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Fabian Liebrich
Digitale
Medienprodukte in
der Arzt-Patienten-
Kommunikation
Chancen und Risiken einer
personalisierten Medizin
Schriften zur Medienproduktion
Herausgegeben von
H. Krömker, Ilmenau, Deutschland
P. Klimsa, Ilmenau, Deutschland
Diese Schriftenreihe betrachtet die „Medienproduktion“ als wissenschaftlichen
Gegenstand. Unter Medienproduktion wird dabei das facettenreiche Zusammen-
spiel von Technik, Content und Organisation verstanden, das in den verschiedenen
Medienbranchen völlig unterschiedliche Ausprägungen findet.
Im Fokus der Reihe steht das Finden von wissenschaftlich fundierten Antworten
auf praxisrelevante Fragestellungen der Medienproduktion. Umfangreiches Erfah-
rungswissen soll hier systematisch aufbereitet und in generalisierbare, so weit wie
möglich theoriegeleitete Erkenntnisse überführt werden. Da im Bereich Medien der
Rezipient eine besondere Rolle spielt, räumt die Schriftenreihe der Mensch-Maschine-
Kommunikation einen hohen Stellenwert ein.
Herausgegeben von
Prof. Dr. Heidi Krömker, Prof. Dr. Paul Klimsa,
Fachgebiet Medienproduktion, Fachgebiet Kommunikations
TU Ilmenau wissenschaft, TU Ilmenau
Fabian Liebrich
Digitale Medienprodukte
in der Arzt-Patienten-
Kommunikation
Chancen und Risiken einer
personalisierten Medizin
Fabian Liebrich
Berlin, Deutschland
Springer Vieweg
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2017
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Die technologischen rrungenschaften der letzten Jahre, meistens unter dem Be-
griff Digitalisierung zusammengefasst, haben mittlerweile nahezu alle Lebensbe-
reiche erreicht und verändert. Auch die Medizin ist durch den technischen Fort-
schritt zunehmend digitalisiert worden. Die Durchdringung des Internets und das
Aufkommen von Smartphones, Apps und anderen digitalen Gesundheitsangebo-
ten wie Wearables, haben au erdem dazu geführt, dass Patienten immer mehr
M glichkeiten haben, medizinische Informationen selbst zu erheben. Diese Ange-
bote werden unter dem Begriff eHealth (electronic health) zusammengefasst. Die
Nutzung solcher Angebote hat weiterhin dazu geführt, dass sich die Art und Weise
verändert hat, wie Patienten mit ihren rzten in Dialog treten und kommunizieren.
Die vorliegende Studie beschäftigt sich mit der Frage, welchen influss die Nut-
zung solcher eHealth Angebote auf die heutige Arzt-Patienten-Kommunikation
(APK) hat und welche Folgen für das Verhältnis zwischen Arzt und Patient hier-
durch zu erwarten sind. Mit Hilfe des momentanen Forschungsstandes und vor-
handenen theoretischen Ansätzen aus Soziologie und Kommunikationswissen-
schaft, in Kombination mit 10 xperteninterviews mit praktizierenden rzten und
deren ualitativen Analyse, wurde dieser Frage in einem explorativen Forschungs-
design nachgegangen.
Die rgebnisse dieser Analyse zeigen, dass ein verstärktes Interesse an ge-
sundheitlichen Themen und einer intensivierten Nutzung von eHealth Angeboten
dazu geführt haben, dass sich die soziale Rolle des Patienten und auch die des
Arztes ma geblich verändert hat. War der Patient früher lediglich Zuh rer einer
einseitigen APK, ist er heute aktiver Kommunikationspartner seines Arztes in ei-
nem konstruktiven Dialog. Zumindest entspricht dies laut Meinung der befragten
rzte einem Idealzustand, der allerdings noch nicht bei allen Akteuren angekom-
men zu sein scheint. Sowohl auf Seiten der rzte, als auch bei Patienten und staat-
lichen Stellen, sind noch einige Hürden zu nehmen, bis eine effektive ganzheitli-
che und digitale Gesundheitskommunikation erreicht ist.
Abstract
The digitalization, fre uently used as a synonym for the global technological pro-
gress, is nowadays affecting almost every area of life. Also medicine has experi-
enced fundamental changes that led to a variety of new possibilities not only for
practitioners but also for patients. Today achievements like smartphones, medical
apps and several other health related digital devices enable patients to measure,
analyse and share their own health data. Moreover they have access to a broad
variety of medical information presented in the WWW as well as generated by
numerous computerized applications in a rapidly growing technically boosted
health care market. These services are summarized as eHealth (electronic health)
which crucially contributed to the altered circumstances in which patients com-
municate with their treating physician. The present study is concerned with the
uestion about the impact these eHealth services might have on the communica-
tion between doctors and patients and what conse uences can be observed in the
future physician-patient relations. By means of the current state of research, sci-
entific theories of sociology and communication science in combination with in-
terviews of 10 practitioners, this paper seeks to provide answers that might help to
improve the current scientific knowledge about the sensitive relationship between
doctors and patients. The results indicate that the usage of eHealth services lead to
a changed meaning of the doctor s and the patient s role in the physician-patient
relationship. Compared to the past when patients only were silent listeners to the
doctor s verdict, today s patients are on a par with their physicians and as an active
partner they seek to contribute their knowledge to the physician-patient consulta-
tion. The aim of both players is to use eHealth services and data to improve a
personalized medical treatment. However, despite all efforts to create an optimized
health care system there are in practice still several boundaries that inhibit an ef-
fective implementation of digital health services. Resulting from that practitioners,
patients and governmental intuitions should work together on a broad eHealth
strategy that allows them to evaluate and use eHealth in the way that serves eve-
ryone s needs in a modern health system. Certification of information platforms
and computer based applications as well as training of medical experts for master-
ing the sensitive doctor-patient communication should be some of the tasks to be
tackled soon.
nhalt
1 inleitung ...................................................................................................... 1
2 Stand der Forschung ..................................................................................... 5
2.1 Strukturelle und rechtliche Besonderheiten des deutschen
Gesundheitsmarktes................................................................................ 6
2.1.1 in berblick ................................................................................ 6
2.1.2 Teilnehmer und Strukturen des deutschen Gesundheitsmarkts ..... 7
2.1.3 Status uo der staatlichen Regulierung ......................................... 8
2.2 Der digitale Wandel in der Medizin ..................................................... 11
2.2.1 Individualisierung und Personalisierung der Medizin................. 12
2.2.2 Big Data in medizinischen inrichtungen................................... 14
2.2.3 Das Internet als neue uelle für gesundheitsbezogene
Informationen.............................................................................. 15
2.2.4 uantified Self-Produkte Der Trend zur Selbstvermessung .... 19
2.2.5 Fitness- und Medical-Apps ......................................................... 25
2.2.6 Bisherige rfahrungen von rzten mit eHealth .......................... 28
2.3 Kommunikation in der Medizin ........................................................... 31
2.3.1 ntstehung einer Gesundheitskommunikation ............................ 31
2.3.2 Gesundheitskommunikation als interdisziplinäres
Forschungsfeld ............................................................................ 32
2.3.3 Kommunikative Aspekte des Arzt-Patienten Verhältnisses ........ 34
3 Theoretische Hintergründe.......................................................................... 43
3.1 Der Krankheitsbegriff in der Sozialwissenschaft ................................. 43
3.2 Die Communication Privacy Management Theorie ............................. 44
3.3 Vertrauen in den Sozialwissenschaften ................................................ 45
3.4 Bedeutung von Vertrauen für Theorie der Kognitiven Dissonanz ....... 46
Inhalt
ine Verweigerung, a auch schon eine Passivität der Medizin gegenüber der digita-
len Revolution ist absolut kontraindiziert. Kontraindiziert, weil wir damit eine riesige
Chance vergeben würden, den Weg mit zu bestimmen. Kontraindiziert auch deshalb,
weil wir ualität der Datenerhebung und bermittlung beurteilen und unsere Patien-
ten beraten müssen. ( ) Gesundheitsdaten k nnen ohne Praxisbesuch erhoben und
kontinuierlich übermittelt werden. Mobile-eHealth wird damit in Zukunft Patienten
entlasten, die in ihrer Mobilität eingeschränkt sind. Und MobileHealth wird zur
Schlie ung von Versorgungslücken in ländlichen Regionen beitragen (Hasenfu ,
2016b).
Krankheiten sind so alt wie das Leben selbst. Genauso alt wie die Auseinanderset-
zung des Menschen mit dem eigenen Wohlbefinden. Die wissenschaftliche Aus-
einandersetzung mit der Medizin, der Wissenschaft vom gesunden und kranken
Organismus des Menschen, von seinen Krankheiten, ihrer Verhütung und Hei-
lung (Duden Online, 2016), hat eine dementsprechend lange Tradition und geh rt
damit zu den ältesten Wissenschaften überhaupt. So wie der Mensch selbst, ent-
wickelt sich auch die Medizin stetig weiter und ist aus heutiger Sicht so wirkungs-
voll wie nie zuvor ( ckart, 2001, S. 3), was sie nicht zuletzt den äu erst dynami-
schen technologischen Fortschritten der letzten Jahre und Jahrzehnte zu verdanken
hat.
Wenn Patienten früher rzten gegenübertraten, kam es zu einer anspruchs-
vollen Situation, in der der behandelnde Arzt zunächst auf eine Diagnose hinar-
beiten musste. Dazu verschaffte er sich ein m glichst umfassendes Bild des Pati-
enten, das sich aus Krankheitsgeschichte, dem sub ektiven mpfinden, den Ab-
weichungen vom biologischen Normzustand sowie den psychosozialen Umstän-
den, die zum Krankheitsbild führen k nnten, zusammensetzte ( ckhardt et al.,
2014, S. 44).
Die Fähigkeiten der ärztlichen Diagnose haben sich bis heute kaum geändert.
Allerdings haben sich die M glichkeiten, Gesundheitsdaten zu erheben, mittels
moderner Informationstechnik auszuwerten und sogar von Patienten selbst erho-
bene Informationen in die Anamnese einzubeziehen, erheblich weiterentwickelt.
Diese ntwicklung kennzeichnet einen entscheidenden Schritt hin zu einem
neuen und zeitgemä en Gesundheitswesen und äu ert sich in der Suche nach dem
allumfassenden Gesundheits-Bild eines eden einzelnen Patienten, welches sich
3 Laut einer Ankündigung übernimmt der finnische Telekommunikationskonzern Nokia noch dieses
Jahr den Digital Health- und Wearables- xperten Withings für 170 Millionen uro (Drees, 2016).
4 s handelt sich hierbei um eine vorangestellte Fragestellung. Aufgrund des methodischen Charakters
der Arbeit ( ualitative explorative Studie), ist ein pers nliches und analytisches Vorwissen zur Präzi-
sierung der finalen Fragestellung und auch der Zielsetzung unentbehrlich (Legewie, 2004, S. 4-7). Da-
her finden sich die Forschungsfragen und die finale Zielsetzung der Arbeit erst in Kapitel 4.
4 1 inleitung
nderung der APK nach sich ziehen würde. Damit ist keineswegs ausgeschlossen,
dass der behandelnde Arzt in der Praxis mit den Resultaten technischer Systeme
v llig übereinstimmt. In einer ähnlichen Situation k nnte er aber ebenso gut zu
einer v llig anderen inschätzung gelangen. Die gegenwärtige rechtliche und po-
litische Situation, in dessen sich das deutsche Gesundheitswesen derzeit befindet,
lässt diese und weitere Fragen bisher gänzlich unbeantwortet: Wer kann bessere
ntscheidungen treffen und nach welchen Ma stäben sind diese zu bewerten?
Welche Chancen und Risiken ergeben sich aus den neusten ntwicklungen? Wem
vertrauen Patienten mehr? Und welche Auswirkungen wird diese ntwicklung auf
das Gesundheitssystem haben? Die folgenden Kapitel sollen als berblick dienen,
die Bedeutung der Digitalisierung des medizinischen Sektors in die gegenwärtige
Lage des deutschen Gesundheitssystems einzuordnen, um sich anschlie end den
veränderten kommunikativen Aspekten des Arzt-Patienten-Verhältnissen zu nä-
hern.
Die in den 1990er Jahren unaufhaltsame Verbreitung des Internets und seiner
Dienste, vor allem des World Wide Web (WWW), hat zweifelsfrei zu fundamen-
talen Veränderungen nahezu aller wirtschaftlichen Teilbereiche geführt. Während
die meisten Märkte von den neuen M glichkeiten in Vertrieb, Kommunikation
und Organisation profitierten, erlitten manche Branchen auch schmerzliche Ver-
luste. Als Paradebeispiel kann an dieser Stelle der 1999 gestartete Filesharing-
Dienst Napster genannt werden, der der traditionellen Musikindustrie bezüglich
der weltweiten CD Verkäufe einen erheblichen Schaden zufügte (Drücke, Leis-
don, Lüer en & Müssner, 2014, S. 20). Die damals Verantwortlichen Manager
sahen sich erstmals mit einer v llig neuen Technik der Distribution konfrontiert,
die ein Jahrzehnte altes und bis dahin verlässliches Geschäftsmodell erschüttern
lie . Auch das Gesundheitswesen hat sich im Zuge der Digitalisierung verändert,
2.1 Besonderheiten des deutschen Gesundheitsmarktes 7
edoch ist anzumerken, dass trotz hoher Akzeptanz digitaler Angebote auf Nutzer-
seite und fortschrittlicher Technologien auf Seiten der Anbieter, der deutsche Ge-
sundheitsmarkt eher zurückhaltend reagiert.
Während im skandinavischen und anglo-amerikanischen Raum nahezu alle
Hausärzte electronical medical records ( MR), also elektronisch und digital er-
fasste Aufzeichnungen von Gesundheitsinformationen zur Diagnose und Behand-
lung verwenden, liegt der entsprechende Anteil in Deutschland momentan nur bei
84 (Commonwealth Fund, 2016, S. 17). Nach einer schleppenden und stufen-
weisen inführung der elektronischen Gesundheitskarte (eGK), beginnend im Ok-
tober 2011, ist die eGK seit dem ersten Januar 2015 nun auch hierzulande der
einzige Berechtigungsnachweis für die Inanspruchnahme ärztlicher Leistungen
(GKV, 2015). Abgeschlossen ist die Digitalisierung des Gesundheitswesens damit
aber immer noch nicht. Um zu verstehen warum diese ntwicklungen im Ver-
gleich zu anderen Industrienationen hinterherhinken, sollen die gesetzlichen Re-
gelungen des bestehenden Gesundheitssystems kurz aufgezeigt werden.6
6 in, besonders in Deutschland, viel diskutiertes Thema, welches mit der inführung neuer Techno-
logien und datenverarbeitender Hard- und Softwarel sungen in Verbindung gebracht wird, ist der Da-
tenschutz. Trotz einer allgemein hohen Skepsis gegenüber Diensten, die pers nliche Informationen für
ihre Leistungen verarbeiten, zeigen verschiedene Studien auf, dass Nutzer zunehmend bereit sind, sen-
sible Daten freizugeben, solange sie einen pers nlichen (meist finanziellen) Vorteil daraus ziehen k n-
nen. Dieses Verhalten ist auch unter dem Begriff Privacy Paradox bekannt (Barnes, 2009) Handels-
blatt Research Institute (2013) Kokolakis (2015) Schlingensiepen (2016). Da das Thema Datenschutz
und die Akzeptanz digitaler Gesundheitsangebote eine äu erst umfangreiche Bearbeitung erfordern
würde, wird es aus forschungs konomischen Gründen als Teil dieser Arbeit ausgeklammert und nur
am Rande erwähnt.
8 2 Stand der Forschung
7 Nach dem einheitlichen Bewertungsma stab ( BM) werden ambulante und belegärztliche Leistun-
gen in der GKV abgerechnet. r ist also das Vergütungssystem der vertragsärztlichen Versorgung in
Deutschland und im Fünften Buch (V) des Sozialgesetzbuch (SGB) geregelt.
8 Neben der Zulassung von Arzneimitteln und Medikamenten fallen laut 3 des Gesetzes über Medi-
zinprodukte (MPG): Implantate, Produkte zur In ektion, Infusion, Transfusion und Dialyse, humanme-
dizinische Instrumente, medizinische Software, Katheter, Herzschrittmacher, Dentalprodukte, Ver-
bandstoffe, Sehhilfen, R ntgengeräte, Kondome, ärztliche Instrumente sowie Labordiagnostika
(BfArM, 2016).
