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Die gute Regierung: »Führe dich selbst!

«
Politische Ökonomie der »Gouvernementalität« und
»Responsibilisierung« der Arbeit als Schlüssel zum Neoliberalismus

von Christoph Lieber

Zur Begründung der ideologischen Hegemonie des Neoliberalismus werden ver- In seinen programmati-
schiedene zeitdiagnostische Erklärungen angeboten: die ökonomischen Lehrsätze schen Anregungen zu
der Neoklassik besäßen die Wirkmächtigkeit einer religiösen Glaubenslehre; die einer Neubestimmung
neoliberale Politik des gegenwärtigen flexiblen Kapitalismus sei eine zugespitzte der Aufgaben von Staat
repressive Variante einer Art Super-Fordismus; über Think tanks und eine staatli- und Gesellschaft unter
che Politik von Zuckerbrot und Peitsche werden die Individuen von oben her in den dem Titel »Zivile Bür-
neoliberalen Mainstream gezwängt. In kritischer Auseinandersetzung mit der The- gergesellschaft« formu-
se von der »Gouvernementalität der Gegenwart« – die auf den französischen Theo- lierte der Bundeskanzler
retiker Michel Foucault zurückgeht und in der Sozialwissenschaft große Resonanz und ehemalige SPD-
Vorsitzende Schröder:
gefunden hat – versucht Christoph Lieber im Folgenden eine differenziertere Erklä-
»Auf die politische Ebe-
rung des Neoliberalismus, die die ökonomischen Entwicklungstendenzen des ent- ne übertragen heißt das
fesselten Kapitalismus einbezieht. für mich, ganz im Sin-
ne des Goethe-Wortes,
wonach diejenige Re-
gierung die Beste sei,
›die uns lehrt, uns
selbst zu regieren‹, dass
wir der Gesellschaft
Raum schaffen, ihre Be-
lange selbst zu regeln –
Mit der Ich-AG aus der Arbeitslosigkeit? Ich-AG-Imbiss in Brandenburg, Oktober 2003 (Foto: dpa)
und zugleich den Bei-
trag des einzelnen zur
Gestaltung seines eige-
nen und des gesell-
schaftlichen Lebens
einzufordern.« Im Jahre
2000 sollte dieser Ap-
pell der damaligen
Strategie des Dritten
Weges und der Neuen
Mitte eine zivilgesell-
schaftliche Konzeption
verpassen. Die Neue
Mitte wurde moralisch
angehalten, die unteren
Schichten einzubezie-
hen, und die Eliten er-
mahnt, sich nicht ge-
sellschaftlich und poli-
tisch auszuklinken.

Christoph Lieber ist Redakteur


von Sozialismus

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Mittlerweile ist diese politische Strategie durch massive Pro- fassend charakterisiert werden: »Alle Macht den Märkten« und
zesse der sozialen Ausschließung und Ausgrenzung konterka- »Führe Dich selbst«. Diese beiden politisch-ideologischen Im-
riert worden. Dennoch werden gerade heute an den Rand der perative benennen einen inneren Zusammenhang: »Alle
Gesellschaft gedrängte soziale Gruppen wie Erwerbslose, So- Macht den Märkten« bezieht sich auf gesamtgesellschaftliche
zialhilfeempfänger, Schulabbrecher etc. mit einer Rhetorik der und betriebliche Rahmenbedingungen, die in der Krise des
»Selbstführung« konfrontiert. Fordismus umgewälzt werden; »Führe Dich selbst« appelliert
Wie lässt sich eine solche Politik verstehen, die sich vor- an ein erforderliches verändertes Verhalten und Handeln der
dergründig nicht in erster Linie an Klassenlinien, an zentralen Subjekte in allen gesellschaftlichen Bereichen, auch und gera-
sozialen Konflikten der modernen Lohnarbeit fest macht, oder de der Lohnabhängigen. Selbstführung, Selbststeuerung,
gar auf ein Bündnis von Segmenten moderner Facharbeit mit Selbstorganisation und Empowerment – oder wie auch immer
progressiven Teilen der Bourgeoisie orientiert, sondern alle die Charakterisierungen dieses geforderten neuen Arbeitneh-
abhängig Beschäftigten, aber auch explizit die nicht in regu- mertypus, des sog. Arbeitskraftunternehmers lauten mögen –
läre und abgesicherte Lohnarbeit Integrierten, also gesell- sind Reaktionen und Folgen neuer Bedingungen und Struktu-
schaftliche Randgruppen, die Nicht-Intergrierten, Ausge- ren der Lohnarbeit. Denn die gesamte Welt der Lohnarbeitsge-
schlossenen etc. ins Visier nimmt und zu Strategien des Em- sellschaft wird gegenwärtig in einen breitgefächerten Prekari-
powerments, der »Responsibilisierung« des eigenen Arbeits- sierungsstrom hineingezogen. Die sich damit beständig ver-
vermögens und (selbst)»unternehmerischem« Handeln anhält? stärkende Unsicherheit soll über Eigenvorsorge und aktives
Bei der Beantwortung dieser Frage wird eine weitere Eigen- Selbstmanagement überwunden werden, was freilich die über-
tümlichkeit dieses politischen Diskurses deutlich: seine Mäch- kommenen Strukturen sozialer Sicherheit und damit auch die
tigkeit und sein zugleich prinzipieller Charakter, der oft in Gesellschaft insgesamt weiter beschädigen und auflösen wird.
schreiendem Kontrast zur elenden Wirklichkeit steht, aber Diese gravierenden Veränderungen bauen auf Resultaten
dennoch auf Akzeptanz stößt und Wirkung zeigt. der fordistischen Betriebsweise auf – im Wesentlichen auf
dem Terrain der betrieblichen Arbeitsorganisation – und re-
flektieren zugleich den krisenhaften Auflösungs- und Um-
1. Von der fordistischen Lohnarbeit zur »Ich-AG« bruchprozess des Fordismus, wobei sich bislang noch keine
neue, stabile gesellschaftliche Betriebsweise abzeichnet, die
Im Zentrum dieses neuen Regierungsmodus, aber auch der eine höhere Rationalität und Effektivität der Gesellschaft ge-
Unternehmenspolitik, steht dabei eine neuartige Subjektivie- währleistet.2 Die neuen Qualitäten der Arbeit, zu denen die
rung von Machtbeziehungen, die in den verschiedensten ge- fordistische Produktion in den 1960er und 1970er Jahren ge-
sellschaftlichen Bereichen in den sozial- und wirtschaftspoli- führt hat, lassen sich mit den Stichworten Qualifikation, Ver-
tischen Topoi des »aktivierenden Staates«, des »Forderns und subjektivierung, Flexibilisierung u.ä. skizzieren. Sie prägen
Förderns«, erhöhter Eigenverantwortung, des Arbeitskraftun- seit den 1980er Jahren die sozialwissenschaftliche Diskussion.
ternehmers, der Ich-AG, des Appells an das »unternehmeri- Innerbetrieblich zeigen sich diese Veränderungen an erhöh-
sche Selbst« etc. zum Ausdruck kommt. Gefordert wird ein ter Dezentralisierung und Vermarktlichung. Die Unternehmens-
Übergang von der öffentlichen zur privaten Sicherheit, vom organisationen werden so umgestaltet, dass Bereiche der be-
gesellschaftlichen zum individuellen Risikomanagement, von trieblichen Wertschöpfungskette marktähnlichen Wettbewerbs-
der Sozialversicherung zur Eigenverantwortung, von der strukturen ausgesetzt werden. Die Öffnung innerbetrieblicher
Staatsversorgung zur Selbstsorge. Strukturen für marktähnliche Beziehungen (Internalisierung
In den Programmatiken der Hartz-, Rürup- oder Herzog- des Marktes) hat ein klares Ziel: höhere Flexibilität in der Wert-
Kommission zum Umbau des Arbeitsmarktes und der sozialen schöpfung und in der gesamten Wertschöpfungskette. Der ver-
Sicherungssysteme findet sich durchgängig das Prinzip der stärkte Wettbewerb wird als äußerer Zwang eingesetzt, diese
»Aktivierung«. Das arbeitsförderungspolitische Instrument zur Flexibilität zu erschließen. An die Stelle früherer Hierarchien
Selbstbeschäftigung Arbeitsloser namens »Ich-AG«, diese tritt mehr und mehr ein System der indirekten Steuerung: Be-
geradezu genialische begriffliche Kreation, bietet die denkbar schäftigte werden unmittelbar mit dem Markt konfrontiert, das
kürzeste Charakterisierung des neuen wohlfahrtsstaatlichen Management beschränkt sich auf die Festlegung von Rahmen-
Vergesellschaftungsmodus. Das Kürzel »AG« steht dabei daten. Vor allem in Bereichen mit hohen Qualifikationsanforde-
einerseits für das Ich als Aktiengesellschaft – für das ökono- rungen ist heute schon zu beobachten, wie die Arbeits- und
mische Individuum, für die selbstgesteuerte Verwertung der Zeitplanung an die Beschäftigten selbst übertragen wird.
eigenen Arbeitskraft, für den Menschen als Unternehmer sei- Ein anderer Modus der Auflösung der hierarchischen Ar-
ner selbst. Andererseits lässt sich »AG« auch als Formel für beitskörper ist die Zerlegung der Wertschöpfungsketten in
das Ich als Arbeitsgemeinschaft lesen, als Verweis auf das mehrere Unternehmen. In Bereichen mit stark wissenschaft-
moralische Individuum und ein Wissen, das die Akteure zu lich-konzeptionellen Aufgabenstellungen können wir ver-
sozialer Kooperation und Erfüllung eines gesellschaftlichen stärkt Übergänge zu flexiblen und projektförmigen Arbeits-
Nutzens disponiert.1 strukturen feststellen. Alle diese Veränderungen verdichten
Kernelemente dieser Ideologie des Neoliberalismus – Aus- sich zur Abnahme direkter hierarchischer Kontrollmodi und
druck des gegenwärtigen flexiblen und entfesselten Kapitalis- der Ausweitung von Eigenverantwortung, von Team- oder
mus – können mit den folgenden beiden Formeln zusammen- Gruppenarbeit u.ä.

