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:antifaschistische Nr.

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nachrichten g 3336 26.1.2004 20. jahrg./issn 0945-3946 1,30 ¤
www.antifaschistische-nachrichten.de

Unter Teilnahme von Bundes-


verteidigungsminister Struck
fand am 21. Januar im Dom zu
Köln der jährliche – traditionell
ausgerechnet zum „Weltfriedens-
tag“ – von Kardinal Meisner
durchgeführte Soldatengottes-
dienst statt.
In Reih und Glied marschierten
viele Soldaten im Kampfanzug
auf . Kardinal Meisner pries die
Soldaten in seiner Predigt als
„Friedenserzieher“ für „die ganze
Welt“.

Foto: arbeiterfotografie

Ein „Hauptort“ und mehrere


„Dependancen“: Das „Zen- Jetzt dezentrales „Zentrum
trum gegen Vertreibungen“
soll, so schlägt es die „Koperni-
kus-Gruppe“ vor, geteilt werden. Die
gegen Vertreibungen“? von Jörg Kronauer
„Kopernikus-Gruppe“, eine „vertrau-
lich“ tagende Runde, versammelt Zentrum gegen Vertreibungen“, Innenmi- die sich im 20. Jahrhundert in Europa er-
„Fachleute (...) vornehmlich aus dem nisterium und Unionsparteien wollen das eignet haben, (...) neu (zu) bewerten und
Grenzbereich von Politik, Wissen- Zentrum nach Berlin holen; SPD, Grüne, (zu) dokumentieren“. Der „Rat der Wei-
schaft und Journalismus“; sie widmet das Auswärtige Amt (AA) und seine Vor- sen“, eine Ansammlung von „Persönlich-
sich der „Identifizierung aktueller, la- feldorganisationen plädieren für den keiten mit politischer und moralischer
tenter und potentieller Verständnis- Standort Wroclaw. Obwohl die Konzep- Autorität“, hat die Aufgabe, „Empfehlun-
und Verständigungsprobleme (...) im tionen sich inhaltlich kaum unterschei- gen“ für das „Europäische Zentrum ge-
deutsch-polnischen Verhältnis“. Der den, haben die beiden Fraktionen sich gen Vertreibungen“ abzugeben – und da
Streit um das „Zentrum gegen Vertrei- heillos ineinander verharkt; der BdV seine Mitglieder über „Autorität“ verfü-
bungen“, inzwischen wieder etwas droht mit einem Alleingang, das AA gen, ist mit ihrer Umsetzung zu rechnen.
abgekühlt, gehört sicherlich zu den kommt nicht recht voran. Uneinigkeit in Ob sich die „Kopernikus-Gruppe“ mit
„aktuellen Verständigungsproble- den eigenen Reihen ist der Schlagkraft ihren Vorschlägen durchsetzen kann,
men“, ihn zu schlichten, hat sich die der Berliner Außenpolitik wenig zuträg- bleibt abzuwarten. Berlin wird Wege fin-
Gruppierung zum Ziel gesetzt. lich. Ein Konzept ist also gefragt, das die den, die Umsiedlung der Deutschen öf-
Möglichkeit bietet, die beiden streitenden fentlich zu thematisieren – und sie zum
Die Schwierigkeit, den Streit um das Fraktionen zu vereinen. Sowohl als „Unrecht“ zu erklären. Schließlich haben
„Zentrum gegen Vertreibungen“ zu auch!, lautet der Vorschlag der „Koperni- die deutschen Ministerialbürokratien in
schlichten, beruht nicht nur auf den massi- kus-Gruppe“, der im Dezember von den Umbrüchen ab 1989 peinlichst darauf
ven Protesten vor allem in Polen. Sie hat Innenminister Schily in die Öffentlichkeit geachtet, die Eigentums- und Entschädi-
ihre Ursache insbesondere in der Notwen- getragen wurde. Der BdV soll seine Pläne gungsansprüche der Umgesiedelten offen
digkeit, zwei sich inzwischen gegenseitig in Berlin verwirklichen, die SPD darf zu halten. Weder der 2+4-Vertrag noch
heftig bekämpfende pressure groups in sich an einem „Vertreibungs“-Museum in der deutsch-polnische Grenzvertrag von
Deutschland wieder an einen Tisch zu be- Wroclaw beteiligen, beide Einrichtungen 1990 oder der Nachbarschaftsvertrag von
kommen. Der „Bund der Vertriebenen“ bilden ein „Netz verschiedener miteinan- 1991 berühren die Forderungen der deut-
(BdV), die von ihm errichtete „Stiftung der verbundener Standorte“ und werden schen „Vertriebenen“. Auf ihrer Website
von einem „Hauptort“ zusammengehal- erklärt die Bundesregierung unmissver-
ten, für den Görlitz vorgesehen ist. ständlich: „Durch den deutsch-tschecho-
Aus dem Inhalt: Eine „rasche Initiative“ empfiehlt die slowakischen Vertrag von 1992 und die
„Kopernikus-Gruppe“, sie schlägt vor, deutsch-tschechische Erklärung von 1997
Richter fordern Verbot von das Wort an einen „Rat der Weisen“ zu konnte für Rückerstattungs- und Vermö-
NPD-Demonstration . . . . . . . . . 5 übergeben. Den sollen die Präsidenten gensfragen keine eindeutige Klärung er-
Doppelstrategie der EU Deutschlands und Polens einberufen, die reicht werden.“ Apparate, die so sorgfäl-
in Flüchtlingsfragen . . . . . . . . . 7 kürzlich in ihrer „Danziger Erklärung“ tig arbeiten, bekommen auch das „Zen-
Kopftuchgesetz Teil II . . . . . . . 13 den Willen bekräftigt haben, „alle Fälle trum gegen Vertreibungen“ in den Griff.
von Umsiedlung, Flucht und Vertreibung, (siehe auch Buchbesprechung S.10) ■
: meldungen, aktionen

Beckstein verbietet ländern in Kontakt zu treten.


