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Primarschule für St. Georg!
Uns Hamburgerinnen und Hamburgern steht eine der wichtigsten bildungs- und gesellschaftspolitischen Weichenstel-
lungen der letzten Zeit bevor: Am 18. Juli 2010 entscheidet die wahlberechtigte Bevölkerung in einem Volksentscheid
über die Einführung der Primarschule in Hamburg. Es geht im Kern darum, dass die Kinder nicht mehr nur vier, sondern
zukünftig in den ersten sechs Jahren gemeinsam lernen. Damit sollen die Startbedingungen der Kinder verbessert wer-
den, insbesondere auch derjenigen, die von Hause aus weniger Unterstützung erfahren (können).
Wir St. GeorgerInnen wollen die Schulen verbessern und erreichen, dass sämtliche Kinder optimal gefördert werden.
Wir wollen mehr Bildungsgerechtigkeit und damit bessere Chancen für alle. Dies gilt gerade für St. Georg, unseren
Stadtteil mit seinen vielen Kindern aus einkommensschwachen Verhältnissen oder aus Familien mit Migrationshinter-
grund. Wir halten das soziale Miteinander für den entscheidenden Faktor einer humanen und demokratischen Gesell-
schaft. Wir werden am 18. Juli daher für den von allen Bürgerschaftsparteien vorgelegten Abstimmungstext stimmen.
Vielen von uns geht die Primarschule nicht weit genug, aber es ist ein Einstieg in das längere gemeinsame Lernen.
Viele von uns kritisieren die Schulwirlichkeit, aber immerhin geht mit der Schulreform u.a. eine Verkleinerung der Klas-
sen einher. Nicht zuletzt wünschen wir uns für St. Georg endlich wieder eine komplette schulische Versorgung, und dies
würde die Schulreform bringen:
Das gemeinsame Lernen aller Kinder in der Primarschule von der 1. bis zur 6. Klasse (Heinrich-Wolgast-Schule);
die weitere schulische Laufbahn entweder in der Stadtteilschule von der 7. bis zur 10. Klasse, bzw. bis zum Abitur in der
13. Klasse (Lohmühlengymnasium in Kooperation mit der Schule Griesstraße) oder
der Besuch des Gymnasiums von der 7. Klasse bis zum Abitur in der 12. Klasse (Gymnasium Klosterschule).
Entsprechende Regelungen würden auch für die Katholische Schule und die Brecht-Schule gelten.
Wir St. GeorgerInnen sprechen uns eindeutig gegen diejenigen Gruppen aus, die an den ungerechten Schulverhält-
nissen festhalten wollen. Wir möchten nicht, dass die Kinder nach der 4. Klasse oft nach sozialer oder migrantischer
Herkunft aufgeteilt werden. Wir möchten verhindern, dass ein Teil von ihnen damit erheblich schlechtere Startbedingun-
gen hat. Gemeinsames Lernen der Kinder aus allen Schichten – nahezu in ganz Europa pädagogischer Alltag – muss
auch bei uns verlängert und verbessert werden. Deshalb stimmen wir am 18. Juli gegen den Abstimmungstext der
Gruppe unter dem irreführenden Titel „Wir wollen lernen“und für die Vorlage der Hamburgischen Bürgerschaft. Bil-
dungsprivilegien gehören abgebaut und nicht einbetoniert!
Ich bin für die Primarschule und ein län- Ich bin für die Schulreform, weil Abgren-
geres gemeinsames Lernen. Hamburg zung etwas für Schlappschwänze und
muss einen Start wagen, als Impuls für Angsthasen ist und sich eine moderne
die Bildungslandschaft in Deutschland, Volkswirtschaft unser vorsintflutliches
damit unser dreigliedriges Schulsystem Schulsystem nicht länger leisten kann.
nicht weiter auf Jahrzehnte zuzemen- Marina Wandruszka, Mutter, Schau-
tiert wird. spielerin am ThaliaTheater, kommt
Nachbarländer zeigen uns, dass ge- aus einer Akademikerfamilie und hat
meinsames längeres Lernen herkunfts- das große Latinum
bedingte Benachteiligungen reduziert
und gleichzeitig die exzellenten und
leistungsstarken SchülerInnen keinerlei Nachteile erleben.
Sabine Skalla, Geschäftsführerin der Kita KoppelKinder
Wer, wie ich aus einer „bildungsfernen Einführung der Primarschule: gemeinsames
Familie“ kommt, weiß wie schwer es ist, Lernen bis zur 6. Klasse – JA! Oder, wie von
schulisch voranzukommen. Daher: Ein der Elbvorortinitiative gefordert, Beibehal-
klares „Ja“ zur Schulreform! tung des Elternwahlrechts für den Besuch
von Gymnasien und Eliteschulen nach der 4.
Hauke Reglin,
Klasse – NEIN! Lasst uns die Ärmel aufkrem-
Heinrich-Wolgast-Schule, peln und der Finanzmacht der Oberen mit
Sozialpädagoge unserer Fähigkeit zu solidarischem Handeln
begegnen – im Interesse aller Kinder.