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Diese Veränderungen der Lohnarbeit und die Entwicklung von Individualität durch Subjektivierung und Flexibilisierung
neuer Subjektivitätspotenziale gehen aber keineswegs mit sta- der Lohnarbeit und der gleichzeitigen Entgrenzung und Aus-
bilen und sicheren gesellschaftlichen Rahmenbedingungen weitung ungeschützter und prekärer gesellschaftlicher Ver-
einher. Vielmehr führen die derzeitigen Marktöffnungsprozes- hältnisse schlägt der Neoliberalismus sein politisches Kapital.
se und die damit einhergehenden gesellschaftlichen Entbet-
tungsprozesse – die mit den angeblichen Sachzwängen der
Globalisierung gerechtfertigt werden und in deren Folge den 2. Foucault: Die Entdeckung der politischen
Verlust nationaler staatlicher Steuerungspolitiken begründen Ökonomie als Regierungskunst
sollen – zu einer schwelenden politischen Ökonomie der Unsi-
cherheit. Diese Prekarisierungstendenzen und die eben skiz- Diese Veränderungen in den Machtbeziehungen sozialpoliti-
zierten ambivalenten Prozesse der Flexibilisierung der Arbeit scher Regulierungen und auf Unternehmensebene werden
sowie die Empowermentstrategien bilden für die Subjekte oft schon seit geraumer Zeit von einem bestimmten Ansatz kriti-
ein belastendes Spannungsverhältnis. scher Sozialwissenschaft als »neoliberale Ökonomisierung des
Das heutige flexible Unternehmen beutet diese von Unsi- Sozialen« breit diskutiert. Entscheidender Bezugspunkt sind
cherheit geprägte Situation ganz bewusst aus, die damit noch dabei Michel Foucaults theoretische Überlegungen zu den
verschärft wird. Prekarität produziert neue Prekarität. (Bei- Transformationsprozessen von Macht und Politik in der Ge-
spiel Hartz-Gesetze: die »atmende Fabrik« ersetzt Strukturpoli- schichte der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft, wie er
tik, sie unterminiert Flächentarifverträge, die wiederum durch sie in einer späten Vorlesungsreihe »La Gouvernementalité«
»atmende Tarifverträge« ersetzt werden sollen.) So sucht das (1978) skizziert hat.
Unternehmen die Kosten zu senken, aber auch die Kostensen- In der kritischen sozialwissenschaftlichen Diskussion um
kung allererst möglich zu machen, indem es die Arbeitnehmer Macht und Politik wurde Foucault schon immer als Alternati-
der permanenten Drohung des Arbeitsplatzverlustes aussetzt. ve zu Ökonomismus und marxistischer Ideologietheorie ge-
Gleichzeitig werden Tendenzen der Auflösung hierarchi- handelt. Foucaults Thesen zur »Gouvernementalität« markie-
scher Arbeitsstrukturen von einem Teil der Beschäftigten auch ren einen Leitfaden seiner Forschungsarbeiten in den 1970er
als Befreiung empfunden, selbst wenn auf der anderen Seite Jahren, der über seine Machttheorie des »Panoptismus« und
die Beschränkungen durch das übergreifende Kapital- und der »Disziplinargesellschaft« aus »Überwachen und Strafen«
Abhängigkeitsverhältnis gleichermaßen in Erscheinung treten. aus den 1960er Jahren hinausgeht und Formen politischer Re-
Die erhöhte Selbstständigkeit und der Verantwortungsraum in gierung mit Praktiken individueller Selbststeuerung in einer
der Arbeit wird durch die qualifizierten Arbeitskräfte selbst Weise verkoppelt, die zur Analyse gegenwärtiger neoliberaler
eingefordert.3 Politik und Regierungsformen geeignet erscheint.
Die Logik der indirekten Marktsteuerung ermöglicht selbst- Für Befürworter dieses Foucaultschen Ansatzes rückt des-
organisierte Arbeitszeiten, löst aber gleichzeitig auch nahezu sen Analyse der Gouvernementalität die Ökonomie der Macht
alle früher regulierten Arbeitszeitstandards auf. Arbeits- und anstelle der Macht der Ökonomie in den Mittelpunkt. »In die-
Produktionszeiten in den Unternehmen werden entkoppelt, ser Perspektive führen die Krise des Keynesianismus und der
was z.T. mit der Ausweitung von Schicht- und Feiertagsarbeit Abbau wohlfahrtsstaatlicher Interventionsformen weniger zu
verbunden ist. Generell kann festgehalten werden, dass die einem Verlust staatlicher Regelungs- und Steuerungskompe-
Arbeitszeiten flexibler werden und sich letztlich in gesell- tenzen, sondern lassen sich eher als eine Umorganisation oder
schaftliche Zeitrhythmen auflösen. eine Restrukturierung der Regierungstechniken begreifen. Da-
Diese Flexibilisierung betrifft nicht nur die Wochenarbeits- mit verlagert sich die Aufmerksamkeit auf die Neukonstituti-
zeit, sondern gleichfalls die Monats-, Jahres- und Lebensar- on von Politikformen und Staatsebenen, etwa auf die Einfüh-
beitszeit. Dies schlägt sich auch in entsprechend veränderten rung von Verhandlungssystemen, Selbstorganisationsmecha-
Verrechnungskonten und Ausgleichungsmodalitäten (Vertrau- nismen und Empowerment-Strategien. Ebenso kann diese the-
ensarbeitszeit, Arbeitszeitkonten etc.) nieder. Hinzu kommen oretische Perspektive die Reartikulation von Identitäten und
variable Entlohnungssysteme im Bereich tariflich geregelter Subjektivitäten erfassen; Beispiele hierfür sind das Auftau-
Beschäftigung: Variable Entlohnung bezeichnet Lohnkompo- chen von NROs auf der politischen Bühne, die Renaissance
nenten, die an die individuelle Leistung oder die Ertragslage der lokalen Gemeinschaften oder die Entstehung der Figur des
des Unternehmens gekoppelt sind. Eine zunehmend verbreite- ›Arbeitskraftunternehmers‹«. (Lemke 2003: 271f.) Bei vielen
te Form der variablen Entlohnung ist dabei die Beteiligung Analysen dieser so genannten »governmentality studies« in
der Mitarbeiter am Produktivvermögen. Sinkendes Arbeitsein- der Nachfolge Foucaults fällt nun auf, dass die Bezugnahme
kommen soll durch Teilhabe an Vermögen kompensiert wer- auf die Kritik der politischen Ökonomie als Analyseansatz
den. immer mehr in Hintergrund tritt oder ganz entfällt.4 Die ge-
Unter diesen Bedingungen radikaler Verdichtung betriebli-
cher Wertschöpfungsketten und der Reduktion von Sozial-
standards und sozialer Sicherheit verlieren Gewerkschaften
und Betriebsräte zunehmend die Kontrolle über den Lohn-
1
Siehe Lessenich 2003: 88ff.
2
Vgl. dazu Bischoff 2003a.
Leistungs-Kompromiss. 3
Über »die neue Autonomie in der Arbeit und ihre paradoxalen Folgen« sie-
Aus diesen widerspruchsvollen Prozessen der Ausweitung he Glißmann/Peters 2001. Vgl. dazu auch Moldaschl (2002).

