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~
Walter Burkert
HOITlO Necans
Interpretationen
altgriechischer Opferriten und Mythen
2., um ein Nachwort erweiterte Auflage
Burkert, Walter:
Homo necans : Interpretationen altgriechischer Opferriten und Mythen /
Walter Burkert. - 2., um ein Nachw. erw. Aufl. - Berlin ; New York :
de Gruyter, 1997
(De-Gruyter-Studienbuch)
ISBN 3-11-015098-0
Herausgegeben
von
Walter Burkert und Carsten Colpe
Band XXXII
Homo Necans
Interpretationen altgriechischer Opferriten
und Mythen
von
Walter Burkert
!
Abkürzungen. XI
Vorbemerkung 1
I. Opfer, Jagd und Totenriten 8
1. Das Opfer als Tötungsakt 8
2. Genetische Erklärung: Der Urmensch als Jäger 20
3. Ritualisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31
4. Ritus und Mythos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39
5. Funktion und Metamorphose der Tötungsriten . 45
6. Totenriten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60
7. Sexualisierung der Tötungsriten: Jungfrauenopfer.
Phalloskult . . . . . . . . . . 70
8. Vatergott und Große Göttin . . 85
IV Anthesteria . . . 236
1. Bezeugung und Verbreitung. 236
2. Pithoigia und Choes . . . . . . 239
3. Karer oder Keren . . . . . . . 250
4. Heilige Hochzeit und ,Lenäenvasen' 255
5. Chytroi und Aiora . 263
6. Protesilaos. 269
V Eleusis . . . . . 274
1. Dokumentation und Geheimnis 274
2. Koremythos und Schweineopfer 283
3. Myesis und Synthema .. " .. 292
4. Die Opferhandlung im Telesterion . 303
5. Todesüberwindung und Todesbegegnung: Initiation
und Opfer ... 323
Literaturverzeichnis . 328
Register . . . . . . . . 355
1. Kultorte und Feste . 355
2. Götter- und Heroennamen . 358
3. Personen- und Sachverzeichnis. 364
4. Griechische Wörter . . . . . . . . 375
ABKüRZUNGEN
ABV J. D. Beazley, Attic black-figure vase painters. Oxford 1956
ACI L' Antiquite Classique
AJA American Journal of Archaeology
AK Antike Kunst
AM Athenische Mitteilungen
ANEP The Ancient Near East in Pictures relating to the Old Testament,
ed. J. B. Pritchard. Princeton 1954. Supplement 1968.
ANET Ancient Near Eastern Texts relating to the Old Testament, ed.
J. B. Pritchard. Princeton 19552. Supplement (p. 501-710) 1968
AOB Altorientalische Bilder zum Alten Testament, ed. H. Gressmann.
Berlin 19272
AOT Altorientalische Texte zum Alten Testament, ed. H. Gressmann.
Berlin 19262
ARV2 J. D. Beazley, Attic red-figure vase-painters. Oxford 19632
ARW Archiv für Religionswissenschaft
ASAA Annuario della Scuola archeologica di Atene
BCH Bulletin de Correspondence Hellenique
BICS Bulletin of the Institute of Classical Studies of the University of
London
BMC British Museum, Catalogue of Greek Coins
BSA Annual of the British School at Athens
CAF Comicorum Atticorum Fragmenta ed. Th. Kock. Leipzig 1880-1888
CIG Corpus Inscriptionum Graecarum
CIPh Classical Philology
CQ I The Classical Quarterly
Es ist nicht so sehr die Grenze der Wissenschaft wie die Über-
fülle des Wißbaren, was einen Versuch, das religiöse Verhalten
des Menschen zu erklären, zu einem fast hoffnungslosen Wagnis
macht. Die Menge verfügbarer Daten und Interpretationen über-
steigt längst alles, was ein einzelner in seinem Leben erfassen und
verarbeiten kann. Vielleicht wird man bald nur mehr im Kollektiv
nach überpersönlichen Programmen den Strom der Informationen
regeln und sichten. Solange jedoch der einzelne Mensch vor der
Aufgabe steht, in geistiger Selbständigkeit sich über seine Welt zu
orientieren, darf und muß er auch riskieren, ein modellhaftes Bild
seiner Situation zu entwerfen und verwirrende Vielfalt zu reduzieren
zu verstehbarer· Gestalt.
Der Philologe, der von altgriechischen Texten aus biologisch-
psychologisch-soziologische Erklärungen religiöser Phänomene ver-
sucht, läuft freilich Gefahr, sich zwischen sämtliche Stühle zu setzen.
Gilt es der Philologie als abwegig, über den strengen Umgang mit den
Texten hinauszugehen, so sind Psychologie und Soziologie wenig ge-
neigt, die Analyse der Gegenwart durch eine historische Perspektive
bis in die Antike zurück und darüber hinaus zu beschweren. Zudem
ist zu befürchten, daß wesentliche Erkenntnisse der Biologie, Psycho-
logie, Ethnologie hier ebenso übersehen sind wie Funde der Archäo-
logie, und am bedenklichsten ist vielleicht, daß die altorientalische
Überlieferung nicht in fachmännischer Weise benutzt werden konnte.
Doch geht es nicht an, die fachlichen zu sachlichen Grenzen zu
hypostasieren. Die Philologie entnImmt die Voraussetzungen des Ver-
stehens einer biologisch-psychologisch-soziologisch bestimmten Um-
welt und ihrer Tradition; und wie die_ Biologie mit dem Evolutions-
gedanken sich eine historische Dimension zugeeignet hatl, sollte nach
der Psychologie auch die Soziologie dem Gedanken zugänglich werden,
daß die menschliche Gesellschaft von der Vergangenheit geprägt ist
und nur im Blick auf ihre Entwicklung in langen Zeiträumen ver-
ständlich wird.
1 Von der "Historisierung 'der Natur" durch Darwin sprach H. Diels, Inter-
nationale Wochenschrift 3 (1909) 890.
1 Burkert, Homo Necans
2 Vorbemerkung
Die Religion der alten Griechen ist weder durch Alter noch durch
Reichtum der Zeugnisse besonders ausgezeichnet. An Alter steht sie
hinter ägyptischen und sumerischen Überlieferungen weit zurück, an
Fülle der Möglichkeiten des Zugangs kann sie mit lebenden Religionen
nicht im entfernten konkurrieren. Trotzdem haben sich immer wieder
die allgemeinen Probleme der Religionswissenschaft gerade mit der
Erforschung der griechischen Religion verbunden. Dies ist wohl mehr
als nur ein zufälli~ Seitentrieb der einst allgegenwärtigen humani-
stischen BildungitWenn man vielmehr Alter und Zugänglichkeit zu-
gleich in Recn:ung stellt, gewinnt die altgriechische Religion doch
eine einzigartige Stellung: sie ist die relativ verständlichste, am viel-
seitigsten kenntliche der ältesten Religionsformen ; denn sie ist nie
ganz verschollen, sondern hat fortgewirkt, wenn auch in wunder-
lichen Wandlungen, vom Aberglauben und vom literarischen Bil-
dungsgut bis zur liturgischen Praxis und zur Theologie des Christen-
tums. In der altgriechischen Religion allein findet sich ungebrochene
Tradition ältester Zeiten inmitten einer aufs höchste verfeinerten,
an Niveau unübertroffenen geistig-künstlerischen Kultur. Und eben
darum ist bei den Griechen und durch die Griechen die Religion
zum ersten Mal grundsätzlich in Frage gestellt worden: aus der so
gewonnenen Distanz gesehen, im Wechsel der Standpunkte tritt das
Phänomen um so plastischer ins Bild.
Im Zentrum der folgenden Untersuchungen steht immer die grie-
chische Überlieferung, freilich mit dem Anspruch, wesentliche Statio-
nen im Hauptstrom der menschlichen Entwicklung zu erhellen. Er-
klärung wird nicht durch Häufung von ,primitivem', aus dem Zu-
sammenhang gerissenem und um so schwerer verständlichem Ver-
gleichsmaterial versucht, sondern durch eine konsequent historische
Perspektive, die bis auf die Anfänge des Menschen zurückreicht. Es
ist nicht so sehr die Eigenart des Griechischen, die dabei wichtig ist,
so viel von dieser Eigenart zu rühmen ist; der anthropologische
Aspekt überwiegt den humanistischen. Wohl aber bewährt sich die
besondere Ursprünglichkeit und Luzidität des Griechischen gerade
hier: es kann gewissermaßen als Spiegel dienen, in dem die weit hinter
uns liegenden Grundordnungen des Lebens in fast schon klassischer
Deutlichkeit sichtbar werden.
Versucht ist dabei, die konsequent historische mit einer funktio-
nalen Perspektive zu verbinden. Wie Religion in der historischen
Realität ein gesellschaftlicher Stabilisierungsfaktor ersten Ranges ist,
erscheint sie dabei in ihrem beharrenden Aspekt, stets schon Tradi-
tion, die modifiziert, aber nie durch schlechthin N eues ersetzt wird.
Sie entfaltet sich indes in einem vielfältigen sozialen Kräftespiel, -
wobei verschiedene Traditionen sich treffen können, die sich durch-
6 Vorbemerkung
1 Die Richtung wies S. Freud, Das Unbehagen in der Kultur (1930), Ges.
Schriften XII (1934) 27-114 = Ges. Werke XIV (1948) 419-506. Grund-
legend vom Standpunkt des Verhaltensforschers K. Lorenz (1963). Die z. T.
temperamentvolle Kritik - z. B. M. F. Ashley Montagu (ed.), Man and
aggression (1968); A. Plack, Die·Gesellschaft und das Böse (1969 4 ) ; J. Rattner,
Aggression und menschliche Natur (1970) - hat einzelnes richtiggestellt,
zuweilen aber auch Wunschdenken und Parteilichkeit zutage gebracht. In
defensiver Haltung schreibt Eibl-Eibesfeldt (1970). Anwendung auf Religions-
wissenschaft: P. Weidkuhn, Aggressivität, Ritus, Säkularisierung. Biologische
Grundformen religiöser Prozesse (1965).
1. Das Opfer als Tötungsakt 9
Schenkelstücke von Rindern verbrannt hat" (11. 1, 40; 22, 170; Od.
1, 66); denn dies ist der' Akt der Frömmigkeit: Blutvergießen,
Schlachten - und Essen. ,Tempel und Kultbild mögen fehlen, wie
oft gerade im Kult des Zeus, sie können später errichtet und leicht
ersetzt werden: gegenwärtig ist der Gott an seinem Opferplatz,
kenntlich am Aschenhaufen der seit je hier verbrapnten "heiligen"
Darbringungen, an den Hörnern oder Schädeln der geschlachteten
Widder und Stiere, am Altarstein, der mit Blut benetzt werden muß .. _
Nicht im frommen, Lebenswandel, nicht in Gebet, Gesang und Tanz
allein wird der Gott am mächtigsten erlebt, sondern im tödlichen
Axthieb, im verrinnenden Blut und im Verbrennen: der Schenkel-
stücke. Heilig ist der Götterbereich: die ,heilige' Handlung aber,
am ,heiligen' Ort zur ,heiligen' Zeit vom Akteur der ,Heiligung'
vollzogen, ist das Schlachten der Opfertiere;. das iepevelv' der ie(ö>Eicx2.
Nicht anders war es ja auch in Israel, bis' zur Zerstörung des
Tempels3 : Täglich sollte "das Brandopfer brennen auf dem Herd des
Altars die ganze Nacht bis an den Morgen" dLev. 6, 9), -die zer-
stückelten Reste der beiden einjährigen Lämm~r, "J ahwe zu einem
süßen Geruch"; und dies war der Frevel des Antiochos Epiphanes
gegen Jerusalem: "er nahm von Jahwe weg das tägliche Opfer"
(Dan. 8, 11). Die Stiftung des Weltfriedens zu feiern, errichtet
Augustus einen Altar; er selbst inmitten seiner Familie erscheint
auf den Reliefs dieser Ara Pacis als Opferer, dem das Opferbeil voran-
getragen wird. Feinste augusteische Kunst bildet den Rahmen; im
Zentrum fallen die blutigen Opfer.
Grunderlebnis des ,Heiligen' ist die Opfertötung. Der homo
religiosus agiert und wird sich seiner selbst bewußt als homo necans.
Dies ist ja ,Handeln' schlechthin, peselv, operari - woraus das
2 Zum griechischen Opfer: Stengel (1910) und (1920) 95-155; Eitrem (1915);
F. Schwenn, Gebet und Opfer (1927); L. Ziehen RE XVIII (1939) 579-627,
III A (1929) 1669-79; Meuli (1946) ; Burkert (1966); Nilsson (1955) 132-157;
Casabona (1966); E. Forster, Die antiken Ansichten über das Opferwesen,
Diss. Innsbruck 1952 (masch.); Bilddarstellungen: G. Rizza ASAA 37/8
(1959/60) 321-45; Metzgel (1965) 107-18. Allgemein zum Opfer: W.R. Smith
(1899); H. Hubert, M. Mauss, Essai sur la nature et la fonction du sacrifice,
Annee sociologique 2 (1898) 29-138 = M. Mauss, CEuvres I (1968) 193-307;
A. Loisy, Essai historique sur le sacrifice (1920); R. Money-Kyrle, The
meaning of sacrifice (1930) (psychoanalytisch); E. M. Loeb, The blood
sacrifice complex, Mem. of the American Anthropol. Assoc.30 (1923);
E. O. James, Sacrifice and sacrament (1962).
3 R. de Vaux, Les sacrifices de l' Ancien Testament (1964); vgl. Anm. 42.
10 I. Opfer, Jagd und Totenriten
" 6velv heißt zunächst ,räuchern'. Plutarch schreibt über die ,Alten' (nach
Theophrast ?) : TapCXTTOJ.leVol Kai SelJ.la{vovTes ,EpSelV' J.lEV EKai\ovv Kai
,peSelv', ws Tl J.leya SPOOVTes, TO 6veiV EJ.l"l'vXO V, q. conv. 729f.; lToveia6al
n: 2, 409; hy. Merc. 436. Das Verbum ,tun' wird im Sinne von ,opfern'
auch im Hebräischen und Hethitischen verwendet; vgl. Casabona (1966)
301-4, der vor Verallgemeinerungen warnt.
5 Z. B. Od.4, 759; Eur. EI. 791 und J. D. Dennistons Kommentar (1939)
9 Od. 3,432-8; dies hielt sich im Volksbrauch bis in die moderne Zeit, vgl.
U. Jahn, Die deutschen Opferbräuche bei Ackerbau und Viehzucht (1884)
136-7, 315-7 zum sprichwörtlichen ,geschmückten Pfingstochsen';
Megas (1956) 17. Zur Bedeutung von tepeiov Tei\elov Arist. fr. 101; Plut.
Def. Or. 437a; A-Schol. n. 1, 66, Eust. 49, 35.
1°6efli\c:XTov ßOOS SfKflV Aisch. Ag. 1297, vgl. Burkert (1966) 107, 43; Porph.
Abst. 1, 25 (Gadeira, Kyzikos); Plut. Pel. 22 (Leuktra); Apollon. Mir. 13
(Halikarnassos); Arist. Mir. 844a35 (Pedasia); Philostr. Her. 8 p. 294
1. Das Opfer als Tötungsakt 11
längst ,errichtete' Altar, den es mit Blut zu netzen gilt. Meist lodert
auf ihm bereits das Feuer. Oft wird ein Räuchergefäß mitgeführt,
die Atmosphäre mit dem Duft des Außerordentlichen zu schwängern;
dazu die Musik, meist die des Flötenbläsers. Eine J ungfraJl geht an
der Spitze, die "den Korb trägt" (KOVll<pOpOS)l1, die Unberührte das
verdeckte Behältnis; auch ein Wasserkrug darf nicht fehlen. Am
heiligen Ort angekommen, wird zunächst ein Kreis markiert, Opfer-
korb und Wassergefäß werden rings um die Versammelten herum-
getragen und grenz~n so den Bereich des Heiligen aus dem Profanen
aus 12 • Erste gemeinsame Handlung ist das W~scjlen der Hände, als
"Anfang" dessen, was nun geschieht. Auch das Tier wird mit Wasser
besprengt; "schüttle dich", ruft Trygaios bei Aristophanes13 • Man
redet sich ein, die Bewegung des Tieres bedeutet ein "freiwilliges
Nicken", ein Ja zur Opferhandlung. Der Stier wird noch einmal
getränkt14 ---,.- so beugt er sein Haupt. Das Tier ist damit ins Zentrum
der Aufmerksamkeit gerückt. Aus dem Korb entnehmen die Teil-
nehmer jetzt die ungeschroteten Gerstenkörner (OVAO{), die Früchte
des ältesten Ackerbaus; doch werden sie gerade nicht zerstoßen, zur
Speise bereitet: nach jähem Innehalten, dem feierlichen EV<PllIJEiv
und dem lauten Gebetsruf, der mehr Selbstbestätigung als Bitte ist15,
werden die Gerstenkörner weggeschleudert, auf das Opfertier, den
Altar, die Erde; andere Speise ist jetzt gefragt. Gemeinsames, gleich-
zeitiges Werfen von allen Seiten ist ein aggressiver Gestus, gleichsam
(Rhesos), 17 p. 329 und Arr. Peripl. 22 (Leuke); Ael. nato an. 10, 50 (Eryx),
11, 4 (Hermione); insbesondere bei Menschenopfer, Neanthes FGrHist
84 F 16 (Epimenides), Servo Aen. 3, 57 (Massalia), Paus. 4, 9, 4 (Messenien);
Isaak nach hellenistischer Tradition, los ant. lud. 1, 232; IV Makk. 13, 12;
16,20. Vgl. J. Schmitt, Freiwilliger Opfertod bei Euripides (1921).
11 Mittelhaus RE X 1862-6; Bilder Z. B. E. Simon (1969) 193; Deubner (1932)
T. 11, 1; Nilsson (1955) T. 32, 1.
12 Z. B. Aristoph. Pax 956-8, Eur. Iph. Aul. 1568; Eitrem (1915) 7-29.
13 Pax 960; 0 S'SKOVO'10V av KQTQVevO''!J ••• Porph. Abst. 2, 9 = Parke-Wormell
(1958) II nr. 537; Plut. q. conv. 72'9f., Def. Or. 435 bc, 437 a; Schol. n.
1, 449; Schol. Aristoph. Pax 960, Schal. Apoll. Rhod. 1, 425; vgl. Meuli
(1946) 254; 266; Frazer zu Paus. 10,5,7; Ginouves (0. Anm. 5) 311-318.
14 Stieropfer für Dithyrambensieg, z. B. Stamnos München 2412 = ARV2 1036,
5, bei Stengel (1920) T. V.
15 A. W. H. Adkins, EUX0I-\CO, EUXc.vAf) and EuxoS in Homer, CQ 19 (1969)
20-33: ,asserting his existence, his value, and his claims' (33), diese für
den Homerischen Sprachgebrauch gegebene Charakteristik paßt gerade
für den Platz des Gebets im Opferritual, so gewiß das Gebet als Bitte, wie
schon orientalische Texte zeigen, sehr viel reicher gestaltet werden kann.
12 I. Opfer, Jagd und Totenriten
cr<payeiov Poll. 10, 65. Statt des Altars (ßooIJ6S) kann der Herd (ecrda,
eoxapa) oder die Opfergrube (ß6SpoS) das Blut aufnehmen, U. Kap. II
2 Anm. 18. Vgl. Stengel (1910) 105-25. .
21 Stengel (1910) 73-8; Meuli (1946) 246-8; 268-72; crvcrTTAayxvevelv
Aristoph. Pax 1115; Eupolis Fr. 108 (CAF I 286); Ath. 410b.
22 Galen Plac. Hipp. et Plat. 2, 4 p. 238 K.; Suda K 370 (An. Bekk. I 275, 10;
Et. M. 492, 12); Hsch. KapSloücrSal, KapSlovAK{al.
23 G. Blecher, De extispicio capita tria (1905); zum Orientalischen J. Nougayrol,
Les rapports des haruspicines etrusque et assyro-babylonienne, CRAI (1955)
509-18.
24 evSeT{cras Hes. theog. 541. Daß die bei Homer regelmäßig genannten IJTlpia
die bloßen Schenkelknochen sind, hat Meuli (1946) 215-7 erwiesen; ocrTEa
AevKCx Hes. theog. 540; 557. Die Komiker nennen in der Regel ocr<pVS und
Galle (Men. Dysk. 451-2, vgl. Fr. 264, Samia 399-402; Eubulos Fr. 95;
130 [CAF II 197; 210]; Com. adesp. Fr. 1205 [CAF III 606]); die Vasen-
bilder (0. Anm. 2) zeigen ocr<pVS und Schwanz des Opfertieres auf dem Altar,
vgl. Aristoph. Pax 1054 m. Schol.
25 wIJoShTlcrav Il. 1,461; 2,424; Od. 3,458; 12,361; 14,427; Dion. HaI. ant.
7,72,17; Meuli (1946) 218; 256; 262.
26 Theophr. char. 21, 7; Eitrem (1917) 34-48; Nilsson (1955) 88; 145; Ansamm-
14 1. Opfer, Jagd und Totenriten
81 Bes. Yasna 32, 8; 12; 14 (G. Widengren, Iranische Geisteswelt [1961J 155;
H. Humbach, Die Gathas des Zarathustra [1959] I 97-9). Doch ist unklar,
inwieweit prinzipielle Verwerfung der blutigen Opfer vorliegt, die in der Praxis
fortbestanden; vgl. M. Boyce, JRAS 1966, 110; G. Widengren, Die Religionen
Irans (1963) 66; 92; 109.
32 1, 11 vgl. 66, 3.
83 Die pythagoreische Tradition ist gespalten, gegen E\.l"l'VXOOV (llrexeO"eCXl steht
Ö1KCX10TCXTOVevelV (Iambl. V. Pyth. 82). Vgl. J. Haussleiter, Der Vegetaris-
mus in der Antike (1935) 79-163; W. Burkert, Weisheit und Wissenschaft
(1962) 167-9. - Empedokles B 136-9.
8( Porph. abst. 2, 27; J. Bernays, Theophrastos' Schrift über Frömmigkeit
Lakinia bei Kroton: Livius 24, 3, 4, vgl. Nikomachos Porph. V. Pyth 24,
lambl. V. Pyth. 61; Rinder der Hera von Argos: u. Kap. III 2 Anm. 25;
ß10S ßOVS in Milet: Hsch. s. v.; Esel in Tarent, der den Winden geopfert
wird: Hsch. aVElloo"Tas; Schafe des Helios in Apollonia/Epirus: Hdt. 9, 93;
Stiere des Dionysos in Kynaithos: Paus. 8, 19, 2; Heilige Schafe, Ziegen,
Rinder, Pferde in Delphi : 0 GI 345, 15-19; Heilige Schafe in Delos:
IG II/III2 1639, 15; Rinder des ,Herakies' in Spanien: Diod. 4,18,3;
Rinder der ,Meteres' in Sizilien: Diod. 4,80,6; Herden der ,Persischen
Artemis' (Anahita) am Euphrat: Plut. Luc. 24; "Ta 6pslllla"Ta "TilS 6EOV in
Kleitor : Polyb. 4, 19, 4; Herden der Persephone von Kyzikos: Plut. Luc.
10. Dazu im Mythos Rinder des ApolIon in Thessalien, hy. Merc.70-2;
Rinder des Helios Od. 12. - ,Freigelassen' wird auch das Pferd fürs indische
Asvamedha: W. Koppers, Wiener Beiträge z. Kulturgeschichte 4 (1936)
306.
111 Meuli (1946) 224-252; H. Baumann, Nyama, die Rachemacht, Paideuma 4
(1950) 191-230; Psychiatrisches bei R. Bilz, Tiertöter-Skrupulantismus,
Jahrbuch f. Psychologie und Psychotherapie 3 (1955) 226-44.
2. Genetische Erklärung: Der Urmensch als Jäger 25
wirksamer ist22 • Zusammen mit dieser Feststellung geht eine zweite
unbestreitbare Tatsache: Die Jägerzeit, das Altpaläolithicum U1nfaßt
den weitaus größten Teil der Menschheitsgeschichte. Mögen die
Schätzungen zwischen 95 % und 99 % schwanken, die biologische
Evolution des Menschen hat sich jedenfalls in diesem Zeitraum voll-
zogen; die höchstens 10000 Jahre seit Erfindung des Ackerbaus
fallen demgegenüber kaum ins Gewicht. Von hier aus ergibt sich eine
Perspektive, die die erschreckende Gewalttätigkeit des Menschen ver-
stehen läßt aus dem Raubtierverhalten, das er bei seiner Mensch-
werdung angenommen hat.
Ein Bild vom ,Urmenschen' und seiner Gesellschaft wird immer
konstruktiv und vorläufig sein; doch einige soziale und psychologische
Voraussetzungen sind mit der Situation der frühen Jäger notwendig
gegeben. Im biologischen Programm der Primaten war für die neue
Lebensweise ganz ungenügend vorgesorgt; durch eine tour de force
künstlicher Mittel und Institutionen hat der Mensch diesen Mangel
überspielt, durch eine Kultur, die freilich längst selbst wieder zu einem
Faktor biologischer Auslese geworden ist. Voran steht die Verwendung
der Waffe, ohne die der M~nsch kaum einem Tier gefährlich werden
kann. Die älteste wirksame. Eernwaffe war der im Feuer gehärtete
Holzspeer 23, was zugleich die Beherrschung des Feuers voraussetzt.
Voran ging anscheinend die Verwendung von Knochenkeulen24 ; der
aufrechte Gang ermöglicht die Führung der Waffe. Fast noch wich-
tiger ist die Sozialordnung, die zur scharfen Differenzierung der
Geschlechter führte, wie sie selbst ins biologische Erbprogramm ein-
gegangen ist. Jagd ist Männersache - beim Menschen, im Gegensatz
zu sämtlichen Raubtieren - , sie erfordert Schnelligkeit und Kraft;
dazu bedarf es der langen, schmalen Schenkel des Mannes, während
die Frau, die Kinder mit immer größerem Schädel gebären muß,
runde, weiche Formen entwickelt. Denn die einzigartig lange Jugend-
zeit, die ,Neotenie' des Menschen, die die Entwicklung des Geistes
durch Lernen und- die Tradierung einer komplizierten Kultur er-
möglicht, setzt lange Jahre der Geborgenheit voraus; sie wird vom
Daheim der Mutter geboten, dem Mann aber fällt die Rolle des Er-
nährers der Familie zu - eine universal menschliche Institution, die
in scharfem Gegensatz zum Verhalten sämtlicher Säugetiere steht 25 •
Der Erfolg des ,hunting ape' beruhte auf seiner Fähigkeit zu
organisierter ]:usamr:nenJirbeit, auf dem Zusammenschluß der Männer
zur Jagdgemeinschaft. Damit gehört der Mann stets zwei sich über-
lagernden sozialen Strukturen an, der Familie und dem Männerbund;
seine Welt zerfällt in zwei Bereiche, das Drinnen und das Draußen -
Geborgenheit und Abenteuer, Frauensache und Männersache, Liebe
und Tod. Denn im Zentrum des neuen Gemeinschaftstyps, dessen
biologisches Analogon das Wolfsrudel ist, steht das Töten und Essen.
Der Mann muß immer wieder den Übergang zwischen beiden Be-
reichen vollziehen, und erst recht müssen die männlichen N ach-
kommen eines Tages aus der Frauen- in die Männerwelt übertreten;
die Väter müssen die Söhne akzeptieren, als Partner anlernen, sich
um sie kümmern - was wiederum ohne Beispiel bei sämtlichen
Säugetieren ist - ; diese Einführung des Jungen in die Welt der
Männer aber ist eine Begegnung mit dem Tod.
Welch ein Erlebnis mußte es sein, als es dem Verwandten des
Schimpansen gelang, die Macht des Todfeindes, des Leoparden, an
sich zu reißen, in die Maske des Wolfes zu schlüpfen, vom gejagten
Wild zum Jäger zu werden! Doch trug der Erfolg seine Gefährdung
in sich. Die älteste Technik schon schuf ein Werkzeug des Tötens;
bereits mit Holzspeer und Faustkeil waren dem Menschen Waffen von
einer Gefährlichkeit in die Hand gegeben, für die im Programm
seiner Instinkte nicht vorgesorgt war. Die Ansätze zu Tötungs-
hemmungen, die vorhanden sind, kamen nicht mehr zum Tragen,
sobald Tötung auf Distanz möglich geworden war; ja sie mußten
zumindest bei männlichen Individuen durch Erziehungsakte gerade
außer Kraft gesetzt werden zugunsten der Jagd. Ebenso leicht, ja
leichter als ein flüchtiges Wild aber ist ein Mensch zu töten; der
Kurzschluß des Kannibalismus ist denn auch seit frühesten Zeiten
immer wieder vorgekommen26 • Die Selbstvernichtung des Menschen
25 Mords (1967) 37-9; La Barre (1970) 79-83; zur Rolle des Mannes als
Ernährer auch M. Mead, Male and fe male (1949) 188-94.
26 Zur "gesicherten Tatsache von Ritualtötungen" im Paläolithicum Müller-
2. Genetische Erklärung: Der Urmensch als Jäger 27
durch den Menschen war damit von Anfang an eine dringende
Gefahr.
Wenn der Mensch trotzdem überlebt, ja sich ausgebreitet hat,
so darum, weil an Stelle angeborener Instinkte die Regeln kultureller
Tradition tra.ten, die die Rudimente angeborenen Verhaltens in
künstlicher Weise ausgestalten und differe~zieren. Weniger durch
bewußte Planung als durch biologische Auslese sind die Erziehungs-
prozesse etabliert worden, die den für seine Aufgabe angepaßten
Menschen prägen. Der Mann muß J)lutig sein für seine Aufgabe als
Jäger; so gehört allenthalben zum .Jdealbild' des Mannes der Mut.
Der Mann muß zuverlässig syin, fähig zu 'warten und im Augenblick
zu verzichten um eines ferner liegenden Zieles willen, er muß durch-
halten und zu seinem Worte stehen; hier hat der Mensch Verhaltens-
weisen entwickelt, die gerade den Menschenaffen fehlen, weit eher
aber bei Raubtieren ihr Analogon haben 27 . Vor allem muß der
Waffengebrauch strengsten - wenn auch künstlichen - Regeln
unterworfen sein: im einen Bereich ist erlaubt und notwendig, was
im anderen absolut verboten ist; was dort eine glänzende Leistung
ist, ist hier Mord. Entscheidend ist, daß der Mensch überhaupt in der
Lage ist, sich solchen Gesetzen zu unterwerfen, die seine individuelle
Intelligenz und Anpassungsfähigkeit einschränken zugunsten gesell-
schaftlicher ,Voraussagbarkeit'. pie Erziehungsrnacht der Tradition
sucht ihn festzulegen in einem nicht umkehrbaren Prozeß, analog der
biologischen ,Prägung'28.
29 Lorenz (1963) 40; Eibl-Eibesfeldt (1970) 77-8 mit Polemik gegen R. A. Dart
(0. Anm. 24). Dagegen spricht z. B. La Barre (1970) 130 mit Selbstver-
ständlichkeit von der "necessary aggression of hunting":
30 Morris (1967) 50-102; einige Einschränkungen seiner Thesen bei Eibl-Eibes-
feldt (1970) 149-187, bes. 170-2.
31 Lorenz (1963) 251-318; Eibl-Eibesfeldt (1970) 187-190.
2. Genetische Erklärung: Der Urmensch als Jäger 29
81 Die O"ITi\ayxvcxwerden seit je bei Mensch und Tier mit den gleichen Worten
bezeichnet; beim Schlachten allbekannt, konnten sie in Bezug auf den
Menschen nur bei Kriegsverwundungen und Menschenopfern zutage treten;
dabei ist ihr Vorhandensein grundlegend für das Bewußtsein der eigenen
,Innerlichkeit': Herz, Zwerchfell, Galle im Griechischen, in anderen Spra-
chen auch ,Leber' und ,Nieren' (vgl. auch R. B. Onians, Origins of European
thought [1961] bes. 21-43 u. 84-9).
88 Meuli (1946) 248-62, vgl. H. Baumann Paideuma 4 (1960) 198; 200;
Meulr (1967) 160.
8' Tier für Mensch substituiert: Abraham/Isaak Gen. 22, 13; Iphigenie in
, Aulis Apollod. Epit. 3, 22; Jungfrau/Ziege in Munichia Zen. Athous 1, 8
p. 360 Miller, Paus. Att. e 36 Erbse. Die Umkehrung, daß ein Mensch an
Stelle des Opfertiers fällt, ist ein beliebtes Motiv in der Tragödie, Burkert
(1966) 116. Es gibt aber auch die Substitution im Ritual: ßov6va(cx statt
Menschenopfer in Salamis/Kypros Porph. abst. 2,64; mehrfacher Wechsel
von Kinder- und Tieropfer in Karthago: G. Charles-Picard, Les religions
de l'Afrique antique (1964) 491; Kinder als ,Kälber' bezeichnet und ge-
opfert: Luk. Syr. D. 68; Kalb als Kind behandelt und geopfert: Ael. n. a.
12, 34 (Tenedos).
35 Volkskundliches Material bei H. L. Strack, Das Blut im Glauben und Aber-
glauben der Men!3chheit (1900 7 ). F. Rüsche, Blut, Leben und Seele (1930);
J. H. Waszin,k, RAC II (1964) 469-73; Psychologisches zum Blut-Schock:
G. Devereux, Mohave Ethnopsychiatry and Suicide (1961) 14; 42-6.
30 I. Opfer, Jagd und Totenriten
3. Ritualisierung
spreche sich die fundamentale ,Erkenntnis' des Menschen aus, daß er auf
organische Nahrung angewiesen ist, läßt sich durch die historische Per-
spektive präzisieren: es ist die Ideologie des Jägertums, die auch in den
Pflanzerkulturen bewahrt ist.
1 Sir Julian Huxley, Proc. Zool. Soc. (1914) 511-5 über ,ceremonies' des
Haubentauchers; Lorenz (1963) 89-127; A Discussion on ritualization of
behaviour in animals and man, Philos. Trans. of the Roy. Soc. London
B 251 (1966) 247-526, mit Beiträgen von Huxley, Lorenz u. a.; Eibl-
Eibesfeldt (1970) 60-70; P. Weidkuhn, Aggressivität, Ritus, Säkulari-
sierung (1965). Wenn J. Harrison Ritual als "action re-done or pre-done"
32 1. Opfer, Jagd und Totenriten
eines Systems gemeinsamer Begriffe und Gefühle, die eben durch die
Einwirkung der Gesellschaft aufs Individuum entwickelt werden.
"Die zeremoniellen Gebräuche einer Gesellschaft sind d~s Mittel, durch
welches diese Gefühle zur gegebenen Gelegenheit kollektiven Aus-
druck finden"6. Vielleicht wird man heute den Begriff des ,Gefühls'
(sentiment) eher durch ,Denkstruktur und Verhaltensschema' er-
setzen. Dies aber hat gerade die biologische Verhaltensforschung
bestätigt und neu begründet: Ritus ist Aktualisierung sozialen Zu-
sammenspiels, Dramatisierung bestehender Ordnung, ,status drama-
tization'7, was keineswegs ausschließt, daß durch Ritus auch ein
neuer ,Status' begründet und definiert werden kann. I
4 S. H. Hooke (ed.), Myth and Ritual (1933), 3: myth "the spoken part of
the ritual", "the story which the ritual enacts". Schon 1910 hatte A. van
Gennep formuliert, der Mythos sei "eine Erzählung ... , deren Bestandteile
sich in gleicher Sequenz durch religiös-magische Handlungen (Riten)
äußern" (Internationale Wochenschrift 4, 1174). In der Zwischenzeit war
die empirische Ethnologie auf den Plan getreten: B. Malinowski, Myth in
primitive psychology (1926). Versuch einer Bilanz: D. Kluckhohn, Myths
and rituals, a general theory, HThR 35 (1942) 45-79. Vgl. auch S. H.
Hooke, Myth, ritual, and kingship (1958); Th. H. Gaster, Thespis. Ritual,
myth, and drama in the Ancient Near East (1950. 19612 ). Lord Raglan,
The origins of religion (1949) und A. M. Hocart, Social origins (1954) gingen
so weit, ein Urritual, das im Königtum des Alten Orients verwurzelt sei,
zu rekonstruieren. - Neben dieser fast ausschließlich im englischen Sprach-
raum geführten Diskussion stehen parallele Ansätze in den Frühwerken
von G. Dumezil (Le crime des Lemniennes, 1924; Le probleme des Centaurs,
1929) einerseits, in Deutschland andererseits: W. F. Otto, Dionysos (1933)
44 sprach vom "Zusammenfall von Kultus und Mythos", O. Höfler (1934)
führt die Sagen vom Wilden Heer und von Werwölfen auf Ritual zurück.
5 H. J. Rose, Mnemosyne N. S. 3 (1950) 281-7; M. P. Nilsson, Cults, myths,
sich auch nur in einigen Fällen zeigen läßt, daß unbestreitbar ,echte',
alte Mythen Kultakten zugeordnet sind, wie der Pelopsmythos dem
Olympischen F~st, bricht die Unterscheidung zusammen. Auch daß
die Griechen eine Korrespondenz von ,Reden' und ,Handeln', i\eyolleva
und Spoolleva nur bei Mysterienkulten notierten14, gilt nicht allge-
mein. War ,Frömmigkeit' nach griechischer Auffassung eine Sache
des Ritus, so war doch der Mythos allgegenwärtig: beide wurden
gemeinsam tradiert, indem sie sich gegenseitig erklärten und festigten.
Dies besagt nicht, daß der Ritus theaterhafte Dramatisierung
des Mythos ist15 ;' ebensowenig ist der Ritus aus irgendwelchen
,magischen' Vorstellungen, auf einen angeblichen ,Zweck' gerichtet,
zu verstehen. Nimmt man ihn als das, was er ist, in seiner Funktion
als ,Dramatisierung' der Lebensordnung, mit den Ausdrucksmitteln
elementarer Verhaltensweisen zumal der Aggression, treten die Be-
ziehungen hervor: auch der Mythos verdeutlicht in seiner Weise die
Lebensordnung16 • Wenn Mythen anerkanntermaßen oft die sozialen
Ordnungen und Einrichtungen begründen und rechtfertigen17, sind
sie dabei nicht ohne Bezug zu den Riten, durch die das soziale Zu-
sammenspiel sich vollzieht; wenn Mythen erregende Themen bevor-
zugen, treten die Bereiche der Sexualität und der Aggression in den
Vordergrund, die eben auch in der rituellen Mitteilung im Vorder-
grund stehen. Am faszinierendsten sind Geschichten von Todesgefahr
und Untergang. Sie haben ihr Gegenstück in den Tötungsriten.
= Mythos und Kult bei Naturvölkern (1961) 87-91, 97-100, wobei der
Gehalt ,mythischer Wahrheit' zum Kriferium des ,Echten' wird; vgl.
o. Kap. I 2.Anm. 37.
14 So Nilsson (0. Anm. 5). Allerdings treten die allgemeinen Ausdrücke (tepos)
i\6yoS (Hdt. 2,47; 2, 61; 2, 81) bzw. i\ey6~eva und Spoo~eva (Paus. 1,43, 2;
2,38, 2; 21 37,2; 9,30, 12; 9,27,2) eben dort auf, wo der Inhalt von Er-
zählung und Ritus nicht beschrieben werden durfte, d. h. bei Mysterien.
So auch z. B. Euseb. Praep. Ev. 16, 1, 2 Tei\eTai Kai ~vO"T"pla aV~q>oova ToiS
TOOV 1TpoTepoov ~VelKOiS Sl11Y,,~aO"lv; Lact. inst. 1, 21, 39 quidquid est gestum
in abscondendo puero, id ipsum pet' imaginem get'itur in sacris (Kureten-Myste-
rien); Steph. Byz. s. v. "Aypa ... ~{~1l~a 'toov 1Tepi TC)V .616vvO"ov. Allge-
mein zum Opfer Firm. err. 16, 3: ut acerbarum mortium casus cottidiano
victimarum sanguine t'ecrudescant. - Ach. Tat. 2, 2, 2 TTlS eopTiis Sl1lyouVTal
1TaTepa ~ueov.
15 Richtig Fontenrose (1969) 464: "Whenever myth precedes ritual, then
drama is produced".
16 Zur parallelen Funktion von Ritus und Mythos Kluckhohn o. Anm.4,
Leach o. Anm. 6.
17 über ,charter myths' im Anschluß an Malinowski (0. Anm. 4) Kirk (1970)
264-7.
44 I. Opfer, Jagd und Totenriten
1 Lorenz (1963) bes. 249-318; angesichts der Kritik von soziologischer Seite
(0. Kap. I 1 Anm. 1) sucht Eibl-Eibesfeldt (1970) die anderen gemein-
schaftsstiftenden Verhaltensweisen in den Vordergrund zu stellen; zur
aggressiven Bindung 145-8, 187-90. Doch eben sein Beispiel von der
momentanen Wirkung eines Lächelns im Krieg (113-4) zeigt, wie labil
diese anderen Bindungen sind. Nur die Aggression schafft ,heiligen' Ernst.
2 Zum ,heiligen Schauer' Lorenz (1963) 375-7.
46 1. Opfer, Jagd und Totenriten
3 Formelhaft Il. 3, 73 und 19, 191; Od. 24, 483. R. Hirzel, Der Eid (1902);
Stengel (1920) 136-8; Nilsson (1955) 139-42. Zum semitischen, Schnei-
den' .des Bundes E. Bickermann, Coup er une alliance, Archives d'histoire
du droit orientale 5 (1950/1) 133-56. Eine Sonderform der Todesbegeg-
nung ist der Durchgang zwischen den Hälften des Opfers; vgl. S. Eitrem
Symb. Oslo. 25 (1947) 36-9; bei den Hethitern: O. Gurney, RHR 137
(1950) 5-25. Zum Fetialenopfer mit dem heiligen silex Latte (1960)
122-3, R. M. Ogilvie, A commentary on Livy 1 (1965) 112, Burkert (1967)
287. Die Selbstverfluchung (Liv. 1, 24; Nilsson 139) erklärt doch nicht die
Einzelheiten des Rituals; wesentlich ist, indem der Schwörende sich über
die Vernichtung erhebt, die Unumkehrbarkeit des Vorgangs - ausgedrückt
etwa auch in der Versenkung von Metallbarren, Hdt. 1', 165, Arist. Ath. Pol.
23, 5. Darum kann an Stelle des blutigen Opfers die O1TOVS" treten (vgl.
u. Kap. 1 6 Anm. 25).
4 Die Phratrien konstituieren sich um die Opfer ~eiov und Kovpetov an den
Apaturia, vgl. Deubner (1932) 232-4. - Amasis gestattete den griechi-
schen Händlern, in Naukratis "Altäre und heilige Bezirke für die Götter"
zu errichten (Hdt. 1, 178) - dies die dauerhafte Organisation einer Handels-
gesellschaft; vgl. das späthellenistische Delos.
5 Hdt. 1, 148; Strabo 8 p. 384; 14 p. 639; Marm. Par. FGrHist 239 A 27;
G. Kleiner, P. Hommel, W. Müller-Wiener, Panionion und Melie, Jdl
Erg.-H. 23 (1967); F. Sokolowski BCH 94 (1970) 109-12; zu Pelops u.
Kap. 11 2.
6 Liv. 32,1,9; 37,3,4; Cic. pro Planc. 23. Vgl. Latte (1960) 144-6; A.
Alföldi, Early Rome and the Latins (1965) 19-25.
7 Phallos : IG II/IIP 673. ß5[v Kcd TIavoTI]i\[fav O:TIo:yetv ES ITava6]evata Ta
~e[yo:i\a] ha1T<lCTas IG 12 63 = R. Meiggs-D. Lewis, Aselection of Greek
historical inscriptions (1969) Nr. 69, 55ff.; Nr. 46, 41; vgl. IG 12 10 = SIG
41; Schol. Aristoph. nub. 386.
5. Funktion und Metamorphose der Tötungsriten 47
Je enger die Bindung sein soll, desto mehr werden die Riten
ins Grausame gesteigert. Der Schwörende muß mit dem Blut des
Eidopfers in Kontakt kommen, ja auf die ausgeschnittenen Hoden
des kastrierten Tieres treten8 • Auch dabei noch wird vom Fleisch
gekostet, zumindest von den O1TAcXyxVCX9 • Geheimen Verschwörungen
traute man regelmäßig Menschenopfer und Kannibalismus zu10 •
Gemeinsamer Mord als Ausdruck der ,Treue' findet sich, säkulari-
siert, in den athenischen Hetairienl l ; das im sacrum enthaltene
sacrilegium kommt hier zum unritualisierten Ausbruch.
Im Opfer schließt sich ein Kreis der Zugehörigen von den
Außenstehenden ab; kompliziertere soziale Strukturen drücken sich
darin aus, daß den Teilnehmern verschiedene Rollen im Vollzug
des Rituals zufallen, vom mannigfachen ,Anfangen' über Beten,
Schlachten, Häuten und Zerteilen zum Braten und vor allem zum
Verteilen des Fleisches. Einer ist der Opferherr, der seine ,vitae
necisque potestas' demonstriert, die, obschon eigentlich nur eine
necis potestas, e contrario die Lebensmacht mit zu umfassen scheint;
alle anderen sind mit beteiligt, jeder in seiner Weise, in gen au fest-
gelegter Reihenfolge und Funktion. Insofern ist die Opfergemein-
schaft das Modell der arbeitsteiligen, nach Rang gestuften Gesell-
schaft. Die im Fest zutage tretende Gliederung ist darum von
höchster sozialer Wichtigkeit und wird entsprechend ernst genom-
men. Ödipus verfluchte seine Söhne, berichtet die altepische Thebais,
weil er das falsche Stück Opferfleisch erhielt 12. Harmodios ermordete
8 Stengel (1910) 78-85 über TOlJla; O'TCxS hri TOOV TOIJ{c.oV Dem. 23, 68 vgl.
Dion. HaI. ant. 7, 50, 1; Paus. 3, 20, 9; 4, 15, 8; 5, 24, 9. Vgl. u. Kap. I 7.
9 So beschwört Demaratos seine Mutter beim Opfer, Hdt. 6, 67-8, E0'6els ES
TCxS Xeip6:S 01 TOOV O'lTA6:yXVOOV, vgl. Stengel (1920) 136, 14. Aristoph. Lys. 202
m. Schol.; Antiphon 5,12; Aischines 1,114; Isaios 7,16; Lyk. Leokr. 20.
10 Vgl. zu den Catilinariern SaU. Cat. 22, Plut. Cic. 10,4, Cass. Dio 37, 30, 3;
zu den aufständischen ßOVKOAOl in Ägypten 172 n. Chr. Cass. Dio 71, 4, 1.
Eine ausführliche Schilderung eines solchen Greuelopfers enthält der Roman
Phoinikika des Lollianos; vorläufige Ausgabe von A. Henrichs ZPE 4 (1969)
205-15, vgl. Henrichs, Pagan Ritual and the aUeged crimes of the early
Christians, in: Kyriakon, Festsehr. J. Quasten (1970) 18-35.
11 Thuk. 8, 73, 3 <Y1TEpßOAOV ... aTI"OKTeivOVO'lV, TI"lO'TIV SlSOVTES allTois, vgl.
PI. Apol. 32c über das Ansinnen der ,Dreißig' an Sokrates, ßovAolJevol WS
TI"AeiO'TOVS ava1TAfjO'al aiTloov. Eine TI"fO'TlS ähnlicher Art war die Verstüm-
melung der Hermen, Andokides 1, 67 - auch sie eine'5ymbolische Kastra-
tion (Aristoph. Lys. 1094, Schol. Thuk. 6, 27). - Vgl. auch Diod. 1, 21, 2.
12 Thebais Fr. 3 KinkeljAllen - schon der zitierende Grammatiker (Schol.
Soph O. K. 1375) fand diese Motivierung überaus primitiv, TeMc.os ayevoos.
48 I. Opfer, Jagd und Totenriten
VgI. SlIJ01pio: ev Tcxis 60{VCX1S für den König von Sparta, Xen. Ages. 5; 1.
Doppelportion für Hanna, die spätere Mutter Samuels: 1. Sam. 1, 5.
13 Thuk. 6, 56.
14 Thuk. 1, 25, 4; dazu Stengel (1910) 44-6.
15 In Mexiko: E. Reuterskiöld, Die Entstehung der Speisesakramente (1912)
93; bei Kannibalen: E. Volhard, Der Kannibalismus (1939) 443-4; bei
Jägern: G. Devereux, Mohave ethnopsychiatry and suicide (1961) 42-3.
J. P. Guepin, The tragic paradox (1968) 161-2. - Hy. Merc. 130-3; auch
bei den attischen Buphonia ist der ßOVTVTTOS, der flieht und verschwunden
bleibt, von der Opfermahlzeit ausgeschlossen, u. Kap. III 1. - Zum Opfer
an der Ara Maxima Latte (1960) 213-21; Pinarii: Cic. dom. 134; Verg.
Aen. 8,269/70 und Servo zu 269; Dion. HaI. ant. 1, 40; Diod. 4,21, 2;
Macr. Sat. 3,6, 14. - VgI. zum Pelopsopfer in Olympia u. Kap. II 2. (
16 IG 12 188 = LS 10 C 18; 21; SelV. Aen. 8, 183 de hoc bove immolato
Herculi carnes carius vendebantur causa religionis, et inde alter redimebatur
ist nicht einfach aus Vergils Ausdruck perpetui bovis herausgesponnen
(Latte [1960] 217, 2), sondern Zeugnis eines Brauchs mit eben der Funk-
tion, Austausch und Kontinuität zugleich zu sichern. - Die Manichäer
übertragen Tauschprinzip und Unschuldsbeteuerung auf alle, auch pflanz-
5. Funktion und Metamorphose der Tötungsriten 49
liche Nahrung: OÜTE aE eyoo e6eptaa ovoe i1i\eaa OÜTE e6i\t\jJcX aE OÜTE EIs KAißa-
vov eßai\ov, a"'AACx &i\i\oS ElroillaE TaüTa Kai i1VEYKE \.lot. ~yoo avatTicus e<payov
(Hegemon. Acta Arche!. 10, 6; vgl. A. Henrichs, L. Koenen ZPE 5 [1970]
146-54). - Als System gegenseitiger Zusammenarbeit und Ergänzung hat
E. Durkheim den Totemismus interpretiert, Les form es elementaires de la
vie religieuse (1912).
17 Hock (1905) 75-83; Nilsson (1955) 404,10; Müller-Karpe (1968) 336;
351; 361; K. Klusemann, Das Bauopfer (1919); vgl. F. S. Krauss, Volks-
glaube und religiöser Brauch der Südslaven (1890) 158-64; B. Schmidt,
Das Volksleben der Neugriechen (1871) 196-9. Nach dem Enuma Elis
tötet Ea seinen Vater Apsu und erbaut darauf seinen Tempel, ANET 61.
Doch sind als Bauopfer im Alten Orient Tieropfer selten, Menschenopfer
nie nachweisbar~ R. S. EIlis, Foundation deposits in ancient Mesopotamia
(1968) 35-45.
18 Gromatici ed. Lachmann I 141: ... lapides in solidam terram rectos conloca-
bant ... unguento velaminibusque et coronis eos coronabant. in fossis ... sacri-
ficio facto hostiaque immolata atqueincensa facibus ardentibus in fossa cooperta
(Lachmann; -i Codd.) sanguinem instillabant eoque tura et fruges iactabant,
favos quoque et vinum . . . consumptisque igne omnibus dapibus super calentes
reliquias lapides conclocabant. Zum Fest Ov. fast. 2, 639-78.
4 Burkert, Homo Necans
50 I. Opfer, Jagd und Totenriten
Rahmen des Rituals ,errichtet t19 • Selbst die Geburt der Musik ist
nicht vorstellbar ohne Opfertötung ; die reale Verwendung von
Knochenflöte, Schildkrötenleier, Stierhaut-bespanntem Tympanon
durchdringt sich mit der Idee, daß die überwältigende Macht der
Musik von der Verwandlung und Überwindung des Todes herrühre20 •
Leicht wird ein Erschlagener, eben wegen seines gräßlichen Endes,
zum Heros oder gar zum Gott21 ; jedenfalls setzt die Apotheose den
Tod voraus.
Verwandlung wirkt das Opfer, eine neue Stufe wird erreicht im
Durchgang durch die nicht rückgängig zu machende ,Tat t • Wo immer
bewußt und unwiderruflich ein neuer Schritt getan wird, .ist er
daher mit Opfern verbunden. So gehören zum Überschreiten von
Grenzen und Flüssen die SlaßCXTtlPla22, zur Eröffnung der Volks-
versammlung die seltsame , Reinigung t23 ; so ist beim Übertritt in
eine neue Altersklasse·. oder in eine geschlossene Gesellschaft ein
Opfer fällig 24 • Enthaltungen gehen ihm voraus, und wenn im Sinn
der Wiedergutmachung hernach.neue Schranken aufgerichtet werden,
können dies neue, lebensbestimmende EinSClrränkungen sein. Das
Opfer wird zur Initiation, dem ein fest geprägter ßioS folgt; wer das
19 Vgl. das Orakel, das die Errichtung einer Apollon-Statue zur Abwehr der
Pest gebietet, Kaibel Epigr. 1034: Widder und Schaf werden in der Opfer-
grube geschlachtet und verbrannt, das Feuer wird mit Wein und Meer-
wasser gelöscht, darüber ist dann die Statue ,errichtet'.
20 Hy. Merc. 38: 11\1 öe 66:\l1JS 'T&re 1<e\l IJ6:Ao: 1<O:AO\l Cxe{öolS; Soph. lehn. 281-93.
Zum Tympanon vgl. o. Kap. I 1 Anm. 44; zum \l61J0s 1TOAV1<ECPO:AOS Pindar
P. 12, 4-24; zu Itylos Kap. III 4; zum Haupt des Orpheus Kap. III 7;
gern stellt die Bildkunst den Tod des Leierspielers dar; außer Orpheus
Linos (Brommer [1960] 84-5); Aigisthos mit Leier auf -dem Bostoner
Oresteia-Krater: E. Vermeule AJA 70 (1966) 5; T. 4.
