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Pornos sind Märchen für Erwachsene

Interview mit Prof. Dr. Jakob Pastötter

Schönen guten Tag!

Guten Tag!

Herr Pastötter, Sie haben zusammen mit ein paar Kollegen zu den
Folgen von Pornografie geforscht. Verändert die ständige
Verfügbarkeit von Pornografie im Netz uns als Menschen selbst?

Ja, das tut sie in der Tat, und zwar aus einem ganz schlichten Grund
heraus. Wir Menschen sind ja sehr einfach gestrickt, und wie die Medien
das ja seit Jahrzehnten auch wissen, sind Bilder immer viel stärker als
Worte. Und man muss dabei sagen: Wir haben ja hier in Deutschland eine
relativ gut funktionierende Sexualaufklärung. Aber die Sexualaufklärung
funktioniert notgedrungen über eben Worte. Wir versuchen zu erklären,
wir versuchen zu beschreiben, wir versuchen, jungen, aber auch älteren
Menschen zu sagen, was es denn mit der Sexualität auf sich hat. Jetzt
trifft auf diese Menschen aber Pornografie. Und Pornografie ist ja nicht
einfach nur abgespielte, gefilmte Sexualität; Pornografie hat eine Struktur.
Pornografie arbeitet mit bestimmten Mitteln, um ihren Zweck, nämlich den
der Erregung, der sexuellen Erregung des Konsumenten zu erreichen.

Das ist ganz lustig, wenn man sich vorstellt, dass die ersten
pornografischen Filme, die vor über hundert Jahren entstanden sind,
bereits dieselben Strukturen aufweisen wie die heutige Internet-
Pornografie.

Was sind denn diese Strukturen?

Die Strukturen sind, dass sich mehr oder weniger unbekannte Menschen
treffen - es handelt sich bei Pornografie nie um bekannte Menschen, die
miteinander gerne Sex hätten – sondern es ist immer dieses Element "da
ist jemand Unbekanntes da". Und selbst in der Amateur-Pornografie, wo
dann angegeben wird, es würde sich um Paare handeln, sind diese Paare
ja anonymisiert. Wir kennen diese Paare ja überhaupt nicht. Das könnten
genauso gut irgendwelche Schauspieler sein - und mit großer
Wahrscheinlichkeit haben wir es auch bei den Amateurfilmen immer
wieder mit Schauspielern zu tun.

Eine der Folgen, die Sie und Ihre Kollegen festgestellt haben, ist
die Tatsache, dass Intimbehaarung immer unpopulärer wird, und
ein Grund dafür sei die Pornografie. Wie kommt das denn?
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Das kommt eben auch dadurch, dass wir Menschen annehmen, das, was
wir sehen, ist realer als das, was wir selbst erleben. Denn die Leute, die
da Sex haben, die sind ja immer in völliger Ekstase aufgelöst. Während
unsere eigene Sexualität, die hat halt so ihre Haken und Ösen. Die
funktioniert zwar manchmal ganz fantastisch und fühlt sich auch richtig
gut an, aber dann gibt es eben auch Zeiten, wo wir nicht so gut drauf
sind, wo es nicht einfach läuft. Und in diesen Zeiten, in denen wir so ein
bisschen auch Selbstzweifel haben, da trifft dann jetzt eine Hochglanz-
Sexualität auf uns oder eine "perfekte" Sexualität, in der – Sie können das
bei den entsprechenden Internetportalen immer schön nachsehen –
innerhalb von fünf bis fünfzehn Minuten die volle sexuelle Post abgeht.

Das heißt, die Bilder, die ich im Netz sehe, wenn ich mir
Pornografie anschaue, die überlagern meine eigene Erfahrung.

Richtig. Das ist eigentlich das Hauptproblem. Wir brauchen nicht zu


erwarten, dass jetzt alle Menschen nur noch und ununterbrochen an Sex
denken und Sex machen, und das am besten auch noch mit unbekannten
Menschen. Eher das Gegenteil ist der Fall.

Norbert Elias hat mit seiner Zivilisationstheorie darauf hingewiesen, dass


wir hier im Westen seit mehreren hundert Jahren einen Prozess
durchmachen, der es uns ermöglicht, Medienwirklichkeit quasi als Ersatz
für die echte Realität zu benutzen.

