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VL: „Theoretische Philosophie in der deutschen Klassik“ | Dr. Prof.

Christoph Asmuth

ESSAY: ZUM DEUTSCHEN IDEALISMUS.

E I N L E I T U N G Als Eigenname [vgl. RÜSEN, 1986, 81] bezeichnet der Deutsche Idealismus einen
Sachverhalt der Vergangenheit in seinem singulären Vorkommen, in diesem Fall: einen bestimmten
Abschnitt der Philosophiegeschichte. Als philosophiegeschichtliche Kategorie ist der Deutsche Idealismus
mit der Frage nach seiner homogenen Ganzheit konnotiert; als strikte Kategorie, die sich als terminus
technicus zur Einordnung von Philosophie der Frage nach ihrer technischen Leistungsfähigkeit bei der
Bestimmung der darin kategorisierten Philosophen nicht entziehen kann, ist die Kategorie des Deutschen
Idealismus mit Schwierigkeiten behaftet [vgl. HORSTMANN, 2004, 3-27]. Auch einem konstellativen
Zugang [MULSOW / STAMM, 2005] stehen technische Hindernisse im Weg. In diesem Essay versuche ich
mich trotzdem daran, den Deutschen Idealismus in seinen wesentlichen Momenten zu beschreiben und
dabei das Verhältnis von Philosophie und Moderne zu umreißen.

M O M E N T E Im Deutschen Idealismus arbeitet sich die Philosophie am Erfahrungsgehalt der Moderne


ab; die Erfahrungen der Moderne dienen ihr als Substrat für ihre Begriffsarbeit [vgl. GRAMM, 2016, 10-34].
Hegels Selbstverständnis zufolge hat Philosophie zur Aufgabe, die Phänomene der Moderne in ihrer
Unvermitteltheit für das Bewusstsein aufzugreifen und zu integrieren. Der Mangel des natürlichen,
vorphilosophischen Bewusstseins der Moderne bestehe keinesfalls in einer etwaigen Naivität oder
Unreflektiertheit, stehe es durchaus in Einklang mit den Fakten und Theorien seiner Zeit, sondern es mangle
diesem an der Konsequenz, seine Ansätze zu Ende zu denken; als ein statisches, auf einem spezifischen
Standpunkt verharrendes Bewusstsein, sei es diesem nicht möglich, absolutes Wissen zu erreichen.

Die Autoren des Deutschen Idealismus knüpfen an die Antike an und stellen die Frage nach der Universalität
des Logos in den Mittelpunkt ihres Denkens. Die jeweiligen Systemkonzeptionen entstehen durch die
intensive wechselseitige Bezugnahme der Autoren, die auch immer Kritik der philosophischen
Voraussetzungen des jeweils anderen ist. Im Rahmen dieses regen intellektuellen Austauschs verfeinern sich
die Gedanken, erschließen sich neue Problemstellungen und transformieren sich vermeintliche Lösungen zu
erweiterten Gegenstandshorizonten.

Das rationalistische Moment jenes Denkens liegt darin, der Vernunft am konsequentesten zu folgen und
dabei die stärksten Argumente als wahr gelten zu lassen. Das realistische oder geschichtliche Moment des
Deutschen Idealismus liegt in seiner Verknüpfung, Fundamentalphilosophie und Zeitdiagnose zu sein. Der
zeitgeschichtliche Hintergrund dieses Denkens ist hierbei eine revolutionäre Freiheitserfahrung, die in der
Universalisierung der bürgerlichen Freiheits- und Gleichheitsprinzipien sowie der Kant’schen Revolution der
Denkungsart gründet, durch welche die Vernunft zur Maxime für das Erkennen und Handel erhoben und
das transzendentale Bewusstsein zum Erkenntnisprinzip des Seins erklärt wird. Die Vernunft wird zum
Grund für menschliche Selbstbestimmung; die alte Ordnung des Seins vergeht, während der Mensch sich
aus sich selbst heraus neuschöpfen muss. Er ist in diesem Sinne frei, dass er sich nicht mehr in den
heilsgeschichtlichen, unvorhersehbaren Verlauf des göttlichen Willens einfügt, sondern radikal auf sich
selbst zurückgeworfen ist; gezwungen, einen neuen Platz in der Welt für sich zu finden.

