
Willkür t Freiheit.

t Erfolg.
ter Vermeidung von unnötigen Ver-
lusten verwenden. (1.3) Das formale I Hand" steuere der Markt im Spiel
von Angebot u. Nachfrage sowohl
Menschen. Eine der Ursachen dieser
Entwicklung ist, daß die liberale Ei-

II
Wirkung Prinzip der Ökonomie ist die optima- die günstigsten Preise für den Kon- gentumsgarantie nicht die chancen-
le zweckbestimmte Ausnutzung vor- sum wie den vorteilhaftesten Profit. gerechte Verteilung des Eigentums
Wirtschaftsethik. Die W. bestimmt handener Möglichkeiten mit rationa- Die Ökonomie sei ein rechtsfreier als Basis seiner leistungsgerechten
die t Ziele u, t Normen (t Sozial- len Mitteln (ökonomisches Prinzip: Prozeß, ein System natürlicher Frei- Vermehrung voraussetzt. Eine ande-
E) des individuellen u, staatlichen t Entscheidungstheorie). Materiale heiten, dessen Regeln sich in der so- re Ursache ist, daß_ die Selbststeue-
wirtschaftlichen Handelns u. des Zwecke sind dabei der allgemeine zialen Erfahrung u. der unmittelba- rungsmechanismen des Wirtschafts-
Verhältnisses zwischen beiden, Diese wirtschaftliche u. technische Fort- ren Wahrnehmung u. dem Gefühl prozesses weder in der Lage sind, ein
Ziele u. Normen sind den formalen schritt u. die Steigerung der Produlc- der Individuen bilden, Der i Staat übersteigertes Gewinnstreben noch
u, materialen Zwecken des ökonomi- tion durch eine Entwicklung aller hat die Aufgabe, das durch mensch- Konjunkturschwankungen zu verhin-
schen Handelns übergeordnet u. las- Ressourcen. Als sitt!. Zwecke dieser liche t Arbeit geschaffene t Eigen- dern, die Arbeitslosigkeit u. soziale
sen sich nicht aus diesen ableiten. Ziele gelten eine optimale Bevölke- tum u. seiner Vermehrung zu schüt- Krisen bewirken.
(1.1) Die Wissenschaft der Öko- rungsentwicklung 'u. ein möglichst zen, ohne selbst in die ökonomischen (4) Der Sozialismus (lat. socialis,
nomie (griech. oikos: Haushalt, no- hohes Maß an individueller Selbst- Prozesse einzugreifen (Minimal- gemeinschaftlich) versteht diese Kri-
mos: Gesetz) kann zwar die Zusam- entfaltung u. Selbstbestimmung. Ob- staat). Das t Selbstinteresse, das je- sen als notwendige Folgen der Tren-
menhänge der ökonomischen Fak- wohl ökonomische Bedingungen zur der dem anderen zubilligt, u. der nung von Kapital u, Arbeit im Kapi-
toren beschreiben u. unter bestimm- Einlösung dieser Zwecke nur mate- uneingeschränkte Wettbewerb sind talismus u. der damit verbundenen
ten hypothetischen Voraussetzungen rielle Voraussetzungen schaffen kön- die Grundprinzipien dieser W., die t Entfremdung der Arbeitnehmer u.
Entscheidungsalternativen vorschla- nen, hängt der Charakter der öko- als politische Ökonomie die wissen- Arbeitgeber. Die Vermehrung des
gen. Da aber die möglichen Folgen nomischen Systeme von einer grund- schaftliche Lehre der Mittel zur Stei- konstanten Kapitals in der Hand
dieser Alternativen nicht alle abseh- sätzlichen Entscheidung darüber ab, gerung des individuellen u. staatli- immer weniger Kapitalisten u. das
bar sind u. die wissenschaftlichen In- ob die Realisierung der individuellen chen Wohlstands ist (A. Smith). Der geringer werdende variable Kapital
formationen allein noch keine Aus- Zwecke die der sozialen zur Folge Liberalismus läßt offen, wie weit das an Arbeit führe zum Sinken der Pro-
wahl zwischen Entscheidungsalterna- hat oder umgekehrt, oder ob diese i Recht das Selbstinteresse u. den fitrate: der ständig wachsenden,
tiven rechtfertigen, sind für deren Be- Zwecke gegensätzlich sind u. eigens Handlungsspielraum des einzelnen technisierten Produktion stehe auf-
urteilung zusätzliche Wertkriterien politische u. rechtliche Kriterien zu einschränken soll u. wie die Interes- grund der sinkenden Löhne u. der
notwendig. Die Ökonomie ist we- ihrem gerechten Ausgleich notwen- senharmonie zu verwirklichen ist. Arbeitslosigkeit ein sinkender Kon-
der als Lehre von der Planung u. Ge- dig machen.' Der gegenwärtige Neoliberalismus sum gegenüber (K. Marx). Dadurch
staltung gesamtwirtschaftlicher Pro- (2) Der klassische Liberalismus hält, trotz minimalstaatlicher Ideen steigere sich der Klassenwiderspruch
zesse (VolkswirtschaftslehrelNatio- (lat. liberus: frei), der im 18. u. (R. Nozick), nicht an der natürlichen (t marxistische E) bis zur t Revo-
nalökonomie) noch als Lehre vom 19. Jahrhundert in England entstand Interessenharmonie fest, sondern lution u, der Auflösung des Privatei-
einzelwirtschaftlichen Handeln von u. die Grundlagen des ökonomischen sucht nach Möglichkeiten der demo- gentums. Die W. des Sozialismus ist
Unternehmern (Betriebswirtschafts- Denkens der westlichen Welt heute kratischen Kontrolle ökonomischer eine t KlassenE: Nur die Proletarier
lehre) wertfrei (t WissenschaftsE). noch weitgehend bestimmt, sieht im Macht, gibt der Steigerung der Le- haben einen legitimen Anspruch auf
(1.2) Die angewandte Ökonomie hat individuellen Gewinnstreben ein benschancen Vorrang vor einseitigen die Produkte ihrer Arbeit u. entspre-
primär die Aufgabe, knappe Güter t Streben nach t Glück, das nicht Wachstumserwartungen u. kritisiert chend 'auf Bedürfnisbefriedigung. -
so zu beschaffen u. zu verwenden, nur dem einzelnen eine freie Entfal- den Kapitalismus (R. Dahrendorf, Der Sozialismus erkennt grundsätz-
daß bestimmte individuelle oder so- tung seiner Anlagen u. Fähigkeiten }. M. Buchanan}. lich die wirtschafts-ethischen Ziele
ziale Zwecke (z. B, Bedürfnisbefrie- ermögliche, sondern als konkurrie- (3) Der Kapitalismus (lat, caput, des Liberalismus, die Selbstbestim-
digung, Lebenssicherung etc.) er- rendes Streben aller Mitglieder einer Haupt, Summe) greift liberale Prin- mung u. Entfaltung der Persönlich-
Wirtschaftsethik 340 I 341 Wissenschafts ethik

