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Deutsch LK

Abitur 2016
Die Marquise von O...
Heinrich von Kleist

Einleitungssatz

Heinrich von Kleists 1808 erschienene Novelle »Die Marquise von O…« spielt in Italien zur Zeit des
Zweiten Koalitionskrieges (1799–1802). Im Mittelpunkt steht die verwitwete Marquise von O…, die
schwanger ist, ohne dass sie sich wissentlich mit einem Mann eingelassen hat. Über eine Zeitungs-
anzeige sucht sie nach dem unbekannten Vater. Als der ihr vertraute Graf F… sich zu der Vater-
schaft bekennt, heiratet sie ihn zwar, verzeiht ihm seine Gewalttat aber erst sehr viel später.

Inhaltsangabe

In einer Zeitungsannonce erklärt die junge Marquise Julietta von O…, dass sie ohne ihr Wissen in
andere Umstände gekommen sei. Der unbekannte Vater wird gebeten sich zu melden: Die Mar-
quise wolle ihn, aus Rücksicht auf die Familie, heiraten.

Die Marquise (Witwe) wohnt mit ihren beiden Kindern bei ihren Eltern, dem Kommandanten von
G… und seiner Frau. Die Zitadelle, in der sich die Familie aufhält, wird während des Krieges von
russischen Truppen überfallen und bombardiert. Im allgemeinen Aufruhr gerät die Marquise in die
Hände von russischen Soldaten, die sie misshandeln und vergewaltigen wollen.

Von ihren Hilfeschreien alarmiert, eilt der russische Offizier Graf F… herbei und bringt die Soldaten
mit Waffengewalt dazu von der Marquise abzulassen. Der Marquise erscheint er wie ein Engel,
und sie lässt sich von ihm in den Palast führen, wo sie bewusstlos wird.

In derselben Nacht wird die Festung erobert. Als tags darauf der russische General von dem Über-
griff gegen die Marquise erfährt, werden die Soldaten erschossen. Gleich danach erteilt er den
Truppen Marschbefehl, weshalb es der Marquise nicht mehr möglich war sich bei ihrem Retter zu
bedanken. Bestürzt erfährt sie wenige Tage später von seinem Tod auf dem Schlachtfeld.

Zur allgemeinen Überraschung erscheint jedoch Graf F… nach einigen Monaten im Haus des
Kommandanten und hält mit Dringlichkeit um die Hand der Marquise an. Er ist dienstlich auf dem
Weg nach Neapel und behauptet, mit dem Heiratsantrag seinen Seelenfrieden wieder herstellen
zu wollen. Zudem habe ihn nur der Gedanke an Julietta nach seiner schweren Verwundung am
Leben gehalten. Die Familie reagiert zurückhaltend und bittet um Bedenkzeit. Als der Graf dabei
ist seine Dienstpflicht zu verletzen, und statt nach Neapel zu reisen, zu bleiben und auf eine Ant-
wort der Marquise zu warten, verspricht diese ihm sich bis zu seiner Rückkehr mit keinem anderen
Mann zu vermählen. Der Graf reist erleichtert ab.

Ungläubig verfolgt die Marquise die Veränderungen ihres Körpers, die auf eine Schwangerschaft
hinweisen. Als ein Arzt und eine Hebamme die Befürchtung bestätigen, und die Marquise trotz-
dem behauptet sich mit keinem Mann eingelassen zu haben, wird sie von ihren Eltern verstoßen.
Die Marquise flüchtet auf ihren Landsitz in V…, wo sie ihr Schicksal in die Hand nimmt und sich mit
Eifer der Erziehung ihrer Kinder und der Haushaltsführung widmet.


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Heinrich von Kleist

...Inhaltsangabe

Selbstbewusst schildert sie wenig später in der am Anfang erwähnten Zeitungsanzeige ihre Situati-
on. Als der Graf zurückkehrt um seinen Antrag zu erneuern, weist die Marquise ihn ab. Während er
noch erwägt ihr einen Brief zu schreiben, erhält er Kenntnis von der öffentlichen Anzeige.

Inzwischen bedauert Frau von G… ihre Härte gegenüber ihrer Tochter und geht zu ihr, um mit
einer List die Wahrheit herauszufinden. Als sie von Juliettas Unschuld überzeugt ist, bringt sie sie
zurück ins Elternhaus, wo sich auch ihr Vater mit ihr versöhnt.