10 2 Stand der Forschung
9 Die Richtlinien der FDA zu Medical Apps sind hier zu finden: http://1.usa.gov/1baa4bO
2.2 Der digitale Wandel in der Medizin 11
App-Markt in Deutschland generell h her, was die Trägheit des hiesigen Gesund-
heitsmarktes zum Teil erklären mag. Zudem sind Selbstzahler aufgrund des vor-
herrschenden Sozialversicherungssystems hierzulande eher abgeneigt, Kosten für
die die Versicherungen nicht aufkommen, privat zu übernehmen.10 Neben Sorgen
über den Datenschutz, sind m gliche finanzielle Risiken der am häufigsten ge-
nannte Grund, digitale Gesundheitsdienste nicht zu nutzen (Statista Research,
2015)11. Unter diesen Umständen ist es für die Hersteller solcher Angebote enorm
wichtig, zu einem frühen Zeitpunkt zu wissen, ob ihr Angebot als ein Medizinpro-
dukt zertifiziert werden kann oder nicht.
Das wachsende Potential von digitalen Technologien für die Gesundheits-
wirtschaft haben nicht nur Unternehmen und interessierte Nutzer erkannt auch die
Politik nimmt sich dem Thema verstärkt an. Zu der Fragestellung Wie Digital
Health uns gesund macht kamen Anfang 2016 in Berlin Interessenvertreter aus
der Medizin, Politik, Gesundheitswirtschaft sowie Startups aus der Digitalbranche
zusammen, um gemeinsam über das Gesundheitswesen 4.0 (Abel, 2016), also
die Zukunft einer m glichst integrativen und bestm glichen medizinischen Ver-
sorgung zu diskutieren.
Mit den oben genannten Ma nahmen beschreitet die Politik einen Weg hin zu ei-
ner transparenteren und wirkungsvolleren Gesundheitsversorgung, die durch eine
flächendeckende Digitalisierung des Marktes erm glicht werden soll. Der rege
Austausch zwischen Interessenvertretern auf Kongressen, Tagungen oder im Netz
lassen erahnen, dass die aktuellen Veränderungsprozesse, auch bei den sogenann-
ten Gesundheitsberufen ( rzte, Psychologen uvm.) zu einer Veränderung des
Austauschs von medizinischen Informationen geführt haben. Treiber dieser Pro-
zesse sind Informations- und Kommunikationstechnologien. Diese und die nt-
wicklung des Internets mit seinen meist frei zugänglichen (Gesundheits-) Ange-
boten, zusammengefasst unter dem Begriff eHealth12, haben auch die Art und
10 Die gesetzlichen und privaten Krankenversicherer machen sich dieses Wissen allerdings zu Nutzen
indem sie vermehrt Bonusprogramme und finanzielle Anreize schaffen, sollten Versicherungsnehmer
sich bereit erklären ihre Gesundheitsdaten mit Hilfe von Apps und Gadgets zu messen und zur Verfü-
gung zu stellen. Gebündelt und ausgewertet erhalten die Versicherer so wertvolle Informationen, die
sie zu Marketingzwecken nutzbar machen k nnen. Bisher traten Versicherer wie Generali, AOK, Go-
tharer, Axa und die Techniker Krankenkasse mit -Health Angeboten auf den Markt ( rzteblatt.de
(2016) vsan (2016) VWheute (2016).
11 Zusätzliche Angaben: rhebungsland: Deutschland 31. März bis 15. April 2015 5.046 Befragte
16-69 Jahre
12
Der Begriff e-Health stammt ursprünglich von der Telehealth-Praxis ab und beschrieb zunächst die
Integration von Telehealth-Technologien mit dem Internet. Heute umfasst der Begriff ein weiteres Feld
12 2 Stand der Forschung
Weise verändert, wie Patienten und allgemein Nutzer solcher Angebote, Informa-
tionen aufnehmen und verarbeiten (Riva, 2014, S. 83). Diese ntwicklung ist neu,
bedenkt man, dass beispielsweise die klassische Patientenakte bisher vom ewei-
ligen Hausarzt verwaltet wurde und dass die Informationshoheit damit automa-
tisch und selbstverständlich an die behandelnden rzte abgetreten wurde. Dieses
Verständnis scheint sich nun zu ändern.
Studienergebnisse deuten darauf hin, dass Patienten längst ein Mitsprache-
recht bei ihrer gesundheitlichen Versorgung fordern. Nach einer rhebung des Di-
gitalverbands Bitkom wollen 87 der Bundesbürger einen direkten Zugang zu ih-
ren Gesundheitsdaten, die an verschiedenen Stellen wie Arztpraxen, Krankenhäu-
sern und anderen medizinischen inrichtungen anfallen. Hierbei sind vor allem
Arztbefunde, Laborergebnisse, R ntgen- oder MRT-Bilder gefragt.13 Der unein-
geschränkte Zugriffs dient nicht nur der bersichtlichkeit, sondern garantiert auch
einen reibungslosen bergang bei einem Arztwechsel und minimiert dadurch
Missverständnisse und doppelte Aufwände (Shahd, 2016). in wichtiger Schritt
hin zu einer zentralen Speicherung aller entscheidenden Gesundheitsinformatio-
nen ist die inführung der elektronischen Gesundheitskarte.
Dieser und weiteren technischen ntwicklungen soll mit dem kürzlich ver-
abschiedeten -Health Gesetz der Weg geebnet werden, sodass eine effiziente me-
dizinische Rundumversorgung gewährleistet wird. Sowohl in der wissenschaftli-
chen wie auch in der populärwissenschaftlichen Literatur fällt in diesem Zusam-
menhang häufig der Begriff der Personalisierten Medizin, worauf im folgenden
Kapitel kurz eingegangen werden soll.
Auch wenn eine m glichst individuelle und zielgerichtete Behandlung des Patien-
ten schon immer erklärtes Ziel der medizinischen Berufe war, hat der technologi-
sche Fortschritt auch hier zu einer gewissen Optimierung beigetragen. infach
ausgedrückt lässt sich Personalisierte Medizin beschreiben als everthing that
provide s the right care to the right patient at the right time (Bradley et al., 2011,
S. 575). So zutreffend die Aussage auch sein mag, ist sie als Definition eines so
komplexen Phänomens reichlich ungeeignet, da anzunehmen ist, dass die Absicht
einer m glichst individuellen Behandlung keine neue Zielsetzung der Medizin
darstellt, sondern schon immer das Leitmotiv ärztlichen Handelns gewesen sein
und vereint weitere digitale Dienste, die vor allem dazu beitragen sollen Ma nahmen im Bereich der
Gesundheitsversorgung zu optimieren und Kosten einzusparen (Riva (2014, S. 84-85).
13
rgebnis einer repräsentativen Umfrage unter 1.236 Personen ab 14 Jahren in Deutschland.
2.2 Der digitale Wandel in der Medizin 13
dürfte. Für eine differenziertere Betrachtung des Phänomens bedarf also einer ge-
naueren Beschreibung. in schwieriges Unterfangen, da der Begriff in der wissen-
schaftlichen Literatur oftmals unscharf verwendet wird.
So sprechen Hood und Galas (2008) bei personalisierter Medizin von einem
Veränderungsprozess der klassischen Medizin, weg von einer reaktiven und hin
zu einer proaktiven Disziplin, die es erm glichen soll, Krankheiten bereits sehr
früh zu diagnostizieren um dadurch Zeit, Kosten und behandlungstypische Fehler
zu vermeiden oder zumindest zu reduzieren. rm glicht haben diesen Wandel
hauptsächlich technische rrungenschaften in der Medizintechnik wie verbesserte
Methoden in der Genforschung, der Mikrobiologie, den Medizinischen Bildge-
bungsverfahren, der Datenauswertung und der ntwicklung von Medikamenten
(Hood & Galas, 2008, S. 2). ine ähnliche aber enger gefasste Definition von per-
sonalisierter Medizin vertreten Juengst, Settersten, Fishman und McGowan (2012)
mit einer Beschränkung auf die bahnbrechenden ntwicklungen in der molekula-
ren Genetik und die damit deutlich verbesserten Diagnosem glichkeiten.14 Auch
ihr Verständnis von einer Personalized genomic medicine vertritt das ehrgeizige
Ziel von einem one-size-fits-all approach wegzukommen hin zu einer individuell
zugeschnittenen und auf eden Patienten einzeln angepassten Rundumversorgung.
Für eine umfassende Definition einer personalisierten Medizin beschränken sich
beide Ansätze allerdings selbst, da sie die biologischen und molekularen Analyse-
methoden zu sehr in den Vordergrund stellen.
Andere Wissenschaftler wie Heusser, Neugebauer, Berger und Hahn (2013)
unterteilen die charakteristische Rundumversorgung in zwei einzelne konzeptio-
nelle Ansätze. Während sich die personalisierte Medizin zunehmend an geneti-
schen und molekularen Ausprägungsmerkmalen individueller Personen orientiert,
rückt nach Meinung der Autoren die Person, beziehungsweise der Mensch als
komplexer Organismus, in den Hintergrund. Aus diesem Grund verlange ein um-
fassender Ansatz nicht blo eine personalisierte, sondern zudem eine personen-
zentrierte Medizin, um dem Charakter einer alles umfassenden Gesundheitsver-
sorgung gerecht zu werden. Als Vorschlag einer sinngerechten Definition verwen-
den die Autoren deshalb die Bezeichnung der integrative n und personali-
sierte n Gesundheitsversorgung (Heusser et al., 2013, S. 151).
14
Seit 2003 gilt das menschliche rbgut mit seinen etwa 20.000 bis 25.000 Genen und 3,2 Milliarden
Basenpaaren als vollständig entschlüsselt und die Arbeit des 1990 gestarteten Humangenompro ekts
(HGP) als offiziell beendet. Als direktes Folgepro ekt gilt das ncyclopedia Of DNA lements ( N-
COD Pro ekt), mit dem Ziel, alle funktionalen lemente in der menschlichen Genomse uenz zu iden-
tifizieren und in den Kontext der Genregulation zu setzen, um die Voraussage potentieller Krankheits-
risiken oder die ntwicklung neuer Therapien für Krankheiten zu verbessern (NGFN, 2016). Heutzu-
tage ist die Se uenzierung eines gesamten Genoms bereits innerhalb weniger Tage zu einem Preis unter
1000 m glich (Hasenfu , 2016a).
14 2 Stand der Forschung
Diese Stärkung der Position des Patienten als menschliches Wesen entspricht auch
dem dieser Arbeit vorliegenden Verständnis eines allumfassenden Strebens nach
den bestm glichen individuellen Chancen zur Vermeidung und Heilung von
Krankheiten, sowie die zielgerichtete Verbesserung der gesamten Gesundheit ei-
nes einzelnen Patienten. Die Kommunikation und das Verhältnis zwischen Arzt
und Patient gewinnen hierdurch an Bedeutung. Nicht zuletzt aus diesem Grund,
lohnt deshalb ein genauerer Blick auf den influss, den die Digitalisierung auf die
Arzt-Patienten-Kommunikation hat und haben wird.
15
Siehe: https://hana.sap.com/abouthana.html
2.2 Der digitale Wandel in der Medizin 15
selber Gedanken machen, wie die medizinische Versorgung durch die Digitalisie-
rung sinnvoll verändert werden kann (Griewing, 2016) kommentiert der Medi-
zinvorstand die ntscheidung der Klinik. Aus 500 Patientenakten soll Watson nun
lernen und logische Schlüsse ziehen um die Diagnose von seltenen rkrankungen
zu unterstützen. Der Geschäftsbereich Watson Health hat insgesamt schon meh-
rere Millionen Patientenakten in seinem System gesammelt und auf Basis der Aus-
wertungen ein digitales Assistenzsystem mit Diagnose- und Therapieempfehlun-
gen für onkologische Behandlungen geschaffen. Der cloudbasierte Dienst hat nach
eigenen Angaben Informationen von über 300 Millionen Patienten, Tausenden
Kliniken und mehr als 1,2 Millionen wissenschaftlichen Arbeiten in seiner Daten-
bank gespeichert.
Doch auch kleinere Unternehmen drängen zunehmend auf den Gesundheits-
markt. Und wieder ist das Rh n-Klinikum Vorreiter und m chte sich als Impuls-
geber in Deutschland positionieren. Die eigens dafür gegründete Rhön Innovations
GmbH will medizinische Startups f rdern, die innovative L sungen zur besseren
und effizienteren Patientenversorgung im medizinischen Alltag entwickeln und
beobachtet hierfür 140 Startups aus der Venture-Capital-Szene (Telgheder, 2016,
S. 17). Hiervon bekommt der normale Patient allerdings wenig mit. Im Vergleich
zur Genforschung und der sich ständig weiterentwickelnden Pharmaindustrie, die
bereits auf einzelne Patienten zugeschnittene Medikamente entwickeln k nnen,
liegen die ntwicklungen im Bereich der Online Gesundheitsangebote, Fitness
Gadgets und Wearables viel näher am Bewusstsein und Alltag des Patienten. So-
mit dürften sie die APK viel stärker beeinflussen als der medizintechnische Fort-
schritt in Bereichen wie Gentechnik oder der Chirurgie, der zwar ma geblich am
rfolg einer personalisierten Medizin Anteil trägt, sich aber eher im Hintergrund
des Bewusstseins des durchschnittlichen Patienten abspielen dürfte.
2009). Hierbei hat sich das Internet nicht nur als neue uelle für gesundheits- und
krankheitsbezogene Informationen neben den klassischen Printmedien oder dem
Rundfunk positioniert, sondern auch ein Vernetzen, Sammeln und Verbreiten von
medizinischem Wissen auch zwischen einzelnen Nutzern deutlich erleichtert.
Die Digitalisierung hat demnach zu einer v llig neuen uelle für Informationen
eglicher Art geführt, ein Prozess, der durch das Aufkommen von Social Media
und deren dynamischen Charakter noch verstärkt wurde (Lupton, 2015, S. 2).
Auch die Bereitwilligkeit, mit der Patienten und Nutzer teils sehr pers nliche
Daten ver ffentlichen und teilen, trägt zu dem momentanen Wandel bei. Aggre-
gierte Informationen über Diagnosen, Therapien, Medikationen, Gemütszustände
und sogar über längere Zeit geführte Patiententagebücher17 mit detaillierten medi-
zinischen Werten haben dazu geführt, dass sich im WWW durch die ingaben von
Millionen von Nutzern ein gesundheitssystemunabhängiger Wissensstand
(Schachinger, 2014, S. 17) gebildet hat, der eine v llig neue ualität an relevanten
medizinischen Daten darstellt. Durch immer intelligentere Suchalgorithmen erge-
ben sich zudem nie dagewesene M glichkeiten, auf die pers nliche Situation des
Nutzers oder Patienten zugeschnittene Informationen zu finden, die in die thera-
peutische ntscheidungsfindung eingebracht werden k nnen (Berger, 2009,
S. 73).
Allgemein ist das Interesse an gesundheitlichen und medizinischen Themen
über sämtliche Bev lkerungsgruppen hinweg sehr hoch, weswegen sich in nahezu
allen (sowohl klassischen als auch neuen) Medien umfangreiche Informationsan-
gebote zu diesen Themen finden lassen. in Gro teil dieser Angebote lässt sich
zweifellos dem populärwissenschaftlichen Spektrum oder der Boulevardpresse
zuordnen (Bauann, Lampert & Fromm, 2016 Pletneva & Vargas, 2011). Immer
mehr Menschen informieren sich zudem online über Informationen über Krank-
heiten, Verletzungen und rnährung. Noch im Jahr 2006 waren es in der uropä-
ischen Union 19 der 16 bis 74 Jährigen, die angaben, regelmä ig online nach
Gesundheitsthemen und Informationen zu suchen. Im Jahr 2015 waren es bereits
mehr als doppelt so viele (46 ). Besonders auffällig hierbei ist, dass sich die Zah-
len für Deutschland in edem Jahr der rhebung deutlich über dem U-Durch-
schnitt bewegen, hier also ein überdurchschnittlich gro es Interesse an Informa-
tion über Gesundheit und Krankheit besteht ( urostat, 2015 Schachinger, 2015).18
Das Angebot solcher Informationsseiten, Sozialen Netzwerken und Gesundheits-
17
ines der bekanntesten Beispiele ist der Blog von Ben amin Wollmershäuser, der seine Krebserkran-
kung ffentlich thematisiert um zu erreichen, dass andere Menschen und er selber mit der Krankheit
besser zurechtkommen k nnen. Mittlerweile tritt er zudem als Gastredner auf Konferenzen und Kon-
gressen auf. Den Blog finden Sie hier: http://cancelling-cancer.blogspot.de/
18
Zum Vergleich: Der U-Durchschnitt der oben genannten Information lag 2006 bei 19 . In
Deutschland waren es im selben Jahr 34 . Im Jahr 2015 lag der U-Durchschnitt dann bei 46 , wo-
hingegen in Deutschland bereits 62 der Befragten online nach Gesundheitsinformationen suchten.