21 So ist der getötete Agamettmon Cx\l';P 6eios, Nach. Ag. 1547; so wird Rhesos
zum Cx\l6POO1TOÖo:iIJoo\l, Eur. Rhes.962-73. Bei den: Hethitern ist ,Gott
werden'der feste Ausdruck für den Königstod, vgl. Otten (1958) 119. Am
historisch bedeutsamsten wurde die Ermordung und Vergottung Caesars;
dazu Burkert Historia 11 (1962) 356~76; H. Gesche, Die Vergottung
Caesars (1968) mit der Rez. von A. Alföldi Phoenix 24 (1970) 166-76.
, 22 Besonders wichtig für die Spartaner, Thuk. 5, 54-5; \116; Xerxes verbrennt
Weihrauch, spendet und versenkt Wertgegenstände '(ygl. o. Anm..3) beim
tJberschreiten des Hellespont, Hdt. 7, 54; Alexander opfert mehrfach bei
gleichem Anlaß, Arrian Anab. 1, 11, 5-7.
28 Dem. 54, 39 'TOUS öpXe1S 'TOUS E1<. 'TOO\l XOlp{OO\l, ols 1<0:60:{pOVO'lC)"['O:V ·eiO'lE\lO:l
IJSAAOOO'l\1 ... vgl. Harpokr.1<0:66:pO'10\l; Schol. Aischin.1, 23; Schol. Aristoph.
Ekkl.128.
24 o. Anm. 4; u. Kap. V 2.
5. Funktion und Metamorphose der Tötungsriten 51
Unerhörte durchstanden hat, ist hernach ,entlastet' und ,geweiht'
zugleich, was in dem einen griechischen Wort ocnw6elS ausgedrückt
ist 25 • Drum ist der Bios zum Initiationsopfer geradezu komplementär:
auf Omophagie folgt Vegetarismus. Das Töten rechtfertigt und be-
stätigt das Leben, hebt die neue Ordnung ins Bewußtsein und setzt
sie in Geltung.
Entsetzen, Beseligung und Anerkennung absoluter Autorität,
mysterium tremendum, fascinans und augustum, mit diesen Be-
griffen umschreibt die Religionswissenschaft im Gefolge von Rudolf
Ott0 26 das Erlebnis des Heiligen. Am packendsten und eindring-
lichsten sind diese Elemente im Opferritual verbunden: der Schock
von tödlichem Schlag und verrinnendem Blut, die leib-seelische
Wonne festlichen Essens, die strenge Ordnung, die das ganze umgibt:
das sind sacra schlechthin, Ta iep6:27 . Vor allem die Jugend muß
diesem ,Heiligen' immer wieder begegnen, um sich die Tradition
der Väter so zu eigen zu machen.
~ Wenn die beharrliche Kontinuität des Opferrituals aus diesen
seinen sozialen Funktionen zu verstehen ist, so schließt dies Wand-
lungen keineswegs aus. Riten sind übertragene, der Mitteilung
dienende Verhaltensschemata ; hierzu gehört die Möglichkeit der
Substitution der Ausdrucksmittel, die Symbolisierung - beginnend
mit dem weißen Ballon oder Schleier, den ein findiges Insekten-
männchen dem Weibchen statt eßbarer Morgengabe bietet 28 • Jede
Mitteilung ist symbolisch, insofern sie nicht direkt ein Stück Wirk-
lichkeit an die Hand gibt, sondern ein Zeichen setzt, das von dem
25 Eur. Fr. 472, 12-5 ,as ,'oolJo<payovs SCXiTCXS TSAEO"CXS 1J11,pi ,'öpeiCj> SgScxs
6:vcxO"xwv Kcxi KOVPtlTUlV ßaKXos EKAtl611V oO"lcu6eis; vgl. Wilamowitz, Berliner
Klassikertexte V 2 (1907) 77,1 (der IJsTa statt Kcxi liest). J. Bernays,
Theophrastos' Schrift über Frömmigkeit (1866) 160 hielt ,SAEO"CXS für
korrupt. Zu ÖO"lOS Harrison (1922) 504; M. van der Valk Mnemos. II! 10
(1942) 113-140, REG 64 (1951) 418; H. Jeanmaire REG 58 (1945)
66-89. Zu den Delphischen ÖO"lOl, die durchs Opfer eines OO"lu)TtlP geweiht
sind, u. Kap. I! 5 Anm. 47. - Ein ähnlicher Kontrast besteht vermutlich
zwischen dem Ei-Tabu (PIut. q. conv. 635e) und rituellem Ei-Verschlucken
bei den Orphikern (Mart. Cap. 2, 140; P. Boyanc6 M61. d' Arch. et d'Hist.
52 [1935] 112; Burkert [1968] 104, 25).
26 R. Otto, Das Heilige (1917; 192917 - 23 ); danach G. Mensching, Wesen und
Ursprung de~ Religion: Die großen nichtchristlichen Religionen (1954) 11-22.
27 Vgl. P. Weidkuhn, Aggressivität Ritus Säkularisierung (1965) 62: "Gipfel-
punkt der Faszination ... ist das Opfer seiner selbst. Gipfelpunkt des Tre-
mendum ... ist die Opferung des Nächsten."
28 Lorenz (1963) 99-101.
4*
52 I. Opfer, Jagd und Totenriten
tragen sein, und dies bedeutet immer wieder Regression von der
Symbolik zur Wirklichkeit. Der menschliche, nicht angeborene, ver-
mittelte Ritus kann seine Mitteilungsfunktion in glaubhafter Weise
nur erfüllen, wenn er es mit einer Pragmatik zu tun hat, deren
Wirklichkeitscharakter außer Frage steht.
Im Jägerritual war zwischenmenschliche Aggression aufs Beute-
tier gerichtet worden; es wurde dadurch erhöht zur Persönlichkeit,
zum Blutsverwandten, ja zum ,Vater'88, es wurde zum Addressaten
der ,Unschuldskomödie' ; doch der harte Ernst der Realität stand
durch die Notwendlgkeit der Fleischnahrung außer Frage. Dies
änderte sich durch den wichtigsten Fortschritt der Menschheit in
der wirtschaftlichen Bewältigung der Umwelt, die ,neolithische Revo-
lution', die Erfindung des Ackerbaus vor etwa 10000 Jahren34• Seit-
her war das Jägerturn prinzipiell entbehrlich; bezeichnend, wie es
trotzdem selbst noch in den Hochkulturen beibehalten wurde als
rituelles Statussymbol35 : als Jäger läßt der Pharao sich feiern wie
seine Ranggenossen in BabyIon und Niniveh; die Perserkönige hielten
der Zweck des Krieges, die Gewinnung toter Helden, wie die Azteken
ihre Kriege führten, um Gefangene fürs Menschenopfer zu beschaffen.
Bestehen bleibt das erhöhte, geheiligte Mahnmal; es verkörpert die
Verpflichtung der nachwachsenden Generation. Denn diese Funktion
hat der als Ritus notwendige und doch zugleich gebändigte Krieg
vor allem: die Integration der Jugend in die ,patriotische' Gemein-
schaft. Der senatus beschließt, die iuventus hat zu kämpfen. Griechen
schlossen ihre CTITov5cd in der Regel für höchstens 30 Jahre: jede
Generation hat das Recht und die Verpflichtung zu ihrem Krieg.
6. Totenriten
24 ,um den Kopf und das zottige Fell des Ebers', 11.9,548; Apollod. 1, 70-1 etc.
- H. Usener, der das antike Material über rituelle Kämpfe als erster sam-
melte (ARW 7 [1904] 297-313 = Kl. Sehr. IV [1913] 435-47), sah darin
den Kampf von Winter und Sommer; Einwände schon bei Nilsson (1907)
413-4. - Das hethitische Scheinkampfritual (H. Ehelolf SB Berlin 1925,
269-70; A. Lesky Ges. Sehr. [1966] 310-7) steht im Rahmen einer Opfer-
handlung, die der Herausgeber aber nicht kommentiert hat.
26 Aiseh. Cho. 22-163, bes. 149ff.; Pers. 610-8, weiteres Material bei Stengel
(1910) 178-86, (1920) 103-5; Casabona (1966) 231-97.
26 Gottfried Benn Ges. Werke I (1960) 129. Vgl. auch Lucr. 3, 434f.
27 Arrian anab. 6, 26 ... WO'TE EiKCxO'CU (Xv T1VO: 'ITOTOV YEvecr6O:1 'ITäO'lV EKEivo TO
voc.op TO 'ITPOS 'AAE~CxVOpou EKxu6ev.
6. Totenriten 67
118 Bei den Kabylen wird ein großer Jäger unter einem Steinhaufen bestattet,
auf den immer neue Steine geworfen werden, H. Baumann Paideuma 4 (1950)
192; vgl. Plat. Leg. 873b; B. Schmidt NJb 39 (1893) 369-95.
119 Tyrtaios Fr. 5, 4 Diehl = Prato; Schol. Pi. Nem. 7, 155b = Demon FGrHist.
327 F 19; Hippias von Erythrai FGrHist. 421 F 1.
30 Wie ,Blut durch Blut gereinigt' wird, gelten Totenopfer (mit Agon) als
Entsühnung für Mord, Hdt. 1, 166-7. Nur Klytaimestra freilich begeht
den Tag des Mordes in offenem Triumph, mit Opfern (Soph. EI. 277-81),
sonst verbirgt sich die tiefere Ambivalenz (0. Anm.8) in Gebärden der
,Versöhnung' des Toten (~EIAfcrcrEIV, ti\6:crKEcr6al).
5*
68 I. Opfer, Jagd und Totenriten
4 Vgl. z. B. Ov. fast. 2, 425-46 und das Material, das Mannhardt (1875)
251-303 (bes. 256) unter dem Titel ,Schlag mit der Lebensrute' zusammen-
stellt.
6 Assoziationen männlich/Lanze, weiblich/Verwundung: A. Leroi-Gourhan,
Prehistoire de l'art occidental (1965) 119; La Barre (1970) 78; 170. Dement-
sprechend fürchten afrikanische Jäger, die Rache des sterbenden Tiers könne
ihre Mannheit treffen: sie verhüllen die Genitalien, sie fassen die symbolische
Kastration bei der Initiation als vorwegnehmendes Opfer an die Jagdbeute
auf (L. Frobenius, Kulturgeschichte Afrikas [1938J 71-9).
6 So nach dem grausamen Opfer des Tiwah-Festes (0. Kap. I 6 Anm. 11):
Grabowski a. O. 199-200.
7 z. B. Menander, Samia (Adonia), Epitrepontes (Tauropolia).
8 Xen. Hell. 5, 4, 4; vgl. Kap. III 1 Anm. 118.
72 1. Opfer, Jagd und Totenriten
9 Dargestellt schon auf dem Reliefpithos von Mykonos (um 670 v. Chr.),
Schefold (1964) T.35b; Kleine Ilias Fr. 17 Allen = 14 Bethe; Aristoph.
Lys. 155; Kypseloslade Paus. 5, 18, 3; Brommer (1960) 291-7; von Stesicho-
ros (201 Page) und Ibykos (296 Page) weiter ausgestaltet. L. Ghali-Kahil,
Les enlevements et retours d' Helene (1955) 71-98.
10 Iliu Persis p. 108, 2-6 Allen; Alkaios ZPE 1 (1967) 81-95; Schefold (1964)
41-2, T. 77; Brommer (1960) 282-4; Kypseloslade Paus. 5, 19, 5; PR II
1266-74; Vergewaltigung: Kallim. Fr. 35; Lykophr. 348-62; Apollod. Epit.
5,22; PR II 1267-8; C. Robert Röm. Mitt. 33 (1918) 35-42.
11 Hdt. 2, 64; Mythen erzählen oft vom schockierenden Gegenteil: Atalante
mit Melanion: Apollod.3, 108, bzw. mit Hippomenes, in der Meter-Grotte:
Ov. met. 10, 686-704; Laokoon im Tempel des Thymbräischen Apollon:
Euphorion Fr. 70 Powell; Melanippos und Komaitho im Tempel der Artemis
Triklaria inPatrai: Paus. 7,19,3; Poseidon und Medusa im Athena-Tempel:
Ov. met. 4, 798-803; Zeugung des Theseus durch Poseidon und Aigeus im
Athena-Heiligtum Hyg. fab.37 u. a. m.; im Hintergrund stehen teilweise
Hieros-Gamos-Rituale (A. Klinz, Hieros Gamos, Diss. Halle 1933; zum Alt-
orientalischen H. Schmökel, Heilige Hochzeit und Hohes Lied, Abh. f. d.
Kunde des Morgenlandes 32, 1 .[1956J; s. N. Kramer, The sacred marriage
rite [1969J).
12 Paus. 2, 32, 1-3; Heiligtum >AeppoShTlS hri 'hTlTOAUT'I' in Athen Eur.
Hipp. 30 ill. Schol., I G 12 324, 69; 190; 310, 280. W. S. Barrett, Euripides
7. Sexualisierung der Tötungsriten : Jungfrauenopfer. Phalloskult 73
Immer wieder besteht die Gefahr, daß in der Prägung des In-
dividuums verabsolutiert wird, was in der Lebensordnung Polarität
sein sollte, weitschwingendes Pendel von Verzicht zur Erfüllung.
Vegetarische Diät und sexuelle Enthaltsamkeit für eine bestimmte
Periode wurde den Athleten abverlangt in den Agonen, die ja zu-
gleich Opferfeste waren; auf den Sieg, auf die heiligen Handlungen
am Altar ließ die mythische Phantasie dann gerne die Hochzeit
folgen13 • Sexuelle Enthaltsamkeit in einer Vorbereitungsperiode war
in vielen Mysterien vorgeschrieben14 ; daß zum beseligenden Schock
der Weihe dann auch eine Begegnung mit Sexualität gehörte, ist sicher.
Der Vorbereitung entspricht die durch die Abschlußriten wieder-
aufgerichtete Ordnung. Wie die Situation des Außerordentlichen, das
Erlebnis von Jagd, Opfer, Tod sexualisiert wird, gehört zur Ordnung
des Alltags eine künstlich-zivilisatorische, rituell abgesicherte De-
sexualisierung. In allen menschlichen Gesellschaften gibt es in irgend-
einer Form das Sexualt abu, auch bei den ,Primitiven', wenn auch
dem Beobachter fremder Kulturen zunächst immer nur die Ver-
letzungen der eigenen Tabus auffallen. Vor allem das Inzestverbot, das
den Begriff der Familie begründet, ist allgemein menschlich15 • Deut-
Hippolytos (1964) 3-10. Hippolytos als Vegetarier und Orphiker: Eur.
Hipp. 952-4, eine crux interpretum (Barrett z. d. St.; Dodds [1951] 148;
169,86; D. W. Lucas CQ 40 [1946] 65-69), ist nur eine besondere Akzen-
tuierung des Jäger-Paradoxon. Sexuelle Enthaltung des Jägers: GB III
191-200; vgl. auch Handwörterbuch d. dt. Aberglaubens IV 579. Die not-
wendige Losreißung des Jägers von der verlockenden Frau drückt auch das
,Potiphar'-Motiv im Peleusmythos aus (Hes. Fr. 208/9 M.-W.; Apollod.
3,164-6), die mißlungene Losreißung der Mythos von Kephalos und
Prokris : per Jäger tötet statt des Wildes die Frau, die ihm gefolgt ist,
Pherekydes FGrHist 3 F 34, vgl. Parthenios 10; [Plut.] par. min. 310e. -
Die Tiere fliehen Enkidu, nachdem er sich mit der Hure gepaart hat,
Gilgames-Epos I, ANET 74-5. - Sexuelle Enthaltung vor Krieg: 1. Sam.
21,6; W. R. Smith (1899) 123; vor Opfer: o. Kap. I 1 Anm. 7.
13 Enthaltsamkeit: Philostr. gymn. 22; Paulus 1. Kor. 9, 25. Agon und Hoch-
zeit: Argonauten auf Lemnos, Simonides 547 Page, Pi. Py. 4, 253 m. Schol.,
Pi. 01. 4, 23-31; Danaiden, Apollod. 2, 22; Paus. 3, 12, 2; Penelope, Paus. 3,
12, 1; Marpessa, Bacch. 20 A, Schol. Pi. Isthm. 4, 92; Thebe (Kleinasien),
Dikaiarch Fr. 52 W.
14 Fehrle (1910) 137-8 (Demeter/Ceres), 159 (Bacchanalia), 136-7 (Isis);
Schol. Nik. Alex. 410. - Diod. 4, 6, 4 EV TE Teds TEAETCXiS ou I-lOVOV TcxiS
ßIovvenCXKcxis, aAAa Kcxi TcxiS O:AACXlS crXEÖOV aTTCxcrcxlS oihos 6 6EOS (sc. np{CXTTOS
'16v<pCXAAOS) TVYXCxVEl TIVOS T1I-lTlS, I-lETCx yeAu>TOS Kcxi TTCXIÖlö:S TTCXPElcrCXY0I-lEVOS
ev Tcxis 6Vcr{CXlS.
16 International Encyclopedia of social sciences 7 (1968) 115-22 mit Litt.;
La Barre (1970) 69; 559.
74 1. Opfer, Jagd und Totenriten
lieh ist wiederum die Rolle der Aggressivität bei der Aufrichtung dieser
Schranken, in der Motivierung, wobei Eifersucht obenan steht, wie in den
Mitteln der Überwachung, unter denen das Auslachen eine besondere
Rolle spielt. In einer aggressiven Gesellschaft kann sich der Mensch es
nicht leisten, sich zu exponieren; hilflos preisgegeben ist das ,Tier mit
den zwei Rücken'. Die erlaubte, notwendige Betätigung der Sexualität
wird darum auf einen fest umgrenzten Bezirk beschränkt, der seiner-
seits ,geheiligt', tabuiert ist, gleichsam ein Draußen im Drinnen: das
unverrückbare Ehebett des Odysseus16 , in den wilden, erdverwurzelten
Baum hineingebaut, der lectus iugalis. Die Ehe ist ein 6eO"l-\os, ,Satzung',
die, einmal gesetzt, als heilig fortbesteht, unaufhebbar.
Diese Ordnung freilich muß immer wieder durchbrochen und neu
,gesetzt' werden, stirbt doch die alte Generation, während die Jungen
nachdrängen. Eine neue Ordnung des Außerordentlichen zu errichten,
treten wiederum die Opferriten ein: auch die Hochzeit, als Initiation,
ist eine Folge von Opferhandlungen17 • Mit dem Opfermahl, das den
neuen Bund besiegelt, durchdringen sich die Riten, die das Braut-
paar selbst ins Zentrum gespielter Aggression rücken; so setzen die
Außenstehenden sich mit dem neuen Status auseinander, im Werfen
der Blumen wie im Zerschlagen der Töpfe18 . Insbesondere ist es die
Braut, die die männliche Tat erleiden muß. Das nur beim Menschen
notwendige Blutvergießen in der ersten Liebesvereinigung vor allem
macht die Defloration zum Opfer. Das Unerhörte, Angsterregende zu
mildern, drängen sich rituelle Ersatzhandlungen vor. Mit einer Lanze
wird der römischen Braut das Haar gescheitelt, mit einer Lanze, die
Menschenblut vergossen und getötet hat19 • Der griechischen Braut
16 Od. 23, 184-204; 296: AEKTP010 TICXACX10V 6sO"l-lov. 6sO"I-loS heißen auch die
deponierten Opferreste, LS 154 B 17 = Abh. Berlin 1928, 8, 22; den Namen
6sO"I-l0cpopoS leitet Deubner (1932) 44 von dieser, die antike Tradition von
jener Bedeutung ab; doch im Akt des Festigens der Ordnung fällt beides
fast zusammen.
17 Zu den Hochzeitsriten K. F. Hermann-H. Bluemner, Lehrbuch der griech.
Privatalterthümer (1882 3 ) 268-78; V. Magnien, Le mariage chez les Grecs,
Mel. Cumont (1936) 305-20; M. P. Nilsson, Wedding rites in ancient Greece,
Opuscula III (1960) 243-50; L. Deubner, Hochzeit und Opferkorb, J dI 40
(1925) 210-23. Hier können nur wenige Hinweise gegeben werden. Vgl. auch
Kap. I 5 Anm. 42.
18 KCXTCXXVO"I-lCXTCX und Verwandtes im Hochzeitsritus : E. Samter, Familienfeste
der Griechen und Römer (1901) 1-14, dessen animistische Deutung aber
nicht zwingend ist, vgl. o. Kap. I 1 Anm. 16.
19 caelibaris hasta, Festus 62-3 M.; Ov. fast. 2, 560; Plut. Rom. 15, 7; q. Rom.
285ad; Arnob. 2, 67.
7. Sexualisierung der Tötungsriten: Jungfrauenopfer. Phalloskult 75
36 Meuli (1967) 159-60; Kallim. Fr. 96, Verg. Aen. 9, 407 u. a. m., Bilddar-
stellungen, Epigramme; vgl. o. I 2.
37 Dies muß bereits eine prähistorische Prägung sein; der Typ des ,Palladion'
(G. Lippold RE XVIII 2, 189-201; schon Goldring von Mykene, Nilsson
[1955] T. 17, 1 = Corpus der minoischen und mykenischen Siegel I [1964]
Nr. 17; Simon [1969] 183; Stuckplatte aus Mykene, Simon 181) ist symbo-
lisierende Nachbildung davon. Anders das alte Kultbild der Athena Polias
in Athen, ein Sitzbild (A. Frickenhaus AM 33 [1908] 17-32; C. J. Herington,
Athena Parthenos und Athena Polias [1955] 16-27; Simon [1969] 194);
anders auch der Mythos von der Schädelgeburt der Athena, der mit einem
Stieropfer zusammenhängt (Cook III [1940] 556-739).
38 Phylarchos FGrHist 81 F 47; F. Vian, La guerre des geants (1952) 279.
39 aiyfs = Haut der im Gigantenkampf getöteten Gorgo: Eur. Ion 987-97;
vgl. Diod. 3, 70, 3-5 (Aiyfs als feuerspeiendes Ungeheuer wie die Xillalpa).
- Athena tötet ihren Vater Pallas, der sie vergewaltigen will, und legt
seine Haut an: Cic. nato deor. 3, 59; Clem. Protr. 2, 28; Schol. Lyk. 355;
Firm. err. 16, 2; Kerenyi (1952) 57-64. - Pallas ein von Athena getötetes
Mädchen, als ~6avov restituiert: Apollod. 3, 144-5.
80 1. Opfer, Jagd und Totenriten
Der tote Vater ist es, der den Verzicht vom Sohn verlangt; die
Jungen, die VEOl sind es, die seinen Willen ausführen 40 • Den aus-
führlichsten Bericht einer Totenverbrennung mit Mädchenopfer gab
ein arabischer Gesandter zu den ,Rus' an der Wolga; dort hatte
das Opfer, das sich freiwillig gestellt hatte, allen Teilnehmern am
Totenfest sich hinzugeben, ehe es auf dem Scheiterhaufen des Toten
erdrosselt wurde 41 • Ob der Name Polyxena insgeheim auf ähnliche
Bräuche deutet 42 ? Das Außerordentliche entlädt sich in einer period
of licence; ein neuer Tötungsakt bringt dann Abschluß und Um-
schlag in eine Ordnung des Verzichts.
Noch ein anderer Rhythmus von Vernichtung und Wiedergut-
machung kann aus der sexuellen Akzentuierung von Kampf und
Tötung hervorgehen. Die Vernichtungswut im Kampf Mann gegen
Mann, von sexueller Eifersucht gesteigert, richtet sich gegen die
Männlichkeit des Gegners: der Getötete wird zugleich kastriert. Im
Krieg ist dies immer wieder bis in die neueste Zeit vorgekommen43 ;
ein Urelement des Kampfinstinktes scheint hier durchzubrechen; er
kann sich ohne weiteres auf den ,Kampf' des Jägers mit dem Beute-
tier übertragen 44 • Die männlichen Sexualorgane der Säugetiere sind
in ihrer Bedeutung ohne weiteres kenntlich. Sie reizen die Aggression;
40 PR II 1276-9; Ibykos Fr. 307 Page; Simonides Fr. 557 Page; Sophokles
Fr. 522-8 Pearson; Eur. Hek. 107-582 (vecxvicxl 525); Brommer (1960)
298-9.
41 A~ad ibn Fo(;llän bei Jäqiit, engI. Übersetzung: Antiquity 8 (1934) 58-62.
42 TIOAV~eVCXl veo:vlöes Pi. Fr. 122, 1.
43 Die Deutung, die F. Dümmler Philologus 56 (1897) 13 dem Tyrtaios-Fr.7
DiehlfPrato gab, hat sich zwar nicht gehalten (Wilamowitz, Die Ilias und
Homer [1916J 95,1; F. Jacoby Hermes 53 [1918J 24, 1; R. Nierhaus JdI 53
[1938J 90-113), aber das außergriechische Material ist eindeutig, besonders
aus Ägypten (Nierhaus 90); AT: 1. Sam. 18, 25-7; vgI. A. E. Jensen (ed.),
Altvölker Süd-Äthiopiens (1959) 327. Kastration in Verbindung mit Folter
und Todesstrafe z. B. PI. Gorg. 473c; in Verbindung mit Lynchjustiz: William
Faulkner, Light in August.
44 "As any big game hunter knows, at the moment of death a male animal's
sexualorgan becomes tumescent and emits semen", schreibt G. Devereux
Mnemosyne IV 23 (1970) 299; freilich fehlt detaillierte Verifizierung. Beim
großen Elephantenopfer der Pygmäen spielt das Abschneiden und Vergraben
des Zeugungsglieds eine große Rolle, R. P. Trilles, Les Pygmees de la foret
equatoriale (1933) 460; UdG IV 88-90; 95-100; O. Eberle, Cenalora
(1954) 80-82; 88-90; 109-10; vgI. auch Meuli (1946) 247-8; 256. Beim
Bullenfest im Drömling (Mark Brandenburg) wurden die Genitalien des
geschlachteten Dorfbullen auf der Diele aufgehängt, A. Kuhn, Märkische
Sagen und Märchen (1843) 368-9.
7. Sexualisierung der Tötungsriten: ]ungfrauenopfer. Phalloskult 81
scher Reiternomaden, die man mit Equus October und Asvamedha zusam-
menstellt (W. Koppers, Wiener Beiträge zur Kulturgeschichte und Linguistik 4
[1936J 279-411; Quellen: UdG IX 278-96) mit kleinasiatischen Eselsopfern
verbunden. - Die Moi-Sedang (Vietnam) pflegen bei der Kastration eines
Tieres zu lachen (unveröffentlichte Aufzeichnung von G. Devereux).
51 Die einzige attische schwarzfig. Schale mit dem Phallos-Umzug: Deubner
(1932) T.22, Nilsson (1955) T.35, neue Photo graphie bei Pickard-Cam-
bridge (1962) pI. IV (Florenz 3897). Zu den Figuren auf dem Phallos (einer
davon Kuß5' cl1r06vllcx{Vc.oV 'TIV{, wie Soph. Ichn. 122 einen solchen Satyr-
Gestus beschreibt) Luk. Syr. Dea 28 cpcxi\i\ouS ÖO"Ol ßI0VUO"'!> eyeipovO"lV, sv
'TOiO"l CPCXi\i\oiO"l Kcxi ö:v5pcxs ~vi\{vovs Kcx'TisoVO"lV, ö'Tev IlEV eiveKcx eyoo OVK spec.o,
mit deutlicher Anspielung auf die weibliche Rolle (vgl. Herter RE XIX
1706, 62; "aufgesetzt", brauchen die Figuren doch nicht in Sitzposition
dargestellt zu sein). Vgl. im übrigen Herter RE XIX, 1673-81; 1701-23.
- Zur pygischen Symbolik der Dicksteißtänzer (die gerade nicht ithy-
phallisch sind) E. Buschor, AM 53 (1923) 105-6; L. Breitholz, Die dorische
Farce im griechischen Mutterland vor dem 5. Jahrhundert (Göteborg 1960)
149-54, der allerdings zu rasch ,Magie' an Stelle der schlichten biologisch-
psychischen Faktoren setzt. - Der Pygmäen-Häuptling ist im Ritus mit
dem Elefanten-Phallus als Braut geschmückt (0. Anm.44). Beim Asva-
medha (0. Anm. 50) legt sich die Königin zum getöteten Pferd; vgI. auch
u. Kap. I 8 Anm. 15. - Ein phallischer Ritus wurde beim altaischen Pferde-
opfer beobachtet, D. Zelenin, Internat. Archiv f. Ethnographie 29 (1928)
83ff.; UdG IX 399-413. Er findet teils vor, teils nach dem Opfer statt.
52 cpcxi\i\ous eye{pelv Lukian a. 0.; vgl. schwarzfig. Lekythos Athen 9690
(ABV 505,1) bei Metzger (1965) 51-2; T. 26, wo Satyrn den Phallos
umtanzen wie sonst eine aufsteigende Göttin (vgl. Metzger 50). vgl.
W. Wickler, Stammesgeschichte und Ritualisierung (1970) 253 zur Herme:
"keine Fruchtbarkeits-, sondern soziale Drohsymbole" .
7. Sexualisierllng der Tötungsriten: Jungfrauenopfer. Phalloskult 83
53 Clem. Protr. 2, 34, vgl. Paus. 2, 37, 5 (n6i\vllvos Cdd.); Tzetz. Lyk. 212
(noi\vuIlVOS); Schol. Luk. p. 187 (K6pOIßOS). Dionysos hr! IlEO'l1S (sc. T11S
O'UK11S) 51Eßl1 Et. M. 455, 25. - Anders die Aitiologie des Phalloskults in den
Legenden um Archilochos (Archilochos-Monument El III, Arch. Eph. [1952]
42-3; M. Treu, Archilochos [1959] 47-8; J. Tarditi, Archilochus [1968]
6-7), Pegasos von Eleutherai (d. h. Städtische Dionysien: Schol. Aristoph.
Ach. 243, vgl. Paus. 1, 2, 5) bzw. Ikarios (Schol. Luk. p. 211, 14-212, 9;
280, 1-12): der Gott straft .die Verächter seines Propheten mit einem ithy-
phallischen Zustand, der erst durch die Herstellung künstlicher Phallen
endet. Was aus dem Unbewußten übermächtig den Menschen bedrängt,
wird durch den Ritus ,machbar' und damit bewältigt. - Die dritte, ägypti-
sierende Aitiologie - da Isis das Glied des Osiris nicht finden kann, er-
richtet sie künstliche Phallen (Plut. Is. 358b; Diodor 1, 22, 7; Euseb.
Praep. Ev. 2, 1, 21) - stellt den Phalloskult eindeutig in den Zusammen-
hang der Restitution, die auf die Zerstückelung folgt. V gl. auch Anm. 70.
54 Entscheidend R. Vallois, L'agalma des Dionysies de Delos, BCH 46 (1922)
94---112; eine Gesamtdarstellung der Delischen Dionysia gibt G. M. Sifakis,
6*
84 1. Opfer, Jagd und Totenriten
Studies in the history of Hellenistic drama (1967) 7-13, der aber vorschnell
von "epiphany" (12) des Gottes spricht und das Wegschwimmen des Phallos
übersieht. Aus den Inschriften geht klar hervor, daß der Wagen dableibt,
von Zeit zu Zeit repariert wird, das geflügelte Agalma aber jährlich ganz neu
hergestellt wird. Nicht sicher geklärt ist die Topographie; die Inschriften er-
wähnen das ,Leukothion' und einen ,Fluß' .-DasWeihgeschenkdes Karystios:
BCH 31 (1907) 504, fig. 18; eine archaische Darstellung des Phallosvogels:
Ch. Dugas, Les vases de l'Heraion (Delos X, 1928) 12, Nr. 28; vgl. C. Berard
Ant. Kunst 9 (1966) 93-6; E. Vermeule, Ant. Kunst 12 (1969) T. 11, 4/5.
55 Val. Flacc. Arg. 2, 242-302; rotfig. Schale Berlin 2300 = ARV2 409,43;
Burkert (1970) 7-8; u. Kap. III 6. - Megas (1956) 117-8 berichtet aus
Tyrnabos/Thessalien: Nach einem Festmahl auf einer Bergeshöhe wird ein
,König' geweiht, mit Phallos rückwärts auf einem Esel sitzend durchs Dorf
geführt und am Abend ins Wasser gekippt. - Die 1TA010<pEO"lO im Isiskult
(Apul. met. 11, 17; L. Vidman, Isis und Sarapis bei den Griechen und
Römern [1970J 76-87) sind wohl eine Sublimation des gleichen Rituals.
56 Hes. theog. 176-200. Im Hintergrund kann sowohl klein asiatisches als auch
kyprisches Ritual stehen; ein Bocksopfer für Aphrodite (vgl. Anm. 46) ist
im Typ der Aphrodite E1TlTpoyio (vgl. Si mon [1969J 252; eine archaische
Darstellung aus Argos: BCH 93 [1969J 999) vorausgesetzt. Die merkwürdige
Tonfigur aus Perachora, eine bärtige Aphrodite, aus Hodensack heraus-
wachsend (675/50 v. Chr.): H. Payne, Perachora I (1940) 231-2, T. 102;
W. Sale TAPA 92 (1961) 508-21. Vgl. auch G. Devereux, in: Echanges
et communications, Mel. Levi-Strauss (1970) 1229-52.
8. Vater gott und Große Göttin 85
die Braut Deianeira hat Herakles dem stiergestaltigen Acheloos das
Horn abgebrochen, erzählt der Mythos 57 ; das abgebrochene Horn
wandelte sich ins ,Horn der Fülle', aus dem Blumen und Früchte
quellen - es ist kaum ein zufälliger Einfall, wenn einmal aus dem
cornu copiae des Hercules statt Früchten Phallen ragen58 • Das Horn
in der Hand hält bereits die ,Venus von Laussel' in der jung-
paläolithischen Bilddarstellung59 • Vielleicht ist es bedeutsam, daß
die dionysischen Dicksteißtänzer auf den korinthischen Vasen so
oft Hörner in der Hand halten, aus denen sie den Wein trinken:
Horn der Fülle auch hier; doch zum Dithyrambos gehört das Stier-
opfer 60 •
Geschlechtliche Fortpflanzung und Tod sind die Grundtatsachen
des Lebens. Beides wird im Opferritual, sich gegenseitig bedingend
und verflechtend, ausgespielt, im Spannungsbogen von Verzicht und
Erfüllung, von Vernichtung und Wiedergutmachung. Die über dem
Grab errichtete Stele kann die Form eines Phallos haben61 ; die
Orgie ist dem Tod ganz nahe benachbart. So steht das Ritual selbst
im Dienst des durch den Tod sich fortpflanzenden Lebens der Gruppe.
von den jeweils eigenen Postulaten abhängig, ein Akt des Glaubens.
Nur daß dabei von Anfang an der Komplex des Jagd-Opfer-Toten-
rituals eine entscheidende Rolle spielte, scheint gewiß.
Die Religionswissenschaft hat lange Zeit versucht, ein Stadium
der Religion ohne Götter, eine ,prädeistische' Etappe zu fassen und
zu rekonstruieren; voraus gehe der Animismus und diesem wiederum
der Prä-Animismus, gekennzeichnet durch ungestalte Mana-Vor-
stellungen und ,einfache' Zauberriten. "Gott ist ein Spätling in der
Religionsgeschichte"!. Die Standortbedingtheit des zugrundeliegen-
den Denkschemas ist inzwischen deutlich geworden; man nahm die
eigene Religion als Gipfel des Fortschritts, als ob sie nicht urälteste
Züge enthielte, und nahm eine Entwicklung vom ,Einfachen' zum
Komplizierteren an, als ob nicht das Leben schon auf seinen frühesten
Stufen ein unüberschaubar verwickeltes Gleichgewichtssystem wäre.
Entgegen diesen Tendenzen hat Pater Wilhelm Schmidt 2 aus schlichter
Gläubigkeit heraus ein imponierendes Material für seine These ge-
sammelt, daß der Glaube an einen ,Hochgott', einen Vatergott am
Anfang menschlicher Entwicklung stehe, wie er gerade bei den pri-
mitivsten Jägern zu finden ist. Er hat nicht anerkannt, daß dies
sich traf mit den fast gleichzeitig entwickelten Theorien Sigmund
Freuds, die auch den Vatergott an den Anfang der Menschwerdung
stellten. Freilich, wo Pater Schmidt eine Uroffenbarung ansetzt,
sieht Freud eine Urkatastrophe, den Vatermord.
1 G. van der Leeuw, Phänomenologie der Religion (1933) 87; vgl. die Übersicht
bei Nilsson (1955) 36-67. Die Theorie des Animismus geht zurück auf
E. B. Tylor (Primitive culture [1871J I""..J Anfänge der Kultur [1873J), sie
wirkte auf die Erforschung der griechischen Religion vor allem durch das
erste große Buch von J ane Harrison (1922; 1. Auf I. 1903). Die These des
Präanimismus wurde durch R. R. Marett formuliert (vgl. The tabu-mana
formula as a minimum definition of religion, ARW 12 [1909J 186-94), sie
bestimmte Nilsson (vgl. bes. [1955J 47-60, 68-71), Deubner (vgl. o. Kap. 14
Anm.2; NJb 27 [1911J 321-35; bei Chantepie de la Saussaye, Lehrbuch
der Religionsgeschichte II4 [1925J 421-430), Latte ([1959J 12-3). Protest
dagegen erhob Walter F. Otto (Die Götter Griechenlands [1929J) und seine
Schule. - Auch noch La Barre (1970) setzt die Entwicklung des Gottes-
glaubens spät an, läßt einen prädeistischen Schamanismus vorausgehen
(10.439 u. ö.).
2 UdG; Anwendung auf die Vorgeschichte durch H. Kühn, Das Problem des
Urmonotheismus, Abh. Mainz 1950, 22; Kritik: R. Pettazzoni, Das Ende des
Urmonotheismus? Numen 3 (1956) 156-9; 5 (1958) 161-3; der Begriff
, Urmonotheismus' ist bedenklich, aber der ,Hochgott' ist verbreiteter und
älter als die Evolutionisten wollten.
8. Vatergott und Große Göttin 87
Freuds faszinierende Konstruktion, die vor allem in dem Buch
,Totem und Tabu' entwickelt ist3 , geht aus von Darwin einerseits,
von Robertson Smiths Darstellung des sakramentalen Opfers anderer-
seits. In der affenmenschlichen Urhorde hätten sich die Brüder,
denen der eifersüchtige Vater den Genuß der Weibchen vorenthielt,
zusammengetan, den Vater erschlagen und verspeist; doch die ver-
brecherische Tat rächte sich aus innerem Zwang, im postmortalen
Gehorsam mußten sich die menschgewordenen Brüder der neuge-
schaffenen Verzichtordnung . der Sexualtabus unterwerfen, der ge-
tötete Vater wurde mächtiger als zuvor, als Gott verehrt. Im Opfer-
ritual und auch im Totenritual sieht Freud die zwangshafte Wieder-
holung dieses Urverbrechens, so wie in der Seele des Individuums,
durch kulturelle Erziehung ins Unbewußte verdrängt, der Wunsch
nach der Tat des Ödipus sich regt: den Vater erschlagen und die
Mutter heiraten.
Wie immer die rein psychologische Bedeutung des ,Ödipus-
komplexes' sein mag, Freuds Konstruktion ist, wie man längst ge-
sehen hat, ein Mythos, einprägsam und unverifizierbar', ja in dieser
Form unmöglich richtig; auch wenn man den Muttermord oder den
Kindermord als Urverbrechen einsetzt, bleibt die grundsätzliche
Schwierigkeit: ein einmaliges Ereignis, wie gräßlich immer, kann nicht
diese über Tausende von Generationen prägende Bedeutung gewin-
nen, wenn nicht eine genetisch fixierte Prägebereitschaft vorgegeben
ist, und diese kann biologisch nur als Adaption im Rahmen langer
Evolution verstanden werden; der Vatermord setzt die Institution
des Vaters, die Vaterbindung voraus, die doch eine spezifisch mensch-
9 Oft wird das Beutetier als ,Vater' angeredet, z. B. der Elefant bei den Pyg-
mäen (0. Kap. I 7 Anm. 44); "lieber Vater Nilpferd, lieber kleiner Vater, laß
dich von deinen Kindern fressen" (Abessinien: Paideuma 2 [1941] 25).
10 Morris (1967) 178-81 meint, die kooperative Jagdgesellschaft habe, indem
sie das reale Übergewicht des einzelnen Vaters reduzierte, als Ersatz das
Bild des allmächtigen ,Vaters' geschaffen - eine biologisch verharmloste
Wiederaufnahme von Freuds Ideen.
90 I. Opfer, Jagd und Totenriten
17 Für das seit Jahren viel diskutierte Verhältnis Kumarbi-Kronos (ANET 120-
Hes. theog.154-200) sei auf M. L. West, Hesiod Theogony (1966) 18-31
verwiesen; neuerdings Kirk (1970) 214-20.
18 Leonidas v. Tarent Epigr. 32 Gow-Page = AP 9, 99; Euenos AP 9, 75 (eine
orientalische Parallele:· M. L. West HSCP 73 [1969J 116-7); Eratosthenes
Fr. 22 Powell.
19 Zu 10 u. Kap. III 2. Kallisto und Artemis Kalliste (Paus. 8, 35, 8) schon K. O.
Müller, Prolegomena zu einer wissenschaftlichen Mythologie (1825) 75; PR I
304-5; vgl. u. Kap. II 1 Anm. 18. Zum Thema getötetes Mädchen = Göttin
auch o. Kap. I 7 Anm. 26; 39.
20 Vgl. auch E. Buschor, Phidias der Mensch (1948) bes. 47-50; 52-6 über
den "gemeinsamen geistigen Raum" in Blick und Gestus der phidiasischen
Kämpferpaare.
21 Vgl. Devereux o. Anm.4. Bezeichnend, daß Empedokles (VS 31 B 137) die
Verspeisung des Sohnes, nicht die des Vaters breit ausmalt.
22 u. Kap. II 4 Anm. 27.
92 1. Opfer, Jagd und Totenriten
40 Hekate (in Ephesos) entsteht, indem Artemis einer Erhängten ihren eigenen
Schmuck umlegt, Kallim. Fr. 461 (0. Kap. I 7 Anm.26). Auch die Sedna
der Eskimo (0. Anm.27) wird im Mythos zum geopferten Mädchen. ]ung-
frauenopfer für die Große Göttin: Steph. Byz. s. v. Lemnos.
41 u. Kap. V 4 Anm. 40.
Ir. WERWÖLFE UM DEN DREIFUSSKESSEL
Nicht nur der religiöse Kult, sondern die Ordnung der Gesellschaft
überhaupt gestaltet sich im Opfer.
11 6, 8,2; L. Moretti, Olympionikai (Roma 1957) Nr. 359; der Name erscheint
als Demainetos Cd. i. Damainetos) bei Skopas (?) FGrHist.413 = Varro bei
Plin. n. h. 8, 82, Aug. civ. 18, 17.
12 Paus. 8, 2, 6.
13 Hes. Fr. 163 M.-W., vgl. Fr. 354; Apollod. 3, 96-7; Eumelos FGrHist. 451
F 8 = Apollod.3, 100; Lyk. 480-1 m. SChol.; Tragödie des Xenokles TGF
p.770; Ov. met. 1, 198-239; Clem. Protr. 2, 36, 5; Nonnos 18, 20-4;
RML II 2165-8; Pr I 127-9; Piccaluga (0. Anm. 2) 29-98.
14 Apollod. 3, 98, vgl. Nikolaos FGrHist. 90 F 38.
16 Apollod. 3, 98-9; Tzetz. Lyk. 481; Ov. met. 1, 240ff.; Hyg. fab. 176.
1. Lykaia und Lykaon 101
Wer der Knabe war, dessen Eingeweide zum Opferfleisch ge-
schnitten wurden, wird verschieden erzählt: von einem namenlosen
"Einheimischen" spricht die apollodorische Bibliothek, von einem
,Geisel' Ovid; Lykophron nennt den Getöteten Nyktimos, den
,Nächtlichen'16, Lykaons eigenen Sohn, die eratosthenischen Kat-
asterismen dagegen, mit Berufung auf Hesiod17 , ,Arkas' selbst, den
Eponym der Arkader, Lykaons Enkel. Ihn hatte Kallisto geboren,
Lykaons Tochter, die im Verlaufe ihres Liebesabenteuers mit Zeus in
eine Bärin verwandelt worden war18 . Der ,Arkader' schlechthin ist
einerseits der ,Sohn der Bärin', andererseits das Opfer am Zeusaltar.
Dieser Tod freilich ist kein Ende: Arkas wie Nyktimos sind in den
Systemen der Genealogen Urkönige Arkadiens19. Zeus hat das Opfer
wieder zum Leben erweckt 20 , sagt der Mythos, um dann in merk-
würdigem Kreislauf zur Opfersituation zurückzukehren: Arkas wächst
bei einem Ziegenhirten heran, dann aber, als Ephebe, macht er sich
auf zur Jagd, er dringt ein ins Lykaion-Gebirge, spürt die eigene
Mutter auf; er erjagte sie, sagt ein Text, er begattete sie, ein
anderer21 : die Ambivalenz von Waffe und Sexualität im Jägerver-
halten kehrt in den Variationen des Mythos wieder. Das Gräßliche
vollzog sich in jenem ,unbetretbaren' Bezirk am Bergeshang. Darum
muß denn Arkas samt Bärin von neuem "nach dem Brauch" am
Altar des Zeus Lykaios geopfert werden. Hier blendet der Mythos
ab, läßt als dauerhafte Erhöhung des Opfers die Verstirnung folgen.
Der Ritus aber vollzieht sich weiterhin an der gleichen Stätte, er
bildet offenbar im Kreislauf der Zeit eine entscheidende Durchgangs-
station 'im Leben des Arkaders.
Merkwürdige Einzelheiten berichtet ein hellenistischer Autor
Euanthes22 , den Varro las; bei ihm ist freilich nicht von den Arkadern
insgesamt die Rede, sondern von einer einzigen Familie, die von
Anthos sich herleitet und der er offenbar selbst angehört. Ein Glied
der Familie, ein Jüngling offenbar wird jeweils ausgelost, zu einem
See geführt; er muß sich entkleiden, die Kleider an einen Eichbaum
hängen, den See durchschwimmen; dann verschwindet er in der Wild-
nis und wird zum Wolf. Acht Jahre lang muß er als Wolf unter
Wölfen leben; wenn er sich in dieser Zeit des Menschenfleisches ent-
hält, kann er zum See zurückkehren, ihn durchschwimmen, seine
Menschenkleidung vom Eichbaum nehmen und wieder Mensch sein,
wenn auch um neun Jahre gealtert. Soweit Euanthes. Dies ist nicht
identisch mit dem, wovon die älteren Autoren sprechen23; es fehlt
der Bezug zum gemeinarkadischen Fest der Lykaia, die Auslosung
steht an Stelle des Opfermahls. Trotzdem bestehen engste Beziehun-
gen, indem mit der Wolfsverwandlung die Neunjahresperiode und
das Enthaltsamkeitsgebot gekoppelt sind. Liefen gemeinarkadisches
Werwolfturn und das Brauchtum der Familie gleichsam parallel
nebeneinander her? Näher liegt es, an eine Entwicklung zu denken:
mit der Gründung von Megalopolis hatte die Stadtkultur Arkadien
erreicht; Zeus Lykaios erhielt dort, an der Agora, das beherrschende
Heiligtum24, von dort aus wurde nun das Lykaia-Fest organisiert.
Zwar opferten die Arkader, wie Pausanias erkennen läßt, noch immer
an dem Altar auf dem Berge; daß aber damals einiges am Kult
geändert, gewissermaßen zivilisiert wurde, ist anzunehmen. Dann
könnte, nach der Reform, das Alte nicht mehr offiziell, sondern nur
noch als Tradition einer besonders konservativen Familie weiter
bestanden haben. Platons Zeugnis liegt vor diesem Einschnitt, die
Legende vom Faustkämpfer Damarchos desgleichen. Wie immer der
Zusammenhang von Familienbrauch und gemeinarkadischem Ritual
zu denken ist, eine Vorstellung davon, wie eine solche Wolfsverwand-
lung sich vollzog, kann man auf Grund des Euanthes-Berichts sich
machen.
Pausanias wie Plinius betrachten die Werwolfgeschichten als
Musterbeispiel unverschämter Flunkerei und beschämender Leicht-
gläubigkeit der Menge25 ; schon Platons Bezeichnung ,Mythos' drückt
den Zweifel an der Wahrheit aus. Paradoxerweise kann der moderne
Forscher diese kritisch-aufgeklärte Haltung gerade nicht übernehmen.
23 Betont von Nilsson (1906) 9, (1955) 400; vgl. Cook I (1914) 73.
24 Paus. 8, 30, 2.
25 Paus. 8, 2, 6; Plin. n. h. 8, 80.
1. Lykaia und Lykaon 103
Es besteht kein Zweifel, daß es Werwölfe gegeben hat so gut wie
Leoparden- und Tigermenschen, als geheimen Männerbund, als secret
society, schillernd zwischen dämonischer Besessenheit und spaßiger
,Viecherei" wie es Maskenbünden eigen ist. In Europa ist zumindest
ein Fall eines ,Werwolfs' aus Livland im 16. Jahrhundert akten-
kundig bezeugt; dort bestand das werwölfische Abenteuer haupt-
sächlich darin; zur Nachtzeit in fremde Keller einzubrechen und das
dort gelagerte Bier zu trinken 26 • Gefährlicher, vielleicht altertüm-
licher waren die Leopardenbünde Afrikas, die sich zu Meuchelmord
und Kannibalismus verschworen hatten. Leopardenmenschen zeigen
die Wandmalereien von <;atal Hüyük27 ; ihre Kostümierung erinnert
an die der späteren griechischen Kentauren und Satyrn, der ,Wilden',
die ja auch über Weinfässer herfallen wie nochmals ein livländischer
Werwolf. Der Leopard, als kletternde Großkatze, war der gefähr-
lichste Feind der Primaten; anerzogenes Wolfsverhalten machte den
Menschen zum Jäger, der Herr der Erde wurde. Stammen die
Leoparden- und Wolfsbünde unmittelbar von diesem entscheidenden
Schritt? In der Antike jedenfalls sind Werwölfe, außer durchs Mär-
chen, sogar durch den klinischen Bericht des Arztes bezeugt: Markellos
von Side behandelte die ,Lykanthropie' als eine Geisteskrankheit 28 ,
eine spezielle Form der ,Melancholia', mit dem Allheilmittel des
Aderlassens. Er kannte Patienten, die "des nachts hinauslaufen und
in allem Wölfe und Hunde nachahmen und bis Tagesanbruch vor
allem auf Friedhöfen sich herumtreiben"; ihre Beine tragen meist
die Narben von Hundebissen. Merkwürdigerweise erfolgte dieser
Wahnsinnsanfall mit kalendarischer Regelmäßigkeit im Monat
opfert werden33 . Wer das Tabu gebrochen hat, ist verdammt und
geheiligt zugleich, zum Opfer bestimmt. Raubtiere, sagte man, ver-
folgen das Wild nicht über diese Grenze34, es ist in jenem kleinen
Bereich frei und doch unentrinnbar gefangen, denn draußen warten
die Wölfe. Das Tabu ist offenbar nur errichtet, um Begründung oder
Vorwand für die Opfertötung zu liefern. Vermutlich ließ man die
Opfertiere hier ,frei', um sie dann um so sicherer zu erjagen, wenn
sie ,freiwillig' die Grenzlinie übersprangen. Der Arkadername könnte
auf ein ,Bärenfest' weisen, das sich durchaus dem bekannten Typ
einordnen ließe35 ; ob die historischen Arkader noch Bären zum
Jagen fanden, ist freilich zu bezweifeln; möglicherweise trat als Er-
satztier der zottige Widder ein.
Es ist wohl selbstverständlich, daß Frauen beim geheimen,
nächtlichen Opfer der Arkader ausgeschlossen sind; dafür haben die
Frauen ihren Bereich, der den Männern verschlossen ist: nur "ge-
weihte Frauen" dürfen jene Höhle betreten, wo Rhea Zeus geboren
hat36 ; sie repräsentieren die arkadischen Nymphen, die Zeus gepflegt
haben. Die Männer versammeln sich zum Opfer, zur ,Tat' des
Tötens; die Frauen pflegen neugeborenes Leben. So wirkt die
Polarität der Geschlechter zusammen im Kreislauf des Lebens und
sichert über den Tod hinweg die Kontinuität.
So muß auch der Spaltung der Männergesellschaft im Opfer
eine neue Vereinigung entsprechen. Neben dem Opfer am Höhenaltar
steht der Agon am Sattel des Berges, er bildet dessen notwendige
Fortsetzung. So hat der Arkader Xenias, wie Xenophon beschreibt,
auch in der Fremde "das Lykaia-Opfer dargebracht und einen Agon
angesetzt"37. Pindar erwähnt bei der Aufzählung der griechischen
Agone mehrfach die "Festversammlung des Zeus Lykaios", den "Lauf
2. Pelops in Olympia
2 Als Kampf des jungen gegen den alten Priester-König gedeutet wurde das
Ritual von A. B. Cook, Zeus, ]upiter, and the Oak, CR 17 (1903) 268-78;
danach F. M. Cornford bei Harrison (1927) 219-29; ,vordorische Frucht-
barkeitskulte' findet L. Drees, Der Ursprung der Olympischen Spiele (1962).
3 F. Mezö, Geschichte der Olympischen Spiele (1930); hyperkritisch U. Kahr-
stedt, Zur Geschichte von Elis und Olympia, NGG 1927, 157-76; vgl.
F. ]acoby FGrHist III B: Kommentar 221-8.
4 L. H. ]effery, The local scripts of archaie Greece (1961) 20-1.
6 Die Überlieferung ist spät, verwirrt, tendenziös und unkontrollierbar;
Paus. 6, 22, 3-4 (Zerstörung Pisas nach 588); 5, 9, 4; Strabo 7 p. 355 (vgl.
F. Bölte RE VII A 196-7): Vernichtung Pisas durch Elis und Sparta nach
dem (2. ?) Messenischen Krieg. Zum Diskos des Iphitos und Lykurgos, Arist.
