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Christlicher Fundamentalismus

Einführung in die politische Ideenlehre


Dr. Brigitte Kepplinger
Sommersemester 2010

Christian Hartl
Matrikelnummer: 0327020
Studienkennzahl: 066930
Christlicher Fundamentalismus, Christian Hartl, 0327020

Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung Seite 1
2. Theorie des Fundamentalismus Seite 2
2.1. Die Suche nach Wahrheit Seite 5
2.1.1 Fundamentalismus als Weltflucht Seite 6
2.1.2 Fundamentalismus als Weltbeherrschung Seite 7
2.2. Organisation fundamentalistischen Denkens Seite 7
2.2.1. Identifikation mit Angst Seite 7
2.2.2. Unterwerfung Seite 8
2.2.3. Fanatismus Seite 8
2.2.4. Dichotomisiertes Denken Seite 8
2.2.5. Isolierung Seite 8
2.2.6. Persönlichkeitsregress Seite 9
2.3. Charakteristika des christlichen Fundamentalismus Seite 9
2.3.1. Biblizismus Seite 9
2.3.2. Heilsgüter als Sachgüter Seite 9
2.3.3. Exklusivität der Heilsgemeinschaft Seite 9
2.3.4. Ritualisierung der Kommunikation Seite 10
2.3.5. Interne Kontrolle Seite 10
2.3.6. Die Missionspolitik Seite 10
3. Christlicher Fundamentalismus in der Politik Seite 11
3.1. Der protestantische Fundamentalismus in den USA Seite 11
3.1.1 Der protestantische F. in der Wissenschaft Seite 12
3.2. Katholischer Fundamentalismus Seite 13
4. Versuch einer Gesamtbeurteilung Seite 14
5. Bibliografie Seite 16

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1. Einleitung

Ähnlich wie in der Zeit der industriellen Revolution im 19. Jahrhundert steht
auch in der heutigen Zeit der Globalisierung, Informationsflut und der
fortwährenden Digitalisierung die Gesellschaft vor einem strukturellen
Wandel. Da mit der Verwissenschaftlichung und Erweiterung unserer
Möglichkeiten unsere Lebenswelt gleichzeitig unüberschaubarer wird,
versuchen gewisse Ideologien mit festgeschriebenen Normen und Werten
die Welt für den Einzelnen überschaubar zu machen.

Eine Strategie davon ist der religiöse Fundamentalismus, der versucht mit
einfachen, undiskutierbaren Regeln dem Menschen zum „Heil“ zu bringen.
Diese Arbeit beschäftigt sich mit und dem Bedürfnis des Menschen nach
Wahrheit und Sinn zu suchen. Welche Rolle dabei die Theorie des
christlichen Fundamentalismus spielt, welche Rolle dieser in der (Welt-)
Politik einnimmt und warum sich dieser in gewisser Weise nach einer
Weltbeherrschung sehnt, wird in dieser Arbeit behandelt. Weiters soll ein
sozialpsychologischer Exkurs das Funktionieren fundamentalistischer
Weltbilder erklären.

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2. Theorie des Fundamentalismus

Was ist Fundamentalismus? Gerade in den Zeiten der Globalisierung und


den damit einhergehenden Auseinandersetzung verschiedenster Kulturen
hat der Begriff Fundamentalismus eine vielleicht noch nie dagewesene
Popularität erreicht. Dieses Wort wird inflationell in der individuellen, der
öffentlichen oder in der Medienkommunikation verwendet und rezipiert, ohne
dass sich die Individuen seiner genauen Bedeutung bewusst sind. Auffallend
ist, dass das Wort Fundamentalismus immer dann verwendet wird, wenn
gleichzeitig von kriegsähnlichen Auseinandersetzungen oder Konflikten
gesprochen wird. Wenn es nach Martin Riesebrodt geht, lässt sich
„Fundamentalismus am besten als ein spezifisch religiöses
Geschichtsbewusstsein beschreiben, dass auf metaphysischen und
anthropologischen Annahmen fußt. Es geht um eine Gemeinschaftsbildung
der Moderne, die eine von ihr wahrgenommene Krise durch eine exakte
Rückkehr zu vermeintlich ewig gültigen, heiligen Prinzipien, Geboten oder
Gesetzen, zu überwinden versucht.“ (Riesebrodt 2004, S. 1) Er spricht also
von einer religiösen Rückbesinnung auf festgeschriebene Normen und
Werte, die dem Individuum helfen soll, Krisenzeiten besser zu überstehen.
„Es gibt eine spezifische religiöse Reglementierung der Lebensführung, eine
Idealisierung patriachaler Autoritäten. Aber es ist keinesfalls immer mit
politischer Religion oder Gewalt verbunden.“ (ebenda, S. 1).