Skinhead-Gruppe Quelle:
http://de.news.yahoo.
München. Das bayerische Innenminis- com/040122/12/3un7y.htm ■
terium hat die Skinhead-Gruppierung
„Fränkische Aktionsfront“ (F.A.F.) ver- „Deutsches Kolleg“
boten. Sie sei mit dem Nationalsozia-
lismus wesensverwandt, erklärte Innen- ist Volksverhetzung
minister Günther Beckstein am Donners- Berlin. Am 6./11. und 18.
tag, 22.1.04, in München. Bei der Verei- Februar verhandelt die Straf-
nigung handele es sich um die politisch justiz Berlin (Moabit, Saal
aktivste Skinhead-Gruppierung im Groß- 220, Turmstraße 91) gegen
raum Nürnberg. Die F.A.F. habe „unver- die Urheber respektive die presserecht- Wir lassen nicht zu, dass heute schon
hohlen die Beseitigung der freiheitlichen lich Verantwortlichen des Deutschen wieder Neo-Faschisten und Hitler-Fans
demokratischen Grundordnung propa- Kollegs, Uwe Meenen, Reinhold Ober- auf unseren Straßen ihre menschenver-
giert“, sagte Beckstein. Diese „beharrli- lercher und Horst Mahler wegen „Volks- achtende Parolen verbreiten. Wir lassen
che und zunehmend aggressive Agita- verhetzung“ (§ 130 StGB). Das Verfah- nicht zu, dass der öffentliche Raum von
tion“ sei nicht länger hinnehmbar gewe- ren nimmt Anstoß an diskriminierenden Rassisten beherrscht wird, denn Fa-
sen. Beckstein kündigte zugleich an: und rassistischen Äußerungen auf den schismus ist keine Meinung sondern ein
„Wir werden die regionale rechtsextre- Internetseiten des Deutschen Kollegs, Verbrechen!
mistische Szene weiterhin im Auge be- darunter: „Beendigung der Ausländerbe- Wir fordern Rat und Verwaltung der
halten und auch gegen sich womöglich schäftigung (...) Ausschluß ausländi- Stadt Osnabrück mit Oberbürgermeister
neu bildende Strukturen mit allen zur scher Arbeitnehmer aus der Arbeitslo- Fip auf, alle rechtlichen Möglichkeiten
Verfügung stehenden rechtlichen Mitteln senversicherung (...)Ausweisung aller auszuschöpfen, um sich gegen den Auf-
vorgehen“. arbeitslos gewordenen Ausländer (...) marsch zu stellen. Ein Verbot wäre ein
Nach Angaben des Innenministeriums Ausweisung aller zum Straf- oder Sozi- deutliches politisches Zeichen, auch
durchsuchte die Polizei zeitgleich am alfall gewordenen Ausländer (...) Frei- wenn bisher solche Verbote meistens
Donnerstagmorgen Wohnungen von räumung aller Asylantenunterkünfte und aufgehoben wurden.
F.A.F.-Aktivisten. Betroffen waren zwölf Ausweisung der Asylbewerber (...) Ver- Wir rufen deshalb die gesamte Osna-
Wohnungen in Mittelfranken, eine Woh- bot von Ausländerorganisationen in brücker Bevölkerung auf, sich gegen den
nung in Oberfranken und eine in Mainz. Deutschland (...) Entlastung der deut- Nazi-Aufmarsch am Samstag, den 28.
Bei der Aktion stellten die Beamten acht schen Volksschule von Hilfs- und Februar 2004 zu stellen.“
Computer, mehrere Disketten, fünf Fremdschülern, um sie der deutschen Da die Marschroute der NPD noch
Schreckschusswaffen, zwei Teleskop- Kultur zurückzugeben.“ Darüberhinaus nicht bekannt ist, wird der genaue Treff-
schlagstöcke sowie Plakate und Aufkle- muss sich Horst Mahler in seiner Eigen- punkt kurzfristig bekanntgegeben.
ber sicher. Verhaftet wurde niemand. schaft als Anwalt der NPD für einem Aktuelle Informationen über:
Allerdings wurde gegen einen Aktivisten dem „Bundesverfassungsgericht“ im www.antifa-os.de ■
ein Strafverfahren wegen unerlaubten Parteiverbotsverfahren vorgelegten
Waffenbesitzes eingeleitet. Schriftsatz verantworten, in dem er 13. Februar in Dresden
Die „Fränkische Aktionsfront“ trat schrieb: „Der Haß auf die Juden stellt
den Angaben zufolge erstmals 2001 in sich als etwas ‘ganz Normales’ heraus. Dresden. Der 13. Februar in Dresden,
Erscheinung. Zu ihrem Sympathisanten- Ja, er ist geradezu das untrügliche Zei- Jahrestag der Bombardierung der Stadt
kreis gehörten rund 40 Personen, in er- chen eines intakten spirituellen Immun- 1945, ist zu einem der bedeutendsten
ster Linie Skinheads. Die F.A.F. wolle systems, also von geistiger Gesundheit – Aufmarschtermine der Naziszene nach
als Aktionsbündnis die Durchschlags- eine Gesundheit, die Juden – zu Recht – dem Heß-Aufmarsch geworden. Der
kraft des „Nationalen Widerstands“ in fürchten.“ kun ■ wieder von der Jungen Landsmannschaft
Franken verbessern. Auf Flugblättern Ostpreußen resp. Alexander Kleber an-
und Aufklebern verbreite sie unter ande- Kein Nazi-Aufmarsch in gemeldete Aufmarsch findet dieses Jahr
rem antisemitische Parolen oder verherr- am 14. Februar, einem Samstag, statt, es
liche NS-Größen. Osnabrück! kann also mit einer noch größeren An-
Nach Angaben des bayerischen Land- Osnabrück. Die neofaschistische NPD zahl auf Naziseite gerechnet werden. Da
esamtes für Verfassungsschutz hat die plant für Samstag, den 28. Februar 2004 es an diesem Tag (im Gegensatz zum
F.A.F. viele Verbindungen zu anderen einen Aufmarsch in Osnabrück. Das 13.2.) keine „Allgemeinverfügung“, also
Skinheadgruppierungen und zur NPD. Motto lautet „Heimreise statt Einwande- ein pauschales Verbot von Demonstratio-
Seit Herbst 2002 stehe sie in engem rung, denn deutsche Kinder braucht das nen, für die Innenstadt gibt, führt die
Kontakt zur „Kameradschaft Süd“, de- Land“. AntifaschistInnen werden dage- Route der Neonazis wahrscheinlich zur
ren Führer Martin Wiese zusammen mit gen protestieren, in ihrem Aufruf heißt Frauenkirche. Ihr Treffpunkt ist 12 Uhr
anderen Mitgliedern einen Terroran- es: am Zwingerteich (hinter der Sem-
schlag auf das neue Jüdische Zentrum in „Die NPD betreibt mit dieser Kam- peroper). Als Redner ist u.a. Jürgen Rie-
München geplant haben soll. Beide Or- pagne und mit ihrer gesamten Politik ger angekündigt, und Frank Rennicke
ganisationen hätten die Gründung einer Hetze gegen Flüchtlinge und Einwande- soll klimpern.
„Aktionsgemeinschaft Bayern“ vorbe- rer, Hetze gegen die Selbstbestimmung Bereits für den 13.2. sind Naziakti-
reitet, um neonazistische Gruppen in der Frauen, gegen u. a. unsere polni- vitäten angekündigt: sie wollen um 11
Bayern unter einem Dachverband zu schen und tschechischen Nachbarn, ge- Uhr wieder an der städtischen Kranznie-
vereinen. Außerdem habe man so die gen Gewerkschaften und soziale Bewe- derlegung auf dem Heidefriedhof teil-
Voraussetzungen schaffen wollen, um gungen, gegen Chancengleichheit und nehmen, anschließend soll es eine Saal-
besser mit Neonazis in anderen Bundes- gegen demokratische Grundrechte veranstaltung geben. Dann ist ein Stadt-