Fr. 533, vgl. F. ]acoby, Apolladars Chronik (1902) 116, 30; 122-6.
6 Verbot der heidnischen Kulte: Cod. Theodos. XVI 10, 10-2 (391/2); die
letzten Olympischen Spiele fanden 393 statt.
110 II. Werwölfe um den Dreifußkessel
7 Nicht behandelt werden im folgenden die Traditionen von der Stiftung der
Spiele durch Endymion (Paus. 5, 1, 4; 5, 8, 1; 6, 20, 9), Peisos (Phlegon
FGrHist 257 F 1), Herakles den Idäischen Daktylen (Paus. 5,7,6; 5,8,1;
5, 13, 8; 5, 14, 7), Zeus nach dem Sieg über Kronos (Paus. 5, 7, 10; 8, 2, 2).
8PR II 206-17; Hes. Fr. 259 M.-W.; Paus. 5,17,7; zu den Giebelfiguren
M. L. Säflund, The east pediment of the temple of Zeus at Olympia (1970).
- Eine Anspielung vielleicht schon Il. 2, 104: nEi\o1T11Ti\,,~hnT~.
9 Paus. 5, 8, 7; angezweifelt auf Grund der Votivgaben von L. Deubner, Kult
und Spiel im alten Olympia (1936) 26-7.
10 H. R. Hall JHS 29 (1909) 19-22; vgl. F. Schachermeyer AnzAW 19 (1966) 16.
11 G. Devereux, The abduction of Hippodameia as "aition" of a Greek animal
husbandry rite, SMSR 36 (1965) 3-25; Hdt. 4, 30; Plut. q. Gr. 303b; Paus. 5,
5,2.
2. Pelops in Olympia 111
17 Paus. 5,13,3; 14, 2; ~Vi\EVS auf Inschriften: Olympia V (1896) Nr. 62; 64;
121; 122; 124.
18 Eis TOV ß66pov Paus. 5, 13, 2.
19 J. B. Hofmann, Etymologisches Wörterbuch des Griechischen (1950) s. v.
lTEi\1TV6s. RE Suppl. VII 849. Auch wenn Pelops vielmehr Eponym eines
Volks nei\OlTES (wie b.6i\OlTES, b.pVOlTES) ist, ist diese Assoziation nicht ohne
Bedeutung.
20 Paus. 5, 9, 3.
21 Paus. a. 0.: 472 v. ehr.
22 Gymn. 5.
23 Gymn. 5.
2. Pelops in Olympia 113
Teil des Altars, der sogenannten Prothysis, zu schlachten. Die
Schenkelstücke aber tragen sie hinauf zur höchsten Spitze des
Aschenaltars und verbrennen sie dort. .. Von der Prothysis zur
Spitze dürfen nur Männer emporsteigen"24. Der Stadionlauf setzt also
das blutige Geschäft des Tötens voraus; auch Pelops ist, im Voropfer,
längst ,mit Blut gesättigt'. Ziel und Ende des Laufes aber ist der
Gipfel des uralten Aschenhaufens, wo das Feuer flammen und die
Schenkelknochen verzehren muß. Der Lauf markiert den Übergang
vom Blut zum reinigenden Feuer, von der Todesbegegnung zum Voll-
gefühl des Überlebens, das sich in der Kraft des Siegers manifestiert.
Der wichtigste Agon in Olympia ist ein Teil der Opferhandlung
zwischen Pelopion und Zeusaltar.
Das rechte Opfertier für Zeus ist der Stier 25 ; das Opfertier für
Pelops ist ein schwarzer Widder - die ,dunkle' Seite dieses Teils
der Feier wird auch damit betont. Pausanias beschreibt das Opfer,
das die Beamten von Elis alljährlich dem Pelops darbringen: "Von
diesem Opfer erhält der Seher keine Fleischportion ; nur den Hals des
Widders gibt man nach dem Brauch dem sogenannten Holzbe-
schaffer ... Wer aber von den Eleern oder Fremden von dem Fleisch
des Opfertieres, das dem Pelops geopfert wird, ißt, der darf nicht
hineingehen zu Zeus"26 - er darf dessen Bezirk nicht betreten, dem
Zeusaltar nicht nahekommen. Diese Regel ist bei Pausanias ganz
allgemein formuliert; sicher gilt sie nicht nur für das jährliche Opfer,
sondern für jedes Pelops-Opfer, das dem Zeus-Opfer vorangeht,
ganz besonders auch am großen penteterischen Fest.
Auch in den Mythos, der mit Pelops Oinomaos und Hippodameia
verbindet, ist bezeichnenderweise ein Widderopfer eingeführt: Oino-
maos pflegte einen Widder zu opfern, wird erzählt, und gab dem
Freier jeweils so lange Vorsprung, bis die ,geheiligten' Opferteile
verbrannt waren; dann jagte er dem Fliehenden nach, holte ihn ein
und tötete ihn 27 . Eine Reihe von Vasenbildern stellt nach Vorbildern
der Tragödie das Widderopfer dar 28 ; freilich zeigen sie einen weißen
24 Paus. 5, 13, 9-10.
25 Dion or. 12, 51; zum Stieropfer des Milon in Olympia Ath. 412-13a,
Phylarchos FGrHist. 81 F 3.
26 Paus. 5, 13, 2. Vgl. das Widderopfer beim Babylonischen Neujahrsfest:
Priester und Schlächter müssen BabyIon verlassen, ANET 333.
27 Diod. 4, 73, 4: 6 lleV Oiv61loos eave KP16v ... aYlcr6eVToov Se TOOV iepoov T6Te
expxecr601 TOÜ Sp61lov ...
28 Brommer (1960) 370: Kelchkrater BM F 271 = D 6, Cook I (1914) T.5;
Amphora BM F 331 = D 7, Cook I T. 3; Glockenkrater Neapel H. 2200 =
8 Burkert, Homo Necans
114 II. Werwölfe um den Dreifußkessel
38 Hdt. 1, 59. So wird laut Stiftung des Kritolaos IG XII 7, 515, 78 ein Opfer-
widder gekocht und bereitgestellt, um nach dem Kampfspiel gegessen zu
werden.
39 F. Willemsen, Dreifußkessel von Olympia. Olympische Forschungen 3 (1957)
161 stellt fest, daß die älteren Fundstücke auffallend zahlreich nahe dem
Pelopion lagen. - H.-V. Herrmann, Die Kessel der orientalisierenden Zeit.
Olympische Forschungen 6 (1966).
40 Paus. 5, 10, 4.
41 Pi. 01. 3, 23.
2. Pelops in Olympia 117
Opfer wird gegessen, aber die ,Esser' haben Zeus den Gott des
Tageshimmels fortan zu meiden; sie sind, als Ausgestoßene, den
Werwölfen vom Lykaion vergleichbar. Freilich gibt es beim pan-
hellenischen Fest keine Altersklassen mehr, keine Initiation; vielleicht
fiel das Fleisch zufällig anwesenden gesellschaftlichen ,outcasts' zu.
Eine Person mit sakralem Status ißt von diesem Widder, der ,Holz-
beschaffer' ; er war vom Zeusbezirk darum für dauernd ausgeschlossen,
während anderen wohl eine Möglichkeit der Reinigung und Rückkehr
offenstand, wie das Reinigungsbad im Parallelfall aus Pergamon,
auf den Pausanias verweist42 • Der ,Holzbeschaffer' reicht nichts-
destoweniger das Holz dar, zum Brandopfer auch für Zeus, wodurch
jener Aschenaltar höher und höher wuchs: eine bezeichnende Rollen-
verteilung im Rahmen der ,Unschuldskomödien'. Fasten beim Wid-
deropfer war auf jeden Fall vom Seher verlangt, der doch eben bei
dieser Gelegenheit zugegen und vermutlich tätig war, aber auch von
allen Athleten. Denn dies ist sicher überliefert, daß zumindest bis ans
Ende des 6. Jahrhunderts die Athleten in einer 30tägigen Vorberei-
tungszeit sich vegetarisch, von Käse und Feigen zu nähren hatten.
Auch sexuelle Abstinenz war in dieser Zeit gefordert43 • Solche Ent-
sagung und Konzentration der Kräfte sollte um so sicherer zum
Ziele führen, zum Kampf, Sieg und Opferfest. Denn Opfer mannig-
facher Art schlossen sich an den Sieg, Festessen auf Staats- und
eigene Kosten; ein abendlicher Festzug gehörte zur Siegesfeier; und
wenn man erzählte, die Gefährten des Pelops hätten diesen Umzug
bei Artemis Kordax gefeiert und darum hätte die Göttin ihren
Namen44 , der auf den lasziven Tanz hinweist, so sieht man auch die
gestaute Sexualität im Festesjubel hervorbrechen. Und doch sind bei
Artemis Kordax die Gebeine des Pelops gesammelt - das aus-
gelassene Nachspiel hat immer noch das Opfer zum Hintergrund.
Die Rückkehr zur Ordnung markierte dann kriegerische Symbolik:
Der Kern der ,Tat' steht in allen Fassungen fest; nur die Vor-
geschichte, die Motivierung variiert. Von den beiden Brüdern, die um
die Herrschaft von Mykene stritten, war es Atreus, der die un-
mündigen Söhne des Thyestes geschlachtet und zum Mahl bereitet
hat, Thyestes aber war es, der ahnungslos vom Menschenfleisch,
vom Fleisch der eigenen Kinder aß. Der eine hat getötet, der andere
gegessen: die schlimmere Befleckung hat der Esser auf sich geladen.
Thyestes muß nach diesem Mahl - auch darin stimmen alle Fassun-
gen überein - endgültig die Königsherrschaft aufgeben und aus dem
Lande fliehen. Atreus, der Mörder, wird oder bleibt damit König
von Mykene. Ein fester Zug der Erzählung ist auch, daß Thyestes
zuvor mit seines Bruders~ Frau Aerope Ehebruch getrieben habe; so
wird die Schreckenstat des Atreus motiviert: auch auf sexuellem
Gebiet hat der ,Fresser' sicl! nicht zu enthalteri vermocht; Atreus,
der Töter, stößt die untreue Gattin ins Meers.
Deutlich ist, wie wiederum der Mythos ein Opferritual nach-
erzählt und grauenvoll übersteigert. Zwar ist schwer zu sagen, wieviel
von Senecas phantastischer ,Schilderung aus alter Tradition stammt -
in einem geheimen Opferhain zuhinterst in der argivischen Königs-
burg werden die Knaben mit allen Einzelheiten des Rituals ge-
opfert _6; bühnenwirksames Pathos greift aufs religiöse mysterium
tremendum zurück. Nach Apollodor 7 fliehen die Kinder zum Altar
des Zeus, um weggerissen und geschlachtet zu werden. Fest steht,
daß die Bewirtung des Thyestes wie jede feierliche Fleischmahlzeit
Opfercharakter hat. Nach Aischylos läßt Atreus den Thyestes im
U
Glauben, er "begehe in festlicher Stimmung den Schlachttag
(Kpeoupyov Tillcxp) - ein Name, der eindeutig vom Opferritual genom-
men ist _8. Bei diesem außergewöhnlichen Mahl saß Thyestes für
sich am eigenen Tisch, wie auch die anderen, "Mann für Mannu:
so begehen die Männer auf Aigina als ,Alleinesser' ein Opferfest für
Poseidon; beim attischen Choenfest kehrt diese Trennung der Teil-
nehmer wieder 9 • Ein Teil der Eingeweide wird gebraten, das meiste
in einem ehernen Kessel gekocht - 'so Accius und Seneca10: hier
11 Kopf und Füße für den Gott: SIG 1042 = LS 66, 10; für die Priesterin:
LSS 116, B 16; für den König: Demon FGrHist 327 F 1; vgl. Porphyrios
bei Euseb. Praep. Ev. 4, 9, 7; Hsch. EVÖPCXTCX; hy. Merc. 137; Luk. Dea
Syria 66; LSS 40 B 2; LSS 121; Eitrem (1917) 43-8; Stengel (1910)
86-91; im ]ägerbrauch: Meuli (1946) 241; A. Gahs, Festschrift P. W.
Schmid (1928) 240; UdG IX 287.
12 o. Kap. Ir 1 Anm. 14. - Aiseh. Ag. 1601. - In Lesbos gibt es das Paar·
Thyestes-Daito (,Opfer' + ,Mahlzeit') als Eltern des Dionysos EVOPX1lS,
Schol. Lyk. 212.
13 Oinopides VS 41, 10; Plat. Soph. 269a \.lCXPTVp1lO"CXS apcx 6 eeos >ATpei \.leT-
eßcxAev CX\JT() E1Tl TC VÜV O"xfi\.lcx; Sophokles AP 9, 98; Hygin fab. 88; Servo
Aen. 1, 668; Schol. Stat. Theb. 4, 306; vgl. auch Hdt. 2, 142. - Sonne läuft
west-östlich: Eur. Or. 1001-4, vgl. Schol. 812; Apollod. Epit. 2,12.-
Naturwissenschaftliche Umdeutung: Atreus habe, als Astronom, die
,Gegenbewegung' der Sonne im Tierkreis entdeckt: Eur. Fr. 861, Polyb.
34,2,6 = Strabo 1 p. 23, Soph. Fr. 738 Pearson, Schol. Eur. Or. 998, Servo
Aen. 1, 668.
14 Gen. 8, 22.
122 II. Werwölfe um den Dreifußkessel
spricht der Wechsel von Nacht und Tag - die in der griechischen
Zeitordnung ja in dieser Folge zusammengehören - der düsteren und
der hellen Seite eines Opferfestes. Wie es sich auch in Olympia ergab15 :
derjenige, der zur Nachtzeit vom Fleisch gegessen hat, muß weichen;
der andere wird mit dem Sonnenaufgang Sieger, ob er gleich ge-
tötet hat. .
Von Anfang an, seit der ,Alkmeonis', ist im Mythos mit dem
Streit der Brüder ein Tier verbunden, ein Opfertier: der goldene
Widder, das goldene Lamm. Seit Euripides16 wird dieses ,Lamm'
mit Femininformen bezeichnet, entsprechend einer bekannten Ten-
denz der griechischen Sprache; daß eigentlich der ,Widder' - in
diesem Zusammenhang einmal mit dem altertümlichen Wort 6:PVEloS
bezeichnetl7 - hier seinen Platz hat, legt gerade die Parallele von
Olympia nahe. Am goldenen Lamm hängt die Königsherrschaft. Es
gehört von Rechts wegen dem Atreus, in dessen Herde es als
schönstes Tier gefunden wurde. Es war, natürlich, zum Opfer be-
stimmt; doch Atreus hat es -nur im geheimen erdrosselt und in
einer Truhe - AapVO:~ - verborgen18 . Thyestes aber bringt das,
Unt~rpfand mit Hilfe der. ehebrecherischen Aerope in seinen Besitz
und zeigt es vor beim großen Fest. Die Geschichte vom Lamm und
von der Thyestes-Mahlzeit zu ;verknüpfen, machte den Nacherzählern
des Mythos Schwierigkeiten; schon bei Aischylos19 ist es zu der
merkwürdigen Verdoppelung des Motivs gekommen, daß Thyestes
zweimal verbannt wird; seit Euripides20 rückt dann das Sonnenprodi-
gium zum ersten Akt: Thyestes, der durch den Diebstahl des Lamms
die Herrschaft sich aneignen will, wird durch das Zeugnis des Helios
gestürzt und vertrieben; als er zurückkehrt, bereitet ihm Atreus das
Greuelmahl. Nach den älteren Zeugen und von der Sache her gehört
die Umkehr der Sonnenbahn aber gewiß zum unsagbaren Opfer:
was die Erzählung hintereinanderschaltet, fällt zusammen, wenn
man die rituell-symbolische Äquivalenz von Tier und Mensch im
Opferritual erkennt. Die Handlungen der Brüder sind in der Tat in
beiden Akten die gleichen: Atreus tötet und verbirgt; Thyestes rafft
gierig an sich und deckt das Verborgene auf. So spiegelt sich im
21 11. 2, 106-8; vgl. Schol. A 106: Aristarch verfocht gegen Likymnios die
These, Homer kenne den Bruderzwist AtreusjThyestes ,noch' nicht.
22 Paus. 2, 18, 1-3. Dem Flußübergang entspräche das Durchschwimmen des
Sees, o. Kap. II 1 Anm. 22.
23 Monat "ApVl1oS Schwyzer 90, 3; SEG 3 (1929) Nr. 312, 3; Nilsson (1906)
435-8; Kallim. Fr. 26-31; Konon FGrHist 26 F 1 § 19; Paus. 1,43,7;
2, 19, 8; Ov. Ibis 573 m. Schol. - Die Geschichte von Poine und Koroibos
(Paus. 1, 43, 7-8; A. P. 7, 154) gehört zum Agrionien-Typ, u. Kap. III 3.
124 II. Werwölfe um den Dreifußkessel
24 Konon a. O.
25 Dionysios von Argos FGrHist. 308 F 2.
26 Fr. 26, 1-5.
27 Ael. nato an. 12, 34 (zu Klearchos Fr. 103 W.); Ath. 9ge.
28 Soph. EI. 6 vgI. 645: 655: 1379.
4. Aristaios und Aktaion 125
Sophokles in seiner ,Elektra' dar. Auch Aigisthos war, zwischen
Agamemnon und Orestes, ein unheiliger Zwischenkönig.
Herodot29 hat in einer seiner Persergeschichten eine dem Thy-
estes-Mahl in allen Einzelheiten entsprechende Geschichte im medisch-
persischen Milieu gestaltet: wie Atreus an Thyestes, ebenso maßlos
rächt sich Astyages an Harpagos, weil dieser entgegen dem Befehl
des Königs das Kind der Mandane, Kyros, nicht getötet hat. Der
13jährige Sohn des Harpagos wird heimlich geschlachtet, zerstückelt;
das Fleisch ist teils gekocht, teils gebraten; so wird es Harpagos auf
seinem besonderen Tisch vorgesetzt, während die anderen - natür-
lich - Schaffleisch essen. Kopf, Hände und Füße sind in einem
Korb verborgen, den am Schluß des Mahles Harpagos selber aufzu-
decken hat. Daß die Einzelheiten eigentlich zum Thyestesmahl ge-
hören, ist sehr wahrscheinlich, gehen doch Alkmeonis, Pherekydes
und Aischylos' Agamemnon Herodot voraus. Bezeichnend aber ist,
wie gerade im medisch-persischen Bereich die Greuelmahlzeit mit dem
Hunde- oder vielmehr Wolfsthema verbunden ist: Kyros das Königs-
kind ist von Kyno der ,Hündin', d. h. eigentlich doch wohl gleich
Romulus und Remus von der Wölfin aufgezogen worden30 ; Helfer
des Wolfskindes, der die entscheidenden Dienste leistet, ist Harpagos
der ,Reißende', der Wolf selbst, wie die Griechen den Namen ver-
stehen mußten. Der Wölfische wird zum Fresser von Menschenfleisch,
und dieses Mahl verwandelt auch ihn, wenngleich nur innerlich,
unsichtbar: unter der Maske des ergebenen Dieners ist er fortan der
unerbittliche Feind des Königs, der nicht ruht, bis Astyages gestürzt
ist. "Wegen jenes Mahles", wie Herodot sagt (1, 129), ist die Herr-
schaft von den Medern zu den Persern übergegangen. Im Opfermahl
trennten sich die Parteien, und aus dieser Diastase wuchs die
Sukzession.
Ein Opfer gegen die verderbliche Macht des Sirius, des ,Hundes',
wurde alljährlich auf der Insel Keos vollzogen. Unsere Zeugnisse
stammen aus dem 4. und 3. Jahrhundert v. ehr., von Aristoteles
29 1, 108-119.
30 Hdt. 1, 110-1; Iustin 1,4,10-14; G. Binder, Die Aussetzung des Königs-
Kindes (1964) 17-23;- 45-57.
126 II. Werwölfe um den Dreifußkessel
1 Theophr. De ventis 14 vgl. Arist. Fr. 511; 611, 27; Rerakleides Fr. 141 Wehrli
= Cic. div. 1, 130; Kallim. Fr. 75, 32; Ap. Rh. 2, 516-27 m. Schal. 498;
Diod. 4,82,1-3; Clem. Strom. 6, 29; Schal. Pi. Py. 9,115; Nonnos 5, 269-79.
Aristaioskopf, Stern und Rund auf Münzen von Keos: RN 484; Cook III
(1940) 270. Vgl. Nilssan (1906) 6-8. - Im Mythos erscheint Aristaios bereits
Res. Fr. 216/7 M.-W.
2 Ap. Rh. 2,521 und Schol. 498.
3 Ap. Rh. 2, 522 und Schal. 498; "IKl-llOS Kallim. Fr. 75, 34; Schal. T Il. 14, 19.
4 Cook III (1940) 265-70; GE VI 35.
5 O:VTOAEOOV TIpoTIapo16e Ap. Rh. 2, 527 vgl. Schal. 498ajw; Rerakleides
Fr. 141.
6 Ap. Rh. 2, 522 - aber Opfer "für Seirios und für Zeus".
4. Aristaios und Aktaion 127
zum Voropfer für den ,Hund' gehört demnach die Opfergrube, der
ß66poS. Und da Aristaios vorzugsweise Schafhirt ist - genauer ,Agreus'
und ,Nomios'7, Jäger und Hirt, der Tötende und der Hegende - ,
wird man als das besondere Opfer des Aristaios für den zürnenden
Hundsstern wiederum ein Widderopfer anzunehmen haben. Nonnos
spricht andererseits von einem Stieropfer am Zeusaltar, dazu von
einem Honig-Mischtrank8 • Öl und Honig habe Aristaios in Keos ,er-
funden' - , erzählte man, Öl- und Honiglibationen waren mit dem
Opferzyklus verbunden, auch wenn wir über die fürs Verständnis so
wichtige Reihenfolge nichts wissen. Jedenfalls folgt dem N acht-
Aspekt des Opferrituals der Tages-Aspekt, analog der Polarität
von Pelops und Zeus in Olympia; und wie auf Lykaons Opfer die
Sintflut folgt, wie das Thyestesmahl den Sonnenlauf verkehrt, so
setzt auch das Opfer des Aristaios die Kräfte des Kosmos in Bewe-
gung: die Herrschaft des ,Hundes' wird gebrochen, die einher-
stürmenden Winde bringen neuen Lebensmut. "In Waffen" erwarten
die Keer den Aufgang des Sirius und der Sonne9 ; die waffenfähige
Männerklasse ist es, die in diesem Opferfest sich ihrer Geschlossenheit
und Besonderheit bewußt wird; sie identifiziert sich gewiß mit der
Ordnung des Tages, den Winden, die die Gefahr vertreiben. Die eigene
kleine Insel wird zum Mittelpunkt: "für alle Griechen", sagten die
Keer, begingen sie das Festl°, das Aristaios gestiftet hat.
Lykaon hat als Wolf an einem arkadischen Knaben, am eigenen
Sohn oder Enkel gehandelt; Aristaios, der öl- und honigbereitende
Hirt, der das Opfer für den ,Hund' einrichtet, ist Vater des Aktaion,
den die Hunde zerrissen haben. Dies führt vom Ritual wieder zum
Mythos, zu einem der bekanntesten griechischen Mythen, der seit
der archaischen Zeit in der bildenden Kunst so häufig dargestellt
istl l. Wiederum schwankt, wie so häufig, die Motivierung in der
7 Schol. Ap. Rh. 2, 498. - Opfer eines schwarzen Lamms für Wirbelsturm: Ari-
stoph. Ran. 847.
8 5, 270-3. Erfindung von Öl und Honig in Keos: Schol. Ap. Rh. 2, 498b.
9 Schol. Ap. Rh. 2, 498a w.
10 Diod. 4, 82, 2.
11 PR I 458-61; Hes. Theog. 977; Stesichoros 236 Page = Paus. 9,2,3;
Akusilaos FGrHist 2 F 33; Aischylos, Toxotides Fr. 417-24 Mette; Eur.
Bacch. 339; Kallim. hy. 5, 110-5; Diod. 4, 81, 4; ApolIod. 3, 31 u. a. m.;
Darstellungen: P. ]acobsthal Marburger ]ahrb. f. Kunstwiss. 5 (1929)
1-23; Brommer (1960) 336-7. Polygnots Bild: Paus. 10,30,5. AY'LA mit
Wolfskappe dargestellt auf dem Glockenkrater Boston 00. 346 = ARV 2
1045, 7.
128 II. Werwölfe um den Dreifußkessel
Erzählung; fest steht das lTa6os, was Aktaion erlitt, was Artemis
tat: der Jäger wurde zum Gejagten, als Hirsch und wie einen Hirsch
haben ihn die rasenden, von ,Wolfswut' (i\vcrcrcx) gepackten Jagdhunde
zerfleischt. Der souveräne Zorn einer beleidigten Göttin wirkt hier,
die ihr Opfer haben will; eine sakrale Verfehlung ist der Anlaß, Be-
treten des Unbetretbaren, oder sexuelle Gier, ins Ethische gewendet
auch bloße Überheblichkeit in Worten gegenüber der Gottheit1 2•
Die Hirschverwandlung weist zurück zum unbetretbaren Bezirk am
Lykaion: wer ihn betrat, galt fortan als ,Hirsch', der zu jagen und zu
töten war13 ; selbst der Gott von Delphi gebot, einen solchen ,Hirsch'
den Verfolgern auszuliefern. Ebendort ließ mythenerzählende Phan-
tasie den Arkas mit der Mutter sich paaren14 - es sind immer wieder
die gleichen Motive, die gleichen Vorwände, die der Tötungshandlung
vorgeschaltet werden. Wenn in Erzählung und Bilddarstellung öfters
die Hirschverwandlung dadurch zustande kommt, daß Artemis
Aktaion ein Hirschfell überwirft15, so ist dies vielleicht nicht einfach
Rationalisierung der Metamorphose, sondern ein ritueller Zug, eine
Maskierung, die freilich für den Maskierten tödlicher Ernst war.
Während so auf den griechischen Bildern reale Hunde den als
Hirsch Maskierten anspringen, sind es im Wandgemälde von <;atal
Hüyük umgekehrt Männer in Leopardenvermummung, die den rea-
listisch gemalten Hirsch umschwärmen16 . Tatsächlich hat es denn
auch mit den Hunden des Aktaion eine besondere Bewandtnis.
Wohl schon Hesiod gab einen Namenskatalog von ihnen, machte sie
also gleichsam zu Individuen17 ; sehr altertümlich wirkt auch der
geradezu hautnah mit dem Opfer, sucht die eigene Tat gleichsam
ungeschehen zu machen, und doch bleibt er ein Wolf im Schafspelz.
Der Gang zur Cheiron-Höhle, der aufs Opfer folgt, mit seinem Sühne-
charakter entspricht offenbar dem Gang der ,Hunde' des Aktaion,
die in der Wiederherstellung des Opfers in der geheimnisvollen Berg-
höhle ihren Trost fanden. Die Assoziation mit Aktaion wäre direkt
bezeugt, wenn auf den überlieferten Text, der ,Zeus Aktaios' nennt,
Verlaß wäre; die Inschriften von Magnesia am Pelion kennen jedoch
nur ,Zeus Akraios', den ,Zeus der Höhe'23. Daß man von Pankult
in der Cheironhöhle sprach, dazu von Menschenopfern munkelte24,
macht die Parallele zu den Lykaia jedenfalls noch enger.
Man hat seit langem die Opfer am Lykaion, in Keos und auf
dem Pelion zusammengestellt unter dem Gesichtspunkt des Wetter-
zaubers25 ; dazu gehört das sprichwörtliche ,Gebet des Aiakos' am
Altar des Zeus Hellanios auf dem höchsten Berg von Aigina, das
Gewitter und Regen brachte 26, dazu auch die Opfer an Zeus Laphystios,
die sich im Mythos von Phrixos und dem goldenen Widder spiegeln 27.
Um Unfruchtbarkeit abzuwenden, will König Athamas, sei es bei
Orchomenos oder bei Halos in Thessalien, seinen Sohn dem Zeus
Laphystios opfern. Als er schon am Altar steht, ist plötzlich die
sind beide verschwunden, Phrixos wie der Widder. Die alte Ver-
knüpfung· mit der Argonautensage, die Entrückung von Phrixos
und Widder zu Aietes, ist wohl mehr dichterische Kombination als
Kultlegende. Geopfert wird der Widder natürlich auch in dieser
Form des Mythos, und nur das goldene Vließ bleibt von ihm.
Herodot versichert, ein entsprechendes Menschenopfer habe den
Nachkommen von Phrixos bzw. Athamas noch in seiner Zeit in
Halos in Thessalien gedroht 28 ;· freilich überließ man es in bezeichnen-
t
der ,Unschuldskomödie dem Opfer, selbst den ersten verhängnis-
vollen Schritt zu tun: wenn der Älteste des Geschlechts den Fuß ins
t
,Leiton das Prytaneion setzt, muß er sterben. Wieder ist es das
,
30 So läßt Sen. Thyestes 696 bei Atreus' Opfer die Erde beben.
31 Lydos De mens. 4, 65 p. 119, 19-22 Wuensch; R. Smith (1898) 337-49.
32 Luk. Dea Syria 55; vgl. Porph. V. Pyth. 17 (Idäische Höhle, Kreta).
-33 Gilgames VI i, 58-63, ANET 84; Übers. A. Schott-Wo v. Soden, Das
Gilgames-Epos (Reclam 1958) 55.
-34 ANET 149-55. Man postuliert immer eine Wiederbelebung Aqats, ANET
155, Th. Gaster, Thespis (19612) 323; doch Zentrum ist Zerstückelungstod,
,Sammeln', Begraben; vgl. o. Kap. I 8 Anm. 12.
35 Astour (1965) 163-8.
.36 o. Anm. 16.
5. Der Delphische Dreifuß 133
4000-5000 Jahre früher erscheinen hier die Leopardenmänner, die
Diener der großen Göttin, der Männer-Maskenbund, der sein Opfer,
den Hirsch, umtanzt. Der ins Raubtier verwandelte Mensch, der
Jäger, hat im Paläolithicum allein Fortbestand und Entwicklung des
Menschengeschlechts garantiert; er lebt im gesellschaftsbestimmen-
den Ritual übers N eolithicum hinweg bis in die klassisch-griechischen
Opferriten und Opfermythen um ,Hirsch' und ,Werwolf' weiter.
1 Verwiesen sei auf Nilsson (1906) 150-62, 283-8, 461-2; (1955) 170-4;
625-53; Farnell IV (1907) 179-218; 291-5. H. Pomtow RE IV 2517-2700;
RE Suppl. IV 1189-1432; F. Schober Suppl. V 61-152; G. Daux, Pausanias
a Delphes (1936); P. Amandry, La mantique apollinienne a Delphes (1950);
J. Defradas, Les themes de la propagande Delphique (1954); M. Delcourt,
L'oracle de Delphes (1955); Parke-Wormell (1958); G. Roux, Delphi. Orakel
und Kultstätten (1970); zum Mythos Fontenrose (1959). Ausgrabungs-
ergebnisse : Fouilles de Delphes (seit 1902).
2 Genaueste Überlieferung in der Hypothesis zu Pindars Pythien, Schol. Pi. 11
und nach dieser Krise auf gleicher Höhe; den Kult der Delphischen
Priesterschaft selbst scheint man kaum angetastet zu haben, wie er
auch den jähen Niedergang in späthellenistischer Zeit überdauerte.
Strabon fand Delphi "das ärmlichste Heiligtum"3 seiner Zeit; doch
die detaillierten Angaben über den Kult, die uns vor allem Plutarch,
selbst Delphischer Priester, überliefert, treffen sich immer wieder mit
älteren Anspielungen und Hinweisen, so daß zu schließen ist, daß die
Delphischen Rituale am gleichen Ort über mindestens 800 Jahre hin
im wesentlichen die gleiche Form bewahrt haben.
Von den normalen griechischen Polisgemeinschaften ist Delphi
von vornherein abgehoben: entrückt am steilen Berghang 600 m über
dem Pleistostal, an der Kastalischen Quelle zwischen der grandiosen
Kulisse der Phädriaden-Felswände, konnte Delphi nie eine Bauern-
siedlung sein. Die ,Delpher' leben seit je fürs Heiligtum und vom
Heiligtum, wie es schon der Homerische Apollonhymnus drastisch
formuliert 4 • Die Tradition, die die Delpher von Lykoreia kommen
läßt 5, könnte insofern richtig sein, als auf der ansehnlichen Ebene
oberhalb der Phädriaden, zwischen Korykischer Höhle und Parnaß
eine Siedlung immerhin existieren kann; schon vor 600 jedenfalls
war Delphi von der Küstenebene am Golf, von Krisa aus verwaltet;
denn zu Schiff kamen in der Regel die Gesandten, die auf der ein-
samen Höhe die Entscheidung des Gottes suchten. Daß für ein Ge-
meinwesen Religion zum Selbstzweck wurde, ist eine Besonderheit
Delphis. Sie gründet in dem gesamtgriechischen, ja bald über
Griechenland hinausgreifenden Ruhm des Orakels, der auch das Ein-
greifen der Amphiktyonie veranlaßt hat; selbst die Pythischen Agone
gewannen dadurch besonderen Glanz, daß sie nicht für sich standen.
In Delphi sprach der Gott; hier fand Frömmigkeit ihren Halt im
Transzendenten. Das diesseitige, greifbare Handeln aber, aus dem
heraus das Orakel zustandekam, ist ein besonders gestaltetes Opfer-
ritual ; die Orakelstätte, der Ort der Entscheidungen und befreienden
Reinigungen, ist zuerst und vor allem ein Opferplatz im ,Draußen',
hoch am Berg.
Die Ausgräber fanden im Ternenos "die Erde fett von organischen
Bestandteilen, vermischt mit Asche und verbrannten Knochen und
lion leiten sich die Delpher, oder wenigstens die bedeutendsten Ge-
schlechter Delphis, ab 23 ; und sie bleiben auf der Spur des Wolfes in
ihrem Ritual des Opferraubs. Man erzählte ja auch, Apollon selbst
sei von einer wolfsgestaltigen Mutter geboren24 . Moderne streiten,
ob Lykien, ,Licht' oder der ,Wolf' im Namen des Apollon Lykeios
zu suchen sei25 - die Griechen dachten in erster Linie an den Wolf.
Dem Sohn der Wölfin gegenüber steht der Sohn des ,Widders': eine
Tradition behauptet, der von Apollon Getötete, dem zu Ehren die
Pythischen Spiele eingesetzt seien, sei ein Räuber aus Euboia, Sohn
des Krios gewesen26. Hier ist das Schafopfer in Apollons Bezirk in
kaum noch verhüllter Form in die Legende eingegangen. Der offizielle
Mythos, der spätestens seit dem von Sakadas an den ersten Pythien
von 586 vorgetragenen ,Pythischen Nomos'27 allgemeine Verbreitung
fand, nennt als Gegner und Opfer Apollons den erdgeborenen Drachen
Python28 . Daß der Drachenkampf mit dem Delphischen Ritual nur
wenig Berührungspunkte zeigte, notierte schon Plutarch29 . Hier ist
ein Lieblingsmotiv der orientalisierenden Epoche, die an Ungeheuern
solchen Gefallen fand, wohl durch Dichter nach Delphi verpflanzt
worden, ohne doch den Kult zu beeinflussen und andere Überliefe-
rungen ganz zu verdrängen. Älter noch ist die in der bildenden
Kunst über die Maßen beliebte Geschichte, wie Herakles mit Apollon
um den Pythischen Dreifuß kämpfte30 • Möglich, daß hier historische
Erinnerungen ans Vordringen der Dorier und ihre Einflußnahme
auf den vor dorischen Kultplatz mit enthalten sind; daß im Delphi-
schen Ritual ums Opferfleisch, zu dem der Dreifußkessel ja von
Haus aus gehört, zwei Parteien sich bilden zu polarem Zusammen-
spiel, wobei die ,Räuber' dem Gott erst recht hörig sind, dies bot
offenbar die Grundstruktur und erhob die Episode übers Zufällige
23 u. Anm. 47.
24 Arist. hist. an. 580 a 18; Ael. nato an. 10,26; vgl. Ant. Lib. 35; umstritten
war schon im Altertum die Bedeutung von Apollon I\vKllyevi}s Il. 4, 101.
25 Cook I (1914) 63-8, der für ,Licht' plädiert.
26 Paus. 10, 6, 6.
27 Paus. 2, 22, 8-9; PoIl. 4, 78, vgl. Strabo 9 p. 421.
28 Darüber ausführliehst Fontenrose (1959); im Apollonhymnos ist der Drache
weiblich und namenlos.
29 PIut. Def. or. 417f-418a.
30 Vasenbilder des Kampfes um den Dreifuß seit geometrischer Zeit, wobei aber
erst im 6. Jh. die Deutung auf Herakles-Apollon sicher ist: S. B. Luce AJ A 34
(1930) 313-33; E. Kunze Olympische Forschungen 2 (1950) 113-7; F. Wil-
lemsen J dI 70 (1953) 93-9; Brommer (1960) 30-8; Schefold (1964) T. 4 b.
5. Der Delphische Dreifuß 139
hinaus. Über die Diastase im Opfer hinweg setzt sich Apollons
Ordnung durch.
Widder-Zerstückelung und Dreifuß verbindet Delphi mit Lykaia
und Olympia, wie auch der Stadionlauf in Delphi seine Stätte hat.
Eigentümlich dagegen ist in Delphi die besondere Funktion des
Tempels und die Rolle der dem Apollon geweihten Frau, der Pythia.
Innerhalb des Tempelraums stand der berühmte ,Herd' (ecrria), auf
dem ein ewiges Feuer unterhalten wurde31 - ein altertümlicher
Zug32, der dem Normaltyp des griechischen Tempel fremd ist - ;
den hintersten Teil des Tempels, das Adyton, durften nur wenige
Menschen betreten 33 ; dort stand der Dreifuß. Was vor sich ging,
sah wohl auch der Ratsuchende nur von ferne; er sah die geweihte
Frau auf dem Dreifuß sitzen, hörte ihre verwandelte Stimme und
wußte, daß durch ihren Mund Apollons Spruch ergehe. Daß im
Adyton Dämpfe aus der Erdentiefe aufstiegen, die der Prophetin
Verzückung und weissagende Kraft brachten, ist eine auf der stoischen
Pneuma-Lehre beruhende Theorie, die vom Rationalismus gerne auf-
gegriffen wurde, der archäologischen Nachprüfung aber nicht stand-
hielt 34 : keine Spur von Erdspalt oder gar Vulkanismus unter dem
Tempel zu Delphi. Dämpfe freilich umhüllten den Dreifuß, wenn die
Pythia ins Adyton ging und ihren heiligen Sitz bestieg, Lorbeer
wurde verbrannt, Gerstenkörner 35 , vielleicht noch anderes Räucher-
werk. Daß im Halbdunkel der Dreifuß schwanke und erzittere, daß
eine Macht aus der Tiefe wirke, wenn dann die Pythia sprach oder
36 Pythia TOV Tpl1rOÖCX Ö1CXO"E10"CXIlEVT) Luk. Bis ace. 1; Schol. Aristoph. Plut. 213:
lTAT)O"iov TOV Tp{lTOÖOS ö6:<pvT) iO"TCXTO, i)v 1i TIv6icx, f}ViKCX EXPT)0"1l4>ÖE1, EO"E1EV;
vgl. Aristonoos I 10, p. 163 Powell; aE{öovO"CX "EAAT)O"l ßoo:s Eur. Ion 92.
37 o. Kap. II 2 Anm. 38.
38 ÖAIlOS Zenob. Par. 3,63, Paroem. Gr. I 72; Schol. Aristoph. Plut. 9; Vesp.
238; evoAllloS Soph. Fr. 1044 Pearson; ,Sitzen' der Pythia: Eur. Ion 92
(entsprechend ApolIon, Eur. Iph. Taur. 1254; Or. 955-6); Diod. 16, 26-7;
Vasenbilder: Willemsen JdI 70 (1955) 85-8; vom ,Rasen' (llcxVE10"cx) der
Pythia spricht Plat. Phdr. 244a; bestritten ist die Ekstase der Pythia von
Amandry (0. Anm.l) 19-24; vgl. R. Flaceliere REA 52 (1950) 306-24;
Parke-Wormell (1958) I 34-41.
39 Servo auct. Aen. 3, 360 vgl. 3, 92; 6,347; Eust. zu Dion. Per. 441; ÖPO:KOOV
Neben Herd und Dreifuß, ja vor ihnen ist der Omphalos, der
,Nabel der Erde' das heilige Merkmal des Delphischen Heiligtums58 •
Der eigentliche Omphalos stand wohl im Adyton des Tempels neben
dem Dreifuß. Er war mit einem netzartigen Gewebe aus unbearbei-
teter Wolle (ayPTlV6V 59 ) bedeckt. Mannigfach sind die antiken und
modernen Deutungen dieses Symbols. Die Idee des Mittelpunktes der
Welt, ausgedrückt im anthropomorphen Bild vom Nabel, ist kenn-
zeichnend für einen Ort, wo sich Heiliges ereignet; in gewissem
Maße ist jedes Heiligtum eine ,Mitte'60. Trotzdem fragte man nach
der besonderen Funktion gerade des Delphischen Steines: Ist er ein
Grabmahl, etwa für Python61 , ist er ein chthonischer Altar ?62 Welche
Vorstellungen und Benennungen immer maßgebend sein mochten, in
der rituellen Handlung hatte der Omphalos vor allem eine Funktion:
er war der Ständer, über den jenes Netz aus Schafwolle zu breiten
war. So spannten paläolithische Jäger die Bärenhaut über ein Ton-
modell, so breitete Hermes die Rinderhäute auf den Felsen aus 63 .
Der Omphalos, als Opfermal, gehört in den Kreis der Wiederher-
stellungsriten, die von den alten Jägern bis ins griechische Opfer-
ritual reichen. Zusammen fügt sich das Schlachten und wölfische
Zerstückeln des Opfers am ,Herd\ das ,Sammeln' im Dreifußkessel
und das Ausbreiten des Vließes auf dem Stein: Hestia, Dreifuß und
Omphalos sind die Kennzeichen des Delphischen Orakeltempels ;
Mittelpunkt der Welt ist der fürs Opfer gesetzte Stein.
Alle acht Jahre fand in Delphi ein Fest statt, dessen merk-
würdige Einzelheiten allein Plutarch uns überliefert; Anspielungen
bei Ephoros und Theopomp beweisen immerhin, daß das Fest im
64 Hauptzeugnis Plut. Def. or. 417e-418d; dazu q. Gr. 293c; mus. 1136a;
Ephoros FGrHist 70 F 31b = Strabo 9 p. 422; Theopomp FGrHist 117
F 80 = Ael. v. h. 3, 1; Kallim. Fr. 86-9; 194, 34-6; vgl. B. Snell Hermes
73 (1938) 439 zu Pi. Päan 10. - H. Usener ARW 7 (1904) 317-28 = Kl.
Sehr. IV (1913) 451-8; Nilsson (1906) 150; Harrison (1927) 425-8;
Jeanmaire (1939) 387-411; Fontenrose (1959) 453ff.
65 q. Gr.293c LE1TTT]ptoV Hss., LTE1TTT]ptOV Bernardakis; Hsch. crE1TTl1P{a'
Ka6ap~6s, EK6vcrtS (falsch eingeordnet, nach crEcrcucr~evos); Hsch. crTE1TTT]pta'
crTe~~aTa, Cl 01 tKETat EK TOOV KAaScuv E~fl1TTOV. Für crE1TTl1pfa plädierte A.
Mommsen, für O"TE1TTT]ptOV Nilsson (1906) 151, 1 nach W. H. Roseher Neue
Jb. 49 (1879) 734-6, vor der neuen Teubnerausgabe von J. B. Titchener
(1935).
66 Plut. q. Gr. 293c; Ael. v. h. 3, 1; vgl. M. P. Nilsson, Die Entstehung u. religiöse
Bedeutung des griech. Kalenders (Lund 19622 ) 46-8; (1955) 644-7.
67 Plut. Def. or. 418a. Die exAcuS in Delphischen Inschriften: SIG 672 = LS
80, 58; LS 81, 7.
10 Burkert, Homo Necans
146 H. Werwölfe um den Dreifußkessel
vor sich geht, erfahren wir nicht. Höhepunkt ist jedenfalls die Ver-
nichtung des ganzen Baus: mit brennenden Fackeln, zur Nachtzeit
also, führen Angehörige des Labyadengeschlechts schweigend einen
Knaben zum Angriff auf die Hütte, sie stürzen drinnen den Tisch um,
werfen Feuer in den Holzbau und fliehen, ohne sich umzuwenden,
bis durch den Eingang des Heiligtums. Der Angriff heißt ,Dolonia'68,
und die ,gefährliche List', die in diesem Namen steckt, erinnert an
die listig-mörderische Expedition des Odysseus und Diomedes vor
Troia, als sie in der Nacht, von Dolon in der Wolfskappe angeführt,
den Barbarenkönig Rhesos erschlugen. So wird in Delphi ein Knabe,
dessen beide Eltern noch leben, der noch nicht in den Schatten des
Todes getreten ist, zum Werkzeug der Vernichtung. Mythographen
versuchten, Apollons Sieg über den Pythondrachen mit diesem Ritual
zu verbinden69 , doch stimmen die Einzelheiten eben nicht zusammen,
wie Plutarch ausführt. Wenn ein Tisch im Königsbau stand, so war
darauf gewiß ein Mahl bereitet, ein ,heiliges' Mahl beim Fest im
Heiligtum, ein Opfer also, das jäh gestört und ausgetilgt wird, so daß
keine Spur mehr davon zeugen kann. Das Umstürzen des Tisches,
hier im Ritual belegt, kehrt wieder im Mythos von Lykaon wie auch
von Thyestes 70 ; auf Lykaons Tat folgt die alles bedeckende Sintflut;
und De1phi ist der andere Ort, an dem der Sintflutmythos haftet 71 •
Eine Ausnahmezeit, ein ,unsagbares' Opfer im Königsbau nimmt im
Feuerfest ein plötzliches und radikales Ende.
Das Ritual setzt damit erst recht ein, um in weitgespanntem
Bogen die Katastrophe zu überwinden, göttliche Reinheit zurückzu-
führen ins Heiligtum: der Knabe mit seinem Gefolge tritt die weite
Prozession zum Tempetal an. Seine Wanderung ist ein ,Irren', ein
,Knechtschaftsdienst', zugleich aber auch ,orgiastisches' Einherziehen
durch die Lande 72 ; mag man an Waffentänze, Fackelschwingen oder
was immer denken. Dies hat der Python-Mythos aufgenommen: das
verwundete Untier, erzählte man, sei vor Apollon geflohen und bis
68 Plut. a. O. ,; 51Cx Tf\S .i1oAoovicxs E<jlo50S (zur Bedeutung des 51Cx vgl. Num. 8,
eVO"{CX1 51'äA<jlhov KCXt O"lTov5f\s lTElT01T\I.\EVCX1). I\CXßv6:5cx1 ist Konjektur
Pomptows (vgl. LS 77), MHAIOI\A.i1E Hss.
69 Ephoros FGrHist 70 F 31b, Kritik Plut. Def. or. 418a.
70 o. Kap. II 1 Anm. 14, II 3 Anm. 12.
71 Vgl. Anm. 22.
72 Plut. Def. or. 418a TOUS E~OO nVAOOV lT6:VTCXS "EAAT\VCXS'; lTOA1S KCXTOpY16:~OVO"CX
I.\EXP1 TEl.\lTWV EATjACXKEV.
5. Der Delphische Dreifuß 147
zum Tempetal vom Gott verfolgt worden, wo er es endlich erlegte 73 •
Es ist ein ,heiliger Weg', der Thessaler, Pelasger, Oitaier, Anianen,
Malier, Dorier und Lokrer miteinander verbindet. Im Tempetal end-
lich, auf einem Altar am Peneios, findet ein ,prachtvolles' Opfer
statt, verbunden mit Reinigungsriten, als gälte es eine gewaltige
Befleckung, eine unerhörte Freveltat zu tilgen 74 • Auch dies noch
läßt der Mythos den Gott ApolIon selbst vollziehen 75 • Der Gott
der Reinigung bedurfte ihrer selbst, denn er hatte getötet. Dann
bricht der Knabe einen Lorbeerzweig und kehrt mit diesem Zweig
vom Tempetal den ganzen Weg zurück, von Flötenmusik begleitet, mit
Achtung und Ehrbezeugungen durch alle Völker geleitet 76 • Mit der
Ankunft der Prozession in Delphi können die großen Wettspiele
beginnen 77 - dort haben anscheinend in der Zwischenzeit die
Frauen in ihrer Weise Abschlußrituale verrichteP8 -. Apollon selbst
kehrt in Sommers Mitte von den Hyperboreern nach Delphi zurück,
wie es Alkaios 79 im Hymnos feierte. Die Epiphanie des Gottes von
Delphi ist vor allem in der Musik zu erleben; der musische Agon
steht in Pytho obenan. Die Gewalttat am ,Ort der Verwesung'
- so hat man Pytho etymologisiert80 - ist endgültig überhöht und
überwunden durch lichte Ordnung, durch die Schönheit der Kunst.
Und doch ruht sie auf einem Abgrund des Furchtbaren, der in
Schuldgefühl und Sühneopfer immer wieder aufgerissen wird. Damit
Apollon spricht, bedarf es der wahnsinnigen Frau auf dem ver-
deckten Dreifuß.
10*
148 11. Werwölfe um den Dreifußkessel
10 v,;aov cm' 'QyvyillS Od. 6,172 vgl. 1, 85; 7, 244; 254; 12, 448; 23,333; U. v.
Wilamowitz-Moellendorff, Homerische Untersuchungen (1884) 16-7.
Zu Ogygos Korinna 671 Page; Paus. 9, 5, 1; Vater des Kadmos Suda cu 12;
die ogygische Flut: Schol. Plat. Tim. 22a; Varro bei Cens. 21, 1; vgl. Jacoby
zu Philochoros FGrHist 328 F 92.
11 Hemberg (1950) 95; 316-7.
12 Hellanikos FGrHist 4 F 23; Ephoros FGrHist 70 F 120; vgl. RE VII
2379-88.
13 Skyphos Oxford, Cook III (1940) 160. R. Stiglitz, Herakles auf dem Am-
phorenfloß, Österr. J ahresh. 44 (1959) 112-41. In Erythrai erschien
Herakles auf einer aXEOio:, Paus. 7, 5, 5.
14 Hes. Theog. 141 erscheinen die Kyklopen bereits als Schmiede; das Ver-
hältnis dieser Kyklopen zu Od. 9 ist ein altes ~';Tll\.lO:. Odysseus mit Pilos
schon auf einem Dreifußbein in Olympia, um 600 v. Chr., Schefold (1964)
Abb. 28 p. 71. - In vielen Parallelfassungen ist der Überwinder des Ogers
ein Schmied (N r. 46; 47; 53; 63; 64; 73; 74 Hackman ), sehr oft erfolgt die
Blendung mit flüssigem Metall; die Kabiren aber sind Schmiedegötter.
16 So der pilleus, speziell galerus genannt, des flamen Dialis: Varro bei Gell.
10, 15, 32; Sueton bei Serv. auct. Aen. 2, 683; Festus s. v. albogalerus
p. 10 M.; E. Samter, Familienfeste der Griechen und Römer (1901) 34-5.
6. Ausblick auf Odysseus 151
seus' Leben nimmt eine Wendung, als er Zeuge jenes ,unsagbaren',
kannibalischen Mahls wird -in der Höhle, fern der menschlichen
Zivilisation. In einer Reihe von Parallelversionen wird der Held ge-
zwungen, vom Menschenfleisch mitzuessen16. Das gräßliche Fest
nimmt, nachdem es im Weingelage seine Fortsetzung fand, ein jähes,
gewaltsames Ende durch Anwendung des Feuers und die Erfindung
der ältesten menschlichen Waffe, des feuergehärteten Speers17 . Unterm
Widderfell entkommt Odysseus, doch die Heimkehr ist ihm nun ver-
stellt. Er muß in die Ferne wie der Delphische Knabe, er muß gleich
einem arkadischen Werwolf neun Jahre im Unbekannten weilen, ehe
ihm im zehnten Jahr die Heimkehr gelingen kann. Daß Odysseus'
rettende Tat den Fluch des Kyklopen, den Zorn des Poseidon nach
sich zieht, diese moralisch unverständliche Paradoxie ruht auf dem
rituellen Grundgerüst. Dann endlich trägt der Notkahn Odysseus zu
neuen Ufern, durchs Wasser hindurch nach Hause. Seine Ankunft
bringt dort neue Ordnung an Stelle des Chaos, "wenn der eine Mond
schwindet, der andere ersteht"18. Am Fest Apollons19 tritt der König
durch den Sieg im Bogenkampf seine Herrschaft an. In seiner
Wandlung durchsteht Odysseus die- Antithese von Poseidon- und
Apollon-Bereich; gegen Ferne und Wildheit steht die Macht des
Rechtes zu Hause, gegen die Gier des Menschenfressers die kalte,
aber gerechte Rache, gegen das Zupacken des Raubtiers die Technik
der fernhinwirkenden Waffe. Getötet freilich wird hier wie dort, beim
Sohn Poseidons wie im Hain des Apollon. Auch die Kultur, in
ihrer Antithese zur Anti-Kultur, ist aufs Opfer gegründet.
Eduard Meyer20 hat längst festgestellt, daß eine ganze Reihe von
kultischen Reminiszenzen Odysseus und Penelope nach Arkadien ver-
weisen. Dort findet sich auch im Kult die Antithese von Poseidon
und Apollon, die auch in einer Fassung der Delphischen Legende
durchscheint 21 . Die gleichzeitig zum Vorschein gekommenen Ver-
16 Nr. 20; 68, vgl. Nr. 8; 19; 58; 71; 110 Hackman.
17 Burkert (1967) 283-5.
18 Ode 14,162; 19,307.
190d. 20,276-8; vgl. 18,600; 20,156; 250; 21, 258-9. Wilamowitz (0.
Anm. 10) 111-4.
