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Politische Ökonomie der »Gouvernementalität« und
»Responsibilisierung« der Arbeit als Schlüssel zum Neoliberalismus
Zur Begründung der ideologischen Hegemonie des Neoliberalismus werden ver- In seinen programmati-
schiedene zeitdiagnostische Erklärungen angeboten: die ökonomischen Lehrsätze schen Anregungen zu
der Neoklassik besäßen die Wirkmächtigkeit einer religiösen Glaubenslehre; die einer Neubestimmung
neoliberale Politik des gegenwärtigen flexiblen Kapitalismus sei eine zugespitzte der Aufgaben von Staat
repressive Variante einer Art Super-Fordismus; über Think tanks und eine staatli- und Gesellschaft unter
che Politik von Zuckerbrot und Peitsche werden die Individuen von oben her in den dem Titel »Zivile Bür-
neoliberalen Mainstream gezwängt. In kritischer Auseinandersetzung mit der The- gergesellschaft« formu-
se von der »Gouvernementalität der Gegenwart« – die auf den französischen Theo- lierte der Bundeskanzler
retiker Michel Foucault zurückgeht und in der Sozialwissenschaft große Resonanz und ehemalige SPD-
Vorsitzende Schröder:
gefunden hat – versucht Christoph Lieber im Folgenden eine differenziertere Erklä-
»Auf die politische Ebe-
rung des Neoliberalismus, die die ökonomischen Entwicklungstendenzen des ent- ne übertragen heißt das
fesselten Kapitalismus einbezieht. für mich, ganz im Sin-
ne des Goethe-Wortes,
wonach diejenige Re-
gierung die Beste sei,
›die uns lehrt, uns
selbst zu regieren‹, dass
wir der Gesellschaft
Raum schaffen, ihre Be-
lange selbst zu regeln –
Mit der Ich-AG aus der Arbeitslosigkeit? Ich-AG-Imbiss in Brandenburg, Oktober 2003 (Foto: dpa)
und zugleich den Bei-
trag des einzelnen zur
Gestaltung seines eige-
nen und des gesell-
schaftlichen Lebens
einzufordern.« Im Jahre
2000 sollte dieser Ap-
pell der damaligen
Strategie des Dritten
Weges und der Neuen
Mitte eine zivilgesell-
schaftliche Konzeption
verpassen. Die Neue
Mitte wurde moralisch
angehalten, die unteren
Schichten einzubezie-
hen, und die Eliten er-
mahnt, sich nicht ge-
sellschaftlich und poli-
tisch auszuklinken.
Karikatur: Economist
Das Bewusstsein (oder vielmehr die Vorstellung) der freien
Selbstbestimmung, der Freiheit, macht den einen zu einem
viel bessern Arbeiter als den andren, und das damit verbund-
ne feeling (Bewusstsein) of responsibility; da er, wie jeder
Waarenverkäufer, responsibel ist für die Waare, die er liefert
und sie in gewisser Qualität liefern muß, soll er nicht von beitsvermögens, die auf gewachsene Subjektivitätspotenziale
andren Waarenverkäufern derselben Species aus dem Feld ge- in der Arbeit und Ausweitung der Individualität der Lohnab-
schlagen werden.« (Marx, ebd.) Diese Ambivalenzen und Para- hängigen aus dem Fordismus aufbauen und diese weitertrei-
doxien innerhalb der Charaktere der Lohnarbeit selbst – als ben können. Jetzt löst sich die für die fordistisch-tayloristi-
gesellschaftlicher Arbeitskörper zugleich durch die vereinzel- sche Nutzung von Arbeitskraft konstitutive Trennung von Ar-
ten Einzelnen die »Instinkte und Gesetze der Warennatur« zu beitskraft und subjektivem Träger partiell auf.