2 : antifaschistische nachrichten 2-2004


rundgang mit dem stv. Vorsitzenden des
„Nationalen Bündnisses Dresden“ ange-
kündigt und schließlich darf auch auf
den Trauer-Events an der Frauenkirche
verstärkt mit Nazis gerechnet werden.
Ob es auch am 13.2. einen Aufmarsch
geben wird, ist noch offen.
Ein erster Anlaufpunkt für gegenakti-
vitäten ist die antifaschistische Kundge-
bung : 14. Februar ab 11 Uhr am Kultur-
palast. Erstmals gibt es jedoch an diesem
13. Februar eine linke Demo gegen das
gemeinsame nationale Trauer-Spektakel
von Nazis und BürgerInnen. Unter dem
Motto „Den deutschen Opfermythos im
Visier – Gegen jeden Geschichtsrevisio-
nismus“ wird bundesweit mobilisiert,
Treff ist 17 Uhr am Albertplatz (Dres-
den-Neustadt). Alle Informationen rund
Hilarius-Gilges-Platz eingeweiht
um den 13. und 14.Februar findet Ihr un- Düsseldorf. Am 23.12.03 wurde in sich mit Gelegenheitsarbeiten durch,
ter venceremos.antifa.net Düsseldorf in der Altstadt am Eiskeller- verkaufte Tabak und Zigarettenblättchen,
Gamma news Leipzig berg im Gedenken an das erste Mordop- wobei er auch Broschüren und Zeitungen
www.free.de/infotelefon, Termine auch fer der Faschisten in Düsseldorf der „Hi- der KPD, deren Mitglied er war, vertrieb.
unter: www.left-action.de ■ larius-Gilges-Platz“ eingeweiht. Die In- Er war Mitbegründer der KPD Agitprop-
itiative dafür war ausgegangen vom gruppe „Nordwest ran“, bei der auch un-
Fechenheim wieder Schau- „Freundeskreis Heinrich Heine“, der sere Kameradin Maria Wachter mitwirk-
sich offensichtlich der fortschrittlichen te und die von dem späteren Intendanten
platz eines Naziaufmarschs Tradition Heinrich Heines verbunden des Düsseldorfer Theaters Wolfgang
zum 1. Mai? fühlt und vor etwa 10 Jahren, solange hat Langhoff geleitet wurde.
Frankfurt. Der diesjährige Philipp- die Genehmigung auf sich warten lassen, Etwa ein Jahr nach Gründung der
Pless-Preis wird an an die beiden Fe- diese Aktion gestartet hat. Unter den po- Agitpropgruppe wurde Hilarius Gilges
chenheimer Kirchengemeinden als Aner- litischen Verhältnissen nicht nur in Düs- verhaftet und zu einem Jahr Gefängnis
kennung für ihre Beteiligung an der Ver- seldorf eine dankenswerte Initiative, die verurteilt. Nach seiner Entlassung mach-
hinderung von Nazi-Aufmärschen 2002 erstaunlicherweise zum Erfolg geführt te er sofort weiter, musste dann nach der
und 2003 verliehen hat. faschistischen Machtergreifung in der Il-
Der am 16. März 1906 geborene Die VVN/BdA Düsseldorf hat diese legalität leben.
Frankfurter Dreher Philipp Pless war ak- Einweihung mit einer kleinen Aktion be- Am 20. Juni 1933, Hilarius war gerade
tiver Gewerkschafter und wurde in der gleitet, um auch den zahlreich erschiene- 24 Jahre alt, verschleppten ihn Gestapo-
NS-Zeit wiederholt verhaftet. 1935 emi- nen Journalisten die wahren Hintergrün- und SS-Schergen und brachten ihn besti-
grierte er nach Frankreich. Nach 1945 de für diesen ersten aus rassistischen und alisch um. Am nächsten Tag fand man
war er Journalist und Mitbegründer der politischen Gründen erfolgten Mord der ihn am Rheinufer mit Spuren grässlicher
Deutschen Journalisten-Union (DJU). Er Faschisten darzulegen. Folterungen und zahlreichen Schussver-
war SPD-Landtagsabgeordneter und Hilarius Gilges war der Sohn eines letzungen.
DGB-Landesbezirksvorsitzender in Hes- schwarzen Rheinschiffheizers und einer VVN/BdA Düsseldorf
sen. Er starb am 17.12.1973. Düsseldorfer Textilarbeiterin. Er schlug Klaus Winkes ■
Die Anti-Nazi Koordination begrüßt
die Preisverleihung. Zugleich fordert sie
die Stadt Frankfurt am Main, ihren Ma-
gistrat und die Stadtverordnetenver-
sammlung auf, zu verhindern, dass für
Frankfurt angemeldete Nazi-Aufmärsche
noch einmal durch die Ordnungsbehör-
den nach Fechenheim verlegt werden.
Stattdessen sollten von den Behörden
alle Rechtsmittel ausgeschöpft werden,
die zur Verfügung stehen, um Nazi-Zu-
sammenrottungen in Frankfurt generell
unmöglich zu machen. Fechenheim darf
sich nicht alljährlich am 1. Mai zu einer
Art Freilichtbühne für die Verhinderung
von Nazi-Aufmärschen entwickeln.
Wie verlautet, ist bereits jetzt schon
wieder der Vorplatz des S-Bahnhofs
Mainkur für den Vormittag des 1. Mai
2004 aus „übergeordnetem Sicherheits-
interesse“ durch den Bundesgrenzschutz
mit Beschlag belegt worden. Eine von
Fechenheimer Bürgerinnen und Bürgern
für diesen Termin vorgesehene Ehrung
des ersten Frankfurter Arbeitsimmigran-
Fortsetzung Seite 4
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ten, der als Casella-Arbeiter Anfang der lang der Strecke gab es kaum eine Mög- Ernüchternd war auch bei dieser Demon-
60er Jahre an diesem Ort in Frankfurt an- lichkeit für Antifaschisten näher an die stration die Eifrigkeit, mit der einzelne
kam, sei deshalb nicht möglich. Nach Demonstration heranzukommen. Ledig- Staatshüter die Straße für den Fanclub
Lage der Dinge kann das nur bedeuten, lich am U-Bahnhof Magdalenenstraße von Rassenhass und Gewalt gegen An-
dass die städtischen Behörden auch für war eine Protestkundgebung genehmigt, dersdenkende freimachten. Zum Beispiel
dieses Jahr wieder mit einem Nazi-Auf- zu der etwa 150 Personen kamen. wurde einem Antifaschisten am Rathaus
marsch rechnen, den sie erneut nach Fe- Immerhin stellte die Bürgermeisterin Lichtenberg beim Wegdrängen mal so
chenheim verlegen wollen. Es ist kein von Lichtenberg (PDS) unter anderem nebenbei mit der Faust ins Gesicht ge-
Geheimnis, dass der einzige Grund hier- Jugendlichen der Clubs „Linse“ und schlagen, obwohl der Demonstrations-
für in der geographischen Lage des Orts- „Arche“ das Rathaus zur Verfügung, so zug noch nicht mal in Sichtweite war.
teils besteht, der zum Schutz des Nazi- dass die Naziparolen mit lauter Musik ausführlicher Bericht bei
Aufmarschs vor GegendemonstrantIn- und Trommeln übertönt werden konnten. www.de.indymedia.org ■
nen regelmäßig weiträumig durch ein ge-
waltiges Polizeiaufgebot abgeriegelt
werden kann.
Die Preisverleihung dagegen zeigt
noch einmal deutlich, dass die Fechen-
NPD-Schulungszentrum
heimer Bevölkerung diese Politik der
Stadt ablehnt. Das wird sicher auch im
Lauf der Veranstaltung deutlich gemacht
verhindern!
werden. Auf dem Gelände der NPD
aus: PM der Anti-Nazi-Koordination, Bundeszentrale in Berlin-Kö-
19.1.04 ■ penick wird wieder gebaut.
Ein Schulungszentrum für den
Neonazis marschieren politischen Nachwuchs soll entste-
hen. Schon Ende April vergangenen
gegen Landser-Urteil Jahres konstatierte NPD Parteichef
Berlin. Am Samstag den 10. Januar ‘04 Udo Voigt, dass das Jahr 2003 das
marschierten nach unterschiedlichen Jahr der „Schulungen und einer
Schätzungen zwischen 200 bis zu 500 Struktur- und Verbandsreform“ sei.
Neonazis aus dem Spektrum der freien Das in Berlin geplante Schulungszen-
Kameradschaften unter massivem trum bildet einen Teil dieses Kon-
Schutz der Polizei durch Berlin/Lichten- zepts. Hier sollen gerade junge
„Deutsche“ politisch ausgebildet wer-
den, um in der BRD „eine geistige Re-
volution zu entfachen“.