Der Vater des Kindes will die Marquise im Haus des Kommandanten treffen. Als sich herausstellt,
dass es sich bei dem Unbekannten um den Grafen von F… handelt, wendet sich die Marquise ent-
setzt ab und nennt ihn einen Teufel. Ihr Versprechen einhaltend heiratet sie den Grafen am nächs-
ten Tag, auf eheliche Rechte muss dieser jedoch verzichten. Er bezieht eine Wohnung in der Stadt,
und erst bei der Taufe des gemeinsamen Sohnes begegnet sich das Paar wieder. Wegen seines
zurückhaltenden und tadellosen Verhaltens wird der Graf langsam in die Familie aufgenommen,
bis ihm die Gräfin nach einem Jahr verzeiht und ein zweites Mal ihr Jawort gibt.
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Hauptpersonen

Die Marquise von O…


• ist abhängig vom Willen ihrer Eltern / lässt sich von ihnen beeinflussen

• spielt, weil besorgt um ihren guten Ruf, die Unschuldige,
• gewinnt scheinbar an Selbstbewusstsein und Selbstständigkeit
→ nimmt ihre Kinder bei Verstoßung mit
→ widersetzt sich dem Willen ihres Vaters
• passt sich wieder den gesellschaftlichen Mechanismen an
→ heiratet aus Pflichtbewusstsein
↓ heiratet ein 2tes mal aus Liebe

• Im Bewusstsein ihrer völligen Unschuld zieht sie sich von der Gesellschaft und deren
Konventionen zurück, entwickelt eigene Werte und gewinnt
ein – nicht nur für damalige Zeiten – unangepasstes und erfrischendes
Selbstbewusstsein.

Der Vater, Herr von G…


• Familienvater und Kommandant einer Festung
• kann die Rolle des fürsorglichen Hausvaters nur unzureichend ausfüllen
• dominantes Familienoberhaupt (Haustyrann)
• versucht seine Schwäche mit Brutalität zu kompensieren
• ist von seiner Tochter, der Marquise, emotional abhängig

• um den Erhalt der Ordnung und des gesellschaftlichen Ansehens bemüht


• Denken und Ausdrucksweise von in seinen Kreisen herrschenden
Militärsprache geprägt
• seine Worte sollen wie Befehle aufgefasst werden - seine Wünsche sind
Anordnungen
• befiehlt öfters zu Schweigen
→ Kommunikationsverweigerung (verstößt Tochter, ruft „hinweg“, greift zu Pistole)

• soll Patriarchen und Beschützer sowie die zentrale Figur der Geschichte darstellen
• versagt in der Novelle.
kann seine Tochter vor der Vergewaltigung nicht bewahren.
• gesellschaftliche Norm: Bewahrung vor Sexualität, Begierden und selbst unkeuschen
Gedanken ist eine wichtige Aufgabe, die auch größtenteils beim Vater liegt.
• kein Vorbild in Sachen Keuschheit → pflegt selbst einen Umgang mit seiner Tochter, der eher
an ein Liebesverhältnis erinnert

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...Hauptpersonen

Die Mutter, Frau von G…


• die eigentliche treibende Kraft der Familie und Gegenspielerin ihrer Tochter
• um den Ruf der Familie nach außen besorgt, egoistisch, habgierig und
aufstiegsorientiert
• will den reichen Grafen F… als Schwiegersohn durchsetzen

Graf F…
• reich und standesbewusst,
• imitiert das Ideal des höflichen und gebildeten Adligen,
• will sein Verbrechen, die Vergewaltigung der Marquise, wieder gutmachen,
• handelt dabei entschlossen, zielsicher und berechnend.

• Engel: Retter in Not, Idealbild


Teufel: Vergewaltigung, bruch des Idealbilds
→ Mensch:Vereint beide Seiten in sich → normaler Mensch mit Fehlern
• ein Vertreter des Adels als Triebverbrecher (in zentraler Rolle)
→ provokanter Tabubruch
→ Kleist: kritissches, ablehnendes Verhältnis zum Preußischen Militär
• Lernprozess: wildes Verlangen → geduldige Hingabe
• Schnelle Heirat um Vergehen zu vertuschen
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Die Gesellschaft

Die Marquise selbst bezeichnet ihre ungewollte Schwangerschaft als „Schandfleck in der bürger-
lichen Gesellschaft“, daraus wird deutlich, dass ein Kind welches durch solche Umstände zu Welt
kommt, von der Gesellschaft vermutlich nicht akzeptiert wird. Die Marquise würde dadürch ihren
bislang guten Ruf verlieren. Die Reaktion ihres Vaters zeigt, dass es als unsittlich angesehen wird.

Traumdeutung

Im Traum des Grafen F... findet er sich in seiner KIndheit wieder. Er ist an einem See, auf dem ein
Schwan schwimmt.
Er bewirft den Schwan mit Kot. Dieser taucht unter und nach einiger Zeit wieder auf. Das zuvor
beschmuzte Tier ist nun wieder vollständig reingewaschen.

