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GETHMANN
PROTOLOGIK
UNTERSUCHUNGEN ZUR
FORMALEN PRAGMATIK
VON BEGRUNDUNGS-
DISKURSEN
THEORIE
SUHRKAMP VERLAG
ISBN 3-5 18-0641 5-0
Theorie
Herausgegeben von
Jürgen Habermas, Dieter Henrich und Niklas Luhmann
Redaktion Friedhelm Herborth
Carl Friedrich Gethmann, geb. l 944, ist Professor für Philosophie an der
Universität Essen.
Wichtigste Veröffentlichungen: Logische Propädeutik als Fundamentalphiloso-
phie (1968); Logische Deduktion und transzendentale Konstitution (1974);
Verstehen und Auslegung (1974); Das Problem der Begründung zwischen
Dezisionismus und Fundamentalismus (mit R. Hegselmann, 1977); Ist Philoso-
phie als 1nstitution nötig? ( l 978); Zur formalen Pragmatik der N ormenbegrün-
dung (1979); Wissenschaftsforschung? (1979).
Carl Friedrich Gethniann
Protologik
Untersuchungen
zur formalen Pragmatik
von Begründungsdiskursen
Suhrkamp Verlag
Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 1978/79 vom Gemeinsamen
Ausschuß der Philosophischen Fachbereiche der Universität Konstanz als
Habilitationsschrift angenommen.
7
Gespräch, in dem der Angreifer die Aufgabe hat, den Verteidiger zur
Anerkennung einer zunächst abgelehnten Behauptung zu zwingen.
Vor allem E. KAPP hat darauf hingewiesen, daß der Syllogismus von
ARISTOTELES ursprünglich als dialektischer und erst darauf aufbauend
als apodiktischer (analytischer) Syllogismus verstanden wurde. 4 Dieser
pragmatische Zug der Logik bleibt auch in der Syllogistik der
Analytiken, die ARISTOTELES selbst zweifellos für die vollendetere
Fassung hält, noch erkennbar. Die Ausarbeitung einer Syntax und
Semantik, die eine vollständige Deduktion zulässiger Schlußformen
erlaubt, steht jedenfalls nicht im Vordergrund des Interesses, woraus
sich eine Reihe der durch die traditionelle (stoische und scholastische)
Syllogistik kritisierten Lücken und Ungereimtheiten erklären lassen
könnten. 5
Für die nach-aristotelische, traditionelle Logik ist nicht so sehr der
pragmatische Zugang der Topik als vielmehr der eher technische der
Ersten Analytik bestimmend geworden. Allerdings war niemals in der
traditionellen Logik - in der scholastischen weniger noch als in der
megarisch-stoischen - bestritten, daß die Logik sich mit den Proble-
men des umgangssprachlichen und wissenschaftlichen Argumentie-
rens beschäftigt. Unabhängig von der Kontroverse um »ars« oder
»scientia« blieb der instrumentelle Bezug zur Argumentationspraxis
gewahrt und wurde im Mittelalter durch die Zuordnung der Logik zur
Artistenfakultät zugleich institutionell festgelegt. 6 Noch in den neu-
zeitlich-traditionellen Lehrbüchern der klassischen Logik pflegte der
Darstellung von Begriff, Urteil und Schluß (abgesehen von erkenntnis-
theoretischen Fragen) ein Abschnitt über die Methode der Disputation
zu folgen, der sich mit der »Anwendung« der Schlußfiguren in
Argumentationskontexten beschäftigte. 7
Die »moderne Logik«, wie sie nach den Arbeiten von DE MoRGANund
BOOLE V. a. durch PEIRCE, FREGE und PEANO begründet und durch
WHITEHEAD / RUSSELL, BROUWER, HILBERT u. a. weitergeführt wurde,
unterscheidet sich gerade in dieser Hinsicht von aller »traditionellen«
Logik. Zwar verwendete auch die traditionelle Logik nach dem Vorbild
der Ersten Analytik Term- bzw. Satzvariable, um logische Gesetze und
8
Regeln zu formulieren. Diese kamen jedoch abstraktiv durch Analyse
der Umgangssprache zustande. Demgegenüber ist die im 19. Jahrhun-
dert entstandene und heute maßgebende Logikkonzeption »mathema-
tische« Logik, und zwar nicht in erster Linie, weil in ihr eine
Präzisierung nach dem Standard mathematischer Disziplinen entwik-
kelt wird, 8 sondern weil die Beweisverfahren der Mathematik als
paradigmatisch für richtiges Argumentieren angesehen werden. So
forderte G. BooLE in seiner schon im Titel aufschlußreichen Pro-
grammschrift The Mathematical Analysis of Logic. Being an Essay
towards a Calculus of Deductive Reasoning, die Logik nicht länger als
Disziplin der Philosophie, sondern der Mathematik zu betrachten.
Den Grund dafür sah BOOLE in dem von ihm nachgewiesenen
Charakter der Logik als Algebra, worin sie sich in nichts z.B. von der
Analysis unterscheide. 9 BooLE artikulierte damit lediglich die Auffas-
sung besonders deutlich, die auch bei anderen Begründern der
modernen Logik wie DE MoRGAN, 10 SCHRÖDER, 11 und PEANo 12
vorausgesetzt wird. FREGE betont im Vorwort zu seiner Begriffsschrift:
»Die Arithmetik . . . ist der Ausgangspunkt des Gedankenganges
gewesen, der mich zu meiner Begriffsschrift geleitet hat. Auf diese
Wissenschaft denke ich sie daher auch zuerst anzuwenden, indem ich
ihre Begriffe weiter zu zergliedern und ihre Sätze tiefer zu begründen
suche.« 13 WHITEHEAD und RussELL gingen in ihren epochalenPrincipia
Mathematica fraglos davon aus, daß die Logik die Mittel des mathema-
tischen Beweises darzustellen habe. Allerdings wird als subsidiäres
Thema des Werkes bereits angekündigt-und damit ein erster Schritt in
Richtung der sprachkritischen und wissenschaftstheoretischen Kon-
zeption des Logischen Empirismus getan -, daß das deduktive
Argumentieren der mathematischen Logik auch auf außermathemati-
sche Gebiete angewendet werden soll. 14 Nachdem durch die Arbeiten
von A. TARSKI15 und R. CARNAP16 eine genauere Unterscheidung von
9
Syntax und Semantik erfolgte, bekam die »moderne« Logik (jedenfalls
die Aussagen- und Prädikatenlogik) eine verbindliche Gestalt (der
sich, nachdem von den Klassikern des 19. Jahrhunderts bereits Ch.
PEIRCE17 eine andere Richtung eingeschlagen hatte, nur wenige Logiker
und Philosophen wie L. E. J. BROUWER18 und P. LORENZEN 19 aus
unterschiedlichen Gründen nicht angeschlossen haben). In diesem
Zusammenhang soll im folgenden von der modernen »Standardlogik«
gesprochen werden.
Das Programm der Begründer der modernen Logik als Theorie des
mathematischen Argumentierens hat durch die Philosophen des
Logischen Empirismus und des Kritischen Rationalismus eine spezifi-
sche philosophische Ausweitung erfahren, die bis heute Gegenstand
zahlreicher Auseinandersetzungen geblieben ist. Aufseiten des Logi-
schen Empirismus hat R. CARNAP besonders deutlich in Logische
Syntax der Sprache diese Ausweitung der Zuständigkeit der modernen
Logik gefordet: »Philosophie wird durch Wissenschaftslogik, d. h.
durch logische Analyse der Begriffe und Sätze der Wissenschaft
ersetzt. « 20 Dieser Forderung liegt einmal die These zugrunde, daß alle
sachhaltigen Probleme der Philosophie Themen spezifischer Wissen-
schaften sein sollten; für die logische Problematik ist jedoch wichtiger,
daß ferner unterstellt wird, die logische Syntax in der für die
Grundlagenprobleme der Mathematik entwickelten Gestalt sei die
Theorie des Argumentierens aller Wissenschaften. Während CARNAP
für seine Reduktion der philosophischen Probleme - soweit sie nicht
Scheinprobleme sind (was mit Hilfe der Logik entschieden werden soll)
- auf Probleme der empirischen und exakten Wissenschaften ausführ-
lich argumentiert2 1 , wird die zugrunde gelegte Universalität der logi-
schen Syntax bei ihm nicht weiter begründet.
Die Wissenschaftsphilosophie des Kritischen Rationalismus, die den
Logischen Empirismus in entscheidenden Fragen kritisiert, teilt mit
diesem die Auffassung, daß die Logik das zentrale Instrument der
Wissenschaftstheorie darstellt. Zwar wendet sich POPPER gegen CAR-
NAPs Programm einer universellen - mit den Mitteln der logischen
Syntax und Semantik formulierten - Wissenschaftssprache. 22 Metho-
17 Vgl. Elements of Logic.
18 Z.B. »Intuitionism and Formalism.«
19 Einführung in die operative Logik und Mathematik u. a.
20 III; vgl. 203 ff.
21 Vgl. a. a. 0„ 203-261; ferner Scheinprobleme.
22 Logik der Forschung, Vorwort zur engl. Ausgabe (1959).
ro
disch ist die Logik jedoch für den Kritischen Rationalismus an der Stelle
unentbehrlich, wo aus Theorien Folgerungen logisch abgeleitet wer-
den, die einem Falsifikationsverfahren unterzogen werden sollen. 23
Die Logik ist daher für den Kritischen Rationalismus das »Organon der
Kritik«, 24 d. h. sie gilt uneingeschränkt als Theorie des (wissenschaftli-
chen) Argumentierens. Aus diesem Grunde kann sie nach POPPER auch
nicht - wie die methodologischen Regeln - einen konventionellen
Status haben. 25 Trotz der Unterschiede zwischen Logischem Empiris-
mus und Kritischem Rationalismus ist also für beide Positionen der
Wissenschaftstheorie die Auffassung kennzeichnend, daß die Logik
universell ist und daß die Bereiche der menschlichen Rationalität und
der von der Standardlogik erfaßten Argumentation extensionsgleich
sind.
Der mit der modernen Logik vielfach verbundene Universalitätsan-
spruch, demgemäß die Standardlogik die (ausschließliche) Theorie des
Argumentierens ist, hat zahlreiche Kritiker auf den Plan gerufen, die
unter Rückgriff auf ganz unterschiedliche Traditionen eine von der
modernen Logik unabhängige bzw. sie wesentlich erweiternde Argu-
mentationstheorie fordern. Diese Ansätze können mit dem Begriff
einer »Pragmatik des Argumentierens« zusammengefaßt werden,
wobei der Terminus »Pragmatik« sowohl auf die Einteilung der
Semiotik in Syntaktik, Semantik und Pragmatik bei MoRRrs26 als auch
auf die von J. L. AusTIN und J. R. SEARLE entwickelte Theorie der
Sprechhandlungen Bezug nimmt. Zugleich spielt die Rezeption der
von der Logik lange Zeit an den Rand gedrängten Traditionen der
Rhetorik und Topik eine entscheidende Rolle. Hier soll v. a. auf die
Logikkritik seitens der Philosophie der normalen Sprachen (a.), der
Neuen Rhetorik (b. ), philosophischer Diskurstheorien (c.) und einiger
linguistischer Ansätze (d.) eingegangen werden.
a. Die Tatsache, daß die moderne Standardlogik keinen - jedenfalls
keinen manifesten - Bezug zu Problemen der Redepraxis mehr
erkennen läßt, hat WrTTGENSTEIN in seinen späten Schriften und die an
23 Vgl. z.B. Logik der Forschung, 7f.;zumStatusder Logik vgl. genauer K. R.
POPPER, »Why are the Calculi ... ?«und: »New Foundations for Logic«.
24 K. R. PoPPER, »Science«, 64; »Die Logik der Sozialwissenschaften«, r r 5f.
S. a. H. ALBERT, Traktat, r r ff. und passim.
25 Logik der Forschung, 25 f.; vgl. H. LENK, »Philosophische Logikbegrün-
dung«; C. F. GETHMANN, »Logische Deduktion«, 48-55.
26 Foundations.
II
ihn sich anschließende Philosophie dernormalen Sprache zu einertiefen
Skepsis gegenüber den Möglichkeiten der mathematischen Logik
geführt, 27 die bei ToULMIN so weit geht, daß er die Berechtigung der
Bezeichnung »Logik« für Theorien wie die zweiwertige Aussagenalge-
bra in Frage stellt. 28 Unter Anknüpfung an die praktische Aufgaben-
stellung der Logik bei ARISTOTELES29 geht TouLMIN von der unbestreit-
baren Feststellung der Divergenzen zwischen der heutigen Logik
einerseits und der alltäglichen, aber auch der wissenschaftlichen
(außer-mathematischen) Argumentationspraxis andererseits aus.
Gewöhnliches Argumentieren ist, wie ToULMIN an Beispielen zeigt,
bereichsabhängig (kontextvariant), und das zentrale Problem der
Logik besteht in der Begründung der Behauptung, daß es bereichsun-
abhängige (konlexlinvariante) Ri:gdn gibt. Aus der Analyse von
Beispielen ergibt sich dabei die Vermutung, daß bestimmte für das
Argumentieren wesentliche Ausdrücke (z.B. die üblichen Operato-
ren) zwar in ihrer Funktion (»force«) in Argumentationen bereichsun-
abhängig, hinsichtlich der Kriterien, die über die Triftigkeit des
Arguments entscheiden, jedoch bereichsabhängig sind.
ToULMIN versucht daher, die Funktion solcher argumentationsrele-
vanter Ausdrücke entsprechend der analytischen Methode der Phi-
losophie der normalen Sprachen durch die Herausarbeitung eines
°
Schemas ( »layout«) des Argumentierens zu finden. 3 Für die Kritik der
Standardlogik ist dabei v. a. die Unterscheidung zwischen denjenigen
materialen Konventionen, die den Übergang von den Gründen zur
Konklusion sichern (»Warrants«) und der Begründung ( »backing«) für
diese Übergangskonventionen entscheidend. Stellt man einen logi-
schen Schluß nun syllogistisch dar, ergibt sich, daß die universelle
Prämisse hinsichtlich der Unterscheidung von warrant und backing
ambivalent ist (für eine Darstellung innerhalb der Aussagen- oder
Prädikatenlogik gilt ToULMINs Überlegung a fortiori, da hier gar nicht
zwischen verschiedenen Prämissentypen unterschieden wird). TouL-
MIN sieht hier folgendes Dilemma: Interpretiert man die Allprädika-
tion, die in der universellen Prämisse ausgedrückt wird, im Sinne des
Allquantors, dann müßte eine Existenzbehauptung ableitbar sein. Wir
fassen die Allprädikation also im Sinne von »Jeder« auf, wobei der in
27 Vgl. bes. P. STRAwsoN, Introduction.
28 Der Gebrauch, 183.
29 Vgl. 0. BIRD, »The Re-discovery«.
30 Kap. 3.
12
der Konklusion ausgedrückte Fall bereits vorkommen kann. Die so
verstandene universelle Prämisse wäre somit kein »Warrant«, sondern
ein »backing«. Solche Schlüsse sind jedoch nicht formal gültig,
vielmehr ist die Triftigkeit der Begründung durch ein »backing«
bereichsabhängig. Formal gültige, d. h. durch die bereichsunabhängige
Funktion der Übergangskonvention gesicherte Schlüsse erhalten wir
nur mit »warrants«. In diesen ist die Allprädikation in der Regel aber
nicht so aufgefaßt, daß eine Existenzbehauptung ableitbar ist. Nur bei
einem Typ von Argumentation ist ein Syllogismus auch argumenta-
tionspragmatisch eindeutig, wenn nämlich die universelle Prämisse die
in der Konklusion ausgedrückte Information bereits enthält. TouLMIN
nennt diesen Typ das analytische Argumentieren; dieser Typ des
Argumentierens spielt jedoch in der Argumentationspraxis gegenüber
dem substantiellen Argumentieren eine ganz untergeordnete Rolle.
Gerade das substantielle Argumentieren kann aber mit den Mitteln der
Syllogistik und modernen Logik nicht eindeutig ausgedrückt werden.
Die Logik ist - so könnte man ToULMINs Überlegungen zusammen-
fassen - (abgesehen von einigen speziellen Bereichen mathematischen
Argumentierens) daher ni~ht die Theorie des gewöhnlichen Argumen-
tierens. Die wichtigste philosophische Konsequenz, die ToULMIN aus
seinen Überlegungen zieht, ist, daß die Mittel der Logik nicht
herangezogen werden dürfen, um (wie es z. B. im Logischen Empiris-
mus geschieht) die Reichweite der Rationalität menschlichen Redens
und Denkens einzuschränken.
TouLMINs Kritik kann aus der Sicht der Logik zunächst als Kritik ander
Interpretation bestimmter logischer Operatoren, v. a. des Generalisa-
tors und des Subjunktors angesehen werden. Der Generalisator erlaubt
nicht die Differenzierung zwischen »Jedes« (backing) und »Alles«
(warrant). Im Fall von »Jedes« ist der Übergang von Prämissen zur
Konklusion formal gültig, aber trivial, im Fall von »Alles« ist der
Übergang substantiell, aber nicht formal gültig. Die Subjunktion, so
wie sie z.B. in einer Prämisse des modus ponens verwendet wird, ist
ebenfalls nicht in der Lage, substantielle Übergänge auszuzeichnen.
Beschränkt rrtan sich zunächst auf diese Kritik ToULMINs, bleibt offen,
welche Folgen seine Argumentation hat. Einmal könnte man zu dem
Ergebnis kommen, daß es überhaupt keine Logik im Sinne einer
allgemeinen (bereichsunabhängigen) Theorie des Argumentierens
gibt. An Stellen, an denen TouLMIN die Kontextabhängigkeit allen
argumentativen Redens betont, scheint er einem solchen »logischen
13
Skeptizismus« zuzuneigen. 31 Andererseits fragt man sich dann, wel-
chen Status das TouLMINsche Schema selbst hat, v. a. nach der
Berechtigung des Einwandes, ein bestimmter Übergang (nämlich
derjenige mit einem »backing« als universeller Prämisse) sei nicht
»formal gültig«. Daher-liegt nahe, aus ToULMINs Überlegungen die
Lehre zu ziehen, daß man versuchen müsse, eine andere, der Argumen-
tationspraxis adäquatere Logik zu entwickeln.
Kommt man zu diesem Ergebnis, muß man sich allerdings mit
TouLMINs Unterscheidung von analytischen und substantiellen Schlüs-
sen auseinandersetzen. Aus der Sicht der Logik ist zu den substantiellen
Schlüssen zunächst festzustellen, daß sie von den analytischen nur in
zwei Hinsichten abweichen. Erstens stehen für einen substantiellen
Schluß nicht ausreichend Prämissen zur Verfügung, um einen analyti-
schen Schluß im Sinne der Logik zu rekonstruieren; zweitens ist der
Übergang von Prämissen zur Konklusion beim substantiellen Argu-
mentieren in der Regel nicht apodiktisch, sondern durch modale
Operatoren (»qualifier«) abgeschwächt. Zum ersten Kennzeichen
substantiellen Argumentierens (Unvollständigkeit der Prämissen)
könnte man nun geltend machen, daß es für einen Logiker keine
Schwierigkeiten bereitet, die Prämissen so zu ergänzen, daß man einen
vollständigen und analytischen Schluß erhält. Hierbei kann es entwe-
der nur das Problem geben, daß man über die Informationen, die man
braucht, um die Prämisse aufzustellen, nicht verfügt- offenkundig ein
empirisches und kein logisches Problem; oder aber, daß man die Logik
nicht zur Verfügung hat. Ähnlich läßt sich gegenüber dem zweiten
Kennzeichen (nicht-apodiktische Schlüsse) argumentieren: es bereitet
heute im Prinzip keine Schwierigkeiten, solche Übergänge im Rahmen
einer Modallogik zu rekonstruieren. Offenkundig lassen sich also mit
den Mitteln der Logik alle substantiellen Schlüsse in analytische
überführen, so daß aus der Sicht der Logik TouLMINs substantielle
Schlüsse nicht als besondere Klasse von Schlüssen, sondern nur als
defekte analytische Schlüsse erscheinen müssen.
Diese Ein:wände gegen TouLMINs Kritik an der Idee einer Logik sind
jedoch für eine methodische Situation nicht einschlägig, wenn man
nämlich die Logik nicht zur Verfügung hat, um diejenigen »Fehler« zu
rekonstruieren, die substantielle Schlüsse gegenüber analytischen
unter dem Gesichtspunkt der Logik haben. Diese fiktive Situation ist
nun in der Tat für die Frage der Logikrechtfertigung von Interesse. Will
31 Der Gebrauch, 161.
14
man - ausgehend vom lebensweltlichen Argumentations-know-how -
die Logik rechtfertigen, darf man sie nicht bereits dazu verwenden, die
Defekte lebensweltlichen Schließens aufzudecken. Man wird daher,
und insoweit ist ToULMINS Kritik zu folgen, methodisch von substan-
tiellen Formen des Argumentierens ausgehen müssen. Dies schließt
aber nicht aus - und in dieser Hinsicht geht TouLMINs Kritik zu weit-,
daß man schließlich im methodischen Fortgang einer Analyse und
Normierung von Argumentationsformen zu einer Logik gelangt.
Allerdings muß diese nicht mit der (von ToULMIN in einigen Punkten zu
Recht kritisierten) gewöhnlichen Syllogistik oder der modernen
Standardlogik identisch sein.
Aus der Logikkritik der Philosophie der normalen Sprachen, wie
TouLMIN sie besonders radikal durchgeführt hat, läßt sich also die
Aufgabe entnehmen, die Logik wieder (entgegen der Tendenz der
modernen mathematischen Logik) an die Argumentationspraxis zu
Rechtfertigungszwecken zurückzubinden. Für eine solche Rechtferti-
gung ist der (sprach-)analytische Zugang allerdings unzulänglich.
Versucht man, umgangssprachliche Argumentationsstrukturen zu
beschreiben und solche Strukturen in einem allgemeinen Schema
niederzulegen, dann bleibt die Frage offen, mit welchem Recht wir
gerade solche und nicht andere Sprachgewohnheiten als Argumente
betrachten und wie infolgedessen ein allgemeines Schema gerechtfer-
tigt werden kann. Ferner erlaubt ein solches Schema gerade nicht die
Lösung derjenigen Aufgabe, die manmit der Formulierung einer Logik
anstrebt, nämlich die explizite Aufstellung eines Regelwissens, auf das
bei Dissensen und Konflikten zurückgegriffen werden kann.
Wie TouLMIN geht auch A. NAESS in seiner Einführung in die
elementare Logik32 von der Unanwendbarkeit der Standardlogik für
Analyse und Reglementierung gewöhnlichen Argumentierens aus.
NAESS weist wie TouLMIN darauf hin, daß wir es beim gewöhnlichen
Argumentieren mit Schlußfolgerungen zu tun haben, die ni~ht logisch
aus den Argumenten folgen. Vielmehr geht es um soziale Plausibilitä-
ten - hier liegt eine Gemeinsamkeit mit rhetorischen Ansätzen-, zu
deren Erlangung eine Reihe von Präzisierungs- und Konsensregeln
beachtet werden müssen. Die Logik kommt bei NAESS pragmatisch an
der Stelle ins Spiel, wo .die Aufstellung von pro-aut-contra-Listen zur
Evaluation von Argumentationsketten vorgeschlagen wird. Ein Krite-
32 Deutsche Übersetzung unter dem Titel: Kommunikation und Argumenta-
tion.
15
rium für die Beurteilung einer solchen Liste ist die Folgerichtigkeit und
Widerspruchsfreiheit der Argumente. 33 Offenkundig ist so der Begriff
der Argumentation auch bei NAESS in einem nicht geklärten Sinn an der
Logik orientiert. NAESS zieht daraus jedoch nicht den Schluß, eine
argumentative Anwendung und Interpretation der Logik vorzuneh-
men. Die Frage, wie Folgerichtigkeit und Widerspruchsfreiheit über-
prüft werden, bleibt - wie auch die Rechtfertigung der übrigen
Kommunikationsregeln - dem intuitiven Sprachverständnis über-
lassen.
b. Die Tatsache, daß die moderne Standardlogik nicht eine allgemeine
Theorie des Argumentierens ist, läßt sie v. a. für Bereiche einer
historisch und institutionell ausdifferenzierten Argumentationskul-
tur, wie sie in juristischen und forensischen Kontexten gegeben ist, als
untaugliches Instrument erscheinen. Die juristische Argumentations-
lehre ist daher schon für TOULMIN ein ausgezeichnetes Exempel gegen
die Standardlogik; es ist darüber hinaus jedoch nahezu zwangsläufig,
daß sich im Bereich der juristischen Argumentationslehre neben der
Entwicklung der modernen mathematischen Logik eine Entwicklung
zu einer eigenständigen Pragmatik des Argumentierens in ausdrückli-
cher Wiederaufnahme der Traditionen von Rhetorik und Topik3 4
ergeben hat.
V. a. CH. PERELMAN hat in seinen zahlreichen Arbeiten zur Theorie der
Argumentation35 auf die Gefahr hingewiesen, daß die Beschränkung
der Logik auf die Lehre vom (deduktiven, mathematischen) Beweis der
Vorstellung Vorschub leiste, alle anderen Formen von Einsicht kämen
nur durch irrationale Verfahren zustande. Dem in der Neuzeit v. a.
durch DESCARTES wirkmächtig vertretenen Ideal der von absoluter
Evidenz ausgehenden deduktiven Demonstration setzt PERELMAN
Formen der Argumentation entgegen, wie wir sie in den Kulturwissen-
schaften, im Rechtswesen, in der politischen Rede und besonders auch
in philosophischen Traktaten finden. Der entscheidende Gesichts-
punkt einer Theorie des Argumentierens ist dabei, daß die Triftigkeit
dieser Argumente von derZustimmungeines »Auditoriums« abhängig
33 Ebd. 144.
34 Eine~ Überblick geben: H. W. JoHNSTONE, »Theory of Argumentation«;
0. PöGGELER, »Dialektik und Topik«. Eine wissenschaftstheoretische Auswer-
tung ist versucht in C. F. GETHMANN, »Die Ausdifferenzierung der Logik«.
35 Vgl. bes. CH. PERELMAN/L. ÜLBRECHTs-TYTECA, »Logiqueetrhetorique«;
The New Rhetoric; CH. PERELMAN, Cours de Logique. Bd. 3.
ist. PERELMAN bestimmt daher als Aufgabe der Rhetorik die Untersu-
chung derjenigen sprachlichen Mittel, mit deren Hilfe die Zustimmung
eines Auditoriums erreicht bzw. der Zustimmungsgrad vergrößert
werden kann. 36 Im Gegensatz zu den vorherrschenden Akzentsetzun-
gen der antiken Rhetorik beschränkt sich diese »Neue Rhetorik« nicht
auf die öffentliche (politische oder forensische) Rede, sondern schließt
das Zwiegespräch und als Grenzfall das Selbstgespräch mit ein.
·Demgegenüber werden die Mnemotechnik und die Kunst der rhetori-
schen Effekte aus der Analyse ausgeschlossen. 37 DasZustimmungsver-
halten eines Auditoriums ist in der Sicht dieser Argumentationstheorie
nicht erzwingbar (wie es - so wird unterstellt - bei der logischen
Demonstration der Fall ist), sondern hängt von den Interessen und
Einstellungen, der Traditions- und Milieugebundenheit der Indivi-
duen ab. Von einer psychologischen oder soziologischen Untersu-
chung unterscheidet sich das Untersuchungsziel der Argumentations-
theorie jedoch dadurch, daß hier nicht die konkreten Argumentations-
umstände, sondern die Argumentationsschemata, nach denen die
Individuen handeln, im Zentrum des Interesses stehen. 38 PERELMAN
und ÜLBRECHTS-TYTECA haben etwa einhundert derartiger Schemata
z.B. des exemplarischen, illustrativen, modellhaften, analogen Argu-
mentierens, des Autoritätsarguments usw. herausgestellt. Dabei stellt
sich natürlich die entscheidende Frage, woran die argumentative
Tauglichkeit eines Schemas (z.B. gegenüber Scheinargumentationen,
Manipulationen, Propaganda) überhaupt zu messen ist. Hier spielt der
Begriff des »universellen Auditoriums« die entscheidende Rolle, die
dahingehend umschrieben werden kann, daß ein triftiges Argumentein
solches ist, von dem zu Recht verlangt werden kann, daß alle
Adressaten ihre Zustimmung geben (können). Durch den Begriff des
universellen Auditoriums wird die Argumentationstheorie eine Theo-
rie mit normativem Anspruch: »The agreement of a universal audience
is thus a matter, not of fact, but of right.« 39
Am Begriff des »universellen Auditoriums« muß allerdings die Kritik
an PERELMANs Konzeption der Rhetorik ansetzen. Bei jedem Argu-
ment ist nämlich die Frage zu stellen, an welchem Kriterium man
messen soll, ob ein universelles Auditorium zustimmt. Bei den
36 Z~ B.»Logique et rhetorique«, 1; The New Rhetoric, 4, 45.
37 The New Rhetoric, 6.
38 A. a. 0., 9.
39 A.a.O., 3r.
Detailuntersuchungen PERELMANs spielt diese Frage eine untergeord-
nete Rolle, so daß die Analysen weithin deskriptiven und nicht
präskriptiven Charakter haben. Neben der methodischen Unanwend-
barkeit des Kriteriums des universellen Auditoriums dürfte dafür auch
die soziale Leitvorstellung eines »Sprechers vor einem Auditorium«
maßgebend sein. Indem sich die Analysen der Argumentationstheorie
nicht am argumentativen Handeln disputierender Parteien, sondern an
Überzeugungsversuchen eines Redners vor einem Publikum orientie-
ren, bleiben diejenigen Motive, die zur Degeneration der Rhetorik zu
einer technischen Kunst der Überredung geführt haben, weiterhin
leitend. Es ist gerade diese Degeneration, die viele Philosophen in der
Nachfolge PLATO NS immer wieder zu einer Kritikder Rhetorik und zur
Forderung nach einer der subjektiven Willkür entzogenen Logik
geführt hat.
In diesem Zusammenhang sind v. a. die Überlegungen PERELMANs
zum Verhältnis von Logik und Rhetorik von Interesse, das durch die
begriffliche Gegenüberstellung von »Demonstration« und »Argumen-
tation« bereits angedeutet wird. Die Logik behandelt in der Sicht
PERELMANS die zeitlosen und objektiven Wahrheiten (»The facts, the
truths, or at least the probabilities, subject to the calculus of probabili-
ties, triumph of themselves« )40 , die keiner Zustimmung mehr bedür-
fen, weil sie aus sich heraus gültig sind. Die Logik ist daher die Theorie
der Rationalität empirischer und exakter Wissenschaften, denn nur
diese teilen die Voraussetzungen (v. a. der Univozität der Zeichen), auf
denen die Logik beruht. Die Logik bleibt also dem cartesianischen
Erkenntnisideal überlassen. Dennoch ist die Logik nicht ganz ohne
Bedeutung für die Argumentationstheorie, und zwar in methodischer
Hinsicht: »W e will draw our inspiration from the logicians, but only to
imitate the methods which they have used so successfully for the last
century or so.« 41 Damit läßt sich- möglicherweise gegen die Intentio-
nen PERELMANs - eine Antwort auf die Frage geben, nach welchem
Kriterium die T riftigkeit eines Arguments schließlich beurteilt wird: es
ist die strukturelle Gleichheit oder wenigstens Ähnlichkeit mit den
Argumentationsformen, wie sie die Logik seit ihrer Entstehung
untersucht. Wenn dies zutrifft, dann muß man fragen, ob es richtig ist,
in der von PERELMAN referierten Weise einen Hiat zwischen Logik und
(rhetorischer) Argumentationstheorie festzulegen. Welchen Beitrag
40 A. a. 0., 46.
41 A.a.O„ 10.
18
die Logik zur Lösung von Argumentationsproblemen leisten kann,
bleibt jedoch bei PERELMAN unerörtert, weil von ihm ein unpragmati-
sches Verständnis von Logik bereits unkritisiert aus dem Selbstver-
ständnis vieler Logiker des 20. Jahrhunderts übernommen wird.
PERELMANs Konzeption, die er selbst bis in den Bereich der juristischen
Argumentations- und Methodenlehre hinein verfolgt, 42 hat deutliche
Parallelen in derv. a. von TH. VIEHWEG angeregten Diskussion um die
Struktur des juridischen Argumentierens, 43 in deren Zentrum der
Begriff der Topik steht. VIEHWEG legt ebenso wie bereits PERELMAN
dar, daß die formalistische Standardlogik für den Rechtswissenschaft-
ler kein geeignetes Instrument der Analyse und Rekonstruktion sein
könne, weil der hier zur Verfügung stehende »Sachbereich«, nämlich
das in mannigfacher Hinsicht von den Idealen der formalen Logik
abweichende Rechtssystem, nicht einfachhin »formalisiert« werden
könne. Die von den Logikern angegebenen Kalküle ließen sich nur
nach umständlichen Deutungsanstrengungen mit den Rechtssystemen
in Verbindung bringen, wobei topische Gesichtspunkte solche Deu-
tungen bereits leiteten. 44 VIEHWEGs Skepsis gegenüber den Möglich-
keiten der formalen Logik im Bereich des juristischenArgumentierens,
besonders der Möglichkeit einer »Axiomatisierung« des Rechts,
zeigt, daß seine Kritik sich ebenfalls auf die formalistische Standard-
logik bezieht - wobei das erste im Duktus der modernen Logik
geschriebene Lehrbuch der juristischen Logik von U. KLUG vermutlich
einen entscheidenden Anstoß gab. KLUG sieht nämlich in der Tat in der
modernen Logik (die bei ihm im wesentlichen aus der Aussagen- und
Prädikatenlogik besteht) ein bloßes Anwendungsproblem und betont,
daß es keine juristische Sonderlogik geben könne. Dieser Rezeptions-
standpunkt muß im Blick auf die nachfolgende Entwicklung der Logik
um so merkwürdiger erscheinen, als die bis dahin entwickelte Logik die
Analyse präskriptiv-normativer Sätze nicht erlaubte. Erst neuere
Lehrbücher der Rechtslogik (KALINOWSKI, WEINBERGER, TAMMELO)
stellen die deontischen Logiken in das Zentrum der Rechtslogik.
