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Graikowski, Bruno J.
9. Fachsemester,
Regionalwissenschaften Lateinamerika
Graeffstr. 3
50823 Köln, 29.05.2002
e-mail: bruno@graikowski.de
Tel.:0221-4202064
ii
Seite
Abkürzungsverzeichnis......................................................................................................iv
Verzeichnis der Abbildungen und Tabellen.....................................................................v
I. EINLEITUNG...................................................................................................................1
II.1 Einführung.....................................................................................................................2
II.2 Kosten der Inflation......................................................................................................3
II.3 Konzept: Rules vs. Discretion......................................................................................5
II.4 Institutionelle Merkmale..............................................................................................6
II.4.1 Zentralbankverfassung .......................................................................................7
II.4.2 Design des Inflation Targeting Regimes.............................................................9
II.4.3 Glaubwürdigkeit und Transparenz....................................................................12
II.5 Operationelle Merkmale.............................................................................................13
II.5.1 Inflationsprognosen...........................................................................................14
II.5.2 Geldpolitische Transmissionskanäle.................................................................16
II.5.3 Durchführung der geldpolitischen Strategie.....................................................18
II.6 Bewertung....................................................................................................................19
III. MEXIKO......................................................................................................................20
IV. BRASILIEN.................................................................................................................39
iii
LITERATURVERZEICHNIS.........................................................................................63
ANHANG...........................................................................................................................67
iv
Abkürzungsverzeichnis
BCB Banco Central do Brasil Brasilianische Zentralbank
BM Banco de México Mexikanische Zentralbank
CMN Conselho Monetário Nacional Nationaler Währungsrat
COPOM Comitê de Política Monetária do Banco Geldpolitisches Komitee der
Central do Brasil Brasilianischen Zentralbank
Seite
ABBILDUNG 1: TRANSMISSIONSMECHANISMEN................................................17
I. Einleitung
Bis heute haben die lateinamerikanischen Länder kaum positive Erfahrungen in der
Geldpolitik gemacht. Die Volkswirtschaften in dieser Region sind durch extreme Episoden
von monetärer Instabilität gegangen, die von sehr hohen Inflationsraten, massiven
Kapitalfluchten und Zusammenbrüchen der Finanzsysteme gekennzeichnet waren. Das
heutige Erscheinungsbild dieser Länder, im Betreben ökonomische Stabilität zu schaffen,
spiegelt sich in einem Umfeld mit geringer Glaubwürdigkeit, mit langsamen Wachstum
und wiederkehrenden Rezessionen wider. In den lateinamerikanischen Ländern muss eine
Kontrolle der Inflation – als bedeutender Faktor für Wachstum – über eine konsistente
geldpolitische Strategie erfolgen.
Auf der Suche nach der optimalen Geldpolitik für ein Staat in dieser Region werden in der
wirtschaftwissenschaftlichen Forschung hauptsächlich die beiden sich gegenüberliegenden
Pole, vollständige Bindung an eine andere Währung oder deren Übernahme auf der einen
und System flexibler Wechselkurse auf der anderen Seite diskutiert. Bei der ersten
Variante findet eine unabhängige Geldpolitik so gut wie nicht statt, bei der zweiten ist sie
indes von einer entscheidenden Bedeutung. Jedoch sollte man nicht nur den Rahmen auf
feste und flexible Wechselkurse beschränken, sondern die Betrachtung auf drei verschiede
langfristige Konzepte von Geldpolitik erweitern: Geldmengenziel, Wechselkursziel und
eben ein Inflationsziel (Inflation Targeting). Da es jedoch kein perfektes Konzept für die
Geldpolitik gibt, muss sich die Untersuchung auf die Abwägung der Vor- und Nachteile
konzentrieren, wobei die bisherigen Erfahrungen, auch die der Industrieländer, dann in die
Untersuchung mit einbezogen werden.
Besondere Rolle der Emerging Market Länder, deren Besonderheit in Einzelfall genauer
herausgearbeitet wird.
Alle Kapitel lassen sich selbständig und unabhängig voneinander lesen, wobei jedoch im
V. Kapitel eine vergleichende Analyse der beiden Beispiele für Inflation Targeting erfolgt.
II.1 Einführung
Mit der Ausbreitung von Inflation Targeting in den letzten dreizehn Jahren begann eine
neue Entwicklung in der Geldpolitik der Zentralbanken. Neuseeland war der erste Staat,
der Inflation Targeting offiziell im Jahre 1989 einführte. Von hier wurde das neue
geldpolitische Konzept nach und nach in anderen Industrieländern übernommen. Der
erfolgreiche Aufstieg von einer Theorie zu einer in der Praxis getesteten Konzeption
machte Inflation Targeting nun auch für Schwellenländer interessant. Mit den Erfahrungen
der Zentralbanken, welche Inflation Targeting in ihren Ländern eingeführt haben, hat man
in den vergangenen dreizehn Jahren sowohl viel über die Implementierung und das Design
des neuen geldpolitischen Konzeptes gelernt, als auch über die tatsächlichen
geldpolitischen Handlungen unter einem solchen Konzept. (Grafik über Einführung in
anderen Ländern? Schaechter et al., Mishkin und Hebbel) in den Anhang.
Bei der Betrachtung der empirischen Literatur über die weltweiten Erfahrungen mit
Inflation Targeting filtern Mishkin und Hebbel (2001) einige ausgewählte und vorläufige
Ergebnisse heraus, die in ihren Augen die erzielten Erfolge durch Inflation Targeting
aufzeigen:
• Die Unabhängigkeit der Zentralbank ist durch Inflation Targeting
wiederhergestellt.
• Kommunikation, Transparenz und Glaubwürdigkeit werden durch Inflation
Targeting wiederhergestellt.
• Inflation Targeting half den Ländern die Inflationsrate zu senken (jedoch nicht
unter das Niveau von Industrieländern, die nicht Inflation Targeting verfolgen).
• Inflation Targeting hat sich als günstig erwiesen bei widrigen Schocks.
• Inflation Targeting half „in reducing sacrifice ratios and output volatility”, zu
einem Niveau, der dem in Ländern mit einer anderen geldpolitischen Konzeption
nah kam.
• Inflation Targeting half wahrscheinlich bei der Steuerung der Inflationserwartungen
und bei der Handhabung von Inflationsschocks.
• Geldpolitik ist unter Inflation Targeting insofern flexibel wie sie Inflationsschocks
systematisch antwortet und vorrübergehenden Inflationsschocks, die nicht das
mittelfristige Inflationsziel gefährden, gelassen entgegen sehen kann.
Das Konzept des Inflation Targeting 3
• Geldpolitik unter Inflation Targeting ist eindeutig mehr fixiert auf die Kontrolle der
Inflation.1
Nun haben wir schon kurz einen Blick auf die Vorteile von Inflation Targeting geworfen,
jedoch bleibt zuerst die Frage nach dem Sinn die Inflation über alle anderen monetären
Ziele zu stellen.
1
Vgl. Mishkin, F., Schmidt-Hebbel, K., One Decade of Inflation Targeting in the world: What Do We Know
and What Do We Need to Know?, Banco Central de Chile, Documentos de Trabajo N° 101, Juli 2001, S.8 ff.
2
Das Folgende nach: Glaß, S., Für ein direktes Preisniveauziel in der Geldpolitik, Köln 1996, S. 15f.
Das Konzept des Inflation Targeting 4
Die Grundidee des Inflation Targeting fußt auf dem heute in der Volkswirtschaft allgemein
akzeptierten Konsens, dass eine niedrige und stabile Inflationsrate für ein Wachstum aus
dem Markt heraus wichtig ist, was die Analyse der gesamtwirtschaftlichen Kosten eines
unstetigen Inflationsprozesses zeigt. So ist die Stabilität des Preisniveaus eins der vier
Ziele der Wirtschaftspolitik. Die Hauptverantwortung für die Geldwertstabilität trägt die
Zentralbank, an die gewisse institutionelle und operationelle Anforderungen gestellt
werden müssen, damit das Ziel auch erreichbar ist. Zusätzlich sind sich heute die
Makroökonomen einig, dass die Inflationsrate die einzige Größe ist, die in der langen Frist
3
Glaß (1996), S. 26.
Das Konzept des Inflation Targeting 5
durch Geldpolitik steuerbar ist, während sie in der kurzen Frist fähig ist, Fluktuationen in
der Wirtschaft zu stabilisieren. Außerdem ist eine niedrige und stabile Inflationsrate
wichtig – vielleicht sogar notwendig –, um die anderen makroökonomischen Ziele der
Wirtschaftspolitik zu erreichen.
Das Inflationsziel dient als nominaler Anker der Volkswirtschaft, der sowohl die
Erwartungen lenken kann, aber zudem als Meßlatte zur Beurteilung der Politik der
Zentralbank dienen kann.
“Like a real-life anchor, inflation targets keep the economic ship in the
desired area in the long term, while permitting it to respond in the short run
to unpredictable swells and currents. Less fancifully, we see the inflation-
targeting framework as serving two important functions: (1) improving
communication between policy-makers and the public, and, not unrelatedly,
(2) providing discipline and accountability in the making of monetary
policy.”5
Die meisten Kosten der Inflation entstehen nicht durch die Unsicherheit über die Höhe der
Inflationsrate, sondern durch die Unsicherheit in den Schwankungen der Inflationsrate. Die
Bekanntmachung des Inflationszieles bringt die Intention der Zentralbank zum Ausdruck,
als eine Richtlinie für die Finanzmärkte und die Öffentlichkeit. Sie hilft so, die
Unsicherheit des zukünftigen Inflationsverlauf zu minimieren. Wenn die Intention der
Zentralbank hinter ihren Handlungen nicht eindeutig ist, verstärkt dies die Volatilität an
den Finanzmärkten. Wenn jedoch die Zentralbank ihre mittelfristigen Intentionen ihrer
Geldpolitik explizit darstellt, hilft das nicht nur dem privaten Sektor seine Planungen zu
verbessern, sondern auch die öffentliche Debatte über die diskretionäre Politik der
Zentralbank aufzufrischen, die die Glaubwürdigkeit der Zentralbank erhöht. Hier spielt
auch die Transparenz der geldpolitischen Maßnahmen der Zentralbank eine große Rolle –
die Transparenz wird auch von anderen monetären Strategien verlangt –, da sie im Falle
von Inflation Targeting das Ziel der Maßnahmen leichter zu verstehen und
nachzuvollziehen ist. Es handelt sich dabei um die Vorhersage der Inflation, die der breiten
Öffentlichkeit offensichtlicher erscheint, als z.B. eine Wachstumsregel für die
Geldmengen.
Wenn man zusammenfasst, sieht man eine enge Verbindung zwischen den Rollen von
Inflation Targeting einmal als ein nominaler Anker in der Wechselkurspolitik und zweitens
als Stütze eines geldpolitischen Konzeptes. Man gibt der Zentralbank die Möglichkeit,
durch die Festlegung eines mittelfristigen, bzw. langfristigen Zieles und des „freie
Handlassens“ in der Beantwortung kurzfristiger Entwicklungen, die diese Ziel gefährden
könnten, im Rahmen der Disziplin und Glaubwürdigkeit fester Regeln auf der einen Seite
und der Flexibilität einer diskretionären Handlungsweise auf der anderen, geldpolitisch zu
agieren. Genau dieser Synergieeffekt muss sich in der institutionellen Konstruktion und in
den operativen Maßnahmen der Länder die Inflation Targeting betreiben widerspiegeln.
die weiteren und einzelnen Institutionen und Entscheidungsträger wird in den speziellen
Länderkapiteln eingegangen.
Mishkin und Savastano haben die fünf wesentlichen Grundzüge der geldpolitischen
Strategie des Inflation Targeting herausgearbeitet: (i) das mittelfristige Inflationsziel muss
öffentlich bekannt gemacht werden; (ii) Preisstabilität muss als oberstes Ziel der
Geldpolitik institutionell festgesetzt werden, während andere Ziele diesem untergeordnet
sind; (iii) die geldpolitische Strategie basiert auf allen Variablen (jede Information wird
genutzt und nicht nur die Geldmenge und der Wechselkurs; (iv) eine transparente
geldpolitische Strategie, die große Wichtigkeit darauf legt, die Pläne, Ziele und
Überlegungen der Zentralbank der Öffentlichkeit und den Märkten mitzuteilen; und (v)
Mechanismen, die die Zentralbank verantwortlich machen, die Ziele zu erreichen. Die
Liste zeigt, dass nicht nur die öffentliche Bekanntgabe der Ziele die geldpolitische
Strategie Inflation Targeting ausmacht.6
Die von Mishkin und Savastano definierten Grundzüge von Inflation Targeting müssen
sich im institutionellen Rahmen, d.h. dass sie gesetzlich in der Verfassung verankert sind,
wiederfinden.
II.4.1 Zentralbankverfassung
Die institutionelle Ausgestaltung der Zentralbank hat in Bezug auf die inflationäre
Entwicklung in eine Volkswirtschaft eine große Bedeutung, das haben empirische
Erfahrungen und Forschungsarbeiten in diesem Gebiet gezeigt. Besonders wichtig ist daher
im Zusammenhang mit einer Umstellung der Geldpolitik – z.B. im Zuge einer
umfassenden Währungsreform – die monetär-institutionelle Ausgestaltung, bzw. Reform.
Das Zentrum dieser institutionellen Gestaltung ist die Zentralbankverfassung.
Zum Rahmen des Inflation Targeting Konzeptes gehört eine Zentralbank, die durch eine
gesetzliche Regelung unabhängig ist. In allen Ländern die Inflation Targeting betreiben,
wird die Funktion der Zentralbank durch solch ein Gesetz bestimmt. Die
Zentralbankverfassung definiert die Ziele der Geldpolitik und veranlasst die Zentralbank
diese Ziele einzuhalten. Jedoch ist auch Geldpolitik nicht vor dem principal-agent Problem
befreit, was durch das Missverhältnis in der Informationslage und die Wirkungsdauer der
geldpolitischen Maßnahmen mit ausgelöst wird.
Das Konzept des Inflation Targeting bringt eine Lösung für das principal-agent Problem.
Es gibt der Zentralbank das Mandat Preisstabilität zu gewährleisten und gleichzeitig die
Möglichkeit unabhängig die Instrumente zu wählen, die die Zentralbank für richtig hält,
6
Vgl. Mishkin, F., Savastano, M., Monetary Policy Strategies for Latin America, NBER Working Paper
Series, Working Paper 7617, 2000, S. 32.
Das Konzept des Inflation Targeting 8
das Inflationsziel zu erreichen. Eine Untersuchung aller Länder, die offiziell Inflation
Targeting betreiben, zeigt, dass die Unabhängigkeit in der Wahl der geldpolitischen
Instrumente durch eine gesetzliche Regelung garantiert ist. Alle Beispiele von Inflation
Targeting Länder, die gleichzeitig der Gruppe der Emerging Markets angehören, haben die
Unabhängigkeit in der Instrumentenwahl in ihre Zentralbankverfassungen mit einbezogen.
In den Ländern die Inflation Targeting betreiben, variieren die Zentralbankverfassungen in
den Einzelheiten, die die genauen Bestimmung im Hinblick auf die Detailliertheit des
Inflationszieles, genauer gesagt auf quantitative Größe des Zieles und den Konsequenzen
bei Nichterreichen des Zieles. Zwischen den Ländern gibt es auch Unterschiede in der
Gewichtung der Preisstabilität. In einen Inflation Targeting System muss die Gewichtung
einzig auf der Erreichung des Inflationszieles liegen, alle weiteren Ziele der
Wirtschaftspolitik sind diesem Ziel untergeordnet. Preisstabilität hat in den meisten
Industrieländern heute eine übergeordnete Stellung, die EWU stellt in diesem
Zusammenhang keine Ausnahme, denn hier ist Preisstabilität eine der beiden Säulen der
Geldpolitik der EZB.