2.2 Der digitale Wandel in der Medizin 17
Apps, wächst folglich immer weiter, sie bieten vielfältige M glichkeiten und re-
gen zugleich zur kritischen Auseinandersetzung mit Themen wie Datenschutz,
Kontrollen und ualität der Daten an.
Besonders die Frage nach der Vertrauenswürdigkeit spielt bei digitalen An-
geboten, die über gesundheitliche und medizinische Themen informieren und be-
raten sollen, eine entscheidende Rolle. Täglich durchsuchen Millionen von Men-
schen das Internet nach solchen Informationen. Die ualität der zur Verfügung
gestellten Daten in Apps und Online-Portalen lässt edoch oft zu wünschen übrig.
Da werden Symptome interpretiert und Diagnosen gestellt, die noch nicht mal
eine Fifty-Fifty-Chance auf die zuverlässige Deutung von Beschwerden zulie en
(Mei ner, 2016) kritisiert der Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für In-
nere Medizin (DGIM). Auch eine rhebung der Bertelsmann Stiftung kommt zu
dem rgebnis, dass rund 45 der rzte der Meinung sind, das die laienhafte Su-
che im Internet die Arbeit in den Praxen nur belaste, da sich Patienten von der
Masse der Informationen verwirren lie en. in weiteres Drittel stimmt dieser Aus-
sage zumindest teilweise zu. Dieses Verhalten, wenn Menschen sich durch zu viel
Recherche im Web in eine Angst vor einer Krankheit hineinsteigern, hat bereits
einen eigenen Namen: Cyberchondrie (Peikert, 2016). Die ualität der bereitge-
stellten Informationen spielt gerade im Gesundheitsbereich eine wichtige Rolle.
Dabei handelt es sich bei den sogenannten Gesundheitsexperten in Online Foren
gar nicht immer nur um Laien, auch praktizierende rzte bieten ihr Wissen zuneh-
mend im Internet an. Das Problem scheinen somit weniger die Informationen an
sich, sondern deren Deutung zu sein und die Art, wie sie in den individuellen ge-
sundheitlichen Kontext der Patienten gesetzt werden.
Beispiele solcher Angebote finden sich genug. Der aus Gro britannien stam-
mende Gesundheitsdienstleister DrEd19 bietet schon seit über fünf Jahren die
M glichkeit einer Online Gesundheitskommunikation, die auch deutsche Patien-
ten in Anspruch nehmen k nnen. Die Behandlung und Beratung erfolgt hier auf
telemedizinischem Weg und sogar Arzneimittel und Rezepte werden per Post ver-
sendet, ohne dass die Patienten emals pers nlich in einer Arztpraxis erscheinen
müssen. Das Unternehmen beruft sich hierbei auf die U-Richtlinie Patienten-
rechte in der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung, die eine Inanspruch-
nahme gesundheitsbezogener Leistungen im Ausland erleichtern soll. Das Prinzip
solcher Online-Konsultationen st t edoch unter anderem in der Gesundheitspo-
litik der Bundesregierung auf Kritik, weshalb kürzlich beschlossen wurde, den
pers nlichen Arzt-Patienten-Kontakt wieder verbindlich und für die Rezepteinl -
sung in der Apotheke zur Voraussetzung zu machen (Meinertz, 2015). Mit dem
aktuellen 4. AMG- nderungsgesetz will die Bundesregierung nun das Verbot von
19
Homepage: https://www.dred.com
18 2 Stand der Forschung
20
Homepage: https://medlanes.com
2.2 Der digitale Wandel in der Medizin 19
Verschiedene Studien konnten bereits nachweisen, dass die Nutzung solcher An-
gebote dazu geführt hat, dass Patienten ihre Krankheiten besser verstehen und so-
gar angegeben wurde, aus den Online-Gesundheitsangeboten etwas gelernt zu ha-
ben. Allerdings scheinen solche Angebote das pers nliche Gespräch nicht ersetzen
zu k nnen. 94 der Befragten einer Studie gaben an, dass die Nutzung solcher
Angebote keinen influss auf die Anzahl ihrer Arztbesuche habe (Baker, Wagner,
Singer & Bundorf, 2003). Dennoch wird von der Annahme ausgegangen, dass die
Nutzung von Online-Gesundheitsangeboten zu einer manzipation der Patienten
im Gesundheitswesen (Schmidt-Kaehler, 2005, S. 479) oder wenigstens einer
instellungsänderung gegenüber Gesundheitsthemen führt (Peter, Rossmann &
Keyling, 2014), was sich zweifellos auf die zukünftige APK auswirken wird.
Die neuste Patient Survey, die seit 2010 ährlich erscheint, kommt zu einem
ähnlichen rgebnis. Ungefähr die Hälfte aller Menschen in Deutschland (über 40
Millionen) informiert sich mittlerweile über das Internet über Gesundheitsthemen.
Des Weiteren zeigen die rgebnisse der gr ten Befragung zum Thema Patient
im Netz inzwischen, dass sie sich nicht blo informieren, sondern dass mehr und
mehr neuere, therapiebezogene internetbasierte Dienste, tragbare Geräte und Apps
das Therapieverhalten sowie die Meinung und instellung der Patienten über ihre
rkrankung zu prägen beginnen ( Patient RSD, 2016).
21
87 der Nutzer von Online-Gesundheitsakten gaben in der Studie an, die digitale Akte helfe ihnen
deutlich bei verschiedenen Arztbesuchen, vor allem beim Zugriff auf Krankheitsdaten und der Behand-
lung ( Patient RSD, 2016).
22
Pressemitteilung: http://www.gartner.com/newsroom/id/3143521
23
Fitbit ist einer der führenden Anbieter für sogenannte Fitness-Gadgets, die verschiedene Gesund-
heitsdaten sammeln, bündeln und auswerten. Die meisten dieser Geräte sind am K rper tragbar
(Wearables) und senden ihre Daten zur Auswertung via Internet an das Smartphone oder den Compu-
ter. Siehe: https://www.fitbit.com/de
24
Siehe: https://secure-nikeplus.nike.com/plus/products/fuelband/
25
Siehe: https://www.mobilcom-debitel.de/digitale-welt/smartcare/
2.2 Der digitale Wandel in der Medizin 21
zum Jahr 2020 auf 50 Milliarden erh hen k nnte. Dies entspräche einem weltwei-
ten Durchschnitt von über sechs Geräten pro Person ( vans, 2011, S. 3). in Bei-
spiel für ein solches Gadget, das dem Gesundheitssektor zuzuordnen ist, ist die
kleine Kugel Sense der Firma Hello, die mit Hilfe zahlreicher Sensoren die Luft-
ualität von Räumen auf verschiedenste Werte untersucht, den Schlaf analysiert
und den Besitzer mit einer intelligenten Weckfunktion gegebenenfalls schon vor
der eingestellten Weckzeit aus dem Schlaf holt, sollte er sich zufällig gerade in
keiner Tiefschlafphase befinden.26 Die Technik, die hier bereits kommerzialisiert
wurde, hat seine Berechtigung zuvor schon in wissenschaftlichen Studien unter
Beweis gestellt. So zeigten Kryger, Roth und Dement (2011) bereits auf, dass un-
mittelbare Umweltfaktoren, wie Temperatur, Luft ualität und der Geräuschpegel
im Schlafzimmer, Hauptursachen für eine schlechte Schlaf ualität darstellen. Al-
lerdings ist hier zu erwähnen, dass ualität und Genauigkeit solcher selbsterhobe-
nen Daten oft kritisch hinterfragt werden müssen und einheitliche Zertifizierun-
gen, wie bereits in Kapitel 2.1.3 angesprochen, bisher als verlässliche Orientie-
rungshilfen fehlen. Im Falle digitaler Assistenzsysteme wie Hello ist bisher nicht
nachgewiesen, wie genau die Messungen zu bewerten sind und ob sie wirklich
dazu genutzt werden k nnen, verlässliche Informationen zu liefern, die eine Aus-
sage über die Ursachen eines schlechten Schlafverhaltens erm glichen (Kay,
2014, S. 35). Nichtsdestotrotz ver ffentlichen Hersteller solcher Geräte und An-
gebote ständig neue Meldungen über technische Fortschritte ihrer Produkte.
Diese begründen sich in der stetig ansteigenden Rechenleistung von Mikro-
computern in Smartphones oder Tablets und vor allem dank des insatzes von
biometrischen Sensoren sind dauerhafte Messungen von bioelekrtischen Aktivitä-
ten heute schon Realität (Bravo, Herv s & Villarreal, 2015, S. 4 Rotermund &
Sommerhäuser, 2016). Während die Wearables der ersten Generation sich haupt-
sächlich auf die Messung der Herzfre uenz oder den Schlafrhythmus beschränken
mussten, werden neuere Geräte durch immer kleinere und schnellere Prozessoren,
nach Herstellerangaben, bald auch umfassende Analysen von Vitalfunktionen, be-
rechnen k nnen (Kaplan & Stone, 2013 uandt, 2015 Sto ceski, 2016). Aber
auch hier scheint das nde der M glichkeiten noch lange nicht erreicht zu sein.
Sensor-embedded physical environments that monitor people s movements in
public spaces are already in place. Many smart fabrics have been developed that
can be used for clothing or footwear to collect body metrics on wearers (Lupton,
2015, S. 6). Das hei t Sensoren werden bald nicht mehr nur am K rper getragen,
sondern werden Teil von Alltagsgegenständen. Blutdruck, Zuckerwerte, Muskel-
beanspruchung, K rpertemperatur, Atemfre uenz, Blutwerte, Schlafmuster,
Herzfre uenz, Hirnaktivität und sogar Zahnbürsten, die Regelmä igkeit und
26
Siehe: https://hello.is/technology
22 2 Stand der Forschung
27
Sammelbegriff für diese Bewegung ist uantified-Self (Deutsch: uantifiziertes Selbst), ein 2007
von Gary Wolf und Kevin Kelly geprägter Begriff, der die Aufzeichnung und Selbstanalyse von Da-
ten über die eigene Person und Umwelt beschreibt (Kelly, 2007).
28
Sehr interessant ist hier das Premonition Pro ekt von Microsoft, dass Drohnen zur pidemie-Be-
kämpfung in Grenada einsetzt (Linn, 2015).
29
Nicht immer werden die sogenannten Fitness- und Wellness Apps in rhebungen getrennt von me-
dizinischen Apps aufgeführt. Auch wenn Medizinische Apps streng genommen keine Wellness Ange-
bote darstellen, werden sie doch im Sinne der bersichtlichkeit und Forschungsabsicht dieser Arbeit
zum Oberbegriff mHealth hinzugezählt.
2.2 Der digitale Wandel in der Medizin 23
Da der Begriff oft mit der Telemedizin oder teilweise auch mit dem hier als Ober-
begriff definierten eHealth gleichgesetzt wird, sind Klassifizierungen von digita-
len Gesundheitsangeboten oftmals irreführend. in entscheidender Unterschied
von mHealth zu den sehr weit gefassten Konzepten eHealth und Telemedizin be-
steht im Allgemeinen im insatz von mobilen ndgeräten. Dies umfasst egliche
Art von Smartphones, Tablets, Phablets sowie Wearables, die als im Gesundheits-
kontext nutzbare Geräte beschrieben werden (Kay & Santos, J. & Takane, M.,
2011, S. 66-71). iner rhebung30 aus dem Jahr 2015 zu Folge nutzen bereits 38
der deutschen Bev lkerung Self-Tracking-Geräte. Davon sind rund 16 soge-
nannte Heavy-User, also Personen, die solche Geräte täglich oder mehrmals die
Woche nutzen (Wenke, 2015). Abgesehen von Patienten und Nutzern solcher An-
gebote wurden in derselben Studie zudem niedergelassene rzte in Deutschland
zu ihrer pers nlichen Bewertung und Nutzungsverhalten des Self-Trackings31 be-
fragt. Die rgebnisse lassen ein enormes Marktpotential und eine sehr hohe ge-
genwärtige Wahrnehmung gegenüber der Selbstvermessung erkennen. twas häu-
figer als die Laien, nutzt bereits fast eder zweite deutsche Arzt Self-Tracking-
Geräte wie Fitness Gadgets und Wearables zur Beobachtung der eigenen Fitness-
daten. Mit 20 an Heavy-Usern liegt auch hier der Anteil leicht über dem der
Patienten und Laien-Nutzer (Wenke, 2015).
Zahlreiche wissenschaftliche Studien haben sich bereits mit dieser Selbstver-
messung beschäftigt. inen guten berblick bieten die Studien von Mamlin und
Tierney (2016) und Lupton (2013), die die verschiedenen M glichkeiten digitaler
Gesundheitsangebote und die soziale und kulturelle Bedeutung dieser Technolo-
gien für die Gesundheitsf rderung beleuchtet.
Neben den üblichen Anwendungsbereichen wie der sensorischen rfassung
von Bewegungsmustern und Vitaldaten, gehen manche Unternehmen noch einen
Schritt weiter. in Beispiel ist die amerikanische Firma 23andme, welche die
Dienstleistung anbietet, mittels Test-Sets, die nach Hause geliefert werden, weit-
reichende DNA-Analysen durchzuführen. Die Proben werden zu Hause entnom-
men, zurückgeschickt und ausgewertet.32 Hier verschmilzt gewisserma en die
Grenze zwischen Selbstvermessung und professionellen medizinischen Auswer-
tungsmethoden bis hin zur analytischen Laborarbeit. Solche M glichkeiten waren
vor 20 Jahren noch Science Fiction. 23andme ist dabei nicht der einzige Anbieter
30
s handelt sich um eine Online Befragung von DocCheck Research mit einer randomisierten Stich-
probenziehung aus dem Healthcarepanel von DocCheck (APIs) uotierte Zufallsauswahl aus dem
Onlinepanel von respondi n = 166 niedergelassene rzte in Deutschland und n = 704 rwachsene (14-
69 Jahre) in Deutschland Patienten bzw. Laien (Wenke, 2015).
31
Unter Self-Tracking versteht man die aktive Teilnahme an der S Bewegung, also eine stetige r-
hebung der eigenen Fitness- bzw. Vitaldaten durch mHealth Angebote.
32
Für mehr Informationen besuchen Sie: https://www.23andme.com/
24 2 Stand der Forschung
33
Homepage: http:// ama. amanetwork.com/ ournal.aspx
34
Die kompletten Testergebnisse sind ffentlich einsehbar unter: http://arstechnica.com/wp-con-
tent/uploads/2016/04/report20160331.pdf
2.2 Der digitale Wandel in der Medizin 25
wurden, die eine App in Verbindung mit einem medizinischen Messgerät verwen-
den, speichern ihre Messwerte dadurch regelmä ig und geben an einen vollstän-
digeren und besseren berblick über ihren Krankheitsverlauf zu haben ( Patient
RSD, 2016).
Dieser berblick bietet nicht nur den Patienten die M glichkeit, eine gewisse
Autonomie über das eigene Gesundheitsmanagement zu erlangen, sondern kann
ebenfalls bei anstehen Arztbesuchen dabei helfen, Diagnosen zu unterstützen, Fra-
gen zu stellen und dadurch aktiv an der eigenen Genesung mitzuwirken. Neuste
rhebungen zeigen, dass Patienten mehr und mehr eigens erhobene Gesundheits-
daten beim Arztbesuch in der Praxis ansprechen. s hat sich gezeigt, dass mittler-
weile fast eder zehnte Patient seinen Arzt mit Fragen zu Self-Tracking-Geräten
und den damit erhobenen Messwerten konfrontiert. Bei den sogenannten Heavy-
Usern35 liegt der Anteil ungefähr dreimal h her (Wenke, 2015).36
35
Nutzer, die solche Angebote täglich oder mehrmals die Woche nutzen.