20
Inhalt es lapidar heißt: »Sie untersucht die formalen Eigenschaften von
Argumentationszusammenhängen.« 48
Unklar bleibt hier, was »formale Eigenschaft« heißt. HABERMAS gibt
zur Klärung dieser Frage zunäch_st eine (diskursiv erweiterte) Darstel-
lung des ToULMINschen Schemas. Dieses liefert jedoch keineswegs, wie
es eigentlich Thema einer Logik des Diskurses ist, eine Systematik der
Verknüpfung argumentationsrelevanter Sprechhandlungen, 49 sondern
lediglich Gesichtspunkte für eine Klassifikation solcher Sprechhand-
lungen. Es kann HABERMAS zwar zugestanden werden, daß die Frage
nach der Herkunft der Kraft »rationaler Motivation« dahingehend zu
präzisieren ist, wie der Übergang zwischen backing und warrants
(TOULMIN) - soweit er nicht »analytisch« gerechtfertigt ist - motiviert
werden kann. Das entscheidende Problem ist jedoch, nach welchen
Kriterien zu beurteilen ist, ob eine Plausibilität, wie sie für »substantiel-
les« Argumentieren (im Sinne TouLMINs) kennzeichnend.ist, als zu
Recht bestehend beurteilt und bei Zweifeln verteidigt werden kann.
Auch HABERMAS' Hinweis auf das zum Gelingen solcher substantiellen
Übergänge vorauszusetzende Sprachsystem stellt keine Antwort auf
die Frage nach der Logik des Diskurses dar. Die Akzeptierbarkeit eines
Systems sprachlicher Verständigung ist zwar unbestreitbar eine not-
wendige Bedingung für das, was HABERMAS die Kraft der rationalen
Motivation nennt; daß diese Bedingung nicht hinreichend ist, läßt sich
durch die triviale Beobachtung belegen, daß auch Individuen, die ein
und dasselbe Sprachsystem akzeptieren und beherrschen (z.B. Mit-
glieder einer scientific community) noch substantielle Meinungsunter-
schiede haben und diese argumentativ austragen können. Auch die
Beziehung des ToULMINschen Schemas auf die Angemessenheit eines
Sprachsystems liefert als solche noch nicht die Kriterien, an denen die
Triftigkeit eines Argume~ts zu prüfen ist.
In diesem Zusammenhang sind HABERMAS' Bemerkungen über die
Standardlogik bemerkenswert. Nach dem Konzept einer »Logik des
Diskurses« wäre zu erwarten, daß - mit Blick auf TouLMIN - die
Standardlogik als die Theorie des analytischen Argumentierens zu
rekonstruieren wäre. Für sie wäre also ebenfalls eine pragmatische
Orientierung (wenn auch möglicherweise für einen unspezifischen
Fall) zu fordern. Eine solche Umorientierung fordert HABERMAS
jedoch nicht, vielmehr akzeptiert er, daß die Logik gerade von
48 A.a.O., 24r.
49 Vgl. Legitimationsprobleme, 147.
2I
Äußerungen bzw. Äußerungstypen absieht. 50 Nur von daher ist zu
verstehen, daß HABERMAS die pragmatisch orientierte Rechtfertigung
der konstruktiven Logik von P. LORENZEN und K. LORENZ für keinen
wesentlichen Beitrag zur Logik des Diskurses hält. 51
HABERMAS' Konzept einer »Logik des Diskurses« versteht sich somit
keineswegs als Erweiterung oder Reformulierung der Logik, sondern
es unterstellt eine argumentativ weithin irrelevante Logik, um unter
pragmatischen Gesichtspunkten eine andere Theorie des Argumentie-
rens zu verlangen. Allerdings muß man kritisch fragen, was eine solche
pragmatische Logik des Diskurses beinhaltet und wie man zu diesem
Inhalt kommt. Aus HABERMAS' Überlegungen zur methodischen
Konzeption der Universalpragmatik kann man schließen, daß es sich
um rekonstruierte Regeln des Argumentierens handelt, die in normati-
ver Absicht formuliert werden können. 52 Bezüglich der Formulierung
derartiger Regeln finden sich bei HABERMAS jedoch lediglich sprachphi-
losophische und methodologische Überlegungen zu den normativen
Bedingungen regelgerechten Argumentierens.
In enger Anlehnung an die sprachphilosophische Konzeption von
HABERMAS hat J. KoPPERSCHMIDT in seiner Rhetorik versucht, die
Regeln des Argumentierens genauer zu bestimmen. KOPPERSCHMIDT
bedient sich dabei des von SEARLE ausgearbeiteten Verfahrens, solche
Regeln in Form von Gelingensbedingungen von Sprechhandlungen zu
formulieren. Zu diesem Zweck konstruiert er einen »persuasiven
Sprechakt«, von dem allerdings nicht klar ist, ob es sich um einen
Sprechakt, wie bei der Formulierung der Gelingensbedingungen
unterstellt, handelt, 53 oder um - wie es an anderer Stelle heißt - eine
»Sequenz von verschiedenen Sprechakten«. 54 DievonKOPPERSCHMIDT
herausgestellten Regeln lassen ferner nicht erkennen, ob sie einen
deskriptiven oder präskriptiven Charakter haben. Einerseits wird
betont, daß es einer Rhetorik darum gehen muß, das den Sprechhand-
lungen zugrundeliegende invariante Regelsystem deskriptiv zu erhe-
ben, andererseits soll es um ein regulativ wirkendes System gehen. 55
Jedenfalls ist festzuhalten, daß ein regulativ verwendbares Kriteriensy-
50 »Vorbereitende Bemerkungen«, ro8; vgl. »Wahrheitstheorien«, 24of.
51 »Wahrheitstheorien«, 264 Anm. 30.
52 Vgl. die Ausführungen zum Begriff» logische Analyse«: » U niversalpragma-
tik«, 183-191.
53 A. a. 0., 87ff.
54 A. a. 0., 99.
55 A. a. 0., 23 u. 24.
22
stem durch die Angabe der Gelingensbedingungen (noch) nicht
rekonstruiert ist. Beispielsweise können Argumentationsparteien, die
die Regel 5 (»Der persuasive Sprechakt gelingt dann und nur dann,
wenn S bereit ist, sich gegebenenfalls von den Argumenten des
Kommunikationspartners überzeugen zu lassen.« )56 kennen und
akzeptieren, mit ihrer Hilfe nicht über die Triftigkeit eines Arguments
entscheiden. Die von KoPPERSCHMIDT konzipierte Rhetorik (auch als
»Grammatik des vernünftigen Redens« bezeichnet)57 stellt also eben-
falls keine Disziplin dar, die als Theorie des Argumentierens diejenigen
pragmatischen Defizite kompensieren könnte, die die Standardlogik
aufweist.
Die in sprachphilosophischer Hinsicht mit HABERMAS' Programm
einer Logik des Diskurses ähnliche sprechhandlungstheoretische Kon-
zeption von U. MAAS und D. WUNDERLICH bestreitet gerade die von
HABERMAS und KOPPERSCHMIDT unterstellte These, daß die Logik es
mit pragmatisch ungebundenen Aussagen zu tun habe. Vielmehr werde
in der Logik der Handlungscharakter der Sprache nur deshalb erfolg-
reich ausgeblendet, weil er bereits vorausgesetzt sei. 58 »Die formale
Logik ist als Rekonstruktion natürlichsprachlichen Argumentierens
(in bestimmten Wissenschaften) zu verstehen.« 59 Unter Rückgriff auf
TOULMINS Konzeption wird das von der formalen Logik erfaßte
Argumentieren jedoch als nur eine Form des Argumentierens, nämlich
des analytischen betrachtet. 60 Es bleibt somit die Frage, wie Argumen-
tationsregeln nach Art einer Logik für substantielles Argumentieren
ausgezeichnet werden können. U. MAAS geht dabei vom Konsens
zwischen den Argumentationsparteien aus. 61 Im Unterschied zu
autoritären oder manipulativen Strategien der Konsensherstellung ist
demnach für Argumentationshandlungen kennzeichnend, daß ein
Argumentationspartner einer Behauptung bzw. Aufforderung derart
zustimmt, »daß er sie zur Voraussetzung einer eigenen Sprechhand-
lung machen kann«. 62 Die Frage ist jedoch, aufgrund welcher Kriterien
eine solche Zustimmung erfolgt. Die entscheidende Einsicht von MAAS
56 A. a. 0., 94. Ferner bleibt die Frage offen, wie solche Bedingungen
begründet oder gerechtfertigt werden können.
57 A. a. 0., 18.
58 U. MAAs/D. WUNDERLICH, Pragmatik, 256f.
59 D. WUNDERLICH, Linguistik, 15 3.
60 A.a.O., 55-77.
61 U. MAAs/D. WUNDERLICH, Pragmatik, 26of.
62 261.
23
und WUNDERLICH ist darin zu sehen, daß solche Kriterien eine den
logischen Schlüssen analoge Form von »Schließen« haben, daß sub-
stantielles Argumentieren somit eine Weise schlußfolgernden Über-
gangs von Sprechhandlungen zu Sprechhandlungen ist, wobei übrigens
für das umgangssprachliche Argumentieren keineswegs eine Beschrän-
kung auf Behauptungen gilt. Im Blick auf HABERMAS ließe sich also das
Programm einer Logik des Diskurses mit MAAS und WUNDERLICH
dahingehend präzisieren, daß es darauf ankommt, pragmatische
Formen schlußfolgernder Rede herauszustellen, wobei die Möglich-
keit einer formalen Logik im üblichen Sinn sozusagen als spezieller
pragmatischer Fall erscheinen könnte.
WUNDERLICH hat in weiteren Untersuchungen herausgestellt, daß für
substantielles Argumentieren v. a. die »praktischen Schlüsse«, wie sie
v. WRIGHTimAnschluß an ARISTOTELES analysiert hat, von Bedeutung
sind. 63 Für praktische Argumentationen und die in ihnen vorkommen-
den spezifischen Konditionale lassen sich dann mit Hilfe bekannter
logischer Systeme Rekonstruktionen versuchen, was allerdings nicht in
allen Fällen gelingt. Die Untersuchungen zu den praktischen Argu-
mentationen lassen somit Zweifel, ob die Kalküle der ontischen
Modallogik das geeignete Instrument sind, die für die praktischen
Schlüsse kennzeichnenden Konditionale zu explizieren. In theoreti-
schen Argumentationen, in denen Zwecksetzungen und Einstellungen
'keine Rolle spielen, werden- so WUNDERLICH- »kognitive Schlüsse«
expliziert; bezüglich dieser vermutet WUNDERLICH, daß sie »unter
Umständen in einem formalen Logiksystem explizierbar sind. « 64 Diese
Vermutung ist jedoch dann nicht einleuchtend, wenn man beachtet
(was für WUNDERLICH beim praktischen Argumentieren ein entschei-
dender Ausgangspunkt ist), daß auch theoretische Argumentationen
Sequenzen von Sprechhandlungen sind. Insgesamt bleibt somit auch
bei MAAS und WUNDERLICH unklar, welche Bedeutung die Standardlo-
gik für die Rekonstruktion von argumentativen Kontexten hat bzw.
auf welchem Wege sich eine Erweiterung oder Ersetzung der Standard-
logik für die Erfassung des Argumentierens erreichen läßt.
25
gescheitert anzusehen ist69 , bietet keine Möglichkeit der Formulierung
einer Semantik (v. a. eines Folgerungsbegriffes) für natürlich-sprachli-
che argumentative Kontexte. Der Aufbau einer formalen Semantik mit
indexikalischen Ausdrücken für Ausschnitte natürlicher Sprachen ist
erst R. MoNTAGUE im Anschluß an die intensionale Semantik von S. A.
KRIPKE gelungen. 70 MoNTAGUEs Konzept einer » Universalgramma-
tik« folgt der Strategie, eine natürliche Sprache als Algebra zu
bestimmen, über der syntaktisch formulierte Einschränkungen defi-
niert sind; dieser Syntaxalgebra wird mittels einer Interpretationsrela-
tion eine Semantikalgebra zugeordnet. Durch die Konstruktion einer
derart »desambiguierten« Sprache, der mittels einer analysierenden
Relation eine natürliche Sprache zugeordnet ist, sollen zwei Anliegen
gewahrt sein: einmal die Möglichkeit, natürliche Sätze nach präzisen
Regeln (vom Präzisierungsgrad eines Algorithmus) zu formalisieren,
zum andern aber dabei die manifesten syntaktischen Kategorien der
natürlichen Sprache zu erhalten. Die Semantik einer »pragmatischen«
(d. h. indexikalische Ausdrücke enthaltenden) Sprache muß daher über
die Semantik formaler Sprachen hinaus eine Bedeutung der »Indices«
(»Referenzpunkte«) liefern. Die Extension aller Referenzpunkte wird
durch das Cartesische Produkt der Klasse der möglichen Welten und
der Klasse der möglichen Kontexte bestimmt. Besteht z. B: eine
pragmatische Sprache u. a. als einzigen indexikalischen Ausdrücke~
aus dem Personalpronomen »ich« und Zeitoperatoren, dann ist ein
Index in dieser Sprache ein geordnetes Paar der Person und einer reellen
Zahl, die Sprecher und Sprechzeit bestimmen. In einem nächsten
Schritt der semantischen Präzisierung wird für jeden Referenzpunkt
einer Sprache die Menge derjenigen Gegenstände, die in bezug auf den
Referenzpunkt existieren, angegeben. Gehört z. B. zu einem Referenz-
punkt ein Zeitpunkt, dann ist die Klasse derjenigen Gegenstände zu
definieren, die zu diesem Zeitpunkt existieren. Schließlich werden die
für eine Sprache zugelassenen Prädikat- und Individuenkonstanten in
ihrer Bedeutung dadurch bestimmt, daß die Extension solcher Kon-
stanten in bezug auf die Referenzpunkte festgelegt wird. Abschließend
werden die Operatoren der Sprache interpretiert, indem jedem Opera-
tor eine bestimmte Relation zwischen Referenzpunkten und Mengen
von Referenzpunkten zugeordnet wird.
69 Vgl. v. a. »Decision Procedures«.
70 V. a. »Pragmatics«; »Pragmatics and Intensional Logic«; »Universal
Grammar«.
Obwohl MoNTAGUEs Konzeption einer Universalgrammatik als ein
entscheidender Schritt zur Überwindung des Hiats von logischer und
linguistischer Sprachrekonstruktion angesehen werden muß, ist sie in
mindestens einer Hinsicht ergänzungsbedürftig. Ersichtlich hat die
Universalgrammatik den Mangel von BAR-HILLELs Konzeption von
Pragmatik übernommen, daß in ihr keine performativen Satzteile und
somit keine logischen Beziehungen zwischen expliziten Sprechhand-
lungen formuliert werden können. Über MoNTAGUE hinausgehende
Versuche sind daher durch eine Ergänzung der Universalgrammatik
um die Instrumente einer »performativen Analyse« bemüht. Im
Hinblick auf dieses Problem wird das Aufgabenfeld der (formalen)
Pragmatik gegenwärtig gegenüber z.B. BAR-HILLEL als Rekonstruk-
tion von Sprechhandlungstypen und Kontextmerkmalen (STALNAKER)
bestimmt. 71 Ansätze zu einer Semantik mit Performativen finden sich
bei L. ÄQUIST72 und F. v. KUTSCHERA. 73
Unabhängig von der möglichen Ergänzungsbedürftigkeit .dieser
Ansätze einer »Semantisierung der Pragmatik« (SCHNEIDER74) ist in
bezug auf das gesamte Programm ein Einwand zu machen, der mit der
sprachtheoretischen Konzeption zusammenhängt. Er kann mit BAR-
HILLEL75 in die einfache Fassung gebracht werden, daß die Versuche
einer pragmatischen Erweiterung der formalen Semantik bereits von
der Tauglichkeit der logischen Semantik als adäquatem Rekonstruk-
tionsinstrument für umgangssprachliches Argumentieren ausgehen.
BAR-HILLEL trifft damit in der Tat das »indirekte Verfahren« der
Konzeption MoNTAGUEs und seiner Nachfolger, das darin besteht,
Erscheinungsformen und Funktionen der natürlichen Sprache durch
subtile Zuordnungsfunktionen auf die konstruktsprachlichen Gebilde
der Logik zu beziehen, wobei man unterstellt, daß die Logik (in einer
bestimmten Auffassung von Logik) gewissermaßen idealtypisch
angibt, was unter einem korrekten Schluß zu verstehen ist. 76
Die Problematik eines solchen Verfahrens demonstriert BAR-HILLEL
an der Bedeutung einfacher logischer Theoreme, wie z.B. der Kon-
71 R. C. STALNAKER, »Pragmatics«.
72 Performatives.
73 Sprachphilosophie, 166-182; »Grundzüge«; Intensionale Semantik, l 57f.
74 Pragmatik, 121; Zur sprachphilosophischen Kritik »Ontologischer« und
»hegriffsrealistischer« Semantikkonzeptionen vgl. ebd. passim.
75 »Argumentation in Pragmatic Languages«.
76 Dieses Verfahren versucht z.B. H. SCHNELLE ausdrücklich zu rechtfertigen
(»Zur Explikation«).
junktionsabschwächung. Eine solche Regel ist offensichtlich nur in
natürlichen Kontexten sinnvoll, wenn sie auf Behauptungen rekur-
riert. Es sei jedoch nicht sichtbar, daß die formale Logik, die es mit
Propositionen zu tun hat, auf Behauptungen (also -wie BAR-HILLEL
sich ausdrückt- »nicht-linguistische Entitäten«) anwendbar ist. 77 BAR-
HILLELs Kritik kann dahingehend verallgemeinert werden, daß die
pragmatische Erweiterung der formalen Semantik zu Zwecken der
Rekonstruktion natürlich-sprachlichen Argumentierens so lange
methodisch ungerechtfertigt bleibt, wie nicht gezeigt ist, daß die
zugrunde gelegte formale Logik dem Explikandum natürliche Sprache
tatsächlich adäquat ist.
33
a. Pragmatisch beinhaltet das Zirkel-Lemma den Verstoß gegen die
Regel vom zu vermeidenden Rechtfertigungszirkel. Bei der Formulie-
rung dieser Regel können verschiedene Situationen in einem Rechtfer-
tigungsdiskurs vorgestellt werden. Zunächst kann die Situation cha-
rakterisiert werden, in der der Proponent zur Rechtfertigung einer
logischen Regel eine weitere Regel heranzieht, die der Opponent
jedoch bereits vorher bezweifelt hat, ohne daß bislang eine abschlie-
ßende Rechtfertigung gelungen ist. Eine andere Situation, in der von
einem Zirkel gesprochen werden kann, ist diejenige, in der der
Proponent eine Regel rechtfertigt, für die bereits eine Rechtfertigung
gelungen ist. Die erste Situation kommt - wenn man sich die
vorgeschlagenen Charakterisierungen vor Augen hält-nur in redukti-
ver Richtung, die zweite nur in produktiver Richtung vor. Entspre-
chend kann von einem »reduktiven« und einem »produktiven« Recht-
fertigungszirkel gesprochen werden. Das Verbot eines reduktiven
Rechtfertigungszirkels kann nun - unterstellt, es sei Zweck eines
Diskurses um die Rechtfertigung logischer Regeln, zu einer Einigung
zu kommen - leicht einsichtig gemacht werden. Werden dieselben
Rechtfertigungsschritte derart mehrfach durchlaufen, daß der Oppo-
nent bezweifeln muß, was er schon vorher bezweifelt hat, und der
Proponent nun dieselben Gründe heranzieht, die schon vorher nicht
zum Ziel der Zustimmung geführt haben, dann wird in Richtung auf
den Zweck des Diskurses kein Fortschritt erzielt.
Geschieht dieser Kreislauf endlich oft, lassen sich immerhin ökonomi-
sche Gründe gegen dieses Verfahren anführen. Wird der Zirkel
tendenziell unendlich oft durchlaufen, fällt die Rechtfertigung des
Verbots des Rechtfertigungszirkels mit der Rechtfertigung des Verbots
des unendlichen Regresses zusammen.
Demgegenüber lassen sich gegen den produktiven Rechtfertigungszir-
kel keine derartigen Einwände machen. Wer noch einmal rechtfertigt,
was schon gerechtfertigt ist, verstößt nicht gegen den (bereits erfüllten)
Zweck des Diskurses. Er verschwendet vielleicht seine Zeit. Metho-
disch jedenfalls ist ein produktiver Zirkel ohne Schaden. Da LENK bei
Formulierung des Zirkel-Lemmas nun unterstellt, daß sich das Verbot
des Rechtfertigungszirkels in trivialer Weise einsichtig machen läßt,
kann er dabei nur den reduktiven Rechtfertigungszirkel im Blick
gehabt haben.
34
Proponent aufgrund ständig neuer Zweifel des Opponenten zu immer
neuen Rechtfercigungshandlungen gezwungen wird, wobei die Gefahr
besteht, daß der Regreß zu keinem Ende kommt. Da die anfänglich
aufgestellte Regel erst dann gerechtfertigt ist, wenn ein Ende des
Diskurses erreicht ist, bleibt in diesem Fall die vom Proponenten
vorgeschlagene Regel unakzeptiert. Durch das Verbot vom unendli-
chen Regreß versucht man also, diese Gefahr auszuschließen. Es läßt
sich nun einsichtig machen, daß ein solches Verbot nur in dieser
reduktiven Rechtfercigungsrichtung einen Sinn hat. In produktiver
Rechtfertigungsrichtung tritt nämlich der Fall, daß die Rechtfertigung
bis 7.U einem Ende des Diskurses offen bleibt, nicht ein. Deswegen wäre
ein unendlicher Progreß (also ein Weitersehreiten in produktiver
Richtung) methodisch unbedenklich. Das Regreß-Lemma bezieht sich
also nur auf den Fall, daß eine reduktive Rechtfercigungsrichtung
eingeschlagen wird. Allerdings wird sie auch in diesem Fall gegen-
standslos, wenn der Opponent einer vorgelegten Rechtfertigung
zustimmt.
35
gungsschritte verlangt, dürfte kaum einsichtig zu machen sein. Offen-
sichtlich gibt es also für das Abbruch-Lemma keine vernünftige
pragmatische Deutung.
Der Überblick über die möglichen Bedeutungen der Münchhausen-
Lemmata für das Problem der Rechtfertigung zeigt eine spezifische
Einschränkung der dieser Kritik zugrundeliegenden Rechtfertigungs-
konzeption. Die von der Kritik der Kritischen Rationalisten getroffe-
nen Rechtfertigungssituationen treten allenfalls in reduktiver, nicht
aber in produktiver Rechtfertigungsrichtung auf. Dies bedeutet aller-
dings nicht, daß die Kritik der Kritisch('.n Rationalisten gegenstandslos
ist. Vielmehr trifft sie zu auf die Konzeption der Logik-Rechtfertigung,
die mit dem Aufbau der Standardlogik eng verbunden ist, nämlich die
axiomatische Rechtfertigung der Logik. Sie besteht zunächst darin, daß
logische Regeln (bzw. Theoreme) dadurch gerechtfertigt werden, daß
ihre Ableitbarkeit aus gewissen ersten Regeln nachgewiesen wird. Die
Frage ist nun, wodurch diese ersten Regeln (Axiome) gerechtfertigt
und wie die in ihnen vorkommenden Begriffe definiert werden. Zur
Lösung des Problems hat D. HILBERT die Konzeption der meta-
theoretischen Beweistheorie und der »impliziten Definition« entwik-
kelt. 8 Danach ist eine »formale Theorie« dann gerechtfertigt, wenn für
sie Vollständigkeit und Widerspruchsfreiheit bewiesen werden kön-
nen. Das Zirkelproblem, das darin besteht, daß die Beweise von
Vollständigkeit und Widerspruchsfreiheit ihrerseits auf eine höhere
»formale Theorie« zurückgreifen müssen, hält HILBERT dadurch für
gelöst, daß er als diese Beweistheorie einen »schwächeren«, nämlich
»finiten« Logikkalkül verwendet. Man fragt aber sofort nach der
Rechtfertigung dieses Logikkalküls, für dessen Vollständigkeits- und
Widerspruchsfreiheitsbeweis - wie GöDEL 9 gezeigt hat - wiederum
eine höhere Logik herangezogen werden müßte, et in infinitum.
Für die in den Axiomen verwendeten Begriffe bestimmt HILBERT, daß
sie durch ihre Verwendung in den Axiomen implizit definiert werden.
FREGE 10 hat - wie KAMBARTEL11 herausgearbeitet hat - gegen diese
37
gemeinsame Einverständnis richten. In der gewöhnlichen Rechtferti-
gungspraxis kann man darauf setzen, daß ein solches Einverständnis
besteht; die Schwierigkeit besteht eher darin, es inhaltlich auch zu
bestimmen. Bestimmte prädiskursive Sprechhandlungen des Vor-
schlagens und Empfehlens stellen sprachliche Interaktionsmuster zur
Verfügung, derartige Einverständnisse zu suchen. Für ein philosophi-
sches Programm konstruktivistischer Rechtfertigung logischer Regeln
besteht die spezifische Schwierigkeit jedoch gerade darin, ein allgemei-
nes, d. h. für jedermann akzeptierbares Einverständnis zu formulieren,
das schließlich erste Schritte zur Rechtfertigung logischer Regeln
erlaubt. Vor der eigentlichen Logik muß also zur Sicherung eines
solchen prädiskursiven Einverständnisses in Form von Empfehlungen,
wie angesichts eines Zwecks von Diskursen argumentiert werden
sollte, eine »Protologik« entwickelt werden. 15
Die Protologik stellt dabei bezüglich des Begründungs-und Rechtferti-
gungsproblems einen ausgezeichneten Sonderfall dar. Während näm-
lich z.B. bezüglich der Begründungsprobleme von Ethik und Wissen-
schaftstheorie diejenigen Prämissen rekonstruiert werden müssen,
bezüglich derer ein allgemeines Einverständnis angenommen werden
kann und aus denen dann unter Verwendung logischer Regeln weitere
Begründungen und Rechtfertigungen versucht werden können, hat es
die Protologik mit den Regeln der Begründung und Rechtfertigung als
solchen zu tun - unabhängig von den Prämissen, um die es in
Begründungs- und Rechtfertigungsdiskursen geht. Die spezifische
Schwierigkeit einer Rechtfertigung logischer Regeln liegt nun darin,
daß bei einer methodischen Rechtfertigung dieser eben noch nicht auf
logische Regeln zurückgegriffen werden kann. Die Tatsache, daß ein
bestimmtes kanonisiertes Regelwissen für argumentatives Handeln
nicht bereits vorausgesetzt werden darf, bedeutet andererseits nicht,
daß von der Fiktion ausgegangen werden muß, Menschen verstünden
nicht bereits zu argumentieren, bevor ausdrücklich eine Logik (bzw.
Rhetorik, Topik) formuliert worden sei. Der Umstand, daß die
Begründung bzw. Rechtfertigung bestimmter ausdifferenzierter Wis-
sensformen (know that) methodisch auf einem bereits selbstverständli-
chen Umgehenkönnen (know how) sprachlicher und technischer Art
15 Die Protologik ist somit eine genuin »philosophische« Disziplin (vgl. C. F.
GETHMANN, »Ist Philosophie als Institution möglich?«), während man die
»Logik« mit guten Gründen als aus der Philosophie ausdifferenzierte F achdiszi-
plin betrachten kann.
beruht, ist in der Philosophie des 19. und 20. Jahrhunderts (v. a.
DILTHEY, HUSSERL, HEIDEGGER) 16 mit Hilfe des Terminus »Lebens-
welt« ausgedrückt worden. Die Protologik als Disziplin produktiver
Logikrechtfertigung muß also den Versuch beinhalten, logische Regeln
argumentativer Rede unter Bezugnahme auf eine lebensweltlich bereits
eingeübte und selbstverständliche Redepraxis einzuführen.
Damit wird jedoch die lebensweltliche Redepraxis nicht unkritisch in
Geltung gesetzt. 17 Jede tatsächliche Behauptung und Aufforderung ist
ihrem propositionalen Gehalt nach bestreitbar und prinzipiell begrün-
dungs- bzw. rechtfertigungsbedürftig. Wer jedoch z.B. eine Behaup-
tung bestreitet, tut damit kund, daß er in einer Behauptung einen
Anspruch auf Verständlichkeit und Geltung erkennt, der bestritten
oder akzeptiert werden kann. Allgemeiner gesagt: ohne daß die Inhalte
faktischer· Rede unkritisch angenommen werden müssen, kann die
Protologik auf die Fähigkeit zu sprachlichem Handeln zurückgreifen
und von ihr ausgehend Regeln einführen. 18 »Einführen« bedeutet dabei
ein Doppeltes: einmal müssen solche Regeln in ihrem Inhalt verständ-
lich gemacht werden, indem die vorkommenden Termini, Handlungs-
anweisungen usw. zur Herbeiführung von Situationen verwendet
werden, in denen jedermann die Möglichkeit hat, die Bedeutung der
Termini durch Nach-Vollzug der empfohlenen Handlung zu erlernen;
zweitens aber muß eine Regel (da ja nicht eo ipso akzeptiert werden
muß, was verstanden ist) gerechtfertigt werden, indem gezeigt wird,
daß ihre Befolgung die Erreichung des kommunikativen Zwecks, der
bei Behaupten und Bestreiten gleichermaßen unterstellt wird, för-
dert.
Die Berufung auf eine lebensweltlich eingeübte Redepraxis bezieht sich
also nicht auf die in solcher Rede zur Debatte stehenden Inhalte,
16 Eine methodische (nicht: anthropologisch-psychologische) Konzeption der
»Lebenswelt« bzw. des »ln-der-Welt-seins« ist eine Errungenschaft der
phänomenologischen Philosophie (vgl. M. HEIDEGGER, Sein und Zeit; E.
HcssERL, Die Krisis; zur methodologischen Problematik: C. F. GETHMANN,
Verstehen, bes. 243-253); auf die methodische Verwandtschaft zwischen der
Phänomenologie der Lebenswelt und dem methodischen Denken des Kon-
struktivismus kann hier nur hingewiesen werden (vgl. v. a. P. LORENZEN,
»Methodisches Denken«, 26).
17 Deswegen ist der Konstruktivismus kein Konventionalismus, wie A.
MENNE (»Das Begründungsproblem«, 53) behauptet.
18 Zur methodischen Unterscheidung von »Rede« und »Sprache« vgl. K.
LORENZ/}. MrTIELSTRAss, »Die Hintergehbarkeit der Sprache«; K. LORENZ,
Elemente, bes. 149-166.
39
sondern lediglich auf die Bedingungen der Tatsache, daß es eine weithin
gelingende Redepraxis gibt. Was es heißt, beim Reden Pflichten zu
übernehmen und Rechte wahrzunehmen, d. h. an Diskursen teilzu-
nehmen, muß allerdings wenigstens unthematisch und ansatzweise
bekannt sein, wenn m:an Regeln suchen und empfehlen will, um diese
Redepraxis zu erleichtern, Konflikte und Dissense zu überwinden und
diskursive Verständigung unter den Bedingungen knapper Zeit zu
ermöglichen. In diesem Sinn ist ein konstruktivistisches Rechtferti-
gungsprogramm in der Tat voraussetzungshaft, als es nicht darum geht,
Menschen anzudemonstrieren, daß geredet werden soll, sondern zu
prüfen, nach welchen Regeln geredet werden soll, wenn exerzit
anerkannt ist, daß durch Reden Geltungsansprüche eingelöst werden
bzw. solche Einlösungen gefordert werden. Das Rechtfertigungspro-
gramm darf jedoch nicht in dem Sinne voraussetzungshaft sein, daß
bereits das lebensweltliche Reden als an einer »Logik« orientiert
unterstellt oder sogar mit Hilfe einer gegebenen Logik rekonstruiert
wird. Pragmatisch relevant ist nämlich gar nicht die Frage, wie eine
schon bestehende Disziplin »Logik« gerechtfertigt wird, sondern ob es
überhaupt einer Logik bedarf und welche Gestalt sie haben muß, wenn
sie ihren Zweck erfüllen soll. Diese spezifische Voraussetzungshaftig-
keit beinhaltet, daß niemandem der Sinn eines Regelkanons für
argumentatives Handeln einsichtig gemacht werden kann, der sich
nicht bereits ansatzweise auf solches Handeln eingelassen hat. Wer
bestreitet, daß es z.B. Rechte und Pflichten der Einlösung von
Geltungsansprüchen gibt, kann darauf hingewiesen werden, daß er
selbst bereits die Einlösung eines Geltungsanspruchs fordert; denkt
man sich jedoch einen Fanatiker derart, daß er beschlossen hat, solche
Geltungsansprüche grundsätzlich für nicht existent zu halten, dann
kann gegen ihn auch der Hinweis auf den pragmatischen Widerspruch
zwischen seinem Bestreitungsakt und dessen Inhalt nichts mehr
ausrichten. Niemand kann durch Argumente noch veranlaßt werden,
anzuerkennen, was notwendige Präsupposition seines Vollzuges
ist. 19
In diesem Sinn ist das methodische Postulat der Zirkelfreiheit in einem
Programm konstruktivistischer Logikrechtfertigung zu verstehen. Es
19 Weil somit die auf dem »tu-quoque-Argument« beruhende »Erstbegrün-
dung« scheitern kann, spricht F. KAMBARTEL von einem »schwachen transzen-
dentalen Argument« (»Wie ist praktische Philosophie konstruktiv möglich?«,
31).
40
besagt gerade, daß bei der Rechtfertigung logischer Regeln zwar auf die
vollzogene Anerkennung einer Redepraxis, nicht jedoch auf die
Anerkennung einer »Logik« zurückgegriffen werden darf. Es trägt
somit zur Rechtfertigung der Logik nichts bei, wenn einer logischen
Syntax eine formale Semantik hinzugefügt wird, in der die Bedeutungs-
regeln der logischen Operatoren, die es gerade als pragmatisch
zweckmäßig zu rechtfertigen gilt, bereits verwendet werden.