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2.1 Die Suche nach Wahrheit

Wie schon in der Einleitung erwähnt wurde, gewinnt der religiöse


Fundamentalismus spätestens seit den 1970er Jahren wieder an Bedeutung
in Politik und Gesellschaft. Besonders der christliche Fundamentalismus –
der vor allem in den USA in seiner protestantisch-evangelikalen Form einen
Großteil der Gesellschaft anspricht hat, wie Riesebrodt schreibt, an
politischer Qualität gewonnen. Als Grund dafür sieht er eine Reaktion auf die
Liberalisierung und Modernisierung der Gesellschaft, die in Fragen der
Abtreibung, in Entscheidungen des obersten Gerichtshofes sowie im Erfolg
einzelner Bürgerrechtsbewegungen (Feminismusbewegungen,
Minderheitenpolitik etc.) nicht mit den Glaubens- und Moralvorstellungen
fundamentalistischer Christen vereinbar waren. (vgl. Riesebrodt 2004, S. 2)
Auch Lübbe schreibt, dass sich in wirtschaftlich problematischen Zeiten, die
von gesellschaftlich oder strukturbedingten Wandel geprägt sind,
irrationalistische Deutungsmuster politischer, ökonomischer oder religiöser
Art einer besonderen Konjunktur erfreuen.(vgl. Lübbe 1993, S. 35) Doch
Fundamentalismus als Reaktion auf Veränderungen einer Gesellschaft hat
auch eine andere Komponente, die es zu berücksichtigen gibt: Seit der
französischen Revolution von 1789 hat die Bewegung der Aufklärung von
Frankreich aus seinen Siegeszug um den Erdball angetreten. Die
Säkularisierung – also die Trennung von Politik und Religion im Staatswesen
– hat die Religion beim einzelnen Menschen von der Haupt- zur Nebensache
degradiert. (vgl. Mooshammer 2003, S. 99) Mooshammer behauptet, dass
dieser Wandel, der erstmals eine gesamte Gesellschaft in all seinen
Schichten betroffen hat, der Grund dafür ist, dass Menschen in ihrer
Lebensführung von Orientierungslosigkeit, Misstrauen und gewissen Ängsten
erfüllt werden: In den Jahrhunderten davor gab die Religion sozusagen „von
oben“ vor, welcher Weg und welches Lebensdesign, welche Normen und
Werte sozusagen die „Richigen“ waren und das Individuum schlussendlich
zum prophezeiten Heil führten. (vgl. ebenda, S. 99f) Diese Argumentation
führte dazu, den religiösen Fundamentalismus – neben vielen anderen

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Aktionen, wie Rückzug, Triebbefriedigung oder Resignation - als


Gegenreaktion zur Säkularisierung und dem Verlust vorgefertigter
Lebensdesigns zu sehen. Riesebrodt spricht dabei auch von drei
Dimensionen, die den Fundamentalismus als Verteidiger der Tradition
kennzeichnen: a) Gesellschaftskritik, b) den Entwurf einer idealen
Sozialordnung, c) heilsgeschichtliche Deutung der Gegenwart. (vgl.
Riesebrodt, 2006, S. 2) Je nach Ausprägung der Ideologie unterscheiden
Mooshammer und Riesebrodt Fundamentalismus als Strategie der Weltflucht
oder Weltbeherrschung.

2.1.1. Fundamentalismus als Weltflucht

Bei der Weltflucht versuchen die FundamentalistInnen „durch den Rückzug


von der Welt eine ideale Gesellschaft zu errichten“ (Mooshammer 2003, S.
102, zit. Nach Riesebrodt 1990, S 19). Die der fundamentalistischen Gruppe
zugehörigen Mitglieder, sehen in den Lehren und Grundsätzen des
Fundamentalismus (sie werden in Kapitel 3 beschrieben) die einzig richtige
Möglichkeit, das Leben zu gestalten. Fundamentalismus dient für sie als
Versuch, das komplizierte Leben zu verstehen und überschaubar zu
machen. Mit Hilfe eines dogmatischen Glaubens werden sozusagen
geordnete Bahnen konstruiert, die dem Einzelnen dem – in der Religion
versprochenen – Heil näherbringen. Hans Albert spricht hierbei vom
Charakter des „Heilswissens“. Er sieht darin eine „Wissensform, die auf
individuelles und kollektives Heil ausgerichtet ist und eine entsprechende
Heilstechnologie involviert“ (Albert 1993, S. 13).