Tabelle 1: Merkmale der Zentralbankverfassung von Inflation Targeting Länder
In den Emerging Market Ländern, die Inflation Targeting betreiben, ist Preisstabilität nur
so weit in der Zentralbankverfassung festgeschrieben, wie eine Stabilisierung der
einheimischen Währung überhaupt möglich ist. In diesen Ländern heißt es meistens, dass
der Wert der einheimheimischen Währung stabilisiert werden soll. Die Stabilisierung der
einheimischen Währung ermöglicht es, eine gewisse Preisstabilität und gleichzeitig eine
Wechselkursstabilität zu gewährleisten. Diese Rolle sollten zuvor andere
Das Konzept des Inflation Targeting 9
Die Inflationsziele der einzelnen Länder, kann man nicht pauschalisieren. Sie sind
vielmehr von den spezifischen Faktoren der Volkswirtschaften abhängig. Jedes Land hat
eine andere Geschichte, wie sie in der Vergangenheit mit Schocks umgegangen ist, eine
andere Stufe der Glaubwürdigkeit der Zentralbank und die Informationslage ist von Land
zu Land unterschiedlich. Die eigentliche Zielsetzung der Inflationsrate – durch wen sie
angekündigt wird, wie ihr zeitlicher Horizont ist, an welchem Preisindex sie überhaupt
gemessen wird und welche Ausstiegsklauseln es für die Zentralbank gibt – muss auf
Grundlage der spezifischen Faktoren des jeweiligen Landes getroffen werden.
Laut Mishkin und Savastano muss das Inflationsziel öffentlich bekannt gemacht werden.
Das Inflationsziel kann entweder durch die Regierung, durch die Zentralbank oder durch
beide zusammen bekannt gemacht werden. Eine Veröffentlichung durch die Regierung
könnte die Glaubwürdigkeit gegebenenfalls erhöhen, da sie die Erreichung des Zieles mit
z.B. fiskalpolitischen Maßnahmen unterstützen kann. Regierungen planen jedoch
kurzfristiger und bevorzugen daher ein Inflationsziel, das oberhalb der optimalen
langfristigen Inflationsrate liegt. Um das zu verhindern, muss eine unabhängige
Das Konzept des Inflation Targeting 10
Zentralbank bei der Veröffentlichung oder zumindest bei der Diskussion über die Inflation
beteiligt sein.
Bei Inflation Targeting ist ein bestimmtes Niveau der Inflationsrate das langfristige Ziel.7
Das Inflationsziel kann für mehrere Jahre veröffentlicht werden. Die Länge des
Zeithorizontes der kurzfristigen Ziele begründet sich auf die Wirkungsdauer von
geldpolitischen Maßnahmen, die durch die verschieden Transmissionsmechanismen
bedingt sind (siehe Kap.II.5.2). Genauer gesagt ist der Zeithorizont durch die Periode
definiert, in der die Zentralbank das vorgegebene Ziel erreichen will. Ein auf eine längere
Frist festgelegtes Inflationsziel (z.B. ein jährliches Ziel, welches jedoch für mehrere Jahre
in die Zukunft festgelegt ist oder ein wirklich langfristiges Ziel) bietet mehr Freiraum, um
auf Schocks zu reagieren und stabilisiert eher die Inflationserwartungen. Bei einem
kurzfristigen Inflationsziel könnte es eher zu einem übermäßigen Gebrauch der
geldpolitischen Instrumente kommen, wenn deren Wirkungsdauer länger ist als der
eigentliche Inflationszielzeitraum.
Ländern, die Inflationsraten haben, die über der Preisstabilität liegen, hilft jedoch eine
kurzfristige Zielsetzung, um den Pfad der Desinflation zu beschleunigen und zu steuern.
Diesen Weg gehen einige Emerging Market Länder, die zu ihrem langfristigen Ziel der
Preisstabilität, jährliche Inflationsziele bekannt geben, um die Desinflation voranzutreiben.
Die jährlichen Ziele können entweder Jahr für Jahr oder für mehrere Jahre im voraus
bekannt gegeben werden. An den vorgegebenen Inflationszielen muss sich die Zentralbank
dann messen lassen, ob und wie sie den Pfad eingehalten hat. Das Inflationsziel, bzw. der
Pfad der Desinflation wird in Veröffentlichungen der Zentralbank oder der geldpolitischen
Institutionen – ein Inflationsreport oder ein Bericht über die Geldpolitik – mit der
empirischen Entwicklung der Inflation verglichen. In dem Fall, in dem das Inflationsziel
nicht erreicht wird, kann und muss die Öffentlichkeit Erklärungsversuche von der
Zentralbank verlangen, die die Gründe für das Nichterreichen des Zieles erläutern und die
die nun zu treffenden Maßnahmen präsentieren, um auf den vorgegebenen Pfad wieder
zurückzukehren. Für die Öffentlichkeit ist es relativ einfach, die Einhaltung des
Inflationszieles zu überwachen.
Ein weiteres institutionelles Merkmal von Inflation Targeting ist die Wahl eines
verbindlichen Preisindexes, mit dem die Inflationsrate gemessen wird und auf das sich das
Inflationsziel bezieht. Die einzige funktionsfähige Alternative, die bei der Wahl bleibt, ist
der Verbraucherpreisindex (VPI), da er der aktualisierteste Index ist.8 Er hat weiterhin den
7
Zu der Diskussion, ob es besser ist ein Preisniveauziel oder ein Inflationsziel zu installieren siehe Bernake
et al. (1999), S. 30.
8
Eine Alternative wäre die Deflationsrate des BIP, die sämtliche Produktpreise beinhaltet, die in einer
Volkswirtschaft produziert werden. Die Deflationsrate ist jedoch nicht immer aktuell und oft Korrekturen
Das Konzept des Inflation Targeting 11
Vorteil relativ einfach durch die Öffentlichkeit verstanden zu werden und es ist weit
schwieriger für die Zentralbank, diesen Wert zu manipulieren. Einige Schwellenländer
hatten in der Vergangenheit ein großes Problem mit der Indexierung.
Der VPI beinhaltet jedoch oft Komponente, die nicht unter der Kontrolle der Zentralbank
stehen (wie z.B. die Handelsbilanz und die administrativen Preise).9 Um diesem Problem
entgegen zu wirken, kann man einen spezifischen VPI verwenden, der einige oder alle
dieser Elemente nicht berücksichtigt. Die Messung und die Veröffentlichung des VPI
durch eine unabhängige, z.B. durch die nationale Statistikbehörde, führt zu einer Erhöhung
der Transparenz und der Glaubwürdigkeit, da sie eine Manipulation im Sinne der
Zentralbank verhindert. Bei der Messung des VPI kann man entweder einen nationalen
Wert betrachten oder sich auf bestimmte Regionen, wie z.B. Ballungsräume beschränken.
Ausstiegsklauseln sind ein heikles Thema in Bezug zur Glaubwürdigkeit. Sie bieten zwar
die Möglichkeit unter bestimmten Bedingungen ein Nichterreichen des Inflationsziele zu
tolerieren und ermöglichen dadurch mehr Flexibilität, mehr Diskretion in den
geldpolitischen Maßnahmen, wirken sich aber negativ auf die Glaubwürdigkeit aus. Die
Ausstiegsklauseln definieren die Bedingungen unter denen das Inflationsziel verfehlt
werden darf und veranlassen die Zentralbank, den zeitlichen Rahmen ihrer Handlungen zu
überarbeiten oder ein neues Ziel zu veröffentlichen. Die Möglichkeiten diskretionär zu
handeln werden erhöht, da die Regelbindung durch das Inflationsziel unter Umständen
nicht eingehalten werden muss. Ein häufiger Gebrauch dieser Ausstiegsklausel würde die
Verantwortlichkeit der Zentralbank im Hinblick auf die Einhaltung des gegebenen Zieles
untergraben und somit die Glaubwürdigkeit des Inflation Targeting Konzeptes schädigen.10
Genau wie bei der Wahl des Zielhorizonts und des numerischen Wertes des Zieles, hat die
Zentralbank einen diskretionären Handlungsspielraum, ob sie das Ziel als ein Punktziel
bekannt gibt oder als Zielspanne. Die Implikationen dieser Wahl werden immer noch sehr
diskutiert, vor allen Dingen im Hinblick auf die Inflationserwartungen und die Reaktionen
bei Nichterreichen des Zieles. Bei der Wahl Zielspanne spielt die Größe dieser Spanne eine
entscheidende Rolle. Im Falle einer engen Spanne ist das Versprechen der Zentralbank das
Ziel zu erreichen strenger, als mit einer weiteren Spanne. Jedoch mindert es im Falle von
unerwarteten Schocks den Handlungsspielraum der Zentralbank, das enge Ziel zu
erreichen. Die unvermeidbaren Fehler, die durch die Kontrolle der Inflation entstehen,
könnten die Inflationsrate aus der Zielspanne treiben, trotz bester Anstrengungen der
Zentralbank.11 Hinzu kommt, dass ein Verfehlen einer Zielspanne mehr Verlust an
unterworfen, die die Glaubwürdigkeit und Transparenz untergraben. Vgl. Schaechter et al. (2000), S. 9.
9
Vgl. Schaechter et al. (2000), S. 9.
10
Vgl. Schaechter et al. (2000), S. 10.
11
Vgl. Bernake et al. (1999), S. 32.
Das Konzept des Inflation Targeting 12
Glaubwürdigkeit mit sich bringt als das Verfehlen eines Zielpunktes. Die Größe der
Zielspanne zeigt also im voraus an, inwieweit die Zentralbank Fluktuationen der
Inflationsrate um das Zentrum toleriert.
„To provide clear guidance for inflation expectations, most central banks
have set either point targets or narrow target ranges of two percentage
points or less. These arrangements are favored by industrial an emerging
market economies alike.”12
Die Frage bleibt, ob die Unsicherheit in Bezug auf die Inflation unter Inflation Targeting
auch in Zukunft so groß sein wird wie bisher. Die Zentralbank muss hart arbeiten, um die
gesteckten Ziele zu erfüllen, doch die Möglichkeiten der Vorhersage und Kontrolle der
Inflation werden sich mit der Zeit verbessern.
Für eine Volkswirtschaft, die sich für Inflation Targeting entschieden hat, ist das Maß der
Glaubwürdigkeit der Faktor, der den Erfolg oder Misserfolg des monetären Regimes
bestimmt. Die Öffentlichkeit muss dem monetären Regime Vertrauen schenken und
glauben, dass die wirtschaftspolitischen Institutionen die monetären Ziele einhalten.
Glaubwürdigkeit wird durch verschiedene Aspekte gefördert. Transparenz der Geldpolitik,
Verantwortlichkeit der Zentralbank und Kontinuität einer bewährten monetären
Konzeption tragen zu einer gesteigerten Glaubwürdigkeit bei.13
Die Arbeit der Zentralbank muss transparent sein. Die Schwierigkeit Glaubwürdigkeit zu
verstärken, liegt an den lags zwischen den monetären Maßnahmen und deren Auswirkung
auf die Inflation, die eine befriedigende Überwachung der monetären Ziele erschweren.
Hier werden die Vorteile eines Wechselkursregime oder eines Geldmengen-
steuerungsregime deutlich, die eine bessere Überwachung der Einhaltung der monetären
Ziele zulassen.
In einem Inflation Targeting Regime veröffentlicht die Zentralbank regelmäßig einen
Bericht. Hier nimmt die Zentralbank zu der Inflationsentwicklung Stellung, verteidigt ihre
monetären Handlungen und gibt eine Prognose über die zukünftige Inflationsrate. Diese
Berichte werden in Papierform veröffentlich und sind auch oft im Internet auf dem
Homepages der Zentralbank erhältlich. Die Veröffentlichungen finden in den Inflation
Targeting Ländern zwischen zwei bis vier Mal im Jahr statt.14 Aber nicht nur diese
Berichte helfen bei der Erhöhung der Transparenz. Zu dem veröffentlichen die
12
Schaechter et al. (2000), S. 11. Eine Ausnahme bildet unter anderen Brasilien. Brasilien hat eine weitere
Zielspanne eingeführt, um die Element des Preisindexes zu kompensieren, die äußerst volatil sind und nicht
unter dem Einfluss der Zentralbank stehen.
13
Vgl. Jarchow (1998), S. 336f.
14
Für eine ausführlichere Beschreibung der Berichte der Zentralbanken siehe Schaechter et al. (2000),
S. 11 ff.
Das Konzept des Inflation Targeting 13
II.5.1 Inflationsprognosen
Inflationsprognosen spielen eine entscheidende Rolle bei der Gestaltung der Geldpolitik in
einem Inflation Targeting System. Der Grund hierfür ist die Zeitspanne, in der eine
geldpolitische Handlung sich in der Inflationsrate widerspiegelt. Für Emerging Market
Länder stellt dies eine größere Herausforderung dar, da sie sich weder auf
vertrauenswürdige statistische Daten, noch auf die strukturelle Konstanz ihrer
Volkswirtschaft, die besonders anfällig ist für externe Schocks, verlassen können.
Die Inflationsindikatoren ähneln sich in allen Inflation Targeting Ländern. So ein Indikator
bezieht sich auf die empirischen Daten, um eine nützliche Signalwirkung haben zu können,
die zukünftige Inflationsrate zu prognostizieren. Zu den Inflationsindikatoren gehören die
aggregierte Nachfrage, Angebotsvariablen, Geldmengen, Veränderungen der Zinsrate und
15
Vgl. Schaechter et al. (2000), S. 21.
Das Konzept des Inflation Targeting 15
spielen zusätzlich eine wichtige Rolle bei der Transparenz, da sie die Inflationsprognosen
und die geldpolitischen Handlungen untermauern.
Die Modelle, die einen zeitlichen Rahmen berücksichtigen, vervollständigen diese
Modellsammlung. Hierunter fallen Modelle, die sich nur auf eine Variable beziehen, und
Modelle mit einem mehrvariablen Ansatz (z.B. vector autoregression models,
VAR-Modelle).
Inflation targeting central banks typically first analyze the output from their
economic models and other assorted inflation indicators, and then apply
judgment based on qualitative information gathered from their contacts in
all sectors of the economy to arrive at a view regarding the appropriate
stance for monetary policy.20
Zusammenfassend kann man sagen, dass eine Inflationsprognose aufgrund verschiedener
Elemente getroffen wird. Zu diesen Elementen gehören die Inflationsindikatoren,
quantitative ökonomische Modelle und eine qualifizierte Beurteilung.
Die wissenschaftlich ökonomische Forschung hat sich, sowohl aus theoretischer Sicht als
auch aus empirischer Sicht, mit dem Prozessen beschäftigt, über die die Zentralbank in der
Lage ist, die Inflationsrate zu beeinflussen. Abbildung 1 veranschaulicht die Mechanismen,
die der Zentralbank zur Verfügung stehen, den Verlauf der Inflation zu steuern.
21
Der geldpolitischen Institution stehen zwei Wege zur Verfügung. Sie kann über den
kurzfristigen Zins oder die Erwartungen Einfluss nehmen. Die Zinsen kann die
Zentralbank direkt beeinflussen – so wie auch Brasilien handelt – oder durch indirekte
Maßnahmen – wie z.B. Mexiko –. Beide der Varianten haben Vor- und Nachteile, die aber
nur im Rahmen der Fallbeispiele näher betrachtet werden.