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genwärtigen politischen Formen des Neoliberalismus ließen die zweite Stufe politischer Rationalität. Sie arbeitet mit Dis-
sich mit der Kritik der politischen Ökonomie nicht mehr ange- ziplinartechniken, die auf Normierungen beruhen, von denen
messen verstehen, sondern nurmehr als »Gouvernementalisie- ausgehend das Normale und das Anormale, Nonkonformität
rung«. Prüfen wir den Zusammenhang beim Meister selber. und Abnormität geschieden werden, wobei letztere repressive
Foucaults Begriff von Regierung ist nicht staatszentriert. Behandlung erfährt.7 Erst mit der Form der liberalen Regie-
Vielmehr versucht Foucault über einen weiten Begriff von Re- rung kommt es zur vollen Entfaltung der Regierungskunst.
gierung Formwandlungen des Staates, seiner Zuständigkeiten »Meines Erachtens haben wir es mit einem wichtigen Bruch
sowie die Grenzziehungen von öffentlich und privat zu ver- zu tun: Während der Zweck der Souveränität in ihr selbst
stehen. Wenn er also von einer Gouvernementalisierung des liegt und sie aus sich selbst in der Form des Gesetzes ihre Ins-
Staates spricht, »dann begreift er Regierung nicht als eine trumente zieht, liegt der Zweck der Regierung in den von ihr
Technik, die vom Staat angewendet oder eingesetzt wird, son- geleiteten Dingen. Diesen Zweck wird man in der Vervoll-
dern fasst den Staat selbst als eine Regierungstechnik, als eine kommnung, Maximierung oder Intensivierung der von der
dynamische Form und historische Fixierung von gesellschaft- Regierung geleiteten Vorgänge zu suchen haben, und an die
lichen Kräfteverhältnissen.« (Lemke/Krasmann/Bröckling Stelle der Gesetze werden als Instrumente der Regierung ver-
2000: 27) Diese systematische Koppelung von spezifischen schiedenartige Taktiken treten. Folglich wird es zu einer rück-
Machttechnologien und bestimmten Wissensformen bringt läufigen Entwicklung des Gesetzes kommen, oder besser ge-
Foucault in eine Abfolge »der großen Formen und der großen sagt, aus Sicht dessen, was man unter Regierung zu verstehen
Ökonomien der Macht im Abendland« (Foucault 1978: 66)5 – hat, ist das Gesetz bestimmt nicht das Hauptinstrument.« (54)
den feudalen Territorialstaat, den absolutistischen Verwal- Die Veränderung der Regierungskunst durch eine Relativie-
tungsstaat und den modernen Regierungsstaat. rung in der Bedeutung der Rechtsprechung attestierte Fou-
Im Begriff der Gouvernementalität sind beide Dimensionen cault schon den Disziplinarstrukturen der Frühen Neuzeit,
– Regierungsweise (»gouvernement«) und Denkweise (»menta- dem Panoptismus. Dieser »hat nicht aufgehört, an den Rechts-
lité«) – verschmolzen, als »Regierungs(denk)stil«, als Wissens- strukturen der Gesellschaft von unten her zu arbeiten, um die
form einer politischen Regierung. Die Herausbildung dieser wirklichen Mechanismen im Gegensatz zu ihrem formellen
Gouvernementalität resultiert in drei Formen und Prinzipien Rahmen wirken zu lassen.« (Foucault 1976: 285) Eine weitere
politischer Rationalität: »In Wirklichkeit hat man ein Dreieck: Veränderung tritt geschichtlich dadurch ein, dass sich im
Souveränität – Disziplin – gouvernementale Führung«. (64) Übergang zur bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft das Be-
Alle drei sind Bestandteil der sich entwickelnden modernen ziehungsgeflecht zwischen Staat, Recht, Ökonomie und der
bürgerlichen Gesellschaft. Die Souveränität hat zum Prinzip vorbürgerlichen familiären Hauswirtschaft auflöst. Zum einen
die sich selbst begründende – naturrechtliche oder vertrags- verliert der familiäre Oikos in Form des »ganzen Hauses« seine
theoretische – Staatsräson und bedient sich rechtlicher Nor- Prägekraft »als Modell der Regierung«. Bis in die Frühe Neu-
men und ihrer Kodifizierung über Gesetze. »Der Zweck der zeit »konnte die Regierungskunst nur vom Modell der Familie,
Souveränität ist (...) zirkulär. Er verweist auf die tatsächliche von der als Lenkung der Familie verstandenen Ökonomie her,
Ausübung der Souveränität; das Wohl ist der Gehorsam vor gedacht werden.« (60) Nun sinkt dieser häusliche Sozialver-
dem Gesetz«. (53) In dieser Struktur ist die spezifische »Regie- band zum bloßen gesellschaftlichen Subsystem eines kleinfa-
rungskunst« der Gouvernementalität, auf die Foucault hinaus miliären Privathaushaltes herab, der dann nur noch zum blo-
will, noch blockiert. »Solange die Souveränität das Hauptpro- ßen Objekt der neuen Regierungskunst wird. Dabei ist nach
blem war, die Institutionen der Souveränität die grundlegen- Foucault »diese Verschiebung der Familie von der Ebene des
den Institutionen waren, und die Ausübung der Macht als Modells zur Ebene der Instrumentalisierung (...) absolut fun-
Ausübung der Souveränität reflektiert wurde, war an eine damental.« (ebd. ) D.h. die Familie wird einfaches Element ei-
spezifische und autonome Entwicklung der Regierungskunst ner Bevölkerung(spolitik). Zum anderen geht liberale Regie-
nicht zu denken.« (57) Im Merkantilismus sieht Foucault zwar rungskunst nicht mehr in der bloßen »Formulierung allgemei-
erste Anzeichen in diese Richtung, er ist für ihn »die erste Ra- ner Prinzipien des öffentlichen Rechts« (58) auf. D.h. Zivil-
tionalisierung der Ausübung der Macht als Praktik des Regie- und öffentliches Recht werden nach Foucaultscher Lesart
rens« (ebd.), bleibt aber letztlich noch eingebunden in die blo- perspektivisch in ihrem gesellschaftspolitischen Gewicht rela-
ße Erhaltung und Vermehrung der Macht des noch halb abso- tiviert.
lutistischen Souveräns. Schon für den Merkantilismus gelten Die entscheidende Qualitätsveränderung für die Durchset-
»die unreflektierten Prämissen, dass der Handel die Quelle des zung liberaler Gouvernementalität kommt aber durch die zu
Wohlstandes sei (...) und dass der durch Handel geschaffene dieser Machttechnologie passgerechten Wissensform zustan-
Wohlstand eine feste Größe sei, bei dem Gewinn für den einen de: die politische Ökonomie. »Der Ausdruck ›Ökonomie‹ be-
Verlust für den anderen bedeutete. Die Vorstellung des Wirt- zeichnete im 16. Jahrhundert eine Regierungsform; im 18.
schaftswachstums war noch unbekannt.« (Reinhard 2000: Jahrhundert wird er ein Realitätsniveau, ein Interventionsfeld,
339) Eine noch folgenschwerere Unbewusstheit der Ökonomen bezeichnen und dabei eine Reihe komplexer und, wie ich
über die Prämissen der Reichtumsproduktion wird sich bei glaube, für unsere Geschichte absolut entscheidender Prozesse
den Physiokraten ergeben. durchlaufen.« (50) Mit dieser Art »ökonomischer Regierung«
In der »Reihe Sicherheit – Bevölkerung – Regierung« (41) (49) – d.h. der Einführung der politischern Ökonomie in die
markiert dann für Foucault die Regierung der »Policey« (48)6 Regierungskunst – kann »das Problem der Regierung endlich

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Feinheit und im Detail zu führen.« (63) Eine »ökonomische
Regierung«, verstanden als Regierung eines Komplexes von
freien Wirtschaftssubjekten und anderen gegenständlichen
Reichtumsressourcen, kann aber nicht mehr nach Maßgabe
einer »Policey der Disziplinargesellschaft« führen, sondern
zieht ebenso einen Wandel in den »Dispositiven der Macht«
nach sich. Das Spannungsverhältnis von Freiheitsproduktion
und Freiheitsbedrohung in einer kapitalistischen Marktökono-
mie mit liberaler Regierungsform macht die Etablierung fle-
xiblerer »Dispositive der Sicherheit« notwendig, die den
Schutz der Freiheit, bzw. einen bestimmten Gebrauch dersel-
ben gewährleisten sollen. Im Unterschied zum allumspannen-
den Panoptismus der Disziplinargesellschaft im Übergang zur
bürgerlichen Gesellschaft geht nunmehr die liberale Sicher-
heitstechnologie nicht mehr von präskriptiven Normierungen
aus, die der staatliche Souverän setzt, sondern von sozialen
Alltäglichkeiten, vom empirisch Normalen, wie es von der Be-
völkerung vorgegeben ist, nicht von der gesetzten Regel, son-
dern von der vorgefundenen Regelmäßigkeit und macht diese
selbst zum Ausgangspunkt koordinierender, standardisieren-
der und normalisierender Interventionen.
Damit sind für Foucault die wesentlichen Bausteine in der
Geschichte der Gouvernementalisierung des bürgerlichen
Michel Foucault (Foto: dpa)