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2.1.2. Fundamentalismus als Weltbeherrschung

Weltbeherrschung bedeutet wiederum, das FundamentalstInnen versuchen,


„ihr Ideal einer gerechten Gesellschaftsordnung der Welt aufzuzwingen“.
(Mooshammer 2003, S. 102, zit. Nach Riesebrodt 1990, S 21) Die zweite
Ausformung des Fundamentalismus trägt den – auch für den christlichen
Fundamentalismus typischen – Missionierungsgedanken in sich, der seine
Moralauffassungen über staatliche Gesetze und Staatsapparate stellt: Für
FundamentalistInnen gilt ihre Wahrheit als universalistisches Modell, um die
Welt sozusagen ins „Heil“ zu führen. (vgl. Schmidtchen, 1993, S. 21ff.)
Fundamentalismus bekommt hier seine kriegerische Determinante.

2.2. Organisation des fundamentalistischen Denkens

Wie schon Schmidtchen erwähnt, funktioniert die Gemeinschaft von


FundamentalistInnen vor allem durch eine starke Gruppenidentifikation der
Mitglieder, die durch ein starkes Drinnen-Draußen-Gefühl sowie einen Hang
zum Totalitarismus gekennzeichnet sind. Um das zu beweisen hat er sechs
Persönlichkeitsmerkmale herausgearbeitet, die seiner Meinung nach das
Wesen der FundamentalistInnen kennzeichnen: (nach Schmidtchen 1993, S
53 – 56)

2.2.1 Identifikation mit der Angst


FundamentalistInnen verhalten sich den Gruppennormen angepasst. Die
zunächst als positiv bewertete Identifikation täuscht Stärke vor, wo
Schwäche ist. Die Identifikation erfolgt - wie Schmidtchen weiter ausführt –
vor allem aus Angst aus der Gruppe herauszufallen und somit vom Heil
ausgeschlossen zu werden. Abweichendes Handeln und Denken innerhalb
der Gruppe wird sanktioniert, identifizierendes Verhalten bietet den einzigen
Schutz dagegen. Die Mitglieder identifizieren sich mit einer geistigen
Organisation und dem dahinter stehenden Schriftmythos.

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2.2.2. Unterwerfung
Die oben erwähnte Disziplin verlangt von den Gruppenmitgliedern, sich den
Zielen [der Religion, der Verfasser] zu unterwerfen und missionarisch tätig zu
sein. Es geht darum, die Stärke der Organisation zu erkennen und sich
dieser zu unterwerfen. Nur so kann das Mitglied an der Stärke und
Überlegenheit der Organisation teilhaben. Die Organisation wird in der Folge
wichtiger als das eigene Leben.

2.2.3. Fanatismus
Ergebnis der oben erwähnten Unterwerfung ist Fanatismus. Die Wut über
den Verlust der eigenen Person wird – wenn es nach Schmidtchen geht – in
Vernichtungsideen gegenüber Nichtmitgliedern beziehungsweise
Feindbildern der eigenen Gruppe ausgedrückt.

2.2.4. Dichotomisiertes Denken


Der reduzierte Wahrheitsbegriff, der durch die fehlende Auseinandersetzung
mit einer Autorität entsteht, erzeugt ein Weltbild, das nur mehr in den
Kategorien richtig/falsch, heilig/unheilig wahrgenommen wird. Die Folgen für
das Individuum: Realitätsverlust und Mobilisierung aggressiven Potentials.

2.2.5. Isolierung
Da Mitglieder fundamentalistischer Gruppen glauben, selbst der Wahrheit am
nächsten zu stehen und den Nichtmitgliedern demnach voraus zu sein,
entwickeln sie eine gewisse Selbstüberhöhung. Die Folge ist eine Isolierung
des Individuums.