36
rzte Heavy-User: Beantworten häufig Fragen zu Self-Tracking-Messwerten: 33 (n=33) Patien-
ten Heavy-User: Stellen häufig Fragen zu Self-Tracking-Messwerten: 16 (n=109).
37
Mit Jameda gibt es allerdings ein vergleichbares Angebot nun auch in Deutschland. Siehe:
www. ameda.de
38
Siehe: http://www.healthmap.org/en/
26 2 Stand der Forschung
Trends39, die eine Beobachtung und berwachung der Verbreitung von Krankhei-
ten erm glichen, stehen für ein hoch innovatives Gesundheitswesen. in weiteres
wegweisendes Beispiel ist mit dem Gewinner des Medical App Awards 2016 zu
nennen. Predictable40 ist der Name der schriftbasierten Anwendung mit Sprach-
ausgabe. Sie macht es m glich Menschen eine Stimme zu geben, die ihre eigene,
natürliche Stimme nicht mehr nutzen k nnen. Nutzer sind z.B. ALS-Patienten o-
der Personen mit zerebralen Lähmungen, hervorgerufen durch Schlaganfälle oder
Kopfverletzungen.
xperten schätzen, dass der Mobile Health-Markt, welcher Medical Apps
und Wearables umfasst, in den kommenden Jahren zunehmend an Bedeutung ge-
winnen wird. ine Analyse des Apple App Store hat ergeben, dass momentan circa
91.000 iOS Apps zum Thema Medizin und Gesundheit zum Download bereit ste-
hen, Tendenz steigend. Dies entspricht einer monatlichen Zunahme von 1.800
Apps seit August 2015, darunter auch hochspezialisierte Angebote wie Apps zur
Behandlung von Tinnitus41 (Kohl, 2016). in nennenswertes Beispiel ist das Star-
tup Tinnitracks, dass derzeit durch eine Kooperation mit der aus dem Internet und
Fernsehen bekannten Gesundheitsplattform Dr.Johannes42 versucht, die Therapie-
treue durch eine pers nliche Ansprache durch einen Arzt zu steigern (Bittner,
2016).
Der Gro teil dieser Daten ist bereits vorhanden. Das Smartphone errechnet
schon heute, wie viel und wie intensiv sich ein Patient täglich bewegt und Apps
wie Apple Health und Google Fit k nnen hieraus Bewegungsprofile erstellen und
mit ein wenig Hilfe seitens des Nutzers bereits recht gut einschätzen, wie viele
Kalorien ein Patient täglich zu sich nimmt, wieviel er sich bewegt und wie gesund
er dementsprechend ist (Rotermund & Sommerhäuser, 2016). Im Vergleich zu an-
deren Gesundheitsangeboten bieten mHealth Angebote entscheidende Vorteile.
Vor allem durch die enorme Durchdringung (sein Smartphone hat man meistens
dabei), die Häufigkeit der Nutzung (Shrum, 2014) sowie geringe Anschaffungs-
kosten tragen dazu bei, dass längerfristige positive ffekte bezüglich des Gesund-
heitsverhaltens zu erwarten sind. Bisherige Studien von F eldsoe, Marshall und
Miller (2009), Chib (2013) oder Cole-Lewis und Kershaw (2010) untermauern
diese Annahme. ine Befragung von 166 deutschen rzten kommt zu dem rgeb-
nis, dass Medical Apps und Wearables die Chance bieten, Menschen zu einer ge-
sünderen Lebensweise zu bewegen. Dieser Meinung sind 73 der Befragten. Wei-
tere positive ffekte werden bei der präventiven Bekämpfung von sogenannten
39
Siehe: https://www.google.org/flutrends/about/
40
Siehe: https://itunes.apple.com/de/app/predictable-deutsch-textbasierte/id577387374?mt=8
41
Zum Zeitpunkt der Recherche befanden sich alleine zum Thema Tinnitus 138 Anwendungen im
Apple App Store. Siehe hierfür Kohl (2016).
42
Siehe: http://www.doktor- ohannes.de/startseite.html
2.2 Der digitale Wandel in der Medizin 27
if the decision to do so was their own rather than urged upon them by a medical or
public health professional (S. 400-401).
Auch der Frage nach dem Nutzen solcher Apps für den Praxisalltag ist der
rztenachrichtendienst nachgegangen und kommt zu dem rgebnis, dass lediglich
30 von einer rleichterung im Behandlungsalltag sprechen, während 45 in
dem Zusammenhang eher von einer Gefahr, beziehungsweise Mehrarbeit ausge-
hen, da verunsicherte Patienten in den Praxen vermehrt über die ausgegebenen
Analysen der Programme aufgeklärt werden müssten (Scholz, 2016).45
Der bisherige Stand der Forschung hat zuweilen Aufschluss darüber gegeben, wie
technologische ntwicklungen der letzten Jahre die M glichkeiten in der medizi-
nischen Versorgung verändert haben. Patienten und auch rzte müssen sich diesen
ntwicklungen anpassen, damit der intendierte Nutzung der Digitalisierung, der
in den vorangegangen Kapiteln erläutert worden ist, seine gr tm gliche positive
Wirkung auf alle Beteiligten entfalten kann. ine solche Anpassung ist stets mit
der Notwendigkeit verbunden, Prozesse und ntwicklungen so zu kommunizie-
ren, dass sie von m glichst vielen Personen verstanden und akzeptiert werden. Die
ntstehung der Kommunikationswissenschaft als vergleichsweise neues Teilge-
biet der Sozial- und Geisteswissenschaften und der daraus erwachsenen wissen-
schaftlichen Disziplin der Gesundheitskommunikation beweist, dass die Bedeu-
tung der Kommunikation zwischen rzten, Patienten und anderen Anspruchs-
gruppen immer wichtiger wird.
Um die Tragweite dieser ntwicklung besser nachvollziehen zu k nnen be-
schäftigt sich das folgende Kapitel daher zunächst mit der ntstehung der Gesund-
heitskommunikation und ihren influss auf die Arzt-Patienten-Beziehung. Kapi-
tel 3 beschäftigt sich mit den theoretischen Hintergründen der APK und anschlie-
end soll geklärt werden, inwieweit der influss von zusätzlichen Informationen
aus eHealth Angeboten auf die Arzt-Patienten Beziehung in der Literatur behan-
delt wurde und welche Forschungslücken hierbei identifiziert worden sind, die zur
Zielsetzung dieser Arbeit geführt haben.
45
Die restlichen 25 Prozent der Befragten halten die Daten von Gesundheits-Apps für unbedeutend
oder keine echte Hilfe für die Behandlung Scholz (2016).
2.3 Kommunikation in der Medizin 31
Health oder der Herausgabe spezieller Fachzeitschriften, wie das seit 1996 er-
scheinende Journal of Health Communication , weitestgehend professionalisiert
(Jazbinsek, 2000, S. 12-13). Später wurden diese Bereiche um die Fragestellung
der Rolle der Massenmedien und deren Nutzung, sowie die Betrachtung deren
influss auf das Gesundheits- und Krankheitsverhalten der Bev lkerung erweitert.
Als primäres Forschungsinteresse standen hierbei die Beantwortung von Fragen
zur strategischen Beeinflussung und Unterstützung von gesundheitsf rderndem
Verhalten.
ine weitere entscheidende rweiterung der Disziplin fand durch das Auf-
kommen der neuen, interaktiven Medien und die rkenntnis über deren disruptive
Bedeutung statt (Hurrelmann & Leppin, 2001, S. 9). Wie bereits erwähnt, spielte
hier vor allem der partizipative Charakter des Web 2.0 mit seinen neuen M glich-
keiten eine entscheidende Rolle in der ntwicklung der Gesundheitskommunika-
tion. Informationen mussten nun nicht mehr linear von Kommunikator zum Rezi-
pienten gestreut werden, sondern das Internet erlaubte nun neue, interaktive Kom-
munikationsformen. Allgemein steckt der Begriff Gesundheitskommunikation ein
sehr weites Forschungsfeld ab und vereint die unterschiedlichsten Formen von
Kommunikation zum Thema Gesundheit, beziehungsweise Krankheit, durch ver-
schiedene Kanäle und im Rahmen verschiedenster sozialer Kontexte (Kreps, Bo-
naguro & uery, 1998, S. 1-15). inen berblick über die relevanten themati-
schen Gebiete in der Gesundheitskommunikation soll das folgende Kapitel nun
näher darstellen.
schaft zu einem der umfassendsten Forschungsgebiete überhaupt geh rt. Sie be-
fasst sich im weitesten Sinne mit den im gesellschaftlichen Diskurs ausgetausch-
ten Informationen (Pürer & Bilandzic, 2009, S. 17) und lässt sich grob in vier
Bereiche gliedern:
- Interpersonale Kommunikation
- Technisch vermittelte Kommunikation
- Massenkommunikation und
- Computervermittelte Kommunikation.
lässt (Rossmann et al., 2014, S. 82). Wie bereits in der inleitung erwähnt, be-
obachten wir in den letzten Jahren eine zunehmende technische Konvergenz also
eine Verschmelzung von analogen und digitalen Technologien zu neuen durch
Online-Kommunikation bestimmten interaktiven und digitalen Medien (Pürer &
Bilandzic, 2009, S. 17 Rockenhäuser, 1999, S. 42). Mit technischen Assistenz-
systemen, wie Wearables und Fitnesstracker, stehen v llig neue informationsbe-
ladene Begleiter von Kommunikation zur Verfügung, die das lange Jahre vorherr-
schende Rollenverständnis von Arzt und Patient und dabei die Kommunikations-
form zwischen beiden grundlegend verändern dürften.
46
Ausnahmen sind hierbei rziehungsberechtige von Minder ährigen sowie familiäre Betreuung von
Senioren. Aber auch beispielsweise Patientinnen aus muslimischen Kulturkreisen werden gegebenen-
falls von ihrem hemann oder der Familie bis in den Behandlungsraum hinein begleitet.
2.3 Kommunikation in der Medizin 35
Wie in Abbildung 1, nach G ppert, Fabry und Goos (1980) zu sehen ist, setzt sich
das Arzt-Patienten-Verhältnis sowohl aus einem Vertrauensverhältnis, als auch
aus einem reinen Dienstleistungsverhältnis zusammen. Dieses Verständnis setzt,
abgesehen vom eigentlichen Kompetenzbereich von Medizinern, zusätzliche
kommunikative Fähigkeiten voraus, denen ein gro er influss auf das Befinden
der Patienten unterstellt wird (Lang, 2006).
Solche kommunikativen Kompetenzen werden bereits in der ärztlichen Aus-
bildung vermittelt, sollen aber in Zukunft noch stärker in die Ausbildung unger
Mediziner einflie en. Das Universitätsklinikum Heidelberg hat hierfür nun einen
Kommunikations-Lehrplan entwickelt, der an allen medizinischen Fakultäten
deutscher Universitäten eingesetzt werden soll (Dormann, 2016).
Im Rahmen der Gesundheitsf rderung und Krankheitsprävention stellt sich
aus der Perspektive des Patienten die Frage, wie gesundheitsbezogene Verhaltens-
weisen durch direkte und pers nliche Kommunikation gesundheitsbezogener In-
formationen beeinflusst werden oder beeinflusst werden k nnen (Renner, Panzer
& Oeberst, 2007). Zunächst edoch muss geklärt werden, in welchem Verhältnis
Arzt und Patient zueinander stehen und welche sozialen Rollen sie dabei einneh-
men.
Vor einigen Jahren noch galten rzte als einzig zuverlässige uelle für ge-
sundheitsbezogene Informationen. Diagnosen und Therapieansätze wurden selten
angezweifelt und wenn doch, dann holten Patienten eine zweite Meinung ein, so-
dass der Arzt im weitesten Sinne das gesamte diagnostische und therapeutische
Vorgehen alleine bestimmen konnte und dies auch tat (Vovk-Debryckyi, 2014,
S. 2). Heute befinden wir uns in einer veränderten Situation.
36 2 Stand der Forschung
47
Siehe: http://www.opennotes.org/
38 2 Stand der Forschung
48
ines von zahlreichen Beispielen ist die Apple Health App, die auf neueren iPhone Systemen bereits
vorinstalliert ist. Zudem bietet der App Store zahlreiche rweiterungen an, die alternative Darstellun-
gen der gemessenen Gesundheitsdaten erm glichen.
2.3 Kommunikation in der Medizin 39
Aus dieser ntwicklung lässt sich relativ wertfrei feststellen, dass diese Daten und
das daraus abgeleitete medizinische Wissen, im Gesundheitswesen der Zukunft
kein Herrschaftswissen mehr sein wird, sondern verschiedenste Anbieter (inklu-
sive der rzteschaft) miteinander in Konkurrenz treten (Vovk-Debryckyi, 2014).
Das rfolgsgeheimnis der Internetmedizin liegt darin, dass sie dem Patienten zu-
sätzliche Sicherheit gibt (Müschenich, 2016) kommentiert ein anerkannter Ge-
sundheitswissenschaftler auf dem 122. Internisten Kongress der DGIM in Mann-
heim. Dies muss nicht unbedingt bedeuten, dass wir in Zukunft eine totale nt-
wertung des xpertentums erleben werden. s besteht durchaus die M glichkeit,
dass solche Informations uellen die APK bereichern oder ergänzen k nnen.
in hypothetisches Beispiel für den insatz von mHealth Angeboten wäre
der m gliche insatz der als gescheitert bezeichneten Google Glass49 (Khunkham,
2015) für die Arzt-Patienten Interaktion und Konsultation. Die zunächst hochge-
priesene Technologie der Google Inc. wurde nach weitreichender Kritik vorerst
vom Markt genommen, wird edoch immer noch weiterentwickelt.50 Dennoch
wird ihr und anderen Wearables ein gro er potentieller Nutzen für den telemedi-
zinischen insatz nachgesagt. So k nnte sie dabei helfen, dem bereits angespro-
chenen Mangel an medizinischer Versorgung in ländlichen Gebieten entgegen zu
wirken. Patienten und Mediziner k nnten demnach durch das Tragen der Google
Glass ntfernungen überbrücken und die Sprechstunde beispielsweise simultan zu
einem dritten Spezialisten, wie zum Beispiel einem Kardiologen, übertragen und
so medizinische Daten, und Therapieansätze besprechen (Aungst & Lewis, 2015,
S. 1180). Dieses wäre nur eins von vielen m glichen Beispielen, wie solche
mHealth Technologien in den medizinischen Praxisalltag implementieren lie en,
um eine verbesserte und effizientere APK zu schaffen.
Dass sich mHealth und eHealth positiv auf die Patientenversorgung und das
Patientengespräch auswirken kann, findet auch der Initiator des Innovation Health
Partners Pro ektes51 und ergänzt: Vorausgesetzt immer, die innovativen Pro-
dukte und Methoden sind so benutzerfreundlich, dass auch wenig online-affine
Patienten einen Zugang dazu finden ( lmer, 2016) und bezieht sich hierbei
exemplarisch auf Angebote wie die Online Video-Sprechstunde.
In der Fachliteratur finden sich hierfür entsprechende Modelle, die beschrei-
ben, auf welche Weise eine APK ablaufen kann. Während das Paternalistische
Modell (Schweickhardt, Fritzsche & Geigges, 2009, S. 27) dem asymmetrischen
52
Alleine dem Thema Vertrauen widmen sich zahlreiche wissenschaftliche Werke wie zum Beispiel
Petermann (2013), Luhmann (2014) oder Schweer (1997). Aus Gründen der bersichtlichkeit wird das
Thema Vertrauen in dieser Arbeit nicht detailliert, sondern lediglich im Hinblick auf seine Bedeutung
für die Arzt-Patienten Kommunikation behandelt.
53
Privacy i.e.S. definiert Petronio (2012) als: the feeling one has the right to own private information
(S. 169). Private Informationen wiederum sind definiert als The content of potential disclosures in-
formation that can be owned Petronio (2012, S. 169).