20 Hermes 30 (1895) 263-70. E. Wüst RE XVII 1910-2. Vgl. PR II 1050-9.
Pferde des Odysseus in Pheneos, Paus. 8, 14, 5; vgl. 8, 44, 4; dazu die
seltsame Genealogie Penelope-Pan, Pi. Fr. 100.
21 Mythos von Thelpusa, Paus. 8, 25, 4-5; entsprechend Poseidonmythos
(Schol. A Il. 23.346) und Apollonkult (Strabo 9 p. 411; hy. Ap. 244-76;
152 II. Werwölfe um den Dreifußkessel
3 Nub. 984-5 apxcxicx YE Kcxi ßmoi\looST} KCXt TETT1Yoov avcq..lEcrTcx Kai KT}KE1SOV
Kcxi ßovq>Ov1OOV. - Der Mythos führt das Opfer auf Kekrops (Euseb. Hieron.
chron. a. Abr. 472; Hsch. ßlas 6aKot) oder Erechtheus (Paus.!, 28, 10)
zurück. Ältestes inschriftliches Zeugnis IG 12 839 = LSS 2 (um 500).
'" Paus.!, 24, 4; 28,10; Kalenderfries Deubner (1932) 253, T. 39.
5 Vgl. Anm. 8.
10 Der Opferstier für Zeus Polieus auf Kos wird aus vielen Rindern, die über
den Marktplatz getrieben werden, ausgewählt (Kpl6efS), SIG 1025 = LS
151 A 19: 6VETexl Se, exi Iley Kex V1TOKV~El TCXl '1(J"Tlexl; dies wird in der Regel
verstanden, als sei ein zweites Opfer, für Hestia, unorganisch eingefügt
(E. Farmer Craik, Par. deI Pass. 22 [1967J 442). Der Gesamtzusammen-
hang des Zeus Polieus-Festes führt auf die Übersetzung: "geopfert wird er,
wenn er sich der Hestia neigt", d. h. am Markt dem Staatsherd sich zu-
wendet. Anschließend wird der Preis des Stieres lIder Hestia erstattet" (25),
d. h. das Opfertier der Göttin abgekauft (0. Kap. I 5 Anm. 38). Allerdings
muß man bei dieser Interpretation eine Dublette 20-22,...." 49-54 an-
nehmen, die yepTl sind einmal kurz, einmal ausführlich aufgeführt.
11 Thaulon: Androtion FGrHist 324 F 16 mit den von Jacoby gegebenen
Parallelen; Sopatros Porph. abst. 2, 28-30; Diomos ibo 2, 10, wiederholt
2, 29, der aber vielmehr eindeutig zum Rinderopfer für Herakles an den
Diomeia gehört, Aristoph. Ran. 651, Steph. Byz. Kynosarges. Jedes Stier-
opfer ist ein, Urverbrechen'.
12 Arat 131-2.
1. Dipolieia 157
Thaulon spricht13 • Verbannung ist seit alters die Konsequenz ver-
gossenen Blutes; die Griechen bezeichnen sie mit dem Wort ,Flucht',
q>vyi}. Der biologische Mechanismus, der Aggression in Fluchtinstinkt
umschlagen läßt, ist zur Rechtsordnung institutionalisiert14 . Demon-
strativ läuft der ,Täter' beim Buphonienopfer davon und bleibt ver-
schwunden; die verbleibende Gemeinschaft, der Distanzierung froh,
kann die Früchte seiner Tat genießen: das zusammengebrochene
Tier wird von anderen, den ,Zerlegern', mit einem Messer gehäutet,
zerlegt, ausgeweidet; und offenbar wird das Fleisch sogleich gebraten
und verspeist. So sind alle in unwiderruflicher Weise am Opfer be-
teiligt. Die ausführlichste der aitiologischen Legenden kann dies nicht
ganz mitmachen; sie läßt Sopatros seinen im Zorn erschlagenen Stier
in aller Form ,begraben', doch in der Fortsetzung wird das Skanda-
Ion erst recht offenbar: das eingeschaltete Orakel gebietet, den ge-
schehenen Frevel nicht zu sühnen, sondern zu wiederholen und oben-
drein vom Opfertier zu essen15 . Sopatros erleichtert sein Gewissen,
indem er die ,Tat' zum Gemeinschaftswerk macht16 ; und nun sind
alle daran beteiligt, je in ihrer Gruppe, in der jeweils eine der alten
Familien Athens repräsentiert ist: ,Wasserträger', ,Stachler', die die
Ochsen um den Altar treiben, ,Ochsenschläger', ,Zerleger'17. Alle
20 Dies nur Porph. abst. 2, 29; 30. Ein ßouSuY1lS e~ aKpolT6AEOOS ist Aristeid.
or. 2, I 20 Dindorf genannt. Athena Erfinderin des Pfluges: Servo auct. Aen.
4, 402. Ausspannen der Haut des Opfers z. B. beim Altaischen Pferdeopfer,
UdG IX 287; beim Bärenfest Meuli (1946) 229. Die Koische Lex Sacra
(0. Anm. 10) 47 schreibt vor EVoopo: evoepETcn, dazu Stengel (1910) 85-91.
- Da IG 12 843 = LS 17 Holz im Zusammenhang mit KHPYKE~ und
Dipolieia erwähnt, wurden die Reste schließlich wohl doch verbrannt.
21 Ath. 137e, vgl. U. Anm. 48.
22 Totem, "ox-clan" Farnell I (1896) 58. Vegetationsgeist: W. Mannhardt,
Mythologische Forschungen (1884) 58-71; GB VIII 4-7. Stier = Zeus
Cook III (1940) 605-6, vgl. P. Philippson, Thessalische Mythologie (1944)
51-3.
23 (1946) 275-6.
160 III. Auflösung und Neujahrsfest
Skira
Der Zusammenhang, in den das Fest der Dipolieia damit gestellt
ist, greift noch weiter aus. Der letzte Monat des Jahres hieß in Athen
nicht Buphonion32, sondern Skirophorion, nach dem Fest ,Skira'33.
De Sciris ibo 322-37; E. Gjerstad, Das attische Fest der Skira, ARW 27
(1929) 189-240; Deubner (1932) 40-50; Burkert Hermes 94 (1966)
23-4; alle Quellen bei Jacoby zu FGrHist 328 F 14 (III B Supplement
286-9). Das Datum: Schol. Aristoph. Ekkl. 18.
34 Zwischen aufeinanderfolgenden Festen liegt oft ein leerer Tag (Prinzip in
Rom: Latte [1960] 199); auch bei den Thesmophorien ist der mittlere Tag
leer: N1lcrreicx, Vorbereitung des KcxAAlyevelcx-Opfers (Deubner [1932] 52).
35 Lysimachides FGrHist 366 F 3 = Harpokr. S. V. ~Kfpov, der Erwähnung von
~Kipov beim Redner Lykurgos (Fr. 47 B.-S.) fand. Schol. (R) Aristoph.
Ekkl. 18 ~Kfpcx eopT1l ECrT1V TfjS ~K1PO:SOS •A611vä:S ... 0\ Se ß1lIl11TPOS Kcxi
KOp11S. EV 1J 6 tepeus TOV • EpeX6sooS cpepel C1(10:Sel0v AevKov ... Die in beiden
Fällen gegebene Erklärung, der Sonnenschirm heiße O"Kipov (Assoziation
mit O"Klepov), ist unglaubhaft, da das Fest ~KtpCX heißt (Deubner [1932] 49)
und der Ort Skiron anders gedeutet wird: Paus. 1, 36, 4 (benannt nach dem
gefallenen Seher Skiros); Paus. 1, 37, 2 nennt dann ein ,Heiligtum der
Demeter und Kore', wo ,auch Athena und Poseidon(-Erechtheus) geehrt
werden'; hri ~Kip~ lepOTI01{CX T1S Strabo 9 p. 393. - Die (Eteo-)Butaden
stellen den Erechtheus-Priester, Toepffer (1889) 114-7; Sessel tepeoos
ßOtlTOV beim Erechtheion IG 1I/IIP 5166.
360d. 7, 81. Der Zustand der Akropolis zwischen dem Mykenischen Königs-
palast und dem ,Alten Tempel' des 6. Jh., der 480 verbrannte, ist nicht
restlos geklärt. Die Vermutung von eh. Kandaka Arch. Eph. 1960, 165-
202, das ,Haus des Erechtheus' samt Athena-Bild sei in einem mykenisch/
1. Skira 163
Skira-Prozession seltsam ,verkehrt': sie führt nicht hin zu diesem
heiligsten Heiligtum, sondern weg von ihm zu einem Ort an der
Stadtgrenze in Richtung Eleusis; dort ist ,Skiron'. Unter einem
Baldachin schreiten die Priester, herausgehoben, abgeschirmt, ab-
gekapselt; König und Stadtgöttin verlassen Athen, der Tempel
bleibt verwaist zurück. Daß der Priester der Sonne sie als dritter
begleitet, könnte eine hellenistische Neuerung sein; doch spricht sich
darin erst recht die Idee des Abschieds aus: Sommersonnenwende ist
vorüber, der Niedergang des Hellos hat eingesetzt; das Jahr neigt sich
dem Ende zu. Kaiser Elagabal, der syrische Sonnenpriester, feierte
um eben diese Zeit sein Hauptfest mit einer Prozession, in der der
Sonnengott von seinem Hauptheiligtum in der Stadt Abschied nahm
und in ein Heiligtum vor der Stadt übersiedelte37 • Beim Skiron ist
ein Heiligtum von Demeter und Kore und eines der Athena. Ein
Widderopfer, wie es im Korekult öfter bezeugt ist, muß bei den
Skira eine Rolle gespielt haben; denn die Geleiter, die Eteobutaden,
tragen das geheimnisvolle ,Widderfell des Zeus', .!lIes Kcflolov, in dem
der Komplex von ,Schuld' und Reinigung sich zu konkretisieren
scheint3B• Die spärlichen weiteren Nachrichten über das Fest gehen
darin überein, daß sie auf einen Tag der ,Auflösung' weisen, der
Verkehrung des Gewohnten. Sprichwörtlich verbunden mit dem
Skiron-Platz sind Würfelspiel und allerhand Unfug39 - dies ist die
Art, wie Männer sich die leere Zeit, die Fastenzeit40 vertreiben;
sammen; die Ehe von Erechtheus und Praxithea findet ihre Fort-
setzung in der Zusammengehörigkeit von Poseidon-Erechtheus-Kult
und Athena-Priesterin. In der Tat war diese stets eine reife, ver-
heiratete oder verwitwete Frau59 • In ihrer Verbindung mit Erech-
theus aber erscheint die Athena-Priesterin vor allem in der Skira-
Prozession: im Abschied von der Burg, im Weg in Richtung auf
Eleusis wiederholt sich jener Auszug des Erechtheus gegen die
Eleusinier, zum Skiron, in den Tod. Inmitten der ,Auflösung' des
letzten Monats steht, mythisch gesprochen, das geheimnisvolle und
doch gewaltsame Verschwinden des Urkönigs, der Königstod ; im
Ritual entspricht das Töten, das gesteigerte, unbehagliche Opfer mit
dem Spiel der Vertauschung und der besonderen Rollenverteilung,
die doch möglichst alle an ihrem Platz in den Kreis der Beteiligten
zieht. Daß zum Jahresende der König symbolisierend getötet wird,
ist also richtig, so wahr Opfer Tötungshandlungen sind.
Im Kult ist noch ganz deutlich, was auch Euripides ausspricht,
daß Poseidon und Erechtheus zwei Namen des gleichen Gottes sind:
ein Altar, der im Tempel selbst steht, dient beiden, ein Priester;
Opfer und Weihungen gelten "dem Poseidon Erechtheus((60. Der
Historiker wird feststellen, daß ein ,homerischer', gemeingriechischer
Göttername einen autochthonen, ungriechischen Namen überlagert
hat. Der Mythos differenziert die beiden als Sieger und Besiegten:
Poseidon mit seinem Dreizack gegen Erechtheus, der in die Tiefe
fuhr. Und doch läßt Euripides eben aus dem Konflikt eine paradoxe
Identität erwachsen: das Opfer nimmt den Namen des Gottes an,
Vernichtung wird zur Begnadung. Wo Mythographen Gott und Heros
reinlich trennten, sieht der Tragiker die Einheit in der polaren Span-
nung des Opfers. Die höhere, unzweideutige Macht aber ist auch hier
die der weiblichen Gottheit, der "Stadtherrin Athena((.
59 Plut. Numa 9,11; Kerenyi (1952) 20-1; aus dem Geschlecht der Eteo-
butaden: Drakon FGrHist 344 F 1 = Harpokr. 'ETeo!3ovTaScxt; Apollod.
3, 196; D. M. Lewis BSA 50 (1955) 1-12.
60 Paus. 1, 26, 5; lepevs nocretSoovos 'Epex6eos IG lI/lIP 3538; 4071; [Plut.]
Vit. X. or. 843bc; Athenag. 1; Weihung TIocretSovt 'Epex6ei IG I2 580, aber
Tc{) nocretSoo]vl Kcxi Tc{) 'Epe[x6ei lI/lIP 1146 vgl. 5058. Hsch. 'Epex6evs'
nocrelSoov sv 'A6';vCX1s. Cook III (1940) 12, 3.
1. Arrhephoria 169
A rrhephoria
61 Harrison (1922) 131-4; Deubner (1932) 9-17; Cook III (1940) 165-88;
Burkert Hermes 94 (1966) 1-25; Brelich (1969) 229-38. Das Datum,
3. Skirophorion "or thereabouts", ist von M. J ameson BCH 89 (1965) 157
aus dem Erchia-Kalender (LS 18) erschlossen, vgl. Hermes (1966) 5, 2;
ev ~K1P0<j>0pl&Vl ~11V{ Et. Gen. (R. Reitzenstein Ind. Rostock 1890/1, 15) f'-...J
Et. M. 149, 13.
62 Kallim. Fr. 520; Harpokr. o:pP11<j>opeiv; Et. M. 149,18; An. Bekk. I 202, 3;
Suda CX 3848; X 35; Aristoph. Lys. 641 mit Schol.; die Grammatiker notieren
die Divergenz der Schreibung O:PP11<j>opeiv und ePP11<j>opeiv, die Weihinschrif-
ten von der Akropolis haben mit 2 Ausnahmen nur epP11<j>op,;O'CXO'cxv; vgl.
ausführlich Hermes (1966) 3-6.
63 1, 27, 3; die Konjektur OVK es ö:1TCXVTCX(S) yvcbpl~CX ist durch 5, 18, 4; 9, 25. 6
(Hitzig-Blümner z. d. St.) gesichert (gegen Hermes [1966J 2, 1).
170 III. Auflösung und Neujahrsfest
Panathenäen
Die Panathenäen82 sind das Geburtsfest der Polis Athen, am
Ende des ersten Monats des attischen Jahres. Gewaltig waren die
Opfer zu diesem Fest, so daß danach der Monat Hekatombaion,
Monat der Hekatomben genannt war. Wenn der vorangehende Monat
die ,Auflösung' brachte, so vollzieht sich in den Panathenäen die
neue Gründung der Ordnung. Ungewöhnlich weit freilich ist die
Frist gedehnt, sind doch 45 Tage von den Skira bis zum Neujahrs-
fest. Die Situation der ,Auflösung' wird nochmals in anderer Weise
113 A. Alföldi, Die troianischen Urahnen der Römer (1957) hat gezeigt, daß die
Tradition mindestens ins 5. Jh. v. Chr. zurückgeht.
114 Die Griechen haben später gelegentlich Sovpe1oS hnros mit , Speer' asso-
ziiert, Eur. Tro. 14; doch im ältesten literarischen Zeugnis, Od. 8, 493;
512 ist die Vorstellung vom ,Hölzernen Pferd' längst fixiert.
116 PI. Resp. 359c-60b, dazu W. Fauth RhM 113 (1970) 1-42; das Pferd der
Gygessage ist mit dem Troianischen Pferd zusammengestellt von P. M. Schuhl
RA 7 (1936) 1,83-8; G. M. A. Hanfmann HSCPh 63 (1958) 76-79; Fauth 22.
Vgl. auch G. Dumezil, Le probleme des Centaurs (1929) 274; N. Yalouris
MH 7 (1950) 65-78.
116 über 'ETa{PTlS ~.lVfllJa Klearchos Fr. 29 Wehrli=Ath. 573a; Strabo 13p. 627;
Fauth 38; vgl. auch W. Fauth, Aphrodite Parakyptusa, Abh. Mainz 1966, 6.
117 Neanthes FGrHist 84 F 9 = Ath. 572ef. Aphrodite 'ETa{pa in Ephesos
Ath. 572e; in Athen: Hsch. Phot. 'ETa{pas tepov.
118 Xen. Hell. 5, 4, 4-6; nicht bei Plut. Pelop. 19, Gen. Socr. 577c; darum ist
kontrovers, ob das Thebanische Aphroditefest historisch ist, ob es sich
2. Argos und Argeiphontes 181
disia zum Abschluß ihres Amtes; im Gewande von Hetären aber
ließen sich die Verschwörer einschmuggeln, die dann, sich ent-
schleiernd, die Ahnungslosen niederstießen. Xenophon erwähnt kurz
eine andere, realistischere Tradition, gibt aber den Vorzug der
mythischen Version, die die erschütternde Peripetie in den Rahmen
des ,Auflösungsfestes' stellt.
Besonders merkwürdig ist die Sage, die die Gründung von
Erythrai durch Knopos, Sohn des Kodros, in Form einer Eroberung
erzählt119 : Knopos hat eine Hekatepriesterin aus Thessalien mit-
geführt, die angesichts der Feinde, der bisherigen Erythräer, ein
Stieropfer bereitet. Die Hörner des Tieres werden vergoldet, er wird
mit Binden geschmückt und zum Altar geführt. Doch hat man ihm
ein Wahnsinn erregendes Mittel eingegeben: Plötzlich reißt der Stier
sich los und rennt, laut brüllend, hinüber zu den Feinden. Sie fangen
ihn ein und opfern ihn ihrerseits, sie halten den Festschmaus mit
seinem Fleisch. Da werden sie alle vom Wahnsinn erfaßt, und sie
fallen nun leicht den angreifenden Kodriden zur Beute. Die Opferer
und Esser müssen den Enthaltsamen, den Aggressiven unterliegen.
Die Opfer-Verschuldung bedeutet Ende und Untergang - der
anderen, über die man den Sieg der jeweils eigenen Ordnung
triumphieren läßt.
4 Schol. Pi. Nem. 10 inscr.; Schol. Pi. 01. 7, 152cd; Schol. Pi. 01. 9, 132a;
Schol. Pi. Py. 8, 113c; Schol. Pi. Nem. 10, 35; 39. Nilsson (1906) 42-5.
A. Boethius, Der argivische Kalender, Uppsala Universitets Arsskrift 1922,
1 konnte wahrscheinlich machen, daß die Heraia in den Monat Panamos
fielen (66); daß dies der erste Monat des Jahres war, zeigt überraschend eine
Inschrift, P. Charneux BCH 81 (1957) 200; 82 (1958) 7.
6 Hdt. 1, 31; die Statuen: Lippold (1950) 25; SIG 5; vgl. Paus. 2, 20, 3; Münzen:
Imhoof-Blumer (1885) 37; T. K XXXIV; M. Guarducci Studi U. E. Paoli
(1955) 365-76. Vgl. auch Palaiphatos 51 und Aen. Tact. 17.
6 Kallim. Fr. 66; Agias und Derkylos FGrHist 305 F 4. Demetrios Poliorketes
feierte Hochzeit an den Heraia, Plut. Dem. 25.
7 Ö T' EV "ApYEl XCXAKOS Pi. 01. 7, 83; ayoov 6 XO:AKEOS Sä~ov OTPVVEI lTOTl
ßov6vO'{cxv "HpcxS ae6AOOv TE Kp{O'lV Pi. Nem. 10, 22-3; Schol. Pi. 01. 7, 152
vgl. Schol. Pi. Nem. 10,39; König Nikokreon stiftete Erz, Kaibel Epigr.
846 = IG IV 583; im Stadion an der Aspis, Paus. 2,24,2; Myrtenkranz
Schol. Pi. 01. 7, 152c; Münzen Imhoof-Blumer (1885) 41, mit Schild und
Kranz; Sieger-Inschriften: TTjV E~ .,ApyovS aO'lT{Scx I G II/IIP 3162; 3169;
3158; IV 589; 590; 591; 597; 611; V 1,658; VII 49; XIV 739; 746; 747;
1102; 1112; SIG 1064,9. In der Kaiserzeit wurden auch die Nemeen in
Argos gefeiert, Paus. 2, 24, 2 und die Münze Imhoof-Blumer (1885) 33 mit
der Aufschrift NEMEIA HPAIA.
8 Plut. 1, 44 (Paroemiogr. Gr. I 327) r-..J Zenob. 2, 3 (132); Diog. 1, 92 (I 195):
Apostol. 3, 27 (11 292); Diog. 1, 53 (11 9); Makar. 8, 23 (11 217).
184 III. Auflösung und Neujahrsfest
des Festes die Initiation der waffenfähigen Epheben, die auch im Agon
sich vollzieht. Wo dieser Schild aufbewahrt und für die Prozession
,heruntergenommen' wurde, ist unbekannt; nur daß er der Hera
heilig war, steht fest. Sprichwörtlich war die Redensart: "stolz wie
einer, der den Schild in Argos abgenommen hat"9. Ein Mythos erzählt,
Lynkeus habe diesen Schild seinem Sohn Abas übergeben, als dieser
ihm den Tod des Danaos gemeldet habe1o : damit wurde Lynkeus
König von Argos, gestützt auf die gewappnete Jungmannschaft. Der
neue König nach dem Tode des alten, die Schildübergabe an den Sohn,
dies ist die Situation des Neujahrsfestes, die die Heraia mit den Pan-
athenäen gemeinsam haben; die Namensgleichheit Hekatombaia-
Hekatombaion ist kein Zufall. Der Mythos macht Lynkeus' Gattin
Hypermestra zur Herapriesterinl l : die Neuordnung der Polis Argos
steht im Machtbereich der Hera Argeia.
Wenn die Heraia ein Neujahrsfest sind, müßte auch ein Fest der
,Auflösung', vielleicht ein Stieropfer, vorausgegangen sein. Davon
sprechen in Argos allenfalls Andeutungen: Pausanias nennt ein ,Was-
ser Eleutherion' beim Weg ins Heraheiligtum, das die Priesterinnen
dort "für Reinigungsopfer und für die geheimen unter den Opfern ver-
wenden"12; es gab also ,unsagbare' Opfer, für die von dieser be-
stimmten Quelle Wasser heraufzutragen war. Varro erwähnt einen
argivischen Heros, der dem attischen ,Ochsenanschirrer' , Buzyges,
entspreche, mit dem Namen ol-l0yvPO$, ,der mit im Kreis geht'13; man
wird an das ,Herumtreiben' der Buphonienstiere um den Altar des
Zeus erinnert, zumal Buzyge und Ochsenopfer ihrerseits aufeinander
bezogen sind. Aber angesichts der Vielzahl paralleler Kulte in einer
Polis ist keine Kombination zu sichern. Weiter aber führt der Mythos.
Wie die attischen Buphonia als ein Ur-Verbrechen geschildert werden,
9 Zenob. 6, 52 (I 175) = Bodl. 959, Suda 00 245. - Auch der Schild des
Euphorbos wurde im Heraion gezeigt, Paus. 2, 17, 3, Nikomachos Porph.
V. Pyth. 27 = Iambl. V. Pyth. 63.
10 Hygin. fab. 170 clipeum quem Danaus consecraverat Iunoni ... refixit et
donavit Abanti ludosque consecravit qui quinta quoque anno aguntur, qui
appellantur a(jnis ev Apyel (also Ursprungsmythos des Heraia-Agons; fehlt
N
bei Nilsson [1906] 42-5); ähnlich Hygin. fab. 273. Vgl. Servo auct. Aen. 3,286.
11 Euseb. Hieron. a. Abr. 582, nach Hellanikos, Jacoby FGrHist I a 455.
12 Paus. 2, 17, 1. - Unsicher ist, ob das Bad der Hera in der Quelle Kanathos,
das sie wieder zur Jungfrau macht (Paus. 2, 38,,2-3; Hpcx TTcxp6ev{cx
fI
Schol. Pi. 01. 6, 149g), zum Heraion gehört; Hera Akreia in Argos: Agias
und Derkylos FGrHist 305 F 4, Kallim. Fr. 65, Paus. 2, 24, 1.
13 Varro bei Aug. civ.18, 6; r. r. 2, 5, 4.
2. Argos und Argeiphontes 185
das eine ,goldene', vegetarische Zeit beendete, so weiß auch der
argivische Mythos von einem Ur-Verbrechen, von dem ersten Mord,
der unter Göttern geschah: es ist die Tötung des Argos durch Hermes,
Argos, der 10, die Geliebte des Zeus, in eine Kuh verwandelt, im Hei-
ligtum der Hera hütete14• Zum Heraion also gehörte diese epoche-
machende Gewalttat. "Als Hermes auf Befehl des Zeus den Argos,
den Wächter der 10, getötet hatte, wurde ihm der Prozeß gemacht.
Hera und die anderen Götter stellten ihn vor Gericht, weil er als erster
von den Göttern die Befleckung des Todes auf sich geladen hatte. Als
die Götter nun zu Gericht saßen, da scheuten sie sich vor Zeus, da
doch Hermes seinem Befehl unterstellt gewesen war; zugleich wollten
sie die Befleckung von sich abschieben und den Gott vom Mord frei-
sprechen: erregt wie sie waren, warfen sie gegen ihn die Stimmst eine,
und so wurde vor den Füßen des Hermes ein Steinhaufen aufge-
türmt" - so Antikleides nach Xanthos dem Lyder15•
Der Töter wird frei durch die symbolische Steinigung; die primi-
tiven Steinhaufen, in denen Hermes zugegen ist, zeugen von dem
ersten Blutvergießen und seiner Überwindung16• Hermes ist der Er-
finder des Opfers auch im homerischen Hermeshymnos, wo er ßov<p6voS
genannt wird17 • Daß Hermes seinen Beinamen Argeiphontes eben von
der Tötung des Argos gewonnen hat, steht für die Griechen mindestens
seit den Hesiodeischen Katalogen fest. Der Zweifel der Modernen an
dieser Namensdeutung18 kommt, neben dem Problem der Wortbildung,
doch vor allem davon, daß die ,Argostötung'als geringfügig und neben-
sächlich genommen wird. Der Mythos gibt dieser Tat eine andere
Dimension: das erste göttliche Blutvergießen, das erste Opfer also,
umgeben von einer typischen, Unschuldskomödie' mit Gericht, Ver-
urteilung, scheinbarer Steinigung. Auf Tenedos, beim Opfer eines
Kalbs zu Ehren des Dionysos Anthroporrhaistes, werfen die Beteiligten
auf den, der getötet hat, mit Steinen, "um die Befleckung von sich ab-
zuschieben"19; Aischylos' Metapher vom e0l-lcx ÄevO"lI..lOV, dem "Opfer,
das Steinigung nach sich zieht", läßt ahnen, daß derartiges häufiger
war20 . Vor allem erinnert die Gerichtskomödie an die attischen
Buphonia. Dort, in Athen, sind es die Nachkommen des Hermes, die
eleusinischen Keryken, die den Stier töten. Entsprechend spiegelt die
Tat des Hermes Argeiphontes, des ,Töters in Argos' , ein argivisches
Buphonienritual.
Tatsächlich hat der Mythos Argos, den ,Rinderhirten', dem Stier
so weit wie möglich angenähert: "Argos hatte den Stier getötet, der
Arkadien verwüstete, und bekleidete sich mit dessen Haut"21. An-
getan mit der Stierhaut zeigen ihn mehrere Vasenbilder. Der Besieger
des Stiers wird, mit der Haut des Opfers umhüllt, gleichsam selbst
zum Stier, um dann vom ,ochsenmör der , Hermes eingeschläfert und
zu Tode gebracht zu werden, durch einen Steinwurf, wie der Mythos
sagt 22 , so daß die folgende Steinigung Gleiches mit Gleichem vergalt;
zum Stieropfer gehört die Axt, die die Steinaxt fortsetzt.
Durch den lo-Mythos steht die Tat des Hermes wiederum im
Zusammenhang eines vorbereitenden Mädchendramas. Die Königs-
tochter 10, die Geliebte des Zeus, ist im Machtbereich der Hera ein-
geschlossen, im Heraion von Argos bewacht, an den heiligen Ölbaum
gefesselt23 . Mit dem Tod des Argos zerreißen diese Bande: hinaus in
keiten (vgl. A'iOAOS zu AioAEis), wohl aber die Wortbildung. Vielleicht geht
das epische Beiwort vom Lokativ (Il. 6, 224; 14, 119; Od. 4, 174) aus, ,in
Argos glänzend', dann der ,Mörder in Argos'. Seit der Ilias ist das Hinter-
glied sicher als ,Täter' verstanden (wie avSpElcpOVTflS, nOAVcpOVTflS).
19 Ael. nato an. 12, 34; U. Kap. In 4 Anm. 20.
20 Aisch. Ag. 1118; Burkert (1966) 119.
21 Apollod. 2, 4; Schol. Eur. Phoin. 1116; Vasenbilder mit Argos in Stierhaut:
sf. Amphora BM B 164 = ABV 148, 2, Cook In (1940) 632; rf. Hydria
Boston 08. 417 = ARV 2 579, 84, Cook In 633; rf. Krater Ruvo, J atta 1498 =
ARV2 1409, 9, Cook I (1914) 460; Katalog der Argos-Darstellungen: R. Engel-
mann JdI18 (1903) 37-58.
22 Apollod. 2, 7.
23 Apollod. 2, 6; Plin. n. h. 16, 239; vgl. sf. Amphora München 573 J. = Cook
2. Argos und Argeiphontes 187
die Weite flieht die Kuh, vom Stachel der Bremse in alle Fernen ge-
hetzt. Eine doppelte Realität des Kultes scheint hinter dem Spiel des
Mythos mit Königstochter und Kuhgestalt zu stehen: 10 ist Hera-
priesterin, wie schon in Hesiods Katalogen stand. Die Priesterin hat
ihren Platz im Heiligtum, sie wacht dort über die immer brennende
Lampe 24 - auch dies eine Gemeinsamkeit von Heraion und Erech-
theion -. Doch wenn beim Fest der Heraia die Priesterin in feier-
lichem Zug von Argos zum Heiligtum geleitet wird, hat sie dieses vor-
her verlassen, in einem Akt der ,Auflösung'; ist auch die Lampe so
lange erloschen? Schärfer, drastischer wird das Drama auf der Tier-
Ebene durchgespielt: wie der Stier im ,unsagbaren Opfer' fällt, werden
die Kühe seiner Herde herrenlos; von den ,Rindern des Argos', die
,der Hera heilig waren', erzählte man in Argos, ,Euboia' aber hieß der
Hügel, an dem das Heraion lag25 ;.sie sind ,freigelassen', um fürs Opfer
eingefangen zu werden. Beim Tod des Stieres wird - so ist aus dem
Mythos zu schließen - eine Kuh ,wie wahnsinnig' davongejagt. Dem
Fest der Hekatompen freilich entgehen auch die angeblich wilden
Kühe nicht.
Die Prozession der Heraia antwortet auf das Stieropfer der ,Auf-
lösung' noch in besonderer Weise durch ihre charakteristische Eigen-
tümlichkeit, das Tragen des heiligen Schildes. Zwar handelt es sich
in historischer Zeit, wie Pindar bezeugt, zumindest bei den im Agon
gewonnenen Schilden um Bronzeschilde, um Hoplitenschilde des Typs,
wie sie seit etwa 700 v. ehr. üblich sind. Das Ältere aber ist der große
Schild aus Stierhaut, der mit dieser seiner Herkunft vom Rind so
unmittelbar verbunden war, daß in einem auch sprachlich sehr alter-
tümlichen Homervers der Schild einfach mit dem indogermanischen
Wort für ,Rind' bezeichnet wird: ßOOV26 • Das Rind muß getötet wer-
den, will man den Schild gewinnen; eben in dieser Gestalt aber, als
III T. 49, 1; rf. Stamnos Wien 3729 = ARV 2 288, 1, Cook III T. 49, 2.
-10 war Priesterin der Hera, Hes. Fr. 124 M.-W. = ApolIod. 2, 5; 1<A1JOOO-
xov "Hpo:s Aisch. Hik. 291; Hellanikos, ]acoby FGrHist I a p. 455.
24 Paus. 2, 17, 7 vgl. 3, 15, 6.
25 Paus. 2, 17, 1; vom ,Weiden' der Rinder des Argos etymologisierte man
den Namen Nemea, Arrian FGrHist 156 F 16 = Et. M. 176,33 (es wäre
verlockend, den hier genannten Altar des Zeus Aphesios eben mit CX<pETO:
s0o: - o. Kap. I 2 Anm. 20 - zu verbinden); Luk. Dial. Deor. 3; Et. M.
600, 23; Schol. Pi. III 3, 23 Drachmann. - Eine Pferdeherde, die der Hera
heilig war, erwähnt Diod. 4, 15, 4; sie bestand bis zur Zeit Alexanders.
26 11. 7, 238; vgl. A. Snodgrass, Early Greek armour and weapons from the end
of the Bronze Age to 600 B. C. (1964) 37-68; 170-1.
188 111. Auflösung und Neujahrsfest
aufgespannte Haut, führt der ßoOS eine neue Existenz, wird ver-
läßlichster Kampfgenosse des Kriegers, schützende Haut vor der
eigenen Haut. So sichert der tote Stier den Lebenden; so tritt der
dem Knabenalter Entwachsene, indem er den Schild aufhebt, in den
Schatten und den Schutz des Toten. Der gewappnete Krieger ist in-
sofern selbst in der Rolle jenes Argos, der den Stier erlegte, um sich
dessen Haut umzulegen.
Argos der Rinderhirt ist damit in gewisser Weise Verkörperung
von Macht und Ordnung von Argos der Stadt: der Herr der Herde, der
Herr der Landschaft, der den Namen eben dieser Landschaft selber
trägt. Der Mythos macht Argos zum Gegenspieler des Zeus; daß er bei
alle dem diesem Zeus selbst ganz eng angenähert wird, hat man seit
langem gesehen 27 : Argos heißt Panoptes, der "alles sieht", ebenso wie
Zeus, der allwissende Himmelsgott, als Zeus Panoptes angerufen
wird; Mythographen beschreiben Argos mit 4 Augen, oder auch mit
3 Augen, so wie es ein Zeusbild mit 3 Augen gerade in Argos gab 28 .
Ein Bild des Alls sehen die Dichter in den unzählig vielen Sternaugen
des Argos29, wie Zeus das All ist. Die DoppeIgesichtigkeit des Argos
erinnert zudem an Mythen von Doppelwesen, die getötet, zer-
schnitten werden mußten, damit diese unsere Welt entstehen
konnte3o • Argos ist, im Rahmen der Stadt Argos, geradezu Verkörpe-
rung des ,Kosmos" der umgreifenden Ordnung. Eben um zu bestehen,
muß diese Ordnung durch den Tod besiegelt sein; sie wird aufgelöst
um der neuen Begründung willen. Argos wird getötet, im ,unsagbaren'
27 PR I 396,1, kritisch Ed. Meyer, Forsch. z. alten Gesch. I (1892) 72; 6) Ze\i
TICXVOTITCX Aisch. Eum. 1045. Altar ilIFO:L TTANOTITA in Argos BCH 33
(1909) 445. Cook I (1914) 457-62; 111 (1940) 631.
28 Argos mit 4 Augen: [Hesiod] Aigimios Fr. 294 M.-W.; doppelköpfig auf
Vasenbildern, sf. Amphora BM B 164 (0. Anm.. 21), Glockenkrater aus Ruvo,
Genua 1145 = ARV2 1054, 48, Cook 11 (1925) 380. - Marduk hat 4 Augen
und 4 Ohren: Enuma Elis ANET 62. - Argos mit 3 Augen: Pherekydes
FGrHist 3 F 66 (das dritte am Hinterkopf). Zeus mit 3 Augen (das dritte
auf der Stirn), angeblich der Zeus Herkeios des Priamos, im Tempel des Zeus
Larisaios in Argos: Paus. 2, 24, 3.
29 Eur. Phoin. 1116-7 TCx lJeV cruv CXO"TPOOV E1TlToi\cxicrlV ÖIJIJCXTCX ßi\ETIOVTCX TCx
Se l<ptI1TTOVTCX Svvov-roov IJETCX.
80 Wenn Verrius (Festus 52 M.) und Ovid fast. 1, 103-14 Ianus dem dann ge-
teilten Chaos gleichsetzen, wenden sie auf Ianus eine kosmogonische Idee an,
die schon hinter der Anthropogonie in Platons Symposion (189d-193d) steht.
Im Neujahrsfest von Philadelphia tritt als Doppelkopfmaske ,Saturnus' auf,
Repräsentant der ,Auflösungsperiode' vor dem Neuanfang, Lydos mens. 4, 2
p. 65 Wuensch.
3. Agrionia 189
Opfer des Stiers, damit die jungen Krieger den ,heiligen' Schild auf
ihre Schultern laden können und so die Ordnung der Stadt weiter-
tragen, in die Zukunft hinein wie Aeneas,
attollens umeris famamque et fata nepotum31 •
3. Agrionia
Im Mythos von Argos ist der Tod des Argos der Anlaß, daß 10,
die Königstochter, als wahnsinnige Kuh in die Ferne gehetzt wird.
Königstöchter, die in ihrem Wahn gleich Kühen durch die Wälder
und Berge irren, sind erst recht bekannt durch den Mythos aus Argos'
unmittelbarer Nachbarschaft, aus Tiryns, wo König Proitos herrschte.
Auch hier wirkt Hera, Hera von Tiryns, deren kleine Sitzstatue aus
Birnbaumholz als eines der ältesten, ehrwürdigsten griechischen
Götterbilder galt; als Argos Tiryns zerstörte, wurde das Bild ins ar-
givische Heraion überführt, wo es noch Pausanias auf einer Säule auf-
gestellt sah. "Unbedeutend" erschien es dem Periegeten1 , und schon
im 5. Jahrhundert hatte man so empfunden, als man erzählte, Proitos'
Töchter hätten dieses armselige Bild verspottet und sich so den Zorn
der Göttin zugezogen2 • Auch andere Motive für den Zorn Heras
waren denkbar; jedenfalls war es die Begegnung mit Hera in ihrem
Heiligtum, die die tirynthischen Königstöchter jäh aus ihrem wohl-
behüteten Dasein riß. "Umherschweifenden Wahnsinn" (i]AocruVll)
erregte die Göttin in ihnen, erzählten die hesiodischen Kataloge3 ,
sie brachen aus Heiligtum und Stadt aus und irrten über die ganze Erde
hin; von "aller möglichen Unschicklichkeit"4 sprach man, von scham-
loser Entblößung, und von ihrem Wahn, daß sie sich für Kühe hielten
und muhend die Peloponnes durchzogen 6 • Die älteste Quelle, die Kata-
loge6 , geben ein etwas anderes Bild: "um ihrer häßlichen Lüsternheit
willen vernichtete die Göttin ihre zarte Jugendblüte": "Über den
Kopf ergoß sie ihnen gräßlichen Aussatz, weißes Ekzem überzog die
ganze Haut, die Haare waren ausgefallen vom Kopf, kahl waren ihre
schönen Häupter". Sexuelle Gier und Widerlichkeit wie von Krank-
heit und Alter: es ist die radikale Antithese zum Bild der lieblichen,
sittsamen Jungfrau, das Bild vom Hexensabbath. Vergleichbar ist der
Mythos von Pandareos' Töchtern, auf den die Odyssee anspielt: ihre
Mädchenzeit, die unter dem Schutz von Athena und Artemis steht,
findet ein jähes Ende; kurz vor der Hochzeit werden sie von Harpyien
entführt und den "verhaßten Erinyen" zu Dienerinnen gegeben 7 •
Auch die in der Wildnis schweifenden Proitiden sind zu erinyenhaften
Wesen geworden.
Affektierte Widerlichkeit fanden die athenischen Interpreten bei
den sich zusammenrottenden, knoblauchessenden Weibern der Skira8 ;
die Weiberherrschaft in der Komödie des Aristophanes, die Ver-
wirklichung des an den Skira gefaßten Plans ist beherrscht vom Bild
der lüsternen Vettel. Alter, Häßlichkeit, Sprengen der Sitte, ,Aus-
schweifung' aller Art gehören zusammen zur Phase der ,Auflösung',
im athenischen Ritus wie im Proitidenmythos. Auch dieser spiegelt
demnach vermutlich ein weiberbündisches Ritual. Die Beschreibung
der gräßlichen Verwandlung der Proitiden ist von realen Krankheiten
hergenommen; doch Imitation der Symptome findet sich im Ritus,
der in der Tat Jungfrauen mit weißem Schorf bedeckt auftreten läßt.
18 ApolIod. 2, 29; Schol. Pi. Nem. 9, 30; Paus. 2, 18, 4; PR II 252. Nur Pindar
(Paian 4, 28-35) läßt Melarnpus das Königtum ablehnen.
19 o. Kap. III 2 Anm. 6.
20 Apollod. 2, 29; Grab der Iphinoe mit Inschrift vom Marktplatz von Sikyon:
Praktika 1952, 394-5 = SEG 15 (1958) Nr. 195. Dramatische Bilddar-
stellung der Reinigung der Proitiden durch Ferkelopfer : Krater von
Canicattini, Boll. d' Arte 35 (1950) 97-107, E. Langlotz-M. Hirrner, Die
Kunst der Westgriechen (1963) 24, Trendall (1967) 602 nr. 102, AK 13
(1970) 67; T. 30,2; dazu eine Vase aus Neapel (H.1760) und ein Carneo,
RML II 2573. Zur ,Reinigung' durch Melampus vgl. auch Alexis Fr. 112
(CAF II 337); Diphilos Fr. 126 (CAF II 577); 6vaiCXlS 'Te arropprrrolS Kai
Ka6O:PIJoiS Paus. 8, 18, 7.
13 Burkert, Homo Necans
194 III. Auflösung und Neujahrsfest
Nur eine Glosse Hesychs gibt einen Hinweis darauf, daß die Pro i-
tidensage in Argos mit einem Fest verbunden war: "Agrania, Fest in
Argos, zu Ehren einer der Proitostöchtertt 21 • ,Ehrung t einer Heroine
setzt ihren Tod voraus; das Fest gilt also der von Melampus und seinen
Epheben getöteten, geopferten Iphinoe. Zugleich notiert Hesych:
"Agriania: Totenfest bei den Argivern tt • Beim Totenfest, Nekysia,
schwärmen die Seelen, die Masken aus, fordern für eine begrenzte Zeit
ihr Recht, um dann wieder dem normalen Leben zu weichen; man
,versöhnt t sie, um vor ihnen fortan Ruhe zu haben; oft werden sie in
aller Form verjagt 22 • Mit dem Tod der Proitostochter bei jener wilden
Jagd fand die mythische Ausnahmeperiode ihr Ende; eine Ausnahme-
zeit kehrt alljährlich wieder, ,zu ihren Ehrent, um überwunden zu
werden. Auch die Antithesis des Todes muß helfen, die Thesis des
Lebens zu begründen.
Agriania, Agrionia ist einer der verbreitetsten griechischen Fest-
namen, der vielerorts auch einem Monat, Agrionios, den Namen ge-
geben hat 23 • Besonders dicht sind die Zeugnisse in Böotien, und von
dort hat der Böotier Plutarch auch einige charakteristische Einzel-
heiten des Rituals überliefert, zu dem in Orchomenos ein dem Proi-
tidenmythos genau parallel laufender Mythos erzählt wurde. Freilich
ist in Böotien Dionysos ganz in den Vordergrund getreten, man erzählt
von Dionysischer Epiphanie und Dionysischer Raserei, wie im Kult
der Dionysospriester die zentrale Rolle spielt.
21 ' Aypavta' EOpTTJ ev "Apyet, hrl J.,lt~ T&V npohov 6vyaTepoov. - ' Ayptavta'
veKVata TI'apa ' Apye{otS Kat ayooves ev 9iJßatS.
22 u. Kap. IV 3.
23 Nilsson (1906) 271-4, der das Fest als ,Versammlung' der Toten parallel
den Anthesterien verstehen möchte; näher liegt doch Verbindung mit
äyptoS, *'Ayptaoov (Thrakerstamm 'Ayptcxves Hdt. 5, 16). Agrionia Theben:
o. Anm. 21; IG VII 2447; L. Robert BCH 59 (1935) 193-8 (zu Ehren von
6tovvaos Ka5J.,leios); Orchomenos: Plut. q. Gr. 299f; Chaironeia: Plut. q.
symp. 717a; I G VII 3348 etc.; Monatsname ' AyptoovtoS auch Oropos:
IG VII 247,18; SEG 24 (1969) Nr. 343; Lebadeia: IG VII 3082; 'Ayptavtos
Rhodos, Kameiros: LSS 94; 99; Peraia: LSS 110; Lindos: IG XII 1, 906
= LS 141; IG XII 1,1066,1077 etc.; Kos: Hippokr. Epid. 7, 4 (V 372 L.),
R. Herzog, Abh. Berlin 1928, 6, 49-50; Melite: IG IX 2, 206b 7; Epidau-
ros: IG IV 12 109 II 13; 112, 27; Messene: LS 64,7; Sparta: IG V 1,18 B 8;
'Ayeppavtos Eresos (vgl. neppaJ.,lOS statt Priamos Alkaios 42,2 LP): IG XII
2, 527, 27; 45; 6tovvaos OOJ.,lT)aTTJs Kat ayptoovtoS Plut. Anton. 24, 5; , Aypt-
oovla Kat NVKTeAla Plut. q. Rom. 291a. In Kos ist Agrionios der erste Monat
des Jahres, im Spätherbst (Herzog a. 0.).
3. Agrionia 195
Orchomenos, die Stadt des Minyas, ist wieder ein Ort mit beson-
ders alten Traditionen. Des Minyas Töchter24 sind es hier, die vom
Wahnsinn bis zum Kindermord getrieben werden, ehe die Wildheit der
Frauen in einer nicht weniger wilden Verfolgung untergeht. "Allein
enthielten sich der dionysischen Tänze die Töchter des Minyas, Leu-
kippe, Arsippe und Alkathoe ... Dionysos aber ergrimmt. Und sie
waren an ihren Webstühlen beschäftigt, sie arbeiteten im Dienst der
Athena Ergane so recht um die Wette. Da plötzlich schlängelten sich
Efeu- und Weinranken um die Webstühle, in den Wollkörben nisteten
Schlangen, von der Decke träufelten Tropfen von Wein und Milch"25.
Die Epiphanie des Dionysos bringt dionysischen Wahnsinn: "Da
warfen sie Lose in ein Gefäß, und die drei losten. Und als das Los der
Leukippe heraussprang, gelobte sie laut, dem Gott ein Opfer zu brin-
gen, und sie riß Hippasos, ihren Sohn, zusammen mit ihren
Schwestern in Stücke lC26 , "wie ein Rehkitz"27; "und dann stürmten
sie hin zu den ursprünglichen Mänaden. Die aber jagten sie von sich
wegen ihrer Mordbefleckung. Da wurden sie zu Vögeln"28, zu Eulen
und Fledermäusen, den Tieren der Nacht.
Das ,unsagbare Opfer' (60l-\cx) , auf dem Höhepunkt des Wahn-
sinns dargebracht, ist hier ganz das dionysische Zerreißungsopfer.
Mänaden mit zerrissenen Rehkitzen haben die Vasenmaler öfters dar-
gestellt 29 . Das Gräßliche führt zur Diastase: der dionysische Schwarm
teilt sich in zwei Gruppen angesichts dieser ,Tat', die ,Ursprünglichen',
Reinen weisen die Befleckten von sich. Der Mythos blendet ab mit
der Metamorphose, in der die Situation von Flucht und Verfolgung
zum bleibenden Naturbild fixiert ist: stets sind die Wesen der Nacht
gehaßt und verfolgt von den Vögeln des Tages.
13*
196 II!. Auflösung und Neujahrsfest
31 o. Kap. III 1 Anm. 87; vgl. auch den Sieg des Melanthios über Xanthos
(dazu P. Vidal-Naquet Proc. Cambridge Philol. Soc. 14 [1968] 49-64).
32 q. symp. 717a.
33 Gräber der "AAlen Paus. 2, 22, 1; Grab der Xope{cx Paus. 2, 20, 4; Tempel
des Dionysos Kresios mit dem Grab der Ariadne Paus. 2,23, 7-8 mit
Berufung auf Lyseas (FGrHist 312 F 4); unklar ist, was Deinarchos von
Delos im einzelnen erzählte, FGrHist 399 F 1, doch sprechen die Testi-
monien vom Tod des Gottes (vgl. o. Kap. II 5 Anm. 41); nach Schol. T H.
14,319 warf Perseus Dionysos in den Lerna-See. Nonnos 47, 475-741 hat
die Perseus- mit der Melampusversion verquickt; inwieweit er Euphorion
folgt (Fr. 18 Powell), ist unsicher.
198 III. Auflösung und Neujahrsfest
34 Il. 6, 130-40; Eumelos, Europia Fr. 10 Kinkel = Schol. All. 6, 131; dann
die Lykurgie des Aischylos, Fr. 69-100 Mette; Soph. Ant. 955-65;
Hygin. fab. 242; 132; Apollod. 3, 34-5; Dionysoshymnus bei Page,
Literary Papyri (1941) 520-5 = Fr. 56 Heitsch, Die griech. Dichter-
fragmente der röm. Kaiserzeit (1963); PR I 688; Vasenbilder: Brommer
(1960) 355; Mosaiks: P. Bruneau, C. Vatin BCH 90 (1966) 391-427; ein
neu es aus Trikka: BCH 92 (1968) 867-8. - Ob ßOUlTAll~ Il. 6, 135 Axt
(vgl. Leonidas Anth. Pal. 9, 352) oder Peitsche sei, war umstritten, vgl.
Schol.T.
35 Nilsson I (1955) 565; 611-2; Harrison (1922) 369; Rohde (1898) II 39-43
deutet so Proitiden- und Minyadenmythos, will aber Lykurgos ausnehmen
(40, 2). Daneben war die naturmythologische Deutung beliebt, Lykurgos als
Vertreter des Winters (PR I 687-8) oder der Sommerglut (Rapp RML II
2203) gegen den Vegetationsgeist.
36 Vgl. W. F. Otto (1933) 100 zum Opfer von Tenedos (u. Kap. III 4 Anm. 20):
"Der Sinn des Mythos ist, daß der Gott das Furchtbare, das er tut, selbst
erleidet".
3. Agrionia 199
Festes, dessen Phasen auch nach polaren Göttern benannt werden
können. Die Minyaden, die Dionysos widerstrebten, werden seine
Priesterinnen, die ihm zu Ehren das schauerliche Opfer vollziehen;
diejenigen, die die Minyaden verjagen, sind ihrerseits dionysische
Mänaden. Pentheus, der Feind des neuen Gottes, wird selbst als
Dionysos kostümiert 37 , um zum Zerreißungsopfer der wahnsinnigen
Bacchantinnen zu werden. Auch Lykurgos wird in einer Fassung des
Mythos zum dionysischen Zerreißungsopfer. Die Rollen im Rahmen
des Rituals schlagen ineinander um. Manche haben, wie Strabon er-
wähnt, überhaupt Dionysos und Lykurgos einander gleichgesetzt 3B •
Noch ein kaiserzeitliches Dionysosmosaik39 stellt Lykurgos, wie er
mit der Axt die Tochter erschlägt, ins Zentrum. Auch diese Gewalt-
tat ist ein Dionysos-Opfer.
Die Amme des Dionysos, mit der Axt verfolgt, und der Sprung
ins Meer, diese Motive bestimmen auch den anderen Dionysos-Mythos,
den das homerische Epos kennt, den Mythos von Ino-Leukothea. Sie,
die Kadmostochter, die "jetzt" im Meer als Göttin Ehre genießt,
rettet Odysseus mit ihrem Schleiertuch40 . Die Verwandlung der
Königstochter zur Göttin wird stets mit der Dionysosgeburt in
Theben verknüpft: Ino hat das Dionysoskind gepflegt und aufge-
zogen; Hera sendet, um sich zu rächen, den Wahnsinn über Ino und
ihren Gatten Athamas. In der Regel erzählt man von einem doppelten
Kindermord, durch den die Familie des Athamas vernichtet wurde:
Athamas erschlug seinen eigenen Sohn Learchos, indem er ihn "wie
einen Hirsch erjagte"41, Ino aber floh mit ihrem zweiten Sohn, Meli-
kertes ---.:... oder auch: Ino tötete selbst Melikertes im kochenden Wasser
eines Dreifußkessels42 und floh mit dem toten Kind vor Athamas'
37 Eur. Bacch. 821-35, vgl. E. R. Dodds, Euripides Bacchae (1960)2 zu 854---5.
38 Strabon 10 p.471; Weihungen ee~ I\V]KOVPY<1': D. SourdeI, Les cultes
d'Hauran a l'epoque Romaine (1952) 81-8; ein Altar des I\V]KOUpyOS aus
Cotiaeum (Phrygien): JRS 15 (1925) 163-4, T. 22.
39 Cuicul (Algerien), bei Nilsson (1957) 114.
40 Od. 5, 333-5; Alkman 50b Page; Eur. Med. 1282-89 m. Schol; Hyg. fab. 2;
Ov. met. 4,539-42; Apollod. 3, 28; PR 1601-5; Schirmer RML II 2011-7;
Eitrem RE XII (1925) 2293-2306.
41 OOS EAOCPOV ellpevO'os Apollod. 3, 28 vgl. Schol. Od. 5, 334; Schol. Luk.
p. 266, 13; Ov. fast. 6,481-98; Servo Aen. 5,241.
42 ApolIod. 3, 28 vgl. Eur. Med. 1284-9; Schol. Pi. III p. 192, 8; 194, 22
Drachmann. - Merkwürdig die Weihung eines Menneas eeC;X l\evKoee~
~eyeipoov unter Nennung seines Urgroßvaters, TOU CX1TOeeOOeeVTos sV TCj>
Mßl1TI, SI' 00 ot opTol &YOOVTOI OGI 611: Der Lebes, als Graburne, be-
deutet Tod und Vergottung zugleich.