2.2.6. Persönlichkeitsregress
Anstatt des Versprechens der fundamentalistischen Gruppe auf
Persönlichkeitsentwicklung folgt ein Rückfall in primitive Stufen des
Funktionierens. Durch die vorher erwähnte Unterwerfung an das System des
Fundamentalismus erfolgt eine strukturelle Abhängigkeit von diesem.

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2.3. Charakteristika des christlichen Fundamentalismus

Neben den im vorigen Kapitel erwähnten individuellen Elementen weisen alle


Arten des religiösen Fundamentalismus auch sechs weitere
Strukturmerkmale aus, welche Organisationen fundamentalistischen
Denkens kennzeichnen. Riesebrot spricht dabei von einer
Gemeinschaftsbildung bestimmter Kulturmilieus, die auf der Grundlage
religiöser Ideale und einer religiösen Lebensführung basieren. Es geht
darum, Krisen durch eine Rückkehr zu vermeintlich ewiggültigen heiligen
Prinzipien zu überwinden. (vgl. Riesebrodt 2004, S. 1) Diese
Strukturmerkmale hat Schmidtchen als Grundzüge des Fundamentalismus
zusammengefasst. Er befasst sich in seinen sozialpsychologischen
Betrachtungen mit den protestantischen Fundamentalisten der USA. (nach
Schmidtchen 1993, S. 49 – 53)

2.3.1. Biblizismus
Christliche FundamentalistInnen deuten die Bibel wörtlich: Jeder Satz, jeder
Punkt und jedes Wort ist göttlich inspiriert und braucht daher keine Deutung
durch den Menschen. FundamentalistInnen dulden keine Weiterdeutung der
Schrift für die Gegenwart. [Ähnlich wie im Islam oder im Judentum, wird hier
das Christentum als sogenannte Buchreligion verstanden, der Verfasser]

2.3.2. Heilsgüter als Sachgüter


Wenn sich die FundamentalistInnen an die Lehre halten, kommen sie in den
Genuss des prophezeiten Heils. Die christlichen Fundamentalisten der USA
erwarten außerdem die körperliche Rückkehr des Heilands [Jesus Christus,
der Verfasser] in nicht allzu langer Zeit.

2.3.3. Exklusivität der Heilsgemeinschaft


Organisationsgrenzen werden für Fundamentalisten zu Wahrheitsgrenzen.
Innerhalb der Gemeinschaft ist die Wahrheit, draußen die Unwahrheit und
das Böse.

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2.3.4 Die Ritualisierung der Kommunikation


Schmidtchen spricht von Kommunikation, die sich innerhalb und außerhalb
der Organisation im Kreise dreht: Nach dem Motto „alter Wein in neuen
Schläuchen“ werden bestimmte Grundformeln der Lehre immer wieder
wiederholt.

2.3.5 Interne Kontrolle


Gruppen kontrollieren ihre Mitglieder sehr stark: öffentliche Bekenntnisse,
Kleidungsvorschriften, Rede-, Gesangs- und Gebetsvorschriften, die zum
Teil nach außen getragen werden, bestimmen den Alltag von Mitgliedern
einer fundamentalistischen Organisation.

2.3.6 Die Missionspolitik


Amerikanische Fundamentalisten haben schon in den 1920er Jahren
versucht, ihren Widerstand zur Modernisierung der Gesellschaft, in der Politik
geltend zu machen. Beispiel dafür ist der „Affenprozess“ von 1925 im
Bundesstaat Tenessee. Ein Lehrer brachte Schülern im Unterricht die
Darwinsche Evolutionstheorie bei und wurde deswegen vom Gericht
verurteilt. Schon vorher haben FundamentalistInnen ihren politischen
Einfluss geltend gemacht, um ein Gesetz zu initiieren, das die Verbreitung
der Lehren Darwins unter Strafe stellte.