Für gemeinsames Lernen, gegen soziale Aus-
grenzung.
Rolf Becker, Vater, Schauspieler
Ich bin für die Primarschule und die Im Sinne der Chancengerechtigkeit hal-
Schulreform, obwohl das alles nur Kom- te ich die Einführung der sechsjährigen
promisse sind! Primarschule für dringend notwendig.
Ich hab immer noch nicht verstanden, Es ist längst erwiesen, dass es für alle
wieso so viele Mittelschicht-Eltern glau- Leistungsstufen langfristig nur Vorteile
ben, dass ihre Kinder nur von der Ober- bringt. Schön wäre es, wenn man noch
schicht lernen können. die Besuche von Theater und Museen in
Da brauche ich Nachhilfe! Ich freue mich Hamburg, zum Beispiel zweimal im Jahr,
auf die Diskussionen. als Bedingung im Kanon fest verankern
Rita Kreis, Mutter, ehemalige Schullei- und finanzieren könnte, wie es ande-
terin, Geschichtswerkstatt St. Georg re Länder (z.B. Niederlande) längst tun.
e.V. „Weg vom Bildschirm, raus in die Welt“, muss die Devise sein.
Klaus Schumacher, Regisseur und Künstlerischer Leiter des
Jungen Schauspielhauses
Was für die Einführung der Primarschule „Na, jetzt biste wohl was Besseres!?“
spricht? Mit diesen Worten kommentierte mein
1. Die Wissenschaft: Zahlreiche Studien Klassen- und bester Spielkamerad Franz
belegen, dass längeres, gemeinsames in frühen Kindertagen meinen Wechsel
Lernen von Vorteil für alle Kinder ist. auf das Gymnasium nach der vierten
2. Die Demokratie: Ein ständisches Bil- Klasse, während er auf der „Volksschu-
dungswesen, wie wir es noch haben, le“ blieb. Unsere Freundschaft war da-
steht der Verwirklichung einer substan- mit urplötzlich beendet. Ich habe dieses
tiellen Demokratie im Wege. 40 Jahre zurückliegende Erlebnis nie
3. Die humanistischen Werte: Wer Ge- vergessen und wünsche mir, dass alle
rechtigkeit will, kann das frühe Aussor- Kinder möglichst lange zusammen zur
tieren und Spalten von Kindern nicht gutheißen. Schule gehen. Deswegen bin ich für die Primarschule, für ein Stück
Prof. Dr. Sabine Stövesand, Professorin für Soziale Arbeit gerechterer Startbedingungen!
an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Michael Joho, Vorsitzender Einwohnerverein St. Georg von 1987
Die Hamburger Schulreform bedeutet für Ich bin für die Primarschule, um auch
die Kinder in St. Georg, zwei Jahre län- vermeintlichen Spätentwicklern genü-
geres gemeinsames Lernen an der tollen gend Entwicklungszeit für ihre weitere
und erfolgreichen Heinrich-Wolgast- Schullaufbahn zu geben.
Schule. Für Hamburg bedeutet es 10 Wie wollen wir etwas zum Besseren ver-
Jahre Schulfrieden. Und für Deutschland ändern, wenn die Reform ausgebremst
ist es ein Signal für ein längeres wird?
gemeinsames Lernen, wie es internatio- Max Läufer und Familie, Ladeninhaber
nal längst üblich und erfolgreich ist. Dass
unser bisheriges Schulsystem geschei-
tert ist, ist längst erwiesen, daran fest-
zuhalten ist Wahnsinn. Die sechsjährige Primarschule ist ein Schritt
in die richtige Richtung.
Dr. Johannes Landwehr, Elternrat der Heinrich-Wolgast-Schule,
Gymnasiallehrer
Ich bin für die Primarschule, weil sie der Wir sind für die Einführung der Primar-
erste wichtige Schritt in Richtung „Schu- schule, weil sich dieses Schulsystem un-
le für alle“ ist! serer Meinung nach bereits in den 50er
Carsten Beleites, Vater und Lehrer Jahren bewährt hat. Ebenso ist durch die
skandinavischen Länder erwiesen, dass
gemeinsames längeres Lernen eine Bil-
dungselite (siehe ständige Pisa-Ergeb-
nisse dieser Länder) hervorbringt.