200 III. Auflösung und Neujahrsfest
Wüten -, jedenfalls stürtze sie sich schließlich mit ihrem Sohn von
hoher Klippe ins Meer.
l
Wieder erfolgt im Wahnsinn das ,unsagbare Kinderopfer, folgt
die Diastase von Flucht und Verfolgung. Das Dreifußmotiv, der
Hirschvergleich, überhaupt die Namen Athamas und Ino stellen eine
enge Verbindung her zu der Werwolfmotivik von Lykaon bis
Phrixos43 • ,Wolfswuf, AUcrcrCJ., ist auch hier am Werk, wie auch bei
Lykurgos. Wie dieser, schwingt Athamas das Doppelbeil auf der
Verfolgung; wie dort, stürzen hier Amme und Kind ins Meer.
Unzweifelhaft liegen dem Leukothea-Mythos Kulttatsachen zu-
grunde. Leukothea war eine in vielen Heiligtümern verehrte
Göttin"; doch eben weil ihr Kult so verbreitet war und weit über die
griechische Welt hinausgriff, verschwimmen für uns die Konturen.
Auf welchen Lokalkult die meisterzählte Form des Mythos zielt, ist
schwer zu sagen. Von der Wiederkehr des Melikertes-Palaimon am
Isthmischen Heiligtum wird noch die Rede sein. Eine merkwürdige
Verbindung von Opfer und Klage fand Xenophanes im Leukotheakult
Eleas46, der vielleicht aus Phokaia übernommen war; Xenophanes
verspottete diese paradoxe Verbindung, die doch in der Spannung
l
zwischen Töten und Überleben die ,Unschuldskomödie der Jägerwelt
unmittelbar fortführte. Leukothea-Heiligtum und die Phallagogie
der Dionysia ist verbunden auf Delos46 • Vor allem erhob Megara An-
spruch auf Leukothea: hier sei Inos Leichnam gefunden und be-
stattet worden, hier sei ihr der göttliche Name, Leukothea, zuerst
verliehen worden47 • Unweit zeigte man den Felsen, von dem sie sprang;
auch gab es eine ,weiße Ebene l48 , auf der Athamas Ino verfolgt hatte.
Von der Erzählung her ist diese Fixierung der Verfolgung auf ein
abgegrenztes Areal paradox; verständlich wird sie im Blick auf ein
Ritual analog den Agrionia von Orchomenos, das die Entladung der
Aggression zugleich in festen Grenzen hält. Die Verfolgung über die
,weiße Ebene\ projiziert in den Kult der ,weißen Göttin dies I ,
1 Roscher RML I 85 vgl. ibo II 569-73; Höfer RML III 2344-8; V 371-6;
PR II 154-62; Sophocles, Fragments ed. L. Pearson II (1917) 221-38;
Vasenbilder: Brommer (1960) 372.
2 Od. 19,518-23; übersetzung von W. Schadewaldt.
3 FGrHist 3 F 124.
202 III. Auflösung und Neujahrsfest
11 Ov. Met. 6, 587-605; das Dionysische sicher schon bei Sophokles; vgl. Ace.
trag. 642. L. Koenen in: Studien zur Textgeschichte und Textkritik
(Festschr. G. }achmann [1959]) 83-7 konjiziert dementsprechend 0PV1S
syevET' SK TWV 6pyioov Aristoph. av. 16.
12 Ov. Met. 6, 645-6, als ,Opfer nach väterlichem Brauch' bezeichnet (648);
o. Kap. II 1 Anm. 29.
13 10, 4, 8; vgl. Strabo 9 p. 423; Et M. 250, 1; Steph. Byz. LlCXÜA1S; Apollod.
3, 195. Andererseits wird BCXUAOV als ,Dickicht' erklärt (Paus. 10, 4, 7).
Hsch. LlCXVAis' EOpTTJ sv "ApYE1, l.li~ll~cx T1lS TTpohov lTPOS 'A1<piO'10V ~6:XllS
weist auf ein Opfer mit Scheinkampf.
14 10, 4, 9.
204 III. Auflösung und Neujahrsfest
22 Hsch. ' ETIo1T'T1ls' Zeus, vgl. Stesichoros 280 Page; Hsch. ' ETI0'l'IOS' Zeus
Kcxl 'ATIo"A"Aoov; vgl. Kallim. hy. 1, 82; Ap. Rh. 2, 1123; Opfer All 'ETIOOTIeTEI
LS 18 r 20; Hsch. 'ETIOOTIeTi}s' Zeus TIcxpa 'A611VCX{OIS. Vgl. PR I 117, 2.
Hsch. ETI0'l" ETIOTITl1S ... Zu Tl1peuS - Tl1peiv Schol. Aristoph. Av. 102;
Et. M. 757, 45 vgl. ETIOTITCXS Kcxl Tl1Pl1TO:S Et. M. 65, 44.
23 Harpokr. ETI{!3010V = Philochoros FGrHist 328 F 10.
24 Die Glosse ITcx"AoS, OÜLTov"AoS ist den Griechen mindestens seit Hellanikos
(FGrHist 4 F 111) bekannt, Timaios bezeichnete das Wort als griechisch
(FGrHist 566 F 42), andere als etruskisch (M. Pallottino, Testimonia
linguae Etruscae [1954] nr. 839); vgl. M. Leumann Glotta 27 (1938) 90.
- Die Version bei Ant. Lib. 11 weist nach Lykien, während eine phrygische
Variante in der !3SKKos-Geschichte (Schol. Aristid. III 361, 13 Dind.;
ägyptisiert Hdt. 2, 2) enthalten sein könnte, insofern die stumme Amme
im einsamen Gehöft an Philomela erinnert.
206 IU. Auflösung und Neujahrsfest
25 Den Unterschied zwischen einer als Krankheit und einer als Erlösung
empfundenen, ,mystischen' Besessenheit arbeitet auch D. Sabbatucci,
Saggio sul misticismo greco (1965) 55-68, heraus, nur daß die Gleichung
orphisch = ,mystisch' (65) fraglich ist.
26 Ae1. v. h. 3, 42. In Athen dürfen Dionysos- und Herapriesterinnicht mit-
einander sprechen, PIut. Fr. 157 Sandbach vgl. q. Rom. 291a.
27 Ant. Lib. 11, 3.
5. Antiope und Epopeus 207
Weise wahnsinnig wurde und sich ergreifen ließ 28. Wenn Hera und 1l
Lykurgos, der Vater Nykteus oder der Onkel Lykos9 - ziehen gegen
Sikyon und erobern es, Epopeus fällt, Antiope ist in der Gewalt der
,wölfischen' Mächte. Heimlich hat sie Zwillinge geboren und aus-
gesetzt; ihr bleibt Sklaverei, Entehrung, Mißhandlung. Die Königin
Dirke ist es, die in dieser Phase als Stiefmutter, als Hexe ihr Regiment
führt. In dionysischer Interpretation ist sie freilich zugleich die ge-
weihte Bacchantin10, die die junge, ungeweihte Frau durch Leiden
zu~ Ziel zu führen hat. Antiopes Passion endet mit einem drama-
tischen Umschlag der Rollen: als Dirke sie durch einen wilden Stier
zu Tode bringen lassen will, stürmen Zethos und Amphion, zu Jüng-
lingen herangewachsen, das Gehöft, Dirke wird ihrerseits an den Stier
gefesselt und zu Tode geschleift. Lykos dankt ab, die Zwillinge über-
nehmen die ihnen zustehende Herrschaft und erbauen die Mauern von
Thebenl l.
Während in den Agrionien-Mythen Mädchen und Frauen gemein-
same Sache machen im Aufstand gegen die Männer - Proitiden und
die Frauen von Argos, Philomela und Prokne -, richtet sich hier die
Aggression der wilden Frauen, deren Anführerin Dirke ist, gegen die
Junge, die Sklavin. Dergleichen kam im Ritus vor: ins Heiligtum der
Mater Matut~ holen die Frauen eine Sklavin, "ohrfeigen sie und schla-
gen sie mit Ruten"12. Der Rutenschlag ist in der Villa dei misteri dar-
gestellt: so wird die junge Frau in den Kreis der Matronen eingeführt.
Diese Mißhandlung, die Initiation sein kann, steht im Antiope-Mythos
im Rahmen der Ausnahmezeit: Nykteus und Lykos, der ,Nächtliche'
und der ,Wolf', sind hier die Könige, aktiv und gefährlich aber ist
zur Wolfszeit die Frau, Dirke. Ihr Sturz, der Sturz des Weiber- oder
Hexenregiments, führt zur Gründung der Stadt, zur Neueinsetzung
der Herrscher des Tags. ,Die von den weißen Pferden', I\EVKOlTooi\oo
heißen die Söhne des Zeus13 ; ihnen gegenüber steht der Stier als
Werkzeug des letzten Opfers der Zwischenzeit. Im Gegensatz von Rind
und Pferd ist der Übergang zum neuen Stadium nochmals markiert.
14 Gen. Socr. 578b. Wie man die Spuren eines Opfers verwischt, zeigt hy.
Merc. 140. Geheim ist das Grab des Oidipus am Kolonos Hippios in Athen,
nur Theseus und seinen Nachfolgern bekannt (Soph. OK 1518-32),
geheim auch das Grab des Sisyphos am Isthmos (u. Kap. III 7, Anm. 39).
16 9, 17, 4-7, vgl. J. G. Frazer, Pausanias V (1898) 57; Cook I (1914) 736.
16 Burkert (1970) 10; u. Kap. III 6 Anm. 21/2; o. Kap. III 1 Anm. 44.
5. Antiope und Epopeus 211
Deutlicher fast ist die kultische Situation in Sikyon: den Tempel
der Athene, der "an Größe und Schmuck damals alle anderen Tempel
übertraf t17 , hat Epopeus geweiht mit einem Siegesopfer. Im Bild der
gewappneten Göttin erkennt sich die wehrhafte, siegesgewillte Bürger-
schaft von Sikyon. Doch neben dem Altar der Athena ist das Grab des
Stifters Epopeus, und ihm ganz nahe sind die ,Götter des Abwendens t,
die 6eoi &-rrOTPO-rrCX10l verehrt; "vor ihnen vollzieht man die Riten, die
bei den Griechen zur Abwehr von Unheil Brauch sind((18, düstere
Opfer offenbar, Ausdruck von Gereiztheit und Angst. Gefahr und Tod
wird signalisiert gleich neben Sieg und Unsterblichkeit. Der Kult, der
das Leben, den Lebensmut zu erneuern hat, wird dies als Nachein-
anderakzentuiert haben, vom Tod des Königs, der Abwehr des Bösen
zum triumphalen Opfer für Athena. Die Analogie zu Athen, zu den
Festen um Erechtheus und Athena Polias bewährt sich. Während
indessen dort der Mythos eine Gestalt aufspaltete in Erechtheus, den
Toten, und Erichthonios, den Stifter der Panathenäen, hat die
sikyonische Erzählung beide Stationen in etwas verwickelter Weise
im Leben des einen Epopeus untergebracht: er wurde erst tödlich ver-
wundet, feierte dann seinen Triumph und starb erst dann an seiner
Wunde19 . So konnte Epopeus als Opfer zugleich doch Stifter des Kultes
sein.
Eine Statue der Antiope stand in Sikyon im Heiligtum der
Aphrodite 20 , das so wichtig war, daß in klassischer Zeit ein Goldelfen-
beinbild der Göttin für den Tempel geschaffen wurde. Nur eine Prieste-
rin, eine bejahrte Frau, durfte den Tempel selbst betreten, dazu ein
jährlich bestelltes Mädchen, Lutrophoros betitelt. Dies erinnert an
den Sosipolis-Kult in Olympia21 ; und die Antiope-Statue weist viel-
leicht darauf hin, daß zu Epopeus und seinem Athena-Heiligtum eine
ähnlich polare Beziehung bestand wie dort zwischen Männerwelt und
Frauenwelt. Die Opfer der Männer, die die Ordnung der kriegerischen
Göttin begründen, wären ja nicht möglich, wenn nicht Aphrodites
Macht stets neues Leben zeugen würde. Das Ende des ] ungfrauen-
dienstes, der Einbruch der Ausnahmezeit, der Tod des Königs ist
Voraussetzung für den Antritt der jungen Generation.
reinigt wird die Insel zu bestimmter Zeit im Jahr, und man löscht das
Feuer auf der Insel neun Tage lang. Ein Festgesandtschaftsschiff aber
holt Feuer aus Delos, und wenn es eintrifft, bevor die Totenopfer zu
Ende sind, darf es nirgends auf Lemnos vor Anker gehen, sondern es
treibt auf dem offenen Meer vor den Küstenvorsprüngen, bis es nach
heiligem Brauch erlaubt ist, einzulaufen. Sie rufen nämlich zu diesem
Zeitpunkt unterirdische, geheime Götter an und bewahren darum,
meine ich, das Feuer rein im Schoß des Meeres. Wenn aber das Ge-
sandtschaftsschiff eingefahren ist und sie das Feuer verteilt haben für
alle übrigen Bedürfnisse des Lebens und insbesondere für die Hand-
werke, die des Feuers bedürfen, von da an, sagen sie, beginnt für sie
ein neues Leben".
10 Fr. 40 Mette, vgl. Pi. Py. 4, 254; Herodor FGrHist 31 F 6. Daher !\';IJV1CXl
als Komödientitel und -stoff, Aristoph. Fr. 356-75, Nikochares Fr. 11-4
(CAF I 772), Antiphanes Fr. 144-5 (CAF II 70), vgl. Alexis Fr. 134 (CAF
II 345), Diphilos Fr. 54 (CAF II 558), Turpilius 90-9 Ribbeck.
11 Simonides 547 Page; Pi. Py.4, 253 m. Schol.; vgl. Ap. Rh. 2, 30-2; 3,
1204-6; 4, 423-34.
12 H. 23, 747 vgl. 21, 41; 7, 468-9; 14, 230; o. Anm. 7.
13 Her. p. 232 Boissonade (Paris 1806) = p. 325 Kayser (Zürich 1844 = 18532 )
= ed. Teubner (1871) II 207. Zur Korruptel KCXt Kcx6' evcx TOÜ houS gegen
A. Wilhelm (Kcx6' eVO:Tou hous, Anz. d. Ak. d. Wiss. Wien 1939, 41-6)
Burkert (1970) 3: KCX1POV Kcx6' evcx TOÜ hous (?); vgl. Kcx6' EVcx KCXlp6v Plut.
Is. 380d (= Manetho FGrHist 609 F 22). - Vgl. Nilsson (1906) 470-1.
- Hephaistospriester Philostratos: IG XII 8, 27.
6. Die Weiber von Lemnos 215
Dies ist eine der klarsten und eindrücklichsten Beschreibungen
einer Zeit der Ausnahme und ,Auflösung', in der das normale Leben
fast zum Erliegen kommt: es gibt kein Feuer, kein normales Essen,
kein Götteropfer und keine Leichenfeier ; Bäcker und Schmiede strei-
ken, und auch die Hausgemeinschaft zerbricht. Der hellenistische
Historiker Myrsilos von Lesbos14 behauptet, Medea habe aus Eifer-
sucht gegen Hypsipyle ihren Zauber über die Frauen von Lemnos ge-
worfen, "und es gebe bis heute alljährlich einen bestimmten Tag, an
dem die Frauen wegen ihres üblen Geruchs Mann und Söhne von sich
fernhalten ". Der fabulöse Gestank, an dem die Ehen auf Lemnos
scheiterten, kehrt also mit kalendarischer Regelmäßigkeit alljährlich
wieder, der groteskeste Zug des Mythos wird zur Tatsache; dies ist
eindeutig ein Ritual, das zu jener Ausnahmeperiode gehört. Wie jener
üble Geruch zustandekam, läßt die Parallele der attischen Skira ah-
nen: da kauen die Frauen, die sich zusammenrotten, Knoblauch, "um
nicht nach Salben zu duften"15. Was immer ihre Geschlechtsgenossin-
nen auf Lemnos Analoges unternahmen16, auch sie jedenfalls verekeln
sich den Männern und treiben sie von sich, die Frau den Mann, die
Mutter die Söhne. Der Mythos steigert dies zu männermordendem Haß,
er macht aus dem Tag der Geschlechtertrennung die Zwischenzeit des
Matriarchats.
Auch dies verbindet das Lemnische Fest mit den Skira; und in
Athen ist fest bezeugt, was durch den Mythos von Thoas durch-
schimmert: die rituelle Wegführung des Königs17 . Freilich ist der
Weg zum Skiron weniger dramatisch als die Sargtruhe auf Lemnos;
was auf Lemnos tatsächlich geschah, wissen wir nicht; die Phallagogie
an den Delischen Dionysia18 zeigt eine andere Möglichkeit, wie das
Entschwinden im dionysischen Opferfest rituell dargestellt werden
konnte. Opfer gehörten jedenfalls zu der Ausnahmezeit auf Lemnos,
Opfer ohne Feuer, bei denen man allenfalls rohe Fleischstücke kosten
konnte, die Reste zu vergraben oder aber ins Meer zu werfen hatte.
Aus den ausgehobenen Opfergruben, in die das Blut rinnt, scheinen
14 FGrHist 477 F 1.
16 Philochoros FGrHist 328 F 89, o. Kap. III 1 Anm. 42.
16 Eine Randglosse Antig. hist. mir. 118 = Myrsilos FGrHist 477 F 1b nennt
TIi}ycxvov, ein Kraut, dessen Geruch Schlangen vertreiben (Arist. hist. an.
612a 28) und sexuelle Abstinenz bewirken (Schol. Nik. Alex. 410) soll;
vielleicht gehört dieses Gewürz zum Lemnischen Ritual, wie es nach Schol.
Nik. 1. c. in Mysterien gebraucht wurde.
17 O. Kap. III 1 Anm. 35.
18 O. Kap. I 7 Anm. 54.
216 111. Auflösung und Neujahrsfest
Mächte der Tiefe zu steigen und die Insel in Besitz zu nehmen. Die
Münzen von Hephaistia zeigen oft einen schreitenden Widder19 : es
ist anzunehmen, daß ein Widderopfer beim Hauptfest der Stadt seine
Rolle spielte. Auch Erechtheus erhält seinen Widder 20.
Eine besondere Rolle spielt auf Lemnos das Graben heiliger,
,Lemnischer Erde' durch die Priesterin der Artemis an jenem Berg
Mosychlos, wo Hephaistos vom Himmel fiel. ,Lemnische Erde',
Scheiben rötlichen Tons, mit dem Bild einer Ziege gesiegelt, gewann
den Ruf eines vielseitig verwendbaren Heilmittels, den es im vorderen
Orient bis ins 20. Jahrhundert bewahrte21 • Galen22 fuhr eigens nach
Lemnos, um die Gewinnung Lemnischer Erde zu beobachten; in der
Neuzeit geschah sie am 28. August unter Aufsicht des örtlichen Popen.
Dioskurides23 sprach von einem Ziegenopfer bei dieser Gelegenheit,
wovon aber in Galens Zeit die Lemnier nichts wissen wollten. Daß das
Graben am Berg des Hephaistos mit dem Feuerfest 'Iin Hephaistos'
eigener Stadt zusammenhängt, ist unabweisbar; daß statt des
Hephaistospriesters die Priesterin der Artemis agiert, deutet auf die
Abwesenheit des Gottes, auf jene Zwischenzeit, in der die Mächte der
Tiefe beschworen werden. Dann fällt das Fest in den August, fast in
die gleiche Zeit wie die attischen Skira; und auch deren Name enthält
einen Hinweis auf eine besondere, weiße Erde, die getragen wird.
Dann, zum Ende der Zwischenzeit, drängen sich die Menschen
am Strand, um Ausschau zu halten nach dem Schiff, mit dem das neue
Leben wiederkehrt, neues, reines Feuer: Hephaistos kommt in seine
Stadt zurück. So hat das Urschiff, die Argo, ins sterile Frauenreich
neue Lebensrnacht gebracht. Vor allem erhalten, wie Philostrat be-
tont, die Handwerker, die mit Feuer umgehen, Bäcker also und
Schmiede, vom neuen Element. Mythische Handwerker sind die
Kabiren, Kinder oder Enkel des Hephaistos auf Lemnos24• Ihr Heilig-
25 Phot. KaßElpOl.
26 Hemberg (1950) pass.; F. Chapoutier, Les Dioscoures au service d'une deesse
(1935) pass.
27 Vgl. die karische Stadt Iasos.
28 Ap. Rh. 1, 641-51; Pherekydes FGrHist 3 F 109 = Schol. z. d. St.;
Ai6cxA{a Polyb. 34, 11, 4; Steph. Byz. Ai6aAll.
29 Pi. 01. 4, 19-23, vgl. Schol. 32c; Kallim. Fr. 668.
80 P. Sartori, Sitte und Brauch III (1914) 167; vgl. Mannhardt (1875) 502-8;
GB X 121-31.
218 IH. Auflösung und Neujahrsfest
6 V gl. Anm. 3.
7 Plut. Thes. 25; Taüpov Ilei\ava Philostr. II 363, 1; Tavpo<p6v~ TptETflP{61
Pi. Nem. 6, 40; Münzen, auf denen ein Stier zum Palaimonion schreitet:
Imhoof-Blumer T. B. XI; XIII; von einer Rinderherde des Poseidon spricht
Philostrat 1. c.
8 Her. II 207, 21 ed. Teubn. (1871) = p. 325 ed. Zürich (1844 = 1853 2).
9 Or. 46, 40 Keil.
10 2, 2,1.
24 Philostr. V. Soph. 1. 25, 1, II 42, 24-7 ed. Teubn. (1871); Aristid. or. 17, 6
Keil = I 373 Dindorf (mit bezeichnendem Aition: die feindlichen Chi er
wollten, während die Smyrnäer auf dem Berge feierten, die Stadt erobern,
wurden aber von den Zurückkehrenden vernichtet und verloren ihre Schiffe:
Dionysia als Neugewinnung der Stadt, vgI. o. Kap. III 1 Exkurs, bes.
Anm. 118) "'" or. 21. 4 Keil = I 440 Dindorf. Nilsson (1906) 268. - Auf
Münzen von Magnesia tragen 4 Männer einen Schiffsbug mit Dionysos-
knaben (?), M. Bernhart Jb. f. Numismatik u. Geldgesch. 1 (1949) 22.
KOTOyooytO des Dionysos sind bezeugt in Milet: LSAM 48, in Priene: SIG
1003 = LSAM 37, in Ephesos: Acta S. Timothei ed. Usener (Progr. Bonn
1877, Nilsson [1906] 416, 5, mit rituellem Kampf). - Ankunft des Delphin-
reiters und Stadtgründung in der tarentinischen Tradition von Phalantos-
Taras, besonders auf Tarentiner Münzen, vgI. RE IV A 2286-7. Dionysien
in Tarent: PI. Leg. 637b; Tarent = Satyrion Diod. 8,21; Verg. Aen. 7, 801;
Prob. georg. 2, 197; Steph. Byz. LOTUptov.
250xford 1924, 264; J. Boardman JHS 78 (1958) 2-12; Pickard-Cambridge
(1962) 84, List of Monuments Nr.82. Männer, die ein Boot tragen, auf
ägyptischen Darstellungen z. B. AOB 494; 497; Schiffswagen z. B. AOB 199;
E. Panofsky, Grabplastik (1964) fig. 8. - Zur Ankunft des Gottes im Schiff
vgI. auch ANEP 676; 677; 686; Burkert (1967) 295-6.
26 Sf. Skyphos Acr. 1281a, Pickard-Cambridge (1968) fig. 12; sf. Skyphos Brit.
Mus. B 79, Pickard-Cambridge (1968) fig. 13, Deubner (1932) T. 14, 2; sf.
Skyphos Bologna 130, C. H. E. Haspels, Attic black-figured Lekythoi (1936)
253 Nr. 15, Pickard-Cambridge (1968) 13, Deubner (1932) T. 11, 1; dazu sf.
Amphora ,in Corneto' J dI 27 (1912) 76-7 = Tarquinia 678, E. Simon (1969)
284 fig.276, wo der gleiche statuarische, sitzende, übergroße Dionysos im
Schiff fahrend dargestellt ist. Die Schiffswagenprozession wird wegen der
Parallele aus Smyrna (0. Anm. 24) meist den Anthesterien zugewiesen
(Nilsson [1906] 269; [1955] 572; 583; Deubner [1932] 102-3; zögernd
Pickard-Cambridge [1968] 12-3), obwohl das Fest in Smyrna Dionysia heißt
und die Dionysia von Priene (SIG 1003, 20-4) nicht in den Anthesterion
fallen; für die großen Dionysien traten ein A. Frickenhaus JdI27 (1912)
61-69; E. Bethe Hermes 61 (1926) 463. Zu dem primitiven ,cross-bar-wheel'
H. L. Lorimer JHS 23 (1903) 132-151; G. Childe beiC. Singer, E. J. Holmyard,
A. R. Hall, A History of technology I (1954) 214; Burkert (1967) 295.
224 IH. Auflösung und Neujahrsfest
~2 Zwei rotfig. Vasen, ARV2 1174, 1 (Cook III [1940] T. 16) und ARV2 1401, 1
(Cook III 101), Brommer (1960) 358; dazu eine rf. Hydria in Basel. Vgl.
Cook III 101-2, T. 17; 18.
33 Paus. 10, 19, 3 (.61oVVO'OV KecpaÄfjva Hss., <l>aÄÄfjva Lobeck [1829] 1087);
vgl. Nilsson [1955] 593, 6; Oinomaos von Gadara bei Euseb. Praep. Ev.
5,36, 1-3 = Parke-Wormell (1958) Nr. 337: <l>aÄÄllvov T1IJOOO'I .6IOOV\lO'OI0
KapllVov. Zu Phallos=Kopf-Phantasien Herter RE XIX 1727-8.
- Ein Dionysosbild aus dem Meer in Dionysopolis (Pontos): Skymnos
753-4.; doch auch andere Götterbilder stammen aus dem Meer, Nilsson
(1906) 226, 3. Vgl. J. Kroll, Das Gottesbild aus dem Wasser, Festschr. F. von
der Leyen (1966) 251-68; G. Beccatti, Boll. d. comm. 67 (1939) 37-60.
34 IG XII 2,503; Nilsson (1906) 282-3; zu Münzen von Methymna und Antissa
HN 560-1; F. Imhoof-Blumer Zeitschr. f. Numism. 20 (1897) 285, T. X 23/4.
35 Kall. Fr. 197, vor allem die Diegesis; Ainos als KTfO'lJ.a MlTvÄllvafoov Kai
KVlJ.a{oov Strabo 7 p. 331 Fr. 52. Zu Münzen von Ainos H. A. Cahn Schweiz.
numismat. Rundschau 31 (1944) 59-63; vgl. Nilsson (1955) 81-2.
15 Burkert, Homo Necans
226 IH. Auflösung und Neujahrsfest
einem Heiligtum umkam, dem des Zeus N emeios unweit Oineon und
Naupaktos36 • In einer sakralen Sphäre angesiedelt, wird dieses Sterben
im Schema des Opferrituals erzählt; es beginnt mit der Mädchentra-
gödie: man warf dem Sänger vor, er habe eine Jungfrau geschändet;
und darum haben ihre Brüder Hesiod im Heiligtum des Zeus er-
schlagen und ins Meer geworfen. Am dritten Tag danach jedoch, als
die Lokrer bei Rhion ans Meer zogen, das Ariadne-Fest zu feiern,
brachte eine Schar von Delphinen den Leichnam ans Ufer 37 • Man
setzte Hesiod im Heiligtum des Zeus Nemeios bei - wo dieses Grab
ist, wissen allerdings nur die Eingeweihten3B • Die Mörder waren ge-
flohen, entgingen aber ihrer Strafe nicht. Pausanias spricht von einem
Poseidonfest in Rhion, während das Ariadnefest auf Dionysos weist:
eben die Polarität von Dionysischem und Poseidon prägt auch die
Palaimon- und die Arion-Legende. Auch am Isthmos gab es geheime
Gräber 39• So ist der Tod des Dichters, der mit seiner Theogonie den
Griechen ihre Götter gab, in die Struktur des Heiligen, des Opfers
aufgenommen, mit seiner Ambivalenz; am Ende steht wohl doch die
Begnadung, die Erhöhung zur Dauer im Heiligtum; ja die Sukzession
wird eben durch die Katastrophe hindurch vollzogen: Sohn jener töd-
lichen Verbindung, erzählte man, sei der nächste große Gestalter der
Mythen gewesen, Stesichoros40 •
36 Thuk. 3, 96, 1.
37 Certarnen Homeri et Hesiodi 14, p. 42 Wilamowitz (1915) = p. 234,
Z.224-53 Allen, nach Alkidamas (M. L. West CQ 17 [1967] 446) und
Eratosthenes (Fr. 17-21 Powell); PIut. Sept. Sap. Conv. 162d; Paus.
9,31, 6; zum Ende der Mörder Plut. Soll. an. 96ge; 984d; PoIl. 5,42. Vom
Ariadnefest spricht das Certarnen, p. 42, 11 Wil. = Z. 234 Allen, von ti T6'W
·Plc.üv 6vo-{a Plut. 162e, einem Poseidonfest (Paus. 10, 11, 6; ßlovuo-la der
NaV1T<IKT10l sind Schol. Aristoph. Ach. 195 bezeugt). Zu Poseidon-Dionysos
vgl. auch Taras (Sohn des Poseidon: Arist. Fr. 590, und der ,Satura': Coel.
Antipater Fr. 35 Peter, Historicorum Romanorum Reliquiae). - Vgl.
Nilsson (1906) 383-4; U. v. Wilamowitz-Moellendorff, Die Ilias und Homer
(1916) 406-13; E. Vogt RhM 102 (1959) 199-203; R. Merkelbach, Mis-
cellanea A. Rostagni (1963) 519-21. Im Gegensatz zu Thukydides,
Plutarch, Pausanias ist im ,Certarnen' Schauplatz das Land der Opunti-
sehen Lokrer gegenüber Euboia.
38 Plut. 162ef; doch zeigte man in Orchomenos ein Grab des Hesiod, Arist.
Fr. 565, Certarnen p. 42, 23 Wil. = Z. 247-53 Allen.
39 Paus. 2, 2, 2 = Eumelos FGrHist 451 F 4 zum Grab des Sisyphos und des
Neleus; vgl. Kap. III 5 Anm. 14 zum Grab der Dirke und des Oidipus.
40 Philochoros FGrHist 328 F 213. - Die Wiederkehr des Toten vom Meer als
Gunsterweis des Dionysos auch in der Legende über den 358 ermordeten
Alexander von Pherai, Theopomp FGrHist 115 F 352: Alexander habe be-
8. Fisch-Advent 227
8. Fisch-Advent
Das Fisch-Tabu der Syrer fiel den Griechen immer wieder auf5 .
Daß es sich dabei aber nicht um ein einschichtiges Verbot handelt,
sondern' um die bezeichnende Ambivalenz des heiligen Rituals, be-
weist der detaillierte Bericht des Mnaseas von Patara6 : "Die Priester
- der Atargatis - bereiten alltäglich der Göttin echte Fische zu und
legen sie ihr auf einem Tisch vor, gekocht ebenso wie gebraten; und
dann essen die Priester der Göttin diese Fische selber auf'. Denn
"Gatis, die Königin der Syrer, war so auf leckere Kost erpicht, daß sie
das Gebot ergehen ließ, niemand dürfe ohne Gatis Fische essen", be-
richtet Antipatros von Tarsos7, oder, wie es Mnaseas formuliert, sie ge-
bot "Fisch nicht zu essen, sondern zu ihr ins Heiligtum hinaufzu-
bringen". Die Fische werden also nicht etwa nicht gegessen, weil sie
heilig sind, sie sind vielmehr darum heilig, weil sie gegessen werden in
einer sakralen Opfermahlzeit, in Gemeinschaft mit Atar-Gatis, der
Großen Göttin, der Mutter des ,Fisches' Ichthys schlechthin. Von ihrem
Sohn, präzisiert Mnaseas8 , stammen insbesondere die Fische Galene,
Myraina, Elakaten ab, große, geschätzte Speisefische; sie wurden ver-
mutlich vor allem im heiligen See gehalten.
Ebenso gehörte zum Tempel der ,Syrischen Göttin' in Bambyke-
Hierapolis ein Teich mit heiligen Fischen9 • Ihre erstaunliche Zahmheit
den Priestern gegenüber wird gerühmt - drängen sie sich freiwillig
zur Opfermahlzeit ? - ; Opfer wurden zum See herabgeführt, und man
erzählte dazu1o, Hera gehe voran und halte Zeus zurück, daß er die
Fische nicht erblickt; sie würden sonst sterben. Dies ist also ein für
den Götterkönig verborgenes Opfer, ein Opfer der ,Abwendung',
angsterregend und doch notwendig, eine Sache der göttlichen Frau:
5 Seit Xen. Anab. 1, 4, 9; Wächter (1910) 97-8; vgl. R. Eisler, Orpheus the
fisher (1921) pass.; F. J. Dölger, Ichthys I (1910) 120-42; U (1922) 175-447.
6 Bei Ath. 346de.
7 Bei Ath. 346cd.
8 Bei Ath. 301d.
9 Luk. Dea Syr. 14; 45-8; Ael. nato an. 12, 2; Plin. n. h. 32, 17. Mit Berufung
auf Ktesias (FGrHist 688 F 1) spricht Diod.2, 4, 2 vom See in Askalon,
[Eratosth.] Cat. 38, p. 180 Robert vom See in Bambyke. - Fische, die zum
Opfer bei Flötenspiel erscheinen, gehören zum Apollonheiligtum in Sura bei
Myra in Lykien, Polycharmos FGrHist 770 F 1/2 = Ath. 333d-f; Plut. Soll.
an. 976c; Plin. n. h. 32, 17; Ael. nato an. 8, 5; 12, 1. ,Lydia' Varro r. r. 3, 17, 4.
Aus verwandtem Bereich stammt die bekannte Fabel vom Flötenbläser und
den Fischen, Hdt. 1, 141, Ennius Sat. 65 Vahlen. - Ein Teich mit heiligen
Fischen in Smyrna: SIG 997.
10 Luk. Dea Syr. 47.
8. Fisch-Advent 229
der Typ des ,unsagbaren Opfers', am See der heiligen Fische vollzogen,
scheint deutlich durch. Griechen haben die Syrische Göttin auch mit
Aphrodite gleichgesetzt: ein Ei fiel vom Himmel in den Euphrat,
wurde von Fischen ans Ufer getragen, von Tauben ausgebrütet; ihm
entstieg Aphroditell • An Hesiod anknüpfend, erzählte man .auch12,
Delphine und ,Geleitfische', TIOJ,llriA01, s~ien"zusammen mit Aphro-
dite aus dem Blut des Uranos entstanden": die Epiphanie der Göttin
fällt zusammen mit der Ankunft der ,heiligen' Fische.
Die strukturelle Identität 'des syrischen Fisch-Tabus zur gewöhn-
lichen, blutigen Opfermahlzeit bedarf kaum der Hervorhebung: eben
das Geheiligte dient zur Speise, weshalb die Mahlzeit selbst streng
reglementiertes, heiliges Werk ist. Jedes Fischgericht wird für die
Syrer zur Opfermahlzeit, wie jedes Schlachten ein Opfer ist. Und wie
dem Verspeisen des Bratens das blutige Geschäft der Tötung voran-
geht, setzt auch der scheinbar unblutige Fischfang Gewalttat und
Mord voraus, vor allem den Sturz in die Wassertiefe. Im Uranos-
Mythos ist die Kastration eines Opfertiers gespiegelt, dessen Geni-
talien man rückwärts, ohne sich umzusehen, ins Wasser warf; in
Bambyke leitet man die Opfertiere zum See; Versenkung im Wasser
ist auch in den Mythen von Askalon vorausgesetzt. Rationalisiert
wirkt dies wie eine simple Fischfütterung ; der Charakter des Heiligen,
Festlichen ist von diesem Zweck indes nicht ableitbar. Hier ist auf
den Fischfang projiziert, was in anderem Bereich sich ausgebildet hat-
te: die feste Tradition des ]äger-Opfer-Rituals, in dem das Drama
des schuldha#en Tötens der Nahrung notwendig vorausgeht. Tat-
sächlich ist der Fischfang, menschheitsgeschichtlich, wesentlich jünger
als die Großtierjagd13, wenn er auch schon im ]ungpaläolithicum und
11 Nigidius Figulus Fr. 100 Swoboda = Schol. Germ. p. 81; 145 Breysig;
Hygin. fab. 197. Andere erzählten, Aphrodite habe sich auf der Flucht vor
Typhon (vgl. Pi. Fr. 91) in den Euphrat gestürzt und in einen Fisch ver-
wandelt, Diognetos von Erythrai FGrHist 120 F 2 = Hygin. astr. 2, 30;
Ov. met. 5, 331; fast. 2, 459; Manil. 4, 579-82. - In Aphaka am Libanon
war ein Heiligtum der ,Aphrodite' mit heiligem See, in den man Opfergaben
versenkte (Zosimos 1, 58; die der Gottheit genehmen Gaben gehen unter,
wie im ,Wasser der Ino' Paus. 3, 23, 8); am Festtag, unter Gebeten stürzt
ein Feuer vom Berg in den Fluß Adonis, "dies sei Aphrodite Urania" (Sozome-
nos 2, 5, 5; Zosimos spricht von einer Feuerkugel in der Luft): die Nennung
des Berges statt des Himmels verrät den realen Charakter des Ritus: man
läßt ein Feuerrad den Berg herabrollen (vgl. Mannhardt I [1875] 507-8).
12 Epimenides FGrHist 457 F 22 = Ath. 282ef. Zur Geburt der Aphrodite
o. Kap. I 7 Anm. 56.
13 Müller-Karpe (1966) 162.
230 UI. Auflösung und Neujahrsfest
erst recht im N eolithicum wichtig wird. Für die Griechen war in der
Regel nur die Fleischmahlzeit sakral; Fisch war die alltägliche, pro-
fane ,Zukost' zur Gabe der Demeter. Hier wirkt die Tradition der
meerfernen Einwanderer14, während die alten Randvölker des Mittel-
meers die Fischmahlzeit selbst sakralisiert haben. Jägerbräuche sind
zu Fischerbräuchen geworden, indem der Fischfang die Jagd ersetzte.
Das vorbereitende Jungfrauenopfer ist im Bereich von Fischer-
Kulturen häufig belegt: ein Mädchen wird zu Beginn der Saison ins
Wasser gestoßen15 ; und das erschreckende Zentrum des symbolisierten
Vater- oder Sohnesmords wird gleichfalls zu einem Akt der Vor-
bereitung - die besondere Struktur der Ausnahmezeit hat hier kein
Analogon. Die Katastrophe vereint Mutter und Sohn. die zusammen
zu den Fischen stürzen. Dafür schickt dann die Mutter der Tiere selbst
den nährenden Segen, den sie selbst gebärend hervorbringt: Atar-
gatis ist die Mutter des Fisches.
Was in Askalon und Bambyke zu fassen ist, führt einerseits in
die Hochkulturen des alten Orients hinein, andererseits aber auch auf
mancherlei Bräuche griechischer Fischer. Im Tempel des Marduk voIi
BabyIon wurden heilige Fische dem Gott dargebracht. Die ,Weidner-
Chronik'16 erzählt, wie "die Fischer von Esagila" auszogen, "für die
Tafel des Bel" Fische zu fangen; ein böser König hinderte sie, Ku-Ba'u
aber "gab den Fischern Brot, gab ihnen Wasser", und darum wurde
Ku-Ba'u von Marduk zur Königin eingesetzt. Ob Königin Ku-Ba'u, die
Freundin der Fischer, etwas zu tun hat mit der Göttin Kubaba-
Kybebe-Kybele, ist umstritten17 . Jedenfalls ist in BabyIon das
Fangen und Darbringen der Fische im Tempel ein zentraler Akt der
Frömmigkeit, ohne den keine Herrschaft Bestand hat. Wenig später
läßt die Chronik einen anderen Fischer, der einen "Fisch des Ge-
schenkes" für den "Großen Herrn Marduk" gefangen hat, selbst zum
König werden.
"für den Haushalt seines Herrn, inmitten der See, fing er Fische. tl
Er kämpft dann mit dem Südwind, bricht ihm die Flügel, muß sich
dafür vor Anus Gericht verantworten, im Trauergewand Buße tun,
um schließlich, neu gekleidet und gesalbt, zum Priester Eas in Eridu
eingesetzt zu werden. Hier haben Spekulation und Poesie mitgewirkt,
ein kompliziertes und vieldeutiges Epos zu schaffen; das Thema
vom Fischer als Priester, vom Priester als Fischer im Zusammenhang
mit Verschuldung und Entsühnung scheint aber doch aufs Opfer-
ritual des Tempels und auf die Thematik des Opfers überhaupt zu-
rückzuweisen.
In Ugarit heißt Athirat "Herrin der Seetl, ihr Diener Qds-w-
Amrr ist Fischer, der "Fischer der Herrin Athirat der See"19. Von
zugehörigen Ritualen ist nichts bekannt. Doch schon der Titel schließt
t
die Göttin mit den Heiligtümern der ,Syrischen Göttin einerseits, mit
den Tempelordnungen des Zweistromlandes andererseits zusammen.
Bei den Griechen sind es nicht die großen Tempel, sondern die
geographischen und gesellschaftlichen Randzonen, wo Entsprechendes
zu finden ist. Wie die Fischer von Methymna oder Ainos ihren Diony-
sos- oder Hermesklotz aus dem Meer ziehen, wird an einem anderen
Ort alljährlich Dionysos ins Meer getaucht; vielleicht handelt es sich
um Halai Aixonides in Attika20 , wo dann, wenn der Thunfischfang
begann, der erste Thunfisch dem Poseidon geopfert, d. h. von dem
Priester 'und Standespersonen im Heiligtum feierlich verspeist wurde21 .
Eine merkwürdige Korrelation von Totenopfer und Fischfang zeigt
18 ANET 101-3 (die Zitate: A 9; 15; B 50) /'"'">.J AOT 143-6; vgl. ANET
Addenda 671-2: man diskutiert Gleichsetzung des Adapa mit dem Fisch-
menschen Oannes bei Berossos FGrHist 680 F 1,4.
19 M. H. Pope-Wo Röllig in: Wörterbuch der Mythologie ed. H. W. Haussig I
(1965) 246-9. M. C. Astour, Hellenosemitica (1965) 206.
20 Orakel bei Philochoros FGrHist 328 F 191 = Schol. T 11.6, 136 und Plut.
Aet. phys. 914d, vgl. ]acoby z. d. St. (CcA1EVE1V Schol., CcA1EVO'lV Plut.,
cAAalEvO'lv Wilamowitz, Maass, vgl. ]acoby z. d. St.; es kommt aber auch
cAA1EiS in Argos [Steph. Byz. S. v.] in Frage); K. Tümpel, ß16vvO'os cAA1EVS,
Philologus 48 (1889) 681-96.
21 Krates FGrHist 362 F 2 vgl. Antigonos von Karystos bei Ath. 297e. Die
Thunfischjagdbeginnt mit einem Gebet - wie noch heute in Sardinien-,
Ael. nato an. 15,3-6; man jagt Thunfische mit dem Dreizack, Diog. 5,22
(Paroem. Gr. I 255), Apost. 8,96 (Paroem. Gr. II 459).
232 III. Auflösung und Neujahrsfest
22 Hegesandros bei Ath. 334e; das Wort cm61Tvp1S für Fischopfer erscheint
in der koischen Inschrift SIG 1106 = LS 177,42; 62.
23 Zu Danae Hes. Fr. 136,3-6; RML I 946-9, III 1986-2060; PR II
229-33. Brommer (1960) 206-6.
24 Fr. 464--74 Mette.
25 Nat. an. 13,26. Vgl. Paus. 2, 18, 1: Perseus exe1 ... 'T1J.,lclS ... J.,ley{a'TOS ev
'Te ~ep{<p~ •.. - Ein Fisch ITepaevs im Roten Meer: Ael. nato an. 3,28. -
Merkwürdig die Münzbilder von Tarsos: Perseus mit Statue des Apollon
Lykeios tritt einem Fischer entgegen, F.Imhoof-Blumer, JHS 18 (1898)
177-8; RML III 2059; P. R. Franke, Kleinasien zur Römerzeit (1968)
nr. 127. - Perseus mit Thunfisch auf Münzen von Kyzikos: RML III 2058.
,8. Fisch-Advent 233
Seriphos von einem beliebigen Fischer, und dieses Tabu wird bezogen
auf Perseus, der unter den Fischen spielt, Fischprinz inmitten der Mee-
resbewohner. Es ist gewiß kein Zufall, daß Fischopfer gerade im Kult
der Hekate belegt sind26 , der Tochter des Perses oder Perseus. Dies
führt freilich wieder an den Rand der griechischen Welt und darüber
hinaus. Wäre doch selbst Themistokles bei den Griechen nicht zu
Ruhm gelangt, wenn er auf Seriphos geboren wäre 27 •
Pankrates28 , Dichter des zweiten Jahrhunderts n. ehr., erzählt
eine Legende um den heiligen ,Geleitfisch' Trol.l1riÄos, der besonders bei
den Göttern von Samothrake in Ehren stehe: im goldenen Zeitalter
habe Epopeus, Fischer von der Insel Ikaros, diese heiligen Fische ge-
fangen und sie alle mit seinem Sohn zusammen in feierlicher Mahlzeit
verspeist. Da sei wenig später ein Seeungeheuer an das Schiff des Alten
herangeschwommen und habe ihn vor den Augen des Sohns verschlun-
gen. Vom Meertier verschlungen wird, wer die heiligen Fische aß
- hier ist umgekehrt zusammengeordnet, was im Kreislauf des wieder-
holten Rituals ebenso gut anders zu verstehen ist: weil der Alte im
Meer versank, lassen sich die Fische fangen und essen. Wieder führt
die Nennung der Götter von Samothrake aus dem Griechischen hinaus.
Kabiren, Ruß, feuerlose Zeit und einen bestimmten Fisch ö:6eplvll
ordnet schon Hipponax29 zusammen, ohne daß alle Einzelheiten des
Fragments zu deuten wären. Eine ganz besondere Rolle spielt das
Fischopfer, nach den Bilddarstellungen zu schließen, im Mysterien-
kult der thrakischen Reiter 30, der mit den Großen Göttern von Samo-
thrake wiederum zusammenzuhängen scheint.
Bei'den Griechen selbst finden sich Relikte vom Wassersprung,
ins Spielerische, Lustige gewendet: Von einem Wettauchen ist in
Hermione31 die Rede, im Kult des ,Dionysos mit dem schwarzen
26 Eust. 87,31; 1197, 23; Apollodor FGrHist 244 F 109 = Ath. 325ab.
Hekate llepcrT}fs: Hesiod nach Schol. Od. 10, 139; Ap. Rh. 3, 467 etc.,
llepcrEoos 1TCXp6EVOS Lyk. 1175. - Fischopfer einer maskierten Frau an eine
Artemis oder Bendis auf einem etruskischen Stamnos: G. Schneider-
Hermann AK 13 (1970) 52-70. - Phlyake, auf Altar Fisch verspeisend:
A. D. Trendall, Phlyax vases (1967 2 ) T. 4c.
27 Plut. Them. 18.
28 Bei Ath. 283a.
29 Fr. 78 Masson = III D Beutler, vgl. Fr. 4 Masson = 5 Diehl.
30 F. J. Dölger, Ichthys I (1910) 143-50; 443-6; II (1922) 420-47. D.
Tudor, Corpus monumentorum religionis equitum danuvinorum I (1969).
31 Paus. 2, 35, 1 vgl. 2, 34, 10-11: Kult des Poseidon und der Aphrodite
TIOVT(CX Kcxi !\'l-\eV1CX in Hermione.
234 lII. Auflösung und Neujahrsfest
Ziegenfell t ; die Redensart vom ,Delischen Taucher t32 weist auf Ähn-
liches auf Apollons Insel - ein Schwimmer oder Taucher begleitet
Theseus' ankommendes Schiff auf der Fran<;ois-Vase. Der Mythos
vom Meeressprung des Theseus, der das Geschmeide aus der Tiefe
holt, spiegelt eine solche Taucher-Probe 33 • Ein ausgelassenes Fest
der Provinzialen, an dem aber auch vornehme Römer teilnahmen,
war in Ostia das Maiuma-Fest34 , an dem man sich gegenseitig ins Was-
ser warf.
In griechischen Mythen tauchen oft analoge Motive auf: als Skiron
vom Skironischen Felsen ins Wasser stürzt, kommt die Schildkröte
geschwommen36 - so wichtig waren die Schildkröten für die Strand-
bewohner, daß Aigina sie zum Wappentier erhob -. Andromeda,
Hesione werden geradezu als Köder am Meeresstrand ausgestellt, um
das große Seetier, das Ketos, anzulocken, das der Held erlegen kann36 •
In Tanagra löst die Prozession der Frauen zum Strand den Überfall
durch das Meeresungeheuer, den Triton, aus, der dann in dionysischer
Jagdzeremonie mit Wein gefangen und getötet wird37 • Vermutlich
hat die Jagd auf Robben und Wale das Bild vom Ketos geprägt, die
38 Vgl. die Mutter der Robben und den Mythos vom ]ungfrauenopfer bei den
Eskimos, o. Kap. I 8 Anm. 27.
IV. ANTHESTERIA
" Istros FGrHist 334 F 13 = Harpokr. •Aveeo-rllptoov; vgl. Macr. Sat. 1, 12,
14; Et. M. 109,12; An. Bekk. I 403,32; übersetzung , Floralia' Iustin
43, 4, 6. Lltovvaos "Avetos IG II/III2 1356, Paus. 1, 31, 4; Ll. EVCxvells
Phanodemos FGrHist 325 F 12, vgl. Euanthes als Vater des Weinspenders
Maron Od. 9, 197; •AvetaTf}p Thera IG XII 3, 329 (,Bekränzer' Wilamowitz
[1932J 77, 2). Nicht zu Dionysos gehören "Hpa 'Aveefa, < HpoaCxveeta,
&veeaq>opotin Argos (Nilsson [1906J 357), &veeaq>opot in Sizilien (PoIl.!, 37).
•Aveeo-rpfSes in Rhodos (LSS 96 vgl. Hsch. &veeo-rllptCxSes, An. Bekk. 215,
16), "Aveeta in Paiania (LSS 18). - Die Ableitung von *&va-esaaaaeat
(A. W. Verrall JHS 20 [1900J 115-7; Harrison [1922J 47-9) ist schon
wegen der gerade nicht ionisch-attischen (Apokope abzulehnen. - Tf}pta
als Suffix für Festnamen ist bereits mykenisch: *i\exeo-rpCA)Tf}pta Gerard-
Rousseau (1968) 201-3.
5 Ausführlich behandelt von Deubner (1932) 238-47, zusammenfassend von
van Hoorn (1951), dazu J. R. Green BICS 8 (1961) 23-7; ferner S. P. Karou-
zou, Choes, AJ A 50 (1946) 122-39; H. R. Immerwahr, Choes and Chytroi,
T APhA 77 (1946) 245-60; E. Simon, Ein Anthesterien-Skyphos des Polygno-
tos, AK 6 (1963) 6-22; Metzger (1965) 55-76; E. Simon, Gnomon 42 (1970)
710-1. Skeptisch A. Rumpf, Attische Feste - Attische Vasen, Bonn.
Jbb. 161 (1961) 208-14. Keineswegs alle, aber viele Darstellungen auf
Choenkrügen beziehen sich auf die Anthesterien; oft ist dies durch den im
Bild nochmals gemalten Choenkrug gesichert. Andererseits gibt es auch
Anthesterien-Bilder auf andersartigen Gefäßen. - Typische Choenkrüge er-
weisen Anthesteria auch für Unteritalien: van Hoorn (1951) 50-2; vgl.
Anm. 1; IV 5 Anm. 11.
6 2, 15, 4; T'iJ SooSeKCxT1J wird von Torstrik, Hude, Jacoby (FGrHist IU b
Suppl., Notes p. 160-1) als Interpolation getilgt, steht indes schon Pap.
238 IV. Anthesteria
Ox. 853, gibt also jedenfalls antike Tradition wieder; den überlieferten
Text verteidigt A. W. Gomme, A historical commentary on Thucydides II
(1956) 52-3. - [Dem.] 59, 76.
7 Philochoros FGrHist 328 F 84 (vgl. ]acoby z. d. St.); Kallim. Fr. 178;
Apollodor FGrHist 244 F 133; Schol. Thuk. p. 121, 20 Hude; vgl. Nilsson
(1955) 594. Aristoph. Ach. 1076 U1TO TOUS XOCXS YO:P Kcxi X,iTpovs veranlaßte
Didymos (Schol. z. d. St. 1""0.1 Suda X 622) zur Behauptung, Choes und Chy-
troi seien am selben Tag.
S In der Hauptgelderrechnung IG II/IIP 1496 bringen die Kleinen Dionysien
311 Dr., die Großen Dionysien 808 Dr., die Anthesterien nichts ein.
9 TO (TOV) SV !\h.lVCXlS LlIOVVCTOV genannt Thuk. 2,15,4; Isaios 8, 35; [Dem.]
59, 76; Philochoros (?) FGrHist 328 F 229; Kallim. Fr. 305; Strabo 8
p. 363; Schol. Aristoph. Ran. 216 (sv 4> Kcxi OiKOS Kcxi veoos TOV eeov); Steph.
Byz. !\{I.lVCXl. Nicht bei Pausanias, der vielmehr das Heiligtum am Dionysos-
theater als ältestes Dionysosheiligtum bezeichnet, 1, 20, 3. Philostr. V. Ap.
3, 14 nennt aber noch ein aycxAI.lCX TOV LlIOVVCTOV TOV !\ll.lvcxiov; vgl. van
Hoorn RA 25 (1927) 104-20. Daß an diesem Heiligtum keine ,Weiher'
waren, diskutiert Strabo a. O. und Schol. Thuk. Pap. Ox. VI Nr. 853.