Der dieser Problematik zugrundeliegende GöDELsche Beweis, demge-
mäß man keine Logik rechtfertigen kann, ohne sie schon metasprach-
lich zu verwenden, geht wiederum von einer formalistischen Rechtfer-
tigungskonzeption aus. In einem konstruktivistischen Rechtferti-
gungsprogramm wird dieses Zirkelproblem dadurch irrelevant, daß
aus den anerkannten (präsupponierten) Zwecken umgangssprachli-
cher Argumentationspraxis die Bedeutung von Operatoren bereits
instrumentell gerechtfertigt ist, bevor überhaupt eine ausdifferenzierte
Syntax und Semantik in Angriff genommen wird. 20
Wer in seinem Redehandeln anerkennt, daß mit solchem Reden bereits
ein Zusammenhang von Rechten und Pflichten unterstellt ist, z.B. daß
jemand, der etwas behauptet, damit einen zu vertretenden Geltungsan-
spruch für das Behauptete äußert, hat natürlich noch nicht bestimmte
Argumentationsregeln akzeptiert. Die Entwicklung von Argumenta-
tionsregeln muß in diesem »prädiskursiven« Bereich (über die Regeln
des Argumentierens läßt sich nicht im selben Sinne argumentieren wie
über Inhalte) dem methodischen Leitfaden folgen, daß jeweils solche
Regeln empfohlen werden, deren Befolgung eine möglichst sichere
Erreichung des Zwecks der Verständigung gewährleistet. Wie immer,
wenn Mittel zu einem Zweck empfohlen werden, sind solche Empfeh-
lungen weder notwendig alternativlos (der Zweck mag auf anderem
Weg ebensogut erreichbar sein) noch zwangsläufig. Der Begriff der
produktiven Rechtfertigung ist also nicht mit einem Exklusivitätsan-
41
spruch verbunden. Vielmehr ist das entscheidende Kriterium, daß die
Empfehlung (möglicherweise neben anderen) für jeden, der an einem
Diskurs beteiligt ist, zustimmungsfähig ist. Dies kann im Einzelfall nur
faktisch überprüft werden. Verfolgt man jedoch die Absicht, einen
jedermann zumutbaren Kanon von Argumentationsregeln aufzustel-
len, muß man versuchen, Einverständnisbedingungen für jedermann
zu antizipieren. 21 Das ist gerade möglich, weil jeder (einschließlich der
methodisch denkenden Philosophen) sich bereits in einer Redepraxis
eingerichtet hat und mehr oder weniger zurechtfindet. Eine Empfeh-
lung hat - allgemein gesagt - dann Aussicht, allgemein akzeptiert zu
werden, wenn sie auf elementarster Stufe nur solche Termini beinhal-
tet, deren Bedeutung jedermann pragmatisch erfassen kann, indem er
sich Handlungssituationen herbeiführen bzw. vorstellen kann, in
denen ein solcher Terminus eine Rolle spielt. Weitere, komplexere
Handlungsempfehlungen verwenden dann nur solche Elemente, die
entweder schon von elementareren Stufen her bekannt sind, oder
wiederum pragmatisch-situativ einführbar sind. Damit ist methodisch
als weiteres Postulat die Lehr-/Lembarkeit von Empfehlungen
genannt, die inhaltlich mit dem Postulat des schrittweisen Aufbaus
zusammenfällt.
Ein Rechtfertigungsverfahren, das den Postulaten der Zirkelfreiheit
und der schrittweisen Einführung von Argumentationsregeln folgt, ist
in bezug auf die Umgangssprache weder rein deskriptiv noch rein
präskriptiv. Da an ein bereits existierendes Selbstverständnis argumen-
tativer Rede appelliert werden muß, kann eine methodische Einfüh-
rung nicht rein präskriptiv sein. Das faktische Redehandeln realer
Sprecher/Hörer ist eine Berufungsinstanz für die Adäquatheit von
Empfehlungen für die Reglementierung des Redehandelns. Dies
allerdings nicht hinsichtlich der linguistisch erhebbaren Fakten, son-
dern hinsichtlich der im Redehandeln mehr oder weniger reflektiert
unterstellten und angenommenen Allgemeinheiten vom Charakter des
»immer wieder« (im Sinne von wieder-holbar). 22 Dies beinhaltet
jedoch, daß das faktische Reden auch in bezug auf solche Präsupposi-
tionen durch Empfehlungen modifiziert und verbessert werden kann.
Insoweit kann eine methodische Einführung von Argumentationsre-
42
geln auch nicht rein deskriptiv sein. Ausgehend von dem, was der Fall
ist, sind, gemessen an dem, was in dem, was der Fall ist, bereits als
verpflichtend anerkannt ist, Empfehlungen auszuarbeiten für das, was
der Fall sein soll. Ein methodisches Verfahren dieser Art, das aus einem
schrittweisen Aufbau einfacher Sprachelemente ~u komplexeren
besteht, soll »konstruktiv« genannt werden. Ausgehend von einer
gemeinsamen Redeerfahrung werden in einem konstruktiven Verfah-
ren schrittweise diejenigen Bedingungen (Präsuppositionen) entwik-
kelt, ohne die man eine vernünftige Rede nicht für möglich hält und an
denen man also sein weiteres Reden zu orientieren versucht.
Die Redepraxis einer noch nicht mit logischen Mitteln explizierten
Lebenswelt ist wesentlich dadurch ausgezeichnet, daß sie sich bereits in
eine gewachsene, historisch vielfach ausdifferenzierte Argumenta-
tionskultur bis in institutionell abgesicherte Argumentationsverfahren
hinein entwickelt hat. Es wäre ein Mißverständnis, wollte man die
Logik als zeitloses Instrument betrachten, das u. a. auf die normative
Genese gewachsener Handlungsgewohnheiten, Sitten, Institutionen
bloß noch angewendet zu werden braucht. 23 Wenn von einer vortheo-
retischen Lebenswelt die Rede ist, dann beinhaltet diese nicht nur so
»zeitlose« Entitäten wie Behauptungshandlungen, sondern diese sind
immer schon eingebettet in eine Argumentationskultur, die von
rhetorischem Wettbewerb über politische Argumentationsformen bis
hin zur forensischen Prozeßordnung nicht nur das faktische Selbstver-
ständnis einer Jahrtausende alten Redepraxis widerspiegelt, sondern
auch diejenigen Orientierungen und Reglementierungen beinhaltet,
deren Befolgung sich noch gegenwärtig als im großen und ganzen den
gemeinsamen Zwecken förderlich erwiesen hat. Das konstruktive
Verfahren wäre somit Hand in Hand mit einem rekonstruktiven
Verfahren zu entwickeln, indem nicht nur Empfehlungen erarbeitet
werden, was zu tun angezeigt sei, sondern auch diejenigen Empfehlun-
gen verstanden und kritisch geprüft werden müssen, von denen bisher
unterstellt wurde, daß sie bereits eine Lösung des Problems seien. Eine
vollständige Protologik ist zugleich eine Argumentationskulturkritik,
wenn anders sie sich von dem Mißverständnis freihalten will, an die
43
Stelle der Vakuum-Fiktion des cartesischen Cogito bloß diejenige des
konstruktiven Propono zu setzen. 24
44
Konklusionen als »logisch« bezeichnet werden. Der Terminus» Proto-
logik «bezeichnet im Zusammenhang der operativen Logik die Lehre
vom schematischen Operieren mit Zeichen, das als Grundlage zur
Einführung der »logischen« Regeln dient. Diese Protologik greift- im
Sinne einer konstruktivistischen Rechtfertigungskonzeption ( 1. 1) -
auf die lebensweltlich eingeübte Fähigkeit zurück, Figuren identifizie-
ren und nach Regeln aus vorgegebenen Figuren neue herstellen zu
können. Ein Operationsschema zur Herstellung solcher Figuren heißt
»Kalkül«. Zu einem Kalkül gehören erste (Atom-)Figuren, Variable
für Figuren, bestimmte Anfänge und Regeln zur Herstellung weiterer
Figuren. Eine Figur ist in einem Kalkül »ableitbar«, wenn sie durch
n-fache Anwendung der Regeln auf den Anfang des Kalküls zurückge-
führt werden kann. Regeln sind »zulässig«, wenn ihre Anwendung
nicht zu einer echten Erweiterung der durch die schon bereitstehenden
Regeln möglichen Figuren führt, sonst »unzulässig«. Die Behauptung,
eine Regel sei zulässig, ist »beweisbar«, wenn die Zulässigkeit der Regel
gezeigt werden kann. Regeln, für die bewiesen werden kann, daß sie in
jedem Kalkül zulässig sind (»allgemein-zulässig«) werden »logisch«
genannt. Als allgemein-zulässig lassen sich die konsequenzlogischen
Regeln mit Negation direkt nach dem Verfahren der kalkülpragmatisch
aufgebauten Protologik beweisen. Regeln für Konjunktion, Adjunk-
tion und Existenzquantor werden auf dem Wege über die »Relativ-
Zulässigkeit« eingeführt, zusätzlich mit dem Beweis, daß sie jedem
Kalkül angegliedert werden können.
Neben einigen eher logisch-immanenten Problemen29 waren es in
erster Linie Probleme der pragmatischen Rechtfertigung der Logik, die
LORENZEN zur Entwicklung der dialogischen Logik geführt haben. 30
Ersichtlich ist die pragmatische Rechtfertigung der operativen Logik
lebensweltlich auf eine sehr schmale Basis, nämlich den schematischen
Umgang mit Figuren und kalkülmäßigen Ableitbarkeitsbehauptun-
gen, gestellt. Die leitende Idee von Logik ist jedoch-so könnte man die
Überlegungen LORENZENs paraphrasieren-, argumentatives Handeln
überhaupt vernünftig zu regeln. Für argumentatives Handeln gilt aber
45
zunächst, daß es inhaltlich nicht auf Ableitbarkeitsbehauptungen
eingeschränkt ist; Argumentieren ist ferner ein wesentlich intersubjek-
tiver, dialogischer Vorgang, bei dem nicht nur die eigenen sprachlichen
Handlungen, sondern auch die einer anderen Partei eine wesentliche
Rolle für den Ausgang der Argumentation spielen. Die dialogische
Logik ist daher unter dem Gesichtspunkt der Rechtfertigung durch
zwei erhebliche Modifikationen gegenüber der operativen Logik
ausgezeichnet: an die Stelle der Ableitbarkeitsbehauptungen treten
beliebige natürlichsprachliche Behauptungen, von denen lediglich
verlangt ist, daß für sie zwischen den Dialogspielern ein Entschei-
dungsverfahren festgelegt ist; 31 für das Entscheidungsverfahren selbst
ist nicht mehr der Zulässigkeitstest im Kalkül, sondern die Gewinnbar-
keit in einem nach festgelegten Regeln gespielten Dialog ausschlagge-
bend. Die Spielregeln legen dabei fest, welcher Spieler eine Elementar-
aussage beweisen können muß (durch ein beliebiges festgelegtes
Beweisverfahren), wenn er den Dialog gewinnen will. »Logisch«
heißen diejenigen Behauptungen, die ein Spieler in jedem Fall gewinnt;
dies ist allgemein immer dann möglich, wenn der Proponent den
Opponenten »Zwingt«, eine elementare Behauptung zu äußern, deren
Beweis er dann später übernehmen kann.
Die Ausweitung der pragmatischen Basis der dialogischen Logik auf
beliebige (entscheidbare) Behauptungen läßt eine »Protologik« im
Sinne der operativen Logik (die ein bestimmtes Entscheidungsverfah-
ren vorschrieb) überflüssig erscheinen. Für die dialogische Logik ist der
Terminus »Protologik« daher nicht übernommen worden. Ersichtlich
entsteht in der dialogischen Logik jedoch ein Rechtfertigungsdesiderat
an einer anderen Stelle, worauf besonders H. LENK in seiner Kritik der
dialogischen Logik hingewiesen hat: es liegt in der Rechtfertigung der
allgemeinen und speziellen Spielregeln. 32 »Rechtfertigung« versteht
LENK jedoch im Sinne einer nicht näher spezifizierten Form der
»Deduktion«. 33 Aber auch gemäß dem Anspruch der konstruktivisti-
schen Logikbegründung kann ein Rechtfertigungsproblem der dialogi-
schen Logik, und zwar durch folgende zusammenfassende Formulie-
rung, bestimmt werden: ist die dialogische Logik gemäß ihrem
47
beinhaltet. In den kommentierenden Texten der konstruktiven Logik
wird entsprechend betont, daß die Logik es mit Handlungen, z.B.
Behauptungen, zu tun habe und infolgedessen als »pragmatisch«
auszuzeichnen sei. 36 Dem steht jedoch die ausdrückliche Bestimmung
der Logischen Propädeutik entgegen: »Die Logik untersucht sprachli-
che Handlungsschemata unter Abblendung des pragmatischen Situa-
tionszusammenhangs, in dem aktuelle sprachliche Handlungen aufzu-
treten pflegen. «37 Die sprachlichen Einheiten, mit denen sich die Logik
beschäftige, seien diejenigen, die bloß Sachverhalte darstellen, die »rein
darstellenden Aussagen«. Aus dem Zusammenhang ergibt sich, daß
diese in der üblichen sprechhandlungstheoretischen Terminologie den
»Propositionen« entsprechen. Nach diesen Aussagen wäre die Logik-
ganz äquivalent der formalistischen Aussagen- (und Prädikaten-)logik
- als »propositional calculus« verstanden.
Die Ausführungen der Logischen Propädeutik sind in diesem Punkte
offenkundig ungereimt. Zwar ist mit der Idee der Logik in dem Sinne
eine Invarianzvorstellung verbunden, daß die Regeln der Logik
unabhängig vom singulären Situationsbezug Gültigkeit haben sollen.
Damit ist jedoch nicht die Forderung zu begründen, daß ein proposi-
tionaler Teil einer Äußerung prinzipiell als von einem Sprechhand-
lungstyp losgelöst zu betrachten ist. Dies wird in der dialogischen
Logik auch vorausgesetzt: wenn »A« etwas anderes bedeutet als»? A«,
dann ja nur zufolge der unterschiedlichen performativen Charakteri-
sierung, denn die propositionalen Gehalte stimmen überein. Hätte es
die Logik somit mit rein kognitiven Aussagen (Propositionen) zu tun,
könnten die »Züge« der dialogischen Logik nicht mehr so identifiziert
bzw. unterschieden werden, wie das für das Funktionieren der
Dialogspiele erforderlich ist. Wäre z.B. der Eröffnungszug »A« des
Proponenten nicht als Behauptungshandlung charakterisierbar, dann
könnte es sich ja auch um die Proposition eines Zweifels handeln. Die
mit der Charakterisierung von Dialogen mitgegebene Vorschrift, daß
(r-r) 0 p
1-· A vB.
?.AvB. 1-· A.; 1-· B.
49
0 p
t-.A-B.
t-. A. t-. B.
Wie sich zeigt, ist »behaupten« zuweilen »verteidigen«, zuweilen
»angreifen« und zuweilen etwas Drittes. Dieses Beispiel zeigt, daß die
vorgeschlagene pragmatische Ergänzung nicht in der zunächst erläu-
terten einfachen Weise durchgeführt werden kann. Offenkundig ist der
zu notierende Handlungstyp auch abhängig von der Dialogsituation
(z.B. Eröffnungssituation) und der gerade ziehenden Partei.
Auch der sich hier anbietende Weg, z.B. verschiedene Typen von
Behauptung in Abhängigkeit von der die Handlung vollziehenden
Partei zu unterscheiden, führt zu keiner Klärung. Die beiden Dialog-
parteien Proponent und Opponent sind nämlich keineswegs eindeutig
durch bestimmte Handlungstypen gekennzeichnet. Z.B. wird im Falle
der oben angegebenen Dialogregel für die Adjunktion der Ausdruck
»? .A vB.« gelesen als »Zweifel« (»dubito«), 39 »Angriff«, 40 »Bestrei-
ten«, 41 »die Rolle des Opponenten übernehmen«, 42 »Auffordern, zu
begründen« 43 •
Ohne künstliche orthosprachliche Rekonstruktion dürfte zunäch_st
nicht einleuchten, daß z.B. ein Zweifel eine Bestreitung ist (wer einen
Zweifel äußert, will sich doch gerade nicht festlegen) usw. Zunächst
kann man die Interpretation »die Rolle des Opponenten übernehmen«
außer acht lassen, weil die mit »?« bezeichnete Handlung auch vom
Proponenten vollzogen werden kann; ferner wird man, um den
Terminus »Opponent« einzuführen, auf»?« 7.urückgreifen müssen, so
daß ein terminologischer Zirkel entstünde. Im folgenden sollen die
Handlungen a) »Angreifen«, b) »Zweifeln«, c) »Bestreiten« und d)
»Auffordern« als mögliche Handlungen eines Opponenten in argu-
mentativen Kontexten genauer betrachtet werden.
a. Für den Opponenten ist »Angreifen« keine singuläre Sprechhand-
50
er, wie ( I - 2) zeigt, auch eine Behauptung als Angriff vollziehen kann. 44
»Angreifen« ist also auf elementare Sprechhandlungen zurückzufüh-
ren. Man könnte sich zur Beschreibung der Tätigkeit des Opponenten
folgende Frage-Antwort-Folge vorstellen:
A:»Was tut der Opponent?«
B:»Er greift an.«
A:» Wie tut er es?«
B: »Er zweifelt.«
»Angreifen« und »Verteidigen« sind somit gar keine eindeutigen
performativen Auszeichnungen, sondern Klassenbegriffe für perfor-
mative Auszeichnungen.
b. Die umgangssprachliche Verwendung von »Zweifeln« bzw.
»bezweifeln« hängt meistens mit einer möglichen Alternative zusam-
men, die zu bewerten oder zu entscheiden ist. »Ich zweifle, ob A« heißt
häufig »Ich weiß nicht recht, abervielleichtistB (und nichtA) der Fall«.
Zweifeln in diesem Sinn drückt also eher eine Gemütslage denn eine
argumentationsrelevante Handlung aus und wäre nach dem Klassifika-
tionsvorschlag von HABERMAS als repräsentative Sprechhandlung
einzuordnen. 45 Diese repräsentative Sprechhandlung kann jedoch die
Aufforderung mit ausdrücken wollen, einen Beitrag zur Behebung des
Zweifels zu leisten, etwa durch eine Begründung einer der zur Debatte
stehenden Möglichkeiten. Demnach würde die Äußerung eines Zwei-
fels auch als regulative Sprechhandlung klassifizierbar sein. Schließlich
kann »Zweifeln« auch eine konstative Sprechhandlung sein, und als
solche wird sie gerade in wissenschaftlich-akademischen Diskursen
vollzogen. »Ich zweifle, ob ... «heißt dann soviel wie: »ich halte für so
gut wie ausgeschlossen, daß . . . «. »Zweifeln« wäre also in diesem Fall
mit »Bestreiten« etwa gleichzusetzen. Nach den kommentierenden
Texten dürfte in den Fällen, in denen»?« als »Zweifeln« interpretiert
wird, eine rein regulative Sprechhandlung gemeint sein, wobei mit der
Aufforderung noch eine Wahlhandlung (bei Konjunktion und All-
44 Zuweilen wird daher allerdings auch bei dem Angriff auf das Antezedens ein
»?«notiert, z.B. CH. THIEL, Formale Logik, 24; P. LORENZEN/0. ScHWEMMER,
Konstruktive Logik, 66. Dann kann der Proponent jedoch einen Angriff
angreifen (auf eine Frage hin fragen), was ebenfalls ein wenig plausibler
argumentativer Zug ist. »Zweifel« sind zudem nach K. LORENZ, »Dialogspiele«,
42, unangreifbare Argumente.
45 Vgl. »Vorbereitende Bemerkungen«, 1 II ff.
quantifikation) verbunden ist. Demnach wäre es eindeutiger, »?«nicht
durch »Zweifeln«, sondern durch »Auffordern« zu paraphrasieren.
c. »Bestreiten« ist gegenüber »Zweifeln« eine eindeutig konstative
Sprechhandlung. Wer etwas bestreitet, übernimmt (im Gegensatz zu
einigen Formen des Zweifelns) u. U. Begründungspflichten. Diese
Deutung von »?« kommt der Dialogrege_l für die Negation am
nächsten. Wenn der Opponent »--i A « zieht, kann man den Angriff des
Proponenten mit »A « als Bestreitung von »-, A « bezeichnen. Dagegen
ist die Rede vom Zweifel hier weniger adäquat, weil der Proponent m
diesem Fall »A« behauptet. Allerdings scheint die Sprechhandlung
»Ich bestreite, daß A« in umgangssprachlicher Auffassung gleichbe-
deutend mit »Ich behaupte, daß nicht A« zu sein. Betrachtet man nun
die Dialogregel für die Negation mit Hilfe einer solchen intuitiven
Auffassung von »Bestreiten«, dann ist hier schon die klassische
Interpretation der doppelten Negationsbeseitigung am Werk, was der
intuitionistischen Interpretation der Negation widerspricht. In ande-
ren FäUen, z. B. der Dialogregel für die Konjunktion, kann der Angriff
nicht als »Bestreitung«, sondern muß eher als »Aufforderung« gedeu-
tet werden; zieht der Opponent nämlich eine Teilaussage einer vom
Proponenten behaupteten Konjunktion, dann bestreitet er damit
nichts.
d. In vielen Fällen läßt sich die Angriffshandlung der Spieler in der
dialogischen Logik also als »Aufforderung« interpretieren, nämlich als
Aufforderung, die Begründung für eine vorherige Behauptung vorzu-
führen. In expliziter Form müßte also»? A« interpretiert werden als
»Ich fordere dich auf, A zu begründen!« Allerdings ist auch diese
Deutung nicht ohne erhebliche Schwierigkeiten. Zunächst geht in den
propositionalen Gehalt der Aufforderung gar nicht immerderproposi-
tionale Gehalt ein, dessen Begründung eigentlich verlangt wird. Z.B.
könnte ein Dialog um eine Konjunktion die Form haben:
0 p
f-.AAB.
?. A. f-. A.
53
spieltheoretischen Termini soll hier wiederum exemplarisch, und zwar
anhand der Termini »Gewinn« und »Verlust eines Dialogs«, geprüft
werden. Zunächst kann man gegen diese Termini einwenden, daß die
Rede von »Gewinnen« und »Verlieren« in argumentativen Kontexten
etwas Widersinniges an sich hat, weil sie Gesichtspunkte des Prestiges
und der Überlegenheit in einen Kontext bringt, in dem es um Konsens,
gemeinsames Erreichen eines Zwecks geht.
Gravierender ist dabei, daß die spieltheoretische Terminologie einer
argumentativen Auffassung der dialogischen Logik geradezu im Wege
steht. Hierzu soll wieder von der Annahme ausgegangen werden, daß
der praktische Zweck eines Dialogs bzw. Diskurses in der Herausbil-
dung eines Konsenses über Behauptungen besteht; der Konsens äußert
sich pragmatisch in Zustimmungsakten. Dialogische Situationen, in
denen von einer Zustimmung des Proponenten gesprochen werden
kann, lassen sich im Rahmen der dialogischen Logik durchaus
auszeichnen. Z.B. verläuft der Dialog um das Tertium non datur nach
der klassischen Spielregel (in pragmatisch ergänzter Notation) wie
folgt:
0 p
1-· Av 1A.
?.Av 1A. r· 1 A.
1-. A. 1-. A.
Da der Proponent dieselbe Behauptung vollzieht wie vorher der
Opponent, er also im Falle, daß der Opponent einen Beweis verlangt,
nur auf dessen eigene Behauptung zu verweisen braucht, wird in der
dialogischen Logik der Proponent zum »Gewinner« erklärt. Pragma-
tisch betrachtet hat der Proponent eine Behauptung vollzogen, die der
Opponent schon vorher vollzogen hat. Es läge also nahe zu sagen, daß
der Proponent einer Behauptung des Opponenten »zugestimmt« hat.
Warum aber soll er deshalb ein Gewinner, der Opponent dagegen ein
Verlierer sein? Allenfalls ließen sich noch plausible Gesichtspunkte
dafür ins Feld führen, daß derjenige, dessen Behauptung zugestimmt
wurde, in einem Streitgespräch als Gewinner den Platz verläßt:
schließlich hat er recht behalten. Adäquater dürfte jedoch die Rede-
weise sein, daß für beide Seiten der Zweck des Dialogs, nämlich
Einverständnis zu erzielen, erreicht sei. Es muß also unter argumenta-
54
tionspragmatischen Gesichtspunkten eine andere Terminologie
gewählt werden, um eine Dialogbeendigungsregel zu formulieren.
Die Ähnlichkeiten eines Diskurses um Behauptungen mit dem Wett-
kampf von Spielern sind pragmatisch betrachtet eher äußerlich. Mit
Zügen in Schachspielen wird beispielsweise von den Parteien kein
einzulösender Geltungsanspruch erhoben, wie das bei Beha~ptungen,
Bestreitungen usw. der Fall ist. Deswegen ist es zu den Zwecken, die
Menschen mit diskursiver Meinungs- und Willensbildung verfolgen,
e.her heterogen, wenn eine in einer bestimmten kulturellen Situation
ausgebildete Form des argumentativen Trainings und Wettkampfes,
wie sie zur Zeit der klassischen Philosophie üblich war, zum pragmati-
schen Leitfaden der Logik gewählt wird. 47
Diese Schwierigkeiten führen zu der Forderung, daß beim Aufbau
einer argumentationspragmatischen Terminologie auf spieltheoretisch
eingeführte Termini verzichtet werden muß zugunsten solcher Ter-
mini, die genuin mit der menschlichen Argumentationspraxis zusam-
menhängen.
Hat es die dialogische Logik nicht mit Propositionen, sondern mit
vollständigen Sprechhandlungen zu tun, dann sind die Dialogregeln,
die die Bedeutung der logischen Operatoren festlegen, als Reglemen-
tierungen für Sukzessionen von Sprechhandlungen zu verstehen. Über
die bisher behandelten »protologischen« Rechtfertigungsprobleme
hinaus läßt sich das Rechtfertigungsproblem der Logik im engeren Sinn
durch die Frage bestimmen, wie die Stringenz der Dialogschemata für
die logischen Operatoren gerechtfertigt wird. Betrachtet man etwa
einen Dialog wie ( 1 - 5), dann stellt sich die Frage, wieso die Abfolge der
Sprechhandlungen gerade so verlaufen soll; offensichtlich folgt dies aus
der pragmatisch festgelegten Bedeutung der verwendeten Operatoren;
diese wiederum ergibt sich jedoch aus der allgemeinen Spielregel -
offensichtlich ein Zirkel. Berücksichtigt man, daß gemäß der Konzep-
tion konstruktivistischer Rechtfertigung die dialogische Logik eine
Normierung des umgangssprachlichen Gebrauchs bestimmter Ver-
knüpfungswörter wie »und« vornehmen will und somit nicht auf eine
47 Die Motivation, die P. LORENZEN in »Logik und Agon« gibt, erscheint auch
unter historischen Gesichtspunkten eher willkürlich; die Zuordnung von
»intuitionistischer« zu »eristischer« und »klassischer« zu »dialektischer« Logik
ist ebenfalls wenig einsichtig (a. a. 0. 194); im übrigen hätte sie zur Folge, daß
sich Philosophen für die ausschließliche Verwendung der klassischen Logik
einsetzen müßten. Vgl. demgegenüber Logische Propädeutik, 160.
55
umgangssprachlich-intuitive Bedeutung zurückgreifen darf, 48 läßt sich
das Problem auch in folgender- zuerst von H. LENK formulierten 49 -
Variante darstellen: Wodurch wird die Abgrenzung der »logischen«
Operatoren wie »und« von den bloß grammatischen wie »aber«
gerechtfertigt? Dieses fundamentale Rechtfertigungsdefizit der dialo-
gischen Logik ist bis heute im Kern ohne methodisch zureichende
Antwort geblieben.
In der Behandlung des Problems lassen sich bei den Autoren der
konstruktiven Logik zwei unterschiedliche Tendenzen, und zwar eine
eher konventionalistische und eine eher argumentationspragmatische
feststellen. Die konventionalistische Bewältigung der Rechtfertigungs-
frage führt zu der Feststellung, die dialogische Logik möge zwar
willkürlich erscheinen, es seien jedoch keine Alternativen bekannt. so
K. LORENZ spricht im Zusammenhang mit der Rechtfertigung der
Dialogregeln ausdrücklich von »Vereinbarungen«, die jedoch von
bloßen Konventionen dadurch unterschieden seien, daß sie unver-
meidliche (unersetzbare) Präsuppositionen sind; dabei wird auch hier
auf den Mangel an Alternativen hingewiesen. 51 Diese Argumentations-
strategie kann jedoch nicht - hier ist LENKs Kritik inhaltlich voll
einschlägig - als Rechtfertigung betrachtet werden. Selbst wenn keine
Alternativvorschläge existieren sollten, 52 so lassen sie sich doch leicht
entwickeln. Beispielsweise läßt sich auch folgende Dialogregel für das
»oder« rekonstruieren, die auf Argumentationssituationen zurück-
greift, in denen der Opponent einer Alternative eine dritte Möglichkeit
entgegenstellt:
f-. c.
Eine Kritik an diesem »Alternativvorschlag« (der sich als »kontextva-
riant« nachweisen läßt) müßte nun auf rechtfertigende Gesichtspunkte
zurückgreifen, die sich aus der Argumentationspraxis ergeben.
Aus diesem Grunde liegen nur diejenigen Rechtfertigungsversuche in
der Linie eines konstruktivistischen Rechtfertigungsprogramms, die
für die dialogische Logik eine argumentationspragmatische Rechtferti-
gung versuchen. 53 Erst in einer »argumentativen Reorientierung der
Logik« und nicht schon »in deren dialogischer Stilisierung« kann nach
KAMBARTEL 54 der entscheidende Schritt der konstruktiven Logik über
die formalistischen Logikkonzeptionen hinaus gesehen werden. Eine
nicht bloß konventionalistisch verstandene Rechtfertigung logischer
Regeln macht eine pragmatisch orientierte Protologik erforderlich.
57
sich also nicht um Überlegungen, die wesentlich in den Aufbau der
Protologik selbst eingehen. 55
Der Terminus »Protologik« wurde bisher v. a. in bezug auf die
dialogische Logik bestimmt. Die Logik soll argumentativ gerechtfer-
tigt werden. Mit dem Thema der Argumentation beschäftigen sich
jedoch, wie einleitend (o.) dargestellt wurde, auch andere Disziplinen
wie Rhetorik, Topik, Argumentationstheorie. Daher soll zunächst
versucht werden, das Programm einer pragmatisch orientierten Proto-
logik in bezug auf die verschiedenen methodischen Zugänge zum
argumentativen Handeln zu bestimmen.
Offenkundig behandeln die verschiedenen Disziplinen das Phänomen
des Argumentierens in verschiedener Abstraktion. Die Rhetorik
beispielsweise hat es in traditioneller Auffassw1g mit dem» Überreden«
und »Überzeugen«, dem »persuasiven Handeln« zu tun. Überreden
und Überzeugen sind Handlungen oder Handlungskomplexe, deren
Gelingen an die Fähigkeit des Autors gebunden ist, genau diejenigen
sprachlichen Handlungen zu vollziehen, die einen bestimmten Adres-
saten zu einer Zustimmung veranlassen können. Was dem einen
zustimmungsfähig erscheint, muß es für den anderen gerade nicht sein.
Die Logik hat es nach der traditionellen Charakterisierung demgegen-
über mit Regeln zu tun, deren Zustimmungsfähigkeit sich mit einer
(wie inlmer gerechtfertigten) Zwangsläufigkeit ergibt. Der modus
barbara oder der modus ponendo ponens gelten nach diesem Vorver-
ständnis für jedermann und für jeden Inhalt. Offensichtlich sind bei
diesen Bestimmungen Vorstellungen über Varianz und Invarianz von
das sprachliche Handeln reglementierenden Vorschriften am Werk, die
hinreichend Anlaß sind, eine systematische Ordnung für Typen von
Argumentationsregeln unter dem Gesichtspunkt der Varianz und
Invarianz vorzunehmen.
Für die hier interessierende Differenzierung ist ausreichend, als
konstitutiv für eine »Diskurssituation« die beteiligten »Diskurspar-
teien« (Autoren und Adressaten von Sprechhandlungen) und den
spezifischen» Kontext« , zu dem die zur Debatte stehenden propositio-
nalen Gehalte gehören (gegebenenfalls einschließlich des institutionel-
len Rallmens) zu unterscheiden. Argumentationsregeln können nun
schlechthin situationsvariant oder situationsinvariant sein; man käme
somit zu einer terminologischen Dichotomie zwischen rhetorischen
55 Es handelt sich im Sinne von P. LORENZEN/ 0. ScHWEMMER um »protrepti-
sche Überlegungen« (Konstruktive Logik, 28).
und logischen Argumentationsregeln, wie sie für das traditionelle
Selbstverständnis beider Disziplinen grundlegend ist. Die Unterschei-
dung der Diskurssituationen in »Diskursparteien« und »Diskurskon-
text« erlaubt jedoch die Unterscheidung »mittlerer« Möglichkeiten:
Argumentationsregeln können nämlich auch »parteieninvariant«, aber
»kontextvariant« sein. Es geht hier um den großen Bereich von
Argumentationsregeln, die nicht-wie die Philosophen seit PLATON an
den rhetorischen Regeln immer wieder kritisieren - »bloß subjektiv«
sind, sondern für jedermann gelten, anderereits aber nur für bestimmte
ausdifferenzierte Argumentationskontexte, z.B. die forensische Rede,
gelten. Die Dichotomie zwischen »bloß« rhetorischen Regeln und
logischen Regeln hat in der Geschichte der bezogenen Disziplinen dazu
geführt, diese Spezies kontextabhängiger (oder mit TOULMIN:
bereichsabhängiger56 ) Regeln entweder der einen oder der anderen
Seite zuzuschlagen. Z. B. ist das »argumentum a simile« der Juristen ein
spezielles Argument für Kontexte, in denen durch einen Kodex
beurteilte Kasus als leitend für eine Praxis der Subsumtion ausgezeich-
net sind - ein Argumentationsschema, das offenkundig in Kontexten,
in denen kein Subsumtionsproblem besteht, sinnlos ist. Dies hindert
jedoch nicht, daß Argumentationsregeln für das »argumentum a
simile« gefunden werden, deren Vernünftigkeit gegenüber »jeder-
mann« gerechtfertigt werden kann. Argumentationsregeln, die par-
teieninvariant, aber kontextvariant sind, sollen »topisch« genannt
werden. 57
Räumt man diese Spezies topischer Regeln zwischen rhetorischen und
logischen ein, dann ergibt sich die Aufgabe, Stufen zunehmender
Invarianz, und zwar sowohl bezüglich der Diskursparteien als auch
bezüglich der Diskurskontexte, sinnvoll zu konstruieren. Bezüglich
der Diskursparteien können Regeln zunächst individuenvariant sein.
Die Verwendung des Terminus» Regel« bedeutet hier lediglich, daß ein
individueller Adressat einem Argument gewöhnlich (»regelmäßig«)
zustimmt. Regeln können ferner für Klassen von Individuen gelten und
somit gruppenvariant sein; neben den gewöhnlichen Regeln sozialen
Urteilens sind hier auch die sozialen Regeln von scientific communities
zu nennen (die nicht mit den von der Wissenschaftstheorie analysierten
und rekonstruierten Argumentationsschemata identisch sind). Regeln
56 Der Gebrauch von Argumenten, Kap. r.
57 Die terminologische Adäquatheit ist v. a. in bezug auf die jüngere Diskus-
sion der »Rechtslogik« gegeben; s.o. o.