Staates benannt: »als Hauptzielscheibe die Bevölkerung, als


Hauptwissensform die politische Ökonomie und als wesentli-
ches technisches Instrument die Sicherheitsdispositive«. (64)
Diese neue Regierungskunst, die sich Mitte des 18. Jahrhun-
derts abzuzeichnen beginnt, zielt also anders als die Staatsrä-
son des Absolutismus nicht mehr ausschließlich auf die Maxi-
mierung der Kräfte des Staates, sondern auf eine »ökonomi-
außerhalb des juridischen Rahmens der Souveränität gedacht, sche Regierung«. Dies führt nun nicht zu einer »Verstaatli-
reflektiert und erwogen werden.« (59) chung der Gesellschaft«, (65) sondern zu einer »reduzierteren
Aber was macht für Foucault den eigentlichen Inhalt und Bedeutung« (ebd.) des Staates, aber wiederum nicht im Sinne
Gegenstand der politischen Ökonomie aus? Die Staatsräson einer wirklichen Reduktion staatlicher Macht. Vielmehr ver-
als Wissensform frühbürgerlicher Souveränität war noch zum sucht Foucault zu zeigen, wie der Markt als eine Art perma-
einen auf »ein Territorium und zum anderen die Leute, die nentes ökonomisches Tribunal gegenüber Politik und Recht
dieses Territorium bewohnen« (50) bezogen. Im Gegensatz die staatlichen Interventionen liberaler Gouvernementalität
dazu zeigen nun die »Texte der Ökonomen und der Physiokra- »naturalisiert«, indem sie als Befolgung des »laisser-faire« na-
ten«, (54) dass sich mit dem Umbruch zum 19. Jahrhundert im türlich und »vernünftig« erscheinen und sich der Bewegung
liberalen Staat »das Regieren eben nicht auf das Territorium der »Bevölkerung« und der »Dinge des Lebens« anpassen. Hier
bezieht, sondern auf eine Art Komplex, gebildet aus den Men- nimmt Foucault hinter seinem Rücken eine Naturalisierung
schen und den Dingen. Das heißt, dass diese Dinge, für wel- von Politik und Verdinglichung des Sozialen vor. Daher ist es
che die Regierung die Verantwortung übernehmen muss, die nur konsequent, wenn seine Skizzen der Gouvernementalisie-
Menschen sind, aber die Menschen in ihren Beziehungen, ih- rung des liberalen Staates am Ende »beim Problem der Biopo-
ren Verbindungen und ihren Verwicklungen mit jenen Din- litik und beim Problem des Lebens ankommen«. (70/71)
gen, den Reichtümern, Bodenschätzen und Nahrungsmitteln
(...)«. (51) Foucault löst nun aber diesen Komplex von Men-
schen und Dingen nicht weiter auf. Er bleibt beim Geburtsakt 4
Lemke (1997) ging in seiner Rekonstruktion von Foucaults Analyse der
modernen Gouvernementalität auf den Zusammenhang zur klassischen politi-
der politischen Ökonomie stehen, der für ihn darin besteht, schen Ökonomie (Adam Smith u.a.) noch ein, der in gegenwärtigen Beiträgen
»dass die politische Ökonomie sich von dem Moment an aus- kaum mehr thematisiert wird.
bilden konnte, als unter den verschiedenen Elementen des
5
Im Folgenden beziehen sich alle Seitenzahlen in () auf diesen Text.
6
Der frühmoderne Staat verstand sich als Policey- und Ordnungsstaat. Ihm
Reichtums ein neues Subjekt auftauchte: die Bevölkerung.« ging es um Errichtung einer stabilen sozialen Ordnung und Wohlfahrt in allen
(62) Diese stellt das eigentlich neuartige politische Interventi- Lebensbereichen, zur Ehre Gottes wie zum Nutzen der Gesellschaft, nicht
zuletzt zur Verwirklichung von Recht und Frieden. Unter Policey verstand der
onsfeld dar. »Die Bevölkerung zu führen heißt nicht, allein die frühmoderne Staat den ganzen Komplex der Verwaltung und Ordnung einer
kollektive Masse an Phänomenen oder die Bevölkerung allein Herrschaft; gute Policey bedeutete soviel wie ein gutes Regiment. Vgl. van
Dülmen 1982.
auf der Ebene ihrer globalen Befunde zu führen; die Bevölke- 7
Die Strukturen und Praktiken dieser Disziplinargesellschaft des »Panoptis-
rung zu führen heißt, sie gleichermaßen in der Tiefe, in der mus« waren Gegenstand der früheren Arbeiten Foucaults.

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In dieser Konstruktion Foucaults spielt die Wissensform
»Politische Ökonomie« eine prominente Rolle. Der Rekurs auf
sie soll letztlich die Naturalisierung liberaler und im Gefolge
der »governmentality studies« auch der neoliberalen Regie-
rungspraktiken begründen und verstehen helfen. Damit wer-
den aber das historisch-politische Verdienst und der Stellen-
wert der klassischen politischen Ökonomie innerhalb der ide-
ologischen Formationen in einer sich historisch totalisieren-
den bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft von Foucault
verfehlt.

3. Die moderne Lohnarbeit

Foucault hat den Transformationsprozess des absolutistischen


Staates in den modernen bürgerlichen Staat im Zuge der Ent-
wicklung des Kapitalismus vor Augen. Ein Hauptzug dieser
Entwicklung ist bei Foucault getroffen. Der Staat transfor-
miert sich von einem Außenverhältnis gegenüber anderen
staatlichen Territorien zunehmend zu einem Souverän nach
innen mit spezifischer Legitimität. »Darüber hinaus verwan-
delt sich in einer Osmose zwischen Kirche und Staat der Be-
griff der Politik selbst. Sie ist nicht mehr nur eine äußere
Funktion, die auf den Schutz der Gesellschaft vor dem ›Bösen‹
abzielt, sondern eine innere Funktion, die das Individuum zu
formen und normieren versucht. Dieser Prozess bleibt über ei-
nen langen Zeitraum latent und manifestiert sich oft nur indi-
rekt, weil der Staat bis zur Säkularisierung zumeist über den
kirchlichen Apparaten agiert.« (Prodi 2003: 125) Von diesem
Zusammenhang geht auch Foucault mit seiner These der Pas-
toralmacht und ihrer späteren Gouvernementalisierung aus.
Aber der komplexe Umgruppierungsprozess von Staat, Po-
litik, Kirche, weiteren zivilgesellschaftlichen Strukturen und
Ökonomie wird von Foucault linear auf die »Einführung der
Ökonomie in die politische Amtsführung« (49) fokussiert. Sie
stellt für ihn den »Haupteinsatz dar, um den es beim Regieren
geht«. (ebd.) Politische Ökonomie wird auf Wirtschaftspolitik
und Regierungstechnik reduziert, die Steuerungsinstrumente
zur Verfügung stellen und die Lenkung von »Wirtschafts«-
Subjekten erlauben. Dieser Prozess (»Haupteinsatz«) erscheint
bei Foucault als zielstrebiges, bewusstes Akteurshandeln, bei
dem sich eine spezifische Wissensform – politische Ökonomie
– zusammen mit einer spezifischen Machttechnologie – der
Gouvernementalisierung des Staates – zu einem modernen
Macht-Wissens-Komplex verbindet, der die ihm gegenüber-
stehenden Dinge, Körper, Subjekte etc. zu produktiven Res-
sourcen formt. Auf diesem Wege erhält »für die im 19. Jahr-
hundert entstehenden Kontrollinstanzen der Körper eine völ-
lig andere Bedeutung; er muss nun nicht mehr gemartert (wie
noch bei den Disziplinartechnologien in ݆berwachen und
Strafen‹, C.L.), sondern soll geformt, umgeformt, verbessert
werden; er soll Fähigkeiten erwerben, eine Reihe von Eigen-
schaften erlangen, sich als arbeitsfähiger Körper qualifizieren.
So erkennen wir deutlich die zweite Funktion der Unterwer-
fung. Die erste Funktion bestand darin, die Zeit zu extrahie-
ren und dafür zu sorgen, dass die Zeit der Menschen, ihre Le-
benszeit, sich in Arbeitszeit verwandelt. Die zweite Funktion