keit u. die Übereinkunft von indivi- Machtausgleich zwischen den sozia- Abschn.7, MEW Bd.25, Abschn.3; Erkenntnis selbst) sowie nach deren
duellem u. sozialem Interesse an. Er
verbinder damit aber die Kritik, der
1en Gruppen (Arbeitgeber, Gewerk-
schaften, Verbände) u. die Stabilität I M. Weber, Wirtschaft u. Gesellschaft,
Teil 1, Kap. 11, 2, I. u. III; ders., Die
protestantische E u. der Geist des Kapi-
Ursachen, Gründen u. Gesetzmäßig-
keiten. In der W. vollendet sich das
Liberalismus abstrahiere diese Ziele
von ihren sozialen Bedingungen u,
stelle die Mittel ihrer Verwirklichung
des wirtschaftlichen Systems (Ord-
nungsziele) sichern. Da diese Ziele
im wirtschaftlichen Handeln sowohl
I talismus, S. 17-205; F. Federici, Der
deutsche Liberalismus, Zürich 1946;
R. Dahrendorf, Gesellschaft u. Demo-
natürliche Streben des Menschen
nach Wissen (Aristoteles), Von Pla-
ton u. Aristoteles bis zum Rationa-
nicht bereit: Die Individuen seien nur
äußerlich durch ihr Gewinnstreben
verbunden, eine lebendige Gemein-
untereinander wie mit den materia-
len Zielen der Erhaltung des Geld-
werts, der Vollbeschäftigung u. dem
I kratie in Deutschland, München 21972,
S.233ff; J. A. Schumpeter, Kapitalis-
mus, Sozialismus u. Demokratie, Mün-
1ismus der Neuzeit (Hobbes, Descar-
tes u. a,) verstand man unter W, die
grundsätzliche Höchstform von Wis-
schaft sei damit unmöglich, Sozia-
lismus u. Liberalismus erhoffen trotz
wirtschaftlichen Fortschritt, da fer-
ner diese materialen Ziele unterein- I chen .11972, Kap. 3, Teil 5-14, 16-18;
G. Duncan, Marx and MiJI, Cambridge
sen: das Ideal einer sicheren, weil aus
wahren u. schlechthin ersten Sätzen,
der gegensätzlichen Einschätzung des
sittl. Werts von Eigentum u. der un-
terschiedlichen Beurteilung von frei-
ander in i Konflikt geraten können,
erfordern die wirtschaftlichen i Ent-
scheidungen sowohl im unternehme-
II 1973, Teil 4; J. M. Buchanan, The Li-
mits of Liberty, Chicago/London 1975;
R. Nozick, Anarchie, Staat, Utopia,
München 1976, Teil 2; T. Guldimann,
den Prinzipien, begründeten u. des-
halb notwendigen Erkenntnis. Die
modernen W.en verstehen ihre Aus-
em Markt u. staatlich geplanter rischen wie im staatlichen Bereich Die Grenzen des Wohlfahrtsstaates, sagen nur noch als (mehr oder weni-
Wirtschaft gleichermaßen die Ver- Beratungsprozesse. Diese können München 1976; F. A. v. Hayek, Libe- ger stark bewährte) Hypothesen, die
wirklichung der sitt!. Zwecke der zwar kein vollkommenes Gleichge- ralismus, Tübingen 1979; O. HöHe, - der kritischen Überprüfung a usge-
Gesellschaft als Ergebnis des mate- wicht zwischen den Zielen herstellen. Sittl.-politische Diskurse, Frankfurt/M. setzt - immer wieder neu modifiziert
rialen Prozesses 'der Arbeit. Der Un-
terbewertung des Gegensatzes von
individuellem u, sozialem Interesse
Die Mitbestimmung (i Demokratie)
aller am Produktionsprozeß beteilig-
ten Gruppen bzw. die Beratungen
I
I
1981, Kap. 6; P. Koslowski, E des Ka-
pitalismus, Tübingen 1982; ders.
(Hrsg.), Economics and Philosophy,
u. revidiert werden können (i kri-
tischer Rationalismus, i Pragma-
tismus). Trotz dieser tiefgreifenden
Tübingen 1985; M. Hollis, W. Vos-