Nachdem der Baustadtrat Dieter


Schmitz im Frühjahr 2004 die Bauge-
nehmigung für das Zentrum erteilt hatte, In dem Zentrum soll neben einem
war der Weg für die NPD geebnet. Den Schulungsraum für ca. 60 Personen und
SPD Politiker schien dies nicht weiter Zimmern mit Doppelstockbetten („zur
zu stören, er erteile die Genehmigungen kostengünstigen Unterbringung der Se-
schließlich nicht „nach politischen Sym- minarteilnehmerInnen“) auch die „natio-
pathien“. Da die NPD nun ganz legal nale Zentralbibliothek“ der NPD unter-
agiert und die Diskussionen um ein Ver- gebracht werden.
berg. Anlass war das Ende Dezember bot der Partei beendet sind, stört sich die In guter Nachbarschaft zum entste-
ausgesprochene Urteil des Berliner SPD nicht an einer Bildungsstätte der henden Nazi-Schulungszentrum befindet
Kammergerichts gegen die Neonazi- Rechtsextremisten. sich mit dem Abschiebe-knast-Grünau
Band Landser, die in nahezu allen Teilen Das Einzige, was der Umsetzung des eine Stätte des alltäglichen, staatlich in-
der rechten Szene so etwas wie Kultsta- Vorhabens Mitte des Jahres im Wege stitutionalisierten Rassismus. Dort wer-
tus besitzt. stand, war der Mangel an Geld. Ein den jährlich rund 5000 Flüchtlinge und
Die Mitglieder der Band wurden zu Spendenaufruf seitens der NPD-Führung andere MigrantInnen inhaftiert, um sie
mehreren Bewährungsstrafen u.a. wegen zeigte Wirkung, denn schon Anfang anschließend in ihr Herkunftsland zu de-
Verwendens verfassungsfeindlicher September wurde mit dem Umbau des portieren.
Symbole, Volksverhetzung und Bildung Hauses, auf dem Gelände der NPD in In Berlin haben sich Ende 2003 ver-
einer kriminellen Vereinigung verurteilt. der Seelenbinderstraße 42, in Berlin-Kö- schiedene Antifa-Gruppen zusammenge-
Der Sänger und Texter der Band Michael penick begonnen. Wenig später feierte schlossen, um den Widerstand gegen das
„Lunikof“ Regener erhielt 40 Monate der Parteivorsitzende mit einigen Mit- NPD-Schulungszentrum und den Ab-
Haft ohne Bewährung. Die Band Land- gliedern des Parteivorstandes, Angestell- schiebeknast in Berlin-Grünau zu orga-
ser zeichnet sich in ihren Texten durch ten der Parteizentrale, dem Berliner nisieren. Die ersten Flugblätter sind ge-
ein ausdrückliches Bekenntnis zum Na- NPD-Landesvorsitzenden Albrecht Reit- druckt und für das Frühjahr sind weitere
tionalsozialismus aus, ruft zu Mord an her und dem Liedermacher Jörg Hähnel Aktionen geplant. Achtet auf Ankündi-
Andersdenkenden, Ausländern, Juden Richtfest - inzwischen ist auch das Dach gungen unter www.antifa.de und betei-
und Homosexuellen auf. gedeckt. Über den Winter soll der Innen- ligt Euch an den Aktionen.
Die Demonstration begann am weit- ausbau abgeschlossen werden, damit der • Kein NPD-Schulungszentrum in
läufig abgesperrten U/S-Bahnhof Lich- Schulungsbetrieb im „Nationaldemokra- Berlin und anderswo!!
tenberg, führte über die Frankfurter Allee tischen Bildungszentrum“ (NBZ) im • Weg mit dem Abschiebeknast!
zum Rathaus Lichtenberg und endete Frühjahr 2004 aufgenommen werden Antifaschistische Linke Berlin,
wieder am Bahnhof Lichtenberg. Ent- kann. Januar 2004 (www.antifa.de) ■
: antifaschistische nachrichten 2-2004
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Bochum. In einem ungewöhn-
lichen Appell haben 24 Richter
des Bochumer Land- und
Richter fordern Verbot
Amtsgerichts den Polizeipräsidenten
zum Verbot einer Demonstration der
rechtsextremen NPD aufgefordert.
von NPD-Demonstration
Die NPD will Mitte März gegen den ren Befolgung nach den jeweils herr- am Senat vorbei zu entscheiden, als
geplanten Neubau der Bochumer schenden Anschauungen als unerlässli- auch Sympathie für die fundierte Gegen-
Synagoge demonstrieren. Unge- che Voraussetzung eines geordneten Zu- position des OVG Münster äußert.
wöhnlich ist der Appell, da es in der sammenlebens betrachtet wird. Maßgeb- Mit Blick auf die für den 13. März an-
Regel die Gerichte sind, die polizeilich lich dafür sind vor allem die Wertmaß- gekündigte Nazi-Demonstration ist
erlassene Verbote von Nazi-Aufmär- stäbe des Grundgesetzes. Überragende wichtig, dass auch nach der Kammer-
schen wieder einkassieren. In diesem Bedeutung haben dabei Menschenwürde rechtsprechung des Bundesverfassungs-
Fall läuft die Sache umgekehrt: Laut und Grundrechte, die gemäß Art. 79 Gerichts nicht in jedem Fall allein die
Pressemeldungen verbat sich Polizei- Abs.3 GG zum unabänderlichen Kern potentielle Strafbarkeit einer Kundge-
präsident Thomas Wenner jede Einmi- der Verfassung gehören. bung über die Frage entscheidet, ob sie
schung in die Entscheidung.Hier der Mit dieser grundgesetzlichen Konzep- verboten werden kann. In einer Eilent-
Brief der Richter im Wortlaut. (Quelle: tion ist das ideologische Grundgerüst scheidung zur Zulässigkeit einer rechts-
www.bo-alternativ.de) ■ der nazistischen Menschenverachtung, extremen Demonstration zum Holo-
zu der insbesondere die Judenverfol- caust-Gedenktag am 27.1.2001 in Ham-
gung und -ver- burg hat die Kammer das Ver-
HerrnPolizeipräsidenten Wenner nichtung ge- sammlungsverbot mit der Be-
-persönlich-, Bochum, den 21.1.2004 hört, ganz und gründung bestätigt, es leuchte
gar unverein- unmittelbar ein und sei auch
Sehr geehrter Herr Wenner, bar. Demon- verfassungsrechtlich tragfä-
der NPD-Landesverband - „unterstützt strationsinhal- hig, wenn die Versammlungs-
durch freie Kräfte aus NRW“- will in te und -ziele, behörde der Durchführung ei-
unserer Stadt, die Kulturhauptstadt Eu- die in offen- nes Aufzuges aus dem Umfeld
ropas werden möchte, am 13. März mit kundiger An- der rechtsextremen „Kame-
der Losung „Stoppt den Synagogenbau - knüpfung an radschaften“ an diesem Ge-
4 Millionen fürs Volk!“ gegen den Neu- Naziverbre- denktag eine Provokations-
bau der Synagoge demonstrieren. Diese chen Synago- wirkung zumesse und dies als
Demonstration würde sich nicht nur ge- gen „stoppen“ Gefahr einer erheblichen Be-
gen die Glaubensfreiheit der jüdischen wollen, versto- einträchtigung des sittlichen
Gemeinde richten, die gemäß Artikel 4 ßen im Empfindens der Bürgerinnen
Grundgesetz unverletzlich ist. Sie würde Deutschland und Bürger bewerte. Mindes-
zugleich einen späten Versuch der des Grundge- tens ebenso groß wären die
Wiedergutmachung für die Verbrechen setzes mit Evi- Provokation und die Verlet-
verhöhnen, die unsere Vorfahren an Ju- denz und un- zung des sittlichen Empfin-
den begangen oder hingenommen ha- bezweifelbar dens der Bürgerinnen und
ben. Wer sich dem Bau einer neuen Syn- gegen die öffentliche Ordnung. Bürger in Bochum, wenn hier eine De-
agoge in den Weg stellt, reiht sich 65 Wahrscheinlich teilen Sie unsere Ein- monstration statt- fände, welche die Fol-
Jahre später erneut in die Reihe derer schätzung, dass ein Verbot der beabsich- gen des Novemberpogroms von 1938
ein, die die alte in Schutt und Asche leg- tigten Demonstration von der nordrhein- verewigen und den Neubau einer Syn-
ten. Er verachtet das Fundament unserer westfälischen Verwaltungsjustiz bis hin- agoge „stoppen“ will.
Verfassung, wonach sich das deutsche auf zum OVG Münster bestätigt würde. Ein Gericht, das dies anders sähe,
Volk nach der größten Katastrophe sei- Vielleicht befürchten Sie aber , dass die müsste ein halbes Jahrhundert nach dem
ner Geschichte zur Menschenwürde und Kammer des 1. Senats des Bundesver- Holocaust den rechtlichen Leitsatz auf-
zu den unverletzlichen und unveräußer- fassungsgerichts auch in diesem Fall sei- stellen, es sei mit der deutschen öffent-
lichen Menschenrechten als Grundlage ne hoch kontrovers beurteilte Rechtspre- lichen Ordnung wieder vereinbar, dafür
jeder menschlichen Gemeinschaft, des chung bestätigen könnte, wonach De- zu werben, Synagogen aus deutschen
Friedens und der Gerechtigkeit in der monstrationen, die rechtsextremistisches Städten fern zu halten und jüdische Reli-
Welt bekennt (Art. 1 GG) oder nazistisches Gedankengut vertre- gionsausübung zu unterbinden. Wir hal-
Demonstrations- und Meinungsfrei- ten, die öffentliche Ordnung erst dann ten dies für ausgeschlossen.
heit sind Grundvoraussetzungen der De- gefährden, wenn sie wie beispielsweise Mit freundlichen Grüßen
mokratie und können allenfalls aus ver- bei Verbreitung der „Auschwitzlüge“ Ralf Feldmann Paul Kimmeskamp
fassungsrechtlich überragend gewichti- durch das Strafrecht untersagt sind. Um
gen Gegengründen eingeschränkt wer- so nachdrücklicher möchten wir darauf Die folgenden Richterinnen und Richter
den. Die geplante NPD-Demonstration hinweisen, dass es eine Senatsrechtspre- des Amtsgerichts und des Landgerichts
zwingt zu einer solchen Ausnahme. Wir, chung des Bundesverfassungsgerichts zu Bochum haben auf verschiedene Weise
Richterinnen und Richter in Bochum, dieser Rechtsfrage, die Sie binden wür- erklärt, den Brief mit zu unterzeichnen:
möchten Sie deshalb dazu auffordern, de, nicht gibt und die Judikate der Kam- G. Böttrich, N. Breitkopf, M. Brunholt-
sie gemäß § 15 Abs.1 Versammlungsge- mer auf sorgenvolle Kritik namhafter Kirchner, B. Berger-Drame, B.-U. Ger-
setz zu verbieten, weil ihre Durchfüh- Staatsrechtslehrer gestoßen sind. Sie lach, H. Helbich, W. Hülsebusch, A.
rung die öffentliche Ordnung unmittel- wissen, dass der ehemalige Präsident Kemper-Baudzus, E. Knoblauch, A.
bar gefährden würde. des Bundesverfassungsgerichts Benda in Krieger, Dr. M. Krökel, H. Lohkamp,
Der Begriff der öffentlichen Ordnung einem viel beachteten Kommentar so- Th. Richter, A. Sichau, Schönenberg-
umfasst die Gesamtheit jener unge- wohl die Legitimation der Kammer be- Römer, G. Stoppel, B. Zöpel
schriebenen Regeln für das Verhalten zweifelt, eine so wichtige Grundsatzfra- Wir werden die Medien über diesen
des Einzelnen in der Öffentlichkeit, de- ge für unser Gemeinwesen wiederholt Brief informieren. ■

