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Darum habe ich einmal recherchiert, wie viele „deutsche Sprachen“ denn von
verschiedenen linguistischen Listen anerkannt werden…
Ethnologue ist eine Datenbank aller bekannten Sprachen der Welt. Selbst wenn
man Jiddisch und Niderdeutsch ausnimmt, bleiben im Stammbaum noch
sagenhafte 19 deutsche Einzelsprachen. Wenn man sich die Liste anschaut,
kommen mir allerdings Zweifel an der Eigenständigkeit vieler Varianten –
„Alemán Coloniero“ ist ein spezifischer alemannischer Dialekt, den
Auswanderer vom Kaiserstuhl nach Venezuela gebracht haben; das macht ihn
nicht gleich zu einer eigenen Sprache. Ebenso ist „Pennsylvania Dutch“
eindeutig Teil des Pfälzischen. Welches merkwürdigerweise als eigene Sprache
aufgeführt wird, das nah verwandte Hessische dagegen nicht. Auch sonst
enthält der Stammbaum eine offensichtliche Fehler z.B. dass Limburgisch dem
Rheinfränkischen zugeordnet wird. Mir scheint es, dass die Autoren nicht
unbedingt Experten für Germanistik sind. Immerhin geben sie zum Thema
Dialekte des Deutschen zu: „Our present treatment is incomplete“.
Die englische Wikipedia listet in einem Template eine große Zahl von
germanischen Sprachformen auf, die Überschrift lautet allerdings „languages
and dialects“ – dadurch bezieht die Seite keine Stellung, ob es sich bei einer
einzelnen Form um eine Sprache oder einen Dialekt handelt. Je nach Artikel
und Wikipedia-Version werden immer wieder unterschiedliche Auflistungen
verwendet, ohne dass jemals klar definiert wird, wie viele deutsche Sprachen es
gibt. Fast immer als eigene Sprachen dabei sind Niederdeutsch, Jiddisch,
Luxemburgisch und Pennsylvania-Deutsch.
Luxemburgisch
Niederdeutsch
Alemannisch
Bairisch
Ripuarisch bzw „Kölsch“
Pennsylvania-Deutsch
Rheinfränkisch bzw Pfälzisch
Die ersten drei haben Artikelzahlen im fünfstelligen Bereichen und weisen somit
einen größeren Umfang auf als manche etablierte Nationalsprache. 5 weitere
Versionen (Plautdietsch, Ostfränkisch, Schwäbisch, Schlesisch und
Wilmesaurisch) stehen noch im Inkubator.
Omniglot ist eine hobby-linguistische Seite mit allerlei Aufzählungen und Links.
Auf ihrer Seite listen sie Sprachen nach Familien auf – unter den germanischen
Sprachen werden 7 Formen aufgelistet, die man zu den „deutschen Sprachen“
zählen würde: Elsässisch, Zimbrisch, Luxemburgisch, Niederdeutsch,
Pennsylvania-Deutsch, Schweizerdeutsch und natürlich Deutsch.
4. Linguasphere – 5 bis 67 deutsche Sprachen
Kein Scherz! Der Blogger und Linguist Robert Lindsay unterteilt die deutschen
Sprachen in140 Einzelsprachen. Auf eine solche sagenhafte Zahl kommt er
durch eine besonders enge Definition von Sprache (weniger als 90%
Verständlichkeit von zwei Dialekten reichen um sie als eigene Sprachen
abzugrenzen) sowie eine sehr fragwürdige Methode der Datensammlung und -
Analyse (es reichen schon Anekdoten, jemand würde die alten Leute eines
Nachbardorfes nicht versteht, um den Dialekt dieses Dorfes zur eigenen
Sprache zu machen).
Fazit
Je genauer man hinsieht, desto schwerer sind die Begriffe „Dialekt“ und
„Sprache“ zu definieren. Das gilt auch besonders beim Deutschen und seinen
Nachbarsprachen. Selbst wenn man sich darauf festlegt, die deutschen
Dialekte aufgrund von Ähnlichkeiten in Phonologie, Grammatik und Wortschatz
in Gruppen (bzw Sprachen) zu kategorisieren, bleiben trotzdem einige
Probleme bestehen:
Die deutschen Dialekte bilden schon seit Jahrhunderten ein Kontinuum, bei
dem die einzelnen Ortsdialekte fließend ineinander übergehen. In Mannheim
und Lörrach werden komplett andere Sprachformen gesprochen
(Rheinfränkisch im einen Fall, Hochalemannisch im Anderen); wer jedoch durch
Baden von Nord nach Süd reist wird nirgendwo eine starke Sprachgrenze
feststellen.