durch den Liberalismus korrespon- der Parlamente legitimieren jedoch senkuhl (Hrsg.), Moralische Entschei- Veränderung ist die i süd. Grund-
diert die Überbewertung des sozialen die Entscheidungen über den jeweili- dung u, rationale Wahl, München aufgabe der W. von Platon u. Aristo-
gegenüber dem individuellen Interes- gen Vorrang von Zielen. Diese Be- 1992; H. Lenk, M. Maring (Hrsg.), teIes bis Russell u. Popper dieselbe:
se durch den Sozialismus. ratungsprozesse treffen dann legitime Wirtschaft u. E, Stuttgart 1992; G. En- Forschung u. Lehre kompromißlos
(5) Liberale u. soziale ökonomi- Entscheidungen, wenn für sie die derle u. a. (Hrsg.), Lexikon der W.E, der Wahrheit zu verpflichten. Ob die
sche Ziele können wirtschaftsethisch sozialen i Normen der i Tole- FreiburgiBaseVWien 1993. W. V. W, aus theoretischer Neugierde, aus
nur in einer sozial gestalteten ranz, i Gerechtigkeit u. Solidarität natur- u. sozial technologischem, aus
Marktwirtschaft vermittelt werden, (i Wohlwollen) ebenso gelten wie Wissenschaftsethik. Die W.E unter- kritisch-hermeneutischem oder the-
in der im Produktionsprozeß die sitt!. die w.e Normen der freien Bildung sucht den i Sinn u. die i Verant- rapeutischem Interesse motiviert ist:
Zwecke einer demokratischen Ge- von Eigentum u. seiner eigenverant- wortung der W., dabei als For- in ihren Aussagen selbst sollen alle
sellschaftsform gelten. Die materia- wortlichen Verfügbarkeit, des gleich- schungsE die der wissenschaftlichen persönlichen u. gruppenspezifischen
len Zwecke des wirtschaftlichen berechtigten Wettbewerbs u, der Forschung. Die verbreitete Ansicht, Interessen u. Bekenntnisse hinter der
Wachstums müssen dazu im indivi- i Verantwortung gegenüber dem die W.E sei eine neue Aufgabe, her- Idee objektiver i Wahrheit zurück-
duellen wie im staatlichen ökonomi- i Gleichwohl. vorgerufen durch die Naturwissen- treten. Die W,E gebietet es, an keiner
schen Handeln mit den Prinzipien schaft, i Technik u. i Medizin der Überzeugung dogmatisch u. autori-
der Bedarfs- u. Leistungsgerechtig- Lit.: A, Smith, Der Wohlstand der Na- Neuzeit, übersieht den anthropologi- tätsgläubig festzuhalten, sie vielmehr
keit (Verteilungsziele) übereinstim- tionen, Kap. I, 1-4, III, 1, N, 1; ders., schen -Rang der W. (1) Mittels Beob- auf ihre Richtigkeit zu prüfen, Vor-
men, der sozialen Sicherheit, der Er- Theorie der e Gefühle, Bd.2, Teil VI, urteile zu überwinden, die-sich im-
Abschn.2; J. Bentham, Economic Wri- achtungen u. Experimenten, begriff-
haltung produktiver Ressourcen u. licher Analyse u. anderen Verfahren mer wieder neu aus Täuschungen
tings, 3 Bde., London 1952, Bd. 1,
der natürlichen Umwelt (Sicherungs- S, 81 f; J. S. Mill, Grundsätze der politi- sucht die W. auf methodischem Weg durch die Sinne, die Sprache u, den
ziele) dienen, den sozialen i Frie- schen Ökonomie, Bd. 1, Buch I, 1-4, H, nach wahrer Erkenntnis von Sach- Verstand, die Gewohnheit u, Tradi-
den, die i Freiheit bei der Teilnah- 1-4, Bd.3, Buch V, Aalen 1968; verhalten (der i Natur u. i Gesell- tion ergeben, u. ein fortschreitend
me am Wirtschaftsprozeß, den K. Marx, Das Kapital, MEW Bd. 23, schaft, der Sprache, Kunst, auch der weiteres u. tieferes Verständnis von
I