Wie in der Abbildung 1 verdeutlicht wird, können geldpolitischen Maßnahmen die Zinsen
und die Erwartungen beeinflussen. Bei der Veränderung der einen Größe kommt es zu
einer Wechselwirkung zwischen den beiden, die den Effekt der monetären Maßnahme
verstärken kann. Bei der folgenden Entwicklung gibt es zwei Wege. Der eine, der direkte
Weg ist nur möglich, wenn die Zentralbank über ausreichend Glaubwürdigkeit verfügt.
Alle Agenten der Volkswirtschaft müssen darauf vertrauen, dass die Zentralbank ihre Ziele
erreicht, und sie müssen auf dieser Grundlage ihre Entscheidungen treffen. In diesem Fall
wäre die erwartete Inflation die Zielinflation und die tatsächliche Inflation. Das hätte
weiter zur Folge, dass die Zentralbank keine weiteren Maßname treffen muss, um die
20
Schaechter et al. (2000), S. 22.
21
Das Folgende nach Martínez, L., Sánchez, O., Werner, A., Consideraciones sobre la Conducción de la
Política Monetaria y el Mecanismo de Transmisión en México, Banco de México, Documento de
Investigación No. 2001-02, März 2001, S. 34 ff.
Das Konzept des Inflation Targeting 17
Inflation in ihren vorgegebenen Rahmen zu halten. Jedoch braucht dieses Vorgehen ein
große Maß an Reputation der Zentralbank, die jedoch in Ländern mit einer Vergangenheit
mit hohen Inflationsraten, die zuerst ökonomische Stabilität erreichen wollen, schwer zu
erreichen. Dieser Fall hat zur Folge, dass die Erwartung über dem Inflationsziel liegt und
entsprechende monetäre Maßnahmen getroffen werden müssen, um einen Pfad der
Desinflation zu beschreiten. Dieser zweite Fall ist ein indirekter Weg, um die Inflation zu
kontrollieren, der sich wiederum in verschiede Kanäle aufteilt.
Abbildung 1: Transmissionsmechanismen
Geldpolitische Maßnahmen
Erwartungen Zinssatz
Kapitalverkehr Investition
Konsum
Wechselkurs
Offene Neoklassisch (IS-
Volks- LM)
wirtschaft Kapitalverkehr Kreditkanal
INFLATION
Eine Veränderung der Zinsrate beeinflusst die Inflation über zwei Hauptkanäle. Der erste
Kanal entsteht aus dem Einfluss der Ausgaben in der Volkswirtschaft, der wiederum in
drei Unterkanäle eingeteilt werden kann. In erster Linie gibt es den Kanal über die
aggregierte Nachfrage. Dieser Kanal wird mit der IS-LM-Modell beschrieben. Eine
Erhöhung der Zinsen hat eine Erhöhung der Ersparnis zur Folge. Die Nachfrage nimmt ab
und dadurch der Druck auf die Güterpreise und im letzten Schritt der auf die Inflation.
An zweiter Stelle steht der Kreditkanal. Dieser wird durch die Fehlbarkeit des
Kreditmarktes begünstigt, der es ermöglicht, dass eine Erhöhung der Zinsen, ein
Reduzierung des Kreditangebots zur Folge hat.22
22
Diesem erstaunlichen Effekt hat sich mittlerweile viel Literatur gewidmet. Die erste Formulierung und
theoretischen Analyse veröffentlichten Bernanke und Blinder in: „Credit, Money and Aggregate Demand“,
American Economic Review, Mai 1988, S. 435-439.
Das Konzept des Inflation Targeting 18
Der zweite wichtige Kanal geht über den Wechselkurs. Dies kann jedoch nur in einer
offenen Volkswirtschaft, mit freiem Güter- und Kapitalmarkt, funktionieren. Eine
Erhöhung der Zinsen führt zu einer erhöhten Investition in inländischen Bonds, die eine
Zunahme an Kapitalverkehr in Richtung des Landes zur Folge hat. Das mehr an Kapital
führt in einer Volkswirtschaft mit einem flexiblen Wechselkurs zu einer Aufwertung des
Wechselkurses. Diese führt in Ländern mit einer schwachen Einfluss auf den
internationalen Märkten, zu einer Reduktion der heimischen Preise auf handelbare Güter.
Ein Substitutionseffekt in der Produktion wäre die weitere Folge.
In Emerging Market Länder sind die Kanäle und deren Wirkungsdauer schwammiger. Die
Transmissionsmechanismen sind durch Preise, die nicht so leicht fallen, und einem
geringeren pass-through-Koeffizienten, von einer Wechselkursveränderung zu einer
Inflationsveränderung gekennzeichnet. Diese Charaktereigenschaften hängen mit den
höheren Inflationsraten in der Vergangenheit der Länder zusammen. Zudem können durch
ein nicht gut ausgebildetes Finanzsystem die Transmissionskanäle negativ beeinflusst
werden.
Im Hinblick auf Emerging Market Länder, ist die Vorgehensweise beim Übergang zu
einem freien Wechselkurssystem unter einem Inflation Targeting System von größerer
Bedeutung als bei Industrieländer, da die Ausgangsposition meist aus einer gescheiterten
Geldpolitik entstanden ist. Diese Länder stehen vor dem Problem der geringeren
Glaubwürdigkeit, da die vergangene Geldpolitik höhere Inflationsraten zur Folge hatte. Zu
diesem Thema gibt es bisher wenige Forschungsarbeiten, hauptsächlich nur deskriptive
Länderbeispiele, aus denen noch keine „Gebrauchsanweisung für Emerging Market
Länder“ entstanden ist.
Das kurzfristige Ziel der geldpolitischen Instrumente ist in allen Inflation Targeting
Ländern ein Zinsziel. In den meisten Ländern handelt es sich um den overnight Zinssatz. In
einigen Ländern besteht dieses Ziel aus einem Bündel aus einem Zinsziel und einem
Wechselkursziel. Über eine Veränderung in den kurzfristigen Zielen, verändert sich die
Inflationsrate über die geldpolitischen Transmissionsmechanismen.
Alle Inflation Targeting Zentralbanken verwenden im Markt basierende geldpolitische
Instrumente, um das kurzfristige Ziel in die gewünschten Richtung zu lenken. Zu diesen
Instrumenten gehören in erster Linie die Offenmarktpolitik. Durch dieses Instrument kann
die Zentralbank sowohl das Zinsniveau, als auch die Zentralbankgeldversorgung
(Liquidität) am Markt zielunterstützend steuern. Der Vorteil der Offenmarktpolitik liegt an
Das Konzept des Inflation Targeting 19
der Schnelligkeit, mit der inflationären Schocks entgegengewirkt werden kann. Dieser
Vorteil führt dazu, dass marktorientierte Instrument extrem nützlich sind für eine
Geldpolitik in einem Inflation Targeting System.
II.6 Bewertung
Seit mehr als zehn Jahren wird das Inflation Targeting Konzept in Industrieländern
erfolgreich gestestet. Das hat dazu geführt, dass auch Emerging Market Ländern diese
geldpolitische Strategie übernommen haben. Der Frage, ob Inflation Targeting auch in
Schwellenländern erfolgreich ist, wird in den nächsten zwei Kapiteln mit den
Länderbeispielen von Mexiko und Brasilien genauer untersucht.
Bereits in der Einführung wurden die Vorteile des Inflation Targeting Konzeptes
herausgearbeitet. Unter anderem wird Unabhängigkeit der Zentralbank durch dieses
Konzept gestärkt, da Inflation Targeting genau die benötigt. Weiterhin kommt es zu einer
Stärkung der Glaubwürdigkeit und Transparenz und zu einer Verbesserung der
Kommunikation zwischen Zentralbank und den Wirtschaftssubjekten.
Inflation Targeting setzt genau an der ökonomischen Variable an, die entscheidend die
wirtschaftliche Entwicklung mitbestimmt: die Inflation. Wenn man sich in einer
Volkswirtschaft für ein System mit flexiblen Wechselkursen entscheidet, ist eine niedrige
Inflationsrate wichtig für die Stabilität. Neben dem konsequenten Verfolgen eines
langfristigen Zieles – z.B. Preisstabilität – lässt das Inflation Targeting Konzept es zu, in
den entscheidenden Situationen diskretionär zu handeln. Gleichzeitig lässt sich so eine
gewisse Stabilität der heimischen Währung gewährleisten.
Mexiko 20
III. Mexiko
Mexiko war schon immer eine der bedeutendsten Volkswirtschaften Lateinamerikas. In
den letzten Jahrezehnte hat sie durch die Öffnung ihrer Märkte noch an Bedeutung
gewonnen. 1995 ist man der NAFTA (North Atlantic Free Trade Agreement) beigetreten.
Das unterstreicht die starken Handelsbeziehungen zu den Vereinigten Staaten. Die NAFTA
ist eine Freihandelszone zwischen Mexiko, den USA und Kanada.
Durch die Abhängigkeit von der USA hatte man bis in die neunziger Jahre hinein eine
US$-Bindung als nationalen Wechselkursanker. Dieses crawling peg hielt bis Ende des
Jahres 1994. In diesem Jahr jedoch kam es zu einer schweren Krise, die nicht nur ihre
Auswirkungen in Mexiko, sondern als Tequila-Krise in ganz Lateinamerika Konsequenzen
nach sich zog. Die mexikanische Krise von 1994/95 führte zu einer massiven Kapitalflucht
aus den lateinamerikanischen Ländern, die zum Teil Zahlungsschwierigkeiten hatten.
Zusammen mit Mexiko hatte mehrere lateinamerikanischen Ländern große Probleme die
Krise zu überwinden.
Mexiko stand Anfang 1995 vor unmittelbaren Problemen, wie hohen Inflationsraten und
das Bestreben des Aufrechterhaltens der Zahlungsfähigkeit. Jedoch bestanden in Mexiko
auch längerfristige Probleme. Wie sollte man die Volkswirtschaft endlich stabilisieren?
Der Versuch dies durch ein crawling peg und eine Dollarbindung zu erreichen, war
fehlgeschlagen. Ende des Jahres 1994 musste die Zentralbank dieses System aufgeben und
den Wechselkurs alternativlos freilassen. Ein flexibler Wechselkurs bedingt jedoch eine
starke eigenständige Geldpolitik. Der nominal Anker der Volkswirtschaft, der im festen
Wechselkurs bestand hatte, ist weggefallen.
Mexiko hat in den ersten Jahren nach er Krise ein managed floating betrieben. Die
mexikanische Zentralbank (Banco de México) ist jedoch in den vergangenen Jahren mehr
und mehr dazu übergegangen, ein transparenteres geldpolitisches System zu installieren.
Die jährlich bekannt gegeben Inflationszielen nehmen mittlerweile die Funktion an, als
nominaler Anker der Volkswirtschaft zu dienen. Auch in institutionellen und
operationellen Bereich hat sich einiges getan, so dass man sagen kann, dass sich Mexiko in
der Übergangsphase zu einen eindeutigen Inflation Targeting System ist.
Mexiko 21
Mit der Krise von 1994/95 kamen in Mexiko die hohen Inflationsraten zurück. Ende des
Jahres 1995 stieg die Inflation bis auf über 50%. Das hatte schwere Auswirkungen auf die
Glaubwürdigkeit der Zentralbank im Hinblick auf die Fähigkeit überhaupt Geldpolitik zu
betreiben.
Doch eine eigenständige Geldpolitik wurde nach dem Freilassen des Wechselkurses seit
Anfang 1995 dringend gebraucht. Die Geldpolitik musste sich zuerst um die schweren
Folgen der Krise kümmern. Die Inflationsrate musste gesenkt werden. Auch der
Wechselkurs stellt die Zentralbank nun vor neuen Herausforderungen. Der US$ stieg mit
der Freilassung des mexikanischen Peso auf über M$ 5. Die Banco de México hatte die
Aufgabe den Abwertungsdruck auf den Peso zu entschärfen. Jedoch musste die
Wirtschaftspolitik an einem Strang ziehen, um die Krise zu meistern.
Im Dezember des Jahres 1994 konnte die mexikanische Zentralbank die vorgegebene
Bindung mit dem U.S. Dollar nicht mehr verteidigen und entschied sich daher den
Wechselkurs des Peso freizugeben. Der Wechselkurs wurde als nominaler Anker der
Volkswirtschaft aufgegeben. Das hatte zur Folge, dass es zu einer Abwertung des Pesos
kam und die Zentralbank viel ihrer Glaubwürdigkeit einbüßte.
Es wurde schnell klar, dass die Krise drei konzeptionelle Ebenen aufwies. Die erste belegte
ein großes Handelsdefizit, welches durch kurzfristige Kapitalanleihen finanziert worden
war. Der zweite Aspekt der Krise waren die mexikanischen Auslandsschulden, sowohl im
öffentlichen als auch im privaten Sektor. Der mexikanische Staat stand kurz vor einer
absoluten Zahlungsunfähigkeit. In der dritten Ebene begann die aufkommende
Bankenkrise unmittelbare Handlungen nötig zu machen, um einen Kollaps des
Bankensystems und des gesamten makroökonomischen Systems zu verhindern.23
Die politischen Reaktionen auf diese Krise mussten nicht nur die Überausgaben der
Wirtschaft mindern, sondern auch genug Vertrauen in der Öffentlichkeit schaffen, um die
Panik zu stoppen und das Vertrauen in die mexikanischen Werte, sowohl externe als auch
interne, wiederherstellen. Mexiko musste also gänzlich seinen finanziellen Verpflichtungen
nachkommen und in der gleichen Zeit ein konsistentes Paket von politischen Maßnahmen
schnüren.
23
Carstens, A.G., Werner, A.M., Mexico’s Monetary Framework under a Floating Exchange Rate Regime,
Documento de Investigación No. 9905, Banco de México, Mai 1999, S. 7.
Mexiko 22
Trotz der starken Kritik, musste die Zentralbank weiter handeln. Im Laufe des Jahres 1995
kam sie der Notwendigkeit nach, ein nominalen Anker der Volkswirtschaft zu etablieren.
Sie führte ein Beschränkung des Wachstums der internen Nettokredite der
Banco de México (BM) ein, die aus dem Wachstum der Geldnachfrage und der Nicht-
Akkumulation von internationalen Reserven abgeleitete wurde. Jedoch wurden diese
Beschränkungen nicht als Zwischenziele etabliert, sondern nur wie Regeln gebraucht. Die
BM wusste, das sie trotz der Glaubwürdigkeitskrise ein offensichtliches monetäres Ziel in
ihrem institutionellen Rahmen aufnehmen musste.24
Eine geldpolitische Steuerung über die kurzfristigen Zinses erschien der Zentralbank im
Jahr 1995 zu risikoreich, da eine große Unsicherheit der zukünftigen Entwicklung der
mexikanischen Volkswirtschaft bestand. Die Zentralbank ließ sowohl den Wechselkurs, als
auch das Zinsniveau sich durch den Markt bestimmen. Jedoch betrieb die Zentralbank ein
managed floating, da die oft auf dem „Geldmarkt“ intervenierte.
Abbildung 2: Inflationsrate in Mexiko (in % über die letzten 12 Monate)
60
50
40
in %
30
20
10
0
1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001
Nach der Abwertung des mexikanischen Pesos stand die mexikanische Wirtschaftspolitik
vor drei Herausforderungen:
i) Der Lenkung einer makroökonomischen Anpassung als Reaktion auf den
erheblichen Rückgang des ausländischen Kapitals
ii) Der Refinanzierung der öffentlichen U.S. Dollar-Schulden (ca. 30
Milliarden U.S. Dollar)
24
Vgl. Martínez et al. (2001), S. 4.
Mexiko 23
25
Vgl. Carstens, A.G., Werner, A.M., Mexico’s Monetary Framework under a Floating Exchange Rate
Regime, Documento de Investigación No. 9905, Banco de México, Mai 1999, S. 8.