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3. Christlicher Fundamentalismus in der Politik

Der Politikwissenschaftler Anton Pelinka spricht von einem der


fundamentalistischen Ideologie entnommenen Absolutitäts-Anspruch, der es
Politikern ermöglicht, eine Einteilung in Gut und Böse zu konstruieren:

„Fundamentalismus in der Politik ist der umfassende Anspruch, auf


eindeutig erkannte Fragen ebenso eindeutig Antworten zu wissen und
damit allen möglichen relevanten Fragen mit allen möglichen
relefanten Antworten zu lösen.“ (Pelinka 1993, S. 51)

Typisch für den christlichen Fundamentalismus ist für Pelinka der


methodische Integralismus: Die Trennung von Staat und Religion soll
gewissermaßen rückgängig gemacht werden. Somit sollen Rechtfertigungen
für Handlungen der politischen Praxis aus dem religiösen Verständnis der
Protagonisten gewonnen werden. Ein Beispiel dafür ist die sogenannte
„Moral Majority“ der christlichen Rechten der USA. Die Gegenüberstellung
vom eigenen „Reich des Guten“ mit dem feindlichen „Reich des Bösen“ wird
hier immer wieder erwähnt. (vgl Pelinka 1993, S. 53)

3.1. Der protestantische Fundamentalismus in den USA

Der protestantische Fundamentalismus der USA ist wahrscheinlich die


stärkste Bewegung christlich fundamentalistischer Gruppierungen, die
politisch aktiv ist und eine dementsprechende Einflussstärke auf das
gesamte Weltgeschehen hat. Seinen Ursprung hat dieser Begriff im frühen
20. Jahrhundert in einer Allianz orthodoxer protestantischer Gruppen. (vgl.
Riesebrodt 2004, S. 1) In seiner Stärke beruht diese Ausprägung der
christlichen Religionsausübung nicht auf einzelne Organisationen oder
Kirchen, sondern aus der Gemeinschaft vieler Gleichgesinnter der
verschiedensten protestantischer Kirchen, die eine Rückkehr zur Bibel – dem

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Fundament des Glaubens – fordern. (vgl. Larsen 2004, S. 12) Wie schon im
Kapitel 2.4. erwähnt, deuten die protestantischen Fundamentalisten die
Bibel als unfehlbar, wörtlich zu nehmen, die kritiklos und ohne
Interpretationen als absolute Wahrheit zu verstehen ist. Hochburg dieser
christlich-fundamentalistischen Strömung ist der sogenannte Bible-Belt, der
sich laut Larsen durch die Südstaaten, den mittleren Westen bis in die
nördlichen Rocky Mountains zieht. Die dort lebenden AmerikanerInnen
bezeichnen sich selbst zu 25 Prozent als FundamentalstInnen. (vgl. Larsen
2004, S. 12). Große Vertreter dieser sogenannten christlichen Rechten in der
Politik sind ehemalige Präsidenten der republikanischen Partei wie
beispielsweise Ronald Reagan oder George W. Bush junior, die ihre
Machtausübung auf eine perfekte Symbiose von christlich-
fundamentalistischen Werten und konservativer Politik basierten. Der Erfolg
der christlichen Rechten und die Koalition mit der Politik ist eine Kombination
aus altpopulistischer Ideologie, Erweckungsreligion, Patriotismus und
Showbusiness, die mit der Kultur der freien Prediger in den Medien, Einzug
in die Wohnzimmer amerikanischer Bürger gefunden hat. (vgl. Larsen 2004)
Bestes Beispiel für amerikanische Politik christlich-fundamentalistischer
Prägung ist die Karriere von George W. Bush junior: Der damals von
Alkoholsucht gekennzeichnete junge Mann wurde von Gott bekehrt, seinen
Lastern erlöst und schaffte den Einzug ins weiße Haus. Dort ermächtigten
ihn fundamental christliche Werte im globalen Kampf gegen das Böse
durchzusetzen. Die Ideologie dahinter: Bush`s Feinde sind auch die Feinde
Gottes, da er sich mutig zum Glauben bekennt und sich dabei an einfache
Prinzipien hält. (vgl. Larsen 2004, S. 15)

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3.1.1. Der protestantische Fundamentalismus und die Wissenschaft