59
können schließlich unabhängig von den gerade agierenden Parteien für
jedermann gelten und somit parteieninvariant sein; die Konstruktion
derartiger invarianter Regeln des Redens und Handelns ist das
klassische Aufgabenfeld der Philosophie bis hin zu PERELMANs »uni-
versellem Auditorium« und APELs »idealer Kommunikationsgemein-
schaft«. 58
Entsprechend können Argumentationsregeln nur für konkrete gespro-
chene oder geschriebene Äußerungen bestehen; sie haben dann den
Status von äußerungsvarianten grammatischen Regeln und erstrecken
sich in diese_m Fall lediglich auf den Inhalt einer konkreten Äußerung.
Auf einer nächsten Ebene stehen solche Regeln, die für Zusammen-
hänge von Äußerungen gelten und in diesem Sinn als kontextvariant zu
bezeichnen sind. Schließlich sind solche Regeln zu berücksichtigen, die
kontextinvariant sind.
Situationsvariante (parteienvariante und kontextvariante) Regeln sol-
len rhetorische heißen; situationsinvariante sollen demgegenüber
logische heißen. Die dazwischenliegenden Varianten sollen topische
Regeln heißen (wobei sich weitere mögliche Unterscheidungen
abzeichnen, die hier nicht verfolgt zu werden brauchen). Eine systema-
tische Entwicklung rhetorischer, topischer und logischer Regeln
ergäbe eine umfassende »Argumentationstheorie«. Eine solche Argu-
mentationstheorie müßte methodisch in einer Rekonstruktion von
argumentationsrelevanten Sprechhandlungen und Reglementierungen
für Sukzessionen von Sprechhandlungen auf verschiedenen Stufen von
Invarianz bestehen. Eine systematische Rekonstruktion von Sprech-
handlungen heiße eine »Pragmatik von Sprechhandlungen« oder (da
andere als sprachliche Handlungen im folgenden keine Rolle spielen)
kurz eine» Pragmatik«. Eine Analyse situationsvarianter Regeln heiße
eine »materiale Pragmatik«; sie dürfte im Kern in empirischen Untersu-
chungen über die Verwendung bestimmter Äußerungsformen von
Individuen (sozusagen einer empirisch-deskriptiven Grammatik des
Argumentierens) bestehen. Demgegenüber soll in denjenigen Fällen,
in denen in mindestens einer Hinsicht das methodische Problem
auftritt, invariante Regeln zu rechtfertigen, von einer »formalen
Pragmatik« gesprochen werden.
Die in ( I. 1) und ( I. 2) programmatisch entwickelte, pragmatisch
orientierte Protologik ist speziell auf die Rechtfertigung logischer
58 CH. PERELMAN/L. ÜLBRECHTS-TYTECA, TheNewRhetoric, bes. 31-35;K.-
O. APEL, »Die Kommunikationsgemeinschaft«.
60
Regeln bezogen. Nach der jetzt vorgeschlagenen Terminologie stellen
die logischen Regeln nur einen Typ von Argumentationsregeln dar;
falls es eine argumentativ gerechtfertigte Logik gibt, ist sie jedenfalls
nicht mit der Argumentationstheorie identisch, sondern ein Teil
derselben. Die Rede von der konstruktiven Rechtfertigung der Logik
im Rahmen einer Protologik läßt sich jetzt dahingehend präzisieren,
daß es darum geht, aus der menschlichen Argumentationspraxis, wie
sie unterimpliziterund exerziter Beachtung rhetorischer und evtl. auch
topischer Regeln gewöhnlich erfolgreich verläuft, die Gültigkeit
logischer Regeln formal-pragmatisch zu rechtfertigen. Die Protologik
ist also nicht identisch mit Rhetorik und Topik, sondern stellt eine
»Auswahl« rhetorischer und topischer Gesichtspunkte unter dem
methodisch leitenden Interesse einer Rechtfertigung der Logik dar.
Anders formuliert: zur methodischen Rechtfertigung der Logik muß
man nicht auf Rhetorik und Topik zurückgreifen, man setzt jedoch in
den Bereichen argumentativen Selbstverständnisses an, mit denen es
auch Rhetorik und Topik zu tun haben. Die Protologik folgt somit
auch den methodischen Maximen einer formalen Pragmatik.
Die hier eingeführten terminologischen Abgrenzungen werden in
folgender Übersicht zusammengefaßt:
Argumentationstheorie
Re! eln Disziplin Methode
parteien- kontext-
variant variant Rhetorik materiale
...!<l
"5h Pragmatik
0
invariant variant Topik 28...., formale
invariant invariant Logik ~ i:i... Pragmatik
68
Gratulation auszuführen oder entgegenzunehmen. Wer jedoch eine
Handlung wie (2- 1) versteht, der versteht sie nicht nur gerade hier und
jetzt. Er versteht vielmehr, eine Gratulation auszusprechen; erversteht
deshalb auch einen Satz der Art
»Jemand gratuliert jemandem wegen etwas.«
Dieser Satz ist ersichtlich nicht der Vollzug einer Gratulation. Er gibt
vielmehr an, wie man eine Gratulation aussprechen könnte. Z.B.
würde man diesen oder einen ähnlichen Satz heranziehen, wenn das
Aussprechen einer Gratulation gelernt werden soll.
Die Beobachtung soll nur als Beispiel dienen, um den »Sitz im Leben«
der Suche nach situationsinvarianten Schemata deutlich zu machen.
Während der Zweck einer Äußerung wie (2- 1) z. B. darin besteht, eine
Anerkennung auszusprechen, um zur Wiederholung einer Tat zu
motivieren oder jemandem zu schmeicheln, weil man sich davon
Vorteile verspricht, liegt der Zweck einer Äußerung von der Art (2- 3)
darin, jemandem das Aussprechen einer Gratulation verständlich zu
machen und ein verläßliches Muster anzugeben, um die Handlung
(2- 1) vollziehen zu können. Situationsdistanzierte Rede ist prinzipiell
nur deshalb möglich, weil es ein lebensweltliches Interesse daran gibt,
daß Handlungen von anderen in einer bestimmten Bedeutung aufgefaßt
werden (daß z.B. eine Gratulation gewöhnlich nicht mit einer
Beschimpfung verwechselt wird) (Verständlichkeit); dies bedingt, daß
allgemeine Merkmale für Handlungen eingeübt sind, die die eindeutige
Wiederholbarkeit einer Handlung erlauben (Verläßlichkeit). Mensch-
liche Rede dient neben vielen anderen Zwecken jedenfalls auch dem
Zweck, Verständlichkeit und Verläßlichkeit des Handelns zu schaffen
bzw. zu erhalten. (2-3) gibt somit unter dem Gesichtspunkt der
Verständlichkeit und Verläßlichkeit ein »Schema« für das Aussprechen
von Gratulationen in beliebigen Situationen (d. h. mit beliebigen
Individuen als Autor und Adressat und beliebigem Kontext) an. Ein
Verfahren der Bildung von (hier: sprachlichen) Handlungsschemata
soll »Schematisierung« heißen. Ein Handlungsschema erlaubt die
Wiederholung einer konkreten Handlung bei Wahrung der pragmati-
schen Eindeutigkeit. Schematisierung ist die Kunst, solche Handlungs-
schemata bilden zu können. 2
Für das methodische Verständnis einer konstruktivistischen Logik-
2 Zum Terminus »Handlungsschema« vgl. W. KAMLAH/P. LORENZEN, Logi-
sche Propädeutik, 95 ff.; W. KAMLAH, »Sprachliche Handlungsschemata«.
rechtfertigung ist dieser Schritt der Ausbildung von Handlungssche-
mata entscheidend. Die »logischen Strukturen«, die das methodische
Ziel der Überlegungen darstellen, ergeben sich nicht als ein aliud
gegenüber der »Umgangssprache«. Es handelt sich vielmehr um die
Isolation und Präparation von sprachlichen Phänomenen, die neben
anderen tatsächlich in selbstverständlichem lebensweltlichen
Gebrauch sind. Solche Phänomene werden aus der Totalität lebens-
weltlicher Sprachpraxis unter Auswahlgesichtspunkten ausgewählt.
Andere Auswahlgesichtspunkte (z.B. ästhetische, empirische) führen
zu einer anderen Auswahl. Auswahlgesichtspunkte, die im Interesse
eines methodisch gesicherten Ganges funktionieren, sollen» Prinzipien
der Ausdifferenzierung« heißen. Sie liefern -metaphorisch gesprochen
- diejenigen Bausteine, aus denen das Gebäude theoretischen Wissens
(hier: »die Logik«) gebaut(konstituiert) wird. Sie haben also-inälterer
philosophischer Terminologie- die Funktion von Konstitutionsprin-
zipien. 3
Derartige Ausdifferenzierungsprinzipien sind ihrerseits nicht willkür-
lich gewählt, sondern beruhen auf lebensweltlich ebenfalls vorfindli-
chen Zwecksetzungen. Diese sind in Beantwortung der Frage
bestimmbar, warum überhaupt situationsinvariante Handlungssche-
mata zur Verfügung stehen sollen, warum überhaupt Verständlichkeit
und Verläßlichkeit von sprachlichen Handlungen sein sollen. Man
kann sich anhand von Beispielen nun leicht vor Augen führen, daß ohne
derartige Handlungsschemata menschliche Kommunikation und Koo-
peration nicht denkbar sind. Nur sie sichern die Kontinuität des
gemeinsamen Handelns über die Zeit hinweg und somit menschliches
Lehen überhaupt. 4 Ein »oberster Zweck« sei dann formuliert, wenn die
erneute Frage nach dem Warum nur noch die Antwort fände: weil wir
(über-)leben wollen. Demgemäß sind Kommunikation und Koopera-
tion oberste Zwecke, Verständlichkeit und Verläßlichkeit Mittel zu
diesen. Dies bedeutet: Verfahren, die der Verständlichkeit und Verläß-
lichkeit menschlicher Rede dienen, sind mittelbar Mittel zur Ermögli-
chung kommunikativen und kooperativen Handelns. Mit dem
abstrakten Terminus einer »lebensweltlichenAusdifferenzierung« von
72
bestimmter Handlungen nicht denkbar. Wer beispielsweise Aufforde-
rungen nicht versteht, kann auch die in (2-4) formulierte Aufforde-
rung nicht verstehen. Es gibt somit keinen Weg, die Bedeutung von
»auffordern« empragmatisch einzuführen. 7 Vielmehr muß, wer an
menschlicher Kommunikation und somit Kooperation teilhaben will,
schon wissen, was '>>auffordern« heißt, um in Befolgung einer Auffor-
derung der Art (2-4) weitere Handlungen lernen zu können.
»Handeln« läßt sich methodisch als »befolgen einer Aufforderung«
einführen; 8 demgegenüber läßt sich »auffordern« methodisch nicht als
Spezies oder Exemplarfür »handeln« einführen (»handeln« ist nämlich
kein Terminus, der eine Handlung bezeichnet, so daß diese z.B. durch
Nachahmung erlernt werden könnte). Diese methodische Reihenfolge
ist wichtig, weil sie deutlich macht, daß die Verwendung des Terminus
»Sprechhandlung« als Spezies zu »Handlung« und die Verwendung
von »Aufforderung« als Exemplar zu »Sprechhandlung« nicht die
methodische Ordnung der Einführung dieser Termini bestimmt. Auch
die pragmatische Devise, Sprechen sei Handeln, kann nicht so auf-
gefaßt werden, als brauche man zunächst eine Handlungstheorie, um
sodann als speziellen Fall eine Sprechhandlungstheorie zu entwickeln.
Methodisch ist umgekehrt von Aufforderungen auszugehen, aufgrund
ihrer Rekonstruktion sodann exemplarisch der Begriff »Sprechhand-
lung« einzuführen und erst dann ein Vorschlag für die pragmatische
Bedeutung des Abstraktors »Handlung« zu entwickeln.
Zur gemeinsamen Vorverständigung über kooperatives Handeln
gehört somit jedenfalls die Beherrschung des Handlungsschemas für
Aufforderungen. Aufforderungen stellen nach den methodischen
Vorüberlegungen einen möglichen (wenn auch vielleicht nicht den
einzig möglichen) Anfang für den methodischen Aufbau einer gemein-
samen Sprache dar. Eine konstruktivistisch orientierte Rechtfertigung
bestimmter Sprachreglementierungen (wie es z.B. logische Regeln
sind) kann folglich davon ausgehen, daß jedermann versteht, was eine
Aufforderung ist.
Die einfachste Form von Aufforderungen stellen diejenigen dar, bei
denen Adressat und Gehalt der Aufforderung aufgrund der situativen
Eindeutigkeit der Äußerung nicht vollständig explizit ausgedrückt
73
werden. Man versetze sich zum Beispiel (um an ein Paradigma
WITTGENSTEINs anzuknüpfen)9 in eine Situation, in der ein kooperati-
ves Arbeitskontinuum, das in der Anreichung und Aufschichtung von
Platten besteht, unterbrochen wird, und derjenige, der die Ausliefe-
rung einer neuen Platte erwartet, nun äußert: -
(2-5) »Platte!«
Für den Adressaten ist die »Bedeutung« dieser Äußerung in der Regel
klar: es ist an ihn die Aufforderung gerichtet, das Anreichen von Platten
fortzusetzen. Wäre dem Adressaten unbekannt, was die Bedeutung
einer Aufforderung ist, wäre er vermutlich bereits aus dem Arbeitspro-
zeß ausgeschlossen worden.
Außerhalb der skizzierten Situation, z.B. im Rahmen eines Berichts
über die Bautätigkeit, ist die Äußerung (2-5) demgegenüber nicht
mehr unmittelbar verständlich. Will man sich über eine Aufforderung
des Typs (2-5) verständigen, müssen eine Reihe von Zusätzen
indexikalischer Ausdrücke vorgenommen werden, so daß z.B. die
Äußerung gebildet wird:
(2-:6) »Al~ ich wegen eines Schmerzes im Arm die Tätigkeit
unterbrach, forderte X mich auf, die nächste Platte zu
reichen.«
Die Äußerung ist offenkundig keine Aufforderung mehr. Sie
beschreibt vielmehr eine Aufforderung der Art (2-5) und macht
explizit, welche situativen Elemente in (2-5) implizit enthalten sind
und die Bedeutung von (2-5) mitbestimmen. Neben Ausdrücken für
Autor und Adressat der Äußerung gehören dazu auch kontextuelle
Merkmale. Für den Adressaten der Äußerung (2-6) muß nämlich
implizit klar sein, daß es z.B. um einen Bericht vom Hausbau geht.
( 2- 5) ist jedenfalls nicht so gemeint, daß der Adressat in jeder Situation
Platten reichen soll, sondern eben gerade in jener. Aufforderungen der
Art (2- 5) sind also als bedingte Aufforderungen zu explizieren, wobei
in den Bedingungssatz diejenigen kontextuellen Merkmale aufzuneh-
men sind, die für die Äußerung pragmatisch unentbehrlich sind.
Deutlicher wird dies, wenn Aufforderungen sich auf Handlungen
beziehen, die weiter in der Zukunft liegen, wie z.B.:
(2-7) »Wenn ich das Zeichen gebe, hol die Platte!«
Aufforderungen der bisher betrachteten Art zeichnen sich dadurch
74
aus, daß sie den Zweck der verlangten Handlung nicht angeben.
Gewöhnlich ist dem Adressaten nämlich deutlich, warum er seine
Handlung ausführen soll. Aufforderungen vom Typ (2- 5) bzw. (2-7)
sollen daher »afinale Aufforderungen« heißen. 10
Allerdings ist auch denkbar, daß die Störung kontinuierlicher Koope-
ration durch eine Äußerung wie (2-5) noch nicht beseitigt ist, weil der
Adressat ihr nicht folgt. Dafür können (vorausgesetzt, der Adressat
»versteht« die Aufforderung) zwei Gründe maßgebend sein: entweder
der Adressat ist bezüglich der Zweckmäßigkeit der Aufforderung
anderer Meinung- z.B. glaubt er, daß an dieser Stelle ein Balken zu
nehmen sei -, oder er hält die Bedingung, von der die Aufforderung
implizit oder explizit abhängig ist, für nicht gegeben - im Beispiel
(2-7): er ist der Meinung, daß das Zeichen nicht gegeben wurde. Die
beiden Varianten erfordern vom Autor der Aufforderung, will er das
gestörte Handlungskontinuum fortsetzen, unterschiedliche Reaktio-
nen. Im ersten Fall kann er etwa darauf hinweisen, daß abweichend von
den bisherigen Gepflogenheiten die Mauer höher gebaut werden soll.
Er wird also eine »finale Aufforderung« äußern. Der Adressat kann nun
auch die Befolgung dieser Aufforderung verweigern usw. Diese Linie
der Beseitigung kommunikativer Störung soll in diesem Zusammen-
hang nicht weiter verfolgt werden; 11 sie würde zu einer Logik von
Imperativen führen (s. u. 3.3 Zusatz). Im anderen betrachteten Fall
würde der Autor der Aufforderung z.B. geltend machen:
(1-8) »Ich habe das Zeichen gegeben.«
Diese Äußerung ist keine Aufforderung; sie verlangt nämlich nicht die
Ausführung der Handlung, um die es in der gekennzeichneten
Situation geht, sondern die Anerkennung der Tatsache, daß die
vereinbarte Bedingung vorgelegen hat. Der Autor derÄußerung (2-8)
erhebt also den Anspruch, daß der Fall ist, was die Äußerung
beinhaltet, daß er nämlich das Zeichen gegeben hat. Äußerungen dieses
Typs sollen »Behauptungen« genannt werden.
Behauptungen sind wie Aufforderungen Handlungen, die bereits
bekannt sein müssen, wenn ein Individuum erfolgreich an einer
Einführungssituation teilnehmen will. Da nämlich solche Situationen
75
nur mit Hilfe von Aufforderungen erzeugt werden können, Aufforde-
rungen jedoch implizit oder explizit einen eine Situation kennzeich-
nenden »Bedingungsteil« beinhalten, können sie nur voll verstanden
werden, wenn auch über das tatsächliche Bestehen dieser situativen
Merkmale geredet werden kann. Behauptungen müssen v. a. deshalb
geäußert werden können, weil die zu lernenden Handlungsschemata
gerade bei Varianz der situativen Bedingungen gekonnt und verstanden
werden sollen; es müssen Behauptungen verschiedenen Inhalts geäu-
ßert werden, um die Bedingungen jeweils (wenigstens in der Vorstel-
lung) abzuändern.
Sowohl die Äußerung der finalen Aufforderung als auch die Behaup-
tung (des Vorliegens der Bedingung) haben die Aufgabe, diejenigen
Hindernisse aufseiten des Adressaten auszuräumen, die bewirken, daß
die Arbeit nicht, wie der Autor der Aufforderung es wünscht,
fortgesetzt wird. Sie sollen die erste Aufforderung somit in ihrer
beabsichtigten Wirkung unterstützen. Fordert der Adressat den Autor
auf, eine solche stützende Äußerung zu vollziehen, dann soll seine
Äußerung »Zweifel« genannt werden. Zweifel können in verschiede-
ner grammatischer Gestalt geäußert werden. Z.B. könnte der Adressat
der Aufforderung (2- 5) in Form eines Fragesatzes den Zweife! äußern:
»Warum nicht den Balken?«
Pragmatisch gleichbedeutend wäre jedoch auch der Imperativsatz:
(2-IO) »Sage mir, warum jetzt noch eine Platte kommt!«
Die Aufforderung, zur Stützung der Aufforderung (2- 5) eine Behaup-
tung der Art (2-8) zu vollziehen, könnte der Adressat der ersten
Aufforderung etwa durch die Äußerung vollziehen:
(2-II) »Hast du das Zeichen gegeben?«
Zweifel im hier eingeführten Sinn sollen also nur solche Äußerungen
sein, die eine regulative Funktion in bezug auf die Äußerungen einer
Person haben; jede repräsentative oder konstative Bedeutung soll aus
der Bedeutung von »Zweifel« ausgeschlossen bleiben.
Die Einführung der Bedeutung von »Zweifeln« unterscheidet sich von
derjenigen von »Auffordern« und »Behaupten« grundlegend. Wäh-
rend »Auffordern« und »Behaupten« schon gekonnte Handlungen
sein müssen, damit überhaupt eine Lehr- und Lernsituation zustande
kommt, kann die Bedeutung von »Zweifeln« durchaus in einer solchen
Lernsituation eingeübt werden. Dazu braucht man lediglich - wie
gezeigt - auf die Bedeutung von »Auffordern« und »Behaupten«
zurückzugreifen. Sprachliche Handlungen, deren Bedeutungen
bereits vor jeder Einführungssituation bekannt sein müssen, sollen
»atomare Sprechhandlungen« heißen. Diese Wortwahl ist deswegen
angebracht, weil, wie am Beispiel von »Zweifeln« gezeigt wurde, ihre
Bedeutungen pragmatisch so zusammengefügt werden können, daß
die Bedeutung einer neuen Sprechhandlung eingeführt werden kann;
Sprechhandlungen, die mit Hilfe atomarer Sprechhandlungen eingeübt
werden können, sollen entsprechend »molekulare Sprechhandlungen«
heißen. 12
Statt eines Zweifels kann der Adressat einer Aufforderung wie (2-5)
aber auch die verlangte Handlung ausführen. Gibt er dadurch exerzit
oder explizit kund, daß er die Angabe eines Zwecks oder eine
Behauptung als Stützung anerkennt, dann kann sein Handeln als
»Zustimmung« gewertet werden. Eine solche Zustimmung kann
jedoch pragmatisch unterschiedliche Folgen haben. Angenommen, der
Adressat der Aufforderung habe einer Behauptung zugestimmt, dann
kann die Situation beschrieben werden, in welcher ein dritter Beteilig-
ter nun vom Adressaten der Aufforderung ebenfalls den Grund für die
Aufforderung wissen will. Ist der Adressat der ursprünglichen Auffor-
derung nun bereit, die Behauptung des ursprünglichen Autors als seine
Behauptung zu übernehmen, und erhebt er somit ebenfalls den
Anspruch, daß der Fall ist, was die Behauptung beinhaltet, dann kann
seine frühere Zustimmung als» Zustimmung im starken Sinn« bezeich-
net werden; ist er dagegen zur Übernahme einer solchen Behauptung
nicht bereit, heiße seine Zustimmung eine» Zustimmung im schwachen
Sinn«. Für das folgende sei vorgeschlagen, »Zustimmen« nur noch im
starken Sinn zu verstehen. 13 »Zustimmen« ist eine weitere molekulare
Sprechhandlung, die unter Rückgriff auf Situationen der Aufforderung
und Behauptung empragmatisch eingeführt werden kann.
Eine letzte Reaktionsmöglichkeit für den Adressaten besteht darin, den
Inhalt einer Behauptung gerade nicht für gegeben zu halten. Eine
77
entsprechende Äußerung soll-und damit wird eineweiteremolekulare
Sprechhandlung eingeführt - »Bestreitung« heiß-en. Im Unterschied
zum Zweifel übernimmt der Adressat der ursprünglichen Aufforde-
rung mit einer Bestreitung die Gewähr dafür, daß nicht der Fall ist, was
der Autor der Behauptung behauptet. Während das Behaupten also
diejenige Fähigkeit ist, durch die für das Zusprechen eines Prädikators
ein Geltungsanspruch erhoben wird, greift das Bestreiten entspre-
chend auf das Absprechen eines Prädikators zurück. Im Vorgriff auf die
später (3-64ff.) einzuführenden Negatorregeln läßt sich allerdings
feststellen, daß eine Bestreitung in eine Behauptung der negierten
Proposition überführbar ist. Vom Standpunkt einer vollständigen
Terminologie her kann man daher-rückblickend-auf die methodische
Einführung von »Bestreiten« auch verzichten.
Wollen Menschen ihr Handeln redend vorbereiten oder unterstützen,
dann müssen sprachliche Handlungsschemata des Aufforderns,
Behauptens, Zweifelns und Zustimmens zur Verfügung stehen. Diese
sind evtl. mehrfach zu vollziehen, um ein Handlungskontinuum
(erneut) zu sichern. Das Auftreten einer Störung, die auf einem
mangelnden Einverständnis bezüglich einer Aufforderung besteht, soll
ein »Konflikt« heißen; besteht ein mangelndes Einverständnis bezüg-
lich einer stützenden Behauptung, soll von einem »Dissens« zwischen
den Handlungs-/ Gesprächspartnern gesprochen werden. Ein Konflikt
bzw. Dissens besteht so lange, wie der Adressat der Aufforderung bzw.
Behauptung Zweifel äußert; gelingt es demgegenüber, eine Zustim-
mung des Adressaten herbeizuführen, ist der Konflikt bzw. Dissens
beseitigt (»Konsens«). Kommt ein Konsens bezüglich einer Aufforde-
rung zustande~ soll von einer gelungenen (sonst: mißlungenen)» Recht-
fertigung« der Aufforderung gesprochen werden; im Fall der Behaup-
tung von einer »Begründung« der anfänglichen Behauptung. Der Fall
der Rechtfertigung von Aufforderungen (der Beseitigung von Konflik-
ten) bleibt hier außer Betracht. Im folgenden sind somit im Interesse
gemeinsamer Handlungsmöglichkeiten die Bedingungen zu untersu-
chen, die erfüllt sein müssen, damit Begründungen für Behauptungen
zustande kommen.
Zu diesem Zweck ist zunächst genauer zu bestimmen, welche
Momente das Handlungsschema der Aufforderung und der Behaup-
tung auszeichnen (da »Bezweifeln« und »Zustimmen« mittels der
beiden atomaren Sprechhandlungen einführbar sind, genügt es, sich
auf »Auffordern« und »Behaupten« zu beschränken).
Über ein Handlungsschema verfügt man dann, wenn man die Hand-
lung in verschiedenen Situationen auszuführen versteht, d. h. wenn
man weiß, was man tun muß, damit eine bestimmte Handlung in jedem
Fall gelingt. Handlungsschemata lassen sich somit durch die Angabe
von situationsinvarianten Gelingensbedingungen angeben. 14 Ersicht-
lich lassen sich also Sprechhandlungen (wie Handlungen generell)
durch Angabe derjenigen bedingten Aufforderungen auszeichnen, bei
deren Befolgung man genau die gemeinte Handlung vollzieht. Sind
solche Aufforderungen situationsinvariant formuliert, s9llen sie
»Regeln« heißen. Regeln haben also die Form:
(2-12) »Immer wenn ... der Fall ist, tue - - -!«
Zur abgekürzten Schreib- und Redeweise (also als stenographische und
stenophatische Konvention) sei für eine bedingte Aufforderung der Art
(2-12) folgende Form (»Regelpfeil«) vorgeschlagen:
(2-13) ... =>---
Wie man leicht erkennt, ist (2-12) das Schema einer Aufforderung;
Aufforderungen sind (wie bereits betont) also nicht zirkelfrei zufolge
einer Regel der Form (2- 12) einführbar; dasselbe gilt, da imDissensfall
das Zutreffen der Bedingung behauptet werden muß, für Behauptun-
gen. Die Angabe von Gelingensbedingungen ergibt sich daher in
Beantwortung der Frage, welche Momente an Aufforderungen und
Behauptungen bekannt sein müssen, damit eine kommunikative
Handlungsvorbereitung möglich ist.
Aufforderungen und Behauptungen sind eingeführt worden als spezi-
fische Sprechhandlungen, die dem Zweck dienen, kooperative Störun-
gen durch Reden zu beseitigen. Eine solche Störung ist beseitigt, wenn
der Adressat einer entsprechenden Aufforderung bzw. Behauptung
zustimmt. Aufforderungen und Behauptungen werden somit mit dem
Anspruch auf Zustimmung durch den Adressaten geäußert. Die
Zustimmungsfähigkeit einer Aufforderung oder Behauptung heiße
ihre »Geltung«. Daß eine Aufforderung oder Behauptung mit
Anspruch auf Geltung erhoben wird, bedeutet dann: der Autor der
Aufforderung muß bereit sein, auf einen Zweifel des Adressaten der
Aufforderung hin eine Rechtfertigung bzw. eine Begründung vorzule-
gen. Das bedeuet (gemäß der schon eingeführten Bedeutung der
14 Vgl. zu diesem Verfahren]. L. AusTIN, Zur Theorie der Sprechakte; J. R.
SEARLE, Sprechakte.
79
verwendeten Termini): der Autor der Aufforderung muß bereit sein,
auf einen Zweifel hin (je nachdem, ob sich dieser auf den Behauptungs-
teil oder Aufforderungsteil der Aufforderung bezieht) eine weitere
Aufforderung oder eine Behauptung zu vollziehen, um seine erste
Aufforderung zu stützen, mit dem Ziel, die entstandene Handlungs-
störung zu beseitigen. Von einer Behauptung kann somit nur gespro-
chen werden, wenn der Autor dieser Behauptung nicht nur sagt, daß
etwas (nicht) der Fall ist (prädiskursives Zu- bzw. Absprechen eines
Prädikates), sondern mit dieser Äußerung zugleich einen Geltungsan-
spruch erhebt und bereit ist, diesen auf Verlangen einzulösen. 15 Dieser
Sachverhalt soll abgekürzt »Präsupposition von Geltung« heißen. 16
Die Präsupposition von Geltung ist eine entscheidende Gelingens-
bedingung für Aufforderungen und Behauptungen.
An entsprechenden Beispielen kann man sich klarmachen, daß nicht
jeder Satz, der grammatisch die Form eines Deklarativsatzes hat,
bereits der Vollzug einer Behauptung ist. Es bedarf dazu entscheidend
des Vollzugs des Geltungsanspruches. Andererseits kann nicht ein
Geltungsanspruch als solcher vollzogen werden, ohne daß geäußert
wird, wofür denn Geltung beansprucht ist. An Aufforderungen und
Behauptungen lassen sich somit zwei unverzichtbare Aspekte unter-
scheiden: kontextuell muß jeweils zwischen Autor und Adressat der
Äußerungen eindeutig sein, daß ein Geltungsanspruch erhoben wird
und wofür der Geltungsanspruch erhoben wird. Eine Aufforderung
oder Behauptung kann somit nur gelingen, wenn sie ein vollzugsmäßi-
ges ( »performatives«) und inhaltliches (»propositionales«) Moment
realisiert. Entsprechend sei zwischen der »Performation« und der
»Proposition« einer Äußerung unterschieden. 17 Die Unterscheidung
kann dadurch als sinnvoll demonstriert werden, daß man gleiche
Sachverhalte in verschiedener Performation und gleiche Performation
mit verschiedenem Sachverhalt äußern kann, wobei sich jeweils eine
80
andere Äußerung ergibt. Gleiche Proposition weisen auf:
»Gib das Zeichen!«
»Ich gebe das Zeichen.«
Gleiche Performation (Aufforderung) wird vollzogen in:
(2-16) »Gib das Zeichen!«
(2-17) »Reiche die Platte!«
Nach den gegebenen Erläuterungen liegt die Performation einer
Aufforderung oder Behauptung (neben einigen anderen Präsupposi-
tionen) entscheidend im Vollzug der Präsupposition der Geltung. Eine
weitere Gelingensbedingung ist darüber hinaus, daß in einer Aufforde-
rung oder Behauptung ein Bezug zu einem Sachverhalt ausgedrückt
werden kann. Nur durch diesen Bezug gibt es nämlich für den
Adressaten der zur Debatte stehenden Äußerungen eine Möglichkeit,
über die Reaktion (Zweifel bzw. Zustimmung) zu entscheiden. In
diesem Zusammenhang kann von einer »Präsupposition des Sachbe-
zugs« gesprochen werden. 18
Wenn die Fähigkeit, Propositionen zu bilden, eine Präsupposition für
das Gelingen von Aufforderungen und Behauptungen ist, dann bleibt
zu klären, wie diese Fähigkeit zu verstehen ist. Elementare Formen von
Verständigung wie die Aufforderung (2-5) setzen die Fähigkeit von
Autor und Adressat voraus, zwischen Gegenständen unterscheiden zu
können. Eine Verständigung käme nicht zustande, wenn der eine unter
»Platten« diejenigen Gegenstände versteht, die der andere gerade
»Balken« nennt. Im Fall einer derartigen terminologisch bedingten
81
Störung bleibt den Beteiligten nichts anderes übrig, als durch deiktische
Handlungen exemplarisch ihren Wortgebrauch in Übereinstimmung
zu bringen. Eine derartige Auszeichnung und Unterscheidung von
Gegenständen, die Ergebnis exemplarischer Abstimmung ist, soll
»Prädikation« heißen. Häufig ist ü her die Abgrenzung von Gegenstän-
den verschiedener Art hinaus notwendig, einzelne derselben Art
auszuzeichnen, wie es z.B. in der Aufforderung:
(2- I 8) »Diese Platte!«
geschieht. Eine derartige Bezugnahme auf Gegenstände soll »Nomina-
tion« heißen. Weitere unverzichtbare Präsuppositionen der sprachli-
chen Handlungen des Aufforderns und Behauptens sind somit die in
Prädikation und Nomination vorgenommenen Sachbezüge. 19
Die präsuppositionalen Momente von Aufforderungen und Behaup-
tungen, wie sie bisher herausgestellt wurden, werden durch folgendes
Schema dargestellt:
Äußerung
./~proposltlon
Pe rformanon
..
. .
N ommanon /\pra"d'kanon
i
.
27 A.a.O. 6.
88
gen) würde man dieser Handlung den Handlungscharakter nicht
absprechen. Auch bloß situatives Handeln ist Handeln. Das Verfügen
über situationsinvariante (wiederholbare) Handlungsschemata ist
zwar angesichts der Zwecke menschlichen Handelns eine unabding-
bare Überlebensbedingung; für ein vernünftiges Leben sollte daher
gelten, daß die Intention einer Handlung die Aktualisierung eines
Handlungsschemas ist (welche Aktualisierung wiederum durch einen
Zweck bestimmt sein sollte); man wird jedoch nicht sagen können, daß
nicht-intentional handelt, wer seine Handlung nicht als Aktualisierung
eines Handlungsschemas vollzieht. Wer mit einem Gegenstand derge-
stalt auf einen anderen schlägt, daß sich ein Effekt ergibt, den derjenige,
der das entsprechende Handlungsschema versteht, als »hämmern«
identifiziert, aber nicht weiß, daß er dieses Handlungsschema aktuali-
siert, hämmert gleichwohl. KAMBARTEL verlangt daher auch, daß die
Intentionalität einer Handlung durch »intentionale Interpretation«, v.
a. durch Dialoge mit dem Handelnden, zu klären sei. 28 Wer allerdings
in einen Dialog über intentionale Interpretation eintritt, muß über ein
Minimum an symbolischen Handlungen bereits verfügen.
b. Körperliche Handlungen, die Trägerhandlungen für symbolische
Handlungen sein können, sollen im Duktus der hier eingeführten
Terminologie »subatomare« Handlungen heißen. Die Genese von
Sprechhandlungen kann in der Regel (abgesehen vom schwierigen Fall
der »Unterlassungshandlungen«) auf eine oder mehrere Trägerhand-
lungen zurückgeführt werden. Da diese Trägerhandlungen jedoch
einer pragmatisch-konventionellen Deutung bedürfen, die kulturva-
riant ist (z.B. Kopfnicken »bedeutet« in abendländischer Kultur etwas
anderes als in asiatischer), gibt es keinen eindeutigen Übergang von den
Trägerhandlungen zu den symbolischen Handlungen, wie übrigens
auch nicht von atomaren zu molekularen symbolischen Handlungen.