Sandra und Angel Martinez-John
(spanische Staatsangehörigkeit) mit
Louis und Alba, Textilmanagerin und
Senior Manager, Sales und Marketing
Das jetzige Schulsystem sortiert nur aus Unsere Tochter soll in die Primarschule
und nicht ein! Mein Berufsleben lang in St. Georg gehen, weil hier die Klassen
habe ich Kinder und Jugendliche - egal kleiner sind, sie frühzeitig eine Fremd-
woher sie kamen - mitgenommen, mit- sprache erlernt und sie auch sechs Jahre
einbezogen und jegliche Aussonderung lang einen kurzen Fußweg hat. Ihr bleibt
vermieden! Wir können es uns einfach bei der Primarschule ein möglicher wei-
nicht leisten - schon aus wirtschaftlichen terer Schulwechsel erspart. Das finden
Gründen - dass 25 % aus dem Erwerb- wir sehr wichtig.
sprozess herausfallen. Und dümmer sind Jennifer und Johnnie Chung
sie keinesfalls! (geb. in Hongkong), Jancis
Gisela Hofmann, Sozialpädagogin, (5 Jahre) geht in die Kita des
ehemalige Kitaleiterin und Lehrerin in AK St. Georg (Lohmühlenstrolche)
der Erzieherausbildung
Als Haupt- und Realschullehrerin habe Ich unterstütze die Einführung der sechs-
ich zu viele Kinder und Jugendliche ken- jährigen Primarschule, weil eine spätere
nen gelernt, deren Begabungen nicht Aufteilung in verschiedene Schulformen
erkannt und nicht genügend gefördert meinen Freunden und mir einige Umwe-
wurden. Diese Förderung wird durch das ge in unserer Ausbildung erspart hätte.
längere gemeinsame Lernen ermöglicht. Uwe Mesterjahn,
Susanne Rautenberg, Lehrerin an der Diplomingenieur und Braumeister
Heinrich-Wolgast-Schule und Groß-
und Außenhandelskauffrau
Bildung ist nur in einer sozial starken Die Forschungen haben gezeigt, dass
Gemeinschaft möglich. Kinder brauchen längeres gemeinsames Lernen zu mess-
Sicherheit, Freunde, vertraute Lehrer, sie bar besseren Ergebnissen für alle Kinder
brauchen die Gewissheit, so akzeptiert führt. Als Mediziner bin ich gewohnt, dass
zu werden, wie sie sind. Mit allen ihren Forschungsergebnisse zum Nutzen der
Stärken, aber auch mit ihren Schwä- Menschen umgesetzt werden. Dafür ist
chen. Kinder wollen gesehen werden. die Primarschule ein wichtiger Schritt.
Nur langes , gemeinsames Lernen kann Eckhard Franzki, Facharzt für Psycho-
ihnen diese Sicherheit geben. Frühe somatik und Psychotherapie
Selektion kann zu Verunsicherung und
schon in den ersten Klassen zu Frust-
ration führen. Kein guter Boden für selbstständiges und freudiges
Lernen. Die Primarschule ist ein wichtiger Schritt in die richtige
Richtung.
Kerstin Timme-Schüler, Erzieherin, KiTa Koppel-Kinder
1. Teil: „Nur wer grundsätzlich damit ein- Es gibt viele Studien, die belegen, dass
verstanden ist, Menschen in mehr oder längeres gemeinsames Lernen gut für
weniger wertvolle Mitglieder der Gesell- den Lernerfolg aller SchülerInnen ist.
schaft mit entsprechender Bezahlung zu Von einer Studie, die das Gegenteil be-
sortieren, kann auch für die frühzeitige legt, habe ich jedoch noch nichts gehört.
Selektion des bisherigen Schulsystems In den allermeisten Ländern Europas ist
sein. längeres gemeinsames Lernen der Stan-
2. Teil: Diejenigen, die im PISA- Wett- dard und kann mit Blick auf die PISA-
kampf in Richtung Finnland schielen, Studie so schlecht nicht sein. Gebt den
sollten sich (außerdem) bewußt machen, Kindern eine Chance, zusammen mitein-
wodurch dieses Schulsystem Erfolg hat: ander zu lernen, stimmt gegen die Initia-
Durch ein Miteinander der „starken“ mit den „schwachen“ Schü- tive „Wir wollen lernen“ und für die Schulreform!
lern, also Solidarität. Oder hat Deutschland Angst genau davor?“ Matthias Lakämper,
Lisa Politt, polittbüro Student der Soziale Arbeit, Praktikant in St. Georg
„Die Primarschule ermöglicht unseren Ich bin für die Primarschule, weil ich
Kindern längeres gemeinsames Lernen. möchte, dass alle Kinder länger zusam-
Diese Chance sollten wir uns nicht ent- men und voneinander lernen. Das erhöht
gehen lassen.“ auch die Sozialkompetenz. Das längere
Thomas Kleyboldt, stellvertretender gemeinsame Lernen funktioniert aber
Elternratsvorsitzender an der Dom- nur, wenn wir genug differenzieren, das
schule St. Marien tun wir bereits ziemlich gut und wir wer-
den immer besser!
Petra Demmin, Leiterin der Heinrich-
Wolgast-Schule
V.i.S.d.P.: Einwohnerverein St. Georg von 1987 e.V., per Adresse Stadtteilbüro, Hansaplatz 9, 20099 Hamburg. Auflage: 2800. St. Georg, den 27. Mai 2010.