Die Begriffe dieser Philosophie sind Ausdruck des substanziellen Freiheitsinteresses der modernen Welt.
Philosophie übernimmt dabei die Aufgabe, die Zeichen der Zeit zu deuten und eine Semantik der Freiheit
zu erarbeiten. Es bedarf eines neuen Sprechens, um Reflexivität, praktische Vernunft und absolutes Wissen
zu verknüpfen und als eine sich über sich selbst hinaustreibende, grenzenlose Bewegung des Denkens zu
integrieren, die vom Willen zur Freiheit und vom Willen zum Wissen angetrieben wird. Das Subjekt begreift
sich in stetiger Veränderung; es kennt keine andere Wahrheit mehr, als sein eigenes Tätigsein, und sucht
nach einer neuen Form, sich selbst zum Ausdruck zu verhelfen.

Thomas Pawelek, 368732, BA-KulT-IS-4, viertes Fachsemester | kleine Leistung


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Das der ontologischen und transzendentalen Sicherheiten enthobene Subjekt, dessen Urteile über die Welt
weder durch ein bewusstseinstranszendentes Sein noch durch die den empirischen Menschen vorgelagerten
allgemeinen und notwendigen Bedingungen gedeckt sind, ist in seiner Urteilsfindung auf neue
Rechtfertigungsstrategien angewiesen. Philosophisches Denken als Strategie der Selbstvergewisserung des
sich in der Krise befindenden Subjekts macht das subjektives Moment des Idealismus aus. Im Bewusstsein
darüber, dass Urteile sich nur in einem Verweisungszusammenhang mit anderen Urteilen vollziehen und
diese dabei „in ein moralisch-praktisches Universum eingebunden bleiben“ [ebd., 22], sucht das idealistische
Denken das absolute Wissen zu erreichen. Dieses absolute Wissen korrespondiert einer Denkbewegung der
absoluten Kontextualität. Absolutes Wissen ist weniger ein Endzustand, als eine endlose, neues Wissen
akkumulierende, Wissensstruktur, die dabei um sich selbst, d.h. um ihre Genese und Funktionsweise weiß:
Diese erinnert sich ihren Anfangsbedingungen und führt sich selbst mit dem erworbenen Mehr an Wissen
erneut in den Aneignungs- und Strukturierungsprozess ein, um weiteres Wissen zu prozessieren und ein
neues Erkenntnisniveau zu erreichen – diese Struktur re-initialisiert sich also zyklisch unter den
Bedingungen ihrer Selbstaktualisierung. Jenes Reflexivwerden des Wissens, also das zirkuläre, inkrementelle
Anwachsen von Wissen im Zustand der Selbstbeobachtung, findet man vor allem bei Hegel, der die
Prozessualität dieser Bewegung auf den Begriff bringt. Das Subjekt des Deutschen Idealismus ist ein, auf
keinem festen Grund stehendes, sondern ein, sich von der Dynamik seiner historisch erzwungenen
Selbstvergewisserung mitreißendes, einer absoluten, alle Wahrheiten umfassenden, Wahrheit
entgegenstrebendes Subjekt, dessen ruheloses Drängen nach Wissen bis zum heutigen Tag anhält: das
Subjekt des Deutschen Idealismus ist das moderne Subjekt.

Das wissenschaftliche Moment des Idealismus zeigt sich in der stetigen Kritik der Voraussetzungen des
Wissens, die genannte Dynamik aktiv hält und das Wissen ins Unendliche wachsen lässt, während die
Denkbestimmungen immer wieder umgewälzt und neugefasst werden. Man kann von einer Transformation
des Wissens zu einem immer wahreren Wissen sprechen, von einer unendlichen Annäherung also, die auf
den Punkt einer absoluten Wahrheit zuläuft. Die durch stetigen Wandel gekennzeichnete Lebenswelt der
Moderne, drückt sich in Form des idealistischen Denkens aus: die Selbstermächtigung der Vernunft macht
vor nichts Halt, sondern jene arbeitet sich im Medium reflexiven Wissens an all dem ab, was durch das
Denken überhaupt erfasst werden kann – dem gesamten Sein soll in denkender Aneignung begegnet werden,
um es letztlich in seinen konstitutionsfundierenden Prinzipien begrifflich zu erfassen und damit Einsicht in
seine Vernünftigkeit zu erhalten [vgl. NIKOLAUS, 1985, 1-10].

Zentral im Hegelschen Denken ist eben diese Struktur selbstreferentiellen Wissens. Dabei unterscheidet
Hegel zwischen verschiedenen logischen Kategorien, die er einander gegenüberstellend in ihrer
Widersprüchlichkeit expliziert, um den kategorialen Wiederspruch eines Begriffspaares in Form einer, aus
einem logischen Typensprung folgenden, übergreifenden Kategorie aufzuheben und zu überwinden. Die
nach absolutem Wissen strebenden Denkbestimmungen entwickeln ihre Wahrheit in einem „ins
Unendliche [geknüpften] Netz kontextueller Verweisungen auf sich selbst“ [GRAMM, 2016, 32].