: antifaschistische nachrichten 2-2004 5


Zentralrat der Juden ver- Dazu Einiges zur Vorgeschichte: NS-Opfer an der Hermannstraße/Em-
lässt Stiftung Sächsische Schon in den Verhandlungen vor dem schertor angebracht werden. Erhalten
Landgericht Dortmund gegen die Mör- bleiben sollte als Gedenkort das Pfört-
Gedenkstätten der vom Rombergpark und der Bitter- nerhaus vom Emschertor, das zum Lager
Sachsen. Der Zentralrat der Juden wird mark war von dem Auffanglager am Em- gehörte. Bitte unterstützen Sie diesen
in der Stiftung Sächsische Gedenkstätten schertor und an der Hermannstraße die Vorschlag.“
in Zukunft nicht mehr vertreten sein, Er- Rede. (Siehe Urteilschrift vom 4.4.1952, Gisa Marschefski, Internationales
gebnis einer Auseinandersetzung um das Aktenzeichen 10 Ks 23/51) Lange ver- Rombergparkkomitee - Ulrich Sander,
Gedenkstättengesetz, an dem die CDU gessen war der genaue Standort des La- VVN-BdA
keine Kritik zuließ. Dazu der PDS-Land- gers und damit der Tatort der Verbre- vvn-bdanrw@freenet.de ■
tagsabgeordnete Porsch: „Diese Ent- chen. Das Internationale Rombergpark-
scheidung ist die Konsequenz daraus, komitee und die VVN-BdA Dortmund Internet-Archiv des Zweiten
dass die sächsische CDU über die DDR haben diesen Standort wiederentdeckt
nur mit Schaum vor dem Mund urteilt und auch die Akten dazu vorgelegt. Weltkriegs: Fünf Millionen
und alle historischen Relationen ver- Diese sind geprüft worden, und am 9. Bilder des Grauens
wischt. Die CDU schlug sämtliche Be- Juli 2001 schrieb uns der Direktor des Wie Spiegel-Online am 19.1. berichtete,
denken, die von den Verfolgten des Nazi- Stadtarchivs, Dr. Högl: „Die Recherchen hat jetzt das britische Nationalarchiv
regimes, Sachverständigen und der PDS Ihrerseits finden in den o.g. Akten (ins- fünf Millionen Luftbilder aus dem Zwei-
auf der Anhörung zum Stiftungsgesetz besondere Sonderheft 6-10 Js 155/49) ten Weltkrieg im Internet veröffentlicht,
vor einem Jahr im Landtag vorgetragen ihre volle Bestätigung. Es besteht somit Luftbilder vieler deutscher Städte, aber
wurden, in den Wind. Dafür bekommt kein Zweifel, daß Insassen des ‚Auffang- auch Bilder, auf denen deutlich die KZs -
Sachsen jetzt eine Quittung, die für ganz lagers‘ in Hörde (ehemals Hermannstra- zu sehen sind. Der vollständige Artikel
Deutschland fatal ist. Die PDS, die sich ße/Emschertor), darunter ausländische dazu ist unter der URL
zum demokratischen Sozialismus be- Zwangsarbeiter und jüdische Bürgerin- http://www.spiegel.de/wissenschaft/m
kennt, hat das höchste Interesse daran, nen, auf heimtückische Weise von den ensch/0,1518,282533,00.html
dass Verbrechen, die im Namen der DDR Nationalsozialisten ermordet worden zu finden. Die Archivfotos können un-
und des Sozialismus begangen wurden, sind.“ ter der Adresse www.evidenceincam-
schonungslos aufgeklärt werden. Das än- Verwiesen sei auch auf das Buch „KZ era.co.uk eingesehen werden. ■
dert aber nichts daran, dass sich Hitler der Gestapo“ (Stuttgart 2000) mit Vor-
mit Krieg gegen die demokratische und wort von Prof. Mommsen, verfasst von Vorbereitung auf Wunsiedel
zivilisierte Welt und dem Holocaust aus Dr. Gabriele Lotfi. Darin wird der au-
der Geschichte verabschiedete, während thentische Ort der Verbrechen, an dem Göttingen. Auch dieses Jahr wird in
die DDR bis zu ihrem Ende von allen deutsche, ausländische und jüdische Wunsiedel wieder der traditionelle Ru-
Staaten der Welt anerkannt war und vor Menschen bis kurz vor ihrer Ermordung dolf-Hess-Gedenkmarsch stattfinden.
dem Ruf „Keine Gewalt“ zurückwich.“ im Rombergpark, in der Bittermark oder Nachdem im letzten Jahre kaum Antifa-
Wie die Presse berichtete, hat inzwi- am Hörder Bahndamm eingekerkert wa- schisten/innen während der Demonstra-
schen auch die Bundesvereinigung der ren, ausführlich beschrieben. Unter den tion von über dreitausend Alt- und Neo-
Opfer der NS-Militärjustiz das Gremium Hunderten Toten waren auch die Essener nazis vor Ort waren, ist es an der Zeit
verlassen und auch das Dokumentations- Jüdinnen Julie Risse und Klara Adolph, den Faschisten/innen entschlossener
und Kulturzentrum Deutscher Sinti und die bis dahin überlebt hatten –, auch sie Widerstand entgegen zu setzen. Deshalb
Roma beendete die Mitarbeit in der Stif- wurden im Rombergpark ermordet. laden AntifaschistInnen aus Göttingen
tung Sächsische Gedenkstätten. Letztere Die Pförtner des Hüttenwerkes vom bereits jetzt zu einem bundesweiten Vor-
begründeten ihren Schritt damit, es sei Emschertor berichteten laut Akte 10 Js bereitungstreffen zur Planung von
nicht hinnehmbar, dass die sächsische 155/49: „Eines Nachts, etwa 14 Tage vor Gegenaktivitäten anlässlich des Rudolf-
Regierung innerhalb der Gedenkstätten- dem am 12. April 1945 erfolgten Ein- Hess-Gedenkmarsches in Wunsiedel
arbeit eine Gleichsetzung der Verbrechen marsch der US-Amerikaner, wurden 50 2004, am 21.02.04, von 10 bis 16 Uhr in
des Stalinismus und der DDR-Staatssi- bis 60 deutsche und ausländische Gefan- Göttingen.
cherheit mit dem nationalsozialistischen gene, vornehmlich solche, die kurz zuvor Für genauere Informationen mail an:
Völkermord vornehme. erst angekommen waren, von Männern Wunsiedel2004@yahoo.de ■
PM PDS-Fraktion im Sächsischen in SS-Uniform abgeholt. Sie kamen
Landtag, FR 24.1.04 ■ nicht zurück. Ausgewählt und somit zum Kein Nazikonzert am
Tode verurteilt hatten sie die betrieb-
lichen Bewacher P. und K. Es blieben 31. Januar 2004!
Gedenkort nicht fluten!
nur noch rund 25 Gefangene zurück, die Senden. Nazis des NPD-Kreisverbandes
Erklärung aus Anlass der Sprengar- P. kurz vor Einmarsch der Amerikaner Neu-Ulm um Stefan Winkler wollen am
beiten auf dem TKS-Gelände Phönix- bei der Gestapo in der Benninghoferstra- Samstag, 31. Januar 2004 in Senden ein
Ost in Dortmund-Hörde am 24.1.04 ße in Hörde ablieferte.“ großes Neonazikonzert mit dem vorbe-
Dortmund. Der Gedenkort an die er- Der Dortmund Hörderhütten-Verein, straften Volksverhetzer Frank Rennicke
mordeten Zwangsarbeiter und an die Jü- dessen Stahlwerk nun in Händen von (Ehningen, Lkr. Böblingen) durchführen.
dinnen Julie Risse und Klara Adolph darf Thyssen/Krupp, ist war mitschuldig an Erneut stellt ihnen dafür die Stadt Sen-
nicht im See von Hörde versinken! Die den Verbrechen. Dieser heutige Konzern den (CSU) bereitwillig städtische Räu-
Organisationen Internationales Rom- TKS Thyssen-Krupp Stahl AG sollte sich me zur Verfügung – diesesmal die städti-
bergparkkomitee und Vereinigung der an der Würdigung der Opfer beteiligen. sche Festhalle Senden-Ay.
Verfolgten des Naziregimes/Bund der Wir schrieben an die Stadt Dortmund Dieses Nazikonzert darf nicht stattfin-
Antifaschisten, haben beantragt, auf dem – bisher ohne Antwort: „Sie dürfen versi- den! Wir fordern Sie und Euch auf, bei
Gelände „Phönix Ost“ an der Hermann- chert sein, dass wir die Beseitigung der der Stadt Senden (ggf. einweiteres mal)
straße in Hörde einen Gedenkort für die authentischen Stätte des Verbrechens zu protestieren und die Verhinderung des
Opfer der Gestapo und der Zwangsarbeit nicht widerstandslos hinnehmen werden. neonazistischen Konzerts einzufordern.
in Dortmund zu schaffen. Das muss auch Wir meinen: Es sollte in jedem Fall eine Telefonnummer des Bürgermeister
möglich sein, wenn der See hier entsteht. Gedenktafel für die mindestens rund 60 07307 / 945 110, Telefax: 07307 / 945