Ein schönes Beispiel sind unsere Sportveranstaltungen. Wir kloppen uns


nicht mehr selbst, wir schauen nur noch zu beim Boxkampf. Beim Sex
läuft es ähnlich. Das, was wir da sehen, kommt ja so perfekt daher,
allerdings nur auf den zwei sinnlichen Ebenen des Hörens und des Sehens,
dass wir das sozusagen für das erstrebenswerte Handeln halten. Das
Gemeine dabei ist, dass wir auf die Art und Weise unsensibler werden für
die realen Stimulierungen. Die Wahrscheinlichkeit, dass es an unserer Tür
klingelt und der Pizzabote uns vernascht, die ist extrem gering. Aber wir
sind sozusagen programmiert darauf, in unserem sexuellen Skript, dass
nur dann Sexualität wirklich gut ist, wenn sie mit den Elementen des
Unbekannten, mit den Elementen der Überraschung arbeitet.

Wie jedes Paar weiß: Das ist aber der geringste Aspekt bei der Sexualität.
Sexualität hat nämlich auch den anderen Pol, der in der Realität eigentlich
der entscheidendere ist, nämlich Intimität, nämlich das Bekannte. Denn
das Unbekannte mag zwar erregen, ist es aber zu viel, macht es uns auch
Angst.

Einige der häufigsten Beobachtungen der letzten Jahre war ja


auch immer, dass uns diese permanente Verfügbarkeit von
Pornografie sexuell eventuell sogar eher abstumpfen lässt.
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Richtig, ja.

Das geflügelte englische Wort dazu lautet ja "oversexed and


underfucked". Können Sie das bestätigen?

(Lacht) Genau, das ist auch das, was ich bei Pornografie befürchte. Wir
sind quasi auf einem audiovisuellen Höhenflug, was Sexualität angeht,
aber die Aspekte, die die Realität der Sexualität ausmachen, das
Berühren, auch unter Umständen das Riechen, auch die Stimmung, in der
beide Partner sein müssen, die kommen extrem zu kurz. Das heißt, wir
haben es mit einer Art Hypertrophie von audiovisueller Stimulierung zu
tun, bei einer gleichzeitigen Abnahme dessen, was eigentlich menschliche
Sexualität ursprünglich viel stärker prägt – nämlich das Taktile, das
Sinnliche, das In-der-Situation-Aufgehen.

Wie können wir es denn besser machen in Zukunft? Jetzt haben


wir festgestellt, dass es nicht so wahnsinnig gut ist, wenn so
wahnsinnig viel Pornografie konsumiert wird, aber wie kann es
denn der Einzelne besser machen? Einfach weniger Pornos
schauen?

Das Erste ist, und das ist auch etwas, das wir Kindern und Jugendlichen,
die notgedrungen heute über alle möglichen technischen Hilfsmittel sehr
einfach auf Pornografie zugreifen können: Pornografie – das sind Märchen,
sexuelle Märchen für Erwachsene. Diese Märchen für Erwachsene haben
qua definitione nichts in Kinder- und Jugendhand zu tun. Weil Kinder und
Jugendliche – das wissen wir aus der medialen Wirkungsforschung –
überhaupt nicht in der Lage sind, Realität und Fantasie, mediale Fantasie,
voneinander zu unterscheiden.

Das gilt allerdings auch für die Erwachsenen. Auch wir Erwachsenen sind
sehr schlecht darin, das zu unterscheiden. Das heißt, wenn wir schon
Pornografie konsumieren – und niemand wird bestreiten, dass es sich
dabei um eine Art perfektes "audiovisuelles Viagra" handelt, also um ein
Mittel, das uns in die Lage vesetzt, innerhalb kurzer Zeit sehr intensiv
sexuell zu empfinden und zu reagieren - dann sollten wir uns aber
trotzdem klar machen, dass die Bilder künstliche Bilder sind, dass sie
nicht Realität sind. Dass selbst da, wo "Amateur" drauf steht, häufig es
sich um professionelle Darsteller handelt. Oder dass Amateure – echte
Amateure – glauben, professionelle Bilder nachspielen zu müssen.

Die Strukturen, die ich vorher genannt habe, dieses ewig Gleiche, was sich
darin findet, nämlich zuerst der Oralsex, dann sehr aggressive manuelle
Stimulierung, dann eben sehr aggressiver Koitus – also eine Art
hyperventilierter Sex, der sehr häufig zu sehen ist. Das sind Bilder, das
sind Märchen, die sind gut, um sich alleine oder auch als Paar visuell,
audiovisuell anzuregen – aber sie sind Märchen. Sie sind nicht mehr.
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Und das Zweite, was ich dringend empfehlen würde, ist, auch insgesamt
zu reduzieren. Denn selbst wenn ich mir bewusst mache, dass es sich um
künstliche Bilder handelt: Bilder haben Macht. Nicht umsonst haben wir in
der Kulturgeschichte immer wieder Phasen von Bilderstürmerei gehabt,
weil die Menschen gemerkt haben: Die Bilder überlagern ihre eigene
Fähigkeit, Realität aufzunehmen, zu verarbeiten und selbst zu erleben.