I
Wissenschafts ethik

natürlicher u. menschlicher Wirk-


lichkeit zu suchen. In diesem Sinn ist
die Wertfreiheit ein der W. imma-
nentes sittl. Prinzip. W. ist eine In-
stanz gegen Unklarheit u. Ungenau-
igkeit, gegen Irrtümer u. Täuschun-
nächst vor allem der Arbeitserleich-
terung und der Gesundheit (Bacon,
342

Descartes); zugespitzt: Medizin statt


Metaphysik. U. mit dem Experiment
wird sie aus einem "Handeln als
Denken" zu einem "Handeln in u. an
r 343

retischem Interesse, gegen allgemein


anerkannte Verbindlichkeiten ver-
stoßen wie: das Verbot zu lügen, das
i Grundrecht auf Leib, i Leben u.
eine Privatsphäre, das Selbstbestim-
Wissenschaftsethik

auch zur Zerstörung fähig ist. Die


Bedrohung beginnt nicht erst mit ei-
ner Nutzung, die sich wie Angriffs-
waffen gegen das Wohlergehen der
Menschen richtet. Die im einzelnen
mungsrecht, das i Eigentumsrecht u. im Kleinmaßstab noch leicht neu-
gen; sie verlangt Experimentierfreude der Welt". Zwar findet das "Han- u. das Recht auf freie Persönlich- tralisierbaren Nebenfolgen führen
u. neben methodischem auch kreati- deln an der Welt" zuerst im Klein- keitsentfaltung sind unzulässig. Der e aufgrund der Zahl, Reichweite u.
ves Denken. Die Gesellschaft dage- maßstab, zudem an lebloser Materie Grundsatz "wissenschaftliche Ob- Kumulierung zu einer Veränderung
gen muß die Forscher von dem statt; und die Veränderungen der jektivität, aber nicht die Rücksichts- der natürlichen u. sozialen Lebens-
Zwang entlasten, mit den vorherr- Welt sind sowohl gut abschätzbar als losigkeit gegen die ,Objekte"', gilt welt, etwa zu Energieverknappung,
schenden substantiellen· politischen auch, lebenspraktisch gesehen, um- auch für w.liche Versuche an Tieren, Umweltzerstörung, Bevölkerungs-
oder religiösen Ansichten übereinzu- kehrbar (reversibel), so daß die neue insofern diese Schmerzempfinden u. explosion, ferner zu einer Komplizie-
stimmen u. Zensur- oder Inquisiti- Dimension der W.E zunächst ver- Erinnerungen, deshalb Angst haben rung der Gesellschaftsverhältnisse.
onsbehörden Rede u. Antwort zu nachlässigt werden kann. Heute da- können. Tierversuche sind nur bei Andererseits läßt sich ohne die W.
stehen; zu den sozialen u. politischen gegen können w.liche Experimente eng bestimmten F.szwecken, insbes. ein sicheres Überleben der Menschen
Lebensbedingungen gehört die For- wegen ihres Großmaßstabs (z. B. medizinisch-pharmakologischen Zie- kaum noch vorstellen; überdies ist
schungsfreiheit. Nun ist diese in den Atombombenversuche) die Flora, len, legitim u. auch nur dann, wenn von neuen Entdeckungen u. Erfin-
westlichen Demokratien in den Ver- Fauna u. Atmosphäre der Erde irre- sie sich auf das unerläßliche Maß be- dungen einige Hilfe zur Bewältigung
fassungen verankert; u. die Ver- versibel verändern, dabei in der Re- schränken u. darüber hinaus eine schädlicher Nebenfolgen zu erwar-
pflichtung auf vorurteilslose Wahr- gel (schwer) schädigen. Dazu verber- strenge Leidensbegrenzung einhalten ten. Deshalb ist es nicht sinnvoll, die
heitssuche wird durch die Sozial- gen sich in Forschungsstätten wie (i Tierschutz). W. pauschal zu verwerfen, wohl aber
struktur des Forschungsbetriebes, genbiologischen Labors vorher un- (3) Die neuzeitliche W. hat sich sie auf die Frage zu verpflichten:
insbes. durch wissenschaftliche Kon- bekannte Betriebsgefahren, weshalb selbst einer e Verantwortung unter- Werden die in der Natur vorhande-
kurrenz gesichert, so daß beide Ver- Sicherheitsüberlegungen einen festen worfen; sie will das Leben der nen zerstörerischen Gewalten ge-
bindlichkeiten als fast trivial erschei- Bestandteil der W. bilden müssen Menschheit erleichtern, insbes. das mindert, wird Leben gerettet, be-
nen. Trotzdem werfen sie zeitspezi- und in ernsten Fällen eine unabhän- Leid mindern. Mit Hilfe der Na- wahrt, geschützt u. wird zu einem
fische Probleme auf. So setzt etwa gige Kontrolle notwendig wird. Da- turW.en u. i Technik, auch der menschenwürdigen Leben verholfen
die kritische Überprüfung von For- bei liegt die Beweislast für die, Un- WirtschaftsW.en sollen die Men- oder wird das Leben bedroht, ge-
schungsergebnissen voraus, daß sie bedenklichkeit auf seiten der For- schen von materieller Not (von Hun- fährdet, werden weitere Risiko- und
überhaupt publiziert werden, was für scher, die nach möglichen Gefahren ger, Armut u. Krankheit), mit Hilfe Zerstörungsfaktoren in die Natur
viele Forschungen im Bereich von ( i Technikfolgen) mit derselben der SozialW.en von gesellschaftlicher eingebracht? Das e Leitprinzip heißt:
Militär u. Privatwirtschaft nicht ge- Sorgfalt wie nach neuen Ergebnissen u. politischer Not (von Diskriminie- Bewahrung u. Humanisierung des
sichert ist. suchen müssen (i RisikoE). Schließ- rung, Unterdrückung u. Ausbeutung) menschlichen Lebens samt seiner
(2) Während man in der antiken lich betrifft die Forschung die Bau- befreit werden. In der Tat ist der vielfältigen Umwelt. Ob die Aner-
Theorie die unveränderliche Struktur steine, die Anfangsphasen und das neuzeitlichen W. eine Fülle von le- kennung dieses Prinzips durch die
des Kosmos interessenlos betrachtet Ende des menschlichen Lebens; sie bensdienlichen u. zivilisationsför- Formen der Selbstkontrolle oder
u. zugleich die Welt in Ruhe läßt, wird an schmerzempfindsamen Tie- dernden Entdeckungen u. Erfindun- aber durch staatliche Institutionen
gibt die neuzeitliche W. das kontem- ren u. --;- teils in den Natur-, teils den gen gelungen. Aber am Ende zeigt geschieht, hängt weitgehend von der
plative Ideal als vorherrschendes Sozialw.en - am Menschen durchge- sich eine Doppelgesichtigkeit der Na- W.lergemeinschaft selbst ab, etwa
Leitbild auf. Vom i christlichen Ge- führt, so daß die ursprünglich e neu- tur- u. (ansatzweisen) Sozialbeherr- von ihrer Fähigkeit, in die Kriterien
bot der Nächstenliebe ( i Liebe) in- trale Neugierde einmal mehr ihre schung. Die W. stellt ein ungeheures guten Experimentierens ("good labo-
spiriert, stellt sie sich in den Dienst Unschuld verliert. Humanexperi- Machtpotential bereit, das wie jede ratory practise") auch e Grundsätze
des menschlichen Wohlergehens, zu- mente, die, wenn auch aus theo- Macht nicht nur zur Hilfe, sondern einzubringen u. in der W.sförderung

I
I
J
Wissenschaftsethik

nicht nur fachliche, sondern soweit


notwendig auch e u. ökologische
Gesichtspunkte zu beachten. Dabei
344

ständlich machen. Dieses kann nicht


bedeuten, daß jeder Forschungsbei-
trag für alle lesbar ist, wohl aber,
r 345

In einer funktional gegliederten


Gesellschaft für die Kultur des Wis-
sens verantwortlich, können die
2
Wohlwollen

tegien der Humanität, Frankfurt/M.