W. Dörpfeld hat zwischen Areopag und Pnyx ein kleines Heiligtum ausge-
graben, wo später die Iobacchen (IG II/IIP 1368 = SIG 1109 = LS 51)
ihr Kultlokal hatten; es wird vermutungsweise mit dem Limnaion identi-
fiziert: AM 20 (1895) 161-76; 46 (1921) 81-96; ]udeich (1931) 291-6;
Pickard-Cambridge (1968) 21-5. G. T. W. Hooker ]HS 80 (1960) 112-7
plädierte für die Ilissos-Gegend, Guepin (1968) 283 will in dem Ilissos-
Tempel (u. Kap. V 3 Anm. 2) das Limnaion finden. Ein Bild des Tempels
vielleicht auf dem Chous München 2464, van Hoorn (1951) Nr. 699 T. 61.
2. Pithoigia und Choes 239
Prachtbauten nicht mehr erreicht worden; es ist nicht sicher identi-
fiziert und war schon in Pausanias' Zeit anscheinend verschwunden
- vielleicht war es ersetzt worden durch das private Kultlokal der
,Iobacchen' -. Es verkümmerte wohl eben in folge des besonders
heiligen Gebots, das an ihm haftete: nur an einem einzigen Tag
im Jahr durfte es geöffnet werden, eben am Tag der Choes. Ein anderes
Rätsel an ihm war sein Name: Weiher und Sümpfe waren auch il}~
historischer Zeit im Bereich Athens kaum zu finden. Was zu atheni-
schen Gegebenheiten so schlecht paßt, muß wohl einer noch älteren,
auswärtigen Tradition entstammen. Es gibt keinen autochthonen
,Ursprung' der Religion.
1 u. Anm. 27-9.
2 u. Kap. IV 3; die Interpretation der Anthesterien als Totenfest wurde vor
allem von Harrison (1922) 32-49 forciert, vgl. auch Nilsson (1955) 694-7,
der eine "äußerliche", aber "sehr alte" Verbindung von Dionysos- und
Seelenfest annimmt (697).
3 u. Kap. IV 4.
240 IV. Anthesteria
"Die Athener fangen mit dem neuen Wein am 11. des Monats An-
thesterion an, und sie nennen den Tag Pithoigia", schreibt Plutarch4.,
und gibt die fromme Deutung: "offenbar brachten sie seit alters vor
dem Trinken den Göttern eine Spende dar und beteten, daß der Genuß
dieses besonderen Saftes ihnen nicht zum Schaden, sondern zum Heil
ausschlagen möge". Die Weinfässer also sind es, die an diesem Tag
geöffnet werden, genauer jene großen Tongefäße (1TieOl), die man nach
dem Gären des Weins versiegelt hatte. Daß der Wein danach einige
Monate unangetastet ruhen muß, bis ins Frühjahr, ist eine merk-
würdig künstliche Regel, die aber sogar außerhalb Griechenlands, bei
den Römern, galt 5 • Jedenfalls ist das Trinken des Weins nicht ins Be-
lieben des Einzelnen gestellt, sondern die Gemeinschaft sammelt sich
und gedenkt des Gottes; gerade mit dem Anfang scheint Gefahr ver-
bunden: es wäre immerhin möglich, daß dieses Trinken ,zum Schaden
ausschlägt'. Weinbauern kennen auch heute noch feste Bräuche: ge-
meinsamer Erntebeginn, gemeinsame Kelterung. So ist hier das Kosten
des neuen Weins gemeinsame Feier im Bereich des Heiligtums.
Denn nur auf die Pithoigia kann sich der Berich des Atthido-
graphen Phanodemos6 beziehen: "am Heiligtum des Dionysos sv I\ill-
VCX1S' pflegten die Athener den neuen Wein, den sie hintransportierten,
für den Gott aus den Fässern zu mischen, dann auch selbst davon zu
kosten. Daher habe auch Dionysos den Namen ,Limnaios' bekommen,
weil der neue Wein, mit Wasser vermengt, so zuerst zum Mischtrank
wurde. Erfreut über die Mischung besangen die Leute mit Liedern
7 [Dem.] 59, 76. Ebenso ist das Heiligtum des Dionysos in Theben (Paus.
9, 16, 6) nur einen Tag geöffnet, vgl. Paus. 2, 7, 5 (Dionysos in Sikyon);
7, 20, 1 (Patrai).
8 Am 6. Tag des Monats Prostaterios, Plu. q. conv. 655e.
9 Prokl. Schol. Hes. Erga 368, zu Pithoigia: o\lTe OiKETflV OUTe j.llCT6ooTOV eipyelv
..fis CxnOACXVCTeoos TOU oivov 6ej.llTov Tjv ... Vgl. Antigonos v. Karystos Ath.
437e. Darum ist der ,schwarze' Choentag für die Sklaven ein ,weißer' Tag,
Kallim. Fr. 178, 2. Zu den Kindern Anm. 27-9. Ausgaben für Staatssklaven
an X6es: IG II/IIP 1672, 204.
16 Burk~rt, Homo Necans
242 IV. Anthesteria
Gesang gehören doch auch bei ihnen zusammen, mit Lied und Spruch
einander zuzutrinken, war ein fein entwickeltes Gesellschaftsspiel.
Am Choentag sitzt man gemeinsam unter einem Dach, doch wie von
einer gläsernen Wand umgeben: getrennte Tische, getrennte Krüge;
alle umschließt das allgemeine Schweigen, das man sonst nur von den
Höhepunkten der Opferhandlung kennt, wenn der Herold sein EVq>TUJEiTE
ruft.
Das Ritual spricht seine klare Sprache: das sogenannte Wett-
Trinken hat den Charakter einer Opferhandlung. Die Besonderheiten
des Choentrinkens sind üblich und bekannt beim blutigen Opfer:
nicht nur das Schweigen22 , sondern auch der jeweils besondere Tisch23
und die Verteilung in möglichst gleiche Por tionen 24, vor allem aber
die Atmosphäre der ,Befleckung( und Verschuldung. Das Wett-
Trinken zeigt in dieser Perspektive seine ursprünglichere Funktion:
alle beginnen zugleich, damit keiner sagen kann, der andere habe an-
gefangen26 • Und daß zu Tagesbeginn die unheilabwehrenden Blätter
nicht getragen oder aufgehängt, sondern gekaut werden, ist kathar-
tische Vorbereitung für die heilige Mahlzeit, wie sie vom Jägerbrauch
herkommt26 • Im Genuß der Nahrung liegt eine Verschuldung, die
gleichmäßig auf alle verteilt werden muß; und nur wer sein Teil er-
halten hat, gehört dazu, gebunden eben durch die Tat, die er begangen.
Eben daher rührt die Bedeutung des Choenfests im Leben der
Kinder: wenn ein Kind aus dem Gröbsten heraus war, im dritten
Lebensjahr, wurde es dem Familienverband der Phratrie vorgestellt,
und im gleichen Jahr nahm es erstmalig am Choenfest teil27 : "Geburt,
28 yC(j.lCUV, YEVVtlO"EOOS, xooov, E<pTlßElcxs IG II/IIP 1368, 130; das Relief Kou-
manoudes 3509, Deubner (1932) T. 16, 1, mit dem Epigramm TtAIK1TlS XOIK&'W,
6 OE ocxh.looV e<p6cxO"E TOUS XOVS (Nr. 157 Kaibel = IG II/IIP 13139). Zu
Blütenkranz und Gabentisch van Hoorn (1951) pass. Das oft dargestellte
Wägelchen erhielt Pheidippides allerdings an den Diasia im gleichen Monat,
Aristoph. Nub. 864. - Ein Chous in Baltimore, CV USA 306, 3 ist durch
Inschrift •AKP\I1TTOOl 6 TfCXTtlP als Geschenk für ein Kind bezeichnet. - Be-
schenkung der Lehrer am Choentag: Eubulides Fr. 1 (CAF II 431). - In
Keos durften erst Verheiratete Wein trinken, Arist. Fr. 611, 28.
29 S. Karouzou AJA 50 (1946) 126; 130; A. Rumpf Bonn. Jbb. 161 (1961)
213-4; aus einem Kindergrab stammt z. B. van Hoorn (1951) Nr. 118;
Nr. 115, fig. 35 zeigt eine Grabstele; vgl. den Stein':Chous Deubner (1932)
T. 15. - Einen Choenkrug trägt die ,gute Amme' nYPAIXMH TI9HNH
XPHLTH auf ihrer Grabstele, E. Simon AK 6 (1963) T. 3, 2.
30 Dem. 44, 18; 30; Eust. 1293, 8; Cook III (1940) 370-96.
246 IV. An thesteria
31 Eur. Iph. Taur. 947-60; Phanodemos FGrHist 325 F 11 = Ath. 437cd nennt
Demophon, vgl. Plut. q. conv. 643a; 613b; Apollodor FGrHist 244 F 133 =
Schol. Aristoph. Ach. 961, Eq. 95 nennt Pandion, vgl. Jacoby zu 325 F 11,
III b Suppl. p. 184. Das Gericht über Orest in Athen auch Hellanikos FGrHist
323a F 22; Marm. Par. FGrHist 239 A 25; Verbindung mit Anthesterien auch
Schol. Lyk. 1374. Man nimmt an, daß das Orest-Aition der Choen ins 6. Jh.
zurückgeht, von Aisch. Eum.448-52; 474---5 implizit abgelehnt wird,
Jacoby III b Suppl., Notes p.28-9; vgl. R. Pfeiffer, Kallimachosstudien
(1922) 104---12. 32 Kallim. Fr. 178, 2.
33 Wächter (1910) 64---76; L. Moulinier, Le pur et l'impur dans la pensee et la
sensibilite des Grecs (1950) 81-92; bes. Soph. OT 236-43; PI. Euthyphr. 4b;
zum Schweigen Aisch. Eum. 448; Eur. HF 1219; Or. 75; Fr. 427; LSS 115
B 54 (Kyrene).
3' Aelian Fr. 73 Hercher = Suda<p 428, X 364; vgl. Schol. Aristoph. Ach. 961.
Eine ähnliche Geschichte vom Tod des Dionysospriesters als Aition eines
Ziegenopfers in Potniai:Paus. 9,8,2. - ,Sklaven und Ätoler' sind vom
Leukothea-Heiligtum in Chaironeia ausgeschlossen, Plut. q. Rom. 267d.
35 Hekataios FGrHist 1 F 15; Apollod. 1. 64.
2. Pithoigia und Choes 247
hat man mit Recht vermutet 36 • Die Gemeinsamkeit, über den Namens-
anklang hinaus, liegt aber eben im Motiv des Blutvergießens; in der
nach Ätolien weisenden Fassung der Erzählung sind die Athener nicht
nur die Genossen des Orestes, sondern die verantwortlichen Nachkom-
men der Mörder.
In die Literatur eingegangen ist der parallele Mythos aus Ikaria,
dem durch Weinbau und Weinbauernsitten berühmten attischen
Dorf, das heute Dionyso heißt. Bei Ikarios ist Dionysos selbst ein-
gekehrt, hat ihm die Rebe gebracht und ihn den Anbau, die Ernte, das
Keltern des Weins gelehrt. Froh lud Ikarios die Fässer mit der neuen
Gottesgabe auf seinen Wagen und brachte sie den Dorfgenossen. Doch
die ,Fässeröffnung' wurde zur Katastrophe: als die Zecher vom un-
gewohnten Weingenuß berauscht zu Boden sanken, glaubte man,
Ikarios habe sie vergiftet; die aufgebrachte Menge erschlug den
Spender des Weins mit Knütteln, sein Blut mischte sich mit dem Wein.
Verzweifelt suchte seine Tochter Erigone den verschwundenen Vater,
von ihrem Hund Maira geleite( bis sie den Leichnam in einem Brun-
nen fand. Da hat sich Erigone erhängt37 • So schwelgt der Weinmythos
von Attika, dem Weinland, in der Ausmalung des Gräßlichen. Dieser
Wein ist ein besonderer, alles andere als harmloser Saft.
Was das Ritual aussagt, bestätigen die Mythen von Gewalttat
und Tötung um den ersten Wein: das Trinken des neuen Weins hat die
Funktion einer Opfermahlzeit, geheiligt eben im Sinn des Unerhörten,
38 ,Blut der Reben' (dm cl?m) im Ugaritischen, Baal II iv 37, ANET 133;
AT Gen. 49, 11; Sir. 50,15. - ,Blut der Erde' Androkydes Plin. n. h.14, 58.
39 Vor allem wird das Keltern zum blutigen Zerreißungsopfer, schon im Ägyp-
tischen: S. Schott, Das blutrünstige Keltergerät, Zeitsehr. f. ägypt. Sprache
u. Altertumskunde 74 (1938) 88-93; D. Wortmann, ZPE 2 (1968) 227-30;
Eudoxos bei Plut. Is. 353bc; dann über Apok. Joh. 14, 18-20 bis zu spät-
mittelalterlichen ,Kelterbildern' ; vgl. Eisler (1925) bes. 226-35; 246-8;
269-79; 334-44. - Die ,Augenschalen' der griechischen Keramik setzen
anscheinend die paläolithischen Schädelbecher (Müller-Karpe [1966J 241;
Maringer [1956J 123-8; 125: noch in Pompei) fort.
40 Vermutungen über Bier und Dionysos bei Harrison (1922) 413-25 ; Wein
aus Sadar-Früchten in <;atal Hüyük: Mellaart (1967) 269; daß ,Soma' ein
halluzinogener Fliegenpilz war, sucht R. G. Wasson, Soma, Divine mushroom
of immortality (1968) zu erweisen; dagegen J. Brough, Bull. of the School
of Or. and Afr. Stud. 34 (1971) 331-62. Ausführlich über Drogen und
Ekstase besonders in Amerika La Barre (1970) 143-9.
41 Rig-Veda IX (Uebe~s. K. F. Geldner III [1951J 1-120).
2. Pithoigia und Choes 249
42 Eur. Bacch. 284; Kykl. 519-28; Plat. Leg. 773d (Wein als I-\otvol-\evos
aeoS); Phanodemos FGrHist 325 F 12; Philochoros FGrHist 328 F 5. "Der
Wein ist Dionysos" K. Schefold MH 27 (1970) 119.
43 Ältester sicherer Zeuge für den Mythos vom Tod des Dionysos ist bekannt-
lich Kallim. Fr. 643 (0. Kap. II 5 Anm. 41); vgl. Jacoby zu Philochoros
FGrHist 328 F 7; daß dieser Mythos in frühhellenistischer Zeit erfunden
sei, verfocht nach Wilamowitz (1932) 378-80 L. Moulinier, Orphee et
l'orphisme a l'epoque classique (1955) 46-60. Als ältere Anspielungen
können gelten: 1) Pi. Fr. 133, l1Tolvav 1TOi\OtOV 1TEv6eos; P. Tannery, Rev.
de Philol. 23 (1899) 129; H. J. Rose, HThR 36 (1943) 247. 2) Die Gleich-
setzung mit Osiris und das betonte Schweigen Herodots über die - in
Ägypten keineswegs geheimen - 1T<x6T) des Osiris, 2, 61; 132; 170, G.
Murray bei Harrison (1927) 342-3; 3) Plat. Leg. 701c TtTOVtK" <purrtS und
672b Ste<pop~aT) Tils \Vuxils T"V YVOOI-\T)v. 4) Isokr. 11 (Bus.) 39; 5) Xeno-
krates Fr. 20 Heinze, vgl. Plat. Krat. 400c. Die Zurückführung des Mythos
auf Onomakritos (Paus. 8, 37, 5, wohl nach Aristoteles, Fr. 7) ist antike
Philologenvermutung, doch könnte ein Gedicht des 6. Jhs. im Hintergrund
stehen. Der Papyrus von Derveni, der die Quellenlage über die Orphik
entscheidend geändert hat, bringt im Erhaltenen nichts über Dionysos.
Vgl. auch K. Kerenyi, Dioniso 14 (1951) 139-56; Mythos, Scripta in hon.
M. Untersteiner (Genua 1970) 171-8.
44 TT6:6T) des Dionysos als Allegorie der Weinbereitung: Diod. 3, 62, 7 = OF
301; vgl. 4, 5, 1; Skolion bei Plut. q. conv. 676e; Kelterlied Schol. Clem.
Protr. 4,4, p. 297, 4 Stählin; Cornutus 30; Himer. or. 45,4 = OF 214.
Wein als 011-\0 BOKX10u schon Timotheos 780 Page. Vgl. auch H. Herter
RhM 100 (1957) 109-10 zu einem Pompeianischen Gemälde, E. Simon
Hommages A. Grenier III (1962) 1418-27 zu Campana-Reliefs.
250 IV. Anthesteria
2Phanodemos FGrHist 325 F 11; die letzten Worte ETIena 6velv ev Tc;, tep4>
Tex ETIiA011Ta umschreibt Deubner (1932) 99; 100 "die Neige zu spenden" -
aber 6velv ist nicht OiTevSelV.
3 Ran. 211-9.
4 Deubner (1932) 244; H. R. Immerwahr TAPhA 77 (1946) 247-50; vgl.
van Hoorn (1951) Nr. 762 fig. 173; Nr. 385 fig. 85; Nr. 328 fig. 503; Nr. 633
fig. 95; Nr. 40 fig. 97; Nr. 838 fig. 88; Pelike Baselfig. 109; Nr. 602 fig. 107;
Nr.651 fig. 168; Nr. 581 fig.527 etc.; Nr.842 fig. 87 = Deubner T. 9, 2
= Metzger (1965) 68,26: ,Priesterin' nimmt Kränze in Empfang (oder:
Basilinna in Erwartung des Dionysos: E. Simon AK 6 [1963] 21?). - Plat.
Kritias 120b läßt in Atlantis die Schalen, aus denen beim Eidopfer getrun-
ken wird, ins Heiligtum weihen. Zerbrechen der Töpfe im Totenkult:
W. Helbig SBMünchen 1900,2,247-51 (dagegen LS 97,9; [Tex Se cX]yyeia
cXTIocpepeaeal); im hebräischen Sündopfer: AT Lev. 6,21.
5 O. Kap. I 2.
4. Heilige Hochzeit und 'Lenäenvasen' 257
in gleichem Maße davon genossen; jetzt werden alle diese Krüge an
einem geheiligten Ort zusammengebracht. So werden im Mythos
immer wieder die Reste des zerstückelten Opfers gesammelt, bei-
gesetzt, ja zu neuem Leben erweckt; auch vom zerstückelten Dionysos
wird dies erzählt 6 , ob das Geschehen nun nach Delphi oder nach Kreta
verlegt ist. Vielleicht wird von hier aus erst der Name des ,Dionysos
in den Weihern' durchsichtig, der zu den lokalen Gegebenheiten Athens
so wenig paßt: Weiher und Sümpfe - oder, für Küstenbewohner, das
Meer - sind der Ort des Verschwindens und des wunderbaren Auf-
tauchens; hier werden Opfer versenkt, hier spricht man von der Wie-
derkehr des Gottes aus der Tiefe 7• Hier ist der Ort, wo Dionysos, jen-
seits von Blutvergießen, Tod und sakraler Mahlzeit, als Gott sich
offenbart.
Eine ,Priesterin' waltet hier; kaum eine eigens bestellte Priesterin
für das regelmäßig verschlossene Heiligtum, sondern eine Frau, die an
diesem Tag priesterliche Funktionen übernimmt. Zum Heiligtum ,in
den Weihern' gehören 14 Frauen, vom ,König' eingesetzt, die ,Ehr-
würdigen'8 schlechthin genannt; an ihrer Spitze steht die ,Königin'9,
die Frau des Archon Basileus selbst. Sie vereidigt die ,Ehrwürdigen',
ja ihr selbst fällt die spektakulärste Rolle im Festprogramm zu: sie
wird dem Gott selbst zur Gemahlin gegeben; in einem Gebäude am
Marktplatz, dem Bukolion, kommt es zur Liebesvereinigung des
Gottes mit der sterblichen Frau10•
6 Philodem De piet. 2, p. 16 Kol. 44 Gomperz cPecxs TCx lJeA11 cruveelcr11S äveßicu;
Diod. 3, .62, 6 1TCxAIV S' \I1TO TfjS b.i)IJ11TPOS Tc;'W lJeAwV cruvcxPlJocreeVTcuv; o.
Kap. II 5 Anm. 41. Vgl. die Mythen von Aktaion (0. Kap. II 4 Anm. 18),
Hippolytos (Sen. Phaedra 1247-8, 1256-79), Pentheus (Eur. Bacch.
1299-1300), Orpheus ([Eratosth.] Catast. 24, p. 140-1 Robert), Osiris
(Plut. Is. 358a).
7 So ist in der Quelle von Lerna Dionysos versunken und wieder aufgetaucht,
wird dort ,heraufgerufen' (Plut. Is. 364f., vgl. o. Kap. III 3 Anm. 33); vgl.
auch Kap. III 8.
8 Die Form yepcxlpcx (Feminin zu yepcxpos vgl. XiIJCXlpCX/XlIJCXpOS) ist inschriftlich
gesichert (IG II/III2 6288; XII 3, 420), wurde von Aristarch auch Il. 6, 270
gelesen (Schol. A); sie ist (anders akzentuiert) Et. Gen. = Et. M. 227, 35
und An. Bekk. I 231, 32 vgl. 228, 9 überliefert (= Ael. Dion. y 7 Erbse),
bei Harpokr. s. v. (Cd. yepcxlcxi oder yepcxpcxi) herzustellen; [Dem.] 59, 73. 78;
PoIl. 8, 108, Hsch. (falsch eingeordnet) ist yepcxpcx{ überliefert. Deubner
(1932) 100, 5.
9 Die Demosthenesüberlieferung (59, 74) spaltet sich in ßcxcriAlcrcrCX, das
Phrynichos (p. 225 Lobeck) und Aelius Dionysius (13 5 Erbse) anerkennen,
und ßcxcr{AIVVCX, das sonst im Kinderspiel Men. Fr. 652a belegt ist.
10 [Dem.] 59, 73; 76; Arist. Ath. Pol. 3, 5. Daß dieser Akt zu den Anthesterien
17 Burke1:t, Homo Necans
258 IV. Anthesteria
Übergabe an den Gott, und der ,Vollzug' des Ritus - eben das, was
Aristoteles unverblümt als Geschlechtsakt bezeichnet.
Wenn das sakramentale Trinken am Choentag ein blutiges Opfer
symbolisiert, muß die dem Sammeln der Reste folgende Heilige
Hochzeit ebenfalls im Rahmen der Restitutionsrituale stehen. Eben
dies ist in Brauch und Mythos vielfach bezeugt: das Opfer wird ver-
söhnt, indem eine Frau ihm hingegeben wird18 , ja in der Umarmung
gewinnt der Tote neue Lebenskraft, Zeugungskraft. So empfängt Isis,
nachdem die Reste des zerstückelten Osiris gesammelt sind, den
Horos19 ; so geht der Gott in die Pythia ein, die auf dem Dreifuß sitzt 20 •
Höchste Gefahr freilich signalisiert auch hier das ,Heilige' der Heiligen
Hochzeit: so gut die Frau den Toten belebt, kann dieser sie töten.
Mit diesen Umrissen müßte man sich bescheiden, gäbe nicht aller
Wahrscheinlichkeit nach die bildliche Überlieferung einen genauen Hin-
weis, in welcher Form Dionysos in dieser Nachtin Erscheinung trat. Dut-
zende von attischen Vasen zeigen eine überaus primitive Form des
Dionysosbildes, die darum seit langem die Aufmerksamkeit der Re-
ligionswissenschaft erregt hat. Kein menschengestaltiger Gott ist da
gebildet, nur eine Maske ist an einer Säule aufgehängt; zuweilen sind es
zwei Masken, ianusartig nach beiden Seiten blickend; ein Gewand ist
um die Säule geschlungen, rohe Andeutung eines Körpers, doch ohne
Arme oder Beine; Kuchen sind vielmehr aufgespießt, Zweige wachsen
aus dem Körper, vor dem Bild aber ist ein dreibeiniger Opfertisch
aufgebaut, auf dem neben allerlei Speisen vor allem zwei Weinkrüge,
Stamnoi, zu sehen sind. Frauen bewegen sich gemessem um das ganze,
Wein schöpfend und trinkend - sofern nicht die Phantasie des Malers
den gewöhnlichen dionysischen Schwarm der Satyrn und Mänaden
einherstürmen läßt21 .
Dionysosbild passen wie auf die zwei Stamnoi, in denen der Wein vor
dem Gott des Weines steht. In ihm nimmt wieder Gestalt an, was im
,unsagbaren Opfer' zerteilt und vernichtet war.
Man sieht dem Bild so ganz die Mache an: dies ist nicht eine Sta-
tue, die unverändert im Tempel steht, sondern es wird für eine ein-
malige Zeremonie improvisierend aufgebaut; man kann geradezu
ablesen, wie das vor sich geht: das wichtigste ist die Maske. Sie wird
gebracht, erhöht, befestigt und geschmückt; man holt den Tisch,
stellt Speisen auf und Wein. Die ,Königin' mußte einen Raum be-
treten, den niemand sonst betrat; eine der ältesten Lenäenvasen
zeigt eine tanzende Frau vor der großen Dionysosmaske, die in einer
Höhle sich aufrichtet 27 • Brachte die ,Königin' die Maske aus dem
unterirdischen Oikos im Limnaion? Und woher kam, was für die
folgende Hochzeit entscheidend war, die Zeugungskraft? Merkwürdig,
wie im Dionysosbild auf Lesbos Kopf und Phallos vereint erscheint 28 •
Doch fällt in Athen kein weiterer Lichtstrahl ins Dunkel des ,Unsag-
baren'. Nur dies läßt sich klar vorstellen, wie unter Gebeten und
Opfern, zwischen verrinnendem Blut und flackerndem Feuer, die
Maske aufgerichtet, bekleidet, geschmückt wurde, bis dann im Singen
der Hymnen, im Trinken des Weins und im sich steigernden Tanz
um die Säule der Gott eben da war, erschienen inmitten der Nacht,
um mit unerhörter Lebenskraft seine Heilige Hochzeit zu feiern.
Man erkennt auch hier den verwandelten Fortbestand jener
prähistorischen Riten der Restitution. Wie dort die Knochen des
- Tiers, vor allem der Schädel an einem Platze deponiert oder vielmehr
erhöht und geheiligt wurde, so ist hier nach dem Genuß des Heiligen
die Maske, Äquivalent des Schädels29 , aufgerichtet worden: ein Gott
ist da. So sucht das Ritual die Wiederherstellung der Ordnung nach
ihrer Verletzung, den Bestand des Lebens durch den Tod hindurch
zu dokumentieren. Die Griechen haben dies sich selbst nicht sozio-
logisch-psychologisch auseinandergelegt, auch nicht in klassischer
Zeit von Tod und Auferstehung des Gottes direkt gesprochen; sie
erzählten in schlichtem Mythos, daß Dionysos entschwand und aus
Der Tag der ,Töpfe' hat seinen Namen von der besonderen Fest-
tagsspeise, die für ihn zubereitet wurde: Körner aller Art, zusammen
30 Akr. 325 = ARV2 460, 20, Frickenhaus p. 22, Cook I (1914) 707 (vgl. 708),
B. Graef - E. Langlotz, Die antiken Vasen von der Akropolis zu Athen II
(1933) T. 20.
31 Auf die Prozession der ,Königin' deutet man den Skyphos Berlin F 2589
= ARV2 1301, 7, Deubner (1932) T. 18, 2, AK 6 (1963) T. 3, 3, sowie einen
Skyphos in Basel, E. Simon AK 6 (1963) 6-22, T. 2; dazu Glockenkrater
Louvre G 422 = ARV2 1019, 77, AK 6 (1963) T. 7, 5; Volutenkrater
Vatikan, ARV2 590, 5, AK 6 (1963) T. 6, 1, u. a. m. Eine bei Dionysos, d. h.
vielleicht im Limnaion beginnende ITolJlTT) ist allegorisch dargestellt auf dem
Chous New York 25. 190, Deubner (1932) T. 9, 4; Metzger (1965) 66;
O. Brendel AJ A 49 (1945) 519-25, vgl. auch van Hoorn Nr. 273 fig. 23
= ARV2 1323, 36. - Der Schiffswagen gehört eher zu den Dionysien
als in die Chytrennacht, o. Kap. III 7 Anm. 26; für das von Deubner (1932)
104-7; T. 11 so wichtig genommene Choenkännchen New York 24. 97. 34
= van Hoorn Nr. 757 (dagegen A. Rumpf Bonn. Jbb. 161 [1961J 210-2)
hat sich eine neue Situation ergeben durch den Glockenkrater Kopenhagen
NM 13829: K. Friis J ohansen, Eine Dithyrambos-Aufführung in Athen,
Meded. Da. Vid. Selsk. 4, 2 (1959); Pickard-Cambridge (1962) T. 1, wo
festlich gekleidete Männer zur Flöte um den dreibeinigen ,Maibaum' stehend
singen. Wenn die Deutung auf den Dithyrambos richtig ist, ist an die Dio-
nysien zu denken. Die Prozession des Dionysios unter der Efeu-Laube auf
dem Wagen ist beschrieben Eust. 857, 36 o:y6:i\IJCXTl t.l0VUO'OV ITOIJITEUOVTl
ITEP1EKE1TO Kcxi O'K10:S EK K10'0'OV Kcd O:IJITEi\OV. V gl. Hsch. O'Kl6:S, Pollux 7, 174.
32 O. Anm. 13/4.
264 IV. Anthesteria
im Topf weichgekocht und mit Honig gesüßtl . Man hat dieses Gericht,
das im Volksbrauch auch außerhalb Griechenlands eine bedeutende
Rolle spielt, als Totenspeise bezeichnet2, und gewiß kehrt es im Toten-
kult wieder, doch nur, weil es in besonders alter Tradition steht. Es
handelt sich ganz einfach um~ das primitivste vegetarische Festge-
richt, aus einer Zeit stammend, als die Künste des Mehlmahlens und
Brot- oder Kuchenbackens noch unbekannt waren: alles zusammen-
getragen, was die Natur an eßbaren Körnern bietet, den Hunger zu
stillen, versetzt mit der einzigen Würze, die in der Natur sich fertig
findet, mit Honig: das ist die ,Panspermie'.
Der Historiker Theopomp berichtete darüber in einem Passus,
der in verschiedenen Brechungen durch Zitat erhalten ist; die Kurz-
fassung 3 behauptet, "niemand kostet( von diesen Töpfen, und hieran
klammerte sich die Theorie von der den Lebenden verbotenen Toten-
kost, zumal daneben von Opfern für den ,Hermes der Erdentiefe'
- an den Choen - die Rede ist. Die ausführlichere Fassung jedoch
sagt: "bei ihnen - den Athenern - ist Brauch an den Choen, über-
haupt keinem der Olympischen Götter zu opfern, sondern dem Chtho-
nischen Hermes; und von dem Topf, den alle in der Stadt kochen,
kostet keiner der Priester({4. Das Topfgericht wird also von allen
1 Trä:v O'Trepllex eis Xlhpexv E\vTJO'exVTeS Didymos Schol. Aristoph. Ach. 1076;
Xlhpexv TrexvO'Trepllfexs Theopomp FGrHist 115 F 347a. Vgl. Sosibios Ath.
648b SO"T\ SE TC Trvavtov ... TrexvO'Trepllfex SV yi\vKei T)\VTlIleVTl. Zur Panspermie
Nilsson (1955) 127-9; bei Neugriechen: B. Schmidt, Das Volksleben der
Neugriechen (1871) 60; E. Gjerstad ARW 26 (1928) 154-70; bei Serben,
Böhmen: J. Lippert, Christenthum, Volksglaube und Volksbrauch (1882)
421; 635; bei Russen: Wörter und Sachen 2 (1910) 100. Noch bei einer
Beerdigung im heutigen Rußland: "Dann bekam jeder in seine Schüssel ein
klein wenig Honiggrütze, die wir, der Seele zum Gedenken, ohne jede Zutat
auslöffelten", A. Solschenizyn, Im Interesse der Sache (19703 ) 52.
2 "a supper for the souls" Harrison (1922) 37; vgl. Deubner (1932) 112;
Nilsson (1955) 595.
3 Schol. Aristoph. Ach. 1076""' Suda X 622 = Theopomp FGrHist 115 F
347a, TfjS SE XlhpexS IlTlSevex yevO'ex0'6ext. Danach "no man tasted" Harrison
(1922) 37; "natürlich durfte niemand von dem Opfer essen" Deubner
(1932) 112-3; "davon kostet niemand" Nilsson (1955) 595.
4 Schol. R (daraus Schol. M) Aristoph. Ran. 218 = Theopomp FGrHist 115·
F 347b: 6vetv exlIToiS Eeos T(ois) XovO'{v (EXOVO'tV Cd., em. A. Wifstrand bei
Nilsson [1955] 595 Anm.; Tois XovO'lv auch im Paralleltext F 347a) T&')V IlEV
'Oi\vIlTr{ooV 6eoov ovSev\ TC TrexpaTrexv, <Epll1J SE X6ovl'l'· Kex\ TfjS XVTPexS f}v
E\VOVO'tV TraVTes oi KexTCx TTJV Troi\tV, ovSe\s yeveText TWV lepeoov. Es ist Willkür,
TOOV tepeoov als "Interpolation" zu bezeichnen (Jacoby III b Noten p. 88, 5
vgl. Harrison [1927] 291, 1). Richtig A. Mommsen (1898) 398.
5. Chytroi und Aiora 265
Menschen in der Stadt an diesem Tag gegessen, nur nicht von den
Priestern; diese haben dafür dem Hermes geopfert, nicht den Olym-
pischen Göttern, denn deren Tempel waren ja am Choentag versperrt.
Priester und blutige Kost auf der einen Seite, vegetarisches Festmahl
auf der anderen, dies ist als Antithese durchgehalten. Hermes ist der
Gott, der zwischen Jenseits und Diesseits vermittelt, der Dionysos
hinwegträgt und zurückbringt; sein Opfer gehört wohl in die Nacht
zwischen Choen und Chytren, während mit dem ,Topfgericht' die
Ordnung des Tages endgültig ',errichtet' wird5 .
Theopomp gibt als aitologischen Mythos für die Chytroi die Sint-
flutsage: die wenigen Menschen, die sich retten konnten, kochten
einen Topf mit jenem Körnergericht, indem sie alles, was noch zu
finden war, zusammenwarfen; so kamen sie wieder zu Kräften, und
"nach dem Namen des Tages, an dem sie wieder Mut geschöpft hatten,
benannten sie auch das ganze Fest"; zugleich "suchten die damals
Überlebenden Hermes im Namen der Umgekommenen zu versöhnen",
eben durch die Opfer an Hermes 6 • Zu den Toten stehen also die Chy-
tren in Beziehung; doch der ,Tag der Befleckung' ist nach eindeutigem
Quellenzeugnis der Choentag. Die Chytren bedeuten, nach Theopomp,
die Wiedergewinnung festen Landes nach der Sintflut, die Rückkehr
zum normalen Leben. Das Totengedenken hat den Charakter des Ab-
schieds, der Abwendung: evpa~e Kapes. Sklaven und Taglöhner wer-
den wieder an die Arbeit geschickt, die Masken haben kein Recht mehr.
Man kann auch die Orestesgeschichte in dieser Weise zu Ende er-
zählen: Orestes ist in der Nacht entsühnt worden - nächtlich waren
die Sitzungen des Areopags 7 - , nach einem letzten Opfer an die ,Ehr-
würdigen' Erinyen sind diese verschwunden.
Die Sintflutgeschichte kompliziert das Bild, indem ein ganz
neuer Mythos hereingezogen wird; und doch: die Sintflutsage wird
nicht selten an ein ,unerhörtes Opfer' geknüpft, das sie ausgelöst hat.
So brach nach dem kannibalischen Mahl des Lykaon die Sintflut
5 Töpfe und "Errichten" (i15PVcrlS) einer Statue, eines Tempels gehört zu-
sammen, Aristoph. Pax 923 m. Schol., Plut. 1198 m. Schol., Phot. Ö\l1TVT)V;
Hsch. tl5pvecr6al; Hock (1905) 59-64; vgl. o. Kap. I 5 Anm. 17.
6 Theopomp FGrHist 115 F 347 b: 151acrw6EVTas OUV TOUS O:V6PW1TOVS, 151Tep
e60:ppT)crav Ti\lEP~, Tc{) TaVTT)S oVo\la'T11Tpocrayopeucral Kai TT)V EOpTT)V cx1Tacrav
... TOUS TOTe 1TeplyeVO\lEVOVS U1TEp T&'W 6avoVTwv tAo:cracr6al TOV cEp\lfjv.
Opfer an Hermen erscheinen oft auf Choenkannen, van Hoorn (1952)
26-7; ob Hermen auch Dionysos darstellen können,ist eine alte Streit-
frage (0. Kap. IV 4 Anm. 13; 22; 26).
7 Luk. Herrnot. 64; De dome 18.
266 IV. Anthesteria
herein8 , oder nach dem Mord, der auf Samothrake geschah9 • In der
großen Flut, die alles bedeckt, versinkt endgültig das Verbrechen samt
den Verbrechern, an neuen Ufern kann neues Leben beginnen. So
markiert die Sintflutsage, auch wenn sie wohl sekundär nach Attika
gezogen wurde, doch strukturell richtig den Einschnitt zwischen dem
sakramentalen Opfer der Choen und dem Neubeginn am Tag der
Töpfe.
Wie so oft zum Abschluß des Opfers Agone gehören, sind auch an
den Chytren Agone bezeugt10 . Zwar blieben sie, trotz gelegentlicher
Restaurierungsversuche, hoffnungslos im Schatten der Dionysien
und Panathenäen; doch führen die Zeugnisse bis ins Ende des zweiten
nachchristlichen Jahrhunderts. Die Epheben sind es, natürlich, die
hier die Hauptrolle spielen, ist die neugewonnene Ordnung doch Sache
der jungen Generation.
Den Kindern, den Mädchen und Jungfrauen hielt der Chytrentag
eine besondere Lustbarkeit bereit: das Schaukeln. Was uns ein pro-
blemloses Vergnügen ist, hat bei den Athenern, wie Choenkannen
zeigen, feierlichen Charakter: ein Thronsessel wird aufgestellt, mit
vornehmen Kleidern belegt; Feuer wird entzündet; ein geöffneter
lTi60S steht daneben im Boden - ob als geöffnetes Weinfaß gedacht
oder bestimmt, Spenden für die Toten aufzunehmen, steht dahinl l .
FR III 28: schaukelndes Mädchen, Frau, eine aufgehängte Tänie zum Zei-
chen der Festlichkeit, Pithos im Boden wie bei Nr. 1. - 4) Hydria Louvre
CA 2191 = ARV2 1131, 173, CV France 635: Eros schaukelt Mädchen;
Tänie; Pithos. - 5) Skyphos Berlin 2589 = ARV2 1301, 7, Deubner (1932)
T. 18, Nilsson (1955) T. 37, 2: Satyr schaukelt Mädchen. Die Inschrift ist
zu lesen Ev6:[v]6E1CX [K]CXAT), Immerwahr 1. c. 256 - 6) Lekythos München
234, Metzger (1951) T. 5, 1: DAIb.IA schaukelt IMEPOL. - Dazu eine
apulische Lekythos des Bendis-Malers, New York 13. 232. 3, Cambitoglou-
Trendall (1961) 59, 5, BuH. Metr. Mus. of Art 9 (1914) 235: Frau läßt Mäd-
chen schaukeln; Knabe mit Strigilis auf Altar; Herme. Zu unteritalischen
Choen vg1. Kap. IV 1 Anm. 5. - Auf das Fest beziehen sich, wie die
reichgeschmückten Gewänder andeuten, auch die Bilder schaukelnder
Mädchen auf sf. Amphoren des ,swing painter', Boston 98. 918 = ABV
306, 41; Louvre F 60 = ABV 308, 74. Kultische Hintergründe werden
auch vermutet für die minoische Terrakottagruppe des schaukelnden Mäd-
chens aus Haghia Triada, Nilsson (1950) 332 Anm.; S. Marinatos, Antichthon
2 (1968) 1-34.
12 Hygin. astr. 2, 4 = [Eratosth.] Catast. p. 79 Robert (Fest ,Aletis'); Hygin.
fab. 130 (,oscillatio' = cxlwpcx); vg1. Ae1. nato an. 7, 28.
13 Marm. Par. FGrHist 239 A 25; Apollod. Epit. 6,25; 28; Schol. Eur. Or.
1648; Ace. Erigona vielleicht nach Sophokles Erigone, vg1. Pearson zu
Soph. Fr. 235-6. Nach Kinaithon (Paus. 2, 18, 6) hat Orestes Erigone
geheiratet; nach Hygin. fab. 122 wird sie Priesterin in Attika.
14 O. Kap. IV 2 Anm. 37.
268 IV. Anthesteria
15 Hsch. Aioopcx' EOpTTJ ' A6i]v11ow, ftv oi IlEV hrt Tfj MaAeoo TVPP11VOV (Tvpavvov
Cd.) 6VYCXTpi q>cxow; Et. Gen. = Et. M. 62, 7 s. v. 'AAfjTtS' ... oi OE TTJV TOV
McxAewTov TOV TVPP11VOV 6VYCXTEPCX; Schol. Stat. Theb. 4, 224 Maleus
Tuscorum rex, qui tubam primus invenit ("-' 6, 382); nach ihm sei Kap
Malea und ApolIon Maleotas (dazu RE XIV 875-881) benannt. Strabo 5
p. 225 erklärt Regisvilla bei Pyrgi als ßcxO"iAetoV MaAew TOV ITeAcxO"yov, ov
q>cxO"tV ... O:lTeA6eiv Ev6Evoe eis' A6i]vcxs. Malea ist mit Silen-Tänzen verbunden
Poll. 4, 104; Pi. Fr. 156. Vgl. die Tyrrhener als Gegenspieler des Dionysos
im homerischen Hymnos, O. Kap. III 7 Anm. 23; der Etrusker Mezentius
beansprucht den Wein Latiums für sich, Varro bei Plin. n. h. 14, 88; Fasti
Praenestini CIL 12 316; Dion. HaI. ant. 1, 65, 2; Plut. q. Rom. 275e; Ov.
fast. 4,863-900; Cato Fr. 12 HRR 12 59. - Die ,tyrrhenische' Trompete
schon Aiseh. Eum. 567; Paus. 2, 21, 3; Schol. Aristoph. Ran. 133; Clem.
Strom. 1, 74,6 mit Berufung auf Tpcxycpoicxt; merkwürdig Hygin fab.
274,20-1: Das Trompetensignal bedeute Absage an den Kannibalismus.
16 Et. Gen. = Et. M. 62, 9. Medea ist, als Gemahlin des Aigeus, vorübergehend
Königin von Athen. Aletis = Persephone, OtOTt TOUS lTVPOUS &AovVTes
lTEllllCXTa TIVCX lTp0O"Eq>epov CXUTfj. OVToo Me60otos. Es stellt sich die Frage, ob
noch die Diasia (dazu Deubner [1932J 155-7) 10 Tage nach den Chytroi
in Beziehung zum Anthesterienfest stehen. Apollonios FGrHist 365 F 5
verbindet auch sie mit dem Sintflut-Aition; nach Plut. Sulla 14, 10 gab es
VlTOIlVi]IlCXTCX lTOAAa an die Sintflut in diesem Monat; ob die vopoq>opicx
(Apollonios FGrHist 365 F 4; Hsch., Et. M. S. v.) zu den Chytroi (so Deub-
ner [1932J 113, Nilsson [1955J 595) gehört, ist darum unsicher (Jacoby
z. d. St.).
17 Arist. Fr. 515 = Ath. 618e; PoIl. 4,55; Plat. Com. Fr. 212 (CAF I 659)
= Hsch. &AfjTtS.
18 Paus. 10, 29, 3 zu Polygnots Bild der schaukelnden Phaidra; Servo Aen.
6, 741; Servo Georg. 2, 389; vgl. auch G. Devereux, Melanges C. Levi-
Strauss (1970) 1246, 55: "certains Eskimos pendaient leurs enfants par
le col de leur vetement, ,pour leur donner du plaisir' (ivresse d'anoxemie)" .
19 O. Kap. I 7 Anm. 40.
6. Protesilaos 269
eine letzte Sühnezeremonie für die Vorgänge des Choentags. Erigone,
Tochter des Ikarios, war vom einkehrenden Dionysos zur Frau ge-
macht worden20 , sie ist also zugleich mythisches Gegenbild der
,Königin', die in der Nacht vor dem Schaukelfest als vorzüglichste
der Athenerinnen dem Gott hingegeben worden war. Der Schrecken,
den der Mythos festhält, ist freilich im Ritus ganz ins Liebliche ver-
wandelt: für Erigone, die ,Frühgeborene' , im Morgenwind zu
schaukeln, steigend und sinkend, vom Erdboden gelöst - dies läßt die
letzten, unbewältigten Schlacken vom ,Tag der Befleckung' dahin-
fallen. Durchs ,Unsagbare' hindurchgegangen, kann man sich der
Blumen des Frühlings freuen, die dem Anthesterienfest den Namen
gaben.
6. Protesilaos
eine Nacht; am Morgen, heißt es in einer Fassung, wird das Bild ver-
brannP, jedenfalls gibt sich Laodameia selbst den Tod4 •
Diese ,Vampirgeschichte', die mit Vertauschung der männlichen
und weiblichen Rolle von Phlegon5 erzählt wird, woraus Goethe die
Anregung zur ,Braut von Korinth' geschöpft hat, gilt im allgemeinen
als volkstümliches Erzählmotiv. Protesilaos aber war mehr als ein
Held der Sage: er hatte einen heiligen Bezirk in Phylake in Thessalien,
wo ihm zu Ehren Agone abgehalten wurden, die Pindar erwähnt 6 ;
vor allem aber war ein großes, reiches Protesilaos-Heiligtum in Elaius
an der Thrakischen Chersonnes, wo auch sein Grab gezeigt wurde;
doch nicht als Heros, sondern wie ein Gott wurde er verehrt 7• In
Philostrats Zeit freilich standen nur noch Grundmauern, aus denen
eine immer noch volkstümlich verehrte Statue ragte; in der Zeit des
Xerxeszuges dagegen hatte der persische Statthalter Artayktes reiche
Schätze an Weihgaben abtransportiert, wofür sein grausames Ende
nach dem Sieg der Griechen dann gerechte Strafe schien. Vor allem
habe er, erzählte man, Frauen in den unbetretbaren Tempelraum des
Heiligtums gebracht, um dort mit ihnen sexuelle Orgien zu feiern 8 •
Nun ist der Liebesakt im Heiligtum für die Griechen das Skandalon
schlechthin9 , wenn aber der Perser auf den Gedanken kam, den Tempel
zum Serail zu machen, müssen irgendwelche Einrichtungen dies nahe-
gelegt haben; seine unheilige Hochzeit setzt irgend einen Brauch oder
frau den ,Penaten' geopfert werden. Im Streit des Königs mit einem
Vater darüber, wessen Tochter der Tod treffen soll, kommt es zu
einem besonders gräßlichen Opfer: Matusios "tötete die Töchter des
Königs und ließ ihr Blut, mit Wein in einem Mischkrug vermischt,
dem ankommenden König zum Trank reichen." Als die Tat entdeckt
wird, stürzt man Matusios ins Meer samt dem Mischkrug ; danach
sei das ,Matusische Vorgebirge' benannt, der Krater aber sei, als
Sternbild, an den Himmel versetzt14. So ist gerade das Andenken des
Gräßlichen verewigt, geheiligt.
Hier wird ein Weintrinken aus dem heiligen Krater des Dionysos
geschildert als ein Bluttrinken, in Verbindung mit einem Mädchen-
opfer. Eben dieses ist von den Göttern gewollt, die in der lateinischen
Übersetzung ,Penaten' heißen: es sind offensichtlich die ,Großen
Götter' oder die ,Kabiren', wie sie mit Samothrake, Lemnos, Troia in
Verbindung gebracht werden15 . Weintrinken spielte in den Geheim-
riten der Kabiren eine große Rolle; die Schauergeschichte Phylarchs
spiegelt analoge Mysterien der Großen Götter. Daß dem ,unsagbaren
Opfer' der Sturz ins Meer folgt, steht wiederum in der festen Leuko-
thea-Typik16 .
Es ist nicht ohne weiteres möglich, das aus der Matusios-Ge-
schichte zu erschließende Ritual mit dem Protesilaos-Kult zusammen-,
zunehmen, obgleich beides je für sich frappante Übereinstimmungen
mit den attischen Anthesterien aufweist: dort die Herstellung des
Bildes, die Heilige Hochzeit und der Tod der jungen Frau, hier das
Trinken des Weins als Blut in Verbindung mit dem Mädchenopfer.
Doch geht dies hier voran, während es im Protesilaosmythos ab-
schließt, und Protesilaos' Tod ist nicht zu assoziieren mit dem Trinken
aus dem Krater. Die Mythen, die wir zudem nur aus dritter Hand
kennen, sind zu deformiert, um sichere Schlüsse zu erlauben. Trotz-
dem gibt es eine merkwürdige Brücke von Protesilaos zu den Kabiren:
auf einer mit Inschriften versehenen Vase aus dem Kabirion bei
Theben erscheint neben dem Dionysosgleichen Kabiros und seinem
Pais ,Pratolaos'17. Der ,Urmensch' ist der erste Sterbliche, Gestor-
bene - ins Heroische transponiert, ist Protesilaos der erste Gefallene.
3 Schon im N euen Testament ist das Evangelium ein ~UcrT"Pl0V, Matth. 13, 11;
Röm. 16,25; Koloss. 1, 26-7; Ephes. 6,19; 3,9; vgl. 1. Kor. 14, 2; 2.
Thess. 2, 7. Vgl. Bornkamm, Kittels Theol. Wörterbuch IV 809-34. Zu
Clemens u. Anm. 12/3. Ambrosius De mys'teriis (Migne PL XVI 389-410)
handelt von Taufe und Abendmahl. Vgl. auch J. C. M. Fruytier, Het woord
MYL:THPION in de Catechezen van Cyrillus van Jerusalem, Diss. Nijm-
wegen 1947.
4 1, 28, 7.
5 Die gründlichste Gesamtdarstellung, Foucart (1914), liegt vor den neueren
Ausgrabungen; auch F. Noack, Eleusis, die bau geschichtliche Entwicklung
des Heiligtums (1927) ist durch die späteren Ergebnisse überholt, über die
Mylonas (1961) zusammenfassend orientiert; entscheidend J. N. Travlos,
Ta ä:V6:KTOPOV TfjS 'EAEUcrivoS, Ephem. 1950/1, 1-16. - Wichtigste Gesamt-
behandlungen: Deubner (1932) 69-91; O. Kern RE XVI (1934) 1211-63;
Kerenyi (1962) und (1967).
6 Pringsheim (1905); B. Grossmann, The Eleusinian gods and heroes in
Greek art, Diss. Washington Univ., Saint Louis (Missouri) 1959 (Mikrofilm);
Kerenyi (1962); E. Simon, Neue Deutung zweier Eleusinischer Denkmäler
des 4. Jh. v. Chr., AK 9 (1966) 72-92; Metzger (1951) 231-65; (1965)
1-53.
18*
276 V. Die Mysterien von Eleusis
die Philosophie, vor allem bei Platon und in der Nachfolge Platonsl l :
der Weg in die Philosophie wird als Mysterienweihe aufgefaßt, die
,Schau' des reinen Geistes der ,Epoptie' der Mysterien an die Seite
gestellt. Es sollte nicht ganz unmöglich sein, die Metapher zurück-
zuübersetzen in die Wirklichkeit, von der sie genommen war.
Der christliche Platonismus hat dementsprechend das Christen-
tum als Mysterium, ja Christus als den Hierophanten12 bezeichnet; die
heidnischen, ,falschen' Mysterien wurden natürlich um so leidenschaft-
licher bekämpft. Vor allem Clemens von Alexandrien setzt sich im
,Protreptikos' das Ziel, den Schleier vom Geheimnis wegzureißen und
ans Licht der Sonne zu bringen, was die Mysteriennacht verborgen
hatte13 , damit es in seiner ganzen Kläglichkeit dastehe: Mord und
Unanständigkeit, sex and crime. Diesen Angaben gegenüber, die cum
ira et studio von feindlicher Seite vorgebracht werden, ist die Wissen-
schaft mit Recht skeptisch gewesen14 ; doch muß wirksame Polemik
zumindest ein Körnchen Wahrheit enthalten, und bei Clemens kreuzt
sich überdies der Haß mit der platonischen Sympathie für Mysterien-
sprache. Anders steht es - was merkwürdigerweise fast immer über-
sehen wird15 - mit einem Dokument, das Hippolytos von Rom in
seiner ,Widerlegung aller Häresien' erhalten hat: hier spricht nicht der
16 ~um ,Pathos der ,Freiheit' des Gnostikers vgl. Porph. abst. 1, 42: ßv80S
E~OV(no:s •••
17 Hippol. ref. 5, 8, 39; u. Kap. V 4 Anm. 77.
18 Krateros FGrHist 342 F 16 = Schol. Aristoph. Av. 1073, vgl. Melanthios
FGrHist 326 F 2-4; F. Jacoby, Diagoras '0 "A8eos (Abh. Berlin 1959,3).
19 Diod. 5, 77. 3.
1. Dokumentation und Geheimnis 279
20 OUK s1oEVO:1 ch1 cmopp1')TO: Tjv Arist. EN 1111 a 9; Tumult und Anklage hrt
T41 TWV I.lVcrT1KwV 1TSP1<PEP~1V T1VCx oOKsiv Herakleides Fr. 170 Wehrli =
Comm. in Arist. Gr. XX 145; EKp{VSTO &crsßs{o:s E1T{ T1V1 Op6:I.lO:T1 Ael. v. h.
5, 19. Mit Clem. Strom. 2, 60, 3 (der, Herakleides vergröbernd, von einem
Prozeß vor dem Areopag spricht, wo doch nur ein spezieller Gerichtshof
von Geweihten für einen Mysterienprozeß in Frage kommt, Andok. 1,31)
versteht man die Angabe des Aristoteles in der Regel, Aischylos habe
bewiesen nicht geweiht zu sein (anders Aristoph. Ran. 886-7); es ist aber
auch denkbar, daß unter den Eingeweihten Meinungsverschiedenheiten
über die Abgrenzung von P1')T6: und &1TOPP1')TO: bestanden. Vgl. Lobeck
(1829) 76-84; Kern RE XVI 1249.