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besteht darin, den Körper des Menschen zur Arbeitskraft zu Ware Arbeitskraft ›in Bertriebgenommen wird‹« (Bechtle/Sauer
machen. Die beiden Funktionen, die Umwandlung des Körpers 2003: 47). Einen solchen ideologiekritischen Zugang ermög-
in Arbeitskraft und die Umwandlung der Zeit in Arbeitszeit, licht Foucaults Gouvernementalitätsthese nicht, da in ihr die
entsprechen einander (...) Auf diese Weise führt die Arbeit politische Ökonomie nur sehr verkürzt begriffen ist.
nach und nach zu einem Wissen über die Produktivität oder
den technischen Produktionsvorgang, das eine verstärkte
Kontrolle ermöglicht. Hier entsteht also ein Wissen, das den 4. Die klassische politische Ökonomie als
Arbeitenden und ihrem Verhalten abgewonnen ist.« (Foucault Dechiffrierung sozialer Antagonismen
1974: 763)
Dass dieser Prozess der Entstehung eines modernen Ar- Foucault resümiert seinen Befund, in den Texten der Physio-
beitsvermögens nach der geschichtlich gewaltsamen Tren- kraten und anderer Ökonomen die Bevölkerung und gegen-
nung der subjektiven und objektiven Potenzen der Arbeit sich ständliche Reichtumsressourcen entdeckt zu haben, in einer
zunehmend in mystifizierten Formen der bürgerlich-kapitalis- eigenwilligen These zum Verhältnis von Ökonomie und Poli-
tischen Reichtumsproduktion abspielt und den Subjekten ei- tik: »Regieren (heißt) die Dinge regieren.« (52) Das Subjekt
gentümliche Charaktere aufprägt und bis zu dem äußersten »Bevölkerung« und die »Dinge« der Reichtumsproduktion sind
Punkt führen kann, dass mit dem »industriell Werden« der aber keineswegs das letzte Wort der politischen Ökonomie,
modernen Lohnarbeit der »Zivilisierte sich selbst zu allem ver- auch nicht bei den Physiokraten, den Vätern der modernen
wendet« (Marx, Grundrisse, S. 25), und dass auch das Nach- Ökonomie. Zwar erschienen bei ihnen »die bürgerlichen For-
denken über die wirklichen Quellen des gesellschaftlichen men der Produktion als die Naturformen derselben«. Aber »es
Reichtums einen komplizierten Dechiffrierungsprozess ideolo- war ihr großes Verdienst, daß sie diese Formen als physiologi-
gisch bestimmter Wissensformen durchläuft, kommt bei Fou- sche Formen der Gesellschaft auffassten: als aus der Natur-
cault nicht vor. »Wie mir scheint, grenze ich mich sowohl von notwendigkeit der Produktion selbst hervorgehende Formen,
der marxistischen als auch der paramarxistischen Sichtweise die von Willen, Politik usw. unabhängig sind. Es sind materi-
ab. Was erstere betrifft, folge ich denen nicht, die die Macht- elle Gesetze; der Fehler nur, dass das materielle Gesetz einer
wirkungen auf der Ebene der Ideologie einzugrenzen versu- bestimmten historischen Gesellschaftsstufe als abstraktes, alle
chen. Ich frage mich in der Tat, ob es nicht materialistischer Gesellschaftsformen gleichmäßig beherrschendes Gesetz auf-
wäre, wenn man, bevor man die Frage der Ideologie stellt, die gefasst wird.« (MEW 26.1/12) Genau hierin liegt aber die Dy-
Frage des Körpers und der Wirkungen der Macht auf ihn un- namik und Bedeutung der klassischen politischen Ökonomie,
tersucht. Denn mich stört an den Analysen, die die Ideologie dass sie selbst beim theoretischen Durchdringen, Zergliedern
voranstellen, dass man damit stets ein menschliches Subjekt und Analysieren der »physiologischen Formen der Gesell-
voraussetzt, dessen Urbild von der klassischen Philosophie schaft« dazu kommt, »die bürgerlichen Produktionsverhältnis-
vorgegeben wird und das mit einem Bewusstsein ausgestattet se als bloß historische aufzufassen« und »die selbständige,
sein soll, von dem dann die Macht Besitz ergreifen würde.« stoffliche Gestalt des Reichtums.(...) nur noch als beständig
(Foucault 1975: 936) verschwindende und beständig wiedererzeugte Objektivierung
Mit der Fokussierung auf die Körperlichkeit trifft Foucault der menschlichen Arbeit« (MEW 26.3/421) erscheinen zu las-
aber gerade nicht das Spezifische des modernen, doppelt frei- sen. Die Naturalisierung gesellschaftlicher Verhältnisse ist
en Lohnarbeiters. Dieses erschöpft sich eben nicht in »dres- zwar den ökonomischen Formen der bürgerlichen Reichtums-
sierter Naturkraft«, sondern die zivilisatorische Tendenz des produktion auf Grund der Verkehrung sozialer Beziehungen
Kapitals führt selbst zu einer Umwandlung im Charakter der in sachliche Eigenschaften inhärent, aber diese Struktur ist
Arbeit, indem die lebendige Arbeit neben den Produktions- keineswegs hermetisch, sondern ermöglicht ebenso ihre De-
prozess tritt und sein Regulator wird. Aber diese Tendenz und chiffrierung. Dieser soziale Prozess des Nachdenkens über die
der soziale Status der Lohnarbeit mit ihren sozialen Rechten ökonomischen Strukturen der bürgerlichen Gesellschaft ver-
muss dem Kapital immer wieder abgerungen werden. Diese läuft dabei keineswegs gradlinig und einheitlich. Vielmehr
emanzipatorischen Bestrebungen der lebendigen Arbeit blei- bilden sich bei seinen Trägern und Repräsentanten unter-
ben in den Prozess der Verwertung und Ausbeutung einge- schiedliche Bewusstseinsformen von wissenschaftlicher Ein-
bunden. In dem Nachweis, wie sich das Eldorado von Freiheit, sicht, Vulgarisierung und gewöhnlichen Alltagsanschauungen
Gleichheit und Brüderlichkeit,8 das auch auf Seiten der Lohn- aus.
arbeit gilt, mit Herrschaft und Profitmacherei auf Seiten des Diese Qualitätsunterschiede in den sozialen Denkformen
Kapitals verträgt und komplementär dazu ist, liegen ja gerade unterschlägt Foucault, wenn er die Physiokraten als Väter
Stärke und Verdienst der Marxschen Ideologietheorie. Ohne und Wegbereiter der klassischen Ökonomie nicht von ihren
sie lässt sich die gegenwärtige Subjektivität der Beschäftigten späteren vulgärökonomischen Deformationen absetzt. Die
kaum verstehen. Die Subjektivität der Beschäftigten, ehemals verdinglichte Sicht auf ökonomische Prozesse, die Foucault
Störfaktor und oft illegale Kompensationsfunktion, wird jetzt den Physiokraten glaubt entnehmen zu können, trifft erst auf
zu einem zentralen produktiven Faktor. »Neu ist, dass über den Umschlag von klassischer politischer Ökonomie in Vul-
das elastische Potenzial, d.h. über das qualifikatorische und 8
Zur Aktualisierung der Marxschen These von der ökonomischen »Religion
physische Arbeitsvermögen hinaus, jetzt das Subjekt quasi des Alltagslebens« (MEW 25/838) für das Verständnis des Neoliberalismus als
hinter der Arbeitskraft oder präziser die Person als Träger der Ideologie des flexiblen Kapitalismus vgl. Bischoff 2003b.

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gärökonomie zu. Solche Differenzierungen lassen sich aber rung des bürgerlichen Staates: »Denn eben die Taktiken des
nur auf Basis einer ideologietheoretisch fundierten Argumen- Regierens gestatten es, zu jedem Zeitpunkt zu bestimmen, was
tation einlösen, die Foucault ja durch seinen Macht-Wissen- in die Zuständigkeit des Staates gehört und was nicht in die
Komplex ersetzt. Das betrifft auch seine vorschnelle Relativie- Zuständigkeit des Staates gehört, was öffentlich ist und was
rung des Rechts als relevanter Form im ideologischen Über- privat ist, was staatlich ist und was nicht staatlich ist. Also,
bau der bürgerlichen Gesellschaft. Ihre Gültigkeit und Wirk- wenn Sie so wollen, darf man den Staat in seinem Überleben
samkeit kann nicht einfach auf die Foucaultsche und den Staat in seinen Grenzen nur von den allgemeinen
Periodisierung der frühneuzeitlichen »Souveränität« des bür- Taktiken der Gouvernementalität her verstehen.« (66)
gerlichen Staates beschränkt werden.9 »Lockes Auffassung Auch in der Kritik der politischen Ökonomie ist eine über-
[ist] um so wichtiger, da sie der klassische Ausdruck der greifende These zum Verhältnis von Nationalökonomie und
Rechtsvorstellungen der bürgerlichen Gesellschaft im Gegen- Staat im Entwicklungsgang der bürgerlichen Gesellschaft for-
satz zu feudalen und seine Philosophie überdies der ganzen muliert, die heute in den aufschimmernden Konturen eines
spätren englischen Ökonomie zur Grundlage aller ihrer Vor- »market-state« praktisch wahr wird: «Die Herrschaft des Ei-
stellungen diente.« (MEW 26.1/343) gentums musste sich notwendig zuerst gegen den Staat wen-
Unbestritten ist, dass die Einführung der politischen Öko- den und diesen auflösen (Hervorh. C.L.) oder wenigstens, da
nomie in die Regierungskunst – wie Foucault sie auffasst – es ihn nicht entbehren kann, aushöhlen (Hervorh. C.L.). Adam
das Verhältnis von Politik und Ökonomie verändert. Aber Smith begann diese Aushöhlung (Hervorh. C.L.) gleichzeitig
auch hier würde ein ideologietheoretisch fundiertes Herange- mit der industriellen Revolution, indem er 1776 seine ›Unter-
hen weitere relevante Einsichten zu Tage fördern, die die Un- suchung über das Wesen und die Ursachen des Nationalreich-
bewusstheit der Physiokraten bezogen auf die Formen der Po- tums‹ herausgab und dadurch die Finanzwissenschaft schuf...
litik differenzierter erklären können. Auf Grund ihrer ge- Er reduzierte die Politik, die Parteien, die Religion, alles auf
schichtlich bedingten begrenzten Auffassung der Mehrwert- ökonomische Kategorien und erkannte dadurch das Eigentum
produktion als Agrikulturarbeit wird in den physiokratischen als das Wesen, die Bereicherung als den Zweck des Staates
Vorschlägen zu einer ökonomisch fundierten Politik »die Steu- an.« (MEW 1/566ff.) Das Verhältnis von Staat und Kapitalver-
er ganz auf die Grundrente gewälzt, weil sie der einzige wertung ist keine historisch fixe Größe, sondern selbst durch
Mehrwert ist – daher jede Besteuerung andrer Einkommens- die gesellschaftliche Betriebsweise und ihre sozialen Kräfte-
formen nur auf einem Umweg, daher nur auf ökonomisch verhältnisse bedingt. Zum gegenwärtigen flexiblen Kapitalis-
schädlichem Wege, in einer die Produktion hemmenden Weise mus gehört hinzu, dass zunehmend Teilbereiche staatlicher
das Grundeigentum besteuert – wird die Steuer und damit alle Souveränität in Marktprozesse transformiert und dementspre-
Staatsintervention von der Industrie selbst entfernt und diese chend umstrukturiert werden. »Die Ablösung der travaux pu-
so von aller Staatsintervention befreit. Angeblich geschieht blics vom Staat und ihr Übergehn in die Domäne der vom Ka-
dies zum besten des Grundeigentums, nicht im Interesse der pital selbst unternommnen Arbeiten, zeigt den Grad an, wozu
Industrie, sondern des Grundeigentums. Damit zusammen- sich das reelle Gemeinwesen in der Form des Kapitals konsti-
hängend: Laissez faire, laissez aller; die ungehinderte freie tuiert.« (Marx, Grundrisse, S. 429f.) Diese Vermarktlichung
Konkurrenz, Beseitigung aller Staatseinmischung, Monopole staatlicher und öffentlicher Aufgaben geschieht nicht im
etc. von der Industrie.« (MEW 26.1/23) Selbstlauf, sondern muss ökonomisch durchgesetzt und poli-
Dieses msytifizierte politische Handeln zeitigt aber in der tisch immer wieder neu fixiert werden.
geschichtlichen Konstellation der Physiokraten gegen die In-
tention ihrer Akteure ein historisch progressives Resultat: »die
scheinbare Verherrlichung des Grundeigentums (schlägt) in 5. Neoliberale Gouvernementalität und Strategie
dessen ökonomische Verneinung und Bestätigung der kapita- der »Responsibilisierung« des Arbeitsvermögens
listischen Produktion (um)«. (22)10 Indem so die Physiokraten
den Feudalismus verbürgerlichen, befördern sie zugleich in Mit der Reformulierung von Foucaults Thesen zur Gouverne-
feudalem Gewande den Durchbruch der bürgerlich-kapitalisti- mentalisierung moderner Regierungstechniken und ihrer An-
schen Produktionsweise. Zunächst wird das Grundeigentum wendung in Analysen verschiedener Politikfelder des Neolibe-
von ihnen auf einen »Sockel« gestellt, und dann werden durch ralismus (Arbeitsmarkt, Sozialversicherung, Kriminalitiät,
die Besteuerung des Bodenertrags dem absolutistischen Staat Biopolitik u.ä.) erfassen die »Foucaultianer« eine charakteristi-
die Ressourcen entzogen und seine Transformation zu einem sche Seite gegenwärtiger Sozialtechnologien: »Die ›Strategie
modernen bürgerlich-kapitalistischen Staat befördert. »Diese der Responsibilisierung‹, der Mobilisierung von Individuen
höhere Bedeutung direkter Steuern entspricht einer neuen unter dem Signum von Eigenverantwortung, Eigenständigkeit
Phase der Finanzgeschichte, obwohl physiokratische Reform- und Eigeninitiative« (Krasmann 2000: 198) steht beispielhaft
projekte wenig erfolgreich verliefen.« (Reinhard 2000: 339) für Formen der Subjektivierung im Kontext neoliberaler Ge-
Diese spezifische Anordnung von Reichtumsproduktion/ sellschafts- und Wirtschaftspolitik. »Diese Strategie der Res-
Wertschöpfung, Eigentumsverhältnissen und politischer Form ponsibilisierung ist praktisch das subjektive Pendant zum
des Gemeinwesens, die das historische Milieu wirtschaftspoli- Verantwortung delegierenden Staat: Während das Paradigma
tischer Interventionen der Physiokraten bestimmt, verortet der Solidarität mit dem Programm des Wohlfahrtsstaates in
Foucault auf der historischen Achse der Gouvernementalisie- den Hintergrund tritt, zieht mit der politischen Rationalität