3.3 Vertrauen in den Sozialwissenschaften 45
niger gut kennt als den besagten engeren Personenkreis und einem selbst, auto-
matisch weiter gefasst als dies normalerweise der Fall wäre. Der Grund liegt darin,
dass der Patient beim Arztbesuch das dringende Bedürfnis verspürt, Hilfe zu er-
halten, da er sich in einer Notsituation befindet. in Mindestma an Vertrauen ist
beim Arzt-Patienten-Verhältnis also unabdingbar. In der Wahrnehmung der Pati-
enten ist die Vertrauenswürdigkeit, die sich aus der vermuteten Kompetenz des
Arztes ableitet, das zentrale Merkmal, welches über die Kommunikation beim
rstkontakt entscheidend ist (Petermann, 1997, S. 155-156).
Der Begriff Vertrauen ist weitestgehend ein Alltagsbegriff, der inzwischen prak-
tisch alle Lebensbereiche durchdringt. Vertrauen erm glicht es Menschen und so-
zialen Gruppen miteinander in inklang zu leben, sich zu koordinieren und vor
allem zu kooperieren (Arrow J & Kenneth J., 1972 Righetti & Finkenauer, 2011).
In der Soziologie hat der Begriff eine lange Tradition. Im Rahmen der sozialen
Lerntheorie der Persönlichkeit (Rotter, 1967, 1982) kommt Vertrauen zwischen
zwei Personen dann vor, wenn sie sich in einer (sub ektiv) neuartigen und kognitiv
nicht gut zu strukturierenden Situation befinden, die Situation an sich also gewisse
Unsicherheiten birgt. Daraus ergibt sich nach Rotter (1967, S. 651) ein interper-
sonales Vertrauen als rwartung eines Individuums oder einer Gruppe, sich auf
das Wort, die Versprechen, bzw. die verbalen und geschriebenen Aussagen ande-
rer Individuen oder Gruppen zu verlassen. Hier kommen Lerneffekte zum Tragen,
die dazu führen, dass solche situativ bedingten rfahrungen als rinnerungen ge-
speichert werden und sich als rfahrungen im Gedächtnis verankern, wodurch zu-
künftige Situationen besser bewertet werden k nnen bis schlie lich eine gemein-
same vertrauensvolle Basis geschaffen ist.
Nach dem funktionalistischen Ansatz von Luhmann ergibt sich Vertrauen aus
der Unm glichkeit, den gemeinten Sinn anderer Akteure vollständig zu verste-
hen (Miebach, 2010, S. 254) und dient im speziellen der Reduktion von Komple-
xität. Diese äu ert sich darin, dass beide Akteure versuchen die Absichten des An-
deren bestm glich zu verstehen. Jedoch birgt ede von Vertrauen abhängige Situ-
ation auch ein Risiko. Da zu einer ben tigten ntscheidung meist verschiedenste
Informationen vorliegen, k nnen Akteure aus mehreren Verhaltensalternativen
wählen, die für den eweiligen anderen Akteur mit negativen Konse uenzen ver-
bunden sein k nnen (Koller, 1997, S. 13). Aufgrund solcher durch Informations-
defizite vorhandenen Unsicherheiten, müssen beide Akteure dem eweils anderen
bestimmte Absichten unterstellen, die e nach Annahme negativ (Feindschaft) o-
der positiv (Kooperationsbereitschaft) besetzt sein k nnen (Luhmann, 2014,
S. 19-23). Auch in der Psychologie erfährt der Begriff seit der Ver ffentlichung
46 3 Theoretische Hintergründe
von Werken wie die von Schweer (1997) und Petermann (2013), besonders im
Kontext interpersonaler Kommunikation eine neu aufkommende Bedeutung. ine
ständige Informationsaufnahme kann nur vernünftig gelingen, wenn angemessene
Formen der Informationsreduktion entwickelt werden, die die oben genannten Un-
sicherheiten durch Reduktionsmechanismen verringern (Luhmann, 2014, S. 105).
Hier finden sich Parallelen zur Theorie der kognitiven Dissonanz. Sie beschreibt
Situationen bei dem zwei Kognitionen, die nicht zusammenpassen einen Span-
nungszustand entstehen lassen, den das Individuum versucht gezielt zu reduzieren.
Dies geschieht, indem entweder eine der beiden Kognitionen verändert wird oder
beispielsweise weitere Kognitionen durch alternative Informationsangebote hin-
zugefügt werden. Als klassisches Beispiel beschreibt Festinger (2001) die zwei
Kognitionen Ich rauche und Rauchen verursacht Lungenkrebs . ine Verände-
rung der ersten Kognition bestünde in der Verhaltensänderung Ich h re auf zu
rauchen oder aber Studien zur Lungenkrebsforschung sind methodisch unsauber,
ich rauche weiter .
Das Hinzufügen weiterer Kognitionen k nnte sich demnach in kompatiblen
Kognitionen wie alle meine Freunde rauchen oder Rauchen entspannt mich äu-
ern. Aus dissonanztheoretischer Perspektive kommt dem Konstrukt Vertrauen
hier eine besondere Rolle zu. s entsteht, wenn ein Individuum Sicherheit ben -
tigt, dieses aber durch das Vorhandensein von Unsicherheiten, zum Beispiel In-
formationsasymmetrien, nicht gegeben ist. Diese werden edoch durch affektive
Prozesse ( motionen) relativiert, die die dissonanten Kognitionen beseitigen, so-
dass die Risiken nicht als solche wahrgenommen werden (Schweer, 1997, S. 20-
21). Neben dem pädagogischen und unternehmerischen Bereich wird Vertrauen
als wichtige Beziehungskomponente im therapeutischen Kontext gesehen (Koller,
1997, S. 14) und ist somit wichtiger Bestandteil einer erfolgreichen Arzt-Patient-
Beziehung.
All die oben besprochen theoretischen Ansätze vereinen zwei entscheidende Kon-
strukte, die den Umgang mit pers nlichen gesundheitsbezogenen Themen ma -
geblich beeinflussen. s geht um Vertrauen und Informationen und natürlich um
die Art und Weise, wie beide miteinander in inklang gebracht werden k nnen.
Die vorangegangenen rläuterungen machen deutlich, dass sich Vertrauen zum
einen aus rfahrungen ( rlerntem), also durch einen kognitiven Prozess, und zum
3.5 in sensibilisiertes Konzept zur Arzt-Patienten Kommunikation 47
eine induktive Kategorienbildung (Kapitel 5.4.2) zu erm glichen. Die Idee für ein
solches Vorgehen stammt ursprünglich aus der Methodenlehre zur Grounded The-
ory, bei dem sich Glaser und Strauss (1967) erstmals gegen das Primat des hypo-
thetiko-deduktiven Ansatzes (Kuckartz, Dresing & Grunenberg, 2007, S. 33)
stellen und wonach Theorien durch Induktion aus empirischem Datenmaterial
emergieren k nnen (Kuckartz et al., 2007, S. 34). Obwohl diese Arbeit keinen
Anspruch darauf erhebt, aus dem analysierten Material eine allgemeingültige wis-
senschaftliche Theorie zu erheben ein Vorhaben, das den Rahmen dieser Studie
deutlich sprengen würde ist es in der ualitativen Forschung durchaus üblich
(Gläser und Laudel 2010, S. 77 Kuckartz 2014, S. 51) es zur Bearbeitung von
solchen Fragestellungen zu nutzen.
Aus den gleichen Gründen wurden auch keine Vorhersagen formuliert, die
sich üblicherweise aus etablierten Theorien in Form von Hypothesen ableiten las-
sen. Das analytische Vorwissen bezieht sich ausschlie lich auf den Stand der For-
schung und die vorangegangen theoretischen Ansätze aus Psychologie und Sozi-
ologie. Man spricht in diesem Zusammenhang von einem sensibilisierten Konzept
(Blumer, 1954). Dies sind Konzepte, die den Forscher sensibel machen für das,
wonach er suchen muss (Legewie, 2004, S. 7), beziehungsweise im Falle ualita-
tiven xpertenbefragung: wonach er fragen muss. Im Gegensatz zu Hypothesen in
der uantitativen Forschung sind sensibilisierende Konzepte durch ihre Offenheit
charakterisiert und helfen dabei die Untersuchung zu strukturieren und den Blick
darauf lenken, was wichtig ist (Blumer, 1954 Flick, 2016, S. 133-134). Im fol-
genden Kapitel folgt nun die finale Präzision der Zielsetzung in Form der For-
schungsfragen, bevor in Kapitel 5 das verwendete methodische Vorgehen näher
erläutert wird.
Forschungslücke und Forschungsfragen
Mit Hilfe des bisher gewonnenen Vorwissens soll nun das Forschungsziel und die
Fragestellungen der Studie präzisiert werden. Da es sich um eine explorative und
ualitative Studie handelt erfolgt dieser Schritt erst relativ spät, da die rkennt-
nisse der vorangegangenen Kapitel unentbehrlich für die Durchführung der fol-
genden xpertenbefragung waren.
Nur wenn ich schon gewisse Vorkenntnisse über einen Gegenstand habe, bin ich in der Lage,
intelligente Fragen zu stellen und auf Dinge zu achten, die für das eweilige Forschungsprob-
lem bedeutsam sind (Legewie, 2004, S. 7).
menschlichen Arzt zu erhalten. Die grosse Masse der Menschen wird selber dafür
besorgt sein müssen, wie sie ihre Gesundheit managt. Dazu wird es immer mehr
und ausgeklügeltere Apps geben, die uns dabei helfen werden (L pfe, 2016).
rleben wir also durch den technologischen Fortschritt eine ntmenschli-
chung (Bornstein & Sigrist, 2016) der Medizin? Welche Risiken oder auch Chan-
cen ergeben sich für die klassischen Medizinberufe und welche kommunikativen
Strategien k nnen verhindern, dass rzte und Kliniken diesem Wettbewerb nicht
standhalten oder ihn sogar zu ihren Gunsten nutzen k nnen?
Die bis dato vorhandene wissenschaftliche Literatur hat sich diesen einzelnen
Themenkomplexen bereits mehr oder weniger intensiv gewidmet. Allerdings lässt
sich feststellen, dass das Thema Digitalisierung in der Medizin in den Sozialwis-
senschaften bisher unzureichend behandelt worden ist. Lupton (2015) schreibt hi-
erzu: many social scientists are only beginning to recognise the ma or implica-
tions of Web 2.0 for health and medicine. ... researchers in the social sciences in
general have not devoted significant attention thus far to analysing digital health
from a sociocultural and critical perspective (S. 5).
ine genaue Betrachtung, wie sich die APK unter Bezugnahme von digitalen
Gesundheitsangeboten als zusätzliche Informations uellen für selbst erhobene
Gesundheitsinformationen verändern wird, lässt sich in der bisherigen Forschung
bisher nicht finden. Zwar beschäftigen sich Brown et al. (2015) ausführlich mit
Modellen, Strategien und der Bewertung einer erfolgreichen APK, aber ein m g-
licher direkter Zusammenhang zwischen beiden Phänomenen wurde nicht unter-
sucht. Dies ist insofern verwunderlich, als dass solche Technologien einen ent-
scheidenden influss darauf haben, wie in Zukunft mit dem Thema Gesundheit
umgegangen wird. Bereits vor fünf Jahren stellten Pols und Willems (2011) fest,
dass Technologien beeinflussen, wie Menschen denken und agieren.
Zwei Jahre später überträgt Lupton (2013) diesen Gedanken auf mHealth
Produkte und schreibt hierzu: Given that mobile digital technologies are so novel,
research directed at how people actually use them for health purposes how they
domesticate them and incorporate them into their everyday lives has yet to be
published (S. 400). Aus dieser Forschungslücke und einem gesetzten Fokus auf
das kommunikative Verhältnis zwischen Arzt und Patient, ergibt sich die leitende
Forschungsfrage:
4 Forschungslücke und Forschungsfragen 51
FF: Wie verändert die Nutzung von eHealth Angeboten die Arzt Patienten
Kommunikation?
55
Siehe Kapitel 5.3.2, ntwicklung des Leitfadens
.2 E ertenak uise
56
Bei der Ausnahme handelt es sich um einen Kardiologen, der in einem spezialisierten klinischen
Herzzentrum arbeitet und aufgrund dessen ebenfalls, einen regelmä igen Kontakt zu seinen Patienten
pflegt.
5.3 Datenerhebungsmethode 55
haben oder hatten. Aus diesem Grund wurden zum Beispiel Unfallchirurgen, de-
ren Patientenkontakt naturgemä zeitlich geringer ausfällt als bei Internisten oder
Therapeuten, nicht in der Fallauswahl berücksichtigt.
Bei der xpertenak uise bestand der rstkontakt zunächst aus einer formalen
Anfrage via mail. Hierbei wurden Homepages, Adresskontakte in Artikeln, Ver-
teilerlisten57, spezielle soziale Netzwerke wie Xing, NetDoctor, DocCheck sowie
pers nliche Kontakte als Ausgangspunkt genutzt, um mit den entsprechenden rz-
ten in Kontakt zu treten. Um den potentiellen Interviewpartnern einen m glichst
guten berblick über das Thema zu bieten, zu dem sie befragt werden sollten,
wurde dem Anschreiben ein Informationsblatt beigefügt, welches detaillierte In-
formationen zum Thema, Ablauf und Forschungsinteresse beinhaltete. Dies sollte
zum einen die Seriosität der Anfrage unterstreichen, sowie die Kooperationsbe-
reitschaft durch transparente Angaben gewährleisten (Gläser und Laudel 2010, S.
159 ff), um ein m glichst gro es Interesse an der Teilnahme zu wecken. Als zu-
sätzliche Teilnahmemotivation wurde den potentiellen Interviewpartnern kommu-
niziert, mit ihrer Zustimmung einen f rdernden Beitrag zur Wissenschaft zu leis-
ten. Diese ntscheidung begründet sich mit dem hohen Ansehen, das wissen-
schaftliches Wissen nach wie vor genie t (Meyen, 2011, S. 75).
.3 atenerhebungsmethode
5.3.1 Das Experteninterview
xperteninterviews zielen auf Träger von exklusivem Wissen ab (Bogner, 2009
Gläser & Laudel, 2010 Kaiser, 2014). Hierzu ist es gängige Praxis, das Gespräch
mit einem zuvor entwickelten Leitfaden zu strukturieren, um die bersicht zu be-
wahren und eine Vergleichbarkeit der rgebnisse zu erleichtern. Da Umfang und
genauer Inhalt des Wissens der Interviewpartner zu Beginn der Befragung schwer
zu bewerten sind, ist es ratsam, sich den wichtigen Aspekten strukturiert, also
Schritt für Schritt zu nähern. Vollstandardisierte Befragungen kommen in der ua-
litativen Forschung edoch nicht vor. Dennoch ist es ebenso wenig ratsam, gänz-
lich auf eine Struktur zu verzichten. Mit Hilfe eines Interview-Leitfadens kann
sichergestellt werden, dass alle Aspekte, die zur Beantwortung der Forschungs-
frage dienlich sein k nnten, im Gespräch rwähnung finden. Genau aus diesen
berlegungen heraus, wurde das teilstandardisierte Vorgehen gewählt. Hierbei ist
zwar der Frageninhalt und dessen grobe Reihenfolge vorgegeben gleichzeitig sind
57
ine Auswahl an Pressekontakten zu medizinische xperten findet man unter: http://217.111.3.
106/G3_Presse xperten/Suche_S/HtmMenu.plx
56 5 Methodisches Vorgehen
edoch die Antwortm glichkeiten und dessen Umfang dem Interviewpartner sel-
ber überlassen (Gläser & Laudel, 2010, 111ff), was einen offenen und natürlichen
Gesprächsverlauf gewährleisten soll.
58
Die Nutzung von Online Foren und ähnlichen Diensten war ausnahmslos edem der befragten rzte
bekannt, wodurch auch eder der Befragten über rfahrungen mit solchen Patienten berichten konnte.
Wäre dies nicht der Fall gewesen, wären die erhobenen Daten auch nicht in die Auswertung aufge-
nommen worden.
5.3 Datenerhebungsmethode 57
Den gr ten Anteil des Leitfadens machen die rzählfragen aus, die den Be-
fragten dazu anregen sollen, offen über Fragestellung zu berichten, um m glichst
ungefilterte Information zu erhalten. Für den Fall, dass der Interviewpartner dabei
abzuschweifen drohte oder die Beantwortung in eine falsche Richtung lief, dienten
vorbereitete Detailfragen zur Korrektur des Gesprächsverlaufs (Gläser & Laudel,
2010, S. 144-145).