Selbst die Grenzen der „deutschen Dialekte“ sind schwer zu ziehen. nach
Süden und Osten sind sie eindeutig, da sie dort an andere Sprachfamilien
grenzen, im Nordosten ist der Übergang jedoch fließend. Limburgisch,
Kleverländisch und bergische Dialekte werden mal dem Niederländischen, mal
dem Deutschen zugeordnet; wieder Andere sehen sie als eigene Sprache ohne
gemeinsame Dachsprache/Ausbausprache.
In Mittel- und Süddeutschland sowie Österreich besteht oft ein fließender
Übergang zwischen Basis-Dialekt und Standardsprache; Sprecher wechseln je
nach Situation und Gesprächspartner zwischen verschiedenen Stufen der
dialektalen „Reinheit“. Dadurch verändern sich auch die Dialekte selbst und
nähern sich bei jungen Sprechern stärker dem Standarddeutschen an. Dadurch
wird es zunehmend schwierig, bestimmte regionale Sprachformen einzuordnen.
Auch die Zuordnung von Standarddeutsch selbst ist knifflig – ist es eine eigene
Sprache unabhängig von den Basisdialekten? Oder gehören bestimmte
deutsche Dialekte dazu, andere sind dagegen eigene Sprachen? Viele Autoren
gesellen Standarddeutsch zu den Ostmitteldeutschen Dialekten
(Obersächsisch, Thüringisch), da es historisch diesen am nächsten stand.
Und schließlich sind Sprachen auch immer Träger einer regionalen und
kulturellen Identität. Allerdings gibt es oft wenig Übereinstimmung zwischen den
Grenzen der „regionalen Identitäten“ in Deutschland und den Grenzen zwischen
Clustern von Dialekten. Nur ein paar Beispiele: „Saarländisch“ (geteilt zwischen
Rheinfränkisch und Moselfränkisch), „Badisch“ (geteilt zwischen
Rheinfränkisch, Südfränkisch und Alemannisch), Pfälzisch (tatsächliche
Verbreitung viel größer als regionale Identität der Pfalz). Die Namen, welche
Linguisten den Dialektclustern bzw Sprachen geben, haben für die Sprecher
selbst oft keine Bedeutung.
Niederfränkische Sprachen
Niederdeutsche Sprache
1. Die Niederdeutsche Sprache
Mitteldeutsche Sprachen
Oberdeutsche Sprachen
Die Bairische Sprache erstreckt sich vom Böhmerwald bis nach Südtirol und
beinhaltet auch fast ganz Österreich. Es weist eine deutliche Eigenständigkeit
und Einheitlichkeit auf und lässt sich klar als eigene Sprache abgrenzen. Es gibt
jedoch auch innerhalb der Sprache Unterschiede, besonders das Tirolerische
unterscheidet sich von den restlichen Dialekten. Darüber hinaus gibt es kleinere
(stark bedrohte) Sprachinseln in Norditalien – Zimbrisch und Fersentalerisch –
die von manchen Linguisten aufgrund der Isolation als eigene Sprachen
betrachtet werden. Bairische Dialekte sind heute bis auf Großstädte noch sehr
lebendig, neigen aber zur Bildung von regionalen Ausgleichssprachen.
Schlussbetrachtung:
Bei dieser Aufteilung gibt es einige Grenzziehungen, bei denen ich mir noch
nicht ganz sicher bin:
Ist „Plautdietsch“ eine Dialektgruppe des Niederdeutschen oder eine eigene
Sprache?
Bildet „Thüringisch-Obersächsisch“ eine einheitliche Sprache?
Ist „Berlinerisch“ Teil des „Lausitzisch-Schlesischen“ oder Teil des
„Standarddeutschen“?
Bildet „Hochfränkisch“ eine sinnvolle Einheit oder sollte man es auftrennen in
die „Südfränkische Sprache“ und die „Ostfränkische Sprache“?
Sind „höchstalemannische Dialekte“ Teil des Alemannischen oder eine oder
vielleicht sogar zwei eigene Sprachformen („Walliserdeutsch“ und
„Walserdeutsch“)?
http://www.klett-sprachen.de/download/7497/1_Thema%20des%20Monats_4_2015.pdf