26
Vgl. Martínez et al. (2001), S. 6.
27
Carstens, A.G., Werner, A.M., Mexico’s Monetary Framework under a Floating Exchange Rate Regime,
Documento de Investigación No. 9905, Banco de México, Mai 1999, S. 10.
Mexiko 24
Für die erste Zeit nach der Krise kann man sagen, dass der Schlüssel für die
Revitalisierung der mexikanischen Wirtschaft die relativ schnelle Stabilisierung der
nominalen Variablen war, was mit einen konsistenten makroökonomischen Programm
geschafft worden war.
Abbildung 3: Wechselkurs M$-US$ von 1994-2002
12
10
8
Pesos in US-$
2
03.07.1994
03.01.1995
03.04.1995
03.10.1995
03.01.1996
03.07.1996
03.04.1997
03.07.1997
03.01.1998
03.04.1998
03.10.1998
03.07.1999
03.04.2000
03.10.2000
03.01.2001
03.10.2001
0
03.01.1994
03.04.1994
03.10.1994
03.07.1995
03.04.1996
03.10.1996
03.01.1997
03.10.1997
03.07.1998
03.01.1999
03.04.1999
03.10.1999
03.01.2000
03.07.2000
03.04.2001
03.07.2001
03.01.2002
03.04.2002
28
Carstens, A.G., Werner, A.M., Mexico’s Monetary Framework under a Floating Exchange Rate Regime,
Documento de Investigación No. 9905, Banco de México, Mai 1999, S. 11.
29
Carstens, A.G., Werner, A.M., Mexico’s Monetary Framework under a Floating Exchange Rate Regime,
Documento de Investigación No. 9905, Banco de México, Mai 1999, S. 13.
Mexiko 25
Für die Geldpolitik gab es nach 1995 dennoch weitere Probleme, die gelöst werden
mussten. Die Glaubwürdigkeit der Zentralbank war anschlagen. Dieser Verlust an
Glaubwürdigkeit passierte durch die Abwertung des Pesos und die Rückkehr zu einem
Umfeld der hohen Inflation im Jahre 1995. In diesem Zusammenhang sind zwei
Kritikpunkte an der Zentralbank entscheidend: einmal die fehlende Transparenz in ihren
Handlungen und die Nichtverbreitung von gewissen Informationen und zweitens die
fehlende Fähigkeit vor, während und nach der Krise die Geldpolitik entscheidend zu
straffen.
Um ihre Glaubwürdigkeit zu erhöhen, führte die Banco de México ein oberes
mittelfristiges Geldmengenziel ein, publizierte nun den monatlichen Bericht über die
Entwicklung der inländischen Nettokreditvergabe. In der Folgezeit war dieses sehr
einfache und intuitive geldpolitische Programm nicht ausreichend, um weder die
Inflationserwartungen zu stabilisieren noch die eigentliche Inflation. Anfang 1995
scheiterte diese regel-gebundene Geldpolitik aufgrund mehrerer Faktoren:
• Schon während der Krise war die Umlaufgeschwindigkeit des Geldes sehr instabil,
was zu einen ebenfalls instabilen Verhältnis zwischen der Geldmenge und der
Inflation führte.
• Mit der Geldmengenregel war es nicht möglich, weder die plötzlichen
Wechselkursverluste zu verhindern, noch nachhaltig die Inflationserwartungen zu
beeinflussen und somit das Preisniveau.
• In der kurzen Frist hatte die mexikanische Zentralbank kaum einen Einfluss auf die
Geldmenge, da diese hier nur durch die Geldnachfrage verändert wurde.30
In ersten Halbjahr 1995 kam es zu einer deutlichen Abwertung des Reals. Der Wechselkurs
fiel von M$ 5 auf über M$ 7 für einen US$. Nur mit diskretionären Maßnahmen, mit der
Unterstützung des IWF konnte diese Abwertung gestoppt werden. Der Wechselkurs sank
wieder auf um die M$ 6.31 Dieses erfolgreiche Eingreifen verhinderte einen Kollaps der
ökonomischen Aktivitäten und einen weitere Verunsicherung im Bankensektor. Die
Abwertung des Pesos war mit der einfachen, regel-gebundenen Strategie nicht zu
verhindern gewesen. Die mexikanische Zentralbank entschloss sich, die monetäre Strategie
von einer, auf quantitativen Zielen in der Geldmenge beruhende, hin zu einer Strategie zu
verändern, in der eine Regelbindung (Entwicklung der Geldmenge) mit Diskretion
(Beeinflussung der Zinsen) verbunden werden. Um wirklich diskretionär handeln zu
30
Vgl. Carstens, A.G., Werner, A.M., Mexico’s Monetary Framework under a Floating Exchange Rate
Regime, Documento de Investigación No. 9905, Banco de México, Mai 1999, S. 14.
31
Vgl. Abbildung 3.
Mexiko 26
können, ohne den Aspekt der Transparenz zu vernachlässigen, errichtete die BM ein neues
Mindestreservesystem, das sogenannte encaje de promedio cero und Régimen de Saldos
Acumulados. Es handelt sich um ein System, das die Mindestreserve durchschnittlich bei
Null hält. Um die Nachfrage nach Bargeld einhalten zu können, bietet die Zentralbank in
täglichen Auktionen Kredite an. Der Saldo Acumulado de los saldos diarios (SA) ist die
Bilanz dieser täglichen Umsätze der Zentralbank. Die Summe der Kredite, die täglich
versteigert werden, wird zuvor von der BM festgelegt.
Wenn der SA gleich null ist, unterstreicht das die Intention der Zentralbank, die
Geldnachfrage zufrieden zu stellen. Die BM betreibt dann eine neutrale Geldpolitik. Ist der
SA negativ, das heißt zu klein32, zeigt das die Intention der Zentralbank, die nötigen
Rücklagen nicht zum gültigen Marktzinssatz zu anzubieten. In diesem Fall muss zumindest
ein Kreditinstitut, um die Nachfrage zu stillen, einen Strafzinssatz bezahlen, der doppelt so
hoch ist, wie der aktuelle Zinssatz. Die BM kommt ein beiden Fällen zwar der Nachfrage
nach, dennoch wird im zweiten Fall ein Teil der Kredite zu einem höheren Zins vergeben.
Das führt dazu, das Druck auf das Zinsniveau aufgebaut wird. Der corto impliziert für das
Banksystem nicht zu umgehende Kosten. Unter diesen Umständen ist die rationale
Reaktion der Banken, die Zinsrate auf das geglaubte Zielniveau der Zentralbank steigen
zulassen. Genau das passiert, wenn die BM einen corto einführt. Es handelt sich um eine
indirekte Kontrolle der Zinsen.
Die mexikanische Geldpolitik hat sich dahin verändert, das man für das seit 1996
zutreffende Programm drei Hauptelemente aufstellen kann:
1) Ein jährlich bekannt gegebenes Inflationsziel.
2) Regeln, die durch das Verhalten der Geldmenge definiert werden, zusammen mit
der quantitativen Verpflichtung der Akkumulation von nominalen internationalen
Reserven und der Veränderung der inländischen Nettokredite.
3) Das letzte Element ist das, das sich die mexikanische Zentralbank das Recht
vorbehält, in den Fällen, wo sie es für angebracht hält, auch diskretionäre
Maßnahmen durchzuführen.33
Für die Jahre 1996 und 1997 legte die mexikanische Zentralbank die Inflationsziele auf
20,5%, resp. 15% fest. In diesen ersten Jahren nach der Krise orientierte sich die Banco de
México, mit Hilfe von diskretionären Maßnahmen und dem corto, daran, die
Stabilitätskonditionen auf dem Finanzmarkt wiederherzustellen. Sobald der corto wieder
null ist, übernimmt das Inflationsziel die Rolle, die Erwartungen der Öffentlichkeit zu
32
Im Spanischen wird dise Situation corto genannt, so auch im Folgenden. Der gegenteilige Fall wird largo
genannt, wenn SA>0.
33
Vgl. Carstens, A.G., Werner, A.M., Mexico’s Monetary Framework under a Floating Exchange Rate
Regime, Documento de Investigación No. 9905, Banco de México, Mai 1999, S. 17 ff.
Mexiko 27
lenken, während die BM mit ihren diskretionären Maßnahmen darauf achten musste, nur
wenig Verunsicherung in den Finanzmarkt zu bringen.
Carstens und Werner kommen zu dem Schluss, dass sich Mexiko eindeutig in der Phase
eines Überganges zu einem klar-geschnittenen Inflation Targeting Konzept befindet und
das der Hinderungsgrund einer kompletten Übernahme dieses Konzeptes die immer wieder
auftretenden exogenen Schocks auf das Preisniveau sind.34
Nach 1998 beginnt das geldpolitische Konzept der BM den Übergang zu einem Inflation
Targeting System. Bevor man jedoch den ersten Schritt in diese Richtung machen kann,
muss man herausfinden, ob der inflationäre Prozess durch exogene Schocks angetrieben
wird oder von Schocks, die die Schlüsselpreise beeinflussen. In diesem Zusammenhang
haben Carstens und Werner herausgefunden, dass exogene Veränderungen der Geldmenge
nicht der Grund für die Inflation in Mexiko sind, sondern, dass die Geldmenge inflationäre
Schocks beherbergt, die von dem Wechselkurs, den Löhnen und dem Preisniveau im
öffentlichen Sektor kommen. Weiterhin schlussfolgern sie, dass diese Ergebnisse den
diskretionären Handlungsspielraum der mexikanischen Zentralbank rechtfertigen.35 Das
Inflation Targeting System beinhaltet weniger die Berücksichtigung der Geldmenge als
vielmehr eine stärkere Beachtung der Analysen des inflationären Druckes. Genau das
führte zu einer Hervorhebung der Wichtigkeit des Inflationszieles in der kurzen und
mittleren Frist.36
Ein gutes Indiz für den Übergang zu einem Inflation Targeting System lässt sich in der
Erhöhung des corto im November 1998 sehen. Er wurde eingesetzt, um den Druck auf die
Inflation durch eine Erhöhung der Zinsen zu reduzieren. Das Inflationsziel für das Jahr
1998 von 12% war durch die Auswirkungen der russischen Zahlungsunfähigkeit und dem
niedrigen Ölpreis nicht zu erreichen. In diesem Fall wurde der corto zum ersten Mal
präventiv eingesetzt, auch um die monetären Konditionen zu schaffen, das Ziel des Jahres
1999 zu erreichen.37
Im Jahre 1999 lag bei der mexikanischen Zentralbank das Hauptaugenmerk auf der
graduellen aber stetigen Desinflation. Die Kosten in einem Prozess der Desinflation sind
gering, da die Banco de México gleichzeitig einen Glaubwürdigkeitsschub erhält in ihrer
Hingabe zur Inflationsbekämpfung. Unterstützend wirkt hier auch das Bekenntnis der
Zentralbank einen Überschuss des Geldangebots – Hauptquelle eines inflatorischen
34
Vgl. Carstens, A.G., Werner, A.M., Mexico’s Monetary Framework under a Floating Exchange Rate
Regime, Documento de Investigación No. 9905, Banco de México, Mai 1999, S. 21.
35
Vgl. Carstens, A.G., Werner, A.M., Mexico’s Monetary Framework under a Floating Exchange Rate
Regime, Documento de Investigación No. 9905, Banco de México, Mai 1999, S. 29.
36
Vgl. Martínez et al. (2001), S. 7.
37
Vgl. Banco de México, Boletin de Prensa Nr. 129, vom 30. November 1998 und vgl. Martínez et al.
(2001), S. 7.
Mexiko 28
Prozesses – zu vermeiden. Der Schub in der Glaubwürdigkeit bewirkt gleichzeitig, dass die
Zentralbank nicht die Zinsen erhöhen muss, um die Inflationserwartungen unter Kontrolle
zu halten. Hinter dieser Handlung steht, das die mittel- und langfristigen Erträge einer
niedrigen Inflationsrate, die vorrübergehenden Kosten der Übergangsphase hin zu
Preisniveaustabilität über die Maßen deckt. All diese Überlegungen flossen in die
Präsentation des geldpolitischen Programms im Jahre 1999.
Für das Jahr 1999 wurde das Inflationsziel auf eine Obergrenze von 13% festgesetzt.
Gleichzeitig wurde ein längerfristiges Ziel eingesetzt: die graduelle Annäherung an die
externen Inflationsraten. Diese Ziel wurde noch mal ausführlicher erläutert: Das Ziel der
Geldpolitik sollte sein, 2003 eine Inflationsrate von 3% zu erreichen.38 Zur gleichen Zeit
legte man auch mit 10% das Ziel für das Jahr 2000 fest. Im Oktober 1999 folgte die
Bekanntgabe der Inflationsziele für die Jahre 2001 (6,5%) und 2003 (3%). Für das Jahr
2002 wurde ein Hinweis auf das Inflationsziel gegeben (4,5%).
Carstens und Werner kommen in ihrer Arbeit zu dem Schluss:
„Therefore, to be in a position to quickly react to inflationary shocks,
Banco de México has the possibility to discretionally adjust its monetary
policy stance to influence the behavior of the interest rates in the pursuit of
its inflation target. Therefore, as time has past, the inflation objective,
supported by our discretionary actions, has become the nominal anchor of
the economy.”39
Auch wenn noch die formale Übernahme des Inflation Targeting Konzeptes fehlt, arbeitete
die Zentralbank in den ersten Jahren nach der Krise bereits auf die Umstellung hin.
38
Vgl. Martínez et al. (2001), S. 8.
39
Carstens, A.G., Werner, A.M., Mexico’s Monetary Framework under a Floating Exchange Rate Regime,
Documento de Investigación No. 9905, Banco de México, Mai 1999, S. 50.
40
Artikel 28 der mex. Verfassung. „Der Staat soll eine Zentralbank besitzen, die autonom ist in Ausübung
ihrer Funktionen und in ihrer Administration. Ihr höchstes Ziel ist es, die Stabilität der Kaufkraft der
nationalen Währung zu gewährleisten [...]. Keine Institution darf der Bank befehlen, eine Finanzierung zu
gewähren.“ (Übersetzung der Verfasser)
Mexiko 29
Das Zentralbankgesetz ist im Hinblick auf ein Inflation Targeting System vorbereitet. Die
einzelnen Aufgaben, Funktionen und Pflichten sind in 68 Artikeln geregelt. Keine andere
mexikanische Institution darf der BM vorschreiben, wie sie zu handeln hat. Sie besitzt,
neben der Verpflichtung als Notenbank zu dienen, jedoch nicht die absolute freie Wahl der
Instrumente. Bei deren Einsatz, um oberste Aufgabe der Zentralbank zu erfüllen, kann die
Regierung immer noch mit reden. Die Aufgabe ist bereits in Artikel 28 der Verfassung
umschrieben: sie muss für Preisstabilität sorgen. Die Rahmenbedingung für Inflation
Targeting sind also fast implementiert. Zu der nicht gewährleisteten Freiheit in der
Instrumentenwahl, ist auch die finanzielle Unabhängigkeit nicht vorhanden, was eine
Schwächung der Stellung und der Glaubwürdigkeit der Zentralbank bedeutet. In einem
Ranking des IWF über die gesetzliche Unabhängigkeit und die Glaubwürdigkeit der
lateinamerikanischen Zentralbanken erreicht Mexiko den vierten Platz.41
Die interne Struktur der Zentralbank ist wiederum durch 54 Artikel geregelt. Hier sind die
Organisation und die Kompetenzen der Zentralbank festgelegt. Die Zentralbank wird durch
ein Direktorium (Junta de Gobierno del Banco de México) geleitet, dem wiederum der
Zentralbankchef vorsteht. Darunter gibt es verschiede Abteilungen, die sich um die
einzelnen Aspekte der Zentralbankarbeit kümmern. Unter anderen gibt es eine Abteilung
für Zentralbankoperationen oder eine Abteilung für die ökonomische Forschung.