Im Laufe der Leitfadenentwicklung wurde zudem ein Pretest mit einem be-
handelnden Oberarzt einer städtischen Klinik durchgeführt. Im Zuge dessen
konnte das so gewonnene Feedback in die finale Version des Leitfadens eingear-
beitet werden. ine wesentliche nderung bestand darin, die vormals 9 Fragen auf
insgesamt 7 Fragen ohne Detailfragen zusammenzufassen und zu präzisieren,
um den zeitlichen Rahmen des Interviews auf ein Ma zu verkürzen, das besser
auf die ohnehin knappen Terminpläne der meisten rzte zugeschnitten war. Auch
Brosius, Haas und Koschel (2016, S. 134) empfehlen, die rhebungssituation
m glichst komfortabel zu gestalten, weswegen eine Kürzung des Leitfadens an-
gebracht war, da sich die Antwort ualität hierdurch vermutlich deutlich verbessert
hat. Hierin ist auch die relativ kurze Durchschnittslänge der Interviews von
13:34 Minuten begründet. Obwohl, wie bereits erwähnt, die Fragestellung der Ar-
beit in der bisherigen Forschung nur wenig behandelt wurde, dienten die in Kapitel
zwei und drei gewonnenen rkenntnisse als Grundlage zur Konzeption des Leit-
fadens. Dieses Prinzip des theoriegeleiteten Vorgehens wird dadurch realisiert,
dass das aus der Untersuchungsfrage und den theoretischen Vorüberlegungen ab-
geleitete Informationsbedürfnis in Themen und Fragen des Leitfadens übersetzt
wird (Gläser & Laudel, 2010, S. 115). Mit Hilfe dieser hier beschriebenen theo-
retischen Vorgehensweise wurde die finale Version des Interviewleitfadens erar-
beitet.
59
https://play.google.com/store/apps/details?id=com.nll.acr&hl=de
58 5 Methodisches Vorgehen
. Qualitative Auswertung
5.4.1 Beschreibung des Vorgehens
Wie bereits in Kapitel 3 erwähnt, wurde bei dieser Arbeit, anders als bei uantita-
tiven Verfahren, darauf verzichtet, bei den theoretischen Vorüberlegungen Vari-
ablen und Indikatoren zu definieren. Dies ist bei ualitativen Arbeiten durchaus
m glich und üblich (Gläser und Laudel 2010, S. 77 Kuckartz 2014, S. 51). In
sogenannten Iterationsschritten, die dazu dienen, die strikte Trennung der For-
schungsphasen zu überwinden (Kuckartz 2014, S. 50) k nnen so, unter Berück-
sichtigung des theoretischen Hintergrunds und des Forschungsstandes, zentrale
Kategorien induktiv am Text gebildet werden. Diese Arbeitsweise hat den Vorteil,
5.4 ualitative Auswertung 59
dass auf die Ungewissheit über die zu erhebenden Informationen und deren m g-
liche Komplexität flexibel reagiert werden kann. Auf eine deduktive Kategorien-
bildung wird also aufgrund des Fehlens passender wissenschaftlicher Theorien
verzichtet und stattdessen direkt an den empirischen Daten gearbeitet (Kuckartz
2014, S. 59).
Die mit Hilfe dieser Methode entwickelten Kategorien sowie die kodierten
Textstellen dienen anschlie end als Grundlage für die Auswertung und rgebnis-
darstellung. Dieses Vorgehen folgt den Regeln der inhaltlich strukturierenden ua-
litativen Inhaltsanalyse nach Kuckartz (2014, S. 77 ff). Mit einer relativ kleinen
Fallanzahl von 10 xperten bietet dieses Verfahren den Vorteil, das Interviewma-
terial sehr detailliert vergleichen zu k nnen.
60
Kuckartz, Dresing und Grunenberg (2007) bezieht sich hierbei auf das methodische Vorgehen der
Arbeit von Hopf und Schmidt (1993).
60 5 Methodisches Vorgehen
Neben den vier Hauptkategorien: Erfahrungen der Ärzte mit eHealth, Erwartun-
gen der Patienten an eHealth aus Ärztesicht, Wahrgenommene Veränderungen in
der APK und Ausblick in die Zukunft der APK, entstanden während des Codier-
vorgangs noch 14 Subkategorien, die allerdings anschlie end nicht einzeln, son-
5.4 ualitative Auswertung 63
dern unter der zugeh rigen Hauptkategorie behandelt wurden. Anschlie end wur-
den für eden Interviewpartner die codierten Textpassagen ausgegeben und in An-
lehnung an Kuckartz (2014, S. 89-92) eine sogenannte fallbezogene thematische
Zusammenfassung erstellt, die alle relevanten Informationen der entsprechenden
Codings enthält. hnlich wie bei der Technik des Zusammenfassens nach May-
ring (2010, S. 67) entspricht das rgebnis einer paraphrasierten Darstellung der
Aussagen (Codings) für ede Kategorie. So entstanden bei 10 Interviewteilneh-
mern und 4 Hauptkategorien 40 Zusammenfassungen, die anschlie end in eine
Profil- oder Themenmatrix eingefügt wurden.
Diese Matrix wird als Fallübersicht (Hopf & Schmidt, 1993, S. 15 Kuckartz,
2014, S. 96 Schmidt, 2010, S. 473) bezeichnet und zeigt einen kreuztabellari-
schen berblick über die Kategorien in den Spalten sowie alle Interviewpartner in
den Zeilen. Die Zellen der Matrix beinhalten die thematischen Zusammenfassun-
gen, was eine übersichtliche Gegenüberstellung der erhobenen Informationen er-
m glicht und die Grundlage für die weitere Interpretation und Analyse der erho-
benen Daten schafft. Anschlie end erfolgte die Neuordnung, Darstellung und Be-
wertung der rgebnisse mittels einer vergleichenden Analyse der Gemeinsamkei-
ten und Unterschiede der erhobenen Informationen. Um an entsprechenden Stellen
auf direkte Zitate der befragten xperten zurückgreifen zu k nnen, wurden zusätz-
lich zum Textretrieval-Werkzeug von MA DA, Verknüpfungen zwischen den
Zellen der Fallübersicht und den entsprechenden Codings hergestellt, um eine
m glichst genaue Nachvollziehbarkeit der rgebnisse zu gewährleisten.
Ergebnisse
Die anschlie ende Darstellung und Gliederung der rgebnisse erfolgt in Anleh-
nung an Mayring (2010, S. 98) und Kuckartz (2014, 147ff) anhand der vier induk-
tiv gebildeten Hauptkategorien: Erfahrungen der Ärzte mit eHealth, Erwartungen
der Patienten an eHealth aus Ärztesicht, Wahrgenommene Veränderungen in der
APK und Ausblick in die Zukunft der APK. Direkte Zitate sind dementsprechend
gekennzeichnet61 und lassen sich unter Angabe der Positionsnummer in den bei-
gefügten Transkripten nachprüfen. Aus Gründen der bersichtlichkeit befindet
sich am nde edes Teilabschnitts eine kurze Zusammenfassung der rgebnisse.
61
Wie bei der restlichen Literatur auch, befinden sich uellenangaben zu direkten und indirekten Zi-
taten hinter den entsprechenden Aussagen. Der einzige Unterschied besteht in der Angabe P . Anstatt
der Angabe der Seitenzahl im eweiligen Transkript, sind Interviewzitate in dieser Arbeit mit einer
Positionsnummer (P) versehen. Diese findet sich sowohl in den Transkripten in der ersten Spalte, sowie
in den thematischen Zusammenfassungen in der Kopfzeile der einzelnen Codings und erlaubt dadurch
ein schnelleres Auffinden zur besseren berprüfbarkeit der Angaben.
10
47
34
62
iner der verbliebenden 6 rzte gab allerdings an, fters mit Daten von Blutdruckmessgeräten kon-
frontiert zu werden. Auch wenn diese Geräte nicht unter die Kategorie Wearables fallen, ist eine Selbst-
vermessungstendenz im Stile der uantified-Self-Bewegung zumindest erkennbar.
6.1 rfahrungen der rzte mit eHealth 67
Alleine die Zeitersparnis wäre wahrscheinlich immens und der Arzt hätte mehr Zeit
um sich um den Patienten zu kümmern, wenn diverse Basisdaten bereits vorliegen. Ich rede von
Dingen, die es a schon längst gibt wie Blutzuckermesswerte, Blutdruck und Herzfre-
uenz und so weiter. Das musste früher ( ) alles noch in der Praxis erhoben werden
und das hat natürlich eine Menge Zeit gekostet (Hey, P. 29).
Dies kann soweit führen, dass rzte ihren Patienten sogar empfehlen, alternative
Informationsangebote zu nutzen, um besser mit ihrer rkrankung zurecht zu kom-
men. Besonders zur Kontrolle der sogenannten Volkskrankheit Diabetes, gibt es
bereits zahlreiche Angebote, die es dem Nutzer erm glichen seine Krankheit wei-
testgehend selber zu kontrollieren (Zitt., P. 30-35).
Trotz überwiegend positivem Zuspruch, machen die Befragten deutlich, dass
die Nutzung von eHealth Angeboten auch Risiken birgt. inig ist man sich in der
Skepsis gegenüber unklaren Informations uellen, deren Ursprung nicht durch eine
neutrale Instanz überprüft ist. Die Seriosität der Urheber lässt sich in der Fülle an
Informationen, die heutzutage weitestgehend frei zugänglich sind, für den Laien
nur sehr schwer nachprüfen. Wenn die Information aus der uelle Google
kommt, dann kann man Glück haben oder Pech haben, also sprich man kann Glück
haben, dass der Patient besser informiert ist oder dass er fehl informiert ist (Müs,
P. 5). Da der Patient nicht in der Lage ist, die Informationen richtig einzuschätzen,
sieht Hey (P.17) den behandelnden Arzt in der Verantwortung:
der Arzt hat das sagen, also es ist seine Aufgabe aus all den Informationen das wichtige heraus-
zufiltern und letztendlich die Diagnose zu stellen .
Neben der problematischen Einschätzung der Seriosität und ualität der Informa-
tions uellen, wird die sogenannte Cyberchondrie63 als weiteres gro es Risiko von
eHealth-Nutzung genannt. Patienten neigen demnach zu berkontrolle wenn es
63
Siehe Kapitel 2.2.3
68 6 rgebnisse
um die eigene Gesundheit geht und steigern sich nach intensiver Informationssu-
che in einen Zustand hinein, der bis hin zu ngsten führen kann (Mel, P. 3-5
Schl., P. 3-5 Zitt., P. 13). Dabei hätten viele dieser Beschwerden oftmals harm-
lose Gründe. Wenn du Hufgetrappel h rst, dann denk an ein Pferd und nicht an
ein Zebra kommentiert Wth (P. 16).
Diese Verunsicherung führt oftmals dazu, dass vermehrt Aufklärungsarbeit
von Seiten des Arztes n tig ist, welche den positiven ffekt des informierten Pa-
tienten wieder aufl st. In diesem Punkt ist die allgemeine Meinung der rzte
h chst ambivalent. Zum einen loben sie die vorhandenen M glichkeiten als Pati-
ent an medizinische Informationen zu kommen, zum anderen herrscht gro e Un-
sicherheit und Skepsis hinsichtlich der ualität der Angebote. ine m gliche L -
sung bestünde in einer Art Zertifizierung oder Vereinheitlichung, also der Schaf-
fung einer oder weniger ualitativ hochwertiger uellen für medizinische Infor-
mationen, auf die der Arzt im Arzt-Patienten Gespräch hinweisen k nnte (All,
P. 22 Müs, P. 15 Zitt., P. 31). Bei all den Unklarheiten stellt sich zwangsläufig
die Frage, warum Patienten eHealth Angebote nutzen und wie sich der Konsum
auf die APK auswirkt. Aus der Sicht der rzte sind folgende rwartungen und
Motive wichtig, die Patienten dazu bringen, besagte Dienste in Anspruch zu neh-
men.
Auf einen Blick:
Erfahrungen der Ärzte mit eHealth
Das Interesse an eHealth seitens der xperten nimmt immer weiter zu. Während
Self-Tracking Daten von Wearables nur vereinzelt in die APK eingebracht wer-
den, nutzen fast alle Patienten das WWW mit seinen redaktionellen Inhalten zur
zusätzlichen Informationsbeschaffung.
Positiv Negativ
- h heres Wissen der Patien- - unseri se Angebote führen
ten (auf Laienniveau) zu Fehlinformationen und
- Zeitersparnis bei der Diag- verhalten und einem Mehr-
nose aufwand für den Arzt, dieses
- aktive und interessierte Pati- zu korrigieren
enten erh hen die Ge- - mangelnde Zertifizierung
sprächs ualität und Bewertung der Angebote
- nützliche Vordiagnosedaten (dadurch schwere berprüf-
zur Weiterverwendung barkeit der ualität durch Pa-
tienten)
- Gefahr der Cyberchondrie
und berkontrolle
6.2 rwartungen der Patienten an eHealth aus rztesicht 69
eweiligen Arzt spielt hierbei eine entscheidende Rolle (All, P. 8 Hey, P. 23 Zitt.,
P. 13).
Wie bereits in Kapitel 6.1 erwähnt, hat die Nutzung von digitalen Informationsan-
geboten in den letzten Jahren und Jahrzehnten rasant zugenommen. Laut Wth.
(P. 22) liegt das an einem gesteigerten Gesundheitsbewusstsein. Das Auffäl-
ligste, was sich verändert hat, ( ), dass die Leute sich, glaube ich, mehr für ihre
Gesundheit interessieren . Dadurch sind Patienten deutlich besser über medizini-
sche und gesundheitsbezogene Themen informiert als früher. Dies glauben auch
All (P. 4), Hey (P. 17, 24), Schl. (P. 13) und Zitt. (P. 19). Allerdings scheint laut
Aussagen der xperten dieser vermeintliche Informationsvorsprung nicht zwin-
gend ein Garant dafür zu sein, eine effizientere APK zu erhalten und damit den
Behandlungserfolg zu verbessern.
Ma geblich entscheidend hierfür sei nämlich die ualität und Seriosität der
Informations uelle (siehe Kapitel 6.1). In erster Linie führt diese ntwicklung e-
doch dazu, dass sich diese mediengebildeten Patienten (Hey, P. 17) im Laufe
der Zeit emanzipiert haben. Zumindest scheint dies ihre Selbstwahrnehmung zu
reflektieren. Kra (P. 17) sieht diese Bezeichnung kritisch und spricht daher von
pseudo emanzipierte n Patient en . All (P. 4) stützt diese Aussage und meint:
Ich glaube der Unterschied zu früher, als es das Internet noch nicht gab oder die
Informationsbeschaffung noch nicht so einfach war über die rkrankung, da war es
dann eher so, dass die Patienten sich ( ) automatisch gefügt haben, dem Therapie-
plan. Und heutzutage ist es a so, die k nnen sich wirklich einfach informieren, aber
trotzdem bleibt es halt noch Laienwissen .
6.3 Wahrgenommene Veränderungen in der APK 71
Die 30- ährige intelligente Frau, die in solchen Foren verkehrt, die hat mehr Ahnung
über MS als ich natürlich, weil sie ( ) eden Tag im Internet ist, eden Tag googelt,
eden Tag sich informiert, sich eden Tag im Forum austauscht, ob da neue Medika-
mente sind und die kommen dann teilweise zu mir und sagen: Hier, bei MS gibt es
neue Interferon Präparate oder neue Biologika. Was halten sie davon? Und die kenne
ich dann überhaupt nicht (Schl., P. 13).