Das absolute Moment des Deutschen Idealismus liegt gerade nicht in einem etwaigen theologischen Bezug,
sondern in der Verabsolutierung des unendlich schöpferischen Bewusstseins, welches Welt begrifflich
schafft, zerstört und wiederaufbaut; Welt gewinnt ihren Sinngehalt dabei durch die „Prozessualisierung und
Dramatisierung von Unterschieden“ [ebd., 33]. In der, verschiedene Pfade erprobenden, Spekulation über
das absolute Wissen wirken die Ideen der absoluten Kontextualität, der Freiheitssemantik und dem
Reflexivwerden des Wissens bis in die Gegenwart hinein [vgl. HALBIG / QUANTE / SIEP, 2004].

V E R M I T T L U N G Fichte, Schelling und Hegel suchen die Einheit von Ich und Welt auf je
unterschiedliche Weise zu denken, indem sie den „Selbst- und Weltbezügen [des] menschlichen Lebens eine

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geordnete Struktur und eine sachhaltige Begründung“ [GRAMM, 2016, 61] zu geben suchen. Hegel sticht
insofern heraus, dass er seine Philosophie explizit in der Lebensrealität der Moderne verankert und jene in
ihrem Deutungsgehalt als Material für einen programmatischen Entwurf verwendet, mit dem sich die, in
der Moderne stärker denn je erfahrene Entzweiung von Ich und Welt im Sinne einer Ausdifferenzierung
der, im Ausgang des Mittelalters auf sich selbst zurückgeworfenen, Vernunft in viele einzelne Rationalitäten,
aufheben lassen soll; Hegel zielt damit darauf ab, die Moderne ihre Normativität aus sich selber schöpfen zu
lassen.

Die Zuspitzung des modernen Selbstvergewisserungsbedürfnisses wird von Hegel als Anzeige für das
Bedürfnis nach Philosophie [vgl. HABERMAS, 1988, 26-31] gewertet. Hegel sieht in der Subjektivität das
krisenhafte, die Ausdifferenzierung der Vernunft anstoßende Prinzip der Moderne, das sich in der
idealistischen Philosophie selbst niederschlägt, die sich im Modus der Selbstbeobachtung als Verhältnis des
Denkens zur Subjektivität weiß; für Hegel ist es gleichzeitig die Subjektivität, die aus der Krise hinausführen
soll. Sein Gedanke eines umfassenden, die Welt in ihrer ganzen Erscheinungsvielfalt integrierenden,
philosophischen Systems zielt letztlich darauf ab, die beginnende Ausdifferenzierung der gesellschaftlichen
Wertsphären und die damit einhergehende Aufspreizung der Vernunft in viele einzelne, voneinander
unabhängige Rationalitäten begrifflich aufzufangen und auf immanente Weise miteinander zu vermitteln,
ohne dabei auf ein außerweltliches, dem Weltganzen gegenüberstehendes Vermittlungsprinzip
zurückzugreifen.

Die Entfremdung von Ich und Welt, das historisch-normative Selbstvergewisserungsbedürfnis der Moderne,
sowie Schellings Idee des Absoluten versteht Hegel als Voraussetzungen des zeitgenössischen
Philosophierens; diese Voraussetzungen fundieren seinen Überwindungsversuch der Subjektivität innerhalb
der Grenzen der Subjektphilosophie, will dieser doch den „kritischen Begriff der Moderne aus einer dem
Prinzip der Aufklärung selbst innewohnenden Dialektik entwickeln“ [ebd., 32]. Der Gegensatz der Moderne
wird von Hegel in ein, aus seiner Substanz zum Selbstbewußtsein gelangendes absolutes Subjekt
transponiert, das jenen Gegensatz in seinen je verschiedenen Ausprägungen in sich aufnimmt und zur
Einheit bringen soll, ohne dabei auf ein außerweltliches Vermittlungsprinzip zu rekurrieren [vgl. ebd., 46].
Dieses vereinheitlichende Prinzip ist das eines Absoluten, „das alle Verabsolutierungen überwältigt und
allein das unendliche, alles Endliche in sich hineinschlingende Prozessieren der Selbstbeziehung als
Unbedingtes zurückbehält“ [ebd., 49] und an dem sich die Philosophie als vereinigende Macht erweisen
könne, „die alle aus der Reflexion selbst hervorgegangenen Positivitäten überwindet – und damit die
modernen Zerfallserscheinungen kuriert“ [ebd.].