In ihrem Bericht von Januar 2002 über das geldpolitische Programm der Zentralbank,
beschreibt die Banco de México die Entwicklung zu einer formalen Übernahme des
Inflation Targeting Konzeptes und deren Hauptcharaktereigenschaften:
Mit diesen Charaktereigenschaften, sind bereits einige der wesentlichen Grundzüge des
Inflation Targeting Systems, die Mishkin und Savastano43 herausgearbeitet hatten, in der
mexikanischen Geldpolitik berücksichtigt.
In Mexiko ist der Verbraucherpreisindex der offizielle Index bei der Messung und
Kontrolle der Inflation. Der Indice Nacional de Precios al Consumidor (INPC) wird vom
Instituto Nacional de Estatística, Geografia e Informatica (INEGI) gemessen und
veröffentlicht. Mit dem Jahr 2002 wurde die Basis dieses Preisindexes verändert. Dazu
gehörten eine Veränderung der durchschnittlichen Größe der Haushalte und eine
Veränderung der zum Bündel gehörenden Güter. Das neue Güterbündel beinhaltet nun
315 Güter, im Vergleich zu 313 Gütern, die seit 1994 dazu gehörten. Jedoch waren auch
inhaltliche Veränderung ausschlaggebend.44 Der INPC ist eine nationale Größe und für die
gesamte Bevölkerung repräsentativ.
Abbildung 4: Inflationsrate INPC (in % über die letzten 12 Monate) und Inflationsziele
60
50
Inflationsrate auf 12 Monate
42% umgerechnet
40 Inflationsziel
in %
30
20,5%
20
15%
13%
12%
< 10%
10
6,5
4,5
%
%
0
Jan 95
Jan 96
Jan 97
Jan 98
Jan 02
Jan 99
Jan 00
Jan 01
Mai 95
Mai 96
Mai 02
Sep 95
Sep 96
Mai 97
Sep 97
Mai 98
Sep 98
Mai 99
Sep 99
Mai 00
Mai 01
Sep 01
Sep 00
Jahre
Quelle: El Centro de Certificación LGAI und Martínez et al. (2001), eigene Grafik
Konsolidierung einer unabhängigen monetären Institution, (d) die Anwendung der Geldpolitik mit einem
gewissen Grad der Transparenz, der durch eine Strategie der offenen Kommunikation entsteht, was die Ziele,
die Instrumente und die Entscheidungen der monetären Institution angeht, (e) die permanente Analyse der
möglichen Gründe für inflationären Druck, mit dem Ziel eine Projektion des zukünftigen Wachstums der
Preise zu formen und (f) der Gebrauch von alternativen Messungen der Inflation., wie die unterschwellige
Inflation. Diese werden gebraucht, um jene Phänomene, mit vorübergehender Wirkung auf die Inflation zu
unterscheiden und um die kurzfristige Tendenz des Wachstums der Preise zu identifizieren.“ (Übersetzung
der Verfasser).
43
Vgl. Mishkin, F., Savastano, M., Monetary Policy Strategies for Latin America, NBER Working Paper
Series, Working Paper 7617, 2000, S. 32 und siehe Kapitel II.4.
44
Für eine ausführliche Begründung und Erläuterung der Umstellung der Basis des INPC siehe: Banco de
México, Metodología para el Cambio de Base del INPC,
http://www.banxico.org.mx/eInfoFinanciera/Infecon/cuadros/CambioBaseINPC.pdf, am 20.05.2002.
Mexiko 31
Die Aufgabe der Zentralbank ist es, die Inflation auf einem niedrigen Niveau und stabil zu
halten. Mexiko befindet sich noch immer in der Phase des Überganges, in der
Preisniveaustabilität, wie im Gesetz gefordert, noch nicht erreicht ist. Daher gibt die Junta
de Gobierno seit der Krise jährliche Inflationsziele bekannt, die den Weg der Desinflation
verstärken sollen. Mit dieser Strategie der graduellen Reduktion der Inflation, gab 1999 die
Junta nicht mehr nur kurzfristige Jahresziele heraus, sondern erstmals ein mittelfristiges
Ziel: 2003 soll eine Inflationsrate von ca. 3% erreicht werden.45 Um diese mittelfristige
Ziel zu unterstützen, wurde 2000 das Inflationsziel für das Jahr 2002 festgelegt: es soll
4,5% nicht übersteigen.
Die Zentralbank gibt mehrere Berichte über ihre Arbeit, über die Entwicklung der Inflation
und anderer ökonomischen Variablen heraus46. In diesen Berichten wird die eigene
Geldpolitik beurteilt und die weitere Vorgehensweise diskutiert. Zu den
Veröffentlichungen gehört ein jährlich erscheinendes Informe Anual, in denen alle
Informationen zu der mexikanischen Volkswirtschaft noch einmal zusammen gefasst
werden. Jährlich erscheinen auch das Programa de Política Monetario und das Informe
sobre la política monetaria, wobei das erste jeweils im Januar des Jahres erscheint und das
andere im September. Das Programa de Política Monetario gibt einen Überblick über die
Herausforderungen des kommenden Jahres für die Geldpolitik, während das Informe sobre
la política monetaria die Ergebnisse der Geldpolitik des Jahres zusammenfasst und
gegebenenfalls anpasst. Die Veröffentlichung dieser Berichte ist im Zentralbankgesetz
durch den Artikel 51 geregelt. Die Zentralbank muss mit diesen Berichten Rechenschaft
vor dem mexikanischen Kongress ablegen.
Die wichtigste Veröffentlichung im Zusammenhang mit Inflation Targeting ist das Informe
trimestral sobre la inflación. Dieser Bericht wir seit 2000 von der Zentralbank
veröffentlicht. Hier wird speziell de Entwicklung der Inflation berücksichtigt und auch
Prognosen für die zukünftige Inflation getroffen. Wie der Name schon sagt, erscheint
dieses Informe alle drei Monate. Durch die Herausgabe von Pressemitteilungen wird
Informationsvergabe zusätzlich noch verbessert. Auf der Homepage der Zentralbank sind
alle Pressemitteilungen nach Themen geordnet zu erhalten.47
Die Forschungsabteilung (Dirección General de Investigación Económica) veröffentlicht
zusätzlich noch Documentos de Investigación, die auch via Internet zu erhalten sind und
teilweise sogar in Englisch.48 Es werden hauptsächlich Forschungsarbeiten zu der
45
Siehe Abbildung 4.
46
Alle Veröffentlichungen sind auch im Internet als pdf-Dateien erhältlich unter:
http://www.banxico.org.mx/gPublicaciones/FSPublicaciones.html, am 02.05.2002.
47
Alle Pressemitteilungen unter: http://www.banxico.org.mx/fBoletines/Boletines/FSBoletines.html
Mexiko 32
ökonomischen Situation in Mexiko veröffentlicht, die sich z.B. mit der mexikanischen
Geldpolitik oder operationellen Eigenheiten des mexikanischen Systems beschäftigen.
Bei einer Verfehlung der Inflationszieles sieht weder die Verfassung noch das
Zentralbankgesetz eine Konsequenz vor. In keinem Artikel ist beschrieben, wie sich die
BM in so einem Fall veralten soll. Außer den normalen Berichten muss die Zentralbank
nicht weiter Rechenschaft ablegen. In der kurzen Geschichte der Inflationsziele ist die
Verfehlung schon häufig vorgekommen, da das Ziel ein Punktziel, oder eine Höchstgrenze
ist. In diesem Fall handelt die Zentralbank wenig transparent.
48
Die Documentos de Investigación sind im Internet unter:
http://www.banxico.org.mx/gPublicaciones/DocumentosInvestigacion/doctos.htm zu erhalten (02.05.2002).
49
Das corto-System wurde bereits im Kapitel III.1.2 ausführlich erläutert.
Mexiko 33
50
Das Zero-average reserve requirement system wird in einem Papier der Zentralbank noch einmal genau
beschrieben: Banco de México, Implementation of monetary Policy through the zero-average reserve
requirement system ,http://banxico.org.mx/public_html/dgobc/imp.zip, am 10.05.2002.
51
Martínez et al. (2001), S.13.
Mexiko 34
ihren Effekt, während im indirekten Fall den die Anfälligkeit der Inflationserwartungen
entscheidend ist.
52
Für Mexiko existieren mehre Gründe dafür, dass dem pass-through zwischen einer
Wechselkursveränderung zu einer Preisveränderung eine größere Rolle zukommt als in
anderen Volkswirtschaften. In Mexiko veränderte sich zum einen der Anteil der Handels
am BIP von 15% im Jahre 1990 zu 58% im Jahre 1999. Auf der anderen Seite stehen die
lange Geschichte einer hohen Inflation und die der Zahlungsbilanzkrisen, die sich
nachhaltig auf das Verhältnis zwischen den Inflationserwartungen und dem Wechselkurs
ausgewirkt haben. Martínez et al. (2001) weisen in ihrer Untersuchung nach das in den
vergangenen 20 Jahren eine erstaunlich hohe Korrelation zwischen der Abwertung des
Wechselkurses und de Inflation gab. Für den indirekten Fall zeigen sie, dass der pass-
through Koeffizient in den vergangenen drei Jahren erheblich gefallen ist.
Für die Effektivität von monetären Maßnahmen ist außerdem die Analyse der
Transmissionskanäle und –mechanismen von großer Bedeutung. Die Transmissionskanäle
können mit Hilfe von Strukturmodellen beschrieben oder mit VAR-Modellen analysiert
werden.53
52
Das Folgende nach: Martínez et al. (2001), S.28 ff.
53
Martínez et al. (2001) nehmen eine VAR Analyse für die Jahre 1997-2000 vor.
54
Siehe Abbildung 5.
Mexiko 35
5
in %
Jan 99
Jan 00
Jan 95
Jan 96
Jan 97
Jan 98
Jan 01
Jan 02
Jul 95
Jul 96
Jul 97
Jul 98
Jul 00
Jul 01
Apr 95
Apr 96
Apr 97
Apr 98
Jul 99
Apr 00
Apr 01
Apr 02
Apr 99
Okt 95
Okt 96
Okt 97
Okt 98
Okt 99
Okt 00
Okt 01
-1
Das Jahr 1998 hat der mexikanischen Geldpolitik jedoch mehr geschadet, als genützt. Das
Inflationsziel von 12% hat man um fast 7%-Punkte verfehlt. Zur Jahreswende 1998/99
lagen die monatlichen Inflationsraten des INPC wieder um die 2%, was dazu führte, dass
die jährliche Inflationsrate im Dezember 1998 auf 18,6% stieg. Das Verfehlen des
Inflationszieles kostete der Zentralbank viel Vertrauen, in ihrem Kampf gegen die
Inflation. Jedoch ebnete die Zentralbank durch eine restriktivere Geldpolitik – sie führte
wieder den corto ein – das Feld für das nächste Jahr. Die restriktivere Geldpolitik zeigt
sich eindeutig im Zinsniveau.55 Bis in den August des Jahres war das Zinsniveau in den
niedrigen 20ern. Im September erreichte der kurzfristige Zinssatz durch die restriktivere
Geldpolitik ein Spitzenwert von über 50%. Die Anhebung der Zinsen konnte jedoch nicht
mehr dazu führen, dass das Inflationsziel für das Jahr erreicht wurde. Erst im nächsten Jahr
sollte die Inflationsrate wieder zurückgehen. In diesem Fall kann man eindeutig die
Wirkungsdauer der geldpolitischen Maßnahme erkennen.
Das Inflationsziel für 1999 wurde bei 13% festgemacht. Bis Mitte April sind die Zinsen
wieder auf das Niveau des Vorjahres gefallen. In weiteren Verlauf des Jahres sanken die
Zinsen dann unter die 20%-Marke, was jedoch den Abwärtstrend der Inflation nicht
nachhaltig negativ beeinflusste. Zum Ende des Jahre fiel die jährliche Inflation dann auch
mit 12,3% unter das Ziel. Die Erfüllung des Zieles und der weitere Abwärtstrend der
55
Siehe Abbildung 5.
Mexiko 36
Inflationsziele – für 2000 wurde das Inflationsziel bei 10% festgemacht – stärkten
wiederum das Vertrauen in die Fähigkeiten der Zentralbank. Zum ersten Mal wurde 1999
auch ein mittelfristiges Ziel eingeführt. 2003 sollte die Inflationsrate auf ein
„internationales Niveau“ gesenkt werden.
Im Jahr 2000 wurde bereits im Februar das Inflationsziel im April mit 9,7% unterschritten,
wobei es auch im restlichen Jahr dabei blieb. Die monatlichen Inflationsraten blieben bei
ihrem Abwärtstrend und unter 1%. Auch die Zinsen waren relativ stabil in diesem Jahr. Sie
bewegten sich das ganze Jahr zwischen 15% und 20%
Abbildung 6: tägliche Zinsen CETES (1996-2002)
60
50
40
in %
30
20
10
0
28.03.1996
28.07.1996
28.09.1996
28.01.1997
28.03.1997
28.09.1997
28.05.1998
28.07.1998
28.11.1998
28.07.1999
28.11.1999
28.01.2000
28.05.2000
28.11.2000
28.07.2001
28.11.2001
28.01.2002
28.03.2002
28.05.1996
28.11.1996
28.05.1997
28.07.1997
28.11.1997
28.01.1998
28.03.1998
28.09.1998
28.01.1999
28.03.1999
28.05.1999
28.09.1999
28.03.2000
28.07.2000
28.09.2000
28.01.2001
28.03.2001
28.05.2001
28.09.2001
Im Jahr 2001 wurde das Zinsniveau noch einmal um 10%-Punkte gesenkt. Bereits Anfang
August wurde die 10%-Marke unterschritten. Mit den terroristischen Anschlägen in den
USA, stieg das Zinsniveau jedoch wieder über 10%. Doch bereits im Oktober konnte diese
Marke wieder unterschritten werden. Seither befindet sich das Zinsniveau weiter auf
seinem Abwärtstrend. Ähnlich sieht es mit den monatlichen Inflationsraten aus. 2001
stiegen sie nicht mehr über die 1%-Marke und waren in den Monate Februar und Juli sogar
negativ. Selbst im September und Oktober erreichte die Rate nur 0,9%, bzw. 0,5%. Diese
gute Entwicklung spiegelte sich natürlich auch in der Jahresinflation wider. Im Dezember
fiel die Inflation auf 4,4%, 2%-Punkte unterhalb des Inflationszieles. Seit drei Jahren hat
die Zentralbank es geschafft, das Inflationsziel, was zum Teil als obere Grenze gesehen
wurde, zu unterschreiten. Das bedeutet einen erhöhten Glaubwürdigkeitsschub für die
Mexiko 37
Zentralbank in ihrem Kampf gegen die hohe Inflation. Mexiko kann, mit Inflationswerten
unter 4%, nun nicht mehr als eine Volkswirtschaft angesehen werden, die unter hohen
Inflationsraten leidet. Der Druck auf die Inflation ist zwar noch immer vorhanden, aber die
Zentralbank scheint ein geeignetes Gegenmittel gefunden zu haben. Trotz der schlechten
Konjunktur der Weltwirtschaft, hat es Mexiko geschafft, ihren Kurs durchzuhalten.