Neben diesen allgemeinen Veränderungen, wird aber vor allem der positive in-
fluss der Digitalisierung auf das Arzt-Patienten Gespräch hervorgehoben. Hier se-
hen die rzte durchaus Potential: Ich kann a nicht sagen, nein, etzt haben sie
irgendeine Information von Google, ich suche mir etzt selber meine Informatio-
nen heraus. Sondern ich nehme erst mal das, was der Patient mir bietet und gucke
dann erst mal, stimmt das mit dem, was ich im Studium gelernt habe überein
(Zitt., P. 29). In dem Moment wo der Arzt diese Informationen in die Diagnose
aufnimmt, verfügen beide Kommunikationsteilnehmer über einen teilweise über-
einstimmenden Wissensbereich über den sie sich nahezu auf Augenh he unterhal-
ten k nnen. Diese wechselseitige Anpassung scheint auch bei Thi (P. 15) gut an-
zukommen. In meinem Umfeld - ist es etzt eher so, dass die Patienten munter
werden, wo bisher sehr unmündige Patienten zu Gange waren, also die mit sich
geschehen lie en und nicht wussten, Warum hat er denn das gemacht? . Diese
wahrgenommene Verbesserung der APK führt bereits sogar dazu, dass Patienten
ermutigt werden, alternative Informationsangebote zu nutzen (Schl., P. 25), aller-
dings nur in kleinen Dosen. Ihm ist ebenfalls bewusst, dass solche mpfehlungen
durchaus zu schwierigen Patienten führen und Beratungsgespräche schon einmal
72 6 rgebnisse
70 statt 7 Minuten dauern k nnen, aber dieses Risiko scheint sich im Hinblick auf
das rgebnis auszuzahlen. Au erdem hat es nach eigener Aussage diese nervi-
gen (Schl., P. 25) Patienten auch schon früher gegeben.
Dies bestätigt auch Bau. Sie findet, dass sich im Gro en und Ganzen die APK
nicht verändert hat. Zu den alten etablierten, seien lediglich neue Informations-
uellen hinzugekommen, die in die Diagnose mit einflie en. Zitt. (P. 5) bestätigt
dieses und führt an: Fremdinformationen kommen zu uns im Prinzip seitdem
Blutdruckmessgeräte daheim verwendet werden ( ) seit 15, 20 Jahren wahr-
scheinlich schon . Ganz anders sieht das Thi (P. 21), die vor allem die Art und
Weise hervorhebt, wie Patienten heute mit ihren rzten kommunizieren.
Die Kommunikation zwischen Arzt und Patient? Also sie ist etzt für mich pers nlich
interessanter geworden, weil ich vorher Referierende war - also Sprechende, erklä-
rende Lehrerin, Belehrende, rläuternde - und etzt kann ich mit den Patienten - ich
will nicht sagen, in ein Fachgespräch treten. Das ist zu hoch gegriffen, aber ich kann
den Patienten etzt mehr als Partner nehmen, weil er sich interessiert und Gegenfragen
stellt. Also mit anderen Worten: Früher habe ich Frontalunterricht betrieben, und etzt
haben wir ( ) Stuhlkreis .
beschreibt, wie die befragten xperten die Rolle von eHealth Angeboten im Arzt-
Patienten Gespräch bewerten.
Aus den bisherigen rgebnissen lässt sich bereits eine Art Bereitschaft der rzte
zur inbeziehung von Fremdinformationen erkennen: Wenn man in der Lage ist
genaue und gute digitale Gesundheitsprodukte zu entwickeln, dann sehe ich kei-
nen Grund warum sich die Medizin bzw. die Diagnostik das nicht zu Nutzen ma-
chen sollte. Das würde dem Arzt deutlich entlasten und auch das Gesundheitssys-
tem (Hey, P. 29).
Zertifizierungen von eHealth und Vereinheitlichung von Patientendaten
Voraussetzung hierfür wären verlässliche und vertrauenswürdige Informations-
uellen, die eine wertvolle Bereicherung des Gesundheitswesens von morgen dar-
stellen k nnten. Doch gerade hier scheint sich bei den rzten noch kein verlässli-
cher Anbieter bewiesen zu haben. Von daher bin ich da sehr zurückhaltend ge-
genüber diesen Apps ( ) ich habe Sorgen mit dem Anonymisieren (Thi, P. 9).
Die Sorge über mangelnde Sicherheitsstandards oder ualitätsprobleme teilen die
meisten Befragten und wünschen sich einheitliche Informations uellen, die sich
durch eine verlässliche Zertifizierung von der Masse absetzen. So k nnte sicher-
gestellt werden, dass eHealth Angebote in Zukunft ihrem Potential auch gerecht
werden k nnen (All, P. 22 Hey, P. 19 Müs, P. 15). Das gr te dieser Potentiale
verlässlicher Informations uellen liegt laut Schl. (P. 35) in den M glichkeiten,
Vorbefunde zu erstellen, die im Arzt-Patienten Gespräch weiterentwickelt werden
k nnen.
Wenn Patienten kommen mit Herzschmerzen und ich habe kein Vor- KG, ( ) und
im KG sind Veränderungen, ist es für mich wichtig, ob die Veränderungen auch
schon vor zwei Jahren da waren. Und wenn dann auf der Chipkarte das alte KG
74 6 rgebnisse
gespeichert ist, wäre das mehr als hilfreich. Oder auch, gerade beim Notdienst, wenn
da irgendwelche Medikamentenplaner drauf sind. Dann fangen die Patienten an: a,
morgens nehme ich die kleine blaue und mittags die halbe wei e . Das hilft mir natür-
lich nicht viel. Wenn da der komplette Medikamentenplan draufstehen würde und die
letzte Langzeit-Blutdruckmessung oder so was, das wäre schon cool (Schl., P. 35).
Gerade den Krankenkassen, denen drei der rzte eher kritisch gegenüberstehen
wenn es um das Sammeln von Gesundheitsdaten geht, attestiert Müs (P. 15) aber
eine Vorreiterrolle in Sachen Digitalisierung.
Also die Krankenkassen sind als allererste aufgewacht und akzeptieren und f rdern
( ) die digitale Gesundheitsversorgung. Die rzteschaft hat auch an ihrem letzt äh-
rigen rztetag gesagt, dass ( ) Digital Health besser sein kann als konventionelle
Verfahren. Meine Beobachtung ist, dass die, ich sage mal, digitale Medizin zuneh-
mend normaler Bestandteil der Medizin wird, so ganz ganz langsam. Aber es wird
ganz normal sein, dass Diabetiker ihre Werte ( ) tracken oder Schwangere sich über
eine App begleiten lassen oder Depressive, Depressions-Tagebuch online führen. O-
der oder. Das geht ganz eindeutig hin zur Normalität (Müs, P. 15).
Je gebildeter und e besser der soziale Stand ist, den die Patienten haben, desto mehr
beschäftigen sie sich auch mit ihrer eigenen rkrankung und haben mitunter auch gute
uellen und k nnen mit allem dann sozusagen sinnvoll kommunizieren. Aber dazwi-
schen ( ) gibt es viele verschiedene Level des Aufgeklärt Seins der Patienten (Thi,
P. 20).
irgendeiner Vorinformation kommen, a, aber (...) müssen sich dann, oder sollten
sich vielleicht dann doch besser vom Arzt lenken lassen (Müs, P. 21). Der fol-
gende Abschnitt knüpft an diesen Gedanken an und beleuchtet die Meinung der
befragten rzte über die Zukunft ihres Berufsstandes.
Natürlich ist es immer gut wenn man hinterfragt und auch mal nachhakt wieso denn
etzt gerade Therapie A verordnet wird und nicht Therapie B. (...) Da sind solche di-
gitalen Gesundheitsangebote schon nützlich, weil sie Alternativen bieten. Die müssen
nicht immer gut und richtig sein, aber solange das Vertrauen zwischen Arzt und Pati-
ent ein gutes ist, wird man so wahrscheinlich meistens auf einen grünen Zweig kom-
men (Wth, P. 20).
Die Frage, ob der Arztberuf durch die heutige Masse an Fremdinformationen nicht
zu einer Art Gesundheitsberater verkomme, beantwortet Hey (2016, S. 28-29) wie
76 6 rgebnisse
folgt: Ich würde mir sogar wünschen, dass der Arztberuf sich in Richtung Ge-
sundheitsberater entwickelt . Auch Müs (P. 16-17) findet:
Die Aufgabe eines Arztes ist es, Gesundheitsberater zu sein. Also ich meine, das sind
wir doch. Zu uns kommt man, wenn man einen Rat m chte, also Rat und Tat. Also
insofern ist das sozusagen kein Verkommen, sondern, sagen wir mal, eine Optimie-
rung der Aufgabe des Arztes in dem er etzt nicht mehr, banalste Beratung macht ( ).
Wenn die banalen Beratungen im Internet verortet sind, dann kann er sich sozusagen
nur um den Rat für wirklich bedürftige schwerer erkrankte Patienten kümmern .
Auch Bau (P. 17) sieht keine Gefahr darin, dass der Arztberuf im Zuge der Digi-
talisierung der Medizin an Bedeutung verliert. Sie vergleicht die ntwicklung mit
dem Bau eines Hauses, bei dem trotz angelesenem Laienwissen, z.B. zum Thema
lektrik, sicherheitshalber ein lektriker beauftragt wird. Vertrauen spielt hier für
sie eine entscheidende Rolle, welches digitale Angebote nicht erzeugen k nnen.
benso blickt Zitt. eher zuversichtlich in die Zukunft. r argumentiert, dass es
immer schon Veränderungen gegeben hat und dass der moderne Arzt mit diesen
ntwicklungen mitgehen muss, um die Patienten dort abzuholen wo sie stehen.
Wenn man mal nterprise guckt (...) Die haben halt Geräte bedient. Aber trotz-
dem waren das die rzte. Das wird es auch in Zukunft geben (Zitt., P. 23-25).
Die enorme Wichtigkeit des pers nlichen Kontaktes zwischen Arzt und Patient
betont auch Schl. (P. 27) in seiner Antwort.
Der Patient sitzt mir gegenüber und ich sitze ihm gegenüber. Das hat a etwas mit
Psychologie zu tun. Das hat was mit ngsten zu tun. Das hat was mit Mut machen zu
tun. s hat was mit Information zu tun. Also, es ist sehr vielschichtig. K nnen uns da
die digitalen Medien auch helfen? in digitales Medium kennt keine motionen .
twas skeptischer sieht Mel (P. 21) die gleichwertige Koexistenz von Arzt und
Patient in der Anamnese. Den pers nlichen Patientenkontakt hält auch sie für sehr
wichtig und kann sich schlecht vorstellen, wie digitale Gesundheitsangebote einen
gro en Nutzer für die APK stiften k nnen (P. 51). Die Idee des informierten Pati-
enten findet sie edoch gut, sieht aber wieder gleichzeitig die Gefahr der Fehlin-
formationen. Ihr Vorschlag für eine zukünftige APK sieht vor, dass sich Patienten
erst nach dem Gespräch mit einem Arzt auf dessen mpfehlung bei weiteren In-
formationsangeboten informieren. Andersherum kann es nicht funktionieren, da
es zu Verunsicherungen und Fehldiagnosen kommen k nnte. Der Arzt bleibt wei-
terhin der Lenker in der APK (P. 21) mit alleinigem Anspruch auf zuverlässige
Informationen. iner ntwertung des ärztlichen xpertentums kann sie nicht zu-
stimmen (Mel, P. 45). Noch kritischer blickt (Kra, P. 35-37) auf neue Rollenver-
hältnis von Arzt und Patient.
6.4 Ausblick in die Zukunft der APK 77
Wenn sie Gesundheit brauchen, ist das nicht mehr ihre ntscheidung ( ). Deswegen
reagieren wir da als rzte immer ein bisschen allergisch, wenn unsere Geschäftsfüh-
rung, das sind nämlich Wirtschaftsleute, die sagen, hier ist ein Kunde, kundenfreund-
liches Arbeiten und Kunde, Patient, der Kunde ist K nig. Das ist eben kein Kunde,
sondern das ist ein Patient und das hei t im Lateinischen der Leidende. Und der kann
sich nicht heraussuchen, ob er gesund sein will oder nicht, da gibt es keine Alternative
dazu. Der muss also sich auf emanden verlassen k nnen, dem er auch vertraut ( )
er ist dort kein gleichwertiger Partner, er ist ein abhängiger (Kra, P. 35-37).
Die Mehrheit der befragten rzte sieht in eHealth Angeboten eine Bereicherung
der APK, da sie zu konstruktiveren Gesprächen beitragen k nnen. Dennoch fin-
det die konse uente manzipation des Patienten nur z gerlichen Zuspruch. Der
Arzt als medizinischer xperte behält sich grundsätzlich das letzte Wort in der
APK vor. Voraussetzung für eine konstruktive APK wäre allerdings eine ein-
heitliche Bewertung - eine Art Zertifizierung digitaler Informationen und An-
wendungen - durch eine neutrale Stelle.
Digitale Vorbefunde bieten gro es Potential für den behandelnden Arzt.
Angekommen scheint die Digitalisierung bisher aber am ehesten bei den Kran-
kenkassen zu sein. Voraussetzung für eine effiziente zukünftige APK ist die
Anpassungsbereitschaft von rzten, Patienten und Infrastruktur.
iskussion der Ergebnisse
in Vergleich der aus der Analyse gewonnen Informationen mit dem bisherigen
Forschungsstand bestätigt, dass die Nutzung von eHealth sowohl bei rzten, als
auch Patienten angekommen zu sein scheint. Nahezu eder Patient nutzt demnach
nach Aussage der befragten Mediziner den Suchdienst Google, um an medizini-
sches Wissen zu kommen. Im Gegensatz dazu scheint die Nutzung von Wearables,
Smartphone Apps und daraus kombinierten digitalen Gesundheitsangeboten bis-
her relativ wenig genutzt zu werden. Zumindest scheinen die Patienten diese Self-
Tracking Daten nicht in dem Umfang in das Arzt-Patienten Gespräch einzubrin-
gen, der es erm glichen würde, die APK für beide Seiten zu optimieren.
Dabei b ten sich hier zahlreiche Vorteile: Zeitersparnis, eine hochwertigere
Kommunikation auf Augenh he oder die Weiterverarbeitung von durch Sensoren
erhobenen Vitaldaten sowie die daraus aufbereiteten Vordiagnosen, wurden hier
als nutzenstiftende Faktoren für die Implementierung von eHealth Angeboten ge-
nannt, die die Digitalisierung des Gesundheitswesens entscheidend voranbringen
k nnten.
Auffällig ist die Tatsache, dass sich die gro e Mehrheit der Interviewpartner
zwar positiv über die eine fortschreitende Digitalisierung der Medizin äu ert,
gleichzeitig aber die Risiken und Zweifel über die Verlässlichkeit der Daten beto-
nen. in Vergleich zum bisherigen Forschungsstand zeigt, dass sich trotz rasanter
ntwicklungen in der Healthcare-Branche, die instellungen und auch der Wis-
sensstand praktizierender Mediziner über eHealth kaum verändert haben. Hier of-
fenbaren die rzte immer noch gro e Unsicherheiten, welche uellen man als
seri s einstufen kann und welche nicht. benfalls widersprüchlich ist die inschät-
zung, dass durch die Emanzipation oder das Empowerment zwar ein h heres Fach-
wissen seitens der Patienten zu effizienteren Gesprächen auf Augenh he führen
kann, gleichzeitig aber immer wieder auf die allgegenwärtige Gefahr der Fehlin-
formation, hingewiesen wird. xtreme Auswirkungen bis hin zu einer Hypo-
chondrie (oder Cyberchondrie) k nnten die Folge sein.
Der in den letzten Jahren an Fahrt gewonnene Dialog zwischen Regierung, rzte-
vereinigungen, der Versicherungsbranche und auch der Startup-Szene, scheint die-
sen Problemen nun langsam entgegenzuwirken. So sind mit der geplanten infüh-
rung einer telemedizinischen Infrastruktur und der längst überfälligen Implemen-
tierung einer funktionierenden elektronischen Krankenkarte, zumindest zwei ent-
scheidende Schritte in Planung, um die Digitalisierung der Medizin in einem Ma e
zu erm glichen, dass die APK in Zukunft ma geblich verbessern kann. Auch die
Bestrebungen des BfArM, eine Orientierungshilfe für medizinische Apps zur Ri-
sikoklassifizierung zu schaffen, scheinen der Forderung der rzte nach einer ein-
heitlichen Zertifizierung nachzukommen.
Wissenschaftliche Studien haben gezeigt, dass sowohl die Mehrheit der Pa-
tienten als auch die rzte bereit sind, diese Schritte mitzugehen. Die Analyse der
dieser Studie zu Grunde liegenden Befragung stützt diese Befunde. Die Heraus-
forderungen insbesondere das Thema Datenschutz und Datensicherheit sind
den beteiligten Akteuren bewusst und müssen gemeinsam angegangen werden.