Die prozessuale Dynamik dieses Integrationsvermögens des Denkens wird von Hegel in der Wissenschaft der
Logik in ihrer Stufenfolge vom Einfachen hin bis zum Absoluten entwickelt [vgl. Schärfer, 2002, 243]. Der
darin entwickelte Begriff des Absoluten fundiert sein System, das in seiner Gesamtheit den Gegensatz von
Ich und Welt und die daraus resultierende Ausdifferenzierung der Vernunft in für sich stehende
Teilmomente begrifflich zu vermitteln sucht: „Die Kohärenz des Systems, das damals im Entstehen begriffen
ist, will die philosophische Idee mit allen wesentlichen Gehalten anreichern und also die Kluft zwischen
Begriff und Realität schließen“ [BUBNER, 1989, 411].

H E G E L S L O G I K Die Wissenschaft der Logik vollzieht die begriffliche Grundlegung für das System Hegels
[vgl. PÖGGELER, 1977, 79 f.], insoweit die Logik sich an dieser Stelle inhaltlich selbst begründet und die
Systemteile durch ein gemeinsames, in ihnen wirkendes Strukturmoment zu fundieren sucht. Das Hegelsche
System nimmt die Form einer in sich selbst zurücklaufenden Folge von Schlüssen an, die von der Logik
initialisiert wird; letztere operiert im Modus der vollumfänglichen theoretischen wie auch praktischen
Erschließung von Welt.

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Hegels Logik ist nicht (nur) Logik im formalen Sinne [vgl. SCHICK, 2002, 3 f.; vgl. PÖGGELER, 1977, 77
f.], vielmehr folgt sie der Tradition der antiken Einteilung der Philosophie in Logik, Physik und Ethik [vgl.
SCHNÄDELBACH, 2013, 84 ff.]: Logik ist darin nicht nur Methode, sondern selbst bereits Teil der
Philosophie als „Wissenschaft des lógos“ [ebd., 84]. Der logós umfasst das Gesagte, das Bedeuten sowie das
Sagen selbst und findet sich zuerst bei Heraklit, der den logós als Prinzip einführt, nach dem sich der
Weltlauf richte; die Welt sei vernünftig in dem Sinne, als dass sie durch die menschliche Vernunft erkannt
werden könne. Hegel versteht seine Logik demnach als Wissenschaft im objektiven, die fundmentalen
Strukturen des Wirklichen repräsentierenden, Sinn; objektiv ist seine Logik ferner, weil sie
entpsychologisiert bzw. entsubjektiviert ist: vom Subjekt ist darin nicht mehr die Rede, dieses hat seinen
Platz in Hegels Phänomenologie des Bewußtseins – in der Logik aber geht es um das Denken an sich in Form
des Begriffs.

Die Wissenschaft der Logik ist System der reinen Vernunft und versteht sich als Einlösung des
fundamentalphilosophischen Programms Kants. Im Gegensatz zur Metaphysik, die auf die Erkenntnis der
Dinge selbst abzielt, ist die Logik die sich mit sich selbst beschäftigende Vernunft. Dabei wird von Hegel
der Anspruch erhoben, die Vernunft in ihrer Gänze, das heißt auf ihren unterschiedlichen
Erscheinungsfeldern zu kartographieren; die Denkbestimmungen und Denkformen sollen in ihrem
logischen Zusammenhang dargestellt werden. Die Erkenntnis der Denkbestimmungen, die für Hegel keine
bloßen, sich durch Spontaneität auszeichnenden Instrumente des Verstandes zur Gewinnung wahrer
Erkenntnis sind, gehören der Erkenntnis als Formen der reinen Vernunft bereits an.

Da Hegels Logik als Wissenschaft auftritt, besteht eine ihrer zentralen Aufgaben darin, ein immanentes
Verfahren zu entwickeln und zu begründen, das ihrem wissenschaftlichen Anspruch gerecht wird. Hegels
Logik und deren Methode fallen in eins [vgl. PÖGGELER, 1977, 83]: Methode und Inhalt vollziehen sich in
Form einer „Rekonstruktion begrifflicher Relationen“ [ARNDT / JAESCHKE, 2013, 266]. Die interne
Rationalität ist aber nicht als statische Hierarchie von Begriffen zu verstehen, bei der ein kontingenter,
endlicher Vorrat an Begriffen ausgerollt und nachträglich miteinander in Beziehung gesetzt wird; vielmehr
ist die begriffliche Hierarchie der Logik ein dynamischer Zusammenhang, dessen Relationalität sich aus den
Denkbestimmungen selbst entwickelt und sich als deren Ausdifferenzierung rekonstruieren lässt.