Sagt Jakob Pastötter. Er ist Sexualforscher, Präsident der


Deutschen Gesellschaft für Sozialwissenschaftliche
Sexualforschung, und warnt vor der Macht der Bilder der
Pornografie.

Vielen Dank für das Interview.

Danke.

(Jakob Pastötter, Professor an der American Academy of Clinical Sexologists, Florida, ist
Präsident der Deutschen Gesellschaft für sozialwissenschaftliche Sexualforschung.)

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Quelle: http://detektor.fm/kultur/pornos-sind-maerchen-fuer-erwachsene/

Weiterführende Literatur:

Jakob Pastötter, Erotic Home Entertainment und Zivilisationsprozeß. Analyse des


postindustriellen Phänomens Hardcore-Pornographie. Wiesbaden: Deutscher Universitäts-
Verlag 2003.

Veröffentlichungen:

Guest Editor: The Legacy of Alfred Charles Kinsey. Sexuality and Culture 10th
Anniversary Issue (1/2006).

Alfred C. Kinsey: A Much Discussed Scientist of Our Time. Sexuality and Culture 10th
Anniversary Issues (1/2006), pp. 5-14.

Robert T. Francoeur, Ray J. Noonan, and Jakob Pastoetter, Female Sexuality and Health
Today: Challenges to Cultural Repression. CrossCurrents (A quarterly devoted to science,
culture and religion; CrossCurrents Forum, Columbia University, New York), 54 (3/2004).

Associate Editor: The Continuum Complete International Encyclopedia of Sexuality, New


York and London: Continuum International 2004.

Germany. In: Robert T. Francoeur and Raymond J. Noonan, ed., The Continuum
Complete International Encyclopedia of Sexuality. New York and London: Continuum
International 2004, S. 450-466 (together with Rüdiger Lautmann and Kurt Starke).

Germans. In: Carol R. and Melvin Ember, ed., Encyclopedia of Sex and Gender. Men and
Women in the World’s Cultures vol. I. New York: Kluwer Academic/Plenum 2004, S. 400-
407.

Needle to p6. Sexualmedizin 25 (12/2003), p. 257.


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Love and Eroticism: Addition or Contradiction? Journal of Sex and Marital Therapy 28
(3/2002): pp. 280–282.

Vietnam. In: Robert T. Francoeur and Raymond J. Noonan, ed., The International
Encyclopedia of Sexuality, vol. IV, pp. 639–691. New York and London: Continuum
International 2001.

Tourism and Sex: Conceptualising of Foreign Countries as (S)exotic. Sexuality and


Culture 5 (2/2001): pp. 107–110.

Pornography as Academic Field of Research. American and German Approaches Towards


the Problematic Field of Research Pornography. Sexualmedizin 22 (9/2000): pp. 247-
250.

Pornography - a Men’s Culture? In: Stadt Burglengenfeld, ed., Männer-Kulturen (pp. 143-
152). Burglengenfeld 1995.

Öffentliche Vorträge:

The Sex Traffic. XVIIth DGSS Conference, Lüneburg (24.9.2006)

True Love – Sexuality in Media. Adult Education Center Olching (3.5.2005).

Construction of Sexuality in Islamic Countries. XVIth DGSS Conference, Lüneburg


(27.6.2004).

Trafficking and Political Reactions in the USA and Europe. Hanns-Seidel-Stiftung,


München (8.3.2004).

The Postindustrial Phenomenon of Erotic Home Entertainment and the Civilizing Process.
XVth DGSS Conference, Lüneburg (22.6.2002).

Socioeconomic Functions of Pornography, or: Why Business with Taboo is Booming? XVth
World Congress of Sexology, Paris (26.6.2001).

The Institute for Advanced Study of Human Sexuality and the Kinsey Institute for
Research in Sex, Gender, and Reproduction: Agendas, History, Relationship. Kinsey
Institute, Bloomington, IN (24.3.1999).

Differing Perceptions of Sexuality in Europe and the USA: Conception, Construction,


Consumption. Kinsey Institute, Bloomington, IN (14.12.1998).

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