Hierbei sollte eine Selbstverwaltung der eigenen medizinischen Daten der Patien-
ten als Ideall sung angestrebt werden, bei der zugleich ein verantwortungsbewuss-
ter Umgang sowohl mit der eigenen Gesundheit, als auch bei Bedarf ein reibungs-
loser Austausch dieser Informationen mit den behandelnden rzten erm glicht
werden. Im Sinne der CPM Theorie kann so eder Patient über die Grenzen seines
eigenen Gesundheitsmanagements selbst bestimmen. ine flächendeckende Ge-
sundheitskompetenz der Bev lkerung erscheint unter diesem Gesichtspunkt umso
wichtiger. Durch die Befähigung der Patienten, Verwalter über ihre eigenen Ge-
sundheitsdaten zu werden, würden sie nicht nur eine aktivere Rolle in der Gesund-
heitsversorgung übernehmen, den rzten würde hiermit zugleich eine enorme nt-
lastung geschaffen. Somit würde in anderen Bereichen ein verstärktes ngagement
erm glicht, in denen eHealth nach heutigem Stand keine wirkungsvollen rleich-
terungen schaffen kann. Die Rede ist hier vor allem von der nachgewiesenen Wir-
kung des zwischenmenschlichen Kontaktes auf den Behandlungserfolg.
7 Diskussion der rgebnisse 81
in Zitat aus den Transkripten der Interviews liefert hierfür ein anschauliches Bei-
spiel:
Arzt-Patienten-Kommunikation hei t, ich bin erst mal der Zuh rer und der Patient
spricht und man h rt natürlich auch zwischen den Zeilen die ngste, was sind die
Sorgen. Und wenn einer kommt und sagt: Herr Doktor, ich habe solche Herzschmer-
zen , erstens dann nehme ich es natürlich wahr, dass ich Diagnostik machen muss, ein
KG schreiben muss, den Blutdruck messen und den abh ren muss. Ja aber, die Aus-
sage Herr Doktor, ich habe Herzschmerzen , gerade wenn da ein unger Mann, wie
sie kommt, dann h re ich natürlich, ich habe Angst, dass ich sterben muss. Ich habe
Angst, dass mein K rper mich verlässt. Ich habe Angst, dass ich meine Leistung nicht
bringe. Da stecken natürlich die ngste dahinter. Ich wüsste nicht, gerade in dieser
Form, wie digitale Medien ihnen helfen sollten. (Schl., P. 34) .
Welche Qualität und welchen Nutzen haben durch eHealth Angebote und
vom Patienten erhobene Gesundheitsdaten für den Arzt?
Das Thema digitale Gesundheit wird immer häufiger Bestandteil des direk-
ten Arzt-Patienten-Gesprächs. ine Studie von Scholz (2016) zeigt: Fast die
Hälfte der rzte (46 ) sind von Patienten schon einmal mit Gesundheitsdaten
konfrontiert worden, die auf einem Smartphone gespeicherten waren . ine ähn-
liche rkenntnis konnte aus den xperteninterviews gewonnen werden. Die Nut-
zung von Google und der aus der Suche resultierenden Informationsseiten, liegt
weitaus h her und nimmt in der Wahrnehmung der Nutzer einen hohen Stellen-
wert ein.64 Dennoch sagt das gestiegene Interesse wenig darüber aus, ob solche
Angebote den Nutzern auch echte Mehrwerte liefern k nnen.
Die rgebnisse der Frage nach der ualität und dem medizinischen Nutzen
solcher Angebote für den Arzt zeigen, dass die befragten xperten generell der
Meinung sind, digitale Gesundheitsangebote k nnen die APK ma geblich verbes-
sern. Allerdings gibt es bisher keine einheitliche Bewertung solcher Angebote. Bis
dato ist demnach eine inzelbewertung erforderlich, die es sehr schwierig macht,
mpfehlungen für gute eHealth-Angebote zu geben. ualitativ hochwertige und
prämierte Dienste wie z.B. patienten-information.de der Bundesärztekammer und
der kassenärztlichen Vereinigung oder washabich.de, sind vielen Patienten nicht
bekannt. Auch weitere Studien belegen, dass von den wenigen guten Programmen
etwa 62 hilfreiche Informationen für Mediziner liefern k nnen. Die Forderung
nach einer einheitlichen Zertifizierung und einem gemeinsamen Zugang dieser In-
formationen für rzte und Patienten soll an dieser Stelle nochmals betont werden.
Die Nutzbarmachung von Langzeitdaten und detaillierten Aufzeichnungen über
den Verlauf von Krankheiten k nnten nach Aussage der rzte nicht nur die APK,
sondern die gesamte Behandlung von Patienten verbessern. Durch die erstellten
Vorbefunde k nnen somit Zeit, Kosten und Personal gespart und die frei gewor-
denen Kapazitäten der rzte auf dringendere Probleme verlagert werden. Im Zuge
des demografischen Wandels und der immer h heren Nachfrage nach medizini-
scher xpertise ist dies auch dringend empfehlenswert.
64
http://de.statista.com/statistik/daten/studie/158825/umfrage/internetrecherche-nach-krankheiten-
und-ernaehrung-in-deutschland/
8.3 UFF3: Chancen, Risiken und Zukunft von eHealth auf die APK
Welche Chancen und Risiken bieten eHealth Angebote und wie lässt sich in
Zukunft eine für beide Seiten gewinnbringende APK gestalten?
Zusammenfassend lässt sich vermuten, dass die Nutzung von eHealth Angeboten
im Zuge einer neuen Gesundheitskommunikation dazu führt, dass sich der Ge-
sundheitsmarkt zu einem zunehmend partizipativen und damit einem patientenori-
entierten Gesundheitssystem wandelt.
Der Patient ist nicht mehr nur mpfänger von medizinischen Leistungen,
sondern gleichzeitig uelle für Informationen, die im Sinne einer personalisierten
Medizin in den Behandlungsprozess einflie en werden. Diese ntwicklung ist von
86 8 Beantwortung der Forschungsfragen
beiden Seiten ( rzte und Patienten) ausdrücklich gewünscht, auch wenn stets er-
hebliche Zweifel über die Umsetzung dieser Prozesse bestehen. Vor allem die
dadurch entstehenden effizienteren Gespräche würden dazu beitragen, die APK
nachhaltig zu verbessern. Trotzdem steht diese Gesundheitskommunikation von
morgen vor der einen oder anderen Hürde, weswegen folgende Handlungsemp-
fehlungen ausgesprochen werden, damit die Digitalisierung der APK ihrem ge-
samten Potential Gerecht werden kann.
Erkenntnisse und Handlungsempfehlungen mit Blick auf die Optimierung der
APK unter Einbeziehung digitaler Hilfsmittel
ine Grundvoraussetzung zur Verbesserung der APK, ist die Schaffung einer ef-
fizienten Gesundheitsinfrastruktur, also die Sicherstellung einer flächendeckenden
Hochgeschwindigkeitsbreitbandversorgung, um den stetig wachsenden Daten-
mengen Herr zu werden.
Au erdem bedarf es klarer Regulierungen, wie mit diesen Daten umgegan-
gen wird, die mit Hilfe von digitalen Gesundheitsangeboten erhoben werden. Dazu
geh ren zum einen einheitliche Abrechnungsm glichkeiten für medizinische Pro-
dukte und Dienstleistungen sowie eine staatliche Zertifizierungsstelle für solche
Angebote und Produkte, die Gütesiegel entwerfen, welche den Patienten und Nut-
zern Sicherheit bieten und gleichzeitig von rzten akzeptiert werden.
Vertreter der rzteschaft, Patientenvereinigungen, Versicherungen und
staatliche Stellen müssen hier zusammenarbeiten, um eine solche einheitliche Zer-
tifizierung zu erm glichen. in ähnliches Vorhaben gibt es bereits im Rahmen des
Medizinproduktegesetzes, edoch bedarf es einer ganzheitlichen eHealth-Strate-
gie, die ein unn tig breites Angebot an Informations uellen minimiert.
Des Weiteren k nnen Schulungen und Fortbildungen, wie sie bereits bei
Facharztweiterbildungen gang und gäbe sind, dabei helfen, rzte auf dem neusten
Stand zu bringen und eHealth Angebote besser in die APK zu integrieren. Das
Beispiel der Universität Heidelberg aus Kapitel 2.3.3.1 zeigt, dass bereits einige
dieser Ideen in die Praxis umgesetzt werden.
Zudem sollte die Minderheit der enigen rzte, die den digitalen Hilfsmitteln
in Gesundheitsprävention, Diagnose und Therapie noch ablehnend gegenüber ste-
hen, in Aus- und Fortbildung mit den positiven rfahrungen der Mehrheit kon-
frontiert und motiviert werden, sich auf die inbeziehung dieser Mittel in Diag-
nose und Therapie einzulassen. s sollte die Fähigkeit des Arztes in Ausbildung
gef rdert werden, offen und unvoreingenommen mit pl tzlich vom Patienten prä-
sentierten Informationen (z.B. aus Google) umzugehen, ggf. auch selbstbewusst
zuzugeben, hierzu keine Bewertung aus dem Stegreif abgeben zu k nnen und zu
wollen.
8.3 UFF3: Chancen, Risiken und Zukunft von eHealth auf die APK 87
Der Wille ist da. Auch von Seiten der Pateinten. Durch Bildungsangebote in Schu-
len, Universitäten oder Volkshochschulen, k nnen Workshops und Vorträge die
Health Literacy, also die Gesundheitskompetenz der Bev lkerung verbessern und
dazu beitragen, eine effiziente APK auf Augenhöhe zu schaffen. Alternativ gibt es
bereits zahlreiche unabhängige und oftmals kostenlose -Learning Angebote wie
Coursera65 oder Udemy66, die Weiterbildungen (auch zu Themen wie Gesundheit
und rnährung) kostenlos anbieten. Informierte Patienten sind gute Patienten. s
erfordert edoch eine wechselseitige Anpassung an den digitalen Wandel.
Das direkte Arzt-Patienten Gespräch sollte allerdings nicht ersetzt werden.
Hier stimmen die rgebnisse der Interviews mit bisherigen Patientenbefragungen
weitestgehend überein. Die Rolle des Arztes scheint daher nicht gefährdet zu sein,
aus der Gesundheitsversorgung zu verschwinden. Vielmehr befindet sich der Arzt-
beruf in einem Wandlungsprozess, der dazu führt, dass langfristig wohl digitale
Gesundheitsangebote und die dadurch gewonnen Informationen, in die Diagnose
und Therapie eingebunden werden. rzte sollten proaktiv mpfehlungen zur Nut-
zung digitaler Hilfsmittel geben k nnen. Die rgebnisse der Befragung zeigen,
dass dies teilweise schon geschieht. Auf diese Weise k nnen die rzte Fehlinfor-
mationen vorbeugen und gleichzeitig Diagnostik und Therapie u.a. auch im Sinne
einer personalisierten Medizin optimieren.
Der Begriff Gesundheitsberater sollte an dieser Stelle nicht negativ gesehen
werden, sondern es sollte die Chance genutzt werden, das neue Verständnis einer
digitalen Medizin mit all ihren neuen M glichkeiten von Seiten der rzte zu adap-
tieren und neu zu definieren.
65
Siehe: https://www.coursera.org/courses? uery=Health
66
Siehe: https://www.udemy.com/courses/search/?ref=home&src=ukw& =Gesundheit
Kritische Refle ion und Ausblick
Wie ede wissenschaftliche Studie hat auch diese Arbeit seine Stärken und Schwä-
chen. Obwohl beispielsweise alle Interviewpartner nach den Kriterien ausgewählt
wurden, dass sie eine gewisse Erfahrung mit dem Thema eHealth und mehrjähri-
gen Patientenkontakt haben/hatten, handelt es sich nicht bei allen befragten rzten
um Allgemeinmediziner. Obwohl diese Fachrichtung vermutlich den intensivsten
Patientenkontakt aufweisen kann, wurden ebenfalls Interviews mit einem Kardio-
logen, einer Zahnärztin und einem Chirurgen in die Analyse mit aufgenommen.
Diese ntscheidung stellte sich edoch als äu erst sinnstiftend heraus und recht-
fertigt sich mit einer gr eren Pluralität der Antworten und Meinungen. Im Nach-
hinein zeigte sich bei der Auswertung mit MA DA, dass auch Fachärzte wert-
volle Informationen zur Beantwortung der Forschungsfragen liefern konnten.
Dennoch ist an dieser Stelle anzuführen, dass die Heterogenität der Inter-
viewpartner bei ualitativen Befragungen, tendenziell breit gefächerte rgebnisse
generieren kann. Dies motiviert allerdings zugleich, weitere Forschung zu betrei-
ben und die APK in ganz bestimmten Fachbereichen auf Besonderheiten hin zu
untersuchen und in Zukunft gr er angelegte Befragungen von deutschen Haus-
ärzten sowie Fachmedizinern durchzuführen, um den Forschungsstand zu diesem
Thema sinnvoll und nachhaltig zu festigen.
.2 Soziale Erwünschtheit
Die Fragen zur Zukunft des Arztberufs waren teilweise provokant formuliert. Um
nicht schlecht dazustehen, bzw. um nicht den indruck zu erzeugen, durch eHealth
Angebote m glicherweise ersetzbar zu werden, ist eine gewisse Befangenheit der
befragten rzte nicht auszuschlie en. Auch wenn mit dem Thema der Digitalisie-
rung der Medizin durchaus kritisch und reflektiert umgegangen wurde, ist die po-
sitive Tendenz bezüglich der Aussagen zur Zukunft des Arztberufes gegebenen-
falls durch diese Befangenheit zu erklären. Diese Limitierung ist nicht selten und
lässt sich auf die Besonderheiten der Rekrutierung für ualitative Studien zurück-
führen, da die Befragten von Anfang an ein h heres Interesse am Untersuchungs-
gegenstand haben und sich durch die Teilnahme einen eigenen rkenntnisgewinn
.3 Re räsentativität
ine weitere inschränkung beruht auf der ungesicherten Repräsentativität der er-
hobenen Antworten. s konnten insgesamt nur zehn rzte befragt werden, was
vor allem forschungs konomische Gründe hat. Die befragten Mediziner entspre-
chen somit keiner Zufallsauswahl, sondern es wurden die enigen rzte befragt mit
denen es m glich war, Termine zu vereinbaren. Die Aussagen und instellungen
weisen zwar ein hohes Ma an Individualität auf, lassen sich aufgrund der Fallzahl
und der Auswahl nur schwer auf die Allgemeinheit beziehen. Um die Repräsenta-
tivität zu erh hen, müsste in Zukunft eine gr ere Anzahl an xperten identifi-
ziert und anschlie end nach Zufallsauswahl befragt werden.
Das Thema Digitalisierung der Medizin mag zwar kein v llig neues Thema sein,
es ist edoch aufgrund der dynamischen ntwicklungen auf den Märkten digitaler
Gesundheitsprodukte ein rege diskutiertes, wie auch die rgebnisse deutlich zei-
gen. Zwar wird das ualitative xperteninterview als sinnvolle Methode angese-
hen, um instellungen und Meinungen zu diesem ungen Forschungsfeld der Ge-
sundheitskommunikation zu erheben, edoch hat auch diese Methode ihre Schwä-
chen.
Voraussetzung für eine sinnvolle Befragung ist die Annahme, dass instel-
lungen und Meinungen zu bestimmten Problemen einigerma en stabil sind und
( ), dass Menschen eine widerspruchsfreie, über einen längeren Zeitraum hinweg
feste Auffassung von Sachverhalten haben (Brosius et al., 2016, S. 133). Auf-
grund der rasanten nderungen in Technik, Nutzungsverhalten der Patienten, ge-
sellschaftlichem Gesundheitsbewusstsein und staatlichen Regulierungen, vor al-
lem im Zuge des erst kürzlich verabschiedeten -Health-Gesetzes, kann man da-
von ausgehen, dass langfristig gefestigte Meinungen von rzten zu digitalen Ge-
sundheitsangeboten wohl kaum als stabil angesehen werden k nnen. Dies wäre
aufgrund der vorliegenden Unsicherheiten kaum m glich. Trotzdem wird davon
9.4 Grenzen der Methode 91
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