Die Bestimmung eines Begriffs vollzieht sich bei Hegel nur in Differenz zu seinem Anderen, die
Rekonstruierung der Denkbestimmung demnach nur in Negation zueinander. Da jede Denkbestimmung
die negative Beziehung auf das Andere als konstitutives Moment in sich beinhaltet, konstituiert sich jeder
neue Begriff durch den Gegensatz zweier, ihm logisch vorausgehender Begriffe. Hegels Logik ist Darstellung
einer „Ableitungshierarchie der reinen Denkbestimmungen […] im Aufstieg von einfachen, rudimentären
zu immer komplexeren Denkbestimmungen, welche als komplexere Denkbestimmungen die jeweils
einfacheren in sich aufgehoben enthalten“ [SCHÄFER, 2002, 243]. Dabei bilden die logisch später folgenden
Denkbestimmungen die Konsequenz aus den vorangehenden und gleichzeitig deren „höheren Grund“
[ebd., 244].

Entgegen der philosophischen Tradition, die die Undenkbarkeit des Widerspruchs postuliert, ist dieser für
Hegel die zentrale Operation des Denkens [vgl. PÖGGELER, 1977, 84 ff.]. Als Wissenschaft des reinen
Denkens, das nur sich selbst zum Inhalt hat, ordnet sich die Logik deshalb nicht der Antinomie von Subjekt
und Objekt unter, sondern setzt vor dieser an und sucht diese zu vermitteln, indem Hegel diesen
Widerspruch zuspitzt und als ein, dem Sein und Denken konstitutives Moment herausstellt. Mit
philosophiegeschichtlichem Blick zeigt Hegel, dass bereits die Eleaten und antiken Skeptiker den
Widerspruch nicht zu denken vermochten, sondern auf dessen Nichtsein schlossen oder dem Erkennen
anlasteten und die Möglichkeit des Urteilens verwarfen. Eine Theorie, die den Widerspruch in seiner

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Wirklichkeit nicht anerkennt, beschränke das Denken darauf, nur formal richtige, nicht aber inhaltlich
richtige Aussagen zu bilden; so sei die logische Form des Urteiles nicht dazu geeignet, spekulative Wahrheit
auszudrücken und damit unfähig, Wirklichkeit zu erfassen. Hegel fällt damit gewiss keinem Irrationalismus
zum Opfer, da er die Berechtigung der formallogischen Kriterien durchaus einräumt. Vielmehr geht es ihm
um das Niederreißen selbstauferlegter Beschränkungen des Denkens. Genannte Beschränkung wird bei
Kant explizit: Während der Widerspruch bei Kant als Gegensatz bestimmter inhaltlicher Aussagen erscheint,
denkt Hegel diesen in seiner Form als Denkbestimmung an und für sich und weist den Widerspruch dabei
als wesentliches Entwicklungsmoment des Denkens aus.

Denkbestimmungen werden bei Hegel zudem nicht in Reduktion auf ihre Form gefasst, da ein Inventar an
endlichen Denkformen niemals ausreicht, um die Mannigfaltigkeit des Wirklichen zu erfassen [vgl.
GRAMM, 2016, 151 ff.]; vielmehr werden sie als Momente gefasst, die in einem Denkprozess vorläufiger,
gegenseitiger begrifflicher Bestimmungen der Konstitutionsprinzipien des Wirklichen eingebettet sind.
Hegel analysiert den begrifflichen Bezug unseres Denkens auf das Wirkliche, gesteht dabei die Verfehlung
des Begriffs im Sinne einer fehlenden Deckungsmöglichkeit von Form und Inhalt ein und weist diese als
produktive Bedingung für den Gang des Denkens aus. Damit der ganze Gehalt eines Gedankens zur Geltung
kommt, der Begriff seinen Bedeutungsintentionen annähernd einlösen kann, muss dieser in Vernetzung mit
weiteren Begriffen entwickelt werden: Erst dort, in Differenz zu anderen Begriffen, gewinnt er zum einen
an Kontur und zum anderen an inhaltlicher Bestimmtheit – der Begriff ist nur in Differenz zu anderen
Begriffen. Die einzelnen logischen Gestalten gehen bei Hegel auseinander hervor, indem der Widerspruch
durch die Operation der bestimmten Negation in eine höhere Kategorie überführt wird und sich dort als
Einheit setzen kann, die den Widerspruch in aufgehobener Weise in sich trägt.

Literaturverzeichnis
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Thomas Pawelek, 368732, BA-KulT-IS-4, viertes Fachsemester | kleine Leistung


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