1985, Kap, 10-12; ders" SittL-polit.
Diskurse, Frankfurt/M. 1981, Teil III;
H. Ringeling, Die Verantwortung der
kommt es auf Gewissenhaftigkeit, daß wichtige Resultate u. Kontrover- W.en das Vorbild für ein Leben ab-
W., Bem 1977; J. A. Bames, The Ethics
Sensibilität und oft auch jene höher- sen der W.en über geeignete Medien geben, in dem nicht die wirtschaftli- of Inquiry in Social Science, Neu Dehli
stufige Urteilskraft (i Klugheit) an, auch dem Laien vermittelt werden. che und die politische Macht zählen, 1977; G, Böhme u. a., Die gesellschaft-
die mit Konfliktsituationen zu Rande (6) Einen Beitrag zur Humanisie- sondern die überprüfbare Erkenntnis liche Orientierung des w.1ichen Fort-
kommt (i Pflichtenkollision). Dar- rung des menschlichen Lebens leisten und die intellektuelle Kreativität. Im schritts, Frankfurt/M .. 1978; W, Wahl
über hinaus bedarf es einer "Kultur nicht nur die Natur- u. Sozial-, son- Fall der W. als Beruf, im Fall der (Hrsg.), E Probleme der W" Berlin
der Rechtzeitigkeit". Die w.lichen dern auch die GeistesW., insofern sie Studenten auf Zeit, suche man in der 1978; K. Berg, K. E. Tran0Y (Hrsg.),
Berufsverbände können e Richtlinien die Herkunft der Menschheit mit ih- W. als solcher ein sinnerfülltes Le- Proceedings of the Symposium on Re-
search Ethics, New York 1983;
aufstellen, so wie sie sich "bei Ärzten ren unterschiedlichen Traditionen u. hen. Zu diesem Zweck darf man sich E. Ströker (Hrsg,), E der W.en, Mün-
(i medizinische E) oder Psycholo- Kulturerzeugnissen aufarbeiten u. allerdings weder in den Accessoires chen u. a. 1984; Max-Planck-Gesell-
gen schon seit langem finden. Au- erinnernd festhalten sowie uns für noch den Nehentätigkeiten der W. schaft (Hrsg.), Verantwortung u. E
ßerdem bedarf es eines neuen Selbst- Sprache, bildende Kunst u. Musik verlieren, Vielleicht erweist sich ein in der W., München 1984; H. Lenk
verständnisses. Ohne die humanen öffnen. Mehr an kontemplativer, zweckfreier (Hrsg.), Humane Experimente?, Mün-
Leitzie1e aufzugeben, sollten die (7) Außerdem dokumentiert sich W. am Ende sogar als nützlicher als chen 1984; H. R. Baumgartner,
W.en sich die Ambivalenz ihrer Lei- die Humanität in einer Existenzwei- ein Zuviel an instrumenteller W, Ei- H. Staudinger (Hrsg,), Entmoralisie-
stung eingestehen, überdies versu- se, die das Lebensnotwendige u, ne W.E beschränkt sich jedenfalls rung oder W.en? Physik u. Chemie,
MünchenlPaderborn 1985; W. R. Shea,
chen, den Zivilisationsprozeß, auch Nützliche übersteigt. Was bei Aristo- nicht auf Verbote gegen die Gefahr B. Sitter (Hrsg.), Scientists and their
wenn dies nur in Grenzen möglich teIes u. seiner Tradition im Mittel- einer Enthumanisierung der W.spra- Responsebility, Canton 1989; H, Holz-
ist, in eine vom Menschen gewollte punkt stand, ist durch das neuzeitli- xis oder ihrer Wirkungen; zur Gel- hey u. a. (Hrsg.), Forschungsfreiheit.
Richtung zu lenken. che Interesse der W,en an techni- tung bringt sie die Humanität auch Ein e u. politisches Problem der mo-
(4) In der zunehmend wichtigen scher u. sozialer Relevanz zwar zu- als eine positive Idee für die W. dernen W., Zürich 1991; H. Lenk
w.1ichen Politikberatung bei öffentli- rückgetreten, hat aber nicht sein (Hrsg.), W. u. E, Stuttgart 1991;
chen i Entscheidungsprozessen sol- Recht als Korrektiv verloren: Neben C. Hubig, Technik- u, W.E, Berlin u, a.
Lit.: Aristoteles, Metaphysik, Buch I;
len sich die W.ler weder als Alibi u. ihrer technologischen, kritisch-her- 1993; O. HöHe, Moral als Preis der
ders., Nikomach. E, Kap. X 6-9; F. Ba- Moderne, Frankfurt/M. 3 1995; R. E.
Feigenblatt der jeweils Herrschenden meneutischen u. therapeutischen Sei- con, Neues Organ der Wissenschaft; Bulger u.a. (Hrsg,), The Ethical Di-
mißbrauchen lassen noch sich der te ist W, auch eine Grundhaltung, ders., Neu-Atlantis; Descartes, Abhand- mensions of the Biological Sciences,
Mitwirkung bei öffentlichen Aufga- mit der man sich über partikulare lung über die Methode; ],-J. Rousseau, Cambridge 1993; M. Salewski (Hrsg.),
ben entziehen. Mit Hilfe ihres Sach- Interessen erhebt. Zu den nicht nut- Diskurs über Kunst u. W.; J. G. Fichte, Das Zeitalter der Bombe. Die Geschich-
Die Bestimmung des Gelehrten (1794), te der atomaren Bedrohlmg ... , Mün-
u. Methodenverstandes sollen sie die zenorientierten, gleichwohl nicht un- bes. 4. Vorles.; M. Weber, W. als Be-
rationale Qualität der Entscheidun- nützen Tätigkeiten des Menschen chen 1995; jahrbuch für W. u, E, Ber-
ruf, in: Gesammelte Aufsätze zur W.s- !in 1996 ff. O. H.
gen verbessern, aber auch die Ver- zählt die Suche nach wahrer Er- lehre; J. Bronowski, Science and Hu-
01
läßlichkeitsgrenzen der W.en, gerade kenntnis, W. kann eine Form man Values, New York 1965;
der HumanW.en beachten u. zwi- menschlicher Existenz sein, in der C. F, v. Weizsäcker, Die Verantwor- Wohlfahrtsökonomie i Entschei-
schen w.licher Analyse u. persönli- man nicht bei der Besorgung des Le- tung der W. im Atomzeitalter, Göttin- dungstheorie,
cher sittl.-politischer Stellungnahme bensnotwendigen, der Bequemlich- gen 41.963; K. jaspers, Wahrheit u. W.;
unterscheiden. keit, des Lebensgenusses u. materiel- A. Portmann, NaturW. u. Humanis- Wohlfahrtsstaat i Staat,
mus, München 1960; C. P. Snow, Die
(5) Wegen ihrer so großen Bedeu- len Fortschritts stehenbleibt u. somit zwei Kulturen, Stuttgart 1.967;
tung in vielen Bereichen der moder- - analog zu i Spiel u. Kunst oder zu j, Habermas, Technik u. W. als ,Ideo- Wohltätigkeit i Liebe.
nen Lebenswelt sollten die W.1er sich einer durch i Gerechtigkeit be- logie', Frankfurt/M. 21975; W. Schulz,
nicht bloß ihren Fachkollegen, son- stimmten Gesellschaft - i Freiheit Philosophie in der veränderten Welt, Wohlwollen (gr. eunoia, engt. hene-
dern auch der Öffentlichkeit ver- u. Humanität zum Ausdruck bringt. Pfullingen 11976, Teil I; O. HöHe, Stra- volence) bedeutet gemäß der klassi-