Wie in Kapitel 2.3.6. erwähnt, entstand der protestantische


Fundamentalismus unter anderem aus der Idee heraus, einen biblisch
fundamentierten Widerstand gegen Modernisierung und Säkularisierung zu
konstruieren. Dieses Bemühen gipfelte darin, dass protestantische
FundamentalistInnen die Evolutionstheorie von Charles Darwin ablehnen.
Insbesondere die Abstammung des Menschen vom Tier, wird von ihnen
immer wieder bestritten. (vgl. Larsen 2004, S. 13) Der darwinschen
Evolutionstheorie wird immer wieder der sogenannte Kreationismus
entgegengesetzt. Diese beruht auf der biblischen Schöpfungshypothese, die
besagt, dass die Entstehung der Welt und deren Lebewesen auf den
göttlichen Plan eines göttlichen Designers zurückzuführen ist. (vgl. Neukamm
2004, S. 2) Dass dieses Phänomen kein rein amerikanisches ist, zeigt ein
Artikel der „Welt“: Darin ist zu lesen, dass sich 2007 12,5 Prozent der 1228
Lehramtsstudenten an der Universität Dortmund die darwinsche
Evolutionstheorie bezweifeln. Das betrifft auch 5,5 Prozent der zukünftigen
Biologielehrer. (vgl.
http://www.welt.de/fernsehen/article1020190/Christliche_Fundamentalisten_u
nd_ihre_spezielle_Glaeubigkeit.html)

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3.2. Katholischer Fundamentalismus

Wie bei den fundamentalistischen Strömungen der protestantischen


Glaubensrichtung versucht auch der katholische Fundamentalismus
„einfache Antworten auf komplexe Fragen zu geben.“ (Remele 2004, S. 9)
Merkmale, wie ein ausgeprägtes Elite Auserwählungsbewusstsein, strikte
Abgrenzung der eigenen Sonderwelt, eine starke Hierarchisierung und
strenger Gehorsam gegenüber dem Führer sind – wie bei allen
fundamentalistischen Strömungen – identisch. Obwohl katholische
Fundamentalisten die evangelikal-fundamentalistische Bibelauslegung nicht
teilen, haben sie moralische und politische Werte, wie die Verurteilung der
Abtreibung und der Kampf gegen Homosexualität gemeinsam. Katholische
FundamentalistInnen streben auch an, die gegenwärtige
Säkularisierungsbewegung oder Religionsfreiheit zu bekämpfen. (vgl.
ebenda) Populäre Vertreter katholischer FundamentalistInnen sind die Pius
Bruderschaft (Papst Pius X, der von 1903 bis 1914 im Amt war, wollte die
oben genannten Forderungen durchsetzen) oder Opus Dei – sie fordern die
vorkonzillianische Messe, wo der Priester mit dem Rücken zu den
Messbesuchern die Feier auf Latein hält. „Selbstgeißelung“ ist bei Opus Dei
ein empfohlenes Bußeritual. (vgl. ebenda S. 9 – 12)
Katholisch fundamentalistisch-politische Tendenzen – die im Kontext eines
traditionalistischen bzw. rückbesinnlichen Krisenbewältigunsmodells
auftauchen – findet man im deutschsprachigen Raum vor allem auf der
Internetseite www.kreuz.net die von der Piusbruderschaft betrieben wird.
(vgl. Först, J. et. al 2010, S. 10) In abgeschwächter Form sind laut Först
diese Bewältigungsmuster auch auf www.kath.net zu finden.

4. Versuch einer Gesamtbeurteilung

Der christliche Fundamentalismus ist einer der vielen Versuche, eine


komplexe und für das Individuum unbegreifbare Welt, durch

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festgeschriebene Regeln und Normen überschaubar zu machen. Man geht


davon aus, dass katastrophale Ereignisse, gefährliche Entwicklungen der
Menschheit (z.B. Klimawandel) oder grundlegende Veränderungen einer
Gesellschaft (z.B. Globalisierung und Wirtschaftskrisen) von außen
beziehungsweise durch eine höhere Macht gesteuert werden. „Heil“ wird nur
dann gewährt, wenn sich das Individuum den undiskutierbar
festgeschriebenen Regeln und Normen des Fundamentalismus unterwirft.
Fundamentalismus als individuelle Weltflucht (vgl. Kapitel 2.1.1.) kann
meiner Meinung nach sehr schnell in Fundamentalismus als
Weltbeherrschungsinstrument (vgl. Kapitel 2.1.2.) umschlagen. Für den
christlichen Fundamentalismus ist die Strategie der US-Regierung unter
George W. Bush junior mit dem Umgang der islamisch fundamentalistischen
Terroranschläge vom 11. September 2001 dafür beispielgebend. Frei nach
dem biblischen Vers „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ (Levitikus 24, Vers 20),
wird mit Waffengewalt zurückgeschlagen und obendrein ein
Bedrohungsszenario (Schurkenstaaten) entworfen, um „ideologiefeindliche“
Staaten der USA legitimiert angreifen zu können. „Whoever is not with us, is
against us“, diese Worte des damals amtierenden US-Staatsoberhauptes zu
den anderen Nationen, um ihn im „Krieg gegen den Terror“ zu unterstützen,
zeigen das in Kapitel 2.2.3 und 2.3.3. erwähnte dogmatische Freund/Feind-
Schema, das sich aus der Ideologie des christlichen Fundamentalismus
ergibt.