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des Neoliberalismus das Prinzip der Verantwortung atomisier- schiedlichen gesellschaftlichen Teilbereichen – etabliert als
ter Individuen herauf.« (ebd.) Viele solcher Analysen laufen objektive Struktur eine politische Ökonomie der Unsicherheit.
aber Gefahr, die Komplexität der inneren Rationalität neolibe- Dabei ist es nun keineswegs so, dass die Akteure aus Politik
raler Politik auf das Element der Strategie zu verkürzen und und Kapital strategisch auf die Herstellung gesellschaftlich er-
diese dann tendenziell als bewusstes Akteurshandeln zu fas- höhter Unsicherheit abzielten. Der prekarisierte »flexible
sen. Um mit Bourdieu kritisch gegen Foucault gewendet zu Mensch« innerhalb dieser neuartigen politischen Ökonomie
sprechen: Es fehlt die Berücksichtigung und Einordnung in der Unsicherheit soll gerade deshalb »empowert« werden, um
das »ökonomische Feld«. Denn viele der hier untersuchten So- Unsicherheit überwinden zu können und mit dieser Fähigkeit
zialtechnologien und Strategien können nicht einfach als re- dann noch passgenauer für die veränderte betriebliche Ar-
gierungspolitisches Instrumentarium isoliert werden. Sie sind beitsorganisation zu sein.
heute mehr und mehr Bestandteil einer spezifischen ökonomi- Die Internalisierung des Marktes in Unternehmensstruktu-
schen Rationalität. Diese führt zu einer Politik der »Prekarisie- ren setzt bezogen auf das lebendige Arbeitsvermögen einen
rung« und Rekommodifizierung lebendiger Arbeitsvermögen zwieschlächtigen Prozess frei. Es sind gerade die zivilisatori-
und schafft auf diesem Wege Flexibilitätsressourcen, die schen Seiten kapitalistischer Herrschaftsstrukturen (»reelle
letztlich verbesserten Strukturen der Kapitalverwertung
zugute kommen sollen. Bourdieu hegt dabei »den Verdacht, 9
In diesem Punkt des Verhältnisses von Rechtsform und Produktionsver-
dass Prekarität gar nicht das Produkt einer mit der ebenfalls hältnissen ergibt sich ein Konnex von Foucault zu Hardt/Negri, der sich im
viel zitierten ›Globalisierung‹ gleichgesetzten ökonomischen theoretisch harten Kern auf die Relativierung des Rechts als ideologischer
Überbauform bezieht, welches nun zu einer unmittelbareren Regierungstech-
Fatalität ist, sondern Produkt eines politischen Willens. Das nologie wird: »Wir können nicht länger die Metapher von Basis und Überbau
›flexible‹ Unternehmen beutet gewissermaßen ganz eine von benutzen, die für die Vorstellungen von den vermittelnden Institutionen der
zivilen Gesellschaft zentral war.« (Negri/Hardt 1997: 118)
Unsicherheit geprägte Situation aus, die von ihm noch ver- 10
Dieses paradigmatische Beispiel eines durch den Ideologiegehalt ökono-
schärft wird.« (Bourdieu 1998: 99) mischer Formen präformierten Akteurshandelns ist äußerst weitreichend und
lehrreich und ließe sich analytisch auch beim gegenwärtigen Agieren von
Diese Struktur bewusst-unbewussten gesellschaftlichen Rot-Grün in Anschlag bringen: Hier wird in vulgarisierter werttheoretischer
Handelns lässt sich mit Rückgriff auf die Kritik der politi- Auffassung das Schwergewicht der angeblich wertschöpferischen Potenzen in
schen Ökonomie präziser fassen. Die gegenwärtige Entfesse- die tote Arbeit, sprich das Kapital/Vermögen etc. verlegt. Sie müsse allerdings
gegenwärtig steuerlich entlastet werden, um ihre Potenzen entfalten zu kön-
lung des Kapitalismus – erhöhte Flexibilität und die verschie- nen, was eine weitere Zerstörung der wirklichen Quelle der Wertschöpfung,
densten Varianten von Marktöffnungsprozessen in unter- sprich der lebendigen (Lohn)arbeit, zur Folge haben wird.

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Subsumtion«), die die Lohnarbeit im Unterschied zu allen an-
deren bisherigen Formen und Kulturen der Arbeit »zu einer
ganz andren historischen Action befähigen« (MEGA II 4.1/
103): »der freie Arbeiter dagegen getrieben von seinen wants.