exekutieren und zu bedienen – werden unter den Bedingun- In der labour process debate der 1980er Jahre wurden noch
gen des neuen Marktregimes nach der Seite der Wertschöp- die »fordistischen Transaktionskosten« der Verwandlung von
fung und Verwertung hin verschärft: »Als Wert produzierend Arbeitskraft in Arbeit unter den kapitalistischen Kommando-
bleibt die Arbeit daher stets Arbeit des einzelnen... Die pro- strukturen untersucht. Der flexible Kapitalismus treibt hier
duktive Arbeit – als Wert produzierende Arbeit – steht dem eine eigene »Transaktionskostenökonomie« hervor: Mit dem
Kapital daher stets als Arbeit des einzelnen Arbeitsvermögens, Prinzip der Selbstorganisation wird dem Beschäftigten die
des vereinzelten Arbeiters gegenüber, welche gesellschaftli- Transformation seines Arbeitsvermögens in Arbeitsleistung
chen Kombinationen diese Arbeiter immer im Produktions- selbst überlassen, d.h. er muss seine Verfügbarkeit, seine Leis-
prozeß eingehn mögen. Während so das Kapital dem Arbeiter tungserbringung und auch die Rationalisierung seines Ar-
gegenüber die gesellschaftliche Produktivkraft der Arbeit, beitsprozesses selbst steuern. »Kommando« und »Verantwor-
stellt die produktive Arbeit des Arbeiters dem Kapital gegenü- tung« verlagern sich sozusagen von der Seite des Unterneh-
ber immer nur die Arbeit des vereinzelten Arbeiters dar.« merkapitalisten auf die Arbeitskraftbesitzer selbst. Die Kapi-
(MEW 26.1/370) Innerhalb eines Regimes politischer Ökono- talseite ist nurmehr an »werthaltigen« und »werttreibenden«
mie der Unsicherheit entpuppt sich der »Arbeitskraftunterneh- Resultaten interessiert. Damit transformieren sich auch die
mer« – dankbares Objekt von Empowermentstrategien – als »unsichtbaren Fäden des kapitalistischen Wertbildungs- und
ideologischer Überbau dieses »vereinzelten Arbeiters«. Und Verwertungsprozesses« in neue Formen wertorientierter Steue-
damit erweisen sich auch die Gouvernementalität und die rung in den Unternehmen und betrieblicher Kostenökonomie.
Strategien der Gouvernementalisierung nur als potenzierter »Durch den Aufbau flexibler Beschäftigungssegmente, die Fle-
politisch-ideologischer Ausdruck eines durch die gesellschaft- xibilisierung der Arbeitszeiten und eine Personalpolitik der
liche Betriebsweise des flexiblen Kapitalismus selbst hervor- ›unteren Linie‹ wird bei indirekter Steuerung die Selbstorgani-
getriebenen »neuen Verhältnisses der Ueber- und Unterord- sation der Beschäftigten in ein Selbstmanagement von Über-
nung«. (Marx) lastung verwandelt. Die Steuerung bezieht sich jedoch auch
Für den kapitalistischen Produktionsprozess ist eine spezi- auf den Preis, indem sie versucht, Entgelt an die Bewegung
fische soziale Akteurskonstellation bei der Vernutzung des le- des Marktes zu koppeln. Die zunehmende Umwandlung fester,
bendigen Arbeitsvermögens kennzeichnend: »Der Arbeiter ar- tarifvertraglich definierter Lohneinkommen in variable Be-
beitet unter der Kontrolle des Kapitalisten, dem seine Arbeit standteile geht in dieselbe Richtung. Entsprechend der skiz-
gehört. Der Kapitalist paßt auf, daß die Arbeit ordentlich zierten Verkehrung von Markt und Produktion wird die indi-
vonstatten geht...« (MEW 23/199). Im Fordismus fand dieses viduelle Leistung nicht mehr an das Maß der Arbeitsveraus-
Über- und Unterordnungsverhältnis eine weitergehende sozia- gabung gekoppelt, sondern direkt an die Wertschöpfung. Leis-
le Ausgestaltung, in der betriebliche Leistungskompromisse tung ist das, was der Markt als solcher anerkennt, die Rede ist
mit Sicherheit, sozialstaatlicher Dekommodifizierung der von einer ›Finalisierung‹ des Leistungsbegriffs.« (Sauer 2003:
Lohnarbeit und damit auch widersprüchlicher Subjektivitäts- 62) Damit werden auch Risiken im Arbeits- und Verwertungs-
entwicklung in und außerhalb der Arbeit einhergingen. Diese prozess, die bislang auf Seiten des Kapitals lagen, in den Ver-
Strukturen werden im gegenwärtigen entfesselten Kapitalis- antwortungsbereich der Arbeitskraftbesitzer verschoben. Die-
mus durch die Flexibilisierung der gesellschaftlichen Betriebs- ser hat nicht mehr nur sein mehr oder weniger qualifiziertes
weise, Prekarisierung von Teilen der Lohnarbeit und Außer- Arbeitsvermögen zur Vernutzung anzubieten und zu überlas-
Kraft-Setzung sozialer Sicherheiten der Lohnarbeitsgesell- sen, sondern soll zunehmend selbstverantwortete Resultate,
schaft zunehmend zerstört. Zentrale Triebkraft sind die Ent- Projektarbeiten, Zielvereinbarungen etc. – wie ein einfacher
grenzung von Marktprozessen und die Veränderung Warenproduzent – abliefern.
betrieblicher Organisationsgrenzen durch erhöhten äußeren Mit diesen Veränderungen in Kernbereichen der gesell-
wie internen Marktdruck. Dies führt zu neuen Formen von schaftlichen Betriebsweise im flexiblen Kapitalismus sind
betrieblicher Beherrschung und Selbstbeherrschung des Ar- neuartige Formen von »Subjektivierung der Arbeit« vorge-