21 1, 38, 7.
22 Fr. 39 Leemans = Macr. Somn. Sc. 1, 2, 19.
23 Foucart (1914) 173-6; Luk. Lexiph. 10; Eunap. p. 52 Boiss.; IG II/IIP
3811; Inschriften nennen nicht nur in hellenistischer Zeit (z. B. IG II/IIP
1235 = SIG 1019), sondern gelegentlich auch in der Kaiserzeit Hierophanten
mit Namen (z. B. IG II/IIP 1794; 1798; 3592 = SIG 869).
280 V. Die Mysterien von Eleusis
24 SIG 1024 = LS 96, 20-2. Umstritten ist die Bedeutung von TETEAEO"I-\EVOS,
(lTEATtS, TEA10l<E0"6cu LSS 115 B 40-3 (Kyrene). - Die Mysterien von
Andania wurden mit der Befreiung Messeniens als ,Erbe des Aristomenes'
erneuert (Paus. 4, 26, 8).
26 Arist. Ath. Pol. 57, 1.
26 PIut. Thes. 33, 2; ApolIod. 2, 122 (Interpolation); Iu!. or. 7, 238b TOV
I-\VOUI-\EVOV expfjv lTOAlTOypo:<pfjVO:l lTpOTEpOV Ko:i •A611Vo:iov YEVE0"6O:1 kann
nicht allgemein gegolten haben, Lobeck (1829) 20; 38-9; Hdt. 8, 65. Die
Kaiser Verus und Kommodus wurden in die Familie der Eumolpiden auf-
genommen, IG II/III2 3592 = SIG 869, 25; IG II/IIP 1110' = SIG .
873.
27 LSS 3 C 20-2 I-\]UO"TEI-\ I-\E eVE[AIKO: I-\VEV I-\Eoe]vo: lTAEV TÖ a<p' e[O"TlO:S I-\vol-\ev]o
(vgl. u. Kap. V 4 Anm. 31) vgl. F. Sokolowski HThR 52 (1959) 3.
1. Dokumentation und Geheimnis 281
I
weil er sich dem entzog28 . Und doch ist die Mysten-Gemeinschaft von
Eleusis gerade so weit von der politischen Gemeinde gelöst, daß sie
darüber hinaus wirken konnte: auch Frauen wurden geweiht, auch
Sklaven, auch Fremde; besonders bei den Römern kam Eleusis zeit-
weilig in Mode, die Kaiser von Hadrian bis Kommodus brachten dem
Heiligtum seine letzte Glanzzeit 29 . Aber das Fest blieb, bei aller Welt-
offenheit, an den Ort gebunden, an die Familien der Eumolpiden und
Keryken, die den Hierophanten und den Daduchen stellten. Diesem
ausgewogenen Schwebezustand zwischen Weltweite und lokaler Ver-
wurzelung verdankt Eleusis ein gut Teil dessen, was es war: es konnte,
indem der Zugang allen empfohlen war, durch die ganze antike Welt
ausstrahlen, und besaß doch dank der bodenständigen Tradition
seine Identität durch den Wechsel der Zeiten und Moden hindurch,
ohne auf Bücher, auf philosophische formulierte Dogmen angewiesen
zu sein. Der Handel hatte seit je viel Volks nach Eleusis geführt,
zum Markt am Dreiweg zwischen Attika, Böotien und der Peleponnes30 ;
die Bildungsmacht Athens31 tat dann das ihre, waren doch in
attischer Dichtung und Philosophie die Gottheiten von Eleusis so oft
gegenwärtig.
Selbsterneuerung des Geheimbundes durch Initiation - diese
strukturell-soziologische Beschreibung des eleusinischen Festes
erfaßt von außen eine Funktion, eine leere Hülle, will es scheinen;
natürlich kann nicht jede beliebige Parole, jedes beliebige Zeichen
zum Mysteriengeheimnis werden, sondern nur, was die Dynamik der
menschlichen Seele zu entbinden, zu formen und zu leiten vermag.
Eine doppelte Thematik von Eleusis wird in der Tradition genannt,
die "beiden Gaben"32 der Göttin Demeter: die Getreidenahrung, die
die kannibalische Rohheit des Menschen zur ,gezähmten' Sitte wan-
delte, und die "bessere Hoffnung" für das Leben nach dem Tod.
"Selig, wer dies geschaut hat unter den irdischen Menschen; wer aber
an den Weihen nicht teilhat, hat niemals gleiches Los im modrigen
Dunkel", heißt es in dem alten Demeterhymnos, und ganz ähnlich bei
Sophokles: "Dreimal selig die, welche diese Weihen geschaut haben
und so in den Hades kommen: für sie allein gibt es dort Leben, für die
andern ist alles dort Unheil". Ganz selbstverständlich ist die Dicho-
tomie von ,in' und ,out' ins Jenseits projiziert. Getreidenahrung und
Todesüberwindung - die kritische Wissenschaft ist in Versuchung,
die beiden Gaben der Demeter zu trennen: hier uralte Agrarmagie ,
dort neuere Jenseitshoffnung33 • Und gewiß haben sich die Akzente
im Lauf der Geschichte verlagert, zwischen der Einführung des
Ackerbaus, die in Griechenland im 6. Jahrtausend erfolgte, und der
,Entdeckung des Individuums' um 600 v. ehr.; trotzdem ist auch der
Ackerbau menschheitsgeschichtlich ,jung', das Thema der Nahrung
und das Thema von Tod und Überleben aber ist bereits in den paläo-
lithischen Ritualen gegeben, im Jagd-Opferkomplex, wie auch der
geheime Männerbund uralt ist. Opferhandlungen, Tieropfer sind es
auch, die die Mysterien der Demeter akzentuieren. Symbolik setzt
stets ein programmiertes Handlungsschema voraus, das übertragbar
geworden ist: die Getreidesymbolik wächst aus dem Opferritual, wie
die Große Göttin selbst aus dem Paläolothicum zu stammen scheint34 •
Dies mag zunächst als vorwegnehmende Vermutung gelten. Ver-
sucht sei jedenfalls, das Phänomen Eleusis nicht pretiös zu verein-
zeln, sondern in historischer Perspektive und im Kreis verwandter
Mysterienkulte zu sehen. Demetermysterien gehören zu den ver-
breitetsten Ritualen in Griechenland; genauer bekannt sind durch Zu-
fall die Mysterien von Andania in Messenien und Lykosura in Ar-
kadien35 , reiches Material, doch wenig Erhellung im einzelnen liefern
Unteritalien und Sizilien36 • Bei allen lokalen Verschiedenheiten ist
eine gemeinsame Grundstruktur anzunehmen, die dann auch übers
Griechische hinausweist zum kleinasiatischen Meterkult. Seit man
weiß, daß Griechenland aus Kleinasien den Ackerbau übernahm und
daß Kybele die große Göttin von <;atal Hüyük fortsetzt, hat auch
religionshistorische Betrachtungsweise dem Rechnung zu tragen.
Die Antike sah die Besonderheit von Eleusis in dem einzigartigen
Ein Opfertier hat jeder, der die Weihen von Eleusis begeht, erst
einmal mitzubringen, ein Ferkel (xoipoS). Dies lag noch diesseits des
Geheimnisses, darüber konnte man sogar witzeln. So beantwortet der
aristophanische Antiheld die Drohung: Du bist des Todes flink mit
einem Pumpversuch: "Leih' mir drei Drachmen für ein Ferkelchen,
ich muß mich doch weihen lassen, bevor ich des Todes bin"!. Wenn
das Iakchos-Lied der Mysten hörbar wird, wittert die Nase des Sklaven
Schweinebratenduft 2 • Bilder zeigen, wie die Verehrer ihr Schweinchen
37 Diod. 5, 4, 4.
38 Z. B. Mylonas (1961) 229; 275; P. Roussel BCH (1930) 65, vgl. auch Kerenyi
(1962) 39; 67-8; 62, der aber andererseits formuliert: "durch den Mythos
in Wort und Bild führt der Weg über das Wort und das Bild hinaus" (40).
1 Aristoph. Pax 374 m. Schol.; vgl. Plat. Resp. 378a; Epicharm Fr. 100 Kaibel.
Der Gesamtpreis der Myesis betrug 15 Drachmen, IG II/IIP 1672, 207;
1673,24.
2 Aristoph. Ran. 337 - man hat also offenbar von dem Schwein auch gegessen
bzw. gekostet (u. Arun. 10).
284 V. Die Mysterien von Eleusis
27 Vgl. Eur. Herakles 484; Tro. 307-41; 445; Or. 1109; Iph. Aul. 461; Soph.
Ant. 816; 891; 1204; 1240; AP 7, 13; 182; 186; 221; 489; 599; 507b.
19 Bl,ukert, Homo Necans
290 V. Die Mysterien von Eleusis
kuren, die das Mädchen entführen, sie übergeben es dann aber dem
ernsten, bärtigen Alten, dem Gott der Unterwelt 28 • Hier ist der Ver-
zichtcharakter des Jungfrauenopfers ganz deutlich: das Mädchen, das
die jungen Männer schon in den Armen hielten, wird dem Totengott
überantwortet. Nun gab es in Lokroi einen merkwürdigen Ritus des
,Jungfrauenopfers': Bürgertöchter hatten sich im prächtigen Tempel
der Aphrodite Fremden hinzugeben. Auch hier ein Verzicht, ein
Rollentausch im kritischen Übergang vom J ungfrauen- zum Frauen-
leben ; natürlich blieb das nächtliche Recht der Fremden befristet,
die Ordnung des Tags lag in der Hand der Lokrer. So erzählte man in
Abydos gerade vom Sturz und von der Vertreibung derer, die im
Tempel der Aphrodite Porne die Freuden Aphrodites genossen hatten29 •
Die Lokrer glaubten, ihrer Aphrodite ihre militärischen Siege zu ver-
danken. Auch hier ist das Mädchenopfer, in Form einer Initiation
vollzogen, vorwegnehmender Sexualverzicht, der den großen Erfolg
verbürgt.
Ohne direkte Verbindung zum Getreide, doch nicht ohne Be-
ziehung zum Koremythos ist die älteste literarische Fassung einer
,Kathodos': der sumerische Mythos von Inannas Reise in die Unter-
welt30 • Es war eine große Überraschung, als 1951 der Schluß dieses
Mythos bekannt wurde; hatte man bislang ,IStars Höllenfahrt' mit
der vermuteten Auferstehung von Dumuzi-Tammuz verbunden und
hierin abermals den Vegetations zyklus gespiegelt gesehen, so nimmt
jetzt der Mythos eine sehr viel aggressivere Wendung. Der Hauptteil
beschreibt ein Ritual, das zum Tod führt, ein Mädchenopfer: aus
ETIi6ECns, WO"TE Kcxi ETEP01S TICXPCXSOVVCXl SVVCX0"6CX1, wie Plut. An seni ger. resp.
795d I-\UO"TCXYOOYWV als Abschluß, I-\UOVI-\EVOS als Anfang nennt. - Daß die
I-\VT)O"lS am festen Tag der I-\UO"Ti}PICX sich vollendet, ergibt sich aus Plat.
Men. 76e, vgl'. Kap. V 2 Anm. 7; Crassus kam zu spät, Cic. de or. 3, 75; für
einen Kaiser freilich konnte man die Mysterien wiederholen, IG II/IIP
3592 = SIG 869, 24.
2 I-\UO"Ti}PICX Tel I-\ESOVCX - Tel OAESOVCX LSS 1; LSS 3 B 32; da die hier genannten
Fristen für die O"TIovScxi an Kleinen und Großen Mysterien sich genau ent-
sprechen (Mitte Gamelion bis 10. Elaphebolion bzw. Mitte Metageitnion
bis 10. Pyanopsion), ist auch der eigentliche Festtag je am 20. des mittleren
Monat~ anzusetzen (A. Mommsen [1898] 406, von Deubner ignoriert). Tel
I-\EYO:ACX - Tel TIPOS "Aypcxv I-\UO"Ti}PICX IG lI/IIP 661, 9. 21; 847,22; 1231;
EV "AypcxS An. Bekk. 326, 24; vgl. Steph. Byz. "Aypcx; Suda CX 339; Tempel
der Meter: IG 12 310,132; F. Studniczka JdI 31 (1916) 169-230; H.
Möbius AM 60/1 (1935/6) 234-57 = Studia Varia (1967) 108-37.
3 Schol. Aristoph. Plut. 845 OOO"TIEP TIpoK0:6cxpO"lS Kcxi TIPOO:YVEUO"lS; Iul. or.
5, 173bc: TIPOTEi\EICX; TICXPel TClV 'IAIO"O"OV ... Kcx6cxpl-\ov TEAOVO"lV Polyaen.
5, 17, 1; Athena reinigte sich am Ilissos mit mystica lampas, Stat. Theb.
8, 765. I-\il-\T)I-\cx T(;>V TIEpi TOV LlI0VUO"OV Steph. Byz. "Aypcx. Die Allegorese
der ,Kleinen' und ,Großen' Mysterien bei dem Naassener, Hippol. ref.
5, 8, 42-4, kontaminiert Plat. Gorg. 497c (Große/Kleine Mysterien) mit
Plat. Symp. 20ge (Myesis/Epopteia). Die Angabe, die Kleinen Mysterien
gälten der Persephone, die Großen der Demeter (Schol. Aristoph. Plut. 845),
entstammt der Assoziation EAO:TTOVCX/I-\EiSovcx I-\UO"Ti}PICX mit 6Eel 1] TIpEO"ßU-
TEpCX - 1] VEOOTEPCX (IG II/IIP 1672, 300 vgl. 3546; 3585).
4 Diod. 4, 14, 3; Schol. Aristoph. Plut. 845; 1013; dazu das Relief vom Ilissos,
NM 1778, Ephem. 1894 T. 7, Kerenyi (1962) 65, T. 6. Vgl. Anm. 11.
5 LSS 1; 3 C.
6 IG II/IIP 1672, 207; 1673,24, nach den Anthesterien (EiS XoäS 1672, 204).
294 V. Die Mysterien von Eleusis
dert, daß man sich erst in die Kleinen, dann erst in die Großen
Mysterien einweihen lasse7 ; doch hat man später auf dieser Forderung
offensichtlich nicht beharrt. Ein Telesterion, eine Epoptie hat es in
Agrai nicht gegeben. Kaum zufällig ist dagegen dort die Nähe zu
Artemis Agrotera8 , die ]agdmotivik, wie ja die ,Meter' dem Klein-
asiatischen nähersteht als Demeter. Im übrigen mag die Koppelung
mit den eleusinischen Mysterien einen administrativen Ausgleich
zwischen dem stadtathenischen und dem auswärtigen, weit glanz-
volleren Kult darstellen; ,die Mysterien' schlechthin waren und
blieben für die Athener diejenigen, die in Eleusis gefeiert wurden.
Sicher ist, daß es für die Großen Mysterien eine ,Einweihung',
Myesis, gab, daß das Ferkelopfer mit Eleusis assozüert wird9 ; zur
eleusinischen Myesis gehört auch der weitere vorbereitende Akt, von
dem eine Hesychglosse spricht: ,,6POV('vO"lS: Anfangszeremonie um
die zu Weihenden". Bei Platon bezieht sich der Terminus auf die
Korybanten im Meter-Kult1o ; Bilder aber zeigen ein solches ,Auf den
Sitz-Setzen' gerade bei der Weihe des Heraklesl l . Es handelt sich um
7 Plat. Gorg. 497c m. Schol. (der erste Teil des Scholions ist atthidographische
Tradition, vgl. Schol. Aristoph. Plut. 845; der zweite Teil paraphrasiert ab-
kürzend Clem. Protr. 15); Plut. Demetr.26. In der Römerzeit sind keine
Kleinen Mysterien mehr bezeugt.
8 Kerenyi (1962) 64 deutet die Ortsbezeichnung sv "AypcxS (z. B. I G 12 310, 132;
324,96; LS 18 A 39) "auf dem Gebiet der Göttin namens Jagdbeute" ;
anders P. Chantraine Class. & Med. 17 (1956) 1-4; RPh 40 (1966) 37-9.
Auf Agra bezieht sich offenbar Apollodor FGrHist 244 F 142 = Clem.
Protr. 2,13,1, IJ.UOIr,PICX heiße cmo MUOÜVTOS TIVOS 'ATTIKOÜ, OV sv KUVllY{c;t
olcx<p6cxpfj VCXI.
9 Plut. Phokion 28 ist ausdrücklich von den Mysterien im Boedromion die
Rede, o. Kap. V 2 Anm. 8, vgl. Anm. 3; Iakchoslied und Schweinebratenduft
Aristoph. Ran. 338. Kerenyi (1962) 68-9 ,-...J (1967) 55-6 behandelt das
Ferkelopfer nur in Verbindung mit Agrai.
10 Plat. Euthyd. 277d (dazu Leg. 790de; Dion or. 12,33; 6POVIO'IJ.oi MllTpc;,Ol
als Werk des ,Orpheus' Suda 0 654). - Der Befund im ,Anaktoron' von
Samothrake kann auf einen entsprechenden Ritus dort deuten, A. D. Nock
AJ A 45 (1941) 577-81.
11 Die Weihe des Herakles in Eleusis ist jetzt bereits durch Pindar bezeugt,
Pap. Ox. 2622 und PSI 1391, H. Lloyd-Jones Maia 19 (1967) 206-29; dann
Eur. Herc. 613; Kallias bei Xen. Hell. 6, 3, 6; Diod. 4, 25, 1; [Plat.] Axioch.
371e; Pap. R. Univ. Mil. 20 (u. Kap. V 4 Anm. 58); Apollod. 2, 122; zu Agra
o. Anm. 4. Dazu attische Vasen des 5. und 4. Jhs.: ,Skyphos Somzee' Brüssel
A 10 = ARV2 661, 86, Metzger (1965) T. 13; CV Belgique 71, 1. Pelike
Leningrad 1792 = ARV2 1476, 1, Nilsson (1955) T. 46, Kerenyi (1962) T. 38.
Pelike Brüssel R 235 = ARV2 1121, 11, CV Belgique 72, 4. ,Pourtales-Vase',
'3. Myesis und Synthema 295
zwei kaiserzeitliche Relieffriese, die in drei Szenen diese mythische
Initiation darstellen, auf der Ostothek von Torre Nova und der
sogenannten Lovatelli-Urne; sie müssen auf eine gemeinsame, helle-
nistische Vorlage zurückgehen, von der einzelne Szenen auch auf
römischen Architektur-Reliefs, sogenannten Campana-Reliefs, re-
produziert sind12 • Auf das Voropfer, das Schweineopfer folgt die
ep6voocns in den mittleren Szene: der Myste sitzt verhüllt, mit bloßen
Füßen, auf einem Schemel merkwürdiger Form, der mit einem Fell
bedeckt ist; einer der reproduzierenden Künstler hat es als Herakles'
Löwenfell mißverstanden13, doch Widderkopf oder Widderhorn unter
dem Fuß des Sitzenden zeigt klar, daß es sich um ein Widderfell
handelt. Eine Priesterin ist von hinten an den Verhüllten herange-
treten, auf der Urne hält sie über ihn eine Getreideschwinge, auf der
Ostothek führt sie eine brennende Fackel ganz nahe an seine Hand
heran. Die antike Bezeichnung solcher Riten ist klar: ,Reinigung'
durch Luft, wie das Getreide in der Schwinge vom Wind gereinigt
wird, und "Reinigung' durch Feuer14 . Unmittelbar verständlich ist
auch die psychische Wirkung - nicht umsonst kommt das Verbinden
oder Verhüllen der Augen bei Initiationen immer wieder vor -: blind,
hilflos, preisgegeben muß der Initiand das Unbekannte über sich
ergehen lassen, der Unterlegene, Nicht-Wissende umgeben von den
als ,Anfang' der Weihe immer noch diesseits des Geheimnisses stehen,
es konnte als allgemeine, äußerliche Form der Weihe aufgefaßt wer-
den, die über den Inhalt nichts aussagt; darum ist sie in der bildendEm
Kunst darstellbar.
Anders ist es mit der dritten, letzten Szene dieser Initiations-
friese l7 : der Myste, prächtig gekleidet, durch sein Zweigbündel als
Teilnehmer der Iakchos-Prozession ausgewiesen, tritt an Demeter
heran; sie sitzt auf dem geflochtenen Deckelkorb, der ,Kiste', um die
sich eine Schlange windet. 'Demeter blickt zurück auf eine jugendliche
Frauengestalt, die mit Fackel herbeieilt: dies ist Persephone, die aus
der Unterwelt zurückkehrt. Dargestellt ist hier der Göttermythos,
in Verbindung mit einem rituellen Gerät, der ,Kiste', und einem sehr
allgemeinen Symbol, der Schlange. Hier sind dem Wissenden Andeu-
tungen gegeben, die doch dem Ungeweihten nichts verraten. Der
Deckelkorb bleibt geschlossen. Todesschrecken, aber auch geheime
sexuelle Faszination löst die Schlange aus; für den Mysten aber hat
sie ihre Gefährlichkeit verloren, er kann sie gelassen berühren. Zu
Demeter kommen, Kores Rückkehr erleben, Todesangst in ruhige Zu-
versicht zu wandeln - dies sind Themen der Mysteriennacht in
Eleusis. Was aber wirklich vorging, verbirgt sich hinter der glanzvollen
Fassade griechischer Kunstmythologie.
Daß die Begegnung mit der ,Kiste', der cista mystica l8 zur Weihe
gehörte, sagt der vieldiskutierte Spruch, den Clemens von Alexandria
überliefert; er bezeichnet ihn als das ,Kennwort' (O'vv6T}l..lcx) der
eleusinischen Mysterien: "Ich habe gefastet, ich habe den Kykeon ge-
trunken, ich nahm aus der ,Kiste', werkte, legte zurück in den Korb
17 Daß die Friese in dieser Reihenfolge, von rechts nach links, aufeinanderfolgende
Stufen der Weihe andeuten, wird weithin angenommen, z. B. Dieterich RhM
48, 276; Harrison (1922) 546; Kerenyi (1962) 70; daß der Myste der 3. Szene
mit dem Herakles der 1. Szene identisch sei, wurde dagegen bestritten z. B. von
Pringsheim (1905) 23-4, Mylonas (1961) 207, der fälschlich den Mysten der
Urne und des Campana-Reliefs (Kerenyi [1962] T. 12) mit dem ikonographisch
völlig verschiedenen ,Iakchos' (vielmehr Eumolpos, u. Kap. V 4 Anm.24)
gleichsetzt, den der Sarkophag links hinzugefügt, während der Myste weg-
gelassen ist. Zur Schla~ge o. Kap. III 1 Anm. 70.
18 Zur IdO'Tll in Eleusis Pringsheim (1905) 49-64; Metzger (1965) 33-6;
41-4; allgemein O. lahn Hermes 3 (1869) 317-34. Die IdCfTll gehört vor
allem zu Demeter- und Dionysosmysterien (vgl. Nilsson [1957] 57), aber
auch zu Attis (Hepding [1903] 195, 1; Cumont [1930] T. I, 3), Isis (V. Tran
Tam Tinh, Essai sur le culte d'Isis a Pompei [1964] 107; 153), Ma Bellona
(Cumont T. II 1).
298 V. Die Mysterien von Eleusis
und aus dem Korb in die ,Kiste'."19 Man hat gegen Clemens vor-
gebracht, daß er Athen gar nicht kannte und zu so spezieller Kenntnis
kaum gekommen sein könne; die Erwähnung des ,Korbes' (Kalathos)
weise vielmehr auf Demeterfeiern in Alexandreia20 • Daß es dort
Demetermysterien gab, ist indes nicht bezeugt, und Clemens konnte
seinem alexandrinischen Publikum kaum Alexandrinisches als ,eleu-
sinisch' anbieten. Der Spruch indes erweist sich als ein echtes ,Kenn-
wort' eben dadurch, daß er im Grunde nichts verrät. Nur dem Wissen-
den teilt der Geweihte mit, daß er alle vorgeschriebenen Handlungen
in der rechten Reihenfolge vollzogen hat; welche Handlungen dies
waren, ist hinter den allgemeinsten, nichtssagenden Wörtern verbor-
gen: Deckelkorb und offener Korb, nehmen, ,werken', zurücklegen.
Die Wissenschaft rät seit Generationen daran herum, was in ,Kiste'
und ,Kalathos' gelegen haben könnte. Clemens' Ton der Entrüstung
läßt Sexualsymbole vermuten; männlich oder weiblich oder beides,
symbolisch vollzogener Geschlechtsakt oder Geburtsakt sind dann die
19 Clem. Protr. 2, 21, 2 (daraus Arnob. 5, 26) KexO''Tl 'TO O'uv61ll.la 'EAEVO'lVioov
I.lVO"T1lP{oov· SVTtO''TEvO'a, Emov 'TOV KVKEoova, EAaßov SK KiO''T1ls, spyaO'6:I.lEVOS
O:nE6el.l1lv EiS K6:Aa6ov Kai SK KaA6:6ov Eis K{O''T1lV. - O'uv61ll.la ,Parole' Hdt.
9, 98 etc.; gleichbedeutend O'UI.lßOAOV Eur. Rhes. 572/3; signum der Bacchus-
Mysterien parodiert: Plaut. Mil. 1016; vgl. Plut. ad ux. 611d; signa und
responsa als gegenseitige Erkennungszeichen der Geweihten: Firm. err.
18, 1. Meist sucht man nach einem bestimmten Platz im Ritual, an dem das
Synthema gesprochen werden mußte (z. B. Deubner [1932] 80; Kerenyi
[1962] 77). Doch die ungeweihten Akarnanen kamen, zu ihrem Verderben, un-
gefragt in den Weihesaal (Liv. 31, 14); Arnob. 5, 26 quae rogati in sacrorum
acceptionibus respondetis malt den Begriff O'UI.lßOAOV nach dem Vorbild des
christlichen Symbolon aus. Vgl. Delatte (1955) 12-23.
20 Pringsheim (1905) 49; 300-1; Nilsson (1955) 659 nimmt alexandrinische
Erweiterung des eleusinischen Synthema an. Der Kalathos gehört nicht- nur
zur Demeterprozession in Alexandreia (Kallim. hy. 6,1-7; Münzen: ACl20
[1951] 359; 361), auch zu Demetermysterien in Paros (Apollodor FGrHist 244
F 89); Göttin auf Kalathos sitzend: Thesmophorion Thasos BCH 89 (1965)
469; Museum Chalkis (um 280 v. Chr.). Großer Kalathos, flankiert von
Ähren, auf einer unteritalischen Lekanis, Trendall (1967) 552, 882; T. 215, 5.
Im Mythos erscheint der Kalathos bei Persephones Blumenpflücken, eIern.
Protr. 2, 17, 1; dazu die Sarkophagreliefs, C. Robert, Die antiken Sarkophag-
Reliefs III 3 (1919) Nr.362/3; 373/4; 377/8; 383/4; 387; 389; 393/4; 399;
405/6; 412/3; 415; 419. Die Grabstele der Nikarion (IG II/III2 9796) im
Museum Eleusis zeigt im Giebelfeld einen großen Kalathos; seine Bedeutung
steht dahin. Was Deubner (1932) 79,9 auf Münzen als Kalathoi anspricht,
sind Bakchos-Ringe, J. D. Beazley Numism. Chronic1e VI 1 (1941) 1-7. -
Epiphanios Expos. Fidei 10 (OF p. 110), der im Zusammenhang mit Eleusis
den Kalathos nennt, paraphrasiert offenbar nur Clem. Protr.
3. Myesis und Synthema 299
21 Einen Phallos als Inhalt der Kiste vermutete A. Dieterich, Eine Mithras-
liturgie (1903; 19232 , 124-6), in Analogie zum 6soS 010: Koi\1TOV der Saba-
ziosmysterien, Clem. Protr. 2, 16, 2, Firm. err. 10; vgl. Kerenyi (1962)
78 f""o..I (1967) 66. Wiedergeburt durch Berührung mit einem KTe{S erschloß
A. Kprte ARW 18 (1915) 16-26 aus Theodoret Gr. aff. cur. 7, 11 (der aber
an der früheren Stelle, wo er das Wort KTSfs erst erklärt, von Thesmo-
phorien spricht, 3, 84); zustimmend Kern RE XVI 1239; Widerspruch:
Deubner (1932) 81-3. An einen Phallos in der Kiste, einen cunnus im
Kalathos dachte Ch. Picard RHR 95 (1927) 220-55, vgl. M. J. Lagrange
Rev. bibI. 38 (1929) 71-81; L. Ziehen Gnomon 5 (1929) 152-4; S. Eitrem
Symb. Osl. 20 (1940) 140-4.
22 Zu Dionysosmysterien und Ehe o. Kap. III 4; Ilvsicr6cxl u. ä. von der Hoch-
zeit: Alkiphr. 1, 4, 3; Chariton 4, 4, 95; Heliodor 1, 17 etc.; Hochzeitsriten
in Mysterien: Firm. err. 2, 1; Dieterich (1923) 121-34; R. Merkelbach,
Roman und Mysterium (1962) 16-8.
23 Clem. Protr. 2, 19, 4 m. Schol., mit Beziehung auf die Kabiren. Die abge-
schnittenen cxiooicx der Galloi werden in 6CXi\6:IlCXl aufbewahrt, Schol. Nik.
Alex. 8; eine 6cxi\6:IlTl erscheint in einem Meter-Ritual bei Polemon, Ath.
478c (Pringsheim [1905J 72-3). Vgl. Meuli (1946) 256: Zeugungsglied des
geschlachteten Rentiers in einer Rindenschachtel vergraben; O. Kap. I 7.
2( Am bekanntesten ist das Bild der Villa dei misteri; F. Matz, ~IONY~IAKH
26 Protr. 2, 22, 4: crl1crallai ... KaiTIvpall{Ses Kai TOAUTIal Kai TIoTIava TIOAV-
oll<paAa XOVSPOl Te aAOOV Kat Sp6:KCUV, ÖPY10V ßl0VUcrov Bacrcr6:pov.
27 Theokr. 26, 7. In Dionysios' Bassarika werden die Reste der Omophagie
vor Tagesanbruch in KfO'Tal verborgen, 9 v. 39 (D. L. Page, Literary Papyri
[1950J 540; E. Heitsch, Die grieche Dichterfragrnente der röm. Kaiserzeit
[19632 J 66).
28 Burkert (1967) 292-3.
29 Epigenes bei eIern. Strom. 5, 49, 3 = OF 33; Diod. 5, 3, 4; Porph. antr. 14;
Nonnos 6, 123-64. Kalathos, tcrTOS, epya nepcre<povl1S im parischen Mythos:
Apollodor FGrHist 244 F 89; ep'ov äTIAVTOV im Kernos: Poiernon Ath.
478d.
3. Myesis und Synthema 301
seinem kulturgeschichtlichen Werk "Über die Frömmigkeit tt schreibt
Theophrast, die Menschen hätten, als sie Getreideanbau und Getreide-
verarbeitung entdeckten, "die Werkzeuge der Verarbeitung als Ge-
heimnis verborgen, und sie traten ihnen als etwas Heiligem gegen-
über"30. Verborgenes, dem man trotzdem begegnet, Heiliges im Be-
reich des Getreides: Theophrast kann nur Demetermysterien meinen,
und da er in Athen schreibt, ist die Anspielung auf Eleusis zu beziehen.
,Werkzeuge der Verarbeitung' sind, in schlichtester Form, Mörser
und Mörserkeule; das so zerstoßene Getreide, in Wasser mit einem
Gewürzkraut gekocht, ergibt den , Kykeon' , den der Myste trinkt, wie
Demeter im Haus des Keleos ihn trank, nachdem ihr schweigendes,
verhülltes Sitzen sein Ende gefunden hatte31 . Zu vermuten ist dem-
nach, daß zu den Gegenständen in Deckelkorb und offenem Korb
Ähren, Mörser und Mörserkeule gehörten. Der Myste hatte wenig-
stens andeutungsweise eine Ähre zu zerstoßen, an der Herstellung
des nächsten Kykeon mitzuwirken. Dies ist freilich im Lichte des
Tages erst recht banal. Und doch: auch dies ist ein Akt der Zerstörung,
der doch für die Nahrung notwendig ist; und die sexuellen Assozia-
tionen des Stampfens und Mahlens liegen ganz nahe. Aggression,
Nahrungstrieb, Sexualität, die Grundthematik des Menschen ist auch
hier angesprochen, es liegt an der richtigen Einstimmung, die das
Schlichte als das Fundamentale zu erleben gestattet. Ist doch auch
im höchsten ,Mysterium' des Christentums die vom Priester voll-
zogene Handlung ganz ähnlich, wie sie denn weit in klein-
"zwei Sitze aufzustellen, verbunden durch das Fell des Schafes, das
Opfertier gewesen war, und dort ließ man die Hochzeitsleute, flamen
und flaminica, mit verhülltem Haupt bei der confarreatio Platz neh-
men. 34 Auch hier das verhüllte Sitzen auf dem Schaffell, und es folgt
CI
Ziel der Weihe ist der Weg nach Eleusis, die ,Schau' dessen, was
im großen Weihesaal in der heiligen Nacht geschieht. Wie mit diesem
Massengottesdienst die individuelle Myesis und Vorbereitung, zu der
auch eine schlichte Belehrung in mythischer oder halbphilosophisch-
allegorischer Form gehörte!, sich zusammenordnete, ist schwer zu
sagen. Schweineopfer und Thronosis gehören zur individuellen ,Reini-
gung' und gingen dem Mysterizug demnach wohl voran; wenn das
Synthema dagegen die vollzogene Weihe garantieren soll, muß das
Hantieren mit Korb und ,Kiste' an den Abschluß des Festes gehören.
Keine Nachricht existiert darüber, wann der Kykeon getrunken wur-
de 2, was wohl darauf deutet, daß dies zum geheimen Zentralteil des
Festes gehörte.
Komplizierter noch wird die Rekonstruktion durch das N eben-
einander von Mysten und Epopten. Allerdings ist zu betonen, daß der
eigentlich entscheidende Schritt im Leben eines Menschen die ein-
malige Myesis ist; dem Mysten gelten alle Verheißungen. Die Epop-
tie wiederholt, erneuert und vertieft, was in der Myesis grundgelegt
ist. Wenn von der seligen ,Schau' die Rede ist, so hat auch schon der
Myste daran Teil gehabt 3 ; der Epopte sieht vielleicht mehr, vor allem:
er sieht anders, eben als ,Zuschauer' mit weitem, gelassenem Blick,
während der ,Myste' zu ,leiden' hat, passiv betroffen ist von den Vor-
gängen. Wie das Nebeneinander von Myesis und Epoptie organi-
satorisch bewältigt war, ist nicht überliefert. Denkbar ist entweder,
daß die Mysten vor einem zweiten Akt des Gottesdienstes das Tele-
sterion zu verlassen hatten: ite, missa est - aber das Hinausgeschickt-
8 Zum Baubefund Mylonas (1961) 69; 83-8; 111; 120-1 nach J. N. Travlos
Ephem. 1950/1. 1-16; vgl. Kerenyi (1967) 86-7; O. Rubensohn, Das
Weihehaus von Eleusis und sein Allerheiligstes, J dI (1955) 1-49; L. Deub-
ner, Zum Weihehaus der eleusinischen Mysterien (Abh. Berlin 1945/6, 2)
verfocht die These, daß aVO:KTopOV das ganze TEAEO"T1]PI0V (dieses Wort
Plut. Perikl. 13; I.lVO"TIKOS O"'l'JKOS Strabo 9 p. 395; olKOS Aristid. or. 22, 9 Keil)
bezeichne (vgl. schon [1932J 88-90 mit Berufung auf Noack, dessen Ergeb-
nisse durch Travlos-Mylonas überholt sind). 'AVO:KTOPOV bezeichnet den
Weihes aal, wenn von der Weihe ,innerhalb des Anaktoron' die Rede ist,
Iul. or. 7, 239a; Sopatros p. 114, 24; 121, 24; 123, 24; Themist. or. 5, 71a;
aber Deubners Interpretation scheitert an Plut. Prof. virt. 81e EVTOS YEVO-
I.lEVOS Kcxll.lSyCX <pwS iöcbv, olov avcxKTopWV avoIY0I.lSVCUV; und dann ist auch das
Epigramm auf den Hierophanten & I.lVO"TCX1, TOTE l.l'EloET'avcxKTopOV EK1TPO-
<pCXVSVTCX vv~iv EV apYEvvcxiS (IG II/IIP 3811), und die Hierophantis 11
TEAETas avs<pcxlvE 6EOiv 1TCXP 'avO:KTopCX b,'l'JOUS (IG II/IIP 3764) auf den Höhe-
punkt, den Feuerschein aus dem Allerheiligsten, zu beziehen; der Thron
der Hetäre des Demetrios (Hegesandros bei Ath. 167f) 1Tcxpa TO aVO:KTopOV
stand nahe dem von Travlos rekonstruierten Hierophantenthron. Die
Doppelbedeutung ergab sich aus dem Ausdruck ,zum Anaktoron gelangen'
als dem Ziel der Weihe, Max. Tyr. 39, 3k, Sopatros p. 118, 20.
9 Ael. Fr. 10 = Suda E 3604, 1 195, 1.1 381; I.lsycxpov = aVO:KTopOV Hsch.
aVO:KTopOV; vgl. Suda cx 1924; anders Kerenyi (1967) 109-10. PoIl. 1, 9
xcupiov &ßCXTOV = aVO:KTopOV (dagegen 1. 17 av6:KTopoV,-...J XP'I'JO"T1]PI0V);
vgl. I G II/IIP 3811 o. Anm. 8.
10 I G II/IIP 3811 o. Anm. 8.
n Plut. 81e o. Anm. 8; u. Anm. 82.
12 TO C>1Tcxiov ETri TOU aVCXKTOpOV PIut. Perikl. 13, 7; Mylonas (1961) 119-20.
über ein c>1Tcxiov der älteren Telesterien besteht keine Sicherheit (Mylonas
70, 38; 112); doch seit ältester Zeit dienten c>1Tcxicx dem Rauchabzug, G. S.
Korres, Atti e memorie deI I Congresso Int. di Micenologia I (1968) 81-6
zu Od. 1, 320. Von Einbrechen des Tageslichts ist keine Rede; es geht ums
Licht in der Nacht.
13 K. Kourouniotes Ephem. 1912,142-61; Paus. 8,37,3. Ammonios 113:
TO Be I.lSYCXPOV TrEP1't'KOBol.l'I'Jl.lsv'I'J EO"Ticx, ev6cx Ta I.lVO"TIKa TfjS b,1]I.l'I'JTPOS.
20 B~kert, Homo Necans
306 V. Die Mysterien von Eleusis
16 <XSOVO"lV yovv TOV "!aKXov Aristoph. Ran. 320, Schol. 395; 399; 408;
Pole mon von Ilion nepi TfjS tep5:s eSov: Harpokr. iepo: eSos. Zum Programm
der vorangehenden Tage (Hauptquelle IG II/IIP 1078) sei auf Kerenyi
(1962) 73-5 N (1967) 60-6 verwiesen; die heiligen eiKaSes schon Eur. Ion
1076.
17 Hsch. ßaKXos ... Kai KAaSos EV Tats TeAeTats; Schol. Aristoph. Eq. 408
ßaKXovs EKaAovv ... Kai TOUS KAaSovs OUS oi ~VO"Tal <j>epovO"lV (wo Xeno-
phanes VS 21 B 17 zitiert wird, der aber nicht auf Eleusis Bezug nimmt);
Servo Aen. 6, 136. V gl. Pringsheim (1905) 16-9; H. Seyrig BCH 51 (1927)
203-5; J. D. Beazley Num. Chron. VI 1 (1941) 1-7; K. Kourouniotes
Ephem. 1937, 242-3. - Entsprechendes in anderen Kulten: Frau mit
erhobenem Zweigbündel vor Priapos, ,Cameo Morgan' EAA VI 389;
das beresma der Magier, abgebildet z. B. Cumont (1930) T. V, 5, Strabo 15
p.733.
4. Die Opferhandlung im Telesterion 307
gen von Zweigen bei den Götterfesten, was doch im Grund die primi-
tivste, geradezu vormenschliche Art der Bewaffnung ist: der vom Baum
gebrochene Ast steigert die Kraft des Armes und mehr noch den Ein-
druck einer Drohgebärde, verleiht einen überlegenen Status18 • Die
Aggression richtet sich auch gegen die Novizen, die von den längst
Geweihten erschreckt und gehänselt werden. Bei der Brücke über den
Kephisos in Athen ist der Platz für groben Spott; von einer Hure ist
die Rede, die auf der Brücke stand, Aristophanes parodiert dies an-
scheinend in den ,Wespent,' indem er den betrunkenen Philokleon eine
kaum verhüllte Hetäre mit zwei Fackeln aufstellen läßt, um Späße
wie "vor den Mysterien" damit zu treiben19 • Man hat damit oft den
Zug des Mythos verbunden, daß Baubo die trauernde Demeter durch
obszöne Entblößung zum Lachen brachte20 • Vielleicht aber ist auch
hier mit mehrfachen Bezügen des Mythos zu rechnen; die Späße an
jener ersten Brücke (yecpvplO"lJoi) sind noch keine Befreiung, eher ein
konträrer Gegensatz, von dem man sich losreißen muß, um über den
Berg in die Ebene von Eleusis zu gelangen.
"ICXK)(' eIl "ICXKXe21, dieser rhythmische Ruf vereinigt die Schar
der Jungen und Alten, Sklaven und Freien, Athener und Fremden;
Priesterinnen ziehen mit, ,das Heiliget in verschlossenen l<1<TTCXl auf
dem Haupte tragend22 • ,Iakche t ist wohl eigentlich ein Schrei an sich,
mit dem die Erregung der gemeinschaftlich Ausziehenden sich gegen-
18 O. Kap. I 3 Anm. 3.
19 Aristoph. Vesp. 1363, dazu Schol. 1361 TOUS yexp llei\i\oVTas Ilveicr6al TIPO-
i\aßoVTes SeShTovTal; Strabo 9 p. 400 zum Kephisos s<p' OU Kat 11 ye<pvpa Kai
01 ye<pvp1crIl0{; Hsch. ye<pvpis' TIOPVTl TIS ... äi\i\ol SE OU yvvaiKa, äi\i\ex
ävSpa sKei Ka6e~ollevov ... crvYKai\VTITOllevov ... crt<oollllaTa i\Eyelv; ye<pupi~elv
übertragen ,spotten': Plut. Sull. 2, 2; 6, 18; 13, 1. Es gab auch eine Brücke
über die 'Peno{ (IG 12 81, 5 vgl. Paus. 1, 38, 1) und den Eleusinischen
Kephisos (IG IIJIII2 1191 = SIG 1048; AP 9,147). Unsicher ist, worauf
sich die von Plutarch (Fr. 60 Sandbach; Carmina popularia 877 Page)
zitierten Verse beziehen: TI6:p161 KOPTl ye<pvpav' öcrov OVTIOO t Tp11T0i\eovSe
(TpiTIoi\ov Si] oder Tp11Toi\eiv Sei Wilamowitz [1932] 51, 3; dem Heimweg
zugewiesen von Kerenyi [1967] 127).
20 Wilamowitz (1932) 53; Kerenyi Symb. Osl. 36 (1960) 11-16; dagegen
weist Wehrli ARW 31 (1934) 80-2 die Szene "der eigentlichen Mysterien-
feier" zu.
21 Aristoph. Ran. 316/7; Hdt. 8, 65, 1 T"V <pc.ov"v eTval TOV IlVcrTIKov iaKXov;
vgl. metaphorisch Himer. or. 69, 7 öcrTlS IlEV äKovelKa\ TIeieeTal, TIoi\uv
1ixi]crel TOV "!aKXov. Vgl. o. Kap. I 4 Anm. 2.
22 IG 12 81, 9-11 hos av Tex hlepex <pepocrl hai hlepeal ä[cr]<pai\EcrTaTa. Die
Statuen der Kistophoren von den Inneren Propyläen z. B. bei Kerenyi
(1962) T. 20/1.
20*
308 V. Die Mysterien von Eleusis
seitig steigert; in klassischer Zeit galt Iakchos dann als göttliche oder
dämonische Person, die sehr oft mit Dionysos identifiziert wird23 ;
später führte man offenbar auch eine Iakchos-Statue mit 24 • Bis der
Zug nach Eleusis gelangt, neigt die Sonne sich zum Untergang.
Fackeln flammen auf. ,Mit Iakchos t zieht man ein ins Heiligtum26 •
Was dort im einzelnen noch vor sich ging, am Brunnen, am Tor, an
der Pluton-Grotte, wissen wir nicht; die ,Irrfahrten t, von denen ge-
sprochen wird26 , lassen an ein längeres Hin und Her des Weges denken.
Schließlich aber war das Ziel erreicht: das ,mystenempfangende Haust
tat sich auf 27 , das Telesterion. Im Gedränge mußten die Fackeln ge-
löscht werden; Dunkel umfing die vieltausendköpfige Menge, ab und
zu erhellt von ein paar kleinen Flämmchen, vor denen die Priester
- Hierophant, Daduchos, Demeterpriesterin - nun agierten. Ein
-~
-.""".'
..
4. Die Opferhandlung im Telesterion 309
28 Luk. Katapl. 22, vgl. Foucart (1914) 401. Doch bezieht sich Lukian nur auf
7
die totale Finsternis, aus der ein schreckerregender Daduchos - hier Teisi-
phone - erscheint.
29 Hy. Dem. 226-91- Ov. fast. 4, 529-60 nach Kallimachos; Hyg. astr. 2, 14;
vgl. Soph. Fr. 604 Pearson; Hyg. fab.147. Vielleicht hat Sophokles im
,Triptol~mos' (468 v. Chr.) Demeter als seine Amme eingeführt; etwa um
diese Zeit wandelt sich in der Ikonographie Triptolemos vom bärtigen zum
ephebenhaften Typ. Zusammenstellung von 122 Triptolemos-Vasen: Recueil
Charles Dugas (1960) 132-9. Das Eleusinische Relief mit der sog. ,Taufe'
(z. B. Deubner [1932] T. 6, 3; Nilsson [1955] T. 45, 2; Kerenyi [1962] T. 13),
das links abgebrochen ist, stellt nach Pringsheim (1905) 21 Triptolemos als
Mysten zwischen den ,Beiden Göttinnen' dar, nach E. Simon AM 69/70
(1954/5) 45-8 aber einen Knaben als Opferdiener an der Spitze eines Zugs
von Adoranten zur Göttin.
30 J. G. Frazer, Apollodorus II (1921) 311-7, vgl. M. Delcourt, Pyrrhos et
Pyrrha, Recherches sur les valeurs du feu dans les legendes helleniques (1965).
31 IG 12 6 = LSS 3, 108; Isaios Fr.84 Baiter-Sauppe = Harpokr. a<p'
ECYTias; An. Bekk. 204,19; Inschriften von Statuenbasen: IG II/III2
3475-8;3480;3491-2;3498--9;3517-9;3529;3552;3554;3557;3568-70;
3577; 3581; 3586-8; 3604; 3608; 3611; 3619; 3637-8; 3646-8; 3656-7;
3676-7; 3679; 3693; 3707-8; 3723-4; 3727; SEG 24 (1969) Nr. 200, 6;
Ephem. 1964, 120-3; Statuen bei H. Leipoldt, Bilderatlas zur Religions-
geschichte 9-11 (1926) fig.189-90; Mylonas (1961) fig.80; K. Esdaile
JHS 29 (1909) 1-5.
310 V. Die Mysterien von Eleusis
Widderopfer die Verbindung mit der Welt der Toten herstellt, ist
seit der Odyssee bekannt. Verzierungen an den Ecken des ersten Tele-
sterion waren Widderköpfe41 . Der Ungeweihte mochte sich keine Ge-
danken machen, warum da Widder und nicht etwa Löwen herab-
blickten; der Geweihte wußte Bescheid.
Clemens erzählt für klein asiatische Demetermysterien einen
Mythos42, der rituelle Einzelheiten durchscheinen läßt: Demeter zürnt
Zeus, der sie vergewaltigt hat - ebenso zürnt, aus gleichem Grund,
die arkadische Demeter dem Poseidon43 - ; die Folge sind ,Flehe-
zeremonien' mit den den Griechen· wohlbekannten wollumwundenen
Zweigen, ,ein Trank von Galle', ,Herzherausreißen' und ,unsagbare
Manipulationen'. Erst agiert offenbar ein Priester mit Flehegebärden
und bitterem Trank, dann wird ein Opfertier getötet, sein Herz her-
ausgerissen; dann folgt das ,Unsagbare', das Clemens durchaus ver-
deutlich: "Zeus riß einem Widder die Hoden ab, brachte sie und warf
sie Demeter mitten in den Gewandbausch, falsche Buße leistend für
die Vergewaltigung, als habe er sich selbst kastriert"44. Daß der My-
thos in die Göttersphäre hebt, was an einem Opfertier geschieht, ist
klar. Verschuldung und Sühne wird dabei gleich in doppelter Weise
durchgespielt: mit sexueller Verfehlung wird die Aggression als
Strafe motiviert, indem die Genitalien aber in den Schoß der Göttin
fallen, schlägt die Vernichtung um in eine ,Heilige Hochzeit'.
Nichts zwingt, das gleiche für Eleusis anzunehmen; aber Meter-
und Demetermysterien sind verwandt, und für Einzelheiten gibt es
eleusinische Parallelen, über das Widderopfer hinaus. Da ist der
Zweig des Schutzflehenden, der am Mysterientag in Eleusis gerade
54 In Iul. 1, 141, Migne PG 35,653 0: Kai vvv ETl Tei\ei ToiS O'xiJlJaow; dies ist
Zusatz Gregors zu seiner Quelle Clemens.
55 Ael. nato an. 9, 65 01 lJuOVlJeVOl Toiv 6eoiv OUK O:V TIcXO'alVTO yai\eov <paO'lV'
OU YO:P aUTOV eIval Ka6apov 0\flOV, STIel T4'> O'TOlJaTl T{KTel.
56 Schol. Aristeid. p. 53, 15 Dind. (Demeter schenkt Getreide) TIpCnov
a6EO'IJOOS O'uyyeVOIJEVl1 Kei\ec1>. Luk. Lexiph. 10 ö<tÖOVX<1> Te Kai ToiS ö:i\i\olS
apPl1TOTIOIOiS ist obszön gemeint. Vgl. auch Orph. hy. 41, 6 (Demeter)
Eußoui\ov TE~aO'a 6eov 6vl1Tf\S \11T'avcXYKl1S. - Man pflegt Iambe (hy. Dem.
202) bzw. Baubo mit den Gephyrismoi (0. Anm. 19) zu assoziieren; doch
wenn Kykeontrinken bzw. Stiftung des Getreides unmittelbar folgt, kann
es sich nicht um eine beiläufige Vorbereitung handeln, die Demeters Zorn
löst; OO'{l1S eveKev hy. Dem. 211 deutet auf die Desakralisierung nach dem
Ö:pPl1TOV. Was realiter im Ritus vollzogen wird, läßt ein Erntebrauch aus der
Normandie ahnen (W. Mannhardt, Mythol. Forsch. [1884] 186): zum
Dreschermahl wird ein Widder geschlachtet, der Schwanz abgehauen und
besonders gebraten und jedem jungen Mädchen in der Gesellschaft wird
ein Stück davon "mit vielem Gelächter" präsentiert. A. Heusler, Zeitschr.
f. Volkskunde 13 (1903) 29-30; vgl. Kap. I 7 Anm. 44-50.
57 Apollodor FGrHist 244 F 110; vgl. Pi. Isthm. 7,3: Dionysos Xai\KoKPOTOU
TIcXpeöpov LlalJcXTepos; Xai\KoV T'auöo:v x6ov{av im Lied auf die Meter Eur.
Hel. 1346; Vell. Pat. 1, 4, 1 nocturno aeris sono, qualis Cerealibus sacris cieri
solet; Schol. Aristoph. Ach. 708; Erscheinen der Kore auf Bildern vgl. Kap. V
3 Anm. 17; Lekythos Sofia, Metzger (1965) T. 23, 1/2: Kore auf Demeters
Schoß, zwischen Hermes und Eumolpos.
316 V. Die Mysterien von Eleusis
a]A1l6ea7epa j.lej.lV1lj.lal ... 7TjV K6p1lv eloov. W. F. ütto, Eranos- Jb. 1939,
83-112 = Die Gestalt und das Sein (1955) 315-37; Kerenyi Paideuma 7
(1959) 76-7; (1962) 90,......, (1967) 83-4.
59 Kerenyi (1962) 100; (1967) 96. ZU YATJXOOV in: Initiation. Numen Suppl. 10
(1965) 63-4; (1967) 179-80; "Gespenstische Götterephipanie" (1962) 111.
60 Lobeck (1829) 119.
61 Sopatros Rhet. Gr. VIII 114, 24 enel oÖv eiaoo 700V avcxK76poov yeyeV1lj.lal Kai
j.lV0'71lS WV iepocp6:v71lV exj.la Kcxi o\XOOüXov 7e6eaj.lal ...
62 Lobeck (1829) 57; auf Mysterien, in denen Götterbilder entblößt wurden,
4. Die Opferhandlung im Telesterion 317
adlige Klubs in Athen, nicht ganz zu Unrecht, wie es scheint, beschul-
digt wurden, "die Mysterien durchgeführt" zu haben in geheimen
Zusammenkünften, da kam niemand auf den Gedanken nach einer
Statuette als corpus delicti zu fragen 63 . Es bedurfte keiner besonderen
Gerätschaften, den Hierophanten zu spielen.
Was sichtbar wurde im flackernden Feuerschein, vielleicht nur
für einen Augenblick - wie Orpheus, Hierophant auch er, nur einen
Blick auf Eurydike, die "weite Herrscherin<l aus dem Totenreich,
werfen kann, ehe sie wieder· entschwindet64 -, ist nicht zu raten.