Um die Krise von 1994/95 zu überstehen, half der Zentralbank seit 1996 ein stets positives
Wirtschaftswachstum, das auch im Vergleich zu anderen lateinamerikanischen Staaten
hoch war.56 Das Wachstum des Bruttoinlandprodukt erreichte 1997 6,8%. Nach dem
wirtschaftlich erfolgreichen Jahr 2000, mit 6,5% Wachstum, ist das Wirtschaftswachstum
seit 1995 zum ersten Mal wieder negativ. Die schwache Konjunktur des
Haupthandelspartner Mexikos, USA, wirkte sich auch negativ auf Mexiko aus. Zwar
wurde das Inflationsziel erreicht und der Wechselkurs bliebt stabil – der US$ unter
M$ 10 – doch das Wachstum ging auf -0,3% zurück.
Mexikos Geldpolitik fehlt es immer noch an einigen wichtigen Elemente die eine Inflation
Targeting Strategie ausmachen. Zwar gibt die Zentralbank seit mehreren Jahren ein
Inflationsziel bekannt, aber das allein macht Inflation Targeting nicht aus. Mexiko fehlt vor
allem noch eine transparentes politisches Konzept und die nötige Glaubwürdigkeit das
Inflationsziel auch zu erreichen.
Weiterhin rückt sie nicht von ihren Weg ab, die Zinsen nur indirekt zu beeinflussen, mit
der Hilfe der täglichen Liquiditätssteuerung. Das Zero-average reserve requirement system
mit corto und largo ist wenig durchschaubar, auch wenn die Zentralbank in den letzten
Jahren viel unternommen hat mehr Transparenz durch genauere Untersuchungen zu
erzeugen. Auch mittelfristige Inflationsprognosen publiziert die BM nur in einem geringen
Maße, die Prognosen beziehen sich nur auf das folgende Jahr. Bei der Festlegung des
Inflationszieles wird der Schwerpunkt noch immer auf ein kurzfristiges, jährliches
Inflationsziel gelegt. Erst einmal ist es vorgekommen, dass die BM ein mittelfristiges
Inflationsziel veröffentlich hatte. Diese Aktionen der mexikanischen Zentralbank sind nur
bedingt glaubwürdigkeitsfördernd, zumal in der mexikanischen Volkswirtschaft immer
noch ein Abwertungsdruck auf den Wechselkurs herrscht, auch wenn der Wechselkurs
unter M$ 10 für einen US$ gehalten werden konnte.
56
Siehe Tabelle 3.
Mexiko 38
In diesen letzten Jahren hat es die BM geschafft, die Inflationsrate wieder unter 10% zu
bekommen und die Aussichten das mittelfristige Ziel, 3% Inflation am Ende des Jahres
2003 zu erreichen, stehen nicht schlecht. Der Glaubwürdigkeit konnte auch mehr genüge
getan werden, da in den letzten drei Jahren das Inflationsziel mehr oder weniger
eingehalten werden konnte. Der pass-through Koeffizient vom Wechselkurs zur
Inflationsrate ist den letzten Jahren erheblich gefallen.
Der Übergang zu einem Inflation Targeting System ist noch nicht komplett vollzogen.
Mexiko scheint eher den Weg Chiles zu gehen: den Weg einer graduellen Stärkung der
Inflationszieles. De Möglichkeit in ein paar Jahren Preisniveaustabilität in Mexiko zu
haben scheint nicht so schlecht zu sein, dennoch sind noch einige Strukturreformen nötig,
um dieses oberste Ziel der Zentralbank auch auf Dauer zu gewährleisten. Dann muss sich
auch die Zentralbank zu einem eindeutigen Inflation Targeting bekennen.
Brasilien 39
IV. Brasilien
Brasilien ist zusammen mit Mexiko die größte Volkswirtschaft Lateinamerikas. Sowohl
Mexiko als auch Brasilien besitzen im amerikanischen Wirtschaftsraum ein großes
Gewicht, so dass ihre makroökonomische Verfassung für die gesamte Region als
Stabilisator, resp. Destabilisator, wichtig ist.
Brasilien hat Inflation Targeting im Juli 1999 als offizielle Geldpolitik der Zentralbank
eingeführt. Dies bildet vorerst ein Ende der langen Stabilisierungsbemühungen und
Währungsreformen, die sich seit den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts in Brasilien
hinzogen. Den Höhepunkt der Währungsreformen bildete der Plano Real, der im Jahre
1994 durchgeführt wurde. Jedoch führte der Plano Real nur zu einer vorrübergehenden
Stabilisierung. Zwar blieben in den folgenden Jahren die Inflationsraten konstant niedrig,
dennoch musste die brasilianische Zentralbank das mit dem Plano Real eingeführte
Wechselkurssystem, ein Crawling Peg, im Juli 1999 wieder aufheben und den Real floaten
lassen. Mit der Freilassung des Wechselkurses brauchte die Zentralbank ein neues
geldpolitisches Konzept, woraufhin sechs Monate später Inflation Targeting offiziell
eingeführt wurde:
„The introduction of the new nominal anchor was paramount to enhance
transparency and to guide expectations, thus preventing temporary inflation
increases from recurring.”57
Mit der Aufgabe des Crawling Peg und des erzwungenen Floating suchte die BCB einen
neuen nominalen Anker für den Real, den sie mit der Einführung von Inflation Targeting
gefunden hatte. Gleichzeitig profitierte die Zentralbank von den Vorteilen der Inflation
Targeting Strategie, zum Beispiel bei der Lenkung der Inflationserwartungen und der
Erhöhung der Transparenz und der Glaubwürdigkeit. Die Übernahme des neuen Konzeptes
beinhaltete jedoch eine institutionelle Umwälzung der herrschenden Bedingungen und
stellte die Zentralbank vor die schwierige Aufgabe, Geldpolitik nun selbst zu gestalten. Die
Erlernung der operationellen Aufgaben der Zentralbank in einem Inflation Targeting
Regime war und ist immer noch mit einem hohen Forschungsaufwand verbunden.
57
Fachada, Pedro, Inflation Targeting in Brazil: Reviewing Two Years of Monetary Policy 1999/00,
Banco Central do Brasil, Working Paper 25, Juli 2000, S. 5.
Brasilien 40
58
Vgl. Bogdanski, Joel et al., Inflation Targeting in Brazil: shocks, backward-looking prices, and IMF
conditionality, Banco Central de Chile, Documento de Trabajo N° 110, November 2001, S. 2.
59
Bogdanski, Joel et al., Inflation Targeting in Brazil: shocks, backward-looking prices, and IMF
conditionality, Banco Central de Chile, Documento de Trabajo N° 110, November 2001, S. 2.
60
Für eine ausführliche Analyse des Plano Reals 1994 in Brasilien siehe: Schumacher Xavier, Cordula,
Stabilisierungspolitik in Brasilien. Der Plano Real, in: Feldsieper, M. (Hrsg.), Wirtschaftspolitische
Forschungsarbeiten der Universität zu Köln, Band 26, Marburg 1998. und Baer, Werner, Paiva, Cláudio,
Brasiliens inflationäre Erblast und der Plano Real, in: Calcagnotto, Gilberto, Fritz Barbara (Hrsg.), Inflation
und Stabilisierung in Brasilien, Probleme einer Gesellschaft im Wandel, Frankfurt am Main, 1996, S. 66-93.
61
Zur problematischen Indexierung der Preise und zu brasilianischen Geschichte der Intervention zu
Beeinflussung der Preisindizes siehe: Schumacher Xavier, Cordula, Stabilisierungspolitik in Brasilien. Der
Plano Real, in: Feldsieper, M. (Hrsg.), Wirtschaftspolitische Forschungsarbeiten der Universität zu Köln,
Band 26, Marburg 1998 und Chacel, Julian, Preisindizes und Stabilisierungspolitik in Brasilien, in:
Calcagnotto, Gilberto, Fritz Barbara (Hrsg.), Inflation und Stabilisierung in Brasilien, Probleme einer
Gesellschaft im Wandel, Frankfurt am Main, 1996, S. 267-281.
Brasilien 41
passend für die brasilianische Situation war, ausschlaggebend für die erste Phase der
Stabilisierung. Eigentlich wollten die Geldpolitiker ein freies Wechselkurssystem
einführen. Das verhinderte jedoch die mexikanische Tequila-Krise im Jahre 1994. Die
brasilianischen Geldpolitiker sind dazu gezwungen worden, ein Crawling Peg für den Real
zu initiieren. Dieses Wechselkurssystem wurde offiziell im März 1995 eingeführt und von
Juli 1995 bis Mitte Januar 1999 mit einer jährlichen Abwertungsrate um die 7,5%
fortgeführt.
45
35
25
in %
15
-5
1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002
64
Schumacher Xavier, Cordula, Stabilisierungspolitik in Brasilien. Der Plano Real, in: Feldsieper, M.
(Hrsg.), Wirtschaftspolitische Forschungsarbeiten der Universität zu Köln, Band 26, Marburg 1998, S. 74f.
65
Vgl. Fachada, Pedro, Inflation Targeting in Brazil: Reviewing Two Years of Monetary Policy 1999/00,
Banco Central do Brasil, Working Paper 25, Juli 2000, S. 6.
66
Vgl. Bogdanski, Joel et al., Inflation Targeting in Brazil: shocks, backward-looking prices, and IMF
conditionality, Banco Central de Chile, Documento de Trabajo N° 110, November 2001, S. 4.
Brasilien 43
Der Übergang in ein freies Wechselkurssystem vollzog sich in Brasilien in einer Phase der
Krise. So war es die erste Aufgabe des neuen Zentralbankdirektoriums eine geldpolitische
Strategie zu finden, die zu einem freien Wechselkurs passt. Für die brasilianischen
Zentralbänkler stellte jedoch weder ein voll diskretionäres Konzept, noch ein total
regelgebundenes System eine Lösung dar. Das neue geldpolitische Konzept musste genug
Flexibilität erlauben, den öffentlichen Erwartungen effektiv als Anker zu dienen, jedoch
ebenso ein definitives und strenges Versprechen an eine konsistente, stringente und
zielgerichtete Geldpolitik darstellen.67 Die Zentralbank entschloss sich ein Inflation
Targeting Regime zu initiieren. Das interessante an diesem neuen Regime war die
graduelle Einführung. Die Einführung brauchte zusätzlich institutionelle Veränderungen,
um die operationelle Unabhängigkeit der Zentralbank zu gewährleisten. Die Zentralbank
verkündete ihre Intention, Inflation Targeting als geldpolitisches Konzept einzuführen. Die
formelle Einführung, zusammen mit der Verkündung einer Spezifikation des Zielwertes,
vollzog sich jedoch erst in der zweiten Hälfte des Jahres.68
Abbildung 8: Wechselkurs R$/US$
3,00
2,80
2,60
2,40
2,20
R$ 2,00
1,80
1,60
1,40
1,20
1,00
67
Vgl. Bogdanski, Joel et al., Inflation Targeting in Brazil: shocks, backward-looking prices, and IMF
conditionality, Banco Central de Chile, Documento de Trabajo N° 110, November 2001, S. 7.
68
Vgl. Bogdanski, Joel et al., Inflation Targeting in Brazil: shocks, backward-looking prices, and IMF
conditionality, Banco Central de Chile, Documento de Trabajo N° 110, November 2001, S. 8.
Brasilien 44
Banco Central do Brasil (COPOM) die kurzfristigen Zinsen (Selic) von 39% pro Jahr auf
45% an.
„It was acceptable that the relative price movements set in march with the
devaluation would shift the price level upward, but the interest rate had to
be set high enough to prevent the second-round inflationary process that
could follow. The question was how to translate these ideas into practice,
given the then chaotic state of expectations.”69
Auch die Regierung übernahm Maßnahmen, um die Erwartungen umzudrehen und die
Unterbewertung des Reals zu korrigieren. Das Conselho Monetário Nacional (CMN)
reduzierte z.B. im bezug auf dem Kapitaltransaktionen die Steuern von 2% auf 0,5%73. Die
Situation besserte sich bald danach. Die Unterbewertung des Reals im Wechselkurs war
wieder rückläufig (der Wechselkurs fiel von R$ 2,20 in den ersten März Wochen auf R$
1,66 Ende April) und die Zinsen gingen wieder zurück (Ende März erst auf 42% und
Anfang April senkte COPOM sie abermals auf 39,5%. Bis zum Juni-Treffen vom COPOM
senkte das Komitee die Zinsen insgesamt 8 Mal bis auf 22%). 74 Den Fall der Inflationsrate
69
Bogdanski, Joel et al., Inflation Targeting in Brazil: shocks, backward-looking prices, and IMF
conditionality, Banco Central de Chile, Documento de Trabajo N° 110, November 2001, S. 8.
70
Comitê de Política Monetária do Banco Central do Brasil (COPOM), Notas da 33ª Reunião,
[http://www.bcb.gov.br/htms/copom/not1999030433.shtm#_notexp, 06.03.2002], Übersetzung der Verfasser.
71
Vgl. Bogdanski, Joel et al., Inflation Targeting in Brazil: shocks, backward-looking prices, and IMF
conditionality, Banco Central de Chile, Documento de Trabajo N° 110, November 2001, S. 9.
72
Comitê de Política Monetária do Banco Central do Brasil (COPOM), Notas da 33ª Reunião,
[http://www.bcb.gov.br/htms/copom/not1999030433.shtm#_notexp, 06.03.2002], Übersetzung der
Bogdanski, Joel et al.(2000).
73
Mehr bei Fachada, Pedro, Inflation Targeting in Brazil: Reviewing Two Years of Monetary Policy 1999/00,
Banco Central do Brasil, Working Paper 25, Juli 2000, S. 10.
74
Siehe Abbildungen 5, 6, 7.
Brasilien 45
schrieb man der Aufwertung des Reals zu und machte den Rückgang der
Nahrungsmittelpreise für einen weiteren Rückgang der Inflation verantwortlich Dies zeige
sich sogar im IPCA, die Verbraucher Inflationsrate, gemessen vom Statistischen Institut
Brasiliens (IBGE), fiel von 0,6% im April auf 0,3% im Mai.
Für das erste Halbjahr 1999 lässt sich sagen, dass die Wirtschaftspolitik der Krise mit einer
fiskal- und geldpolitischen Bündelung begegnete, die auch bei der Steuerung der
Inflationserwartungen erfolgreich war. Die Zentralbank handelte so, als wäre des Inflation
Targeting Konzept schon vollkommen umgesetzt, was zu diesem Zeitpunkt noch nicht den
formalen Gegebenheiten entsprach. Das Hauptinstrument zum Erreichen des Inflationsziels
in dieser Phase waren die kurzfristigen Zinsen, die man, mit kontrollierten
Inflationserwartungen, innerhalb von vier Monaten um die Hälfte reduzieren konnte.75
75
Vgl. Bogdanski, Joel et al., Inflation Targeting in Brazil: shocks, backward-looking prices, and IMF
conditionality, Banco Central de Chile, Documento de Trabajo N° 110, November 2001, S. 9 und Fachada,
Pedro, Inflation Targeting in Brazil: Reviewing Two Years of Monetary Policy 1999/00, Banco Central do
Brasil, Working Paper 25, Juli 2000, S. 13.
76
Das folgende nach: Bogdanski, Joel, Tombini, Alexandre Antonio, Werlang, Sérgio Ribeiro da Costa,
Implementing Inflation Targeting in Brazil, Banco Central do Brasil, Working Paper 1, Juli 2000, S. 9f.
Brasilien 46
77
IWF, Brazil – Selected Issues and Statistical Appendix, IMF Staff Country Report 99/97, September 1999,
S. 86.
78
Vgl. Fachada, Pedro, Inflation Targeting in Brazil: Reviewing Two Years of Monetary Policy 1999/00,
Banco Central do Brasil, Working Paper 25, Juli 2000, S. 14.
79
Bogdanski, Joel, Tombini, Alexandre Antonio, Werlang, Sérgio Ribeiro da Costa, Implementing Inflation
Targeting in Brazil, Banco Central do Brasil, Working Paper 1, Juli 2000, S. 13.