I
Wohlwollen

sehen Definitionen des Aristoteles


eine Einstellung gegenüber den Mit-
menschen, in der wir i das Gute für
den anderen um des Guten willen
anstreben. Als sittl. Haltung ( i Tu-
im Selbstinteresse jedes Menschen

muß. Dieser Altruismus aus Selbstin-


teresse macht deutlich, daß W. je-
denfalls nicht mit Schwäche gegen-
346

liegt u. daher von allen geübt werden


r 347

Yoga i Hinduistische E.
Handlung selbst (Basishandlung)
Ziel

oder erst durch ihre Folgen erreicht


werden. Handlungen sind nur i ver-
stehbar, wenn sie unter dem Ge-
sichtspunkt betrachtet werden, ob sie
gend), die nicht nach dem Maß der über dem anderen verwechselt wer- z Mittel darstellen, das gewiinschte Z.
Zuwendung fragt, wird es allerdings den darf, sondern eine selbständige zu erreichen. Durch das Wissen u.
auf den i Freundschaftsbereich ein- i Persönlichkeit voraussetzt, die ihr Zen i Buddhismus. Wollen der Z.e grenzen sie sich von
geschränkt. Zusammen mit der Eigeninteresse einbringt. Die Abstu- handlungsähnlichen Verhalten ab, in
i Gerechtigkeit, die jedem das seine fungen des W. beginnen beim W. Zensur i Grundrechte. dem die Motive nicht kognitiv ver-
zuteilt u. im öffentlichen Bereich an- spontaner Art, das wir Sympathie arbeitet u. in Z.strebigkeit umgesetzt
gemessen ist, gilt es als Inbegriff sittl. nennen u. nur auf einer oberflächli- Ziel. Was wir mit Z. oder Zweck werden, sondern in unbewußter Wei-
Einstellung im zwischenmenschlichen chen Kenntnis des anderen beruht. meinen, verweist in den Zusammen- se geradezu zwangsläufig (nach Art
Verhältnis. Der klassische Begriff des W. aus Bedauern über i Leid oder hang menschlicher Praxis. Die kausaler Zusammenhänge) wirken u.
W. zielt die Mitte zwischen der Schaden des anderen nennen wir Z.findung orientiert sich an den na- die Symptome einer i Krankheit
Selbstzentriertheit des Egoismus Mitleid, hilfreiches Verhalten in ei- türlichen u. gesellschaftlichen Be- hervorrufen. Das Wissen u. Wollen
(t Selbstinteresse) u. der Fremdzen- ner Situation Wohltätigkeit (i Lie- dingungen der i Situation u. Um- der Z.e darf aber umgekehrt nicht
triertheit des Altruismus an. Diese be), die Kant als Beispiel des t kate- welt, an ihren Regeln, i Normen, mit ausdrücklicher Überlegung u.
meint ein Verhältnis zum Mitmen- gorischen Imperativ erwähnt. Wenn i Werten oder i Idealen, die be- bewußter i Entscheidung gleichge-
schen, in dem wir seine Ziele unter wir uns einer empfangenen Wohltat stimmte Z.e als möglich, erwünscht setzt werden. Im Normalfall verfol-
Zurückstellung eigener Interessen freuen, äußert sich unser W. als oder verboten ausweisen. Während gen wir unsere Z.e in einer implizit
verfolgen. Uneingestandenerweise Dankbarkeit. W. gegenüber der eige- das Tier unmittelbar von den Reizen wissentlich-willentlichen Weise: Wir
haben wir dabei die verleugneten Ei- nen Gruppe, Klasse, den Unterdrück- der Umwelt abhängig ist u. seine Be- sagen, das Handeln sei final gerichtet
geninteressen doch im Blick, weil wir ten oder der ganzen Menschheit be- dürfnisse in zwangsläufiger Reaktion oder teleologisch zu verstehen. Ari-
den anderen von uns abhängig ma- kundet sich in Solidarität. Die Gren- auf sie befriedigt (i Instinkt), geben stoteles war der Auffassung, daß der
chen. Im Verständnis der i christli- ze einer Zuwendung zum Mitmen- uns Denken u. Sprache einen Spiel- Mensch außer der formellen Not-
chen E, die sich an der biblischen Pa- schen im Sinne des W. ist dann er- raum gegenüber der Umwelt, ihr wendigkeit, sich im Handeln an Z.en
rabel vom barmherzigen Samariter reicht, wenn Beleidigung, Verletzung Angebot in der Wahrnehmung zu orientieren zu müssen, aufgrund sei-
orientiert, geht das Problem des W. der eigenen Rechte, Bosheit u. Ver- sichten u. in der i Handlung modi- ner Polis-Natur (Erziehung u. Ge-
in die Forderung der allgemeinen brechen die Basis des W. zerstören. fiziert zu beantworten. Umweltbe- wöhnung im Staat) tendenziell nach
Nächsten- i Liebe unter Einschluß dingungen (von außen) u. psycho- dem ihm gemäßen Guten, dem Gut-
von Solidarität u. Mitleid ein. Die Lit.: Aristoteles, Nikomach. E, Buch physische t Bedürfnisse (von innen) Leben strebe (Entelechie), Eine sol-
Hobbessche Kritik mißtraut diesem VIII u. IX; Hobbes, Leviathan, Kap. I, (Handlungsgründe) werden aus
10; A. MacIntyre, Egoism and AI- che E, die eine letzte inhaltliche
allgemeinen W. u. sieht im i Selbst- truism, in: The Encyclopedia of Philoso- zwangsläufigen (kausalen) Faktoren Z.bestinuntheit menschlichen Han-
interesse die Basis jeglicher Moral. phy. Bd.II, S. 462-466; T. Nagel, The (Handlungsursachen) in Motive un- delns annimmt, nennen wir teleolo-
W. sei nur die Art u. Weise, wie je- Possibility of Altruism, Oxford 1970; seres Handelns umgewandelt, wenn gische E. Im modernen Sprachge-
mand seine Macht u. Ehre im Ver- H. E. Richter, Lernziel Solidarität, wir sie uns wissentlich aneignen, brauch wird dieser Ausdruck auch
hältnis zu anderen erhöht. Die engli- Reinbek 1974; R. B. Brandt, The Psy- i willentlich Stellung nehmen u. zur Bezeichnung einer E verwandt,
sche Moralphilosophie in der Tradi- chology of BenevoJence and Its Impli- z.strebig (intentional) verwirklichen die im Unterschied zu einer t deon-
tion des i Utilitarismus versucht cations for Philosophy, in: The Journal (Handlungsmotive). Die Motive ge- tologischen E die Richtigkeit von
of Philosophy, Bd.73, 1976; C. Gil-
demgegenüber den Nachweis zu füh- ben das Worum-willen der Handlung Handlungen und deren Folgen im
ligan, Die andere Stimme, München
ren, daß die Haltung des W. als Be- 1984; R. Spaemann, Glück u. Wohl- oder die Z.e an, die Handlung selbst Lichte höchster Werte u. Z. bemißt.
förderung der i Freude u. Wohl- wollen. Versuch über E, Stuttgart 1989. erweist sich als Mittel, sie zu errei- Gegenüber der aristotelischen Auf-
fahft aller anderen vernünftigerweise A. s. chen. Die Z.e können dabei in der fassung behauptet die moderne E seit

