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Pornografie: "Ein unethischer Menschenversuch"

Interview mit Prof. Dr. Klaus M. Beier

Mit 12 oder 13 Jahren beginnen Kinder, sich im Internet Pornos der


ganzen Brandbreite anzusehen. Der Sexualmediziner Klaus M. Beier
warnt im FR-Interview vor den Gefahren, die dadurch entstehen.

Herr Professor Beier, Sexualmediziner nehmen auf ihrer Jahrestagung in


Potsdam das Internet kritisch unter die Lupe. Welche Risiken birgt es aus
Ihrer Sicht?

Uns bereitet vor allem der leichte Zugang zur ganzen Bandbreite
pornografischer Bilder und Filme Sorgen. Also auch sexuelle Kontakte mit
Tieren, mit Demütigungshandlungen, mit Zufügung von Schmerzen und
Verletzungen sowie Kinder und Jugendliche betreffende
Missbrauchsszenen.

Für wen ist das gefährlich?

einen für diejenigen, die eine pädophile Neigung haben - das sind etwa ein
Prozent der Männer. Die Nutzung dieser Bilder fördert die Herstellung
weiterer Bilder und begünstigt nach unseren Forschungsergebnissen auch
das Begehen direkter sexueller Übergriffe auf Kinder.

Spüren Sie den Internet-Effekt in der Praxis bei Ihren Pädophilie-


Präventionsprojekten?

Ja, er macht sich eindeutig bemerkbar. Seit etwa fünf Jahren beobachten
wir einen starken Anstieg der Verbreitung entsprechender
Missbrauchsabbildungen. Das liegt vor allem an den File-Sharing-
Systemen, mit denen die Beteiligten untereinander Bilder und Filme
austauschen können. Aus meiner Sicht senkt das die kritische
Selbstwahrnehmung, weil man sich gegenseitig im Tun bestärkt. Genau
das senkt die Schwelle zur Tat.

Für wen sind die Verlockungen des Internets noch gefährlich?

Für Kinder und Jugendliche. Studien haben gezeigt, dass Kinder


spätestens mit zwölf oder 13 Jahren anfangen, sich im Internet
pornografische Bilder anzusehen. Ihre Gehirne befinden sich noch in der
Entwicklung und sind in der Pubertät besonders sensibel für sexuelle
Signale. Wenn sie mit sadistischen, masochistischen, oder fetischistischen
Bildinhalten konfrontiert werden, wäre es naiv anzunehmen, dass diese
Informationen keinerlei Einfluss auf die Ausbildung ihres sexuellen
Selbstkonzeptes haben sollten.
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Ist es wirklich so leicht, an diese Bilder zu kommen?

Da müssen Sie nur mal Youporn oder andere Websites aufrufen. Per
Mausklick bestätigen Sie, älter als 18 Jahre zu sein und schon haben sie
die ganze Palette vor sich.

Welche Folgen hat das für die Mädchen?

Viele sind zwar angewidert, aber sie machen mit bei dem Spielchen. Die
Gefahr ist groß, dass Mädchen die vorgeführten Rollen übernehmen und
ein Sexualkonzept entwickeln, in dem sie es akzeptieren oder sogar
sexuell erregend finden, unterworfen zu sein, Objekt zu sein.

Durch Internetpornografie drohen Mädchen also masochistisch zu werden


und Jungen sadistisch oder pädophil?

Das wissen wir jetzt zwar noch nicht und mit Zukunfts-Diagnosen wäre ich
zurückhaltend. Aber Fakt ist, dass die Fantasiewelt von Erwachsenen
ungefiltert auf die Kinder und Jugendlichen trifft. In einer Phase, in der
sich unveränderliche Weichenstellungen ergeben - denn die sexuelle
Präferenzstruktur entsteht im Jugendalter und bleibt dann bis zum
Lebensende bestehen. Aus meiner Sicht ist das Ganze ein großes
Experiment an unserer Jugend - ein unethischer Menschenversuch.

Aber es gibt doch bereits Initiativen, entsprechende Websites zu sperren


oder Inhalte zu löschen.

Das ist sinnvoll und löblich. Es betrifft allerdings zunächst die sogenannte
Kinderpornografie, letztlich ein verharmlosender Begriff zur Bezeichnung
von Missbrauchsabbildungen.

Was können wir dagegen tun?

Wir brauchen eine ethische Diskussion in der Öffentlichkeit. Das Ausmaß


dieser Problematik ist den meisten Menschen nicht klar. Darüber hinaus
müssen wir offensiv an das Thema herangehen - in allen Bereichen der
Gesellschaft, insbesondere auch in der Erziehung und Pädagogik.

Wie denn?

Eltern und Lehrer müssten bereit sein, sich mit der Thematik zu befassen.
Sie sollten sich diese Seiten selbst ansehen, um zu wissen, worum es
geht. Und dann gilt es, ins Gespräch zu kommen mit den Jugendlichen,
um korrigierend eingreifen zu können.

Und wie lässt sich gegensteuern?


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Es geht darum, ein klares Konzept von Sexualität zu vermitteln, das einen
achtsamen und gleichberechtigten Umgang der Geschlechter beinhaltet -
eben sexuelle Selbstbestimmung. Dazu steht nicht im Widerspruch, auch
das Lustvolle der Sexualität zu thematisieren. Letztendlich brauchen
Kinder und Jugendliche eine Beurteilungsgrundlage, um Fehldarstellungen
zu erkennen.

Was kann ein junger Mann tun, der merkt, dass er pädophil ist?

Die sexuelle Präferenz entwickelt sich in der Jugend und ändert sich nicht
mehr. Im Prinzip geht es darum, die Neigung zu akzeptieren, die sich
sowieso in der Fantasie immer wieder zeigen wird, aber sich so weit in den
Griff zu bekommen, dass aus den Fantasien keine Taten werden.

Interview: Anne Brüning

Quelle:
http://www.fr-online.de/wissenschaft/-ein-unethischer-
menschenversuch-/-/1472788/4456424/-/index.html

Zur Person

Klaus M. Beier hat Medizin und Philosophie studiert und ist seit 1996
Direktor des damals neu gegründeten Instituts für Sexualwissenschaft und
Sexualmedizin der Charité Berlin.

Sein Präventionsprojekt "Dunkelfeld" hat ihn bekannt gemacht. Er wendet


sich damit an Erwachsene, die wissen, dass sie pädophil sind, aber noch
nicht straffällig geworden sind und die lernen wollen, mit ihrer Neigung zu
leben.

http://www.kein-taeter-werden.de

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