6 : antifaschistische nachrichten 2-2004


Die Europäische Union (EU) ver-
fügt über zwei hauptsächliche Ge-
setzgebungsinstrumente. Sie kann
Doppelstrategie der EU
zum einen Verordnungen erlas- Was nützt die umfassendste Flüchtlingsdefinition, wenn der Schutzbedürftige
sen. Zuständig hierfür ist in erster Linie sein Recht nicht wahrnehmen kann, weil er im Eilverfahren in Drittstaaten abge-
der EU-Rat, also die Konferenz der Re- schoben wird? von Ulla Jelpke
gierungen der Mitgliedsstaaten. Diese
Verordnungen gelten als unmittelbares dem entsprechenden Abkommen mit den Nach jahrelanger Diskussion ist eine
Recht in der gesamten Europäischen USA festgelegt, dass Deutschland nicht Entscheidung über den Inhalt der künfti-
Union, ohne dass je ein nationales Parla- ausliefern darf, wenn die Todesstrafe gen EU-Flüchtlingspolitik innerhalb der
ment wie etwa der Bundestag zugestimmt droht. nächsten Monate sehr wahrscheinlich.
hat - tatsächlich darf der Bundestag die Auch in den anderen EU-Mitglieds- Dies hängt maßgeblich mit der Vergröße-
Verordnungen nur zur Kenntnis nehmen, staaten sind die rechtlichen Vorschriften rung der Europäischen Union am 1. Mai
aber nichts an ihnen ändern. Zum zweiten sehr umfassend und kompliziert. Zudem 2004 von 15 auf 25 Mitgliedsstaaten zu-
kann der EU-Rat Richtlinien erlassen. werden die international gültigen Normen sammen. Die alte EU strebt an, sich noch
Diese bilden zwar kein unmittelbar gelten- keineswegs überall einheitlich ausgelegt. vor diesem Datum in der Innenminister-
des Recht, die EU-Mitgliedsstaaten sind Der Streit um den Flüchtlingsstatus für konferenz der bisherigen 15 EU-Staaten
aber verpflichtet, diese Richtlinien in na- Menschen, die nichtstaatlich oder ge- zu einigen. Sonst müsste man bei den
tionales Recht umzusetzen, auch wenn das schlechtspezifisch verfolgt werden, zeigt Verhandlungen über den Wortlaut der
jeweilige Nationalparlament eine ent- dies sehr deutlich. Die meisten Staaten in Richtlinien zur Asylpolitik unter Einbe-
gegengesetzte politische Meinung vertritt. der Europäischen Union erkennen Flücht- ziehung der Neumitglieder noch einmal
Für den Erlass einer Richtlinie im Rat gibt linge mit diesem Verfolgungsschicksal an. von vorn beginnen. Die alten EU-Mit-
es komplizierte Verfahrensvorschriften, Deutschland allerdings weigert sich bis- gliedsstaaten haben aber freilich kein
auch in Bezug auf die erforderlichen her, dieser Ausle-
Mehrheiten. Soweit es um die Migrations- gung der Genfer
politik geht, gilt derzeit noch das Prinzip Flüchtlingskon- Flüchtlingsschiff vor Italien
der Einstimmigkeit, so dass ein einzelnes vention zu folgen.
Mitgliedsland die Verabschiedung einer Deshalb wäre es
Richtlinie durch ein Veto blockieren kann. prinzipiell begrü-
Gerade in diesem Politikbereich stehen ßenswert, wenn
grundlegende Entscheidungen bevor. Die an die Stelle un-
EU-Innenministerkonferenz tagt mittler- übersichtlicher
weile einmal im Monat. In den Sitzungen Rechtsnormen
des ersten Vierteljahres 2004 geht es um und uneinheit-
die Festlegung von Mindeststandards bei licher Praxen für
der Anerkennung von Flüchtlingen, um den Bereich der
deren Rechte im Verfahren und nach einer Europäischen
Anerkennung, aber auch um den „ergän- Union ein eindeu-
zenden“ (subsidiären) Schutz nicht aner- tig definierter
kannter Personen, denen dennoch im Falle Mindeststandard
der Abschiebung Gefahr für Freiheit, Leib eines humanitä-
und Leben droht. Ziel ist die Vereinheitli- ren Flüchtlings-
chung des Flüchtlingsschutzes. schutzes treten würde. Interesse daran, die neuen Staaten mitre-
Mindeststandards Richtungsentscheidung den zu lassen. Schon die Grenzsicherun-
gen, wie sie das Schengener Abkommen
Die maßgeblichen Rechtsvorschriften sind In der Vergangenheit wurden trotz des verlangt, mussten von den Beitrittskandi-
derzeit auf die verschiedensten Gesetzes- schönen Wortlauts mancher Konventio- daten – teils unter hohen finanziellen Be-
und Vertragswerke verstreut, die sich teils nen Menschen zu Tausenden zwangs- lastungen – installiert werden, ohne dass
überschneiden, teils ergänzen, jedenfalls weise aus der EU in Krisengebiete, in Un- sie sich dagegen wehren konnten. Genau-
aber so unübersichtlich geworden sind, freiheit und Folter, ja sogar sehenden Au- so wollen die alten EU-Staaten bei den
dass nur noch Experten den Überblick be- ges in den Tod zurückgeschickt. Die EU Flüchtlingsrichtlinien die Neulinge vor
halten haben. 144 Staaten, darunter alle verfolgt mit ihrer Politik das Ziel einer vollendete Tatsachen stellen. Zudem gilt
EU-Mitglieder, sind der Genfer Flücht- „flüchtlingsfreien“ Festung Europa und ab 1. Mai 2004 in der EU das „Mitent-
lingskonvention (GFK) beigetreten. Auch formuliert dies auch ganz offen als politi- scheidungsverfahren“, das dem Europäi-
haben alle EU-Staaten die Europäische sches Ziel, wie der portugiesische EU- schen Parlament größere Mitwirkungs-
Menschenrechtskonvention (EMRK) an- Kommissar Alberto Vitorino dies Anfang rechte einräumt. Aus diesen Gründen
erkannt. Die Bundesrepublik Deutschland Dezember 2003 in einem Vortrag vor dem werden es die EU-Innenminister vorzie-
ist darüber hinaus selbstverständlich auch Innenausschuss des Deutschen Bundes- hen, rechtzeitig selbst zu entscheiden, als
an das Grundgesetz (GG) mit Artikel 1 tags unmissverständlich zum Ausdruck dass sie sich auf neue Debatten mit den
(Schutz der Menschenwürde) und Artikel brachte. Daher ist gegenüber dem zu er- Beitrittsstaaten und dem EU-Parlament
16 a (Asylgrundrecht) gebunden. Aus der wartenden Ergebnis der Bemühungen um einlassen. Auch die deutsche Bundesre-
Verfassung werden „einfache“ Gesetze Rechtseinheit äußerste Skepsis geboten. gierung kommt damit unter Entschei-
wie das Ausländergesetz, das Asylverfah- Die Bemühungen der Menschenrechtsor- dungszwang.
rengesetz und das Asylbewerberleistungs- ganisationen, mit kritischen Kommenta- Am 16. Januar 2004 steht die nächste
gesetz abgeleitet, die wiederum aufgrund ren zu den Richtlinienentwürfen für an- Kompromissverhandlung zwischen
von Verwaltungsrichtlinien der Fachmi- nehmbare Normtexte zu sorgen, sind den- Bundestag und Bundesrat über das Zu-
nisterien von Bund und Ländern in die noch unterstützenswert. Denn vernünftig wanderungsgesetz an. Mit Rücksicht auf
Praxis umgesetzt werden. Hinzu kommen formulierte EU-Richtlinien wären der er- dieses Vermittlungsverfahren hat Bundes-
bilaterale Abkommen über Auslieferungen ste Schritt, um die Praxis der Abschottung innenminister Otto Schily (SPD) bisher
mit vielen Staaten. Beispielweise ist in vor Flüchtlingen in der EU zu ändern. Vereinbarungen auf EU-Ebene blockiert.

