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Thesen zur Kritik der kritischen


Kommunikationstheorie
Roger Behrens

»Alles, was heutzutage Kommunikation heißt,


ausnahmslos, ist nur der Lärm, der die Stummheit
der Gebannten übertönt.« Adorno, ›Negative
Dialektik‹ (GS. 6, S. 341)

Der Begriff der Kommunikation gehört nicht nur zur Moderne, sondern
zur Krise der Moderne. Insofern geht es bei der Kritik der Kommunikati-
onsverhältnisse um die Krise von Kommunikationsverhältnissen.

In ihrer Hochzeit kennt die bürgerliche Gesellschaft noch keine Kommu-


nikation in der heutigen Verwendung des Wortsinns (als terminus tech-
nicus). Um achtzehnhundert wird nicht ›kommuniziert‹.

Aufklärung kommt noch ohne Kommunikation aus; heute hat die Kom-
munikation die Aufklärung ersetzt.

Bis Mitte des neunzehnten Jahrhunderts ist ›Kommunikation‹


wesentlich ein religiöser Begriff. Zwar spielt Kommunikation als
gemeinsame Rede im Sinne des Dialogs (dialégesthai = sich unterreden)
bei den Rhetorikern in der Antike eine Rolle, bleibt aber im Sinne von
»Mitteilung«, »Austausch«, »Verkehr«, »Verbindung«, auch »Umgang«
und schließlich »Gemeinschaft« auf den Problembereich theologischer
Fragen bezogen (so im Mittelalter bei Thomas von Aquin).

Als philosophischer Begriff etabliert sich ›Kommunikation‹ endgültig erst


in der Existenzphilosophie des zwanzigsten Jahrhunderts (Karl Jaspers).
Dieser Hinweis ist entscheidend: denn bereits in den Vorformen der
Existenzphilosophie, marginal bei Schopenhauer, vor allem aber bei
Kierkegaard ist von ›Kommunikation‹ die Rede. (Dass Kierkegaard
»Kommunikation« begrifflich fasst ist insofern von besonderer Bedeu-
tung, als dass bei ihm auch das Wort »Medium« eine philosophisch-
terminologische Auf- und Umwertung erfährt.)
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Das Auftauchen des Begriffs der Kommunikation bei Kierkegaard (und


auch bei Schopenhauer) Mitte des neunzehnten Jahrhunderts ist
deshalb interessant, weil sich hier zeigt, inwiefern die Formung des
Kommunikationsbegriffs als terminus technicus historisch zusammenfällt
mit dem Industriekapitalismus beziehungsweise der fortschreitenden
Wertvergesellschaftung (resp. »Durchkapitalisierung«) der Welt.

Der Begriff der Kommunikation korrespondiert gleichsam mit dem Kapi-


talismus und der bürgerlichen Gesellschaft als ein sich verschärfender,
immanent krisenhafter sozialer Zusammenhang von Widersprüchen in
Hinblick auf zwei Topoi: a) Als soziales Verhältnis zielt Kommunikation
auf das Tauschverhältnis; in ihrer idealtypischen Form mithin auf einen
Äquivalenztausch.

Eine kritische Kommunikationstheorie hat zu berücksichtigen, dass der


Begriff der Kommunikation selber kritisch ist.

Kommunikationstheorie (bzw. Kommunikations- und Medientheorie)


fachlich-sachlich der Kulturwissenschaft zuzuordnen, stellt zumindest in
kritischer Perspektive eine Verengung dar. Kommunikationstheorie lässt
sich nicht in Kulturtheorie auflösen; was Kommunikation ist und was
daran problematisch ist, lässt sich kulturtheoretisch nur unzureichend
bestimmen. Im Sinne einer kritischen Theorie ist der Komplex der Kom-
munikation in radikaler Gesellschaftskritik zu fundieren; kritische Theo-
rie lässt sich nicht auf Kulturkritik und Kritik von Kommunikationsver-
hältnissen reduzieren, als sei die Gesellschaft primär und wesentlich von
»Kultur« und »Kommunikation« abhängig.

Kommunikation ist Thema der kritischen Theorie der Gesellschaft. Nicht


umgekehrt (also nicht: Gesellschaft ist Thema einer kritischen Kommuni-
kationstheorie …).

Nicht Kommunikation ist das Ziel, sondern ihre Abschaffung: als Aufhe-
bung und Verwirklichung.

Notwendig ist eine Kritik der Kommunikation als soziales Verhältnis. Sie
ist als Kritik der politischen Ökonomie zu begründen (und erfährt darin
– dies nur nebenbei – gerade ihre ungeheure Aktualität: die Kritik der so
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genannten Kommunikationsgesellschaft ist Kritik des Spätkapitalismus in


seiner derzeitigen Phase …).

(Die Thesen beziehen sich auf den Begriff der Kommunikation ebenso wie
auf seine theoretische Erfassung durch die Kommunikationswissenschaf-
ten. Zum Begriff der »Medien« beziehungsweise »Medialität« zeigen sich
Parallelen, die ebenfalls im Sinne einer kritischen Theorie der Gesellschaft
zu reflektieren sind. Beide Konzepte obliegen der Verdinglichung; als
Ideologie drohen »Kommunikation« und »Medien« zu Fetischen zu ge-
rinnen – in ihnen findet die Korrespondenz zwischen Warenform und
Denkform ihren Ausdruck.)

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