Brasilien 47
der Zentralbank auch zwischen den Treffen die Rate der Richtung entsprechend verändern
kann.
Seit 2000 findet das Treffen an zwei aufeinanderfolgenden Tagen statt. 81 Außer dem
Kollegialdirektorium (Diretoria Colegiada), dem der Gouverneur der Zentralbank vorsteht
und die entscheidende Stimme hat, sind die Leiter der folgenden Abteilungen Mitglieder
des COPOM: die Volkswirtschaftliche Abteilung (DEPEC), die Abteilung für Operationen
mit Internationalen Währungsreserven (DEPIN), die Abteilung für Bankgeschäfte
(DEBAN), die Abteilung für Offenmarktoperationen (DEMAB) und die Abteilung für
Studien und Forschung (DEPEP). Am ersten Tag der Sitzung präsentieren die Leiter der
einzelnen Abteilung die aktuelle ökonomische Lage. Am zweiten Tag der Sitzung nimmt
nur das Kollegialdirektorium teil, in der die geldpolitischen Maßnahmen getroffen und die
Zinsen festgelegt werden. Jede Entscheidung wird im Konsensverfahren getroffen.
Nach jedem Treffen veröffentlicht das Komitee Berichte ihrer Sitzungen (Notas das
Reuniões)82, die die Entscheidungen erklären und zur Transparenz und Glaubwürdigkeit
des Inflation Targeting Regimes beitragen sollen. Zu diesen Berichten veröffentlicht das
COPOM einen vierteljährlichen Inflationsreport83, der die Entscheidungen noch mal
detailliert erläutert und eine mögliche Analyse der zukünftigen Inflationsrate gibt.
Abbildung 9: Inflationsrate IPCA (% über die letzten 12 Monate)
10
9
8
7
6
in % 5
4
3
2
1 Inflation Targeting
0
J an. Apr. J ul. Okt. J an. Apr. J ul. Okt. J an. Apr. J ul. Okt. J an. Apr. J ul. Okt. J an. Apr. J ul. Okt.
98 98 98 98 99 99 99 99 00 00 00 00 01 01 01 01 02 02 02 02
Die gestrichelte Linien repräsentieren die Inflationsziele in den Jahren, die dunkleren Zone den
± 2% Punkte Bereich.
81
Zur Organisation siehe Abbildung ?.
82
Im Internet unter: http://www.bcb.gov.br/htms/copom/a-copom.asp.
83
Im Internet unter: http://www.bcb.gov.br/mPag.asp?codP=769&cod=206&perfil=1.
Brasilien 49
Am 30. Juni 1999 gab das CMN eine Resolution (Nr. 2615) heraus, die sowohl den
Preisindex als auch das Inflationsziel definierte. Der IPCA, ermittelt durch das IBGE
(Nationale Brasilianische Büro für Geographie und Statistik), wurde als Index für das
offizielle Inflationsziel bestimmt. Die eigentlichen Ziele wurden auf 8% für das Jahr 1999,
auf 6% für 2000 und auf 4% für 2001 festgesetzt. Außerdem wurde ein Zieltoleranzbereich
definiert: er beträgt für jedes Jahr ± 2%84. Der ausgewählte Preisindex, der IPCA,
beinhaltet ein Bündel von Familien mit einem Einkommen zwischen einem und 40
Mindestlöhnen, die über eine weite geographische Ausdehnung verstreut sind. Hier sind
neun Großstädte erfasst, São Paulo, Rio de Janeiro, Belo Horizonte, Porto Alegre, Recife,
Belém, Fortaleza, Salvador und Curitiba, aber auch Goiânia und der Distrito Federal.
“An important issue to discuss is the choice of the full inflation rate as
reference for the target, and not some core inflation measure. Perhaps, the
best technical procedure would have been to purge some items from the full
index, exempting it from temporary and once-and-for-all shocks.
Nevertheless, adopting a headline index was essential for credibility
reasons, at least in the beginning of IT implementation. Unfortunately,
Brazilian society has experienced several price index manipulations in a not
so distant past, and so would be suspicious about any change related to
suppressing items from the target index.”85
86
Die Hervorhebung eines Hauptindexes ist elementar für die Glaubwürdigkeit der
Zentralbank, zumindest in dieser ersten Phase des Inflation Targeting Regimes. Der Grund
für die zurückgehenden Zielwerte liegt in der Vergangenheit der brasilianischen Inflation.
Hier muss man zwischen einem Inflationsprozess – genauer gesagt einer stetigen
Steigerung des Preisniveaus – und einer zeitweiligen Erhöhung der Inflationsrate durch
einen Schock – einer einmaligen Veränderung im Preisniveau – unterscheiden. Beim
Anstieg der Inflationsrate in Brasilien Anfang des Jahres 1999 handelte es sich um den
zweiten Fall, nämlich um eine Erhöhung als Folge der Abwertung des Reals. Zuvor
bestand in Brasilien Preisstabilität mit einer durchschnittlichen Inflationsrate von 1,7% im
Jahr 1998.
Im institutionellen Rahmen des Inflation Targeting Konzeptes kann eine Ausstiegsklausel
existieren. Der brasilianischen Zentralbank steht bei einer Verfehlung des Inflationszieles
ein Ausstieg nicht zur Verfügung. In diesem Fall muss der Direktor der Zentralbank in
einem offenen Brief an den Finanzminister nicht nur die Gründe für die Verfehlung des
84
Die Verbindung eines Hauptpreisindexes und der Abwesenheit eines Ausstiegsklausel, rechtfertigt den
relativ weiten Toleranzraum für das Ziel (2% Punkte), was das Ziel jedoch strenger macht als zuerst
angenommen,
85
Bogdanski, Joel, Tombini, Alexandre Antonio, Werlang, Sérgio Ribeiro da Costa, Implementing Inflation
Targeting in Brazil, Banco Central do Brasil, Working Paper 1, Juli 2000, S. 12f.
86
Das folgende nach: Bogdanski, Joel, Tombini, Alexandre Antonio, Werlang, Sérgio Ribeiro da Costa,
Implementing Inflation Targeting in Brazil, Banco Central do Brasil, Working Paper 1, Juli 2000, S. 12.
Brasilien 50
Zieles erläutern, sondern auch die Maßnahmen vorstellen, die das Erreichen des Zieles
sicherstellen sollen, und deren Wirkungsdauer.
Eine Transparenz des Inflation Targeting Konzeptes war der brasilianischen Zentralbank
von Anfang an wichtig, so dass effektive Kommunikationskanäle errichtet wurden, die der
Öffentlichkeit halfen die Entscheidungen der Zentralbank zu verstehen und zu
einzuschätzen.
87
Vgl. Mishkin, F., Savastano, M., Monetary Policy Strategies for Latin America, NBER Working Paper
Series, Working Paper 7617, 2000, S. 32 und siehe Kapitel II.4.
88
Vgl. Bogdanski et al. (2001) S. 17.
Brasilien 51
Durch die lange Phase von missglückten Stabilisierungsversuchen von 1986-1994 waren
tiefgreifende strukturelle Brüche in der ökonomischen Entwicklung entstanden, so dass es
für die Zentralbank extrem schwierig war, in dieser Phase mit den üblichen
ökonometrischen Mitteln Daten zu entnehmen. Auch wenn für die Zentralbänkler die
möglichen Instrumente Limitationen aufwiesen und sie keine Illusionen über ihre
Effektivität hatten, waren die Modelle trotzdem nützlich und halfen, die Diskussionen um
die geldpolitische Strategie innerhalb der Zentralbank zu disziplinieren.
89
Um kleine makroökonomische Modelle zu entwickeln, musste die Zentralbank die
verschiedenen Kanäle der Transmissionsmechanismen der Geldpolitik studieren. Diese
Kanäle beinhalten den Zinssatz (auch ein geldpolitisches Instrument), den Wechselkurs,
die aggregierte Nachfrage, die festen Preise, die Erwartungen, die Geldmenge, die Löhne
und das Wohlstandsniveau. Bei den gegebenen makroökonomischen Umständen in
Brasilien kamen die Forscher der Zentralbank zu folgender Schlussfolgerung: (i) eine
Veränderung der Zinsrate schlägt sich 3 bis 6 Monate später im Verbraucherverhalten und
in der Investition nieder, dazu kommen noch mal 3 Monate, damit es zu spürbaren
Auswirkungen in der Inflationsrate kommt. Zusammengerechnet benötigt der
geldpolitische Transmissionsmechanismus über die aggregierte Nachfrage zwischen 6 und
9 Monaten. (ii) über einen direkten Kanal beeinflussen Veränderungen des nominalen
Zinssatzes die Inflationsrate über den nominalen Wechselkurs simultan (iii) mit dem
gegebenen historisch niedrigen Niveau im brasilianischen gemeinschaftlichen Sektor, mit
den strengen monetären und kreditären Bedingungen, die mit dem Plano Real eingeführt
wurden, ist der Transmissionsmechanismus über den Kreditkanal nicht funktionsfähig und
kann daher in seiner Wichtigkeit bei der Kanalisierung einer Zinsveränderung in Richtung
Inflation negiert werden.
“The structural models are complemented by a set of short-term models.
These complementary models include Vector Autoregressive (VAR) models
and Autoregressive Moving Average (ARMA) time-series models and serve
three basic purposes: (i) providing an alternative short-term forecast for the
inflation rate and, therefore, permitting a consistency check with the
forecasts resulting from the structural models; (ii) permitting the use of the
inflation forecast resulting from these models for the purposes of estimating
(with the structural model) the ex ante real interest rate (which is an
explanatory variable in the aggregate demand equation in some of the
estimated structural models), as well as in the forward-looking interest rate
rule (which is one of the equations in the structural models); and (iii)
allowing to simulate shocks to specific components of the IPCA, like for
instance, changes in prices set by the public sector.”90
89
Das folgende nach: Bogdanski, Joel, Tombini, Alexandre Antonio, Werlang, Sérgio Ribeiro da Costa,
Implementing Inflation Targeting in Brazil, Banco Central do Brasil, Working Paper 1, Juli 2000, S. 14f.
90
Bogdanski, Joel, Tombini, Alexandre Antonio, Werlang, Sérgio Ribeiro da Costa, Implementing Inflation
Targeting in Brazil, Banco Central do Brasil, Working Paper 1, Juli 2000, S. 15.
Brasilien 52
91
Das folgende nach: Bogdanski et al. (2001) S. 18f.
92
Vgl. Goldfajn, Ilan, Werlang, Sérgio Ribeiro da Costa, The Pass-through from Depreciation to Inflation: A
Panel Study, Banco Central do Brasil, Working Paper 5, Juli 2000.
Brasilien 53
50
45
40
Inflation Targeting
35
30
in %
25
20
15
10
5
0
17.12.1997
20.05.1998
10.09.1998
11.11.1998
14.04.1999
23.06.1999
01.09.1999
06.10.1999
16.02.2000
18.10.2000
14.02.2001
19.12.2001
20.02.2002
04.03.1998
29.07.1998
18.01.1999
19.05.1999
15.12.1999
24.05.2000
23.08.2000
20.12.2000
18.04.2001
20.06.2001
22.08.2001
17.10.2001
COPOM-Treffen
93
Lago Alves, Sergio Afonso, Avaliação das Projeções do Modelo Estrutural Banco do Central do Brasil
Para a Taxa de Variação do IPCA, Banco Central do Brasil, Working Paper 16, März 2001.
94
BCB Inflationsreport Juni 1999 und vgl. Tabelle 2.
Brasilien 54
Obwohl die Regierung einige staatlich-kontrollierten Preise95 anhob, reagierte der IPCA
kaum, nur mit der geringsten monatlichen Veränderung des Jahres von 0,2% in Juni und
1,1% im Juli. Im Gegensatz dazu erreichte der IPA in den selben Monaten 1,4%, bzw.
2,0%.
Die Zentralbank hatte die Angleichung der staatlich-kontrollierten Preise schon in ihre
Inflationsprognosen übernommen und senkte nur die Selic-Rate im Juli Treffen auf 19,5%.
Das wurde damit begründet, dass eine Senkung nicht das Inflationsziel für 1999 gefährden
konnte, da jede geldpolitischen Maßnahme mit 6 Monaten Zeitverzögerung wirkt:
“The inflation trend up to the end of 1999, as published in Inflation Report I
and stated in accordance with the central scenario, remains valid, given the
lag of approximately 6 months between monetary policy alterations and
their impact on inflation, even with interest rates of less than 21% per
year.”96
Diese Entscheidung traf das COPOM aufgrund der Erkenntnis, dass die
Transmissionsmechanismus über die aggregierte Nachfrage eine Zinsveränderung mit
einer Zeitverzögerung von 6 bis 9 Monaten sich auf die Inflation auswirkt. Ein weiterer
Grund war die Inflationsprognose der Zentralbank für das Jahr 2000, die mit 3,9% weit
unter dem Inflationsziel für dieses Jahr stand. Der Wechselkurs geriet weiter unter Druck
und erreichte Mitte August wieder die R$ 1,90-Marke. Er ging aber aufgrund von
Verkäufen von US$-notierten Sicherheiten (NBC-E) in den ersten beiden Wochen des
Septembers auf R$ 1,80-1,90 zurück.
Im September gewann die Zentralbank die Zuversicht des Marktes wieder, da sich das
COPOM in ihren 38. Treffen dazu entschied die Selic-Rate bei 19,5% zu belassen, was die
erste Abweichung des Abwärtstrend seit April bedeutete.
Im September erschien die zweite Ausgabe des Inflationsreports. Die hier veröffentlichen
Inflationsprognosen stellten für das Jahr 1999 eine Verbesserung um 0,9%-Punkte fest, auf
eine prognostizierte Mitte von 7,4%. Die Prognose für das Jahr 2000 erhöhte sich jedoch
um 0,7%-Punkte auf 4,6. Sie lag damit immer noch unter dem Inflationsziel für dieses
Jahr. Diese Prognosen wurden bereits mit der im September beschlossenen Reduzierung
der Zinsen auf 19% getroffen.
Trotz der Verbesserung des Wechselkurses Ende August und Anfang September, geriet der
externe Sektor im Oktober und November weiter unter Druck, was hauptsächlich mit der
hohen Anzahl der Schuldenzahlungen Brasiliens in dieser Phase zu tun hatte. Dies führte
zu einem erneuten Anstieg des Wechselkurses, so dass der im Oktober zwischen R$ 1,95
95
Ölnebenprodukte, Elektrizität, Telekommunikation, Wasser, Abwasser und Tarife des städtischen
Nahverkehrs.
96
Minutes des 37. Treffen von COPOM, 28. Juli 1999.
Brasilien 55
und R$ 2,00 schwankte. Erst im November ging wurde der US$ wieder unter der R$ 1,95
Grenze gehandelt.
Außerdem wurden im Oktober 1999 die Verbraucherpreise von einem nichterwarteten
Angebotsschock getroffen. Das war erstens eine Erhöhung der Lebensmittelpreise,
zweitens ein Zuwachs in den Treibstoffpreisen und drittens eine Erhöhung der
Automobilpreise, durch die Erhöhung der Mehrwertsteuer in diesem Sektor. Dieser
Angebotsschock führte zu einer monatlichen Rate des IPCA von 1,19% im Oktober (die
höchste Rate in diesem Jahr) und 0,95% in November.97
Abbildung 11: monatliche Inflationsraten (IPCA) von Januar 1998
2,0
1,5
1,0
in % 0,5
0,0
J an. Apr. J ul. Okt. J an. Apr. J ul. Okt. J an. Apr. J ul. Okt. J an. Apr. J ul. Okt. J an. Apr. J ul.