J
r
348
Zivilcourage
I
Kant, daß wir auch in der Wahl der benspraktischen Handeln nur wirk-
Z.e frei sind. Als Modellfall erscheint sam werden, wenn sie in die Motive
ihr die auf ausdrücklicher Überlegung des psychischen Erlebens integriert
basierende, bewußt getroffene Ent- werden kann u. somit die künftige Quellen der Ethik
scheidung. Im Unterschied zur im- Z.findung mitbestimmt.
plizierten Z.orientiertheit des alltäg-
lichen Handelns nennen wir dieses Lit.: Aristoteles, Nikomach. E, Buch I Pla'on (427-347 v. ehr.)
explizite u. absichtsvolle Tun Zweck- u. 11; I. Kant Grundlegung zur Meta- Sämtliche Werke (Übers. Schleiermacher), 6 Bde., Hamburg (Rowohlt)
setzung u. ihre Inhalte Zwecke. Soll physik der Sitten; M. Weber, Der Sinn 1957ff; Sämtliche Werke, Jubiläumsausgabe in 8 Bden. (Übers. Rufener),
der "Wertfreiheit" der soziologischen
die jeweilige Handlung meinem München (Artemis) 1974; Platon-Studienausgabe (griech.-deutsch), 8 Bde.,
u. ökonomischen Wissenschaften; ders.,
Zweck dienen, dann muß ich ihre Soziologische Grundbegriffe, in: Ge- Darmstadt (Wissenschaftl. Buchgesellschaft) 1970ff (Bd. I Protagoras, La-
Zweck-Mittel-Rationalität (M. We- sammelte Aufsätze zur Wissenschafts- ches, Eutyphron u. a., Bd. 11 Apologie, Kriton, Euthydemos, Gorgias u. a.,
ber) und, da sie den Grundriß eines lehre, Tübingen 1951; E. Husserl, Ideen Bd. III, Symposion u. a., Bd. IV Politeia I-X, Bd. V Phaidros, Parmenides,
Handlungsplanes enthält, ihre Plan- zu einer reinen Phänomenologie u. Briefe, Bd. VI Theaitetos, Sophistes, Politikos, Bd. vn Timaios, Kritias, Phile-
rationalität prüfen. Auf diese stützen phänomenologischen Philosophie 11, bos, Bd. VIII Gesetze; Übersetzung Schleiermacher, teilweise Hieronymus-
sich aUe modernen T echnologien, Husserliana Bd. IV, Den Haag 1952, Müller).
von den technischen im engeren Sinn 5.172-280; N. Hartmann, Teleologi- Einzelausgaben:
sches Denken, Berlin 1951, S. 64-99;
bis zu den Sozialtechnologien. Dabei G. E. M. Anscombe, Intention, Oxford In der Phil. BibI. Meiner, Hamburg: Euthyphron {griech.-deutsch}, 1968; La-
ist die Zwecksetzung offensichtlich 21963; A. Kenny, Action, Emotion and ches (griech.-deutsch), 1970; Gastmahl (griech.-deutsch), 1973; Philebos,
willkürlich u. dem subjektiven Gut- Will, London 4 1969; N. Luhmann, 1955; Der Staat, 1973; Protagoras, 1956.
dünken anheimgestellt (irrational). Zweckbegriffe u. Systemrationalität, Bei Reclam, Stuttgart: Laches {griech.-deutsch}, 19-75; Apologie des Sokrates
Nur die Funktionalität der Mittel für Frankfurt/M. 1973; G. H. v. Wright, (griech.-deutsch), 1986; Charmides (griech.-deutsch), 1977; Euthyphron
die Zwecke wird rational gerechtfer- Erklären u. Verstehen, Frankfurt/M. (griech.-deutsch), 1986; Ion (griech.-deutsch), 1988; Protagoras (griech.-
tigt. Kant sieht in der Willkür der 1974, S. 83-121. A. S. deutsch), 1987; Das Gastmahl, 1976; Gorgias, 1961; Phaidon, 1957; Phai-
Zwecksetzungen den Schein der dros, 1957; Der siebente Brief, 1964; Der Staat, 1971.
i Freiheit, in Wahrheit aber die Ab- Zivilcourage i Tapferkeit.
hängigkeit von zufälligen Begierden Aristoteles (384-322 v. Chr.)
u. Neigungen. Nach ihm lassen sich Zivilisation i Kultur. Aristotle in 23 volumes {griech.-englisch}, London (Loeb Classical Library)
die Zwecke selbst nur dann als sittl. 11935, vol. XVIII Oeconomica and Magna Moralia; vol. XIX Nicomachean
ausweisen, wenn auch sie dem Ge- Zorn i Leidenschaft. Ethics; vol. XX Athenian Constitution. Eudemian Ethics. Virtues and Vices;
sichtspunkt der Zweckmäßigkeit u. vol. XXI Politics. Aristotelis Ethica Nicomachea red. 1. Bywater) (griech.),
allgemeinen Verbindlichkeit unter- Zukünftige Generationen i Gerech- Oxford Classical Texts, Oxford (University Press) 11894; Aristotelis Politica
zuordnen sind. Als letzter Zweck, tigkeit. (ed. W. D. Ross) (griech.), Oxford Classical Texts, Oxford (University Press)
der in sich selbst seine Zweckmäßig- 11957. Deutsche Aristoteles-Gesamtausgabe, Berlin (Akademie Verlag) u.
keit erweist, erscheint die Mensch- Zukunft i Hoffnung. Darmstadt (WissenschaftL Buchgesellschaft), Bd. VI Nikomachische Ethik
lichkeit (i Humanität) des Men- 61974; Bd. VII Eudemische Ethik 21969; Bd. VIII Magna Moralia 31973;
schen, der nach Kant jederzeit nur Zurechnungsfähigkeit i Verantwor- Bd. IX Politik 1991; Bd. XI Physikvorlesung 21972; Bd. XIII Über die Seele
als Zweck an sich selbst u. nie bloß tung. 41973.
als Mittel gebraucht werden darf. Einzelausgaben:
Die durch diesen Grundsatz be- Zwang i Gewalt. Nikomachische Ethik, Zürich (Artemis) (Übers. O. Gigon) 1951, München
stimmte Handlung gilt als moralisch (dtv) (Übers. Gigon) 1972; Stuttgart (Reclam) (Übers. F. Dirlmeier) 1969;
u. im eigentlichen Sinn als frei oder Zweck i Ziel. Hamburg (Phil. BibI. Meiner) (Übers. E. Rolfes) 1972; Politik, Hamburg
autonom. Die Freiheit der morali- (Rowohlt) (Übers. F. Susemihl) 1965; Zürich (Artemis) (Übers. O. Gigon)
schen Reflexion kann jedoch im le- Zynismus i Nihilismus. 1955, München (dtv) (Übers. Gigon) 1973. i

I
Quellen der Ethik 350 351 Quellen der Ethik

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sche Briefe, Von der Vorsehung, München 0.]. (Goldmann TB); De brevitate
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Vollständige lat. Ausgabe, 6 Bde., Leipzig (Teubner) 1902-23; Philosophische Ambrosius von Mailand (um 340-397 n. Chr.)
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litate animi. De brevitate vitae u. a.), Bd. III (Ad Lucilium epistulae Morales 1-
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Quellen der Ethik 354 355 Quellen der Ethik

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Quellen der Ethik 356 357 Quellen der Ethik

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sive Ethica, methodo scientifica pertractata (5 Bde., 1750-1753), Nachdruck, übers., eingeL v. G. Mensching, Frankfurt/M. (Suhrkamp) 1972; Vom Geist,
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Inquiry into the Human Mind on the Principles of Common Sense, London Ausgabe L Kant, Werke in 6 Bänden (ed. Weischedel), Wiesbaden (Insel-
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