Die Mehrdeutigkeiten der handlungstheoretischen Bedingungsver-
hältnisse lassen sich in einem hierarchischen Handlungsbaum (mit
umgangssprachlichen Beispielen) darstellen. 29
Das Schema soll zeigen, daß pragmatische Bedingungsverhältnisse in
vielen Fällen mehrdeutig sind. Kann Kopfnicken Trägerhandlung für
»Zustimmen« als auch (in einem gegebenen institutionellen Rahmen)
für »Zum Tode verurteilen« sein, dann läßt sich »Zustimmen« nicht
28 Ebd.
29 Vgl. D. WUNDERLICH, »Handlungstheorie und Sprache«.
(2-28) Handlungsbaum mit Sprechhandlungen
Ebene (Sprech-)Handlung
molekular Ausführen einer
3. Stufe Handlung
~/~
1. Stufe
hz. Dies ist ein Arm. =? hz. Dies ist nicht ein Bein.
Als Regelschema läßt sich angeben:
hz. Fa. =? hz. Ga. oder hz. Fa. =? hz. Ha.
(Ga sei.die Abkürzung für: »G wird a abgesprochen«)
92
Autor der Behauptung keinen Übergangvon(2-8) zu(2-29)fürdener
Zustimmung erwarten könnte.
Da ein derartiger Übergang zunächst nur aufgrund eines konventionel-
len Einverständnisses (situationsvariant) gilt, soll von einer »Über-
gangsregel« (»R«) gesprochen werden. 31 Eine explizite Stützung einer
Behauptung besteht somit in der Anwendung einer Übergangsregel
zwischen der zuerst behaupteten Proposition und der zur Stützung
herangezogenen. Wird eine Proposition . q. kraft einer Übergangsregel
als Stützung einer Proposition. p. behauptet, dann soll .q. »Argument«
für .p. heißen. Die entsprechend geregelte Folge von Behauptungen
heiße eine »Argumentation«; für sie läßt sich folgendes Schema
angeben:
rx· q. ~ rx· P· oder (abgekürzt) rx· p,q,R.
Für die abgekürzte Schreibweise32 ist zu beachten, daß mit ihr eine
Übergangsregel für zwei Behauptungen mit den Propositionen p und q
bezeichnet ist. Äußerungen, die im propositionalen Teil mehrere
Propositionen enthalten, sollen »propositional mehrstellig« (im Unter-
schied zu den »propositional einstelligen«) heißen. Durch die abge-
kürzte Schreibweise mittels einer propositional mehrstelligen Behaup-
tung wird also der Übergang zwischen zwei propositional einstelligen
Behauptungen notiert.
Der Übergang zwischen Behauptungen zufolge und kraft einer
Prädikatorenregel ist für die Rekonstruktion von Argumentationen
und somit für die Ausdifferenzierung logischer Regeln entscheidend.
Übergangsregeln sind allerdings noch keine logischen Regeln; die
propositionale Bedeutung von p, q ist nämlich in lebensweltlichen
Kontexten gewöhnlich situationsvariant. In vielen Fällen ist der
Übergang bereits kontextuell eindeutig, so daß eine Übergangsregel
nicht explizit genannt wird. Sind sich zwei Gesprächsparteien z.B.
über den Gebrauch der natürlichen Zahlen und des Prädikators ». . . ist
Platte« einig, können sie bezüglich der Frage, ob auf diesem Haufen 200
Platten liegen, uneinig sein. Da die Argumentation in diesem Fall
jedoch auf der Hand liegt (man zählt die Platten), bleibt die Übergangs-
31 Sie sind mit S. ToULMINs »Warrants« vergleichbar (The Uses, 97ff.). Die
Übersetzung von »Warrant« durch »Schlußregel« (Der Gebrauch, 97ff.) ist
irreführend, da »Schluß« bereits zu einer logischen Terminologie gehört.
32 Die zweite Notationsweise wird gebraucht, um die Auszeichnung vertikaler
Diskurse (s. u.) zu vereinfachen.
93
regel (etwa: »Wenn du 200 mal auf eine je neue Platte weisen kannst,
dann sind es 200 Stück.«) implizit. Weniger trivial ist bereits der Fall
folgender Behauptung:
»Der Balken ist stabil.«
Der Autor dieser Behauptung könnte auf einen entsprechenden
Zweifel hin z.B. die Behauptung vorbringen:
»Er trägt die Last von 200 Platten.«
Eine Argumentation liegt vor, wenn implizit oder explizit die Über-
gangsregel in Anspruch genommen wird:
fx. Er trägt die Last von 200 Platten. => fx. Er ist stabil.
Die Explikation dieser Übergangsregel kann dann von Bedeutung sein,
wenn der Adressat der Behauptung (2-35) zwar der Behauptung
(2-36) zustimmt, aber eben nicht (2-3 5). In diesem Fall zweifelt er
gerade an der Prädikatorenregel (2-37), die als Übergangsregel fun-
giert.
Dieser Fall zeigt, daß ein vermeintlich gemeinsamer Sprachgebrauch
u. U. erst dadurch als nicht gegeben erkennbar wird, daß neben den
geäußerten Propositionen (der zuerst behaupteten und der stützenden)
explizit diejenige unter den Prädikatorenregeln, die als Übergangsregel
fungiert, angegeben wird. In Fortführung der Regel der Explizitheit
(2-23) sei daher vorgeschrieben:
»Beschreibe Argumentationen explizit (d. h. durch
Angabe der gestützten und der stützenden Proposition und
der Übergangsregeln)!«
Die bisher vorgenommene Rekonstruktion erlaubt nun, den Sinn von
ToULMINs Plädoyer für »substantielles Argumentieren« 33 und das
Verhältnis zwischen rhetorisch/topischen zu logischen Argumenten zu
klären. »Substantielles Argumentieren« ist ein solches, bei dem die
Prädikatorenregelsysteme nicht bereits vollständig, sondern nur (ent-
sprechend den bisherigen Zwecksetzungen) partiell in Übereinstim-
mung gebracht wurden. Daher ist möglich, daß als Übergangsregeln
Prädikatorenregeln auftauchen, die in der bisherigen partiell gemeinsa-
men Sprache noch nicht vorkamen. Bei lebensweltlichem Argumentie-
94
ren trifft diese Beschreibung in aller Regel zu. Lebensweltliches
Argumentieren ist somit nicht bloß »analytisch«, sondern beinhaltet
»riskante« Übergänge, die über ein bestehendes Einverständnis hin-
ausgehen. »Dissense«, die beim lebensweltlichen Argumentieren
auftauchen, sind jedoch Anlaß, fortschreitend einen gemeinsamen
Sprachaufbau zu verwirklichen. Der Grenzfall eines vollständigen
gemeinsamen Prädikatorensystems ist daher lebensweltlich tenden-
ziell vorgezeichnet.
Gelten Prädikatorenregeln (was ohne explizite methodische Anstren-
gung zunächst durchweg der Fall ist) nur in Abhängigkeit von
Situationen, haben die Übergangsregeln einen rhetorischen Status (s. o.
r. 3). Substantielles Argumentieren im Sinne von TOULMIN ist rhetori-
sches Argumentieren. Da die methodische Konstruktion parteieninva-
rianter Terminologien von tatsächlich auftauchenden Dissensen sub-
stantieller Art ausgeht und somit schrittweise erfolgt, ist die Existenz
rhetorischer Argumentationen die lebensweltliche Grundlage für die
Ausdifferenzierung topischer und schließlich logischer Regeln. Dies
bedeutet jedoch nicht, daß für den methodischen Fortgang der
Überlegungen bis zur Ausgrenzung logischer Regeln eine vollständige
Theorie rhetorischen Argumentierens (die v. a. die verschiedenen
Varianten von Übergangsregeln und verschiedene Grade von Zustim-
mung rekonstruieren müßte) zur Verfügung stehen muß. Durch die
bisher angestellten Überlegungen soll der Terminus einer »rhetori-
schen (also situationsvarianten) Übergangsregel« als exemplarisch
eingeführt gelten.
Im nächsten Schritt müßte es dann darum gehen, solche Prädikatoren-
regelsysteme einzuführen, die für jedermann die Unterscheidungen
eines Ausschnitts der Welt zur Verfügung stellen. Auf diese Weise
käme man zu einer verbindlichen Terminologie in einem Bereich
(wobei der Begriff des »Bereichs« durch die Terminologie bestimmt
wird, nicht umgekehrt). Steht eine solche Terminologie zur Verfü-
gung, dann sind die nunmehr verwendeten Übergangsregeln nur noch
»analytisch« im Sinne TüULMINs, d. h. es kann über Argumentationen
im bisher eingeführten Sinn keine Dissense mehr geben (wenn es sie
doch gibt, dann muß die Terminologie verbessert werden). Auf diese
Weise gelangt man zu einer Theorie topischer Argumentationsregeln.
Für das folgende soll unterstellt werden, es sei gelungen, Terminolo-
gien als Grundlage topischen Argumentierens aufzubauen. Logische
Argumentationsregeln ergeben sich dann als Regeln für alle »Bereiche«
95
(Kontexte). Sie setzen somit voraus, daß topische Regeln existieren.
Eine Lehre vom Aufbau von Terminologien geht daher aus methodi-
schen Gründen als »logische Propädeutik« der Logik voraus. Für die
Rechtfertigung der Logik (Protologik) kann das Gelingen eines
T erminologieaufbaus vorausgesetzt werden.
Die bisherigen Überlegungen gestatten nun, den Begriff des »Diskur-
ses« ohne Inanspruchnahme einer logischen Terminologie einzufüh-
ren. 34 Wie schon betont, beschränkt sich das folgende auf »Begrün-
dungsdiskurse«, also solche, die mit einer Behauptung anfangen. Die
an einem Diskurs beteiligten Individuen oder Gruppen sollen »Dis-
kursparteien « (»II«) (kurz: »Parteien«) heißen. Aufgrund der bisheri-
gen Überlegungen lassen sich genau zwei Parteinahmen unterscheiden.
Diejenige Diskurspartei, die die anfängliche Behauptung vertritt und
gegebenenfalls auf einen Zweifel der anderen Partei hin eine Argumen-
tation vollzieht, soll »Proponent« heißen; diejenige, die zweifelt oder
zustimmt, »Opponent«. »Proponent« (»P«) und »Opponent« (»Ü«)
sind Termini für Funktionen (Rollen), die konkrete Parteien in
Diskursen einnehmen können (also nicht Bezeichnungen für Indivi-
duen oder Gruppen). Diese Termini sind eindeutig über Sprechhand-
lungstypen eingeführt: ein Proponent (besser: diejenige Partei, die die
Rolle des Proponenten übernommen hat) vollzieht nur Behauptungen;
ein Opponent nur Zweifel oder Zustimmungen (alle Termini jeweils im
eingeführten Sinn). Diese einfache Zuordnung erlaubt, auch komple-
xere Fälle argumentativer Kontexte zu rekonstruieren. Der Fall, daß
zunächst eine Partei etwas behauptet, später die andere (z.B. in Form
einer Bestreitung), ist als Komplexion zweier Diskurse mit wechseln-
den Rollen zu verstehen. Der Fall einer »dritten« Funktion, z.B. eines
Schlichters, ist ebenfalls rekonstruierbar: wer schlichtet, behauptet
oder bezweifelt etwas; entsprechend sind die Rollen im Diskurs
zuzuordnen. Die Zuordnung gilt schließlich auch für den Grenzfall des
»Gesprächs der Seele mit sich selbst«, in welchem ein Individuum
zugleich zwei Rollen im Diskurs übernimmt (»Denken«).
Zudem erlaubt die Bestimmung der Rollen im Diskurs auch eine genaue
Abgrenzung gegenüber nicht-diskursiven Formen von sprachlicher
Interaktion, in denen z. B. die Rollen von Sprecher/Hörer (Informant/
(2-40) 0 p
f-. p.
?. p. f-. p,q,R.
?. q.
lf-. p.
Bei der Rekonstruktion (2-40) wurde unterstellt, daß 0 in seiner
zweiten Handlung die stützende Proposition (»Prämisse«) bezweifelt,
die Übergangsregel dagegen akzeptiert. In einem solchen Fall soll (in
Anlehnung an TouLMINs Schema 36 ) von einer »horizontalen Diskurs-
dimension« gesprochen werden. Bezweifelt 0 dagegen die Übergangs-
regel R, so daß P zur Stützung weitere Ri heranziehen muß, ergibt sich
eine Standardform für »vertikale Begründungsdiskurse«.
Vertikale Diskurse führen schließlich auf die Prädikatorenregeln
zurück und betreffen somit die zugrunde gelegte gemeinsame
Sprache. 37
35 Hier liegt der Mangel aller rhetorischen Konstruktionen, die von der
pragmatischen Situation eines Sprechers vor einem Auditorium ausgehen (z.B.
CH. PERELMAN/L. ÜLBRECHTS-TYTECA, The New Rhetoric, 19 u. ö.).
36 The Uses of Argument, ror.
37 Nach TouLMIN ist vertikal nur noch Jer Schritt von » warrant« zu » backing«
97
(2-41) 0 p
f-. p.
?. p. f-. p,q,R1.
?. R1. f-. Rt> R1, R3.
?. R1.
lf-. p.
Die eingeführten Unterscheidungen zeigen, daß die Parteien nach
ihren Rollen spezifische Aufgaben haben (somit keine Unterscheidung
nach den Gesichtspunkten »aktiv/passiv« möglich ist). Während P die
Aufgabe hat, Argumente zu suchen, die Aussicht auf Zustimmung
haben, muß 0 jeweils zwischen Zweifel und Zustimmung wählen; 0
bestimmt damit sowohl die Länge als auch die Dimension des
Diskurses.
Stimmt eine Partei II einer anfänglichen Behauptung von. p. zu, dann
heiße. p. »relativ begründet (bezüglich II)«. Läßt sich zeigen, daß eine
Behauptung von . p. gegenüber jedermann begründbar ist, kann also
aufgrund einer parteieninvariant eingeführten Teminologie die
Zustimmung einer jeden Partei, die die Rolle des 0 übernimmt,
erwartet werden, dann heiße . p. »absolut begründet« oder »wahr«. 38
Als Abkürzung für die Beschreibung, daß die (relative oder absolute)
Begründung für eine Behauptung gelungen (bzw. mißlungen) ist, wird
notiert:
( a. a. 0., I 04) möglich. Abgesehen von dem undiskursiven Charakter zeigt sich
hier auch die mangelnde propositionale Flexibilität des Schemas (vgl. die
Exemplifizierung bei D. WUNDERLICH, Linguistik, 69-74). Alle Gesichts-
punkte von TouLMINs Analyse sind in der hier vorgeschlagenen Rekonstruktion
enthalten (s. auch oben o.).
38 Entsprechend wird im folgenden in bezug auf Aufforderungsdiskurse
»relativ/absolut gerechtfertigt (richtig)« verwendet. -Die »Konsensustheorie«
der Wahrheit ergibt sich also nach diesem Vorschlag aufgrund einer konstrukti-
ven Konzeption des Diskurses; vgl. genauer W. KAMLAH/P. LORENZEN,
Logische Propädeutik, IV§ 1-3; K. LORENZ, »Der dialogische Wahrheitsbe-
griff«; J. HABEKMAS, »WahrheiLslheorien«.
tives Verb. »IF« kann daher als weiterer Performator betrachtet
werden.
Bisher wurden Vorschläge für die Konstruktion und Rekonstruktion
von Begründungsdiskursen vorgelegt, die gelten sollen, wenn über-
haupt die Interaktionsform des Diskurses gewählt wird. Alle Schritte
der Konstruktion wurden gerechtfertigt unter dem Gesichtspunkt,
Mittel zum Zweck der kommunikativen Handlungsvorbereitung zur
Verfügung zu stellen. Daß Handeln kommunikativ vorbereitet werden
soll, daß somit Kooperation notwendig ist, dürfte ein »oberster
Zweck« im eingeführten Sinn sein (2. r). Jedenfalls ist der Zweck der
Kooperation nur optimal zu erreichen, wenn die Forderung nach
gemeinsamer Handlungsvorbereitung für jedermann und jeden Kon-
text gilt. Daher ist als »Rationalitätspostulat« aufgrund der bisher
eingeführten Terminologie jetzt formulierbar:
»Begründe deine Behauptungen, wenn gegen sie ein Zwei-
fel geäußert wird!«
Dieses Postulat ist auf Behauptungen beschränkt; seine Erweiterung
für Rechtfertigungsdiskurse (»Rechtfertige deine Aufforderungen
. . . «) wäre in einer entsprechenden Rekonstruktion solcher Diskurse
zu rechtfertigen. Rationalitätspostulate dieser Art sind selbstverständ-
lich keine Regeln der Rhetorik, Topik oder Logik, sondern gehören zur
»Ethik der Logik« (K. LORENZ) 39 ; sie lassen sich also nur durch
Rückgriff auf gemeinsame oberste Zwecke rechtfertigen. Weitere
Regeln diskursiven Handelns lassen sich nun am Leitfaden der Frage
formulieren, wie gehandelt werden muß, damit Begründungsdiskurse
gelingen können. Ergibt sich aus Störungen der Kommunikation und
Kooperation die Notwendigkeit diskursiver Meinungsbildung, dann
muß jedermann das Recht haben, durch Aufforderungen bzw.
Behauptungen eine Beseitigung der Störung zu versuchen. Nach dem
Rationalitätspostulat (2-43) übernimmt er damit jedoch im Zweifels-
fall Begründungspflichten. Dem entspricht, daß auch jeder das Recht
hat, Aufforderungen und Behauptungen zu bezweifeln. Damit ergibt
sich als »Regel der Symmetrie«
»Jeder hat das Recht/die Pflicht, die Rolle des Opponenten/
Proponenten zu übernehmen!«
99
Der Terminus »Begründung« ist bisher so eingeführt worden, daß nur
eine Zustimmung im starken Sinn (d. h. eine solche, die zugleich die
Übernahme eigener Begründungsverpflichtung präsupponiert) zu
einer Begründung führt. Diskurse, die das Ziel haben, schwächere
Formen der Zustimmung (vom faktischen Nicht-Bestreiten bis zum
Befolgen aufgrund von Zwängen) zu erreichen, sollen »persuasiv«
heißen. Daher sei an dieser Stelle ausdrücklich die »Regel der Nicht- ,
Persuasivität« formuliert, die sich aus dem Rationalitätspostulat, der
Regel der Symmetrie und der Einführung von »Begründen« bereits
ergibt:
»Diskutiere nicht persuasiv!« 40
Die Befolgung der Regeln der Symmetrie und der Nicht-Persuasivität
ist notwendige Bedingung dafür, daß Begründungsdiskurse im charak-
terisierten Sinn zustande kommen können. Damit eine Begründung
tatsächlich gelingt, müssen die Parteien sich entscheiden, im gemeinsa-
men Interesse (bzw. im Interesse aller) zu behaupten bzw. zu
bezweifeln, was kontextuell behauptet bzw. bezweifelt werden muß.
Dies kann nicht durch Reglementierung vorab entschieden werden.
Z.B. ist nicht sinnvoll, dem Proponenten vorzuschreiben, nur zu
behaupten, was er glaubt, da die Frage, was ein Proponent glaubt, im
Zweifelsfall wiederum diskursiv zu beantworten wäre. Grundsätzlich
ist konstruktiv keine Diskurs-Regel sinnvoll, deren Befolgung nicht
durch das tatsächliche Äußerungshandeln konkreter Individuen nach-
prüfbar ist. Ob jemand das Rationalitätspostulat befolgt, ist daran zu
erkennen, ob er auf einen Zweifel hin eine argumentative Behauptung
vollzieht. Ob jemand jedoch aufrichtig ist, d. h. nur das behauptet, was
er »meint«, entzieht sich einer pragmatischen Prüfung. 41
Es ist jedoch möglich, über die bisherigen Regeln hinaus solche
anzugeben, deren Befolgung das Gelingen eines Begründungsdiskur-
ses aussichtsreicher erscheinen läßt als ihre Nicht-Befolgung. Sie sollen
durch den Terminus »Strategieregeln« zusammengefaßt werden.
100
Begründungsdiskurse scheitern u. a. dann, wenn P für die Aufstellung
einer argumentativen Behauptung keine Prämisse und Übergangsregel
findet, der 0 zustimmen kann. Schreitet der Diskurs nun dergestalt
fort, daß 0 jeweils Zweifel an stützenden Propositionen oder Über-
gangsregeln äußert, die P angibt, besteht die Gefahr, daß der Diskurs in
zur Verfügung stehender Zeit an kein Ende kommt. Von einem
Diskurs, der derart verläuft, daß von einer Behauptung aus immer
weiter zurückgegangen wird, bis evtl. eine Zustimmung erreicht wird,
soll gesagt werden, daß er in »reduktiver Richtung« verläuft. Die
bisherige Rekonstruktion horizontaler und vertikaler Diskurse ging
von der Unterstellung eines derartigen reduktiven Begründens aus.
Ein Diskurs, der nicht gelingt, weil kein gemeinsamer sprachlich
artikulierbarer Vorrat an »Überzeugung« besteht, ist auch durch
Regeln nicht zu retten. Es kann jedoch der Fall sein, daß ein Diskurs in
reduktiver Richtung nicht deshalb scheitert, weil kein Einigungsvorrat
besteht, sondern wiel P ihn faktisch nicht findet und als Prämisse an
geeigneter Stelle des Rückgangs verwenden kann. In diesem Fall
scheitert ein Diskurs de facto, obwohl er nicht scheitern müßte.
Dieser pragmatisch unzweckmäßige Fall wird prinzipiell vermieden,
wenn P und 0 vor dem Diskurs explizit vereinbaren, was im gegebenen
Kontext als Konsens gelten kann. P hat nun im Aufsuchen seiner
Prämissen und Übergangsregeln die Möglichkeit, »Strategisch« an
geeigneter Stelle auf sein Wissen um diesen Konsens zurückzugreifen.
Verläuft ein Diskurs ausgehend von einem Einverständnis in der
beschriebenen Weise, soll von einer »produktiven Richtung« gespro-
chen werden. Als »I. Strategieregel« kann daher formuliert werden:
»Diskutiere produktiv!«
103
reller Zeitmangel begründet also nicht nur ein Interesse an Diskursab-
kürzungsregeln, sondern - gewissermaßen gegenläufig - auch ein
Interesse an Diskursaufiösungs(-vereinfachungs-)regeln. Beide Regel-
typen gehören zusammen: sind diejenigen Regeln bekannt, die eine
Abkürzung und Zusammenfassung von Handlungssukzessionen in
Diskursen erlauben, dann müssen auch diejenigen Regeln zur Verfü-
gung gestellt werden, die die Auflösung solcher Komplexionen
erlauben. Diskursabkürzung und Diskursvereinfachung sind die fun-
damentalen Gesichtspunkte, nach denen die Rekonstruktion von .
Regeln unter dem Gesichtspunkt strukturellen Zeitmangels durchzu-
führen ist.
Strategien der Diskursabkürzung sind generell durch den Versuch
ausgezeichnet, die Heranziehung aller denkbaren Zweifel und Gründe
durch geeignete Verfahren auszuschließen. Dies kann prinzipiell auf
zweierlei Weise geschehen. Sind wir in lebensweltlichen Kontexten
nicht in der Lage, in allen Diskursen, in denen uns betreffende Fragen
verhandelt werden, unsere Zweifel oder Zustimmungen zu äußern -sei
es wegen äußerer Hindernisse, Mangel an Sachverstand, Überlastung
durch Entscheidungsdruck, Mangel an Zeit - so versuchen wir doch
wenigstens, unsere Entscheidung an andere, die über entsprechende
Kapazitäten verfügen, zu delegieren. Ferner streben wir an, diese
Diskursteilnehmer auf Annahmen zu verpflichten, die in jedem Fall zu
akzeptieren sind, und solche Annahmen auf Dauer zu stellen. In
solchen Fällen versuchen wir also, Diskursabkürzungen und -begren-
zungen durch Institutionalisierung zu erreichen. 1
Eine ganz andere Strategie der Diskursabkürzung besteht in dem
Versuch, die ZustimmungsfähigkeitvonAufforderungen und Behaup-
tungen bereits von vornherein (a priori) zu beurteilen, d. h. unter
Verzicht auf die Überprüfung der Rechtfertigbarkeit bzw. Begründ-
barkeit der Prämissen und Regeln dem Inhalt nach. Da in der
lebensweltlichen Argumentationspraxis immer schon eine Reihe von
Aufforderungen und Behauptungen als gerechtfertigt bzw. begründet
gelten, ist es zum Beispiel möglich, unter Berufung auf bereits
gelungene Rechtfertigung und Begründung eine Zustimmung zu einer
weiteren Aufforderung oder Behauptung herbeizuführen, ohne auf
den Inhalt (die Regeln und Gründe) der neuen Aufforderung bzw.
Behauptung eingehen zu müssen. Beispielsweise ist in der lebensweltli-
1 Vgl. H. LOBBE, »Pragmatismus«; C. F. GETHMANN, »Ist Philosophie als
Institution nötig?«.
104
chen Argumentationspraxis der Versuch geläufig, jemanden, der der
Behauptung von . p. aufgrund von . q. zugestimmt hat, nun auch zur
Zustimmung der Behauptung von. r. aufgrund von. q. zu verpflichten.
Hier wird als Regelhandeln verlangt, daß jemand, der .q. zustimmt,
nicht kurz darauf .q. die Zustimmung verweigern darf. Auf ein solches
Regelhandeln pocht man unabhängig von der »Bedeutung«, die. q. nun
gerade hat. Zur lebensweltlichen Argumentationspraxis gehört also
- allgemein gesprochen - der Versuch, argumentative Verknüpfungen
von mehreren Aufforderungen und Behauptungen heranzuziehen, die
regelmäßig Zustimmung ermöglichen, ohne daß auf die Begründbar-
keit einzelneroder (im Grenzfall) irgendwelcher Aufforderungen bzw.
Behauptungen diskursiv eingegangen werden muß. In solchen Fällen
versuchen wir, Diskursabkürzungen durch-wie im terminologischen
Vorgriff gesagt werden soll- Logisierung von Diskursen zu erreichen.
106
Zur Rechtfertigung und Rekonstruktion logischer Regeln ist von der
Frage auszugehen, in welchen Fällen wir bereit sind, einer Behauptung
zuzustimmen, ohne die Gründe, die ein P heranzieht, zu bezweifeln.
Für die Rechtfertigung logischer Regeln ist also die Frage leitend,
welcher ÄußerungO zustimmen kann unter der Voraussetzung, daßer
vorher einer anderen zugestimmt hat. Einen Spezialfall bilden diejeni-
gen Behauptungen, denen 0 unter jeder, Voraussetzung zustimmen
kann. Haben Behauptungen eine solche Form, sollen sie logisch-
beweisbare Behauptungen heißen.
Aufgrund dieser allgemeinen Charakterisierung lassen sich zwei
methodische Schritte angeben, die zu vollziehen sind, um eine logische
Regel im eingeführten Sinn zu rechtfertigen.
a. Die Zusammenfassung von singulären Handlungen zu Handlungs-
komplexen (Diskursabkürzung) bzw. die Auflösung von Handlungs-
komplexen in elementare Handlungen (Diskursvereinfachung) sind
lebensweltlich geläufige Praxis. Ein lebensweltlich gebräuchlicher
Übergang ist gemäß dem praktischen Interesse, das diskursiver
Verständigung zugrunde liegt und gemäß den speziellen Interessen der
Abkürzung und Vereinfachung explizit einzuführen, d. h. es sind
diejenigen Diskurssituationen zu beschreiben, die durch Befolgung der
entsprechenden Regeln entstehen, so daß ein Lernender sich gemäß
entsprechenden Anweisungen in solche Situationen versetzen
kann.
108
bestimmte Handlungsschemata zu verfügen (hier: zwei Handlungen
nacheinander vollziehen zu können). Der durch die logische Regel
bestimmte Terminus wird also »empragmatisch«, 4 d. h. unter Rück-
griff auf ein lebensweltlich gewöhnliches Handeln eingeführt. Ist nun
in einer konkreten (primären) Diskurssituation ein entsprechendes
Handlungsschema nicht bekannt, so muß der formalpragmatischen
Rekonstruktion entnommen werden können, wie Situationen her-
stellbar sind, in denen das entsprechende Handeln gelernt werden
kann.
Die logischen Regeln unterscheiden sich von den grammatischen
dadurch, daß sie die Sprache allein unter dem Gesichtspunkt diskursi-
ven Handelns (nicht z.B. des genetischen Spracherwerbs) betrachten
und Regeln ausdrücklich formuliert und gerechtfertigt werden. Diese
Sicht der Logik hat LORENZEN gelegentlich durch die Gleichset-
zung von »Logik« mit »normativer Grammatik« zum Ausdruck
gebracht. 5
Unter Berücksichtigung der Kritik von LENK an der konstruktiven
Logikbegründung wird im folgenden nicht bereits ein bestimmter Satz
von Operatoren als logische vorausgesetzt. Ob z.B. ein Operator,
durch welchen Propositionen verknüpft werden, die Formulierung
logischer Regeln erlaubt, d. h. solcher, die unabhängig von Situation,
propositionalem Kontext und beteiligten Individuen gelten (z.B.
»und« im Gegensatz zu »aber«) ist jeweils erst zu zeigen. Dies ist
allerdings nur deshalb zirkelfrei möglich, weil vorab die pragmatische
Struktur logischer Regeln eingeführt wurde.
LENK hat seinen Zirkelvorwurf gegenüber der konstruktivistischen
Logikbegründung auch so ausgedrückt, daß die bisherige Logik bereits
bei der konstruktiven Einführung der logischen Partikel »Pate gestan-
den« habe. 6 Dieser Einwand ist zweideutig und erlaubt die U nterschei-
dung zwischen einer stärkeren und einer schwächeren Variante von
Logikrechtfertigung. Die stärkere Variante würde das Programm
beinhalten, die logischen Operatoren auf irgendeine Weise, z.B. aus
einer allgemeinen Aussageform oder durch kombinatorische Verfah-
ren, zu deduzieren. LENKs Zirkelvorwurf ist mit dem Vorwurf
109
verbunden, daß dies in der konstruktiven Logik nicht gelungen sei. 7
Das Ziel, das LENK durch die konstruktive Logikbegründung nicht
erreicht sieht, besteht darin, die logischen Konstanten durch irgendein
Verfahren von einem »fundamentum inconcussum« her zu rechtferti-
gen. Ein solches »deduktives« Rechtfertigungsprogramm würde
jedoch von der pragmatisch unhaltbaren Fiktion ausgehen, daß die
Verwendung von Argumentationsregeln einem sprachunfähigen
Wesen erst noch andemonstriert werden müßte. Diese stärkere
Variante ist ein Fall des in der Logischen Propädeutik als ein »von
vornherein aussichtsloses Vorhaben der Vernunft« 8 gekennzeichneten
Fundamentalismus. Demgegenüber - und damit ist die schwache .
Variante charakterisiert - kommt es darauf an, jene Regeln auf ihre
Rechtfertigung hin kritisch zu untersuchen, die in der lebensweltlichen
Argumentationspraxis mehr oder minder ausdrücklich verwendet
werden und deren Verwendung aufgrund einer Kulturgeschichte
rationaler Lebensformen, die schließlich de facto u. a. zur Entstehung
einer eigenen wissenschaftlichen Disziplin »Logik« geführt hat, dar-
stellbar sind.
Allerdings gibt es auch für diese »schwache« Variante des Rechtferti-
gungsprogramms einer »Logik« noch ein spezifisches Zirkelproblem.
Es darf nämlich gerade kein Inhalt der Disziplin »Logik« als solcher
verwendet werden. Dieser Zirkel ist in früheren Arbeiten des Kon-
struktivismus nicht ausgeschlossen gewesen (s. o. 1.2), weil hier der
Terminus »Form einer Aussage« exemplarisch durch Hinweis auf
Theoreme der Logik und die darin vorkommenden logischen Partikel
eingeführt wurde. 9 Zur Vermeidung dieses Zirkels wurde hier daher ein
anderer Weg gewählt. Der Ausdruck »Form einer Äußerung« (wie es
aufgrund des explizit pragmatischen Zugangs statt »Form einer
Aussage« heißen muß), läßt sich allein unter Rückgriff auf die
pragmatische Notwendigkeit einer schematischen Beschreibung von
Äußerungen charakterisieren (2. l ). Damit ist zwar noch nicht gezeigt,
7 Vgl. a. a. 0., bes. 56rf. (s. o. 1.2).
8 16f. - Vgl. v. a. J. MmELSTRAss, »Erfahrung und Begründung«; F.
KAMBARTEL, »Vemunft«;C. F. GETHMANN/R. HEGSELMANN, »Das Problem der
Begründung«.
9 So beispielsweise beiP. LORENZEN, »Logische Strukturen der Sprache«. Vgl.
demgegenüber die Kritik von F. KAMBARTEL, »Überlegungen zum pragmati-
schen und argumentativen Fundament«; KAMBARTEL formuliert die Aufgabe,
die »methodische Lücke zwischen der logischen Seite des Argumentierens und
den (universellen) materialen Dialogspielen« zu schließen (46).
110
daß es Regeln gibt, die in ihrer Zustimmungsfähigkeit allein auf die
Form von Äußerungen zurückzuführen sind, wohl aber ist gezeigt,
woran solche Regeln, wenn es sie in der lebensweltlichen Argumentat-
ionspraxis gibt, zu erkennen sind, und welche Regeln ihren Gebrauch
in der pragmatischen Rekonstruktion bestimmen.