Schwan:
• symbolisch für Reinheit und Unschuld → bildliche Darstellung der Marquise

Kot/ Beschmutzung:
• Vergewaltigung
• beschmutzt den Ruf der Marquise

Abtauchen:
• Gesellschaftlicher Untergang

Auftauchen:
• Weg zurück in die Gesellschaft durch Zeitungsannonce

→ Der Graf von F... verarbeitet in diesem Traum sein Verhalten / schlechtes
Gewissen.
• Wenn er beim Abendessen vom Schwan spricht sagt er häufig „Sie“ statt „Er“
• Beteuert seine Liebe dem Schwan gegenüber
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Interpretation & Analyse

• Werk kann als Parodie auf die Gesellschaft, die bürgerliche Heuchelei/Doppelmoral
und die politische Situation angesehen werden.

• Figuren verbergen ihre Gefühle und Absichten, wenn diese im Wiederspruch zu


Moralvorstellungen stehen.

• beschreibt, wie Krieg die Menschen verändert


→ Graf F... wird zum Vergewaltiger, obwohl er eigentlich guten Herzens ist

• parodiert spitz und präzise die Brutalität der bürgerlichen Gesellschaft und ihr Versagen
→ Brutalität und Rücksichtslosigkeit, mit der Mütter von unehelichen Kindern in der
Gesellschaft behandelt werden, wird kritisiert

• Familie ist nicht der Rückzugsort, wo man geliebt und angenommen wird, sondern sie
untersteht strengen Regeln
→ Respektierung der Sitte wichtiger als die Bedürfnisse des Individuums

• verspottet die Moralvorstellung, dass alles erlaubt sei, wenn es nur im Geheimen
geschehe
→ Namensabkürzungen=Nicht nennen, nicht aussprechen, Verheimlichung

• Trivia: Berühmtester Gedankenstrich der deutschen Literatur (markiert Vergewaltigung)

• zunächst äußerst negative Rezension, da „pietätslos“, „sittenlos“, „undeutsch“,


später als „genial“ bezeichnet, gilt nun als Klassiker

• verdeutlicht das strikte und brutale Gesellschaftssystem, wo die eigene Familie die
Tochter verstößt um nicht ihr Ansehen durch ein uneheliches Kind zu verlieren.
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Die Identitätskriese der Marquise

Ich (Bewusstsein)
• schuldfreies Bewusstsein erfährt unrecht und verletzung durch Verbannung
→ vorrübergehende Entwicklung einer Ich-Stärke / Emanzipation !
befreiung von Gesellschaftlichen Konventionen

Es (Unterbewusstsein)
• Verdrängung der Identität des Vaters ihres ungeborenen Kindes und ihrer Triebe
(Leben in Zurückgezogenheit) ins Unterbewusstsein

Über-Ich (Gewissen)
• Rolle des Vaters: als Kommandant und Familienoberhaupt gewohnt, dass seine
Anordnungen befolgt werden ’ achtet auf Einhaltung der Konventionen der Familie

→ Die drei Instanzen müssen miteinander in Einklang gebracht werden, damit sich das Individuum
in seiner solchen sozialen Umwelt korrekt verhalten kann und seine Rolle innerhalb der jeweiligen
Gruppe (Familie, Freunde usw.) erfüllt.
„Verbannung der Gefallenen aus der Familie und der Gesellschaft
→ Folge: Machtlosigkeit, Sinnlosigkeit und Isolation“

Verhältnis der Marquise zur Gesellschaft:


Integration → Isolation → Reintegration

Verhältnis der Marquise zu sich selbst:


Verunsicherung → Sicherheit → Desillusionierung

Zerbrechlichkeit der Welt (Kantkrise/Kleists Weltbild):


• Wahrheit ist nicht immer ganz erkennbar
• der Mensch muss Fehler machen
• Schuld „passiert“ zwangsläufig
• Verzeihung ist notwendig
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Stil und Sprache

• Schreibstil → steif, unklar, verbergend


• Gedankenstriche → Vorenthaltung von Informationen
• Sprache → schwer zu verstehen
→ von komplizierten Satzbau geprägt
• dient dazu den Erzähler zu charakterisieren dessen Sprache wie
eine Parodie auf die Doppelmoral der Gesellschaft wirkt.
• imitiert die verkrampfte innere Befindlichkeit der Figuren.

• Zahlreiche Grenzüberschreitungen in Richtung des Anzüglichen sowie Motive


und Metaphern aus den Bereichen der Religion und des Theaters unterstreichen
dabei die insgesamt in der dargestellten Welt herrschende Doppelmoral und
Heuchelei.

Problematik der Epochenzuordnung

• Kleist greift Themen der Romantik auf, um deren Bedeutung durch Verfremdungseffekte
bewusst zu verändern (Schwan-Motiv, Kriegsszenrio statt idyllischer Naturbilder).

• Aufklärung? - Kantkriese

→ Auf Grund der Andersartigkeit und Modernität seines Denkens ist Kleist keiner Epoche
eindeutig zuzuordnen!

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