Vielleicht war es nur ein Deuten an sich, eine Geste. Eine Reihe von
Zeugnissen spricht von den geheimen ,Figuren', 0XTt\JC<TCX, der Myste-
rien, Gesten oder Tanzschritten. Man kann so gut wie durchs Wort
auch durch den Gestus die Mysterien verraten, man kann sie ,aus-
tanzen'65. Vasenbilder zeigen Eumolpos, den mythischen Hierophan-
ten, tänzerisch bewegt66 . Aus ,Figuren' und aus ,Rufen' besteht die
eleusinische Weihe, wie das rhetorische Übungsstück des Sopatros
andeutet67 ; der Stoiker Kleanthes hat weit früher den Kosmos mit
deutet die Metaphorik des Themistios, der seinen Vater als Lehrer rühmt:
av ... EYVI-lVOVS 'Ta CxyCxAI-lCX'TCX (or. 20, 235a). - Mylonas (1961) 273-4
denkt an "small relics from the Mycenaean age".
63 Vgl. Kerenyi (1967) 111. Die meisten Quellen zum Mysterienskandal von
415 sprechen nicht von ,Nachahmung', sondern ,Durchführung' der Myste-
rien: 'Ta I-lV(J'TT)P1CX TI010VV'TCX Andoc. 1, 11 vgl. 12; 16; 17; 'Ta I-lva'TT)p1CX ... WS
TIOlEi'TCX1 Eq>' ÜßpE1 Thuk. 6, 28, 1; CxTIOl-l11-l0VI-lEVOV 'Ta I-lva'TT)p1CX Kcxi OE1KVVOV'T<X
in der.Eisangelie des Thessalos, Plut. Alk. 22, 4; Lys. 6, 51 von Andokides:
oihos yap EVOVS a'TOAT)V, 1-l11-l0VIJEVOS 'Ta iEpa ETIEOEtKVV 'ToiS CxI-lVT)'T01S weist im
,Nachahmen' am ehesten auf einen Gestus hin.
64 Mehrfach wird auf q>CxaI-lCX'TCX angespielt, die bei den Mysterien zu sehen
waren: Plat. Phdr. 250c EvOCXtl-lOVCX q>CxaI-lCX'TCX I-lVOVI-lEVOt 'TE Kcxi ETIOTI'TEVOV'TES;
Plut. Fr. 178 Sandbach aEl-lvO'T1l'TCXS CxKOVaIJCx'TC.ov tEPWV Kcxi q>cxaI-lCx'TCUV
6:ytCUV; Aristeid. or. 22, 3 Keil (I 416 Dind.) EV 'ToiS CxPPT)'T01S q>Cxal-lcxa1v;
Prokl. Resp. II 185, 4 Kroll q>CxaI-lCX'TCX ... YCXAT)V1lS I-lEa'TCx, vgl. I 39, 1-17.
q>CxaI-lCX'TCX Kcxi OE{I-lCX'TCX in Dionysosmysterien: Orig. Cels. 4, 10. Priesterin als
Gespenst, "EI-lTIovacx, in Sabaziosmysterien, Cx1T() aKO'TE1VWV 'TOTIOOV CxVE-
q>CX{VE'TO 'ToiS I-lVOVIJEV01S: Idomeneus FGrHist 338 F 2.
65 Sopatros Rhet. Gr. VII 115, 11 I-lTt AOYOV EiTIwv, I-lTt aXT)I-lCX'T1 OT)AOOaCXS 'TTtv
'TEAE'TT)V, vgl. 115,30. - Ta I-lV(J'TT)P1CX E~opXEia6cx1 Luk. Pisc. 33; Salto 15;
Epikt. 3, 21, 16; Clem. Protr. 2, 12, 1 etc.
66 Zu ,Eumolpos' O. Anm. 24; tanzend Z. B. Glockenkrater BM F 68 = ARV2
1446, 1, Kerenyi (1962) T. 2; Hydria Istambul, Metzger (1951) T. 32, Kerenyi
(1962) T. 37.
67 Rhet. Gr. VIII 123, 26 av oc;xoovXtCXV 6ECxaOOl-lCX1 Kcxi aXTlI-lCx 'Tl TIEpi 'TOV
CxOEAq>OV Y1YVOIJEVOV . . . av 'TOOV tEPOq>CxV'TOV pT)aEOOV cxia6ool-l<X1 . . • CxOEAq>OS
318 V. Die Mysterien von Eleusis
ist der Mit-Mys te als ,Bruder', vgl. Eid der Isismysten PSI 1162, ZPE 1
(1967) 73; zum Vorgang vgl. die Übertragung ins Christliche Clem. Protr.
12, 120, 1: iepo<pcxv-rei Se 6 KVP10S' Kcxi TOV ~VO'Tl1V 0'<ppcxyiSeTcx1 <pc.vTCXYOOYWV,
Der Sopatros-Text ist nicht zu ändern, gegen Kerenyi (1962) 100 ~ (1967)
94. V gl. Luk. Alex. 40SctSouXicx1S' Kcxi ToiS' ~UO'T1KOiS' 0'K1PTi)~CX0'1; Greg. N az.
o. Anm. 54; Clem. Protr.12, 120, 5: Christus als Hierophant spricht yu~vov
S1Kcx10crvVl1S' e1T1Sei~oo TO crxfj~cx, 151'00 lTPoS' TOV 6eov ävcxßcxiveTe. Anders (,Bil-
der') Prokl. Eukl. p. 141, 22 Friedlein: TO: ev ToiS' äyyei01S' TWV 6ewv Kcxi
äSVT01S' KpV<p1CX Kcxi &PPl1TCX crxi)~CXTCX; vgl. 138, 7.
68 SVF I Nr. 538 = Epiphan. De fide 9,41: TOUS' 6eouS' ~vcrT1KO: crXi)~CXTCX
Ei\eyev eIvcx1 Kcxi Ki\i)cre1S' iepcXS'.
69 Plat. Epin. 989c ou crxi)~CXcr1 TexvcXSov-reS' ...
70 Hippol. Ref. 5, 8, 40 VUKTOS' ev • Ei\eucriv1 UlTO lToi\i\41lTvpi Tei\wv TO: ~eYcXi\cx
Kcxi &pPl1TCX ~VO'Ti)P1CX ßoq: Kcxi KEKpcxye i\eyoov' • iepov ETeKe lTOTV1CX KOÜPOV,
Bp1~oo Bp1~ov', TOUTEcrT1V icrxupo: icrxupov. Auf die gesungene Verkündigung
des Hierophanten weist schon der Name Eumolpos; Ev~oi\lTOV lTPOXEOOV
i~epoecrcrcxv elTcx Grabepigramm auf einen Hierophanten IG II/IIP 3639;
TO:S' e~ äVCXKTOPOV <poovcXS', ev<poovicx: Philostr. V. Soph. 2, 20, II 103, 15-20 ed.
Teubn. (1870).
71 Die zürnende Demeter = Brimo: Clem. Protr. 2,15, 1; Euseb. Praep. Ev. 2,
2, 41; Theodoret Gr. aff. cur. 1, 22; Brimo = Hekate: Ap. Rh. 3, 1210 vgl.
861; Lyk. 1175-6; Brimo von Hermes am Boibe-See vergewaltigt: Schol.
Lyk. 1176,698; Prop.2, 2, 12. Vgl. Pap. Gurob VS 1 B 23, 19 = OF 31, 5;
Parodie Luk. Menipp. 20.
72 • A61lvcxi01luovucrov TOV Ll10S' Kcxt KopllS' O'Eßovcr1v ... Kcxi 6 "ICXKXOS' 6 ~VO'T1KOS'
TOVTc.v TW Ll10VVO'c.v elTcXSeTCX1 Arrian Anab. 2, 16, 3; Cic. n. d. 2, 62 zu Ceres-
Liber~-Liber quod qu~le sit, ex mysteriis intellegitur; TfjS' Kei\eoü Kcxi TP1-
4. Die Opferhandlung im Telesterion 319
Sohn der Demeter73 • Oder sind die ,Beiden Göttinnen', die auf den
Bilddarstellungen offenbar absichtlich einander angeglichen werden
bis fast zur Ununterscheidbarkeit, im Grunde identisch ?74 Die Namen
sind nicht entscheidend, die mythologischen Systematisierungen sind
sekundär. "Ein Kind ist geboren", neben Todesnot und Blut geschieht
das Wunder neuen Lebens im Gebären: dies ist die notwendige Er-
gänzung des Opferrituals, die erst den Kreislauf des Lebens ermög-
licht. So steht am Lykaion, in Olympia, am Parnaß die Geburt des
Kindes neben der Opfertötung, Frauenleistung neben Männerwerk.
Die Große Göttin gebärend darzustellen, war Brauch schon in den
Hausheiligtümern von <;atal Hüyük. Meist scheint sie Mutter der
Tiere zu sein; doch ein menschliches Kind gebärend erscheint sie,
zwischen Leoparden thronend, in einer Statuette, die sich in einem
Getreidebehälter fand 75 • Ist sie bereits die Kornmutter ? Die Mexi-
kaner haben die große Göttin dargestellt, wie sie den Maisgott ge-
biert, in einem frontalen Bild ganz ähnlich den Plastiken von <;atal
Hüyük76 • Historischer Zusammenhang oder Konvergenz - das
Bild, das zugehörige Denken, Erleben und rituelle Handeln hat hier
lTTOAEIlOV Kcxi Kopf\s Kcxi ßT]Ilf\TPOS Kcxi ßI0VUO"OV ev 'Ei\EVO"ivl TEAeTfjs Hippol.
ref. 5, 20, 5; Eur. Or. 964 <Depe<pcxO"O"cx KCXAAl1rCXlS 6e6:, Schol. r, YEVVT]O"CXO"cx TOV
"ICXKXOV. Geburt des chthonischen Dionysos auf einer Kertscher Pelike, als
Gegenstück zur Plutos-Geburt, Leningrad 1792 = ARV2 1476, 1, Nilsson
(1955) T.46, Ker6nyi (1962) T.38/9, E. Simon AK 9 (1966) 72-86. -
Ceres als Amme des Iakchos: Lucr. 4, 1168, Arnob. 3, 10; Glockenkrater
von Al Mina, Oxford 1956-335, Metzger (1965) T. 25, 2; Nilsson (1967)
T. 53, t'. - Dionysos als Sohn der Demeter: Diod. 3, 64, 1. Vgl. auch Anm.
23.
73 Hes. theog. 969 vgl. hy. Dem. 489; Skolion 885, 1 Page = Ath. 694c;
Aristoph. Thesm. 296; der Plutosknabe mit Füllhorn im Kreis der eleusini-
schen Gottheiten auf Vasen des 4. Jhs.: Pelike v. Kertsch o. Anm. 72;
Deckel Tübingen E 183 o. Kap. V 3 Anm.11; Pelike Sandford Graham
Metzger (1965) T. 14, 1; Hydria Istambul o. Anm.66; besonders schön,
zwischen aufwachsenden Ähren, auf einem Fragment aus Fethiye Djami,
Deltion 17 (1961/2) T. 35, Metzger (1965) T. 16, 2. Daß Plutos mit der Ähre
identisch sei, hat Deubner (1932) 86 vermutet.
74 Vgl. Ker6nyi (1962) 46-7 I " J (1967) 32-3 zu P. Roussel, Les cultes
egyptiens a D6los (1916) Nr. 206 = Inscriptions de D610s 2475 ß]T]Ilf\TPOS
'Ei\EVO"lV{CXS Kcxi KOPf\S Kcxi YVVCXIKOS (anders Roussel 199).
75 Mellaart (1967) 234, T. 67/8 u. T. IX; o. Kap. I 8 Anm. 26.
76 K. Th. Preuß, Bilderatlas zur Religionsgeschichte 16 (1930) XII, fig.64. -
Im ägyptischen Totenbuch 78, 30f. heißt es: "ich wurde in die heiligen,
verborgenen Dinge (... ) eingeführt, als man mich die Geburt des Gottes,
des Großen sehen ließ": J. Bergmann, Ich bin Isis (Uppsala 1968) 230, 2.
320 V. Die Mysterien von Eleusis
6spoS); Firm. err. 3, 2; 2, 7.; Porph. p. 10* Bidez = Enseb. Praep. Ev. 3,
11,12.
78 E. D. van Buren, Symbols of the Gods in Mesopotamian Art (1946) 13;
Anal. Or. 12 (1936) 327-36; o. Kap. V 3 Anm. 30.
79 Theog. 181. V gl. Ap. Rh. 4, 986-90: Kerkyra hieß Drepane nach dem
Sichelmesser der Demeter, die die Titanen mähen lehrte - oder nach der
Kastration des Uranos; nach der Kastration des Kronos durch Zeus:
Timaios FGrHist 666 F 79. - Klage um Osiris beim Mähen in Ägypten:
Diod. 1, 14 (Foucart [1914] 441; 443). Mesomedes, Eis Tf)V "'Ierlv deutet auf
die Stadien der Isis-Demeter-Mysterien: Hochzeit unter der Erde (X66VlOs
Vl-\sValOS, 11) und Geburt des Kindes (Vll1TlCxXOV yovCx, 14), lTÜP Tsi\EOV
O:PPllTOV (16), Ö TE KPOVI0S O:l-\llTOS (17), lTCxVTa 01' ävaKTOpoov "lerlOl XopEuETal
(19/20). - Ins Poetisch-allgemeingültige verwandelt ist das Schneiden der
Ähre in den Trostworten zum Tod des Kindes in Euripides' Hypsipyle,
Fr. 767,6-7 TGF = Fr. 60, 93-;--6 Bond: ävaYKaioos o'eXEl ßiov 6EpiSElV
werTE KCxP1TlI-\OV O"Taxvv Kai TOV l-\eV Elval, TOV oe I-\ij.
4. Die Opferhandlung im Telesterion 321
gende Werkzeug der Zeugung ist verwandelt in die Frucht der Erde,
die doch die Kraft des immer fortzeugenden Lebens in sich schließt.
In den Mithrasreliefs ist regelmäßig dargestellt, wie der Schwanz des
im Opfer zusammenbrechenden Stieres sich in eine Ähre verwandeltso.
Die ,gezähmte' Nahrung kommt dem Menschen noch immer aus dem
,unsagbaren Opfer'; und um zur Speise zu dienen, muß die Ähre
abermals ins Feuer gelegt werdens::,.
Die Wiederkehr der ,Jungfrau', die Geburt des Kindes, die Ähre,
dies sind, dreifach gestaffelt, z'eichen der Wiederherstellung und Er-
neuerung des Lebens. Es wurde Licht inmitten der Nacht, wenn ,das
Anaktoron geöffnet wurde' und der Hierophant aus seiner Türe tratS2 ,
wenn das ,große Feuer' aufloderte. Die Reihenfolge der Akte freilich
steht nicht fest, und an Einzelheiten entgeht uns sicher vieles. Mög-
lich, daß erst jetzt das Trinken des Kykeon erfolgte, das Hantieren
mit Kalathos und ,Kiste' durch die Mysten. Indem die Gegenstände
in die ,Kiste' zurückgelegt werden, schließt sich das Siegel des Ge-
heimnisses über das, was war. Daß das Leben und seine Nahrung aus
Schrecken, Todesbegegnung, Vernichtung sich entfalten, dieses Er-
lebnis schließt die Mysten zusammen, gibt ihrem Leben eine neue
Dimension.
Seinen Abschluß fand das Nachtfest außerhalb des Telesterion,
vielleicht gar außerhalb des Heiligtums: das Erleben drängte aus der
Enge in die Weite. Fackelschwingen und jubelnder Tanz der Mysten,
im Chorlied von Aristophanes' Fröschen so eindrucksvoll beschworen,
gehören auf die ,Wiese's3. Vielleicht schwärmte man bis zum Rhari-
sehen Feld, wo das erste Getreide gesät und geerntet worden war;
Hermesianax läßt die Mutter des Eumolpos, als mythisches Vorbild
der Demeterpriesterin, "den Mysten gewaltigen Jubelruf vortragen,
dahinkeuchend nach dem Brauch über die Rharische Stätte der
Orgien"84. Möglich, daß die Gebärden des Hierophanten noch den
Tanz anregten, doch mußte man sich jetzt hüten, die Mysterien ,aus-
zutanzen'. Der abnehmende Mond war inzwischen aufgegangen und
konnte als himmlische Fackel bis zum Morgengrauen zum Feste
leuchten. Auch große Opfer mit reichlicher Fleischmahlzeit haben
noch stattgefunden - mit dem normalen Leben ist auch die ,normale'
Form des Kultes wieder etabliert. Die Ephebeninschriften sprechen
vom Stieropfer in Eleusis ,an den Mysterien'85 - dies war nicht ge-
heim; sicher konnte es erst nach Abschluß der Weihe vollzogen
werden; man konnte nicht mit vollem Bauche ,schauen'. Die Epheben
zeigen ihre jugendliche Kraft, indem sie den Stier zum Opfer ,hoch-
heben', was fast zu einem Agon, einem Stierkampf sich entwickelt86 .
Auch diese Rolle der jungen Generation im Rahmen des alten Brauchs
gehört zum Abschluß des Opferfestes. Wer auf besondere Ehren An-
spruch hat, erhält bei der Fleischverteilung die gleiche Portion wie die
Eumolpiden 87 . Die diesseitigen Freuden lassen sich's nicht genug sein
mit Demeters Gabe. Der Ring des Opfers schließt sich zur bekannten
Dreiergruppe: Su-ove-taurilia.
Der letzte Ritus, bei Tageslicht, ist eine feierliche Libation:
2 Krüge besonderer Form, Plemochoen, werden gefüllt und aus-
gegossen, der eine gen Osten, der andere gen Westen88: ein weltumfassen -
der Gestus. Demeters Gabe geht ja über die ganze Welt hin, wie der
3 Die Lehre von der Unsterblichkeit der Seele wird von den Doxographen auf
Thales (VS 11 Al, 24; A 22a) oder Pherekydes (VS 7 A 5) zurückgeführt;
zu Seelenwanderung und Pythagoreismus W. Burkert, Weisheit und Wissen-
schaft (1962) 98-112.
4 Aug. civ. 7, 20: multa in mysteriis eius (sc. Cereris) tradi, quae nisi ad frugum
inventionem non pertineant. Daneben steht die Deutung Proserpina - Mond,
Varro 1. 1. 5, 68 = Ennius, Epicharmus 59 Vahlen2, vg1. Plut. De fac. lun.
942d u. a. m.
Ii Varro deutet das Geheimnis um die Mysteriengötter, ut homines eos fuisse
taceretur, Aug. civ. 18,5 vg1. 4, 31; Cic. Tusc.l, 29; Epiktet 3, 21, 15; Servo
Aen. 4, 58.
6 Kleanthes SVF I Nr. 547 = Plut. Is. 377d vgl. 367c.
? Hippol. Ref. 5, 8, 41-4, vgl. Sallustios 4, 7-9 zum Attismythos; im Hinter-
grund steht Plat. Symp. 20ge-212a. Die platonisch-transzendente Deutung
der Mysterien verfechten, gegen die Naturdeutung, allgemein Plutarch, De
Iside und Iamblich, De mysteriis. Vgl. auch Numenios, o. Kap. V 1 Anm. 22.
:8 O. Kap. V 4 Anm.23/4; zu Daeira Nilsson Opuscula II (1951) 545-7;
Q. Opfer, Initiation und Todesüberwindung 325
mag Geheimmythen gegeben haben, doch das Wesentliche lag an-
scheinend jenseits des Mythos, oder eher diesseits des sprachlichen
Ausdrucks wie des philosophierenden Gedankens.
Beständig blieb der Ort, die Tradition der priesterlichen Familien,
das Ritual als eigentümliche Mitteilung und prägende Erfahrung. Es
kreist um die Begegnung mit dem Tode, indem es diesen im Opfer
zelebriert. Denn der Tod bleibt ein Faktum auch für den Mysten, er
wird nicht wegeskarnotiert. Die Hoffnung liegt darin, daß die Geweih-
ten gerade im Tode ,selig'· sein werden; wie es das Grabepigramm
eines kaiserzeitlichen Mysten ebenso schlicht wie einprägsam aus-
spricht: "daß der Tod kein Übel sei, sondern Heil"9. Überraschend
zeigen die Götter der Unterwelt, die schrecklichen, ein freundliches
Gesicht. Versöhnung mit dem Tod wirken die Mysterien; darum das
,Selig', in dem die Mysten in der Feier sich diese Gewißheit gegen-
seitig bestätigen.
Die Bindung an das Fest ist ebenso altertümlich wie die korpo-
rativ-elitäre Auffassung, die die ,Seligkeit' des Geweihten nur im
Kontrast zum Ungeweihten, der ,im Schlamm liegen wird'lO, zu sehen
vermag. Ähnlich beschreibt Herodotl l in ironischer Distanzierung den
Unsterblichkeitsglauben der Geten, die Zalmoxis überzeugt hat, "daß
er und seine Zechgenossen und ihre Nachkommen nicht sterben
werden": Stammeszugehörigkeit und Teilnahme am festlichen Essen
und Trinken garantieren die Jenseitshoffnungen. Man kann aus primi-
tiven Gesellschaften Beispiele anführen, wie die Initiation, die Puber-
tätsweihe oder Einführung in den Geheimbund mit dem Status in
dieser Welt auch zugleich den Status nach dem Tod bestimmt12 ;
sehen sich doch archaisch gebundene Gemeinschaften mit Selbst-
verständlichkeit inmitten ihrer Toten, die an ihrem Leben bestim-
mend teilnehmen. Der Eintritt in ein neues Dasein im Initiationsritus
Kerenyi (1962) 171, 368 r--J (1967) 213, 160. V gl. auch Kerenyi (1962) 136-51 ("OoJ
(1967) 144---69.
9 IG II/III2 3661, 5-6 ou 1l0VOV eivcxl TOV 66:VCXTOV 6VllTOiS OU KCXKOV, aAA' &ycx-
Mv.
10 Plat. Phd. 69c; Resp. 363cd; Diog. Laert. 6, 39; Plut. Fr. 178,17 Sandbach;
vgl. o. Kap. V 1 Anm. 32.
11 Hdt. 4, 95.
12 So besonders in den Initiationen, der ,Totenfahrt' auf Malekula (Melanesien),
]. Layard, Stone men of Malekula (1942); Totenfahrt auf Malekula, Eranos-
]ahrb. 4 (1937) 242-91. Im einzelnen kann die Entwicklung der Initiations-,
Königs-, Totenrituale hier nicht nachgezeichnet werden.
326 V. Die Mysterien von Eleusis
* * *
Die Vielfalt der behandelten Riten und Kultstätten, Mythen und
N amen mag verwirrend erscheinen; und doch treten mit fast schon
monotoner Eindringlichkeit immer wieder die gleichen dynamischen
Strukturen hervor. Das Opfer als Todesbegegnung, als Tötungshand-
lung, die doch den Fortbestand des Lebens und seiner Nahrung ver-
bürgt, ist aus der Existenzform des paläolithischen Jägers heraus-
gewachsen und prägende Mitte des ,heiligen' Rituals geblieben,
Bezugspunkt und bewegende Kraft auch in den mythischen Erzäh-
2 N. Bischof, Gescheiter als alle die Laffen: Ein Psychogramm von Kon-
rad Lorenz, Hamburg 1991
Nachwort 1996 339
6 R. Girard. La violence et le sacre. Paris 1972. dt. Das Heilige und die
Gewalt. Zürich 1987; Le bouc emissaire. Paris 1982. dt. Der Sünden-
bock. Zürich 1988
342 Nachwort 1996
von Gewalt und Aggression, von der die Rede war, hat die Posi-
tion von Dart und Morris, die in Homo Necans (24f.) aufgegrif-
fen wurde, ihre Popularität verloren und findet kaum noch
Sympathie. Es ist besonders die seither mächtig gewordene
Front des Feminismus, die im übrigen auch die These von ei-
nem prähistorischen Matriarchat in immer neuen Vorstößen zu
stützen sucht (vgl. S. 92 ff.), die die Bedeutung der Jagd redu-
zieren möchte. Denn daß die Jagd weltweit nahezu ausschließ-
lich ein männliches Unternehmen war und ist, läßt sich nicht
bestreiten. So ist festgestellt, daß in den noch faßbaren Jäger-
gesellschaften de facto die Frauen mit ihrer Sammeltätitgkeit
den größeren Prozentsatz an Nahrungsmitteln beisteuern.
Umso mehr muß allerdings das ganz besondere Prestige auffal-
len, das an der Jagd haftet und dementsprechend vom männli-
chen Teil der Bevölkerung in Anspruch genommen wird. Wenn
Ideologie und Wirklichkeit nicht zusammenstimmen, bleibt die
Ideologie doch ein kulturelles Faktum. Die Definition des Men-
schen als hunüng ape (S. 24) mag grob simplifizierend sein. Und
doch war es offenbar der Ausbau der Jagd, weit über die An-
fänge im Schimpansenbereich hinaus, was einen Hominiden-
stamm befähigte, die Savannen Afrikas zu verlassen und, als
homo erectus, bald den gesamten eurasischen Raum zu bevöl-
kern, ja Eiszeiten zu überdauern. Nicht zufällig sind in einem
zu Afrika konträren Habitat, im sibirisch-arktischen Raum die
Eigenheiten des Jägerturns am eindringlichsten zu beobachten
geblieben - was zu Karl Meulis Studie zurückführt -. Daß, wie
man heute sieht, schon der frühe Mensch am Aussterben gan-
zer Tierarten ursächlich beteiligt war, am dramatischsten in
Amerika,13 mag mehr den Ökologen als den Kulturwissen-
schaftIer interessieren. Es unterstreicht jedoch von der ande-
ren Seite her die.Rolle des bewaffneten Jägers.
Im übrigen ist von vorliegendem Buch weder eine zulängli-
che Darstellung der prähistorischen Religion oder Religionen,
noch ein verantwortlicher Überblick über die ethnologisch faß-
bare Vielfalt religiöser Rituale und Spekulationen zu fordern.
Was in diesem Zusammenhang erwähnt wird, ist zugegebener-
maßen teilweise eher zufällig zusammengerafft oder sekundä-
ren, ihrerseits problematischen Quellen wie Frazers Gold~n
13 Diamond a. 0.304-312.
Nachwort 1996 349
S. 9 Z. 17 Lev.6,2
S. 18 Anm. 44 sumo gala
S. 25 Z. 2 das Paläolithicum
S. 37 Anm. 16 Anm.6.
S. 46 Anm. 4 'Hdt. 2,178
S. 57 Anm. 43 J. van Baal, Dema ... (1966);
S. 66 Z. 18 den dunklen Wein
Anm.24 Nilsson (1906)
S. 68 Anm. 32 Nilsson (1906)
S. 71 Anm. 5 de l'art occidentale
Anm.6 Grabowsky
S. 75 Anm. 21 Nilsson (1906)
S. 83 Anm. 53 ,Vgl. auch Anm. 70' zu streichen
S. 90 Anm.12 Aqhat
S. 90 Anm. 16,3 Plut. Is. 364 f
S. 93 Anm. 30,6 (0. Kap. I 2 Anm. 20)
S. 114 Anm. 28 Annali 23 (1851) T.QR
S. 116 Z. 16 10. Jahrhundert
S. 132 Z. 24 Aqhat
Anm.34 Aqhat
S. 133 Anm. 1 Roux ... (1971);
S. 139 Anm. 34 Lucan 5, 165;
S. 143 Z. 18 nach Pausanias nennt sich die Sibylle
Anm.56 Plut. Pyth.or. 405c;
S. 144 Anm. 59 6:YPl1VOV nach J. Harrison BCH 24 (1900)
254-62, eher aiyis nach Ael.Dionys.a 48,
Paus.Att.a 40.
S. 162 Anm. 36 Ch. Kardara
S. 166 Anm. 52,6 Immarados
S. 167 Z. 6 Immarados
S. 172 Anm. 77 ZRGG
S. 173 Z. 27-8 ,so daß .. . Hekatomben genannt war' zu
streichen
S. 185 Anm. 14,6 Hesiodeischen Katalogen (Fr. 124-6 M.-W.)
354 Corrigenda Minora
Register:
S. 337 Spalte 1 Z. 28 Aqhat
S. 339 Spalte 1 Z. 23 Dionysos, 191;
S. 339 Spalte 2 Z. 11 Immarados,
REGISTER
Pers eis, 233; und Brimo, 318.71; lakcho!,!, Kultruf, 39.2, 307f., 324;
und Artemis, 114.32 Ikonographie, 297.17, 308.24; Ge-
Helena, Dendritis, 77.26; und Mene- burt, 318.72; und Baubo, 314; und
laos, 71f. Dionysos, 308.23
Helios, Rinderherden, 23(f.).20; Prie- lambe, 296
ster in Athen, 162f.; Altar am lasion, und Demeter, 217
Inachos, 123 lason, 217
Hephaistos, in Lemnos, 212, 214, Ikarios, Einkehr des Dionysos, 247,
216f.; und Athena-Geburt, 157.13; 267; Reliefs, 247.37; Phalloskult,
und Erichthonios-Zeugung, 170; 83.53
Rückkehr, 218, 222.19; Pilos, 150 Imarrhados, 166.52, 167.55
Hera, von Argos, Heraion, 182, 187, Inanna, Katabasis, 290f.
Herden, 23.20, Herrin der Tiere, Ino, und Leukothea, 199f.; Wasser
93.30, Priesterin, 183f., 186(f.).23, der 1., 229.11; und Phrixos, 321.81
Schild, 184.9, und lo-Mythos, 91, 10, und Hera, 91, 185-187
185f., und Phoroneus, 185.14; H. Iphigeneia, 29.34, 77
von Tiryns, 189; von Samos, 191; Iphinoe, Proitide (Sikyon), 193f.;
H. Akraia (Korinth), 172f., 207.30, Haaropfer (Megara), 75.20
Akreia (Argos), 184.12, Antheia, Isaak, Opferung, 10(f.).10, 29.34
237.4, Lakinia, 23.20, 93.30; in Isis, und Thron, 95; und Osiris,
Olympia, 118; Bad im Kanathos, 83.53, 260; Mysterien, 73.14,
184.12; und Demeter, 302; und 317(f.).67, 320.79, ,Kiste', 297.18;
Dionysos, 199; und Dea Syria, 228 Ploiaphesia, 84.55; und Demeter,
Herakles, Jäger, Krieger, Opferer, 311.37
54, 59; Erfinder der Brandbestat- IStar, ,Höllenfahrt', 290; Gilgames'
tung, 64.17; und Acheloos, 85, Anklage, 132; und Aphrodite, 94
Dreifußraub, 138f., bei Pholos, Itylos, 20lf., 205
254f., Keramyntes, 254.19, in
Eleusis, 280, 284, 293, 294-297, Kabiren, auf Lemnos, 212, 216f.; bei
315f., Scheiterhaufen, 157.13; Kult Theben, 150, 218; bei Hipponax,
in Erythrai, 150.13; Idäischer 233; ,Penaten' in Elaius, 272; und
Daktyl, 110.7 Dionysos, 218, 299.23
Hermes, Widderopfer, 81, 312.44, Kadmos, 150, 208.4, vgl. 194.23
Rinderopfer, 22; Steinhaufen, 185; Kain,31
Argeiphontes, 185f.; und Brimo, Kallisto, 91, 101
318.71; H. Chthonios, 264f., 271; Karios, 253.15
und Dionysos, 263; Psychopompos, Kassandra, und Aias, 72
255.21; in Ainos, 225; Ahnherr der Kekrops, 155.3, 177; Töchter, 165f.,
Keryken, 165 170, 172
Hesione, 234 Keleos, 165.48, 296, 315.56
Hestia, 54.38, 106.10 Kentauren, als Masken, 103, 254f.
Hippodameia, 110, 113 Kephalos, und Prokris, 72(f.)12,
Hippolytos, 72, 75.20, 257.6 259.14
Horen, Opfer 104.29 Kleobis und Biton, 183
Horos, Zeugung, 260; brennend, Klymene, 286.14
311.37 Knopos, 181
Hyakinthiden, 78.33, 173 Kore, Mythos, 286f., am Webstuhl,
Hypermestra, als Herapriesterin, 184 300; Rückkehr, 297, 304, 315,
Hypsipyle, 213, 215 Jahreszeit, 287; und Getreide, 287;
362 Register
Laodameia, 269-271
Laokoon, 72.11, 178 Odysseus, Name, 149, Verwundung,
Leukippos, in Phaistos, 259.14 137, Dolonie, 146, Palladionraub,
Leukothea, Mythos, 199f.; in Chairo- 178, Kyklop, 148, Ehebett, 74,
neia, 246.34, Delos, 83(f,),54, 200, Tod als Pferd, 179; und Arkadien,
Isthmos, 219, Megara, 200, Samo- 151, 179.111, und Kabiren, 150,
thrake, 149; Weihung des Men- 217
neas, 199.42 Ogygos, 149
Liknites, 142 Oidipus, Fluch, 47, Grab, 210.14
Linos, 124 Oineus, 246, 271
Lykaon, 100, 104.29, 121, 126 Oinomaos, 110, 113f.
Lykurgos, verfolgt Dionysos, 198; Opis und Hekaerge, Haaropfer (De-
als Gott, 199; Vater der Antiope, los), 75.20
208f. Orestes, in Argos, 124, in Athen,
Lynkeus, 184 245f., 255, 265, 266.11, 267; tötet
N eoptolemos, 136
Orestheus, 246f.
Ma Bellona, 297.18 Osiris, als toter König, 95, Auferste-
Machaireus, 136 hung ?, 90.12, Tod, 213, 257.6, 260;
Makaria, Opferung, 77.30 und Getreide, 320.79; und Dio-
Maleos der Tyrrhener, 268.15 nysos, 213.8, 249.43, 260.21
Marduk, Fischopfer, 230
Marsyas, und Widderopfer, 141.45,
311.39 Palaimon, 219 f.
Mater Matuta, 209 Pallas, Vater der Athena bzw. getö-
Matusios, 272 tetes Mädchen, 79.39
Medea, und Peliaden, 114.32, Kinder- Pan, in Athen, 323.89, Cheironhöhle,
mord, 207.30; und Lemnos, 215; 130, Lykaion, 99, 106.34, 107f.,
und Erigone, 268 Olympia, 117.44; und Penelope,
Medusa, und Poseidon, 72.11 151.20
Melampus, 191-193, 196, 271 Pandareos' Töchter, 190, 201
Melanthios und Xanthos, 197.31 Pandion, in Athen, 202, 204, 246.31;
Melikertes, 199f., 219f. in Megara, 204.18
Meter, Widderopfer, 312, 6ai\aiJll, Pandora, Herrin der Tiere, 93.30
299.23, 6POVOOO"IS, 294, Taurobolion, Pandrosos, 172, 205
Register 363
Rhea, Höhle am Lykaion, 99, 106, Uranos, Kastration, 84, 91, 229,
118; und Dionysos, 257.6; und 320
Pferd, 93.27
Rhesos, 10(f.).10, 50.21, 146
Romulus, und Kyros, 125 Venus victrix, 94.33
364 Register
Heilige Hochzeit, 72.11, 90.15; und Horn abbrechen, 84f., 95; Hörner-
Anthesterien, 239, 257-260, 263; altar (Delos), 13(f.).26
bei Protesilaos?, 270f.; Meter, 312; Holokaust, 16(f.).41
Eleusis ?, 313 Homer, Geburtslegende, 207; Opfer-
Heilige, das, und Opfer, 51 schilderungen, 10-14
Hekatomben, 173, 183 Honig, als Spende, 66, 127; und
Herdhaus, 17 (f.) .43, 139.32, vgl. 136, Panspermie, 264
139 Hunde, in Argos erschlagen, 124;
Hermen, phallisch, 70, 82.52, ver- und Aktaion, 128f.; Hundsstern
stümmelt, 47.11, 300 siehe Sirius
Hermes-Hymnus, 22, 42.12, 48, 50.20, hunting ape, 24
163.37, 185.17 Hyperboreer, Eselsopfer, 81; und
Heroen, und Opfer mahlzeit, 17.41; Delphi, 147
Polarität zum Gott, 67f., 111-113,
136f., 167f., 177, 207, 211, 219
Initiation, Schema, 20.48; und Opfer,
Herr der Tiere, 94(f.).30; Herrin der
50, 142, 285, als Todesüberwin-
Tiere, 93f.
dung, 325; im Totenkult, 68; und
Herz, beim Opfer, 13, 29
Geheimbund, 280, Wolfsverwand-
Hesiod, Tod, 225f.
lung, 105; Initiand als Opfer, 57,
Hetären, 180f.
296, und Generationenkonflikt,
Hetairien, 47
57, 114.32, symbolische Kastra-
Hethiter, Brotbrechen, 56.42, Hal-
tion, 71.5; und Arrhephoren, 171,
bierungsopfer, 46.3, ,Hundemän-
Choen, 245, Proitiden, 193, 207,
ner', 103.26, Kochen des Fleisches,
Mysterien, 274, Villa dei misteri,
104.29, Totenriten, 50.21, 64.16,
65, Schein kampf, 66.24 207.30, 209
Hierokeryx, Hierophant, siehe Re- Iobakchen, 238.9, 239
Inzestverbot, 73.15
gister 1: Eleusis
Islam, Wallfahrt nach Mekka, 19
Hinrichtung, und Ritual, 58, 244.25
Israel, Rolle des Tieropfers, 9, 17
Hippodrom, am Lykaion, 99, in
Olympia, 111 "ist", Bedeutung des, 3.3, 159
Hippolytos von Rom, über Eleusis,
277f. Jagd, Bedeutung für die Mensch-
hirpi Sorani, 103.26 heitsgeschichte, 24--30, und Tö-
Hirsch, Geweih als Trophäe, 21f.; ten, 30.37, und Krieg, 59, und
Verwandlung und Tötung, 106.34, Sexualität, 88, und Frauen, 94f.;
128, 199 und Fischerei, 229f.; Behandlung
Hochzeit, als Opfer, 56.42, 74f., 302, der toten Tiere, 20-24; Rituali-
als Mysterion, 299, 302; mit Sta- sierung, 45, 53; im Mythos, 187,
tue, 259.14, mit dem Toten, 260, 193, im Meter-Kult, 291, 294
mit Hades, 289; vgl. Heilige Hoch- , J ahresdaimon', 3
zeit Jahresende, 160, 168
Höhle, des Cheiron (Pelion), 129, des Jahreszeiten und Feste, 287-289
Dionysos, 148.2, 262, 318(f.).72, Jenseitshoffnung, 28lf., 323f.
Idäische, 118, des Sosipolis (Olym- J ericho, Porträt-Schädel, 63.15
pia), 118, des Pluton (Eleusis), 308 J esaia, gegen Tieropfer, 15
Hölzernes Pferd, 178f. Judentum, Ende der Opfer, 15
Hörner, als Trophäen, 9, bes. in Jungfrau, im Kult, 11, 118, 155, 169,
<;atal Hüyük, 22f., 49, 54, 92; kultische Antithese, 190; Göttin
Register 369
als J., 72, 77, 79, 184.12; Pythia , Kiste', und Arrhephoren, 169, 171;
als J., 143 und Eleusis, 297f., 307, 321; und
Jungfrauenopfer, 76-80, 27lf.; vor Dionysos, 299; und Omophagie,
Ernte, 289, Fischfang, 76.24, 230, 300.27; und Kuchen, 300
Krieg, 77f., 167f., 173; nach Krieg, Klage, und Opferfest, 118, 123, 200,
79, bei Bestattung, 80; symbolisch, 220; um Inanna, 291, Tammuz,
171, 205, 268f., 286; und Göttin, 301.30, Osiris, 320.79; Totenklage,
93.27,96 64
Knien, als Gestus, 32, 89
Kaiser, und Eleusis, 280.26, 281.29, Knoblauch, 164.42, 190, 215
292(f.).1, 323.2 Knochen, Sammeln der, 13, 21, 24,
Kalbopfer, siehe Register 1: Tenedos; 49, 114, 117; und Bestattung,
und Itylos, 205 61.3, 63, 64.18
Kalender, und Jahreszeiten, 288f.; Knollenfrüchte, und Matriarchat,
Athen, 154.1, 276.7; Eleusis, 276.7; 53.34, vgI. 57.43
Argos, 183.4 Kochen im Kessel, 97, vgI. Braten
Kalydonische Eberjagd, 65f. und Kochen, Dreifußkessel
Kampf, ritueller, nach Opfer, 65f.; König, abgesetzt, 160.27, abgeführt,
Daulis, 203.13; Dionysia, 207, 163, 215, symbolisch getötet, 168,
223.24 176, und Sukzession, 180, 184,
Kannibalismus, paläolithisch, 26; 207.30
und Pflanzer, 48.15, 56f.; und Kontinuität der Kultur, und Ritual,
Tote, 62; in Geheimbünden, 47, 35, 67, und Götterglaube, 9lf.,
301.30; Lykaia?, 98-101, 104f.; symbolisiert durch die Frau, 95,
symbolisiert durch Bohne, 314; im 106
Mythos, 87.4, 114, 119-123, 148, Kopf und Füße des Opfertiers, 121,
151, 202, überwunden, 268.15, 281 125, 132; weissagender Kopf, 224;
Karer, 250-253 Kopf und Phallos, 225.33, 262
Karthago, Menschenopfer, 29.34, 99 Korb beim Opfer, 11, 259; vgI.
Kasten auf dem Wasser, Danae, 232; ,Kiste'
SemeIe, 226(f.).40; Thoas, 84, und ,Korngeist', 3, 55.39
Osiris, 213 Kosmogonie, und Urverbrechen, 121
Kastration, im Krieg, 80, Meterkult, Kranz, bei Opfer, 10, Mysterien-
299.23; des Uranos, 84, 229, 320; weihe, 296, 310.33, Choentrinken,
des Jagdtieres, 80.44, des Opfer- 244f., 255f., Schlacht, 59, Toten-
tiers, 46.3, 50.23, 81.45, 46, 47, kult, 68; Efeu, 243, Fichte, 221,
312; symbolisch, 56, 71.5, 320 Myrte, 68, 183.7
Kaufzeremonien, und Opfertier, 48.16, Krater, mit Wein und Blut, 272; als
54.38 Urne, 64
Keltern, als Zerreißung, 56, 248.39 Kreta, Mysterien nicht geheim, 278
Keren,250 Krieg, 58f. vgI. 45.1, 76f., im Mythos,
Keule, 25, vgI. 54 166f.
Kind, geboren, 319 Kriobolion, 81.45
Kindermord, 87.4, 91; im Mythos, Krypteia, 105
192, 195, 198, 199f., 201, 207.30, Kuchen, beim Opfer, 14, 56, 300,
311 vgI. 243.21
Kinderspiel, 35, 239, 244f. Kykeon, Eleusis, 301, 303, 315.56,
Kindheitserlebnisse, und Gesellschaft, 316, 321
37.15 Kyros, von Hündin aufgezogen, 125
370 Register
Prägung, durch Ritual, 26f., 33, 35, Rückwärts gehen, 163.37; werfen,
68,87 84,229
Primaten, 25, 33, 60.1, 87f., 103 Ruf, ritueller, und Gott, 39, 318
Prozession, beim Opfer; 10, Toten- Ruß, zur Vermummung, 196, 217,
ritual, 63, 68; an den Heraia, 183, 233
Mysterien, 166, 276.7, 304, 306,
Panathenäen, 174f., Skira, 162f., Saatgetreide, aufbewahrt, 55f., 288
mit Palladion, 157.14, 172.77, zum Säen, und Opfer, 56, 160.26
Tempetal, 146f., bei der Heiligen Sakralisation, und Desakralisation,
Hochzeit, 263; Elagabal, Hethiter, 19,30
163 Salaminioi, 164.44
Prügel, gegen Teufel, 36; beim Salben, der Steine, 68
Fackellauf, 175.89 Sammeln der Reste, 256, siehe Kno-
Prytaneion, Gericht, 158, Speisung, chen, Sammeln der
159, Hierophant, 165.48 Samniten, legio linteata, 57.45
Psychoanalyse, 3(f.).4, 34, 38, 41, Sarapispriester, 95.37
62.6, 8, 86f. Satyrn, und Phallos, 82; Bilder,
Pygmäen, siehe Elefantenopfer 258.12, 260, 266.11; Zeus als Satyr,
Pyramide, 67, 253.16 208; und ~atal Hüyük, 103.
Pythagoras, Unsterblichkeitslehre. Schädel, erhöht und aufbewahrt, 9,
324; Fleischenthaltung, 15, 117.43, 13, 22, 24, 49, 262; gesonderte Be-
285.10; über Bohnen, 314 stattung, 61.3, 63; Schädelbecher,
Pythia, und Dreifuß, 139f., 142f., 248.39; und Maske, 64, 262
260, als Jungfrau, 143, vgl. 134.3 Schafopfer, 18, 19.46, 50.19, 135, 175,
206, 302; vgl. Lammopfer, Widder-
Radcliffe-Brown, A. R., 33 opfer
Räuchergefäß, 11 Schamanismus, 86.1
Raub beim Opfer, 135, 137 Schatten verlieren, 99
Rechtsfriede, und Neujahr, 160f. Schaukeln, 266f., 268.18
Regenzauber, 55.39, 99.8 Schenkelknochen, 13, 21
Reine Kleider, 10, 68f. Schiff, Ankunft, 175f., 213f.
Reinigungsriten, 24, 33, 50, 184, 295 Schiffswagen, Dionysien, 223f.,
Ren, Knochen gesammelt, 22, Ver- 263.31; Panathenäen, 175, 224;
senkungsopfer, 77 Ägypten, 223.25
Restitutionsritual, nach Opfer, 24, Schild, heiliger, in Argos, 183f.,
30, 49f., 67, 82, 96, 159f., Tod, 67, 187-189
269, Schlacht, 78; vgl. Bild als Er- Schildkröte, 234
satz Schirm, 162.35, 165
Rhampsinit, Schatzhaus, 56.40 Schlag, ritueller, 71.4, 209.12
Rinderopfer, und Domestikation, Schlange, 171, und Demeter, 297,
54.36, im Totenkult, 62, 65; in Dionysos, 300, Erichthonios, 170f.,
Delos, 19.46, Salamis, 29.34, My- Kore, 300
kaIe, 46, für Hyakinthiden, 78.33, Schmidt, P. WiIhelm, 86
an Heraia, 183, 187, Panathenäen, Schmiedegötter, 150.14, 217
174f. Schmückung des Opfers, 10, vgl.
t'ite de passage, 105 291; vor Schlacht, 59
Ritus und Ritual, Begriff, 31. Funk- Schuldbewußtsein, und Opfer, 24,
tion, 33f., 44, 89, und Mythos, 39f. 29, 4~ 4a 79, 89, 9~ 244
Rom, und Troia, 180.113 Schulterblatt des Opfers, 114, 115.35
~egister 373
Schwanz des Opfertiers, 81, 315.56, Sparta, Opfer, 60.22, und König,
321 47(f.).12
Schwarze Gewänder, 174.87, 196f. Speise-Opfer, 18, 20, 66
Schwarzes Opfertier, 18, 113, 172, 220 Spott, e~ cqJa~oov 263, ye<pvplO"!-,Ol, 307
Schweigen, 243f., 246.33 Sprache und Ritual, 39, 44
Schweineopfer, 77, 132, 192.17, Stadion, Argos, 183.7, Isthmos, 219,
193,20, 283-286, 302 Lykaion, 99, 107, Olympia, 110,
Sedna, Göttin der Eskimos, 93.27, 111.12, 112, 116
96.40, 235.38 Stadt, ,heilig', 178
Seelen der Toten, 194, 239, 250f.; Statue, über Opfer errichtet, 49f.
Seelenglaube, 323 Statuetten, weibliche, 22, 92-94
Seher, im Krieg, 167, in Olympia, Steine salben, 68, werfen, 12.16,
113,117 67.28, 186f., 204
Sexualität, 70-85, und Aggression, Steinigung, 67, 204
28, 43, 88, und Ekstase, 143; im Stesichoros, 226
Totenkult, 71.6, nach Agon, 108, Stier, und Dionysos, 90.16, Dirke,
117; Sexualsymbole, 298f., 301, 209, Große Göttin, 96, Pharao, 96,
in Mysterien, 300, 313, Schlange, Zeus, 90.13, 169.22; Weihgabe, 69
170f., 297, Waffe, 71, 74, 84f.; Stieropfer, 19.46, 79.37,90.15,176.91,
Göttin der S., 92.23, vgl. Aphro- 181, 186, 220; für Dionysos, 11.14,
dite 23(f.).20, 223f., in Eleusis, 322, für
Sexuelle Enthaltung, vor Opfer, 10.7, Mithras, 321, Zeus, 113.25, 127,
72, Agon, 73.13, 117.43, Mysterien, 164-161; im Totenkult, 68f.; in
73.14, 216.16; an Skira, 164.41; Babyion, 18; Stierjagd, 23, 64, vgl.
des Hierophanten, 313; im Heilig- Taurobolion
tum, 72,270 Streitwagen, 110
Sexuelle Verfehlung des Opfers, im ,Suchen' im Ritus, 129, 197, 304, vgl.
Mythos, 120, 128, 207; 226, 270f., Sammeln
312 Sündenfall, 30
Sichel, 320 Sukzession, im Opfer, 123, 126, 184,
Sinn der Riten, 38 193, 226
Sintflut nach Greuelopfer, 100, 149, Sumerer, Opfer, 17.43, 23
266f., und neue Ordnung, 121, 137, Sumpf, 267
146, 189.1, 266.6, 268.16 suovetaurilia, 311.40, 322
Sirius, Opfer auf Keos, 126-127 ; Symbol, 61-63; Bohne, 314, Del-
vgl. 124, 129 phin, 227, 236, Getreide, 66, 282,
Sklaven, vorübergehende Freiheit, 289, Waffe, 71, 74, 84f., Wein,
174, 241, 260, 262, 266; ausge- 249f., 266, 260
schlossen, 68, 246.34; in Eleusis Symbolische Geburt, 92f., 299.21,
geweiht, 281 Kastration, 320f., Königstod, 168,
Sklavin mißhandelt, 209 Mädchenopfer, 163, 171, 286, Va-
Smith, W. Robertson, 87 termord, 88f.
Sokrates, und Leon von Salamis, Syrer, Fischtabu, 227f.
47.11
Solon, Opferkalender, 162.36, 166; Tabu, und Tabubruch, 68, 106, 172;
Bestattungsgesetz, 62 ,Totem und Tabu', 87; vgl. Mörder,
Soma, Rauschtrank, 248 Tabu
Sonne, kehrt Lauf um, 121 Tagesrechnung, 238
Sonnenwende, 163 Tanne, und Pentheus, 221
374 Register
Weben, der Arrhephoren, 169, der Lemnos, 216, und Marsyas, 141.45,
Minyaden, 195, der Philomela, 202, für Meter, 312, in Olympia, 113,
der Kore, 300 115-117, und Pelias, 114.32, am
Wein, ältester, 248.40; Weinberei- Pelion, 129, auf Samothrake, 149,
tung, 240f., 249 f.; rituelles Trin- an Skira, 163, und Thystes, 122f.,
ken, 245, 260f.; Libation, 14, 66, vgl. 19.46, 113.26
68f.; und Eleusis, 310.34; und Wiedergeburt, 57, 271, 299.21, vgl.
Dionysos, 249, und Blut, 248, Restitution
249.44, 272; und Kabiren, 217 f.; Winde, Opfer für, 23(f.).20, 126f.
und Mezentius, 268.15; Weinlose Wolf, und Männerbund, 25.22, 26,
Opfer, 78.33 103, vgl. 131, 137f.; Wolfsver-
Weißdorn, 242, 253 wandlung, 132, vgl. Werwölfe; und
Weiße gegen Schwarze, 196f. Hund, 124f., 127
Weiße Erde, 164 Würfelspiel, 163
Weiße Göttin, 200
Weiße Haare, 190f. Zarathustra, und Tieropfer, 14f.
Weiße Pferde, 209 Zerstückelung, Zerreißung, und
Werwölfe, 98-104, und Aktaions
Schlachtung, 12f., 20.48, 76; in
Hunde, 129, und Autolykos, 137; Kult und Mythos des Dionysos,
medizinisch, 103.28, 190.7; ethno-
128.15, 140, 142, Pentheus, 221.15,
logisch, 103 symbolisch, 52; Pelops und Pelias,
Wetterzauber, 126, 130f., vgl. Regen-
114f., Aktaion, 127f., Minyaden,
zauber
195, Pityokamptes, 22Of.
Wett-Trinken, 24lf., 243f.
Ziegenhörner, 13,
Widderfell, am Pelion, 129, f110S
1<cflSlov, 163, in Eleusis, 295f., 311 Ziegenopfer, 29.34, 75.20, 77-79,
Widderopfer, in Arkadien?, 106, 142f., 172f., 216, 246.34
Delphi, 138, Eleusis, 311, für ,Zweck' des Ritus, 38, 43
Erechtheus, 163.38, 175.91, 216, Zweige schwingen, 32, 174, 284.3,
in Keos?, 127, für Kore, 96, und 297, 298.20, 306f., 312f.
Kyklop, 148, auf Kypros, 132, Zwischenkönig, 123, 125, 209.9
4. Griechische Wörter
vSpo<popicx 268.16
pa~vos 242
pe~elv 9, 10.4
vSP0<P0POl 155
ve -Kve 323
pOla 314.49
<papos 172
aeTTT,;pl0V 145.65 <paa~cx 317.64
a"KOS 305.8 <pIAos 88
af\acx~oüv 66.42 <pvy,; 157
O1(f\V'; 145 <pVAAOßOAicx 12.16
O1(las 263.31
O1(ipoS, aK{pov, O1(ippos 164.44 X66vlOl 6eol 17.41
aeA1Vov 221.14 xocxi 66
aTTCXpcxy~oS 20.48, 52, 76, 114f., 127, xoipoS 283, 286
128.15, 140, 142, 195, 220 Xpvaav6elcx 288.25
aTTAayxvcx 13, 29, 47, 104f. XVTPOI 238
aTTovS,;, aTTevSoo 46.3, 66, 256.2
aV~ßOAOV 52.29, 298.19 't'OAOEVTES 196
aVv6f\~cx 297 \vvxcxl 255.21
a<paYlcx 16.41, 59.49, 78
a<pcxyeiov 12.20 OO~06ETEiv 13.25
axeS{cx 149, 160.13 oo~oq>cxyicx 51.25
axfi~cx 316.54, 317f. oopcxicx 69.35