Für eine argumentationspragmatische Rechtfertigung logischer Regeln
»Steht« die herkömmliche Disziplin »Logik« also insoweit »Pate«
(LENK), als sie als kulturelles Phänomen die Tatsache der Existenz
logischer Regeln anzeigt und somit ein mögliches Ziel der Rekonstruk-
tionsbemühungen markiert; nicht jedoch in dem Sinne, daß sie als
mannigfach ausdifferenziertes (konstituiertes) Wissensgebilde keiner
pragmatischen Rechtfertigung mehr bedürftig wäre. Weder der Rück-
gang auf den tatsächlichen Sprachgebrauch noch die Heranziehung der
»Logik« als faktisches Paradigma sind als solche schon zirkulär,
sondern erst die Übernahme der durch Umgangssprache oder Logik-
disziplin gesetzten Geltungsansprüche.
Die »Einklammerung« der durch die Disziplin »Logik« formulierten
Regeln zeigt sich bereits darin, daß die unpragmatische Form der
Systematik der Standard-Logik, die auf einer Kombinatorik möglicher
Wertbelegungen beruht, nicht unbesehen übernommen werden kann.
Eine solche Kombinatorik liefert zwar im vorgegebenen Rahmen alle
denkbaren Möglichkeiten, sagt jedoch nichts über die argumentative
Geltung der aufgrund der so festgelegten Bedeutung von logischen
Operatoren generierten Regeln. Beispielsweise ist durch die Herstel-
lung der Spalte WFWW in der Tafel wahrheitsfunktionaler Verknüp-
fungen und die Deutung dieser als »materiale Implikation« über das
Argutnentieren mit Propositionen der Form »wenn ... dann - - -«
nichts gesagt. Für die Ausdifferenzierung logischer Regeln aufgrund
der pragmatischen Konstitutionsprinzipien der Abkürzung und Ver-
einfachung legt sich vielmehr eine andere Einteilung von Regeltypen
nahe (wobei die Reihenfolge methodisch nicht immer determiniert
ist).
Der Abkürzung von Sukzessionen in Diskursen dienen zunächst
sprachliche Formen, die mehrere Behauptungen zusammenfassen. Da
solche Zusammenfassungen umgangssprachlich meistens die Form
von Wenn-dann-Sätzen haben, sollen diese Regeln durch den Termi-
nus »Konsequenzregeln« zusammengefaßt werden (3.2). Betrachtet
man die Form der Äußerung, ergibt sich ein weiterer Typ von Regeln,
der den Übergang zwischen Peformatoren und Propositionen regelt;
III
hierher gehören u. a. die sog. »einstelligen Junktoren«. Diese Regeln
sollen durch den Terminus »Performatorenregeln« zusammengefaßt
werden (3. 3). Von diesen sind Regeln zu unterscheiden, die die
Beziehungen innerhalb der propositionalen Teile propositional mehr-
stelliger Äußerungen betreffen; hierhin gehören die meisten der sog.
»Zweistelligen Junktoren« und die Quantoren. Die diesbezüglichen
Regeln weden als »Propositionenregeln« zusammengefaßt (3. 3)
Dieser Reihenfolge liegt folgende Systematik zugrunde. Zunächst
werden (mit den Konsequenzregeln) solche Regeln betrachtet, die die
Sukzession von ganzen Äußerungen ohne Eingriff in ihre innere
Struktur betreffen. Performatorenregeln stellen Übergänge zwischen
dem performativen Teil und dem propositionalen Teil desselben
Äußerungstyps dar. Propositionenregeln betreffen demgegenüber
Übergänge zwischen den propositionalen Teilen von Äußerungen
untereinander, ohne daß der performative Teil betroffen ist. Die
Reihenfolge ergibt sich dadurch, daß die jeweils neu eingeführten
Regeln in die vorigen dergestalt einfügbar sind, daß sich die sprachli-
chen Möglichkeiten schrittweise erweitern lassen.
3 .2 Konsequenzregeln
10 Diese Annahme wird von jetzt an durchgängig gemacht. Sie ist unproblema-
tisch, weil alle im folgenden für horizontale Diskursdimension formulierten
Regeln auch für die vertikale Dimension formuliert werden können, indem statt
der Propositionenvariablen solche für Übergangsregeln eingesetzt werden. Aus
methodischen Gründen dürfen vertikale Diskurse sich lediglich nicht auf die
hier zur Debatte stehenden logischen Regeln erstrecken.
113
»Wenn du .q. zustimmst, dann behaupte ich .p.«
Zur stenographischen Darstellung von (3-2) und (3-3) sei folgendes
vereinbart. Die Sätze stellen einen regelmäßigen Übergang von einer
(angenommenen) Zustimmungshandlung von 0 zu einer Behaup-
tungshandlung von P dar:
115
gen. Für sie soll der Ausdruck (reduktives bzw. produktives) Folgern
eingeführt werden. »Folgern« ist dabei nicht im Sinne von »logisch
Schließen« oder »Schlußfolgern« zu verstehen (Schlußregeln stehen
hier noch nicht zur Verfügung), sondern als komplexe Handlung im
Sinne von (3-2 ). Der Unterschied zwischen Konsequenzoperator und
Junktor läßt sich dann auch so formulieren: Folgern ist pragmatisch
etwas anderes als das Behaupten komplexer Propositionen.
»Der Proponent folgert. q. aus . p. « heißt, er verpflichtet sich, . p. unter
Rückgriff auf. q. zu begründen, wenn 0 der Proposition . q. zustimmt.
Man kann auch sagen: P verpflichtet sich zur Begründung von. p. unter
der Annahme, daß . q. zugestimmt wird. Wird dieser Sachverhalt durch
konditionale Satzformen wiedergegeben, dann ist zu beachten, daß es
sich beim Konsequenzoperator um eine bedingte Begründungsver-
pflichtung und nicht z.B. um eine bedingte Behauptung einer Proposi-
tion handelt. Ein Ausdruck z.B. der Form
(3-8) fp .. q. r· p. ·
ist pragmatisch nicht wohlgeformt.
Mit Hilfe der materialen Konsequenzoperatoren können jedoch nun
Diskurssituationen untersucht werden, in denen der Proponent nicht
eine Folgerung äußert, sondern eine Behauptung über ein Folgerungs-
verhältnis zwischen Propositionen. Die Behauptung, daß ein Verhält-
nis materialer Konsequenz besteht, ist also eine andere Behauptung als
die Äußerung des Folgerungsverhältnisses. Im Vorgriff auf eine im hier
durchgeführten terminologischen Aufbau erst später rechtfertigbare
Redeweise könnte man von einer »metasprachlichen« Behauptung über
das Bestehen eines materialen Folgerungsverhältnisses zwischen zwei
behaupteten Propositionen sprechen. Für die so verwendete Folge-
rungsbeziehung soll der zweistellige Operator~ (q,p)« eingeführt
werden; gleichbedeutend sei die Notation »q ~ p«. 11 Eine Behauptung
der gekennzeichneten Form ließe sich also nach dem Schema bilden:
(3-9) fp. q ~ p.
Eine Behauptung dieser Form· kann z.B. als Behauptung darüber
gelesen werden, daß eine Folgerung nach dem Schema (3-6) oder (3-7)
zu einer Begründung der Behauptung von. p. führt. Der Operator, der
auf diese Weise ein Konsequenzverhältnis zwischen Propositonen
11 Zeichen und Benennungen für logische Operatoren (außer der Benennung
der Quantoren) sind hier und im folgenden nach DIN 5474 gewählt.
II6
auszudrücken erlaubt, soll »Subjunktor« heißen. Eine komplexe
Proposition, die durch den Subjunktor gebildet ist, heiße »Subjunk-
tion«.
Behauptungen mit subjunktivem propositionalem Gehalt können als
Rekonstruktion umgangssprachlicher diskursiver Handlungen der
Art: »Ich behaupte, .p. unter der Annahme .q.« aufgefaßtwerden. Die
in einer Subjunktion geäußerte angenommene Proposition soll »Ante-
zedens« der Subjunktion, die in Abhängigkeit von der Annahme
behauptete Proposition »Sukzedens« heißen.
Es ist nun zu fragen, unter welchen Bedingungen P Aussicht hat, eine
Behauptung der Form (3-9) zu begründen. Dazu sind zunächst die
Bedingungen zu untersuchen, die unter Folgerungen der Form
1t·
».q · p. « und ».q. l""t· p. « zu einer Begründung der Behauptung von
. p. führen. Entsprechend der Einführung der materialen Konsequenz-
operatoren läßt sich sagen, daß die Begründung der Behauptung von. p.
gelingt, wenn die Annahme der Zustimmungsfähigkeitvon. q. zutrifft.
Für den Fall reduktiver Begründung gilt also, daß fp .q ~ p. wenigstens
dann begründbar ist, wenn .q. 1t
.p. gelingt. Somit kann folgende
Diskursabkürzungsregelnotiertwerden:
(3-10)
.q.4.p. r.q~p.
Ir· q. r· p,q,R. =>
Ir· q. r· p,q,R.
Ir· P· Ir· P·
Für den produktiven Fall steht die Zustimmungsfähigkeit des Anteze-
dens bereits fest, so daß die Regel formuliert werden kann:
(3-11)
1r.q. Ir· q.
:q. r· P· => 1 r· q~p.
Ir· P· 1
Ir· P·
Die Schemata zeigen, daß regelmäßig Übergänge zwischen folgenden
Handlungen für P möglich sind, ohne daß sich das Ergebnis des
Diskurses ändert:
.q.~.p.,lf=.p.,lf=.q. ~ lf=.q-p.
.q. W· p., lf=. P· ~ lf=· q~ P·
Ersichtlich unterscheiden sich beide Diskursrichtungen nur hinsicht-
lich der Frage, ob die von P herangezogene Prämisse durch diskursive
Begründung oder durch prädiskursives Einverständnis als begründet
zu betrachten ist. Da dies in diesem Zusammenhang keinen Unter-
schied macht, läßt sich mit .q. ~ .p. als Zeichen für reduktive oder
produktive Begründung aus (3-12; 3-13) folgende zusammenfas-
sende Abkürzungsregel formulieren:
(j-16) .q. fy. p. ~ fp. q - p.
Diese Subjunktoreinführungsregel hängt nun von keiner materialen
Annahme mehr ab. Sie besagt, daß P dann ein Subjunktionsverhältnis
von .q. zu .p. begründet behaupten kann, wenn er auch ein entspre-
chendes materiales Folgerungsverhältnis erfolgreich vertreten kann.
Ob eine materiale Folgerung gelingt, hängt natürlich davon ab, ob 0
den herangezogenen Prämissen zustimmt; wenn jedoch die Folgerung
gelingt, ist auch eine entsprechende Behauptung begründbar. (3- 16)
gilt also unabhängig von dem, was .p. und .q. im einzelnen bedeuten
und unabhängig von der Frage, welches Individuum oder welche
Klasse von Individuen die Rolle von P und 0 übernimmt. Entspre-
chend der terminologischen Einführung ist die Subjunktoreinfüh-
rungsregel somit eine logische Regel, die aufgrund der Form von
Diskursen allein gerechtfertigt werden kann.
Für die Begründung einer entsprechenden Subjunktorbeseitigungsre-
gel, die die Vereinfachung eines Diskurses um eine Subjunktionsbe-
hauptung erlaubt, ist von der Frage auszugehen, welche Bedingungen
für eine Folgerung bestehen müssen, damit die Behauptung eines
Subjunktionsverhältnisses unabhängig von der Begründbarkeit der
einzelnen Behauptungen begründet ist. Im Fall der reduktiven Begrün-
dungsrichtung ist eine gefolgerte Proposition dann begründet, wenn
zwischen ihr und einer Prämisse ein Folgerungsverhältnis besteht und
der Opponent der Prämisse zustimmt:
118
r-.q~p. .q.4.p.
r-.q. lf=.q. r-.p,q,R .
~
r.p,q,R. lr·P·
lr·P·
In produktiver Begründungsrichtung ist diese Zustimmung durch
prädiskursives Einverständnis gesichert:
(3-18)
1r.q.
.q.r·P·
?.q~p.
ir·P·
ir·P·
Aus den Schemata läßt sich ablesen, daß eine Behauptung von. p. unter
allen kontextuellen Umständen dann begründet ist, wenn die Behaup-
tung eines Subjunktionsverhältnisses von .q. zu .p. und auch die
Behauptung von .q. begründet ist; zusammenfassend für reduktive
und produktive Begründungsrichtung läßt sich somit der Modus
ponendo ponens so formulieren:
(reduktiv) r-.q~p.
r·P·
(produktiv) Ir· q.
Regel (3- 20) ist sowohl in reduktiver als auch produktiver Diskurs-
richtung von keiner erst durch den Kontext bestimmbaren Annahme
mehr abhängig. Sie ist daher ebenfalls eine logische Regel.
Für den durch (3- I 6) und (3- 20) pragmatisch hinreichend bestimmten
Subjunktor sind in der deutschen Umgangssprache wie auch in den
Wissenschaftssprachen Wendungen wie »wenn q, dann p«, »p weil q«
»p ist notwendige Bedingung für q« u. a. gebräuchlich. Aus ihnen
lassen sich durch Einsetzung Konditionalsätze bilden. Soweit solche
Konditionalsätze einen argumentationspragmatischen Sinn haben, soll
ihre Bedeutung im folgenden als durch (3-16) und (3-20) rekonstru-
iert und normiert betrachtet werden. Für die Formulierung dieser
Regeln ist eine vorherige Kenntnis der» Bedeutung« von »wenn q, dann
p« usw. nicht erforderlich, wie die letztlich heranzuziehende pragmati-
sche Kennzeichnung in (3-2) bzw. eine entsprechende produktive
Formulierung zeigt. (Eine Wendung wie (3- 3) wird alsostrenggenom-
men nicht gebraucht.)
Subjunktorregeln sind bisher für Fälle rekonstruiert worden, in denen
es um die Abkürzung von Diskursen um zwei Behauptungen mit
I20
elementaren Propositionen ging. Eine Erweiterung formaler Konse-
quenzregeln auf mehrere Behauptungen und Diskursanfänge mit mehr
als einer Folgerungshandlung läßt sich jedoch leicht einsichtig machen,
was hier nur noch an Beispielen gezeigt werden soll.
Ein Verfahren der Abkürzung erweist sich als wünschenswert, wenn p
zur Begründung einer Behauptung eine Serie von Konsequenzopera-
tionen durchführen muß. Kündigt P beispielsweise an, er werde .r.
durch . p. zu begründen versuchen, sieht aber bereits ab, daß .p.
wiederum durch. q. zu begründen sein wird, kann er sich über derartige
mehrfache Konsequenzoperationen bereits vorab einen Überblick
(zum Zwecke der »Argumentationsplanung«) verschaffen, indem er
die bisher eingeführten Konsequenzregeln mehrfach anwendet. Dies
ergibt sich durch die Überlegung, daß 0 der Behauptung von .r.
zustimmen wird, wenn er. p. zustimmen kann, .p. wiederum zustim-
men wird, wenn er .q. zustimmen kann. Sind solche materialen
Folgerungsbeziehungen formulierbar, läßt sich durch mehrfache
Anwendung der Subjunktoreinführungsregel (3- I 6) ein entsprechen-
des Regelverhältnis für Behauptungen mit subjunktiven Propositionen
formulieren. Man erhält so die Transitivitätsregel für den Subjunk-
tor:
122
gibt, für den diemateriale Implikation die adäquate Rekon~truktion ist,
kann hier offenbleiben). LORENZEN hat in diesem Zusammenhang
herausgestellt, daß die Handlung des Folgerns gegenüber den weiteren
logischen Operatoren fundamental ist. Die »Konsequenzlogik«
bekommt daher im Kontext der operativen Protologik eine Sonderstel-
lung.
Bestimmte Schwierigkeiten hinsichtlich der Begründung des Konse-
quenzoperators haben dann bei der Entwicklung der konstruktiven
Logik zu einer anderen Rekonstruktion des Konsequenzoperators in
Gestalt des »konstruktiven Subjunktors« geführt. In bezug auf diese
Entwicklung sollen im folgenden drei Thesen begründet werden:
a. Die pragmatische Charakterisierung des Konsequenzoperators im
Rahmen der operativen Logik ist nicht haltbar, und zwar aus den
Gründen, die für die Entwicklung des konstruktiven Subjunktors
maßgebend waren.
b. Der formale Konsequenzoperator ist in Gestalt des konstruktiven
Subjunktors in seiner pragmatischen Sonderstellung im Rahmen der
konstruktiven Logik nicht richtig ausgezeichnet.
c. An der pragmatischen Sonderstellung des Konsequenzoperators,
wie sie in der Tendenz der operativen Logik lag, ist demgegenüber
festzuhalten.
Zu a. Die Einführung des durch den einfachen Pfeil dargestellten
Operators (»~«)erfolgt im Rahmen der operativen Logik in Rückgriff
auf die lebensweltlich eingeübte Fähigkeit, Kalküle zu bilden. Diese
Fähigkeit beinhaltet u. a., daß man gemäß Regeln von bestimmten
Figuren zu bestimmten anderen übergehen kann. Für derartige
Übergänge wird nun von LORENZEN folgende Konvention vorgeschla-
gen: »Zur Mitteilung solcher Regeln werden wir im folgenden einen
pfeil ~ benutzen ... «16 Der Pfeil hat - wie es in dem Aufsatz
»Protologik« verdeutlichend heißt - die pragmatische Bedeutung:
»Wenn die und die Figuren hergestellt sind, dann stelle die folgende
Figur her!« 17 Diese Formulierung zeigt, wie LORENZEN selbst an dieser
Stelle formuliert, daß der durch »~« dargestellte Operator sprech-
handlungspragmatisch für einen »bedingten Imperativ« eintritt (wofür
in späteren Arbeiten der konstruktiven Logik der Doppelpfeil »=>«
verwendet wird). Die weitere Explikation der Konsequenzlogik
16 Ebd. 13.
17 »Protologik«, 85.
123
verwendet nun diesen bedingten Imperativ als Konsequenzopera-
tor.
Die Identifikation von Regelpfeil und Konsequenzoperator führt
jedoch, wie K. LORENZ später zusammenfassend dargestellt hat, 18 zu
einer entscheidenden Schwierigkeit. Zwischen Konsequenzoperator,
Negation und Allquantor einerseits und Konjunktion, Adjunktion
und Existenzquantor andererseits besteht eine Asymmetrie, weil die
ersteren nur in bezug auf einen Kalkül K n-ter Stufe, die letzteren aber
in bezug auf jeden Kalkül als relativ-zulässig erwiesen werden können.
Dies wäre nicht weiter problematisch, wenn nicht der Begriff »Zulässig
in einem Kalkül« mit Hilfe des Regelpfeils definiert werden müßte.
Eine Regel a~ ßsoll nämlich zulässig in K heißen, wenn die Aussage
IK a~ IK ß wahr ist. Gerade die pragmatische Bedeutung des Folge-
rungsverhältnisses zwischen ff<: a und ff<: ß soll aber durch den
Regelpfeil erst bestimmt werden - offensichtlich ein Zirkel.
Der pragmatische Grund für das Mißlingen der operativen Einführung
des Konsequenzoperators liegt in der Konfundierung der durch den
Regelpfeil dargestellten Sprechhandlung mit derjenigen des Folgerns.
Diese Konfundierung ist möglich, weil Wenn-Dann-Sätze mehrdeutig
sind: sowohl der durch den Regelpfeil dargestellte bedingte Imperativ
als auch die durch den Konsequenzoperator dargestellte komplexe
Sprechhandlung werden umgangssprachlich in Form eines Wenn-
Dann-Satzes wiedergegeben.
Zu b. LORENZEN hat in »Logik und Agon« eine andere Einführung für
den Konsequenzoperator gegeben, die für die Entwicklung der
konstruktiven Logik maßgebend wurde. Auch hier wird das schemati-
sche Operieren als Ausgangspunkt genommen, wobei jetzt der Dop-
pelpfeil »=>« als Zeichen dient, »um die Regeln mitzuteilen« 19 •
Aufgrund dieser Regeln, die die Entscheidung der Ableitbarkeit von
Figuren regieren, wird ein »Meta-Spiel« um die Behauptung der
Ableitbarkeit konstruiert. Dabei wird die Subjunktion (hier noch
»Implikation« genannt) so eingeführt: »P behauptet etwa
f- x ~ + + x. Dies soll bedeuten, daß P sich verpflichtet - bei
Herausforderung durch 0 - für jede Figur r (zusammengesetzt aus x
und o), für die f- r von 0 behauptet wird, seinerseits f- ++r zu
behaupten.« Oder in abstrakterer Formulierung:
124
»P verpflichtet sich zu einer Handlung nur unter der
Bedingung, daß 0 vorher etwas getan hat.« 20
Diese Formulierungen sind generell in einem Punkt pragmatisch
unklar, nämlich hinsichtlich der Bestimmung dessen, was 0 denn getan
haben muß, damit P zu seiner Verpflichtung zu stehen hat. Gemäß dem
Zusammenhang scheint offenkundig, daß 0 die Ableitbarkeit des
Vordersatzes behaupten muß. Im Gegensatz zur operativen Logik, in
der die logischen Operatoren nur für Ableitbarkeitsbehauptungen
(also einen - pragmatisch gesehen - wenig typischen Sonderfall von
Behauptungen) eingeführt wurden, ist die Bezugnahme auf kalkülmä-
ßige Ableitungen von Figuren nur ein exemplarischer Fall. LORENZEN
bestimmt ausdrücklich, daß an die Stelle von Figuren auch umgangs-
sprachliche Behauptungen treten können, wenn nur zwischen den
Diskursteilnehmern vereinbart ist, welche Handlungen zum
»Gewinn« oder »Verlust« des Diskurses auszuführen sind. 21 Somit
bleibt die Frage, wie allgemein pragmatisch zu charakterisieren ist, was
0 getan haben muß, damit P seiner Begründungspflicht nachkommen
muß.
Nach der oben (2.2) eingeführten Terminologie soll eine Behauptung,
die gemäß prädiskursiv vereinbarten Regeln zustimmungsfähig ist,
»begründet« heißen. (3-3 5) läßt sich somit zwanglos so interpretieren,
daß dasjenige, was 0 »vorher getan haben muß«, allgemein gesagt der
Vollzug der Zustimmung ist. Da P die entsprechende Behauptung
sowieso vollzogen hat, ist das Antezedens der Subjunktion in diesem
Fall begründet. Kalkülmäßiges »Ableiten« ist somit ein Sonderfall von
»Begründen«.
(3-35) kann nach dieser pragmatischen Ergänzung für q~p also so
präzisiert werden:
22 A.a.0., 191.
23 158; s. a. P. LORENZEN, Metamathematik, 23; F. KAMBARTEL, »Was ist
Logik?«, 104; K. LORENZ, Elemente, 240 u. a.
24 Vgl. P. LORENZEN, Metamathematik, 23; ebenso: »Konstruktivitätskrite-
rium«, 195·
126
darstellt, zu der »niemand gezwungen« werden könne. 25 Allerdings
fragt man sich dann, wie und wofür dieser Vorschlag gerechtfertigt
werden kann. 26
Wichtiger als das Adäquatheitsproblem ist jedoch, daß die durch
(3-37) präzisierte Deutung des Subjunktors nicht durch zirkelfreie
Einführung begründet werden kann. Die Einführung des Subjunktors
durch Regeln, die selbst die Form der Subjunktion haben, ist, wie
(3- 37) zeigt, zirkulär, und zwar genau in dem Sinne, in dem dieformal-
semantische Einführung von logischen Operatoren zirkulär ist: in der
metasprachlichen Regel wird als bereits bekannt vorausgesetzt, was
durch sie erst bekannt gemacht werden soll. 27 K. LORENZ, der auf dieses
Problem aufmerksam macht, versucht, diesen Zirkel dahingehend zu
rechtfertigen, daß dieses »logische Wenn-Dann« sich des »praktischen
Wenn-Dann« bediene, und zwar so, »daß rekursiv auf den Dialog um
die Wenn-Aussage Bezug genommen wird«. 28 Dieses praktische
Wenn-Dann ist allerdings der Regelpfeil, und seine Deutung aufgrund
einer »rekursiven Bezugnahme« auf die Dialogregel des Subjunktors
stellt einen Zirkel dar. 29
127
an, 0 könne einer Elementaraussage nicht zustimmen, dann kann man
lediglich sagen, daß die Behauptung des Sukzedens für P nicht auf
diesem Wege zu begründen ist; P muß es daher mit einem anderen
Antezedens versuchen.
Die pragmatische Analyse ergibt somit, daß (3-36) durch folgende
Präzisierung zu deuten ist:
»Pverpflichtet sich zu einer Begründung von p dann, wenn
0 der Behauptung von q zustimmen kann.«
Wie durch (3-2) gezeigt, handelt es sich bei diesem Wenn-Dann-Satz
nur scheinbar um einen Zirkel, da es sich nicht um eine Bedingung,
sondern um die Ankündigung einer Sukzession handelt.
Dieser pragmatischen Deutung des Konsequenzoperators als
»bedingte Begründungsverpflichtung« kommt die Einführung des
konstruktiven Subjunktors durch LORENZEN und SCHWEMMER in
Konstruktive Logik nahe. Die Autoren werfen zunächst die Frage auf,
ob es auch für die nicht-arithmetischen Argumentationsformen
Gründe gibt, auf das klassische Postulat der Wahrheitsdefinitheit von
Aussagen zu verzichten. Als elementares lebensweltliches Beispiel
werden die futurischen Aussagen herangezogen. Dabei wird die
Sprechhandlung des »Versprechens« als die Übernahme einer Ver-
pflichtung, eine Aufforderung nicht durch sofortiges Handeln, son-
dern erst in der Zukunft zu befolgen, eingeführt. 30 Man sieht leicht, daß
die bedingte Begründungsverpflichtung, die der Konsequenzoperator
pragmatisch präsupponiert, eine Form von Versprechen in diesem Sinn
ist. Von daher liegt es nahe, als pragmatisches Zeichen für die
Versprechenshandlung den Pfeil zu wählen, wobei das unbedingte
Versprechen propositional einstellig (~ p ), das bedingte Versprechen
propositional zweistellig (q ~ p) notiert wird. Dieses pragmatische
Verhältnis wird sodann als Verhältnis der Subjunktion gedeutet: »Wer
einen Bedingungssatz (Subjunktion) behauptet hat, wird >wortbrü-
chig<, wenn der Vordersatz erfüllt ist, der Nachsatz aber nicht.« 31
Abgesehen davon, daß sich jede Folgerungshandlung als Versprechen
im eingeführten Sinne verstehen läßt, nicht aber jedes Versprechen als
Folgerungshandlung (man kann auch die Ausführung von Handlungen
versprechen, die nicht Behauptungen sind), stimmt diese pragmatische
Einführung des Subjunktors mit der in (3.2) gegebenen des Konse-
30 72ff.
31 A.a.O„ 75.
128
quenzoperators überein. Allerdings ist es mißverständlich, die als
»Versprechen« (bedingte Begründungsverpflichtung) bezeichnete
komplexe Handlung mit dem logischen Subjunktor zu identifizieren;
vielmehr handelt es sich (normativ-genetisch betrachtet) um eine
Vorform des Subjunktors, nämlich den materialen Konsequenz-
operator.
Eine ähnliche pragmatische Deutung des Subjunktors wie LORENZEN/
SCHWEMMER gibt KAMBARTEL:
Die aussagenlogische Subjunktion »wenn a, so b« (a-b) läßt sich der
Verpflichtung zuordnen, b zumindest dann zu begründen, wenn eine Begrün-
dung für a vorgelegt worden ist. 32
An dieser Formulierung ist das »Zumindest« bemerkenswert, weil
dadurch unterstrichen wird, daß durch die Verweigerung der Zustim-
mung durch 0 für P noch nichts (im Sinne eines »Gewinns«)
entschieden ist.
Allerdings zeigt die Formulierung von KAMBARTEL ebenfalls diejenige
pragmatische Ungereimtheit, die die gesamte konstruktive Theorie des
konstruktiven Subjunktors auszeichnet. Die Einführung des Subjunk-
tors im umgangssprachlichen Text geschieht im Sinne der komplexen
Sprechhandlung des Folgerns bzw. »Versprechens« (3-5), 33 die
Behandlung der Dialogregel erfolgt jedoch im Sinne einer bedingten
Behauptung (3-9 ). Während also die operative Logik eine Veiwechs-
lung von bedingter Begründungsverpflichtung und Regelmitteilung
zuließ, unterläuft in der konstruktiven Logik eine Verwechslung von
bedingter Begründungsverpflichtung und einer Behauptung mit
bedingter Proposition (d. h. einer unbedingten Begründungsverpflich-
tung für eine Behauptung mit bedingter Proposition).
Überblicksmäßig haben wir es im Zusammenhang des »Folgerns« mit
folgenden Handlungen zu tun, die deutlich zu unterscheiden sind
(wobei sich zugleich die Mehrdeutigkeit von umgangssprachlichen
Wenn-Dann-Sätzen zeigt):
~1 => ~2 (Regelmitteilung, bedingte Aufforderung):
»gehe von ~ 1 zu ~2 über«
32 »Überlegungen«, 31.
33 In der Formulierung von KAMBARTEL geht es darum, »Begründungen
stückweise zu planen und zu erstellen, insbesondere >spätere< Schritte auf Vorrat
bereitzustellen« (»Überlegungen«, 31).
.q. ~· p. (Konsequenzoperator, bedingte Begründungs-
verpflichtung, »praktisches Wenn-Dann«, »Verspre-
cqen«): »im folgenden werde ich p begründen, wenn q zu-
g~stimmt wird«
f-'. q ~ p. (Behauptung einer Subjunktion):
»Behauptung, wenn q der Fall ist, ist p der Fall«
A-< B (Schlußzeichen): »B folgt logisch aus A«.
J .3 Performatorenregeln
rx· p.
xj. p.,
130
entscheiden. Eine andere Situation ergibt sich jedoch, wenn über den
Ausgang solcher Diskurse wiederum Behauptungen geäußert werden.
Analog zur Einführung des Subjunktors ergeben sich formale Sukzes-
sionen, wenn man »metasprachliche« Behauptungen über Behauptun-
gen und Bestreitungen in Betracht zieht. Die bisherige Darstellung läßt
sich somit in pragmatisch naheliegender Weise so weiterführen, daß im
propositionalen Teil einer Äußerung ein Performator auftaucht
(»gestufte Performatoren«). Wird in einer Diskurssituation nicht über
einen Sachverhalt diskutiert, sondern über einen Diskurs, dann läßt
sich leicht eine Situation kennzeichnen, in welcher P behauptet:
»Ich behaupte, daß begründet ist, daß p.«
In expliziter normierter Schreibweise ist (unter Vernachlässigung der
Indikatoren) zu notieren:
f-. lf=· p ..
Der entsprechende Zweifel ist so zu rekonstruieren:
?. lf=· p ..
Es ist somit in argumentativen- Kontexten mit gestuften Sprechhand-
lungen unterschiedlichen Typs zu rechnen, in denen derpropositionale
Gehalt zweiter Stufe wiederum (gegebenenfalls nach Explikation) eine
vollständige Äußerung mit einem propositionalen Gehalt erster Stufe
ist.
Die Notwendigkeit, Übergänge zwischen gestuft perforqiativen
Äußerungen durch Regeln festzulegen, läßt sich zunächst für den Fall
deutlich machen, daß eine Folgerungsbehauptung in dem Sinn miß-
lingt, daß es zu keiner Begründung kommt. Analog zu dem komplexen
Performator »II= .p.« wird für »p ist unbegründet« folgende Notation
vorgeschlagen:
~l·p·
Die Bedeutung der Unbegründetheit einer Behauptung läßt sich
pragmatisch für den Fall des reduktiven Konsequenzoperators so
deutlich machen: Folgert P .q. 4 .p. und stellt sich heraus, daß 0 .p.
nicht zustimmen kann, dann kann der Grund bloß darin liegen, daß 0
auch . q. nicht zustimmen kann (immer unter der Bedingung, daß über
die Übergangsregeln Konsens besteht). Entsprechend zu (3-19) läßt
sich somit auch ein pragmatischer Modus tollens formulieren:
.q. 4. p., =il· p. ~ =il· q.
Die Regeln (3- 19) und (3-48) können nun als weitere Abkürzungsre-
geln für Sprechhandlungssequenzen gelesen werden. Sie sind pragma-
tisch dann so ZU deuten, daß sie Performatoren zur Verfügung stellen,
mit deren Hilfe über den Ausgang von Diskursen Behauptungen
geäußert werden können. Ist P z.B. der Überzeugung, daß eine
Behauptung von . p. nicht begründet ist, dann wird er eine Anfangsbe-
hauptung der Form
fp. =il· p ..
vollziehen, die 0 mit
(3-50) ?.
0
=il· p ..
in Zweifel ziehen kann. Man sieht, daß über den Ausgang dieses
Diskurses wiederum Behauptungen aufgestellt werden können, so daß
eine vielfache Stufung von Begründetheits- und Unbegründetheitsbe-
hauptungen konstruiert werden kann. Für die Begründung solcher
Begründetheits- und Unbegründetheitsbehauptungen läßt sich jedoch
ein einfaches pragmatisches Verfahren angeben. Um zu demonstrie-
ren, daß die Behauptung fp - II= .p .. eingelöst werden kann, braucht P
bloß .p. zu behaupten und die Begründung vorzuführen. Von der
Behauptung der Begründetheitvon. p. läßt sich also zu der Behauptung
der »Affirmation« von p übergehen: Als pragmatisches Zeichen für
diesen Sachverhalt soll der affirmierte propositionale Gehalt durch das
Zeichen >>r p« gekennzeichnet werden (»Affirmator« ). Entsprechend
sei für die Behauptung der Unbegründetheit (»Negation«) das Zeichen
»1P« vereinbart (»Negator«). Man sieht, daß die Behauptung einer
Affirmation von p pragmatisch die Behauptung von p zur Folge hat,
weil der Nachweis einer Affirmation gerade darin besteht, die Begrün-
dung für die Behauptung der affirmierten Proposition zu erbringen:
(J-51) fp. lf=· P· · ~ fp. 1 P· ~ fp. P·
Aus Gründen der Eindeutigkeit muß jedoch die Auszeichnung des
propositionaleri Gehalts für den Fall der Unbegründetheitsbehaup-
tung (Negation) erhalten bleiben:
fp. =il· p.. ~ fp. 1 p.
Die »Stenographie« zeigt an, daß es sich bei diesem Übergang der
Abkürzung um eine Veränderung der performativen Bedeutung
132
verbunden mit einer Modifikation der propositionalen Bedeutung
handelt. Der geregelte Übergang besteht sozusagen in einer Reglemen-
tierung des »Hineinwirkens« der performativen Bedeutung in die
propositionale. Es handelt sich daher um den Fall einer »Performato-
renregel« in festgelegtem Sinn.