98 98 98 98 99 99 99 99 00 00 00 00 01 01 01 01 02 02 02
-1,0
Die hohe IPCA Rate hatte eine sprungartige Erhöhung der Inflationserwartungen, sowohl
für das Jahr 1999 (7,8% in der ersten Woche des Novembers auf 8,6% in der dritten
Woche) als auch für das Jahr 2000 (mit einem Sprung von 6,0% auf 7,0%) zu Folge. Hier
drückt sich die Unerfahrenheit des Marktes mit Inflation Targeting aus. Eine kurzfristige,
temporäre Erhöhung der Inflationsrate, hier ausgelöst durch einen Angebotsschock, wurde
vom Markt fehlinterpretiert und in ihren Inflationserwartungen als permanente Erhöhung
der Inflation angesehen.
Das Jahr 1999 endete mit der Erfüllung des geforderten Inflationszieles
(8% ±2%-Punkte).98 Der IPCA stand Ende des Jahres bei 8,94%. Bei dem letzten Treffen
des COPOM wurde der Selic nicht mehr verändert und blieb bei 19%. Der Wechselkurs
erholte sich und sank Ende des Jahres auf ein Niveau um die R$ 1,80. Dies lag vor allem
97
Siehe Abbildung 8.
98
Siehe Abbildung 6.
Brasilien 56
wieder umdrehten. So war der auf 12 Monate umgerechnete Juni Wert mit 6,51% um
2,4%-Punkte niedriger als noch im Dezember des vorhergehenden Jahres. Die tatsächliche
Entwicklung lag weit unter der, die die brasilianische Zentralbank im Dezember in ihren
Inflation Report prognostiziert hatte. Die hier prognostizierten 7,8% lagen also 1,3%-
Punkte über dem tatsächlichen Wert für Juni 2000. Auch die Inflationserwartungen des
Marktes reagierten wohlwollend: sie fielen im Juni 2000 auf 6%, d’accord mit dem
vorgegebenen Inflationsziel für das Jahr 2000.
Mit der Aussicht auf die gute Entwicklung eines de Hauptindikatoren der brasilianischen
Volkswirtschaft, senkte das COPOM den Selic ein weiteres Mal auf 17,5%, abermals im
Zusammenhang mit einem Abwärtstrend. Der Trend wurde dann auch im Juli genutzt, um
den Selic auf 17% zu bringen. Im Juli Treffen des COPOM wurde der Selic noch mal auf
16,5% gesenkt.
Im Juni 2000 veröffentlichte COPOM im Inflation Report aktualisierte Zahlen der
Prognosen für die Jahre 2000, 2001 und bereits 2002. Für das Jahr 2000 wurde die
Prognose des IPCA, im Vergleich mit der Prognose vom März, wieder um 0,7%-Punkte
auf 5,6% gesenkt. Die zentrale Prognose für das Jahr 2001 wurde bei 3,9% angesetzt, was
im Vergleich zum März ein Zuwachs um 0,6%-Punkte bedeutete. Zudem legte COPOM
eine erste komplette Prognose für das Jahr 2002 vor, bei der sie beim IPCA mit 0,1% als
zentrale Projektion ausgingen.
Im Juli wurde der Abwärtstrend der Inflationsrate unterbrochen. Das hatte zwei Gründe:
(a) die erneute Anpassung der staatlich-kontrollierten Preise, wie Ölerzeugnisse,
Elektrizität und Telekommunikation, innerhalb eines Monats, (b) ein erneuter negativer
Angebotsschock, da die Lebensmittelpreise durch schlechte Ernten stiegen. Den ersten
Grund hatte die Zentralbank in ihrer Prognose berücksichtigt, der zweite kam jedoch völlig
unerwartet.100
die monatliche IPCA Rate übertraf infolgedessen mit 1,6% das komplette erste Halbjahr
des Jahres101 und die Inflationsrate, auf 12 Monate gerechnet, stieg wieder auf 7,8%, mehr
als einen Prozentpunkt im Vergleich zu den Monaten zuvor102. Ebenso stiegen die
Inflationserwartungen des Marktes auf 6,3% im August.
Zum Ende des Jahres 2000 erholte sich die Wirtschaft. Die Inflationsrate, gemessen am
IPCA, ging in diesen Monaten wieder zurück. Ende Dezember erreichte der IPCA mit
5,97% fast genau den vorgegebenen Wert, der in der Resolution Nr. 2640 veröffentlicht
wurde. Das war auf die monatlichen Inflationsrate in den Monaten September bis
100
Vgl. Fachada, Pedro, Inflation Targeting in Brazil: Reviewing Two Years of Monetary Policy 1999/00,
Banco Central do Brasil, Working Paper 25, Juli 2000, S. 29.
101
Siehe Abbildung 8.
102
Siehe Abbildung 6.
Brasilien 58
Dezember, mit zusammen nur 1,3%, zurückzuführen. Die Zentralbank beunruhigte jedoch
der außenwirtschaftliche Sektor mit (a) dem konstant hohen Ölpreis und (b) den
Unsicherheiten bezüglich der argentinischen Wirtschaft.103 Jedoch zeigte sich Ende des
Jahres, dass die Befürchtungen der Zentralbank nur bedingt berechtigt gewesen waren: der
Ölpreis sank im Dezember auf US$ 24 für eine Brent Barrel, und in Argentinien erholte
sich in dieser Zeit noch mal die Wirtschaft aufgrund verschiedener Maßnahmen.
Ende des Jahres 2000 erreichte der IPCA das Inflationsziel von 6%, und es gab positive
Aussichten auf die zukünftige Inflation. Im Inflationsreport des Dezembers hielt das
COPOM an dem nun etwas verlangsamten Abwärtstrend der Inflationsrate fest und
prognostizierte für das Jahr 2001 einen IPCA Wert von 3,9% und für das Jahr 2002 einen
von 2,6%. Durch die günstige Entwicklung und die Prognosen für die nächsten Jahre, die
immer noch unterhalb der jeweiligen Inflationsziele lagen, entschied sich die Zentralbank
im Dezember, die Zinsen erneut zu senken. Der Selic stand nun bei 15,75%.
Im Jahr 2001 wurde die brasilianische Geldpolitik vor herausfordernde Aufgaben gestellt.
Für das Jahr 2001 hatte der Inflation Report im Dezember 2000 eine IPCA Rate von 3.9%
vorausgesagt. Diese Prognosen stellten sich jedoch als zu optimistisch heraus, da die
brasilianische Volkswirtschaft von einigen externen und internen Schocks getroffen wurde.
Die Inflation stieg auf 7,86 % im August des Jahres und das Wachstum der Wirtschaft
verlangsamte sich.
Für den Rückgang der Außenwirtschaft war eine Verlangsamung der Weltwirtschaft und
des Welthandels verantwortlich. Das hatte hauptsächlich mit der fehlenden Konjunktur in
der US-amerikanischen Wirtschaft, den immer noch schlechten Aussichten im Hinblick
auf die wirtschaftliche und finanzielle Entwicklung in Argentinien und der Kapitalflucht
ausländischer Investoren aus Emerging Markets zu tun. All diese Faktoren wurden noch
von den Ereignissen des 11. Septembers 2001 verstärkt.104
Es gab außerdem noch hausgemachte Ereignisse, die die brasilianische Wirtschaft
erschütterten. Zum einen wurde sie in der ersten Hälfte des Jahres durch eine schwere
Energiekrise getroffen. Das hatte zur Folge, dass die Regierung Rationierungsprogramme
einführte, die das Vertrauen in der brasilianischen Bevölkerung beeinträchtigten. Auf der
anderen Seite mussten die staatlich-kontrollierten Preise erneut angepasst werden, zum
Teil auch eine Folge der Energiekrise. Ähnlich stiegen die Lebensmittelpreise. Das übte
ebenfalls Druck aus die Inflation aus.
103
Vgl. Fachada, Pedro, Inflation Targeting in Brazil: Reviewing Two Years of Monetary Policy 1999/00,
Banco Central do Brasil, Working Paper 25, Juli 2000, S. 30.
104
Vgl. WP Nr. 37, S. 8.
Brasilien 59
Diese externen und internen Schocks wirkten sich negativ auf den Wechselkurs aus. Schon
im März musste man für einen US$ wieder über R$ 2 zahlen. Er war so teuer, wie das
letzte Mal zwei Jahre zuvor, kurz nach der Freilassung der Wechselkurse. Bis Mitte
Oktober stieg der Wechselkurs auf R$ 2,75 für einen US$, was ca. einen R$ teurer war, als
noch im Jahr zuvor. Diese Abwertung entspricht einer Devaluation von ca. 40%.
Auch wenn sich diese Abwertung des Wechselkurses nur gering auf die Inflation
auswirken würde, z.B. mit 15% in vier Quartalen, so wäre die Großenordnung der
Devaluation so groß, dass sie das Inflationsziel für das Jahr 2001 mit 4% ernsthaft in
Gefahr bringen würde.105
“The recent currency depreciation brings to the fore the important issue of
the passthrough from the exchange rate to domestic prices. The low
passthrough observed in 1999 was a positive surprise to most
macroeconomic analysts. That year, the average depreciation of the Real
was of roughly 60%, while IPCA inflation was 8.9%. Two main arguments
were advanced to explain the low passthrough. The first, related to the then
prevailing economic environment, stressed that since the economy’s output
was well below potential, there was little room for price adjustments. The
second was associated with the level of the real exchange rate and with the
realignment of the relative prices of tradable and non-tradable goods. This
realignment was reflected directly on final prices, and indirectly on
production costs. Given that the share of prices directly linked to the
foreign exchange variation in the consumer price indexes, especially IPCA,
is small, it was to be expected that consumer inflation would be much lower
than the exchange rate depreciation.”106
Die Regierung begegnete diesen Herausforderungen mit Maßnahmen in der Fiskalpolitik
und Geldpolitik und mit einem neuen Programm, welches die brasilianische Regierung mit
dem IWF ausgehandelt hatte. Zu den geldpolitischen Maßnahmen gehörten die
Heraufsetzung des Selic im Juli auf 19% und eine Aufstockung der Reserven für zeitliche
Einlagen, ebenso eine Förderung der Liquidität auf dem Wechselkursmarkt.
Diese Maßnahmen hatten jedoch keine unmittelbare Auswirkung auf den Wechselkurs.
Erst ab Mitte Oktober erholte sich dieser durch eine Aufwertung bis Ende des Jahre um ca.
20%. Dies war jedoch eher eine Folge der besseren Prognose für das nächste Jahr
(zumindest, was die Handelsbilanz angeht) als ein Ergebnis der monetären und fiskalischen
Maßnamen. Die leichte Verbesserung des Wechselkurses wirkte sich nicht in der
Inflationsrate aus. Die monatlichen Raten lagen weiter über 0,5%. Das führte dazu, dass
das Inflationsziel mit 7,7% um mehr als 3,5%-Punkte verfehlt wurde.
Zum ersten Mal in der kurzen Geschichte von Inflation Targeting in Brasilien wurde das
Inflationsziel nicht erreicht. Laut dem Dekret Nr. 3088 vom 21. Juni 1999 war der
105
Vgl. WP Nr. 37, S. 8.
106
BCB, Inflation Report, März 2001, S. 104.
Brasilien 60
107
Der offene Brief ist im Internet auf englisch unter der Adresse:
http://www.bcb.gov.br/ingles/relinf/inftarget.pdf zu erhalten (16.05.2002).
108
Vgl. ebenda.
Brasilien 61
zu bekommen. Dies braucht jedoch Zeit. Zeit, die man dem Inflation Targeting Konzept
geben muss, um wirtschaftliche Stabilität zu bekommen.
Die Prognosen sehen für die nächsten Jahre gut aus. Die Inflationsprognose, veröffentlicht
im Inflation Report von März 2002, sagen für 2002 eine mittlere Inflationsrate von 4,4%
voraus, resp. 2,8% für das Jahr 2003. Der Abwärtstrend der Inflation hält an, auch wenn es
noch ein paar Jahre dauert, um das langfristige Ziel der Preisstabilität zu erreichen, das bei
0,5%-0,7% festgelegt ist.
Trotz des Rückschlages – die es weiterhin geben wird – ist Brasilien und die BCB auf
einem guten Weg das langfristige Ziel zu erreichen. Die schwere argentinische Krise hatte
bisher weniger spürbare Auswirkung im Vergleich zu der Tequila-Krise oder der
Asien-Krise. Mit Hilfe des Inflation Targeting Konzeptes war es möglich, das gezwungene
floating und dessen realwirtschaftliche Kosten abzufangen und die brasilianische
Wirtschaft wieder in die richtige Richtung zurück zu steuern.
Vergleich und Problematisierung 62
In einer Studie kommt die Mexikanische ZB besser weg als die brasilianische!
Literatur 63
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Anhang
Anhang 68
O PRESIDENTE DA REPUBLICA, no uso das atribuições que lhe confere o art. 84, inciso
IV, da Constituição, e tendo em vista o disposto no art. 4o da Lei no 4.595, de 31 de
dezembro de 1964, e no art. 14, inciso IX, alínea "a", da Lei n o 9.649, de 27 de maio de
1998,
DECRETA :
Art. 1o Fica estabelecida, como diretriz para fixação do regime de política monetária, a
sistemática de "metas para a inflação".
Art. 3o O índice de preços a ser adotado para os fins previstos neste Decreto será escolhido
pelo CMN, mediante proposta do Ministro de Estado da Fazenda.
Art. 4o Considera-se que a meta foi cumprida quando a variação acumulada da inflação -
medida pelo índice de preços referido no artigo anterior, relativa ao período de
janeiro a dezembro de cada ano calendário - situar-se na faixa do seu respectivo
intervalo de tolerância.
Parágrafo único. Caso a meta não seja cumprida, o Presidente do Banco Central do
Brasil divulgará publicamente as razões do descumprimento, por meio de carta
aberta ao Ministro de Estado da Fazenda, que deverá conter:
Art. 5o O Banco Central do Brasil divulgará, até o último dia de cada trimestre civil, Relatório
de Inflação abordando o desempenho do regime de "metas para a inflação", os
resultados das decisões passadas de política monetária e a avaliação prospectiva da
inflação.
RESOLUÇÃO 2.615
Fixa as metas para a inflacao e seus respectivos intervalos de tolerancia, bem como o
indice de precos a que se aplicam, para os anos 2001, 2000 e 1999.
RESOLVEU:
Art. 1. Determinar que o indice de precos relacionado as metas para a inflacao, referido
no art. 1., Paragrafo 1., do Decreto no 3.088, de 21 de junho de 1999, e o Indice
de Precos ao Consumidor Amplo (IPCA), calculado pelo Instituto Brasileiro de
Geografia e Estatistica (IBGE).
Paragrafo unico. O Conselho Monetario Nacional, mediante proposta do
Ministro de Estado da Fazenda, determinara indice substituto eventual, na
impossibilidade de se aferir o indice de que trata o "caput" deste artigo.
Art. 2. Fixar as seguintes metas para a inflacao, juntamente com os seus intervalos de
tolerancia, de acordo com o art. 1o, Paragrafo 2., do Decreto n. 3.088, de 21 de
junho de 1999:
I - para ano 2001: 4%, com intervalo de tolerancia de menos 2 % e de
mais 2 %.
II - para ano 2000: 6%, com intervalo de tolerancia de menos 2 % e de
mais 2 %; e
III - para ano 1999: 8%, com intervalo de tolerancia de menos 2 % e de
mais 2 %;
Quelle: http://lira.bcb.gov.br/ixpress/correio/correio/DETALHAMENTOCORREIO.DML
?N=099145783&C=2615&ASS=RESOLUCAO+2.615 am 20. März 2002.
Anhang 71