Karikatur: Economist
Das Bewusstsein (oder vielmehr die Vorstellung) der freien
Selbstbestimmung, der Freiheit, macht den einen zu einem
viel bessern Arbeiter als den andren, und das damit verbund-
ne feeling (Bewusstsein) of responsibility; da er, wie jeder
Waarenverkäufer, responsibel ist für die Waare, die er liefert
und sie in gewisser Qualität liefern muß, soll er nicht von beitsvermögens, die auf gewachsene Subjektivitätspotenziale
andren Waarenverkäufern derselben Species aus dem Feld ge- in der Arbeit und Ausweitung der Individualität der Lohnab-
schlagen werden.« (Marx, ebd.) Diese Ambivalenzen und Para- hängigen aus dem Fordismus aufbauen und diese weitertrei-
doxien innerhalb der Charaktere der Lohnarbeit selbst – als ben können. Jetzt löst sich die für die fordistisch-tayloristi-
gesellschaftlicher Arbeitskörper zugleich durch die vereinzel- sche Nutzung von Arbeitskraft konstitutive Trennung von Ar-
ten Einzelnen die »Instinkte und Gesetze der Warennatur« zu beitskraft und subjektivem Träger partiell auf.
exekutieren und zu bedienen – werden unter den Bedingun- In der labour process debate der 1980er Jahre wurden noch
gen des neuen Marktregimes nach der Seite der Wertschöp- die »fordistischen Transaktionskosten« der Verwandlung von
fung und Verwertung hin verschärft: »Als Wert produzierend Arbeitskraft in Arbeit unter den kapitalistischen Kommando-
bleibt die Arbeit daher stets Arbeit des einzelnen... Die pro- strukturen untersucht. Der flexible Kapitalismus treibt hier
duktive Arbeit – als Wert produzierende Arbeit – steht dem eine eigene »Transaktionskostenökonomie« hervor: Mit dem
Kapital daher stets als Arbeit des einzelnen Arbeitsvermögens, Prinzip der Selbstorganisation wird dem Beschäftigten die
des vereinzelten Arbeiters gegenüber, welche gesellschaftli- Transformation seines Arbeitsvermögens in Arbeitsleistung
chen Kombinationen diese Arbeiter immer im Produktions- selbst überlassen, d.h. er muss seine Verfügbarkeit, seine Leis-
prozeß eingehn mögen. Während so das Kapital dem Arbeiter tungserbringung und auch die Rationalisierung seines Ar-
gegenüber die gesellschaftliche Produktivkraft der Arbeit, beitsprozesses selbst steuern. »Kommando« und »Verantwor-
stellt die produktive Arbeit des Arbeiters dem Kapital gegenü- tung« verlagern sich sozusagen von der Seite des Unterneh-
ber immer nur die Arbeit des vereinzelten Arbeiters dar.« merkapitalisten auf die Arbeitskraftbesitzer selbst. Die Kapi-
(MEW 26.1/370) Innerhalb eines Regimes politischer Ökono- talseite ist nurmehr an »werthaltigen« und »werttreibenden«
mie der Unsicherheit entpuppt sich der »Arbeitskraftunterneh- Resultaten interessiert. Damit transformieren sich auch die
mer« – dankbares Objekt von Empowermentstrategien – als »unsichtbaren Fäden des kapitalistischen Wertbildungs- und
ideologischer Überbau dieses »vereinzelten Arbeiters«. Und Verwertungsprozesses« in neue Formen wertorientierter Steue-
damit erweisen sich auch die Gouvernementalität und die rung in den Unternehmen und betrieblicher Kostenökonomie.
Strategien der Gouvernementalisierung nur als potenzierter »Durch den Aufbau flexibler Beschäftigungssegmente, die Fle-
politisch-ideologischer Ausdruck eines durch die gesellschaft- xibilisierung der Arbeitszeiten und eine Personalpolitik der
liche Betriebsweise des flexiblen Kapitalismus selbst hervor- ›unteren Linie‹ wird bei indirekter Steuerung die Selbstorgani-
getriebenen »neuen Verhältnisses der Ueber- und Unterord- sation der Beschäftigten in ein Selbstmanagement von Über-
nung«. (Marx) lastung verwandelt. Die Steuerung bezieht sich jedoch auch
Für den kapitalistischen Produktionsprozess ist eine spezi- auf den Preis, indem sie versucht, Entgelt an die Bewegung
fische soziale Akteurskonstellation bei der Vernutzung des le- des Marktes zu koppeln. Die zunehmende Umwandlung fester,
bendigen Arbeitsvermögens kennzeichnend: »Der Arbeiter ar- tarifvertraglich definierter Lohneinkommen in variable Be-
beitet unter der Kontrolle des Kapitalisten, dem seine Arbeit standteile geht in dieselbe Richtung. Entsprechend der skiz-
gehört. Der Kapitalist paßt auf, daß die Arbeit ordentlich zierten Verkehrung von Markt und Produktion wird die indi-
vonstatten geht...« (MEW 23/199). Im Fordismus fand dieses viduelle Leistung nicht mehr an das Maß der Arbeitsveraus-
Über- und Unterordnungsverhältnis eine weitergehende sozia- gabung gekoppelt, sondern direkt an die Wertschöpfung. Leis-
le Ausgestaltung, in der betriebliche Leistungskompromisse tung ist das, was der Markt als solcher anerkennt, die Rede ist
mit Sicherheit, sozialstaatlicher Dekommodifizierung der von einer ›Finalisierung‹ des Leistungsbegriffs.« (Sauer 2003:
Lohnarbeit und damit auch widersprüchlicher Subjektivitäts- 62) Damit werden auch Risiken im Arbeits- und Verwertungs-
entwicklung in und außerhalb der Arbeit einhergingen. Diese prozess, die bislang auf Seiten des Kapitals lagen, in den Ver-
Strukturen werden im gegenwärtigen entfesselten Kapitalis- antwortungsbereich der Arbeitskraftbesitzer verschoben. Die-
mus durch die Flexibilisierung der gesellschaftlichen Betriebs- ser hat nicht mehr nur sein mehr oder weniger qualifiziertes
weise, Prekarisierung von Teilen der Lohnarbeit und Außer- Arbeitsvermögen zur Vernutzung anzubieten und zu überlas-
Kraft-Setzung sozialer Sicherheiten der Lohnarbeitsgesell- sen, sondern soll zunehmend selbstverantwortete Resultate,
schaft zunehmend zerstört. Zentrale Triebkraft sind die Ent- Projektarbeiten, Zielvereinbarungen etc. – wie ein einfacher
grenzung von Marktprozessen und die Veränderung Warenproduzent – abliefern.
betrieblicher Organisationsgrenzen durch erhöhten äußeren Mit diesen Veränderungen in Kernbereichen der gesell-
wie internen Marktdruck. Dies führt zu neuen Formen von schaftlichen Betriebsweise im flexiblen Kapitalismus sind
betrieblicher Beherrschung und Selbstbeherrschung des Ar- neuartige Formen von »Subjektivierung der Arbeit« vorge-