Da der Konsequenzoperator (3.2) als molekulare Sprechhandlung
eingeführt wurde, läßt sich mit Hilfe der Performatorenregeln eine
Erweiterung der bisher eingeführten Konsequenzregeln vornehmen.
Als Abkürzung eines Diskurses, in dessen Verlauf P auf eine Prämisse
.q. zurückgreift, die jedoch nicht zur Begründung einer behaupteten
Propositon .p. führt, kann folgende Regel formuliert werden:
.q. fp+. p., =jl. p. = fp. --, q.
Behauptet P nun eine entsprechende Subjunktion, ist unter Einbezie-
hung von (3.52) die Regel (Negatoreinführung) auch so angebbar:
fp. q __,. p:, =jl. p. = fp. --, q.
Diese Regel hängt von keiner kontextuell zu charakterisierenden
Annahme ab und stellt daher eine logische Regel dar.
Eine entsprechende Verein[achung ergibt sich daraus, daß P im Verlauf
einer Diskursserie einmal zur Begründung von . p. und ein andermal
von .--,p. (Bestreitung von .p.) auf q zurückgreifen kann. 0 kann .q.
jedoch nicht in beiden Fällen zustimmen, so daß q insgesamt gesehen
unbegründet ist. Somit erhält man als Regel der Negatorbeseitigung:
fp. q __,. p., h· q __,. --, p. = =jl. q.
Auch diese Regel hängt nicht von Prämissen außerhalb dieser Regel ab,
die kontextuell zu charakterisieren wären, und ist somit eine logische
Regel.
Der logische Status dieser Regeln bedeutet, daß .q. in (3-5 5) unabhän-
gig von der Bedeutung der Propositionen in jedem Fall unbegründet,
also unbegründbar ist. Im Fall logischer Regeln läßt sich die pragmati-
sche Bedeutung des Negators also nicht bloß auf die (kontextuelle)
Vnbegründetheit, sondern auf die kontextinvariante Vnbegründbar-
keit (»Absurdität«) zurückführen.
N egatoreinführungs- und beseitigungsregel (3- 54, 53) besagen, daß
der Negator (als Teil der Proposition) nur eingeführt werden kann,
wenn lebensweltlich über die Fähigkeit verfügt wird, Behauptungen als
unbegründet zu behaupten; diese Weise sprachlichen Handelns heiße
133
»Repulsion«. Die Fähigkeit zur Repulsion ist auf dem Wege über die
Einführung des Performators »unbegründet« einführbar, der seiner-
seits letztlich auf die Fähigkeit zurückgreift, Aufforderungen und
Behauptungen vollziehen zu können.
Durch (3- 54, 55) soll die argumentative Verwendung der umgangs-
sprachlichen Partikel »nicht« normiert sein. Gemäß dieser Festlegung
muß P eine Behauptung
(3-56) »Ich behaupte, daß nicht p.«
dadurch begründen, daß er die Behauptung
»Ich behaupte, daß p unbegründbar ist.«
begründet.
Der Übergang zwischen Äußerungen der Art (3- 56, 57) zeigt, daß die
Auflösung gestufter Performatoren in Performatoren erster Stufe mit
modifizierter Proposition in umgangssprachlicher Redepraxis geläufig
ist.
Auf den normierenden Charakter dieser argumentativen Verwendung
des umgangssprachlichen »nicht« muß ausdrücklich hingewiesen
werden, weil es umgangssprachlich auch eine vorlogische Verwendung
des »nicht« in elementaren Sprechhandlungen gibt, nämlich dann,
wenn ein Prädikator einem Individuum abgesprochen wird. Zuspre-
chen und Absprechen sind im Gegensatz zu Behaupten und Bestreiten
jedoch keine diskursiven Sprechhandlungen. Wer einen Prädikator zu-
oder abspricht, geht damit noch keine Begründungsverpflichtungen
ein. Die argumentative Verwendung der Negation kann demgegenüber
erst festgelegt werden, wenn bereits eine Terminologie zur Rekon-
struktion für Diskurse so weit entwickelt ist, daß komplexe Performa-
toren wie »begründet, daß p« und» unbegründet, daß p« zur Verfügung
stehen. 34
Während der N egator in der argumentativen Redepraxis im Sinne der
vorgenommenen Einführungen stets eindeutig zu identifizieren ist,
gibt es hinsichtlich des Affirmators ein Ambiguitätsproblem. Entspre-
chend der Regel (3- 51) ist ein eigener sprachlicher Ausdruck für den
Affirmator vernachlässigbar. Daher wird auch in den meisten Logik-
134
Syntaxen kein eigenes Behauptungszeichen vorgesehen. Dieser Sach-
verhalt dürfte wesentlich mitverantwortlich dafür sein, daß die Logik-
Kalküle der formalistischen Standardlogik performatorenfrei formu-
liert wurden. Demgegenüber hat die dialogische Semantik der kon-
struktiven Logik stets deutlich gemacht, daß eine scheinbar alleinste-
hende Proposition als Proposition in der Äußerungsform der Behaup-
tung zu verstehen ist. 35 Da die Formulierung einerperformatorenfreien
Logik pragmatisch keinen Sinn hat (vgl. r. r) kann nicht die Regel
gelten:
135
wurden (Behauptung, Vermutung, Beteuerung, Bericht usw.). (3- 59)
ist somit keine sozusagen freischwebende Proposition, sondern eine
Aussage, d. h. eine Proposition mit nicht festgelegtem Äußerungstyp
und somit ohne eindeutigen Performator.
Für die Aufgabe einer Rekonstruktion argumentativer Kontexte ist
nun wichtig zu beachten, daß Aussagen nicht notwendigerweise als
Behauptungen zu rekonstruieren sind. Allein aus einer Formulierung
wie (3- 59) kann man nicht ablesen, daß hiereine konstativeDiskursan-
fangshandlung vollzogen wird. Aussagen sind nicht (wie Propositio-
nen) performatorenfreie Abstrakta, sondern Äußerungen, die hin-
sichtlich ihrer performativen Bedeutung uneindeutig sind. Als elemen-
tare Einheiten einer (konstativen) Logik sind sie daher ungeeig-
net. 37
Mit Affirmatorregeln und N egatorregeln sind zunächst triviale Perfor-
matorenregeln eingeführt worden, die eine Rekonstruktion bestimm-
ter diskursiver Äußerungen erlauben. Diese Einführung als Performa-
torenregeln zeigt, da es keinen vernünftigen Sinn gibt, Affirmator und
Negator als »]unktoren« zu bezeichnen, da sie keine Verbindung
zwischen Propositionen allein herstellen. J unktorenregeln demgegen-
über sind keine Performatorenregeln, da sie - wie noch zu zeigen ist
(3.4)-den Performator einer Äußerung nicht verändern. Affirmator
und N egator gehen pragmatisch nicht aus einer Sukzession verschiede-
ner Handlungen hervor, sondern aus der Transformation einer perfor-
mativen Bedeutung in eine propositionale gemäß dem Prinzip der
Abkürzung bzw. Vereinfachung. Die Auffassung z.B. des Negators
als Junktor ist lediglich auf »architektonische« Motive im Zusammen-
hang eines formalistischen Aufbaus der Logik zurückzuführen. 38
(3 - 54, 55) zeigen, was auch schon in (3 - 52) ausgedrückt ist, daß
nämlich der Negator methodisch nur eingeführt werden kann, wenn
136
man über die Termini »begründet« und »unbegründet« bereits verfügt.
Diese Termini sind ersichtlich nur iin Rahmen einer argumentations-
pragmatischen Terminologie einführbar. Verfügt man über diese
Termini, hängt die Rekonstruktion des Negators lediglich noch von
der Kenntnis des Konsequenzoperators (Subjunktors) ab. Behauptun-
gen mit negierter Proposition lassen sich also auch als spezielle
Subjunktorregeln (nämlich für den speziellen Fall, daß die Unbegrün-
. detheit des Sukzedenz bereits diskursiv festgestellt wurde) einführen.
Dennoch ist der Negator unter Rücksicht der Rekonstruktion argu-
mentativer Rede nicht trivial, weil er im Gegensatz zum Subjunktor
propositional einstellig ist. Er erlaubt somit die in (3-54) dargestellte
Abkürzung von Diskursen. Aus der terminologischen Eliminierbar-
keit eines Operators kann nicht auf die pragmatische Entbehrlichkeit
geschlossen werden. Dies wird u. a. dadurchdeutlich, daß mit Hilfe des
Negators eine kontinuierliche Erweiterung des· bisher eingeführten
logischen Regelsatzes vorgenommen werden kann. Man erhält die
pragmatischen Varianten von Regeln einer »Konsequenzlogik mit
Negation«.
So läßt sich beispielsweise ein pragmatisches »Widerspruchsverbot«
wie folgt einführen. Wer einen Diskurs mit .p. fy .--,p. eröffnetoderdie
entsprechende Subjunktionsbehauptung äußert, versucht (entspre-
chend der eingeführten Rekonstruktion für Konsequenzoperator und
Negator), die Unbegründetheit von .p. gerade durch Rückgriff auf. p.
zu zeigen. Im Falle produktiver Begründungsrichtung ist bereits von
vornherein klar, daß 0 nicht zustimmen wird. Er hat ja gerade .p.
zugestimmt. Im reduktiven Fall wird 0 entweder dem einen oder dem
anderen zustimmen. P könnte also seine Ausgangsbehauptung nur
begründen, wenn 0 ihr zugleich zustimmt und die Zustimmung
verweigert. Da man nicht zugleich eine Handlung vollziehen und
unterlassen kann, ist dies aber nicht möglich. Man kann daher
pragmatisch folgende logische Regel rechtfertigen:
137
Negator und Affirmator können selbstverständlich auch in gestuften
performativen Ausdrücken erscheinen. Nach (3- p) sind gestufte
Affirmatoren jedoch jederzeit auf die einfache Behauptung zurückzu-
führen. Demgegenüber gibt es mit gestuften Negationen einige Pro-
bleme.
Um diese deutlich zu machen, soll hier der bereits eingeführte
Performator des Bestreitens (»---1 .p.«) (2.1) in die Überlegungen
einbezogen werden. Die Einführung des molekularen Performators
»X bestreitet gegenüber Y, daß p« läßt sich unter Einbeziehung des
Negators so verstehen: »X behauptet gegenüber Y, daß nicht p«. In
normierter Schreibweise:
138
? L
pj. 1 p· =? lp· p.
?
fr· 1P· =? pj.p.
Kann, so ist pragmatisch zu fragen, ein P, der die Unbegründetheitvon
. p. behauptet (bestreitet) zur Bestreitung (Behauptung) der Affirma-
tion übergehen, so wie ja entsprechend (3-64, 65) ein P, der die
Begründetheit (und somit Affirmation) von. p. behauptet (bestreitet)
zur Bestreitung (Behauptung) der Unbegründetheit übergehen
kann?
Zur Klärung dieser Frage ist zu beachten, daß zwischen Begründet-
heitsbehauptungen und Unbegründetheitsbehauptungen eine ent-
scheidende pragmatische Asymmetrie besteht. Wer im Sinne einer
Äußerung über das Gelingen eines Diskurses behauptet, eine Proposi-
tion sei begründet, kann dies im Zweifelsfall dadurch begründen, daß er
die Begründetheit erster Stufe durch das Behaupten dieser Proposition
und das Heranziehen der entsprechenden Gründe zeigt. 0 wird in
diesem Fall der Begründetheitsbehauptung genau dann zustimmen,
wenn er auch der entsprechenden Proposition in wenigstens einem
Diskursverlauf zustimmt. Ein P, der demgegenüber die Unbegründet-
heit von . p. behauptet, kann sich zur Begründung dieser Behauptung
nicht auf das Mißlingen eines Diskurses beschränken. Eine Behauptung
von . p. ist erst dann endgültig mißlungen, wenn P alle Gründe, die
gegenüber einem 0 einschlägig sein könnten (aufgrund eines prädis-
kursiven oder intradiskursiven Einverständnisses) sozusagen durch-
probiert hat. Eine Unbegründetheitsbehauptung, also eine Behaup-
tung über das Mißlingen einer Begründung für .p., läßt sich also nur
dann begründen, wenn das Reservoir in einer Situation möglicher
Gründe ausgeschöpft ist. Dieselbe Überlegung gilt auchfür den Fall der
Bestreitung der Unbegründetheit.
Für gewöhnliche Diskurssituationen kann nun nicht unterstellt wer-
den, daß die Diskursparteien jeweils die Gesamtheit der in einem
Kontext möglichen Gründe überblicken, so daß sie eine Unbegründet-
heitsbehauptung in jedem Fall dann begründen können, wenn ein alles
überblickender P vielleicht die Unbegründbarkeit behaupten könnte.
Nur, wenn die Kontextannahme gemacht würde, daß P aufgrund
vollständiger Aufzählung und Prüfung (im Fall endlich vieler Gründe)
oder aufgrund eines Verfahrens schematischer Prüfung (im Fall
unendlich vieler Gründe) zu einem begründeten Ergebnis kommt,
139
könnten somit (3-67, 68) für die beteiligten Parteien gültige Regeln
sem.
Gemäß der oben (1.3) eingeführten Terminologie handelt es sich bei
(3-67, 68) nicht um kontextinvariante, sondern um kontextvariante,
also topische Argumentationsregeln. Für eine pragmatisch orientierte
Protologik müssen sie außer Betracht bleiben.
Kontextinvariant sind demgegenüber Regeln, die schwächere Varian-
ten von (3-67, 68) formulieren. Aus den bisherigen Überlegungen geht
hervor, daß ein P, der die Unbegriindetheit von .p. bestreitet, zwar
nicht in jedem Fall die Behauptung der Affirmation von . p. überneh-
men kann. Er kannjedochin jedemFalldie Behauptung der Unbegrün-
detheit der U nbegründetheit von . p. behaupten. Wenn er nämlich zur
Bestreitung der U nbegründetheit bereit ist, dann muß er auch bereit
sein, die Behauptung zu übernehmen, daß die Behauptung der
Unbegründetheit von .p. unbegründet ist.
Die analoge Überlegung läßt sich für die Behauptung der Unbegrün-
detheit durchführen. Somit gelten logisch:
fp.-,p. ~ pj.-,-,p.
Von (3-69, 70) gibt es deshalb keinen sicheren Weg zu (3-67, 68), weil
- wie nun leicht zu zeigen ist - folgende Regel nicht kontextinvariant
gilt:
0. p. <o> V. --, p.
J .4 Propositionenregeln
3+ 1 J unktorenregeln
Für die Einführung vonJ unktorenregeln als Abkürzungsregeln ist von
der pragmatischen Möglichkeit, mehrfach elementare Propositionen
zu behaupten, auszugehen.
Dieser Fall war bisher durch die Rekonstruktion von Diskursserien
darstellbar. Behauptet P nun in einem Diskurs . p. und in einem
weiteren .q., Jann ist pragmatisch sinnvoll, beide Behauptungen in
einem Diskurs bezüglich ihrer Begründbarkeit zu überprüfen. Zur
Formulierung einer entsprechenden logischen Regel muß also von zwei
Behauptungen mit elementarer Proposition zu einer Behauptung mit
logisch zusammengesetzter Proposition übergegangen werden kön-
nen. Derjenige Operator, der die Bildung komplexer Propositionen
erlaubt, wobei P für jede Teilproposition eine Begründungsverpflich-
tung übernimmt, sei »Konjunktor« (»!\«), die durch ihn gebildete
Proposition »Konjunktion« genannt. 42 Der Konjunktor erlaubt also
41 Man könnte anstelle von »Junktoren« auch von »echten« (vs. Negator und
Subjunktor als »Unechten«) Junktoren (vgl. K. LORENZ, Arithmetik und Logik,
V f.; wobei der Existenzquantor noch zu den echten, der Allquantor zu den
unechten Junktoren gezählt wird) sprechen. ,
42 Ebenso F. KAMBARTEL, »Überlegungen«, 30. - Für Konjunktor- und
Adjunktoreinführung sind auch in den mehr spieltheoretisch formulierten
Darstellungen der konstruktiven Logik argumentationspragmatische Rechtfer-
tigungen vorgeführt worden. Vgl. bes. P. LORENZEN, Metamathematik, 20;
143
eine Abkürzung von einer Addition von Behauptungen zu einer
konjunktiven Behauptung. Die Konjunktoreinführungsregel als
Abkürzungsregel lautet somit:
(3-77) fp. p., fp. q. => fp. p /\ q.
Tritt in einem Diskurs eine -gemäß (3-77) gebildete konjunktive
Behauptung auf, weiß man also, daß P eine Begründung für beide
Propositionen vorlegen können muß, wenn die Behauptung der
komplexen Proposition begründet sein soll. 0 kann also wählen, ob er
eine der beiden oder beide Teilaussagen bezweifelt. Da P im ungünstig-
sten Fall beide Teilaussagen begründen können muß, verzweigt sich
der Diskurs an dieser Stelle; z.B. ist folgende Diskurssituation
denkbar:
(3-78)
f-.p/\q.
?. p. ?. q. f- ·, p. 1 f- ·, q.
144
chen, Handlungen in Alternative zu vollziehen. Der Übergang von
einer Handlungsalternative zu einer Alternative von elementaren
Propositionen s,oll durch einen· entsprechenden Operator, den
»Adjunktor« angezeigt werden; eine entsprechend gebildete komplexe
Proposition heiße »Adjunktion«. übernimmt P also die Verpflichtung,
wenigstens eine Teilaussage zu begründen, ist er in diesem Fall
berechtigt, die Adjunktion ZU behaupten. Eine entsprechendeAdjunk-
toreinführungsregel läßt sich so angeben:
(3-80) IP. p. =>} lp·pVq.
L
L
IP· q. =>
Behauptet in einem Diskurs P eine adjunktive Proposition, dann muß
er bereit sein, eine der beiden Propositionen zu behaupten. Tritt in
einem Diskurs also eine Behauptung einer adjunktiven Proposition
durch P auf und 0 bezweifelt diese Proposition, dann kann Pwählen,
welche der Propositionen er begründen will. Z.B. ist folgende
Diskurssituation denkbar:
f-. pvq.
?. pvq. f-. p.
145
Einführung des Adjunktors beliebig, welche der beiden zur Begrün-
dung herangezog.en wird. Angenommen nun, 0 stimmt den Prämissen
zu (prädiskursiv oderintradiskursiv), dann kann P zur Hehauptungder
dritten Proposition übergehen. Aufgrund dieser Überlegung läßt sich
auch folgende Adjunktorbeseitigungsregel angeben (konstruktives
Dilemma):
146
Frage stellen, ob für jede Proposition . p. P in der Lage sein muß, die
Begründbarkeit oder U nbegründbarkeit zu behaupten. Ohne Schwie-
rigkeiten ist einsehbar, daß man nicht die Begründetheit und die
Unbegründetheit von .p. zugleich erfolgreich behaupten kann. Kann
man jedoch von dieser Tatsache her den Übergang zu der Behauptung
rechtfertigen, daß P für jedes. p. wenigstens die Begründetheit oder die
Unbegründetheit behaupten können muß? Ist also die pragmatische
Variante des Tertium non datur eine logische Regel?
(3-86) fp.-, (p /\-, p). J. fp. p V-, p.
(3-86) würde verlangen, daß P für alle Propositionen . p. entweder zu
einer Behauptung oder einer Bestreitung bereit sein muß (und nicht zu
keinem von beiden). Propositionen, von denen P entweder eine
Behauptung oder eine Bestreitung gelingen lassen kann, sollen »ent-
scheidbar« heißen. Für gewöhnliche argumentative Kontexte gilt nun
keineswegs, daß man in der Lage ist, für das Gelingen einer Behauptung
oder aber einer Bestreitung einzustehen. In vielen Fällen weiß man gar
nicht, ob man über hinreichende Argumente für das eine oder das
andere verfügt. Unter den Propositionen, um die es beim Argumentie-
ren gehen kann, sind also immer zahlreiche de facto oder prinzipiell
unentscheidbar. Pragmatisch ist es also nicht sinnvoll, von vornherein
festzulegen, daß man bereit sein muß, jede Proposition entweder zu
behaupten oder zu bestreiten. 43 Schränkt man Kontexte jedoch
geeignet auf entscheidbare Propositionen ein, kann eine Regel nach
(3-86) durchaus pragmatisch rechLferLigbar sein. (3-86) isL also keine
logische, wohl aber eine mögliche topische Regel, weil sie u. U.
kontextvariant gilt.
3.4.2 Quantorenregeln
147
Im folgenden soll noch ein spezieller Fall einer solchen Verkettung von
Junktoren untersucht werden, für den eine weitergehende Diskursab-
kürzung formuliert werden kann. Behauptet P das Zutreffen desselben
Prädikators F für mehrere Gegenstände a1, . . . , a,. und geht P damit die
Verpflichtung ein, jede einzelne dieser Behauptungen zu begründen,
dann läßt sich dies mit Hilfe des Konjunktors unter Verwendung
propositional-differenzierter Abkürzungstechnik zunächst so ab-
kürzen:
(3-88) fp. Fa1„ fp. Fa2„ .. „ fp. Fan. ~ fp. Fa1 /\ Fa2 ... /\Fan.
(fürn = 1,2,3 „ .)
Für den Ausdruck rechts vom Regelpfeil soll nun eine weitere
Abkürzung eingeführt werden. Wird für beliebige a ein Prädikator F
nach Art t:im:r konjunkliven Verkettung behauptet, dann soll der
schematische Buchstabe (Parameter) a durch x ersetzt und dieses x
durch ein die konjunktive Verkettung abkürzendes Zeichen »gebun-
den« werden. Dabei bedeutet F~, daß x eine dementsprechend
zulässige Einsetzung für a (als Variable für al> a2, . . „ a,.) ist.
fp. Fa. ~ fp. /\ x (F~).
Das Abkürzungszeichen für diese mehrfache konjunktive Verknüp-
fung heiße» Generalisator«. (3- 84) ist somit eine Generalisatoreinfüh-
rungsregel. Für die folgenden Regelformulierungen sei vereinbart, die
Klammer um Ausdrücke der Form F~ in eindeutigen Fällen nicht
mehr zu verwenden.
Für die Rechtfertigung der Vereinfachungsregel für den »Generalisa-
tor« ist zu überlegen, daß jemand, der eine generalisierte Proposition
behauptet, sich verpflichtet, für die einzelnen Fälle eine Begründung
vorzulegen. Begründungspflichten entstehen pragmatisch nur inso-
weit, als ein 0 eine Begründung durch Äußerung eines Zweifels
verlangt (2. 2). P muß also bereit sein, für genau diejenige Konstante aus
dem durch »X« bezeichneten Bereich eine Begründungspflicht zu
übernehmen, die 0 bezweifelt. Somit erhält man folgende Generalisa-
torbeseitigungsregel:
149
tion« oder »Allbehauptung«, die durch den Partikularisator gebildete
Proposition »Partikularisation« oder »Existenzbehauptung« heißen.
Gcncralisation und Partikularisation greifen auf dieselben lebenswelt-
lich einüb baren Fähigkeiten wie Konjunktion und Adjunktion zurück,
nämlich Handlungen additiv bzw. alternativ, und zwar hier: für Serien
von Handlungen, vollziehen zu können.
Für den durch entsprechende Einführungs- und Beseitigungsregeln in
seinem Gebrauch normierten Generalisator soll für einen Prädikator F
der umgangssprachliche Ausdruck »Alle x sind F« ; für den Partikulari-
sator soll »Einige x sind F« eingeführt werden.
Wie auch schon bei den früher eingeführten Operatoren lassen sich
durch Kombination der Quantoren mit anderen Operatoren weitere
Operatoren einführen. Z.B. gilt folgende Abkürzung
1 53
herausgestellten Regelsystems. Das Interesse an Vollständigkeit ist
durchaus pragmatisch gerechtfertigt. Kennt man die logischen Regeln
vollständig, dann ist durch Rückgriff auf diese Kenntnis jederzeit
entscheidbar, wie ein Diskurs nach logischen Regeln zu führen ist bzw.
ob ein Diskurs nach logischen Regeln geführt worden ist und ob eine
entsprechende Behiuptung begründbar ist oder nicht.
Vollständigkeit läßt sich lebensweltlich nach verschiedenen Verfahren
erreichen. Die einfachste und oft in Ermangelung anderer Möglichkei-
ten sicherste Methode ist die Sammlung aller in Betracht kommenden
Kandidaten in einem Katalog. Dieses Verfahren soll Katalogisierung
heißen. Eine Katalogisierung ist aber prinzipiell nur sinnvoll, wenn die
Zahl der in Betracht kommenden Kandidaten endlich ist. Ist die Zahl
der in Betracht kommenden Kandidaten aufgrund immer neuer
Kombinationsmöglichkeiten unendlich, muß man versuchen, sich
durch ein schematisches Kontrollverfahren einen Überblick zu ver-
schaffen. Ein Verfahren heiße dabei »schematisch«, wenn es durch
Regeln bestimmt wird, die die Sukzession von Handlungsschemata in
einem Sukzessionsschema festlegen. Ein solches Verfahren, das natür-
lich nicht in allen Fällen, in denen man sich eine11 vollstä11digen Über-
blick verschaffen möchte, möglich ist, soll Kalkülisierung heißen.
Solche Kalkülisierungen sind lebensweltlich u. a. in Spielkontexten
durchaus geläufig. Z.B. ist es praktisch nicht möglich, alle denkbaren
Konstellationen eines Schachspiels in einem Katalog aufzuführen.
Dennoch ist es möglich, für jede gegebene Situation die jeweils
möglichen vorhergehenden und nachfolgenden Situationen an zu geben
und strategisch zu entscheiden. Dies ist möglich, weil die Regeln des
Spiels alle jeweils möglichen Züge von vornherein endlich (wenn auch
oft pragmatisch hinsichtlich der Folgezüge unüberblickbar) halten.
Daher ist kein Zug möglich, der nicht prinzipiell vorhersehbar ist.
Verfügt man über ein schematisches Verfahren, das eine jeweilige
Kontrolle und Planung der in einer gegebenen Situation weiteren
Schritte regelt, stellt sich allerdings das Problem, ob die Bildungsregeln
dieses schematischen Verfahrens mit Sicherheit immer wieder zu
Regeln führen, die ihrerseits als logische Regeln rechtfertigbar sind.
Das Verfahren soll also nicht zulassen, daß neue Regeln überraschend
nicht-rechtfertigbar sind, während die Regeln, aus denen sie entstan-
den sind, rechtfertigbar sind. Die Kalkülisierung soll also nicht nur
Vollständigkeit, sondern auch pragmatische Zuverlassigkeit gewähr-
leisten.
1 54
Das pragmatische Interesse an der Abkürzung und Vereinfachung von
Diskursen führte zu einer Ausdifferenzierung von Regeln, die durch
den Begriff der Logisierung gekennzeichnet war. Alle logischen Regeln
wurden bisher allein nach dem Gesichtspunkt der Abkürzung und
Vereinfachung durch pragmatische Überlegungen gerechtfertigt. Die
nun zu untersuchende Kalkülisierung der rekonstruierten logischen
Regeln wird durch neue Ausdifferenzierungsgesichtspunkte geleitet,
nämlich Vollständigkeit und Zuverlässigkeit. Daher kann in einer
geläufigen philosophischen Metaphorik gesagt werden, daß im Konsti-
tutionsprozeß eine neue Stufe erreicht ist. Allerdings ist zu betonen,
daß der Bereich formalpragmatischer Rekonstruktion dadurch keines-
wegs verlassen wird. Es wird also nicht etwa von einer pragmatischen
zu einer formal-semantischen Betrachtung übergegangen. Eine solche
dgene furmal-semaulische Detrachtu11g erübrigt sich (abgesehen von
den methodischen Schwierigkeiten einer solchen) allein dadurch, daß
im bisherigen Rechtfertigungsverfahren keine noch deutungsbedürfti-
gen Zeichen im Sinne der Syntax der Standardlogik verwendet wurden.
Alle formelartigen Ausdrücke enthielten lediglich Zeichen, die »steno-
graphisch« für formal-pragmatisch rekonstruierte lehr- und lernbare
Handlungen oder situative Momente von Handlungen stehen.
Nach diesen Vorüberlegungen soll die Kalkülisierung zu einem
pragmatisch gerechtfertigten Verfahren führen, das die Beantwortung
von folgenden Fragen erlaubt:
- kann man mit den bisher gerechtfertigten Regeln für alle Diskurssi-
tuationen, die pragmatisch sinnvoll sind, logische Regeln formulie-
ren (Vollständigkeit);
- führt der Kalkül unvorhersehbar von begründeten zu nicht-begrün-
deten Behauptungen (Zuverlässigkeit)?
1 55
konstative Sprechhandlungen behandelt, bei dem man also mit den
Sprechhandlungen, die sich auf Behaupten formal-pragmatisch
zurückführen lassen, auskommt. Die propositionalen Gehalte dieser
Sprechhandlungen sind modaloperatorenfrei. Der so entstehende
Kalkül kann als Kalkül einer konstativen modaloperatorenfreien
Protologik bezeichnet werden.
Die bereits auf der Stufe der Logisierung absehbare Ausbildung
weiterer logischer Regeln, die zur Frage nach der Kalkülisierbarkeit
überhaupt erst Anlaß gibt, wurde durch iterative und kombinierte
Anwendung logischer Regeln gewonnen. Die rekonstruierten Regeln
reglementieren Übergänge zwischen propositionalen Gehalten ver-
schiedener Form (Propositionenregeln) oder geben die Möglichkeit,
bestimmte Formen von Performatoren in Behauptungen mit bestimm-
ler proposilioualer Form zu üLeriülm:n (Kunst:q ui:nzri:gdn, Pt:rfur-
matorenregeln). Es genügt daher im Interesse der Erlangung einer
vollständigen Übersicht, die eingeführten Operatoren in ihrer proposi-
tionalen Form zu betrachten, also z.B.: f- .q-4 p.: f-. -w.;f-. p /\ .q.
Die rekonstruierten Regeln waren u. a. deswegen »logisch« genannt
worden, weil sie unabhängig von einem bestimmten Kontext, also auch
unabhängig von der inhaltlichen Bedeutung der elementaren Proposi-
tionen, die in ihnen vorkamen, gerechtfertigt werden konnten. Für die
Quantoren war nun bereits als konstitutiv herausgestellt worden, daß
sie in solchen Propositionen wesentlich vorkommen können, zugleich
aber zwischen durch Quantoren gebildeten komplexen Propositioni:n
auch die übrigen Operatoren stehen können.
Ist z.B. die Regel der Konjunktorbeseitigung (3-79) als logische
rechtfertigbar, dann muß sie auch in der Form rechtfertigbar sein:
(.4-1) fp. (/\x Fx) !\ (/\x Gx). ~ fp. /\x Fx.
Dies muß nun ebenfalls gelten, wenn in den Propositionen wiederum
Operatoren außer den Quantoren vorkommen, z.B.
(4-2) fp. (p !\ q) !\ (r !\ s). ~ fp. p !\ q. oder
(4-3) fp. (p-4 q) !\ (r-H). ~ fp. p~ q.
Für solche gestufte Anwendung von Operatoren sei die in (4- 1 bis 3)
bereits verwendete Klammerschreibweise vereinbart. Während also die
Punktnotation dazu dient, propositionale von performativen Satztei-
len zu trennen, soll die Klammernotation für die Gliederung im Innern
propositionaler Satzteile reserviert werden.
Zur weiteren Vereinfachung der Verständigung über derart komplexe
Propositionen sei nun vereinbart, daß für die Abkürzung vonProposi-
tionen mit beliebiger propositionaler Komplexität und beliebigem
InhaltdieBuchstabenA, B, C, ... ggfs. mitlndizesverwendetwerden
sollen. Der in den Regeln (4-1 bis 3) exemplarisch dargestellte
Sachverhalt, daß nämlich die Konjunktorbeseitigungsregel für belie-
bige Propositionen, also auch solche, die Operatoren enthalten, gilt,
kann somit einfach so angegeben werden:
(4-4) fp. A /\ B. => fp. A.
Dieser Ausdruck ist nun selbst nicht mehr in dem Sinne eine Regel wie
die bisher eingeführten Regeln. Er steht vielmehr stellvertretend für
eine (unendliche) Vielzahl von Regeln, deren »Form« er sozusagen
»angibt«. Regeln dieser Art sollen »Regel-Formen« genannt werden.
Soweit jedoch durch die Art der stenographischen Notation jeweils
klar ist, wann Regeln und wann Regel Formen gebraucht werden, soll
unterschiedslos der Terminus »Regel« verwendet werden.
Die durch Logisierung eingeführten und nach der Beschränkung auf
eine konstative und modaloperatorenfreie Logik noch zur Debatte
stehenden logischen Regeln sind in folgendem Katalog in Regel-Form·
Schreibweise (unter Fortlassung der trivialen Affirmatorenregeln)
zusammengefaßt.
-
(4 5)
Einführungs- RechL- BeseiLigw1gs- Recht-
regel ferti- regel ferti-
gung gung
158
gelingen soll. Das heißt aber, daß für die Betrachtung der Begründbar-
keit einer Proposition das Antezedens außer acht bleiben kann. Da der
N egator unter Rückgriff auf den Subjunktor eingeführt wird, läßt sich
für ihn eine analoge Überlegung anstellen. Wer . -, A. behauptet, tritt
dafür ein zu zeigen, daß er aus .A. sowohl ein .B. als auch ein.-, B.
folgern kann. 0 kann jedoch nicht zugleich .B. zustimmen als auch
nicht zustimmen. Also kann auf der Grundlage von .A. nichts
begründet werden. Ist .A. somit unbegründbar, dann kann es nicht Teil
des prädiskursiven Einverständnisses sein. Auch negierte Propositio-
nen können also in produktiven Diskursen außer acht bleiben.
Danach den pragmatischen Diskursregeln die produktive Diskursrich-
tung als aussichtsreicher empfohlen wird, sollen Diskurse gemäß
logischen Regeln in produktiver Richtung strenge Diskurse heißen.
Strenge Diskurse sind zwar nicht »subjunktions-« und »negations-
frei«. In ihnen spielt jedoch die Subjunktion und Negation bei der Ent-
scheidung über das Gelingen eines solchen Diskurses keine Rolle. 1
Für die Handlungen von P und 0 in einem strengen Diskurs nach
logischen Regeln läßt sich folgende Übersicht über die Handlungssuk-
zessionen angeben: .
(4-6) p 0 p
f-. A~ B. lr·A· f- .B.
f-. r A. ?. rA. f- .A.
j- .-,A. ?. -, A. ./.
f-. A !\ B. ?.A. I f- .A. I
?. B. f- .B.
f-. A vB. ?.AvB. f- .A.; f- .B.
f- ./\x Fx. ?. Fäi. f-. Fäi.
f-. VxFx. ?. VxFx. f- . Fä.