: antifaschistische nachrichten 2-2004 7


Er wollte durch Festlegungen in Brüssel zeichnete Konvention bietet Schutz vor Mit diesen Kernforderungen wäre
nicht die Chance einer Einigung mit der zwangsweiser Rückführung, wenn ein er- durch die Statusrichtlinie – in der Theorie
CDU/CSU in Berlin gefährden. Wenn sich hebliches Folterrisiko besteht. Das Refou- – ein Schutzniveau innerhalb der gesam-
jetzt aber entscheidet, ob in Deutschland lement-Verbot nach dieser Konvention ten EU festgeschrieben, welches derzeiti-
ein Zuwanderungsgesetz kommt oder gilt absolut (und nicht nur unter den ein- gen internationalen Standards entspräche.
nicht, besteht kein Vorwand mehr, gegen schränkenden Bedingungen wie in der Richtigerweise müsste Europa gemäß sei-
den Willen von 14 anderen Staaten die Ge- Genfer Flüchtlingskonvention). Ausnah- ner herrschenden Ideologie von offener
spräche in der EU hinauszuzögern. Daher men sind nicht zugelassen. Gesellschaft und Globalisierung eine Po-
spricht alles dafür, dass innerhalb des Trotz dieser umfassenden Vorschriften litik der offenen Grenzen für alle von Ver-
nächsten Vierteljahres Entscheidungen fal- gibt es Menschen, die internationalen folgung bedrohten Menschen betreiben.
len, die für die Flüchtlinge in Europa und Schutz benötigen, aber nicht die Kriterien Davon ist auch dieser Richtlinienentwurf
damit auch in Deutschland von größter des Flüchtlingsbegriffs erfüllen. Der juris- mit seinen vielen Einschränkungen und
Bedeutung sind. Im Jahr 2004 wird darü- tische Begriff hierfür lautet „subsidiärer dem typischen Bürokratismus weit ent-
ber entschieden, ob es zumindest in Teil- Schutz“ (ergänzender Schutz). Er soll in fernt. Aber als das, was in einem kapita-
bereichen zu einer humanitären Ausrich- der Regel gewährt werden, wenn Men- listischen Staatengebilde wie der EU
tung der EU-Flüchtlingspolitik kommt schen vor bewaffneten Konflikten, inne- überhaupt erreichbar ist, wird diese
oder ob endgültig das Abschottungskon- ren Unruhen oder anderen Formen der Flüchtlingsstatus-Richtlinie trotz Kritik in
zept der Festung Europa für alle EU-Staa- Gefährdung Zuflucht suchen, die mit kei- Einzelpunkten von den Menschenrechts-
ten verbindlich gemacht wird. nem in der Genfer Flüchtlingskonvention organisationen befürwortet.
Der Status quo aufgeführten Fluchtgrund in Zusammen- Status ja, Verfahren nein?
hang stehen. Wann und in welchem Um-
Derzeit gelten folgende Bestimmungen: fang nicht als Flüchtlinge anerkannten Entscheidend ist aber etwas anderes: Die
1. Die Europäische Konvention zum Personen (ergänzender) Schutz zu gewäh- Statusrichtlinie wird das Papier, auf das
Schutze der Menschenrechte und Grund- ren ist, ist einer der Hauptstreitpunkte bei sie geschrieben wird, nicht wert sein,
freiheiten (EMRK) vom 4.11.1950 enthält den Verhandlungen über das künftige EU- wenn zugleich die EU-Asylverfahrens-
in Artikel 3 das Verbot der Folter sowie Flüchtlingsrecht. richtlinie in der bisher vorgeschlagenen
das Verbot unmenschlicher oder erniedri- Der Flüchtlingbegriff Form kommen sollte. Dann gäbe es zwar
gender Strafe oder Behandlung. Nach der eine vertretbare Definition des Flücht-
Rechtsprechung des Europäischen Ge- Die EU-Kommission hat bereits am lingsbegriffs durch die Statusrichtlinie,
richtshofs für Menschenrechte impliziert 12.9.2001 den Entwurf einer Richtlinie aber dieser Schutz könnte in der Praxis
dies auch das Verbot der Abschiebung in über die Definition des Flüchtlingsbe- kaum in Anspruch genommen werden,
einen Staat, in welchem dem Betroffenen griffs vorgelegt („Statusrichtlinie“). Denn weil die Verfahrensrechte zur Erlangung
Folter oder unmenschliche Behandlung mit dem seit 1.5.1999 gültigen Amsterda- des Flüchtlingsstatus drastisch einge-
droht. Die EMRK ist von allen EU-Mit- mer Vertrag hatte sie sich das Ziel gesetzt, schränkt würden. Die politische Debatte
gliedsstaaten ratifiziert worden. innerhalb von fünf Jahren gemeinsame der nächsten Monate muss also das Ziel
2. Wichtigste Rechtsquelle für die europäi- Mindestnormen für das Asylrecht zu verfolgen, für die Verabschiedung der Sta-
sche Flüchtlingspolitik ist das Abkommen schaffen. Eine Einigung wurde bisher von tusrichtlinie einzutreten, aber zugleich die
über die Rechtsstellung der Flüchtlinge Deutschland blockiert, vor allem wegen Verfahrensrichtlinie zu verhindern. Nur
vom 28.7.1951 (Genfer Flüchtlingskon- des vorgesehenen subsidiären Schutzes wenn dies gelingen sollte, wäre wenig-
vention - GFK). Alle EU-Staaten haben sie bei nichtstaatlicher Verfolgung. Unabhän- stens in diesem Punkt ein kleiner Schritt
unterzeichnet und sind daher verpflichtet, gig von dieser Richtlinie gelten aber oh- auf dem Weg zu einer humanitären EU-
sich an ihre Bestimmungen zu halten. Zu- nehin die oben dargestellten internationa- Flüchtlingspolitik geschafft.
dem muss gemäß Artikel 63 des EG-Ver- len Verpflichtungen (GFK, EMRK) wei- Skepsis ist geboten. Man hat ja schon
trags die gemeinsame Asylpolitik der Eu- ter. Gemäß Artikel 2 des Richtlinienent- bei der EU-Richtlinie über Familienzu-
ropäischen Union die Genfer Flüchtlings- wurfs werden diejenigen Personen als sammenführung gesehen, dass am Ende
konvention beachten. Deren Kernstück ist Flüchtlinge anerkannt, die aus der be- auf die EU-Innenminister kein Verlass ist.
der „Non-Refoulement-Grundsatz“. „Non- gründeten Furcht vor Verfolgung auf- Das Nachzugsalter für Flüchtlingskinder
Refoulement“ bedeutet: Es ist verboten, grund ihrer Rasse, Religion, Nationalität, zu ihren Familien wurde auf zwölf Jahre
einen Flüchtling in einen Staat abzuschie- politischen Überzeugung oder Zugehörig- gesenkt (in Deutschland bisher: 16 Jahre).
ben, in dem ihm Verfolgung wegen seiner keit zu einer bestimmten sozialen Gruppe Die EU verfolgt offensichtlich eine Dop-
Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörig- ihr Herkunftsland verlassen mussten. pelstrategie. In der einen Richtlinie defi-
keit zu einer bestimmten sozialen Gruppe Flüchtlinge sind auch Staatenlose, die niert sie den Flüchtlingsstatus, in der an-
oder wegen seiner politischen Überzeu- wegen drohender Verfolgung nicht an den deren beschreibt sie das Verfahren zur
gung droht. Die meisten Staaten wenden Ort ihres gewöhnlichen Aufenthalts zu- Feststellung der Flüchtlingseigenschaft.
die Genfer Flüchtlingskonvention auch bei rückkehren können. Subsidiären Schutz Diese wird dann so restriktiv ausgestaltet,
nichtstaatlicher und geschlechtsspezifi- erhalten Personen, die nicht als Flüchtlin- dass der Flüchtlingsschutz bloßes Lippen-
scher Verfolgung an und erkennen auch ge anerkannt werden können, aber wegen bekenntnis bleibt. Was nützt die umfas-
diesen schutzbedürftigen Personen Flücht- der begründeten Furcht, ernsthaften Scha- sendste Flüchtlingsdefinition, wenn die
lingsstatus zu. Allerdings enthält die Gen- den zu erleiden, zur Flucht gezwungen Schutzbedürftigen ihre Rechte nicht wahr-
fer Konvention keine Bestimmungen dar- sind. Ob die Verfolgung von einem Staat, nehmen können, weil sie in Eilverfahren
über, wie die Flüchtlingseigenschaft fest- von Parteien, die den Staat beherrschen, in Drittstaaten abgeschoben werden?
zustellen ist; sie definiert den Flüchtlings- von anderen Organisationen oder von Man muss es deutlich sagen: Anspruch
begriff, gibt aber keine Verfahrensordnung nichtstaatlichen Akteuren ausgeht, ist un- und Wirklichkeit des Flüchtlingsschutzes
vor. erheblich: In allen Fällen muss Flücht- klaffen in Europa weit auseinander. Diese
3. Noch weiter geht das Übereinkommen lingsschutz gewährt werden, wenn der Kluft wird 2004 noch größer werden, was
gegen Folter und andere grausame, un- Herkunftsstaat nicht in der Lage oder von den verantwortlichen EU-Politikern
menschliche oder erniedrigende Behand- nicht Willens ist, selbst Schutz zu bieten. auch so gewollt ist. Man kann ihre Flücht-
lung oder Strafe (UN-Anti-Folterkonven- Den begleitenden Familienangehörigen lingspolitik nur als zynisch bezeichnen.
tion, in Kraft seit 26.6.1987). Diese von ist der gleiche Status wie dem Flüchtling Der Artikel von Ulla Jelpke erschien in
der Bundesrepublik Deutschland unter- selbst zu gewähren. der „jungen Welt“ vom 16.1.04 ■