34 Sozialismus 4/2004 www.sozialismus.de


prägt, mit denen auch in anderen gesellschaftlichen Berei- Staat und Regierung, mit der politischen Strategie der Res-
chen, jenseits einigermaßen gesicherter Lohnarbeit, Politik ge- ponsibilisierung sowie mit der Herausbildung des politischen
macht wird. Der Imperativ des Neoliberalismus – alle Macht Ambivalenzmanagements sind zentrale Wirkfaktoren der
den Märkten – zeigt auch hier in den prekarisierten Bereichen komplexen Ideologie11 des Neoliberalismus ausgemacht. Eine
von Erwerbslosigkeit, Sozialhilfe, Armut, Kriminalität etc. sei- Aktualisierung des ursprünglichen Konnexes bei Foucault von
ne zweite Seite: »Führe dich selbst«. Die Probleme von Armut Gouvernementalität und Kritik der politischen Ökonomie er-
und Erwerbslosigkeit werden in Fragen der Selbstsorge trans- möglicht das Verständnis der gegenwärtigen politischen
formiert. Die Individuen werden in Form einer Strategie des Transformationsprozesse.
Empowerments oder der sozialverpflichteten Responsibilisie-
rung zu mehr Eigenverantwortung, Eigenständigkeit und Ei- Literatur
geninitiative mobilisiert. Responsibilisierung operiert hier Bechtle, Günter/Sauer, Dieter (2003): Postfordismus als Inkubationszeit
über den Modus der Aktivierung der betroffenen Subjekte, einer neuen Herrschaftsform, in: Dörre, Klaus/Röttger, Bernd (Hrsg.),
Das neue Marktregime, Konturen eines nachfordistischen Produkti-
ihre durch sozialstaatliche Alimentierung »erlernte Hilflosig- onsmodells, Hamburg
keit« zu überwinden und in individuelle Handlungsfähigkeit Bischoff, Joachim (2003a): Entfesselter Kapitalismus. Transformation
zu transformieren. In Situationen der Unsicherheit werden die des europäischen Sozialmodells, Hamburg
Bischoff, Joachim (2003b): Neoliberalismus als Religion, in: Bischoff,
Betroffenen mit der paradoxen Aufforderung »Eigenaktivität Joachim/Hirsch, Joachim/Zinn, Karl Georg, Globalisierung – Neoli-
auslösen – Sicherheit einlösen« konfrontiert, um so selbst beralismus – Alternativen, Supplement der Zeitschrift Sozialismus,
wieder für sich Sicherheit herstellen zu können. Auch Ar- Heft 12
beitslose und Sozialhilfeempfänger werden so in der neolibe- Bourdieu, Pierre (1998): Gegenfeuer. Wortmeldungen im Dienste des
Widerstands gegen die neoliberale Invasion, Konstanz
ralen Strategie der Responsibilisierung als »Unternehmer ihrer Foucault, Michel (1974): Die Wahrheit und die juristischen Formen, in:
selbst« behandelt, die aufgrund von Wahl- und Handlungs- ders. (2002): Schriften II, Frankfurt/M.
freiheiten in der Lage seien, ihre Integration in den Arbeits- Foucault, Michel (1975): Macht und Körper, in: ders. (2002): Schriften
markt als Selbstverhältnis zu organisieren: »Dem Arbeitslosen II, Frankfurt/M.
Foucault, Michel (1976): Überwachen und Strafen, Frankfurt/M.
werden Wahl- und Handlungsoptionen dargestellt, die ihn be- Foucault, Michel (1978): »Die Gouvernementalität«, in: Bröckling u.a.
fähigen, Entscheidungen über seine weiteren Beschäftigungs- (Hrsg.) (2000): Gouvernementalität der Gegenwart. Studien zur Öko-
perspektiven zu treffen. Die angebotenen Dienstleistungen nomisierung des Sozialen, Frankfurt/M.
setzen ihn in die Lage, selbst im Sinne des Integrationszieles Glißmann, Wilfried/Peters, Klaus (2001): Mehr Druck durch mehr Frei-
heit, Hamburg
tätig zu werden.« (Hartz-Kommission) Herkommer, Sebastian (2004): Metamorphosen der Ideologie, MS
Die Politik der Responsibilisierung wird erst dominant vor Krasmann, Susanne (2000): Gouvernementalität der Oberfläche. Aggre-
dem Hintergrund der Krise und Zerstörung der fordistischen sivität (ab-)trainieren beispielsweise, in: Bröckling u.a. (Hrsg.) (2000):
Lohnarbeitsgesellschaft. Sie kann zwar auf eine gewachsene Gouvernementalität der Gegenwart, Frankfurt/M.
Lemke, Thomas (1997): Eine Kritik der politischen Vernunft, Berlin/
Subjektivität in der Arbeit aufbauen, gewinnt aber ihre Sinn- Hamburg
haftigkeit und Akzeptanz als erfolgreiche Gegenstrategie nur Lemke, Thomas/Krasmann, Susanne/Bröckling, Ulrich (2000): Governe-
als Antwort auf soziale Unsicherheit. Damit verbleibt sie in mentalität, Neoliberalismus und Selbsttechnologien., in: Bröckling
u.a. (Hrsg), Gouvernementalität der Gegenwart. Studien zur Ökono-
einem fatalen Zirkel. Denn auch hier – wie in anderen gesell- misierung des Sozialen, Frankfurt/M.
schaftlichen Bereichen des entfesselten Kapitalismus – wird Lemke, Thomas (2003): Gesellschaftsanalyse und Kritik im Postfordis-
von der politischen Klasse die entstehende soziale Unsicher- mus, in: Frankfurter Foucault-Konferenz 2001, Frankfurt/M.
heit ausgenutzt und zugleich politisch verschärft. Der Sinn Lessenich, Stephan (2003): Soziale Subjektivität. Die neue Regierung
der Gesellschaft, in: Mittelweg 4/2003
dieser politischen Ökonomie der Unsicherheit, des Manage- Marx/Engels werden zitiert nach Marx-Engels-Werke (MEW), Berlin
ments der Unsicherheit, der Prekarisierungsstrategien und der 1956ff.; Grundrisse der Kritik der Politischen Ökonomie, Rohent-
Politik des Empowerments ist die Reproduktion dieser Kons- wurf, Berlin 1953 und Marx-Engels-Gesamtausgabe (MEGA), Abtei-
tellation, womit die Gesellschaftspolitik des Neoliberalismus lung II (Kapitalentwürfe), Bd. 4.1 (darin: »Resultate des unmittelba-
ren Produktionsprozesses«), Berlin 1988
keine höhere gesellschaftliche Rationalität erreicht, sondern Moldaschl, Manfred (2002): Foucaults Brille – Eine Möglichkeit, die
faktisch eine politische Ökonomie der Unsicherheit perpetu- Subjektivierung von Arbeit zu verstehen?, in: Moldaschl/Voß (Hrsg.)
iert. (2002): Subjektivierung von Arbeit, München/Mering
Die politisch-ideologische Utopie des Neoliberalismus lebt Negri, Antonio/Hardt, Michael (1997): Die Arbeit des Dionysos. Materi-
alistische Staatskritik in der Postmoderne, Berlin/Amsterdam
davon, die Spannungen und Widersprüche von gesellschaftli- Prodi, Paolo (2003): Eine Geschichte der Gerechtigkeit. Vom Recht Got-
cher wie individueller Unsicherheit und sozialverpflichteter tes zum modernen Rechtsstaat, München
Eigenverantwortung politisch managen zu können. Diese Reinhard, Wolfgang (2000): Geschichte der Staatsgewalt, München
Form des Führens und Regierens mit ihren individualisieren- Sauer, Dieter (2003): Die neue Unmittelbarkeit des Marktes, in: Hilde
Wagner/Arnim Schild (Hrsg.), Der Flächentarif unter Druck. Die Fol-
den und repressiven Seiten lässt sich als eine entwickelte Ge- gen von Verbetrieblichung und Vermarktlichung, Hamburg
stalt von »Gouvernementalität« begreifen, wie sie Foucault Schmidt-Semisch, Henning (2000): Selber schuld. Skizzen versiche-
angedacht hat: »Dieser Regierungsstaat, der sich wesentlich rungsmathematischer Gerechtigkeit, in: Gouvernementalität der Ge-
genwart, Frankfurt/M.
auf die Bevölkerung stützt und sich auf die Instrumente des van Dülmen, Richard (1982): Entstehung des frühneuzeitlichen Europa
ökonomischen Wissens beruft und davon Gebrauch macht, 1550-1648, Frankfurt/M.
entspräche einer durch die Sicherheitsdispositive kontrollier-
ten Gesellschaft.« (66) Mit der Gouvernementalisierung von 11
Vgl. dazu weiterführend Herkommer 2004.

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Beirat: Heinz Bierbaum, Frank Deppe, Richard Detje, Christoph
Ehlscheid, Klaus-Peter Kisker, Dieter Knauß, Otto König, Joachim
Kreimer-de Fries, Klaus Pickshaus, Lilo Rademacher, Bernd Riexinger,
Manfred Scherbaum, Michael Schlecht, Nikolaus Schmidt, Sybille
Stamm, Theo Steegmann, Hans-Jürgen Urban, Ewald Wehner, Michael
Wendl, Jörg Wiedemuth

Geht’s nicht auch preiswerter? tungsgewerbe und


selbstverständlich auch
im öffentlichen Dienst.
Bestimmungsgründe und internationaler Vergleich von LehrerInnengehältern
Wer öffentliche Ausga-
ben zugunsten steuerli-
von Richard Lauenstein cher Entlastungen redu-
zieren will, wird vor al-
lem an Personalkosten
als in Ländern und
Kommunen entschei-
dender Größe sparen

Schulalltag: Unterricht in einer Klasse der Oberstufe (Foto: dpa)


wollen.
Auch die Gehälter
von PädagogInnen sind
immer wieder ins Visier
geraten, wenn es galt,
gewerkschaftliche For-
derungen abzuwehren
oder einfach nur weite-
re Kürzungen zu recht-
fertigen. Werden die
Lehrkräfte an deutschen
Schulen, um die es
dabei in erster Linie
geht, »zu gut« bezahlt?
Zeigen nicht andere
Länder, dass es auch
Es vergeht kein Tag, an dem nicht zu Volkswirtschaften erklärt, obwohl rein preiswerter geht?
hohe Lohnkosten als Hauptgrund man- quantitativ die Sachkapitalkosten in In den vergangenen Jahren sind Stu-
gelnder Investitionen und fehlender Ar- weiten Teilen der Wirtschaft ein viel dien über Einkommen und Arbeitsbe-
beitsplätze ins Feld geführt werden. Ar- größeres Problem für zusätzliche Inves- dingungen von Lehrkräften im interna-
beitgebervertreter und die meisten Poli- titionen darstellen. tionalen Vergleich erarbeitet worden.
tikerInnen und KommentatorInnen for- Alle bisher durchgesetzten Umvertei- Dabei legen Untersuchungen der OECD
dern eine deutliche Reduzierung der lungen bei Einkommen und Steuerlasten Wert auf die Verbesserung und Auswei-
Lohnnebenkosten und zu diesem Zweck haben aber weder die Realakkumulation tung des Bildungswesens. Allerdings
den Rückbau von Sozialstaat und entscheidend anstoßen noch das Prob- wissen die OECD-Ökonomen auch, dass
Staatsquote, lohnpolitische Zurückhal- lem der Massenarbeitslosigkeit verrin- derartige Anforderungen angesichts des
tung, betriebliche Abschlüsse unterhalb gern können. Im internationalen Ver- weltweiten Wettbewerbs und der in Eu-
oder außerhalb von Flächentarifen so- gleich moderate Lohnstückkosten und ropa herrschenden Maastricht-Kriterien
wie Niedriglohnsektoren. In der Theorie hohe Exportüberschüsse zeugen nicht nicht einfach zu finanzieren sind.
führen geringere Brutto- und Nettolöh- von überhöhten Lohn(neben)kosten. Danach bestünde die Zwickmühle darin,
ne zu neuer Investitionslust und damit Gleichwohl wird die entsprechende Po- dass die Lehrkräfte einerseits eine
auch wieder zu größerer Wertschöpfung. lemik verschärft. Sie richtet sich gegen Schlüsselgröße für eine bessere Bildung
Der Preis der Arbeit(skraft) wird zum Arbeitnehmerinteressen in der gewerbli- sind. Andererseits macht ihre Bezahlung
Schlüsselfaktor und -problem moderner chen Wirtschaft, im privaten Dienstleis- bis zu 60% der Bildungsausgaben im

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