Diese Übersicht stellt die Handlungen der Diskursparteien in einem
produktiven Diskurs zusammen, die nach den Operatorbeseitigungs-
regeln vollzogen werden müssen, um diejenigen einfacheren Proposi-
tionen zu erhalten, die man behaupten muß, damit der Diskurs gelingt.
159
Für das Gelingen eines produktiven Diskurses um eine Behauptung mit
einer Proposition, die aus den hier betrachteten logischen Operatoren
zusammengesetzt ist, läßt sich.folgende Regel angeben:
?
f-. B~A.
lf-. B. f- .A.
lf- .A.
160
Im rechten Diskursschema wird es II2 dann gelingen, .B. zu begründen,
wenn . B. eine komplexe begründbare Proposition ist. Steht . B. für eine
Elementarproposition, ergibt sich die Begründbarkeit aus der Zustim-
mungsfähigkeit für diese Proposition.
Diskursserien der in (4-8) eingeführten Art seien nun aus Gründen der
weiteren Vereinfachung nicht horizontal, sondern vertikal notiert.
Eine solche Kombination (Verschachtelung) von Diskursen soll
zunächst durch einen horizontalen Strich und durch einen vertikalen
Doppelstrich ausgezeichnet werden. Ferner gilt, daß die Äußerungen
einer Partei rechts (IIr) und diejenigen der anderen Partei links (II1)
aufgelistet werden. Dabei ist zu beachten, daß beider Kombination von
Diskursen zwar die Parteien identisch bleiben, die Rollen jedoch
wechseln. Da die Eröffnungsbehauptung von 0 im rechten Diskurs-
schema nur eine Wiederholung der Zustimmung im linken Diskurs-
sehema darstellt, soll auf die Wiederholung der Behauptung des
Antezedens der Eröffnungsbehauptung verzichtet werden. Gemäß
diesen Vereinbarungen stellt sich die in (4- 8) protokollierte Diskursse-
rie so dar:
161
anfänglicher 0) vollziehen müssen, damit ein Diskurs (nach Möglich-
keit) zu einer Begründung führt.
Bezüglich des Subjunktors wurde bereits festgelegt, daß nach der
Behauptung einer subjunktiven Proposition durch IIr II1 das Anteze-
dens behaupten und begründen können muß, IIr demgegenüber (wie es
der Einführung des Subjunktors mittels des materialen Konsequenz-
operators entspricht) für die Begründung des Sukzedens eintreten
können muß. Kommt aufgrund des Rollenwechsels in verschachtelten
Diskursen eine Subjunktion bei II1 als zu behaupten vor, gilt diese Regel
genau symmetrisch zwischen IIr und II1.
Behauptet IIr eine Proposition mit Affirmator, muß er sie nach
Bezweiflung durch II1 auch begründen. Ist diese Proposition komplex,
dann muß IIr sodann diejenigen Begründungspflichten übernehmen,
die sich aus dem regierenden Opt:ralor als nächste ergeben. Daher sei
vereinbart, daß bei der Behauptun~ affirmativer komplexer Proposi-
tionen die Bezweiflung der Affirmation und ihre Begründung über-
gangen werden. Zwischen IIr und II1 gelte diese Vorschrift symme-
trisch.
Demgegenüber ist der Negator unverzichtbar. Für die Abfolge von
Äußerungen um den Negator ist die Überlegung maßgebend, daß der
Negator einen speziellen Fall des Subjunktors ausdrückt, nämlich
denjenigen, daß P die Subjunktion zwischen einem Antezedens und
dem Sukzedens sowie der Negation des Sukzedens behauptet. Wie
gezeigt, kann es P nicht gelingen, sowohl f- .p. als auch f- . --i p. zu
begründen. Daher kann 0 das Antezedens nicht behaupten (was er
können müßte, da es sich jahierum eine spezielle Subjunktion handelt).
Der Begründungsversuch von P ist somit in jedem Fall mißlungen.
Kommt nun bei IIr die Behauptung einer negierten Proposition vor,
dann hat aufgrund der Diskursverschachtelung II1 als nächstes die
Behauptung (der Affirmation) dieser Proposition zu übernehmen. Ist
diese Proposition komplex, richtet sich der Fortgang nach dem nun
regierenden Operator. Ist die Proposition elementar, gibt es für IIr
keine Möglichkeit der Begründung mehr. Da aufgrund der Diskurs-
kombination auch II1 in die Situation kommen kann, eine Behauptung
mit Negator zu übernehmen, gilt diese Vorschrift ebenfalls symme-
trisch.
Behauptet IIr eine Proposition mit Konjunktor, dann kann II1 beide
Konjunktionsglieder bezweifeln. IIrmuß also für beide Konjunktions-
glieder eintreten können. Da diese Konjunktionsglieder komplex sein
162
können, verzweigt sich der Diskurs hier in Teildiskurse um die
einzelnen Konjunktionsglieder. Aus den gleichen Gründen wie vorher
gilt ebenfalls Symmetrie.
BehauptetIIreine Proposition mitAdjunktor, dann kann II1die gesamte
Proposition bezweifeln. Es genügt, wenn llr für eine der Teilproposi-
tionen eine Begründung liefern kann. Es gelte diese Vorschrift
ebenfalls symmetrisch.
Behauptet IIr eine Proposition mit Generalisator, dann kann II1 eine
passende Einsetzung bezweifeln. IIr ist in seiner nächsten Äußerung
dann gehalten, seine Behauptung für diese Einsetzung zu vollziehen.
Im umgekehrten Fall gelte auch diese Vorschrift symmetrisch.
Behauptet IIr eine Proposition mit Partikularisator, dann kann II1 die
ganze Proposition bezweifeln. IIr hat in seiner nächsten Äußerung eine
vun ihm zu wählende Einsetzungsinstanz zu behaupten. Dasselbe gelte
symmetrisch.
Aufgrund der Symmetrievorschrift lassen sich die Regeln für zwei
durch (möglicherweise wechselnde) Funktionen definierte Parteien II1
und II2 in einem Katalog für reduktive Diskurse zusammmenfassen:
(4-10) II1 II2 II1
1-.A~B. 1-. A. 1-. B.
r· r A. ?.A. 1-. A.
1-. ,A. 1-.A. ./.
1-.AAB. ?. A. I?. B. 1- .A.11- .B.
r· A vB. ?.AvB. 1-A.; 1-.B.
1-. /\x fx. ?.fai. 1-. f~.
1-· Vx Fx. ?.VxFx. 1-.Ft
f-. (A vB) ~ C.
11
f-. A vB. f-.C. 1 ?.AvB.
Für diesen Fall sei geregelt, daß IIr berechtigt, aber nicht verpflichtet ist,
zunächst diejenige Äußerung zu vollziehen, die auf den das Antezedens
ihrer eigenen Behauptung einer subjunktiven Proposition regierenden
Operator nach (4-ro) folgt. Erst wenn uad1 (4-10) keine weitere
Äußerung mehr möglich ist, ist sie verpflichtet, <las Sukzedens der
Anfangsbehauptung zu behaupten. Die Rechtfertigung für diese Regel
läßt sich aus der pragmatischen Bedeutung des Subjunktors leicht
einsehen. Wer die Subjunktion .A ~ B. behauptet, kann dafür gemäß
der formal-pragmatischen Einführung des Subjunktors nur dann eine
Begründung erreichen, wenn es gelingt, die Behauptung von .B. unter
Rückgriff auf die Prämisse. A. zu begründen. Wenn der entsprechende
0 nun .A. zustimmt, so muß er bereit sein, .A. auch zu behaupten. Da
.A. wiederum komplex sein kann, muß man gegebenenfalls auch den
Diskurs um die Behauptung von .A. verfolgen. Allerdings ist dadurch
nur das Recht, nicht die Pflicht für IIr gerechtfertigt, so zu verfahren. Es
ist nämlich durchaus möglich, daß IIr bereits vor der endgültigen
Prüfung von .A. die Möglichkeit einer Begründung für .B. sieht. Die
analogen Überlegungen lassen sich für den Fall anstellen, daß die
Wahlmöglichkeit dieser Art für I11 entsteht: beide Parteien können
gemäß ihren spezifischen Interessen, eine Behauptung begründen,
bzw. die Zweifel ausgeräumt sehen zu wollen, bei Behauptungen mit
Subjunktionen wählen, d. h. für den Fall mehrfacher Vorkommnisse
von Subjunktionen: sich Strategien der Argumentation zurechtzu-
legen.
Für den Fall, daß bei Propositionen mit mehrfachen Subjunktionen
zum Abschluß der Prüfung der Antezedentia mehrere solcher Ver-
pflichtungen zur Behauptung der Sukzedentia vorliegen, sei festgelegt,
daß die zuletzt offengebliebenen Behauptungen vor den früher offen
gebliebenen Behauptungen hinsichtlich ihrer Begründbarkeit geprüft
werden. Die Rechtfertigung dafür ergibt sich aus der pragmatischen
Überlegung, daß zunächst die Begründbarkeit der Teilpropositionen
zu iiberpriifen ist, bevor die Begründbarkeit der Gesamtproposition
zur Diskussion steht.
Räumt man den Parteien nun auf diese Weise Wahlmöglichkeiten ein,
dann ist die bisher (auch noch für produktive Diskurstableaux)
unterstellte Sukzessionsregel (2- 39) zu modifizieren. Es muß nämlich
eine Regel für das Einbringen derjenigen Äußerungsmöglichkeiten
gerechtfertigt werden, die die Parteien aufgrund ihrer W ahlmöglich-
keiten zunächst zurückgestellt haben. Daß eine solche Möglichkeit
vorgesehen werden muß, läßt sich aufgrund der bisherigen Überlegun-
gen zur Diskurskombination deutlich machen. Angenommen, IIr
bezweifelt zunächst die von II1 vollzogene Behauptung des Antezedens
einer subjunktiven Ausgangsbehauptung. Würde man nun auf (2-39)
bestehen, käme das Verfahren gemäß (4- rn) zwar 7.n r.inr.r Situation, in
der nur noch Elementarpropositionen behauptet werden. IIr hätte
jedoch keine Möglichkeit mehr, das Sukzedens der Anfangsbehaup-
tung (auf der Grundlage des nun geprüften Antezedens) zu behaupten.
Damit wäre aber der pragmatische Sinn des gesamten Diskurses um
Subjunktionsbehauptungen vernichtet, nämlich ein Sukzedens zu
behaupten unter der Maßgabe, daß 0 einem Antezedens zustimmt.
Würde man IIr also nicht erlauben, die Behauptung des Sukzedens in
dem Fall nachzuholen, in dem sie sich für die Bezweifelung der
Behauptung des Antezedens entschieden hat, gäbe es keine Möglich-
keit mehr, das Gelingen oder Mißlingen eines Diskurses um eine
Behauptung festzustellen. IIr muß somit erlaubt sein, die Sukzedentia
der von ihr behaupteten Subjunktionen nachzuholen, wenn sie
zunächst das von II1 behauptete Antezedens bezweifelt hat.
IIr muß aber auch die Möglichkeit haben. einen ausgelassenen Zweifel
gegenüber einer Behauptung von II1 nachzuholen. Es könnte sich
nämlich erst im Verlauf des weiteren Diskurses um ein behauptetes
Sukzedens zeigen, daß II1 eine Zustimmung zu Unrecht vollzogen hat,
so daß sie durch einen entsprechenden Zweifel zu einer entsprechenden
Behauptung veranlaßt werden muß. Damit erhält man folgende
modifizierte Sukzessionsregel
(4- 12) »In Diskursen sollen Äußerungen abwechselnd gemäß den
Vorschriften von (4- 10) vollzogen werden; ausgelassene
Äußerungsmöglichkeiten dürfen jedoch von IIrnachgeholt
werden.«
Diese Modifikation gegenüber (1- 39) ist nur scheinbar eine Änderung
der Diskurskonzeption. Si~ ergibt sich, weil aufgrund des Verfahrens
der Kombination von Diskursen spezifische Rollenwechsel zugelassen
sind; innerhalb eine~ jeweiligen Teildiskurses bleibt die Vorschrift, auf
die jeweils letzte Argumentation zu reagieren, erhalten. Somit ist
durch (4- 12) nicht der Begriff des Diskurses geändert worden, sondern
das Verfahren seiner Protokollierung.
Zu rechtfertigen ist noch, warum für II1 nicht dieselbe Modifikation
eingeräumt und eine Asymmetrie in die Formulierung der Sukzes-
sionsregel aufgenommen wird. Grundsätzlich muß sich diese Asym-
metrie von den unterschiedlichen pragmatischen Zwecken des anfäng-
lichen P und 0 her rechtfertigen lassen. Während IIr eine Behauptung
begründen will, will II1 die Zweifel; die sie an der Behauptung hat,
ausgeräumt sehen, und dadurch prüfen, ob sie zustimmen kann. Der
Umstand, daß II, einen Zweifel gegen das Anter.enem ihr~r suhjun kti-
ven Behauptung richtet, ist darin begründet, daß II, wissen will (dahier
nur die reduktive Diskursrichtung betrachtet wird), ob II1 ihrem
Antezedens der Anfangsbehauptung »Zu Recht« zustimmt. Stimmt
nämlich IIi nicht einmal dem Antezedens der Anfangsbehauptung zu,
dann erübrigt es sich für IIn eine Begründung für das Sukzedens zu
versuchen (dies ergibt sich aus der pragmatischen Bedeutung der
Subjunktion). II1 als anfänglicher 0 tritt nun um Teildiskurs um das
Antezedens in die Rolle des Pein, der auf den Zweifel von IIr hin das
anfängliche Antezedens zu begründen sucht. Dieses Begründungsin-
teresse von II1 ist jedoch nicht so zu verstehen wie das von II„ II1 setzt
sich ja lediglich einem »Test« hinsichtlich der Frage aus, ob das
anfängliche Antezedens ein tragfähiges Argument darstellt. Indem II1
nun ihrerseits die Rolle des P übernimmt, bleibt die pragmatische
Ausgangslage erhalten, daß IIr diejenige Partei ist, die etwas behauptet.
Das Interesse, den Zweifel an dem Antezedens einer subjunktiven
Proposition zu äußern, geht auf das Interesse der IIr als anfänglichem P
zurück, die Tragfähigkeit des Antezedens zu überprüfen. II1 dagegen
hat dieses Interesse nicht. Ihren Interessen ist Genüge geleistet, wenn
alle Zweifel ausgeräumt werden. Ob IIr darüber hinaus dem Anteze-
dens der von ihr übernommenen Subjunktion zustimmen kann,
interessiert II1 nicht. Deswegen ist es pragmatisch nicht sinnvoll, II1
ebenfalls das Recht zu geben, auf früher behauptete Antezedentia der IIr
noch einmal ihren Zweifel zu richten.
166
Nach dem mit (4-10) eingeführten Reglement für die schematische
Protokollierung nach dem Verfahren '1er Bildung von Diskurstableaux
kann man sich nun leicht vergegenwärtigen, daß ein Diskurs sowohl
mit der Behauptung einer letzten elementaren Proposition durch IIr als
auch durch II1 enden kann. An dieser Stelle tritt wieder das Argumentie-
ren nach kontextvarianten Regeln in Kraft. Es muß daher für das
Diskurstableauverfahren noch festgelegt werden, unter welchen
Umständen eine Begründung unabhängig vom Ausgang dieses Verfah-
rens um elementare Propositionen als gelungen betrachtet werden soll.
Zunächst ist durch Beispiele leicht einsehbar, daß IIr die Begründung
einer logisch komplexen Proposition dann gelingt, wenn ihm auch die
Begründung der zuletzt behaupteten elementaren Propositionen
gelingt. Dies ist z.B. der Fall, wenn IIr mit der Behauptung einer
Ku11jw1kLio11 anfängt:
IIr
1-.pAq.
I
?. P· ?. q. 11
1 ·P· I 1- .q.
Bereits für den Fall, daß beide in (4-13) vorkommenden Elementar-
propositionen negiert sind, ergibt sich eine andere Situation:
II1 IIr
f-.(-,p)A(-,q).
?. -,p. I ?. -,q. f-.--;p.1 f-.-,q.
f-.p. f-.q. ./.
Für diesen Fall ist bei der Aufstellung des Reglements (4-ro) bereits
dargestellt worden, daß es für IIr keine Antwort gibt. Die Begründung
der Ausgangsbehauptung ist somit mißlungen. Unterstellt man nun,
daß IIr eine elementare Proposition, die sie aufgrund des Reglements
(4- r o) behaupten kann, auch inhaltlich begründen kann (man könnte
auch genau die kontradiktorische Unterstellung machen und käme
ebenfalls zu einem eindeutigen Ergebnis), dann läßt sich folgende
(reduktive) Diskursbeendigungsregel als Entscheidungsregel für das
Gelingen bzw. Mißlingen der Begründung einer Behauptung mit
logisch komplexer Proposition rechtfertigen:
»Ilr gelingt die Begründung einer komplexen Proposition
genau dann, wenn sie nach dem Kalkül (4- r o) zur Behaup-
tung einer elementaren Proposition gelangt, die sie begrün-
den kann. Sonst mißlingt die Begründung.«
Die hier mögliche Frage, wie es kommt, daß die schematische
Durchführung des Kalküls (4-10) genau die begründeten (im Sinne
von (4-15)) Propositionen auszeichnet2, läßt sich durch Rekonstruk-
tion des Rechtfertigungsganges, der zu (4-10) führte, beantworten.
Das Interesse der Diskursparteien an einer Begründung führte schritt-
weise zur Ausdifferenzierung des Kalküls (4-10 ). Da der Kalkül (4- 10)
argumentationspragmatisch gerechtfertig ist, führt er auch zu einer
argumentationspragmatisch verstehbaren, gleichwohl schematisch
herbeigeführten Entscheidung der Frage der Begründbarkeit einer
Ausgangsbehauptung.
Für die formal-pragmatische Rekonstruktion ist jedoch zu beachten,
daß ein Diskurstableau nicht mehr als Protokoll eines real verlaufenden
Diskurses angesehen werden kann. Vielmehr tauchen im Diskursta-
bleau nur diejenigen Äugerungen auf, die allein aufgnmd der formal-
pragmatischen Bedeutung der vorkommenden Operatoren in jedem
fall auftauchen müssen, unabhängig von denjenigen Prämissen und
Übergangsregeln (»R«), die in einem real verlaufenden Diskurs
möglicherweise geäußert würden. Insoweit macht sich in diesem
Entscheidungsverfahren der Diskursvereinfachungseffekt der logi-
schen Regeln bemerkbar. Ein Diskurstableau ist das Protokoll der für
den Ausgang einer realen Diskursserie logisch entscheidenden Äuße-
rungen.
Diese Verdeutlichung ist wichtig, weil Diskurstableaux im Blick auf
reale Diskurse ausgesprochen künstlich wirken müssen. Die »Künst-
lichkeit« läßt sich jedoch schrittweise durch Ausdifferenzierung am
Leitfaden pragmatischer Prinzipien rechtfertigen. Insofern ist die
Bildung von Diskurstableaux als erster Schritt der Kalkülisierung ein
rechtfertigbares Instrument der lebensweltlichen Argumentations-
praxis.
Die Diskursbeendigungsregeln für produktive (strenge) und reduktive
Diskurse um Behauptungen mit logisch zusammengesetzten Proposi-
tionen machen dabei deutlich, daß für Überlegungen unter dem
Gesichtspunkt der Situationsinvarianz zunächst über die Begrün-
dungsmöglichkeit für Elementarbehauptungen, da diese nur situa-
r68
tionsvariant zu prüfen sind, nur Annahmen gemacht werden können.
Die definitive Diskursbeendigung' hängt selbstverständlich vom
Ergebnis des Diskurses um die jeweiligen Elementarbehauptungen ab.
Diskurse, die von »materialen« Annahmen bezüglich der situationsva-
rianten Begründbarkeit von Elementarpropositionen abhängen, sollen
»materiale« Diskurse heißen. Damit ist offenkundig, daß logische
(situationsinvariante) Regeln der Diskursabkürzung und -vereinfa-
chung bereits für materiale Diskurse formuliert und pragmatisch
untersucht werden können. Betrachtungen, die von materialen Annah-
men unabhängig sind (»formale« Diskurse) ändern jedenfalls nichts
mehr an der pragmatischen »Bedeutung« der verwendeten Opera-
toren.
<==>
!:l 2· A,.
!:l2. A2.
E:i1. A1.
Konsequenzregeln
Performatorenregeln
Propositionenregeln
Durch <las Verfahren der Bildung von Diskurstableaux ergibt sich für
Diskursparteien durch Rückgriff auf das Reglement (4- r o) die Mög-
lichkeit, von jedem beliebigen Stand der Entwicklung eines Diskursta-
bleau sich einen Überblick über das mögliche Gelingen oder Mißlingen
der Begründung der Anfangsbehauptung zu verschaffen. Wendet man
die eingefi.ihrteDiskursbeendigungsregel (4- r 5) an, lassen sich fürjede
denkbare Diskurstableausituation begründungsstrategische Überle-
gungen über den Fortgang des Diskurses durchführen. Es läßt sich
somit eine Übersicht für alle Situationen, in denen IIr eine Begründung
ihrer Anfangsbehauptung gelingt, gewinnen. In ihm müssen die
diskursiven Handlungen der II1 und die jeweils letzte Handlung der IIr
angeführt sein. Dies hat seinen Grund darin, daß IIr nach den Regeln für
den Subjunktor und nach (4- 12) die Möglichkeit hat, eine Behauptung
nachzuholen, die zunächst zurückgestellt werden mußte. Will man
sich strategisch über die Situation in einem Diskurs Rechenschaft
geben, dann muß man sich also die Behauptungen der II1 und die jeweils
letzte Behauptung der IIransehen, um nach den Regeln (4-10) eindeutig
entscheiden zu können, wie die Diskurssituation nach (4-15) zu
beurteilen ist. Dabei sei für den Fall, daß in einer Folge F von
Handlungen der Ili, r eine Behauptung von A vorkommt, die Abkür-
zung F/fül,c.A./ vereinbart. 4
/\ F/f-. AAB./ 11
f-. c. F f-.AAB.
f-.A.;f-.B. 11 f-.A.Jf-.B.
V
F/f-.AvB./ f-. c. F f-.AvB.
f-. A. Jf-B. 11 11 f-.A.;f-.B.
/\
F/f-. /\x Fx./ f-. c. F f-. /\x Fx.
f-. Fai. 11 11 J .Fa.
V
F/f . Vx Fx./ f-. c. r: f-. Vx Fx.
f-. Fa. 11 11 f- .Fai.
Das Reglement (4- ro) für die schematische Darstellung von Diskurs-
tableaux soll nun genau dann »Zuverlässig« heißen, wenn die Einhal-
tung des Reglements nicht zugleich dazu führen kann, daß ein Diskurs
gelingt und mißlingt. Dies wäre nach der angenommenen Diskursbe-
endigungsregel (4-I 5) dann der Fall, wenn bei Ilr eine Situation
auftauchen würde, in der sie .B. und auch . 1 B. behaupten könnte (im
Fall der Behauptung von .B. wäre der Diskurs gelungen, im Fall der
Behauptung von· I B. müßteI11nun .B. behaupten, womit der Diskurs
mißlungen wäre). Der Fall, daß für IIrdie Möglichkeit entsteht, .B. und
auch · I B. zu behaupten, kann nach den Regeln für die Aufstellung
eines Diskurstableau nur dann zustande kommen, wenn Ilr zunächst
.A ~ B. behauptet hat. Stimmt I11 nun zu, kann IIr nach den Regeln
zunächst .A. bezweifeln. Nach Abschluß des Diskurses um .A. müßte
IIr nun · I B. behaupten. Dies will er jedoch nach der Anfangsbehaup-
tung gerade nicht behaupten. Sonst hätte die Proposition der Anfangs-
behauptung die Form .A ~ 1 B. haben müssen. Ist jedoch .A ~ B. und
.A ~ 1 B. begründbar, dann ist nach der Regel der Negatorbeseitigung
(3- 55) .A. nicht begründbar. I11 als erster Opponent hätte also dem
Antezedens gar nicht zugestimmt, was ein Widerspruch zur Vorausset-
zung ist. Wäre also in einem Diskurstableau eine Situation herstellbar,
1 73
in der IIr sowohl .B. als auch . ---, B. behaupten könnte, wäre die Frage
der Begründbarkeit von Behauptungen nicht mehr eindeutig ent-
scheidbar. Damit wären die Regeln von (4- 10) und die ihnen zugrunde
liegenden Regeln überhaupt unzuverlässig.
Aus diesem Grund ist für die in Diskurstableauxkonstruierte schemati-
sche Übersicht über nach logischen Regeln verlaufende diskursive
Handlungen zu zeigen, daß der angenommene Fall bei Einhaltung des
Reglements nicht eintreten kann. Dies kann man sich in der Tat durch
Prüfung des Katalogs (4-21) für jeden Einzelfall klarmachen. Man
braucht für jede mögliche Diskurssituation sich nur zu überlegen, daß
nach einer Behauptung von .A __.,. B. durch IIr und Zustimmung zu .A.
durch II1 (für jede beliebig komplexe Proposition .A.) für IIr am Ende
nur .B. und nicht.---, B. zu behaupten bleibt:
f-. A_,.H.
1r-. A.
f-. B.
Anders formuliert:
f-. (C_,.D)_,.B.
f-. c_,.D. f-. c.
f-. D. f-. B.
Angenommen, .A. sei eine negierte Proposition.---, C.:
174
Für den konjunktiven Fall ergibt sich:
f-. (CAD)~B.
f-. CAD. ?. C.I?. D.
f-. C. I f-. D. f-. B.
Für den Adjunktor:
f-. (CvD)~B.
f-. CvD. ?. CvD.
f-. C.; f-. D. f-. B.
Für den Generalisator:
f-. VxFx~B.
f-. Vx Fx. ?. VxFx.
f-. Fa. f-. B.
Sind nun die verwendeten Propositionenvariablen B,C,D ihrerseits
komplex, dann ergibt sich, wie man sich schrittweise klarmachen kann,
keine grundsätzlich andere Situation. Ist für B beispielsweise.--, E. zu
substituieren, bleibt der Begründungsversuch durch IIr in jedem Fall
mißlungen (vgl. 4-14). Sind für B und C wiederum komplexe
Propositionen einsetzbar, ändert sich die Zuverlässigkeit des Verfah-
rens nicht. In jedem Fall bleibt eindeutig entscheidbar, ob der Diskurs
nach (4-15) als gelungen oder mißlungen zu betrachten ist.
Durch diese Überlegung ist gezeigt, daß die Bildung von kombinierten
Diskursen aufgrund der besonderen pragmatischen Bedeutung der
Subjunktion eine eindeutige schematische Bildung eines Diskurs-
protokolls bleibt. Der durch (4-10) geregelte Kalkül ist somit zuver-
lässig.
Mit dem Nachweis, daß der Kalkül, der nach dem Reglement (4-10)
eine Übersicht über alle möglichen diskursiven Handlungen mit
logisch zusammengesetzten Propositionen erlaubt, pragmatisch voll-
ständig und pragmatisch zuverlässig ist, ist das Ziel der Protologik
erreicht. Der mit (4- IO) konstruierbare Kalkül ist ein als pragmatisch
adäquat gerechtfertigter Kalkül. Eine auf ihm aufbauende formale
Logik kann somit als »pragmatisch gerechtfertigt« ausgezeichnet
werden.
Im folgenden soll nur noch angedeutet werden, wie der Übergang von
einer pragmatisch gerechtfertigten Protologik zu einer (formalen)
Logik vollzogen werden kann. Dafür ist der Grundgedanke leitend,
daß für eine (formale) Logik eine weitere Abstraktion vorzunehmen
ist. Während die Entscheidung der bisher betrachteten Diskurs-
tableaux von den Annahmen abhängt, die der Diskursbeendigungsre-
gel (4-15) zugrunde liegen, soll eine formallogische Rekonstruktion
von Begründungen auch noch von dieser Annahme unabhängig sein.
Mit anderen Worten: es sollen nur noch solche Propositionen betrach-
tet werden, die in jedem Fall (uuaLhäugig von der Prage, ob die letzte
Elementarproposition begründet werden kann) begründet werden
können. Solche Propositionen lassen sich mit den bisher zur Verfügung
stehenden Mitteln durchaus bilden.
Als Beispiel für diesen Diskurstyp sei folgendes Diskurstableau
untersucht:
TI,
f-. A~A.
f-. A. II f-. A.
Nach der vorgeschlagenen Vereinbarung für die Diskursbeendigung
(4-14) gelingt es TI, als P der Eröffnungsbehauptung, die Behauptung
von. A. zu begründen, wenn sie elementar ist. Dies ist jedoch in diesem
Fall auch unabhängig von dieser Vereinbarung der Fall. Angenommen
nämlich, Tii würde die Behauptung von .A. durch II, bezweifeln, könn-
te TI, zunächst verlangen, daß Tii als Proponent der zweiten Zeile
zunächst seinerseits die Behauptung von .A. begründet. Pragmatisch
ergibt sich ja diese Behauptung aus jener Zustimmungsäußerung des
0, ohne die eine Begründung einer Behauptung mit subjunktiver Pro-
position ohnehin aussichtslos wäre. Entweder kann nun Tii ihre Be-
hauptung begründen (so daß TI" die in diesem Zusammenhang die
Rolle es 0 einnimmt, zustimmt); in diesem Fall braucht TI, nur genau
diese Gründe selbst zu übernehmen, um den möglichen Zweifel von
Il1 zu befriedigen. Oder aber Il1 kann ihre Behauptung nicht begrün-
den. Dann kann sie nach der Einführungsregel für den Negator ledig-
lich zur Behauptung von . -, A. übergehen, so daß die Behauptung von
.A. mißlingt. In diesem Fall kann jedoch Ili, da sie ja selbst nicht in der
Lage ist, .A. zu begründen, auch .A. nicht behaupten. Wenn TI1 also
.A. zustimmt, dann gelingt es Ilr immer, die Anfangsbehauptung von
.A~A. zu begründen.
Da nun die Begründung dieser Behauptung immer gelingt, ohne daß
auf die Argumente von Ilr für Elementarbehauptungen noch Bezug
genommen werden muß, seien derartige Behauptungen logisch begrün-
dete (»beweisbare«) Behauptungen genannt. Für sie ist kennzeich-
nend, daß Ilr an einer Stelle des Diskurses auf die Behauptung einer
Elementarproposition zurückgreifen kann, die Il1 schon vorher geäu-
ßert hat.
Das Verfahren der Kalkülisierung erlaubt somit auch Entscheidungen
desjenigen Typs von Propositionen, die unabhängig von der Entschei-
dung der vorkommenden Elementarpropositionen in jedem Fall
begründbar sind. Entsprechend der vorgenommenen Beschränkung
auf eine konstative modaloperatorenfreie Protologik läßt sich auf diese
Weise eine (formale) Logik entwickeln, die die Theorie von modalope-
ratorenfreien Propositionen konstativer Sprechhandlungen darstellt.
Für diese formal-logische Theorie wäre durch den hier vorgeschlage-
nen protologischen Aufbau gezeigt, daß ihr eine pragmatisch-norma-
tive Genese zugrunde liegt; sie wäre also ein Instrument zur Bewälti-
gung von Argumentationsproblemen. 5 Eine Erweiterung dieses
Instrumentariums auf Propositionen nicht-konstativer und/ oder rela-
tiver Sprechhandlungen würde allerdings einen erweiterten protologi-
schen Aufbau verlangen.
180
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-j. 1'·
X
X bestreitet, daß p.
l.!..'. X schlägt vor, daß p.
lx · P·
Ir· P· X und Y sind sich prädiskursiv einig, daß p .
. q.~.p. X folgert reduktiv paus q.
. q. !?· p. X folgert produktiv p aus q .
.p~q. Subjunktor
·IP· Affirmator
. -w Negator
. p ;\ q. Konjunktor
. pvq. Adjunktor
.p>-< q. Disjunktor
.AxFx. Generalisator
. VxFx. Partikularisator
. \VxFx. negierter Partikularisator
Namenregister
193
Regel-Form 157 Subjunktor, konstruktiver 123
Regelpfeil 79 Subjunktor, Transitivitätsregel 121
Regelsystem 107 Subjunktorbeseitigungsregel 118 f.,
Regeltyp(en) 170 160
Repulsion 134 Subjunktoreinführungsregel 118
Rhetorik 16, 30, 108 Sukzedens u7
Sukzessionsregel 97, 108, 165 f.
Schema 69 symbolische Handlung 87
Schema einer Aufforderung 86 Symmetrieregel 99
Schema einer expliziten Äußerung 86, Syntax 62
106
Schematisierung 69 Tertium non datur 147
Schematisierung von Begründungs- Topik 16, 19, 108
diskursen 64 Topische Diskursregel 115
Schluß, analytischer 14 Trägerhandlung 88f.
Schluß, substantieller 14
Semantik 62 Übergangsregel 93
Situationsinvarianz 62 Universalgrammatik 26f.
Spieltheorie 53
Sprechhandlung 87 Verfahren, konstruktives 4 3
Sprechhandlung, absolute 151 Verfalrren, rekonstruktives 43
Sprechhandlung, atomare 77 Versprechen 128
Sprechhandlung, konstative 51 Verteidigung 49
Sprechhandlung, molekulare 77 Vollständigkeit 154
Sprechhandlung, regulative 51 Voraussetzungshaftigkeit (des kon-
Sprechhandlung, relative 151 struktivistischen Rechtfertigungs-
Sprechhandlung, repräsentative 51 programms) 40
Standardform expliziter Äußerungen Vorhersagen 83, 151
84 Vorschlagen 102
Standardlogik 10
Standardlogik, pragmatisch orien- W ahrheitsdefinitheit 152
tierte Erweiterung der 24f. Widerspruchsverbot 137
Standardlogik, pragmatische Rele-
vanz der 28 Zeitmangel 103
stenographische Konventionen 8 5 Zirkelfreiheit, Postulat der 40
Strategie (der Argumentation) 165 Zirkelproblem 110
Strategieregeln 100-102 Zusprechen (eines Prädikators) 78
Subjunktion 117 Zustimmen 77
Subjunktionen, mehrfache 165 Zustimmung im schwachen Sinn 77
Subjunktor 117, 127, 158, 162, 170, Zustimmung im starken Sinn 77
174 Zuverlässigkeit 172f.
Subjunktor, Identitätsregel 121 Zweifel(n) p, 76
Zweiwertigkeit 152