8 : antifaschistische nachrichten 2-2004


In seinen „Wegmarken für den IMI zu den Strukturplänen bei der Bundeswehr:
neuen Kurs der Bundeswehr“
droht Struck unverhohlen:
„Mögliches Einsatzgebiet für die
Minister Struck lässt jede
Bundeswehr ist die ganze Welt.“

„Dieses Konzept versucht offenbar –


Zurückhaltung fallen
wohlgemerkt falsche – Lehren aus dem rufssoldaten benötigt. Die Gesellschaft auch zum „Freiwilligen Sozialen Jahr“
historischen Scheitern des ‚Zweifronten- würde mit dem Ende der Wehrpflicht vor. Darin werden „Zivil- und Katastro-
krieges‘ zu ziehen. Zukünftig gibt es ge- nicht etwa weniger militaristisch sein. Die phenschutz als Aufgabenfeld in das Ge-
nau genommen gar keine Front mehr, Bundeswehr müsste dann viel stärker als samtkonzept der neuen … Freiwilligen-
bzw. anders gesagt: überall ist Front. Je- jetzt schon, mit Fernsehspots und Infolä- dienste einbezogen.“ „Der Zivilschutz
der Quadratmeter der Erde ist uneinge- den in der Fußgängerzone einer jeden wiederum dient u.a. der Katastrophenhil-
schränktes Bundeswehrkampfgebiet“, re- Kreisstadt (Vorbild Niederlande) für das fe im Kriegsfall. Somit wird Soziales
sümiert IMI-Pressesprecher Uwe Rei- „Abenteuer Bundeswehr“ werben. Mili- zum Militärischen und Freiwillige wer-
necke. „Erschreckend ist die Lockerheit tärfreie Städte gäbe es fortan in der BRD den zum Kriegshilfsdienst verpflichtet.
mit der mittlerweile solche verfassungs- nicht mehr. Das konterkariert die vorgeblichen Pläne
widrigen ‚neuen Aufgaben der Bundes- Zu dem Regierungskonzept des „Alles zur ‚Attraktivitätssteigerung der Freiwil-
wehr‘ verkündet werden. Noch im letzten ist Militär“ passt der neue Entwurf für die ligendienste‘ im Falle des Wegfalls der
Mai wurden die deutschen ‚Verteidi- Freiwilligendienste. Nur einen Tag nach Wehrpflicht und damit des Zivildien-
gungslinien‘ in den Hindukusch verlegt. Minister Struck stellt das Familienminis- stes.“ analysiert IMI-Pressesprecher
Diese Verteidigungsrhetorik glaubt Mi- terium seine Überlegungen beispielsweise Reinecke. www.imi-online.de ■
nister Struck nicht mehr nötig zu haben.
Artikel 87a Grundgesetz (GG) ist quasi
per Pressekonferenz des Ministers end-
gültig außer Kraft gesetzt“, ergänzt IMI-
Vorstand Jürgen Wagner.
Der Entwurf für eine EU-Verfassung
wird kurzerhand umgesetzt, dadurch das
Grundgesetz umgangen. Das alles ohne
Parlamentsbeschluss, geschweige denn
unter Beteiligung der Öffentlichkeit. Die
EU-Verfassung nämlich sieht neben der
Aufrüstungsverpflichtung auch die Op-
tion der weltweiten Kampfeinsätze vor,
wobei weder für das nationale, noch für
das europäische Parlament ein Mitspra-
cherecht vorgesehen ist. Dabei ist das
Konzept der Präventivkriege ausdrücklich
vorgesehen. Somit wäre das „lästige“
Hemmnis des Verbots eines jeden An-
griffskrieges (Art. 26 GG) nichtig und die
Regierungsparteien können ohne „Bauch-
schmerzen“ überall in der Welt entfesselt
Kriege führen. Kardinal Meisners Einsatz satz für die Absicherung des weltweiten freien
Minister Struck verkleidet die militäri- für die geplante Umrüstung Handels ebenfalls im Interesse des deutschen
sche Expansion Deutschlands in Bündnis- der Bundeswehr
Großkapitals fordern. Um die Soldaten einzu-
strukturen und verschweigt dabei, dass üben, wurde der Domvorplatz zum Exerzier-
Köln, 21.1.2004. Vor 1500 Nato-Soldaten mit platz umfunktioniert. Vor dem Dom mussten
die Bundeswehr mit 18.000 der 60.000 Verteidigungsminister Struck an der Spitze
SoldatInnen der EU ebenso das größte na- hundert Soldaten in gefleckter Kampfuniform
pries Kardinal Meisner in seiner diesjährigen auf Befehl einen Halbkreis bilden und dann
tionale Kontingent stellt, wie für die neue Soldatenpredigt die Soldaten als „Friedenser- ebenfalls auf Befehl in Einzelreihe hintereinan-
NATO-Eingreiftruppe (NATO Response zieher“ für „die ganze Welt“. Die Kriege der der in den Dom marschieren. Gegen die kirchli-
Force). Ferner wird über angebliche Strei- Bundesrepublik und der Nato führten „zu je- che Segnung der militärischen Außenpolitik
chungen bei den Rüstungsvorhaben und nem wahren Frieden, den Christus uns verhei- protestierten ein Dutzend Kriegsgegner und
die Verkleinerung der Bundeswehr auf ßen hat“. Nato und Bundeswehr seien die Antifaschisten, u.a. von Pax Christi und der
250.000 eine friedliche Ausrichtung der „größte Friedensbewegung“. Kardinal Meisner VVN/BdA. Mit weithin hörbarer Trompetenmu-
Armee vorgegaukelt. Tatsächlich finden betonte, dass die Bundeswehr international sik wurden die Soldaten daran erinnert: „Krieg
diese Planungen ausschließlich unter dem und in der ganzen Welt eingesetzt werden ist immer Mord“. Die Protestierenden forderten
Aspekt der militärischen Effizienz statt. müsse. Das wolle Kardinal Meisners Gott für auf Transparenten und Tafeln: „Kriege verhin-
seine „heilige, schutzwürdige Weltordnung“.
Auch wurde fälschlicherweise der Ein- dern – Rüstung ächten“. Das Zusammenspiel
Nach der Predigt dankte Minister Struck dem
druck erweckt, es käme künftig zu Kür- Kardinal: Die geplante Umrüstung der Bundes-
von Meisner und Struck wurde kritisiert: „Die
zungen des Militärhaushalts. Tatsächlich Bundeswehr wird für weltweite Kriege umge-
wehr für weltweite Angriffe hatte zeitgenau die rüstet – Kardinal Meisners Segen ist gefragter
werden die Verteidigungsausgaben bis Segnung des Kardinals erhalten. In seiner Pre-
2006 lediglich eingefroren und sollen da- denn je“. An des Kardinals Segnung der deut-
digt hatte der Kardinal den Soldaten vorenthal- schen Waffen