Wie jede totalitär ausgerichtete Herrschaftsform ist Fundamentalismus


meiner Meinung nach nicht erstrebenswert, da er die Individualrechte der
Bürger untergräbt und so eine Gesellschaft in totalitäre Zustände lenkt. Dem
Ideal einer demokratisch, offenen Gesellschaft wird nicht entsprochen.
Menschenrechte wie freie Meinungsäußerung oder Religionsfreiheit, die zu
den Grundpfeilern einer funktionierenden Demokratie gehören, können in
fundamentalistisch beherrschten Staaten – egal welcher Ideologie sie
angehören - nicht ausgeübt werden.

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5. Bibliografie
Albert, Hans (1993): Das Gewißheitsbedürfnis und die Suche nach Wahrheit
– Ideologisches Denken zwischen Fundamentalismus und Pragmatismus. In:
Schneider F., Strasser R., Vodrazka K., Sparkassenforschungsinstitut (Hrsg.)
Pragmatismus versus Fundamentalismus, Wien: Orac, S. 11 – 31

Först, Johannes (2010): Kirchenferne, die Krisen der Gemeinden und


kirchliche Krisenreaktionsmodelle. In: Först J., Lappen F., Rahner J. (Hrsg.):
Abbruch oder Aufbruch – Von der Eigendynamik des kirchlichen
Strukturwandels, Berlin, S. 6 - 19

Lübbe, Hermann (1989): Nach der Aufklärung. In: Grabner, A., Weinke, K.
(Hrsg.) Angst vor der Vernunft? Fundamentalismus in Gesellschaft, Politik
und Religion, Graz: Leykam, S. 20 – 29

Larsen, Max Deen (2004): Religiöser Fundamentalismus in den USA. In:


Riesebrodt, M., Six, C. ua (Hrsg.): Religiöser Fundamentalismus. URL:
https://www.univie.ac.at/ie/de/services/skripte/skript-fundamentalismus.doc
(dl: 24.4.2010)

Mooshammer, Alexander (2003): Fundamentalismus in der Modernen


Gesellschaft – Herausforderung und Chance. Linz, Eigenverlag

Pelinka, Anton (1989): Fundamentalistische Tendenzen in der Politik. In: In:


Grabner, A., Weinke, K. (Hrsg.) Angst vor der Vernunft? Fundamentalismus
in Gesellschaft, Politik und Religion, Graz: Leykam, S. 51 – 59

Schmidtchen, Gerhard (1993): Über die Tyrannei des einzig Richtigen –


Sozialpsychologische Betrachtungen zum Fundamentalismus. In: Schneider
F., Strasser R., Vodrazka K., Sparkassenforschungsinstitut (Hrsg.)
Pragmatismus versus Fundamentalismus, Wien: Orac, 49 – 59

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Riesebrodt, Martin (2004): Was ist religiöser Fundamentalismus: In:


Riesebrodt, M., Six, C. ua (Hrsg.): Religiöser Fundamentalismus. URL:
https://www.univie.ac.at/ie/de/services/skripte/skript-fundamentalismus.doc
(dl: 24.4.2010)

Remele, Kurt (2004): Katholischer Fundamentalismus. In: Riesebrodt, M.,


Six, C. ua (Hrsg.): Religiöser Fundamentalismus. URL:
https://www.univie.ac.at/ie/de/services/skripte/skript-fundamentalismus.doc
(dl: 24.4.2010)

Neukamm, Martin: Kreationismus und Intelligent Design – Über die


wissenschaftstheoretischen Probleme der Schöpfungstheorie, 2004
http://www.terzi.ch/images/content/Intelligent_Design.pdf (dl. 2.5.2010)

http://www.welt.de/fernsehen/article1020190/Christliche_Fundamentalisten_u
nd_ihre_spezielle_Glaeubigkeit.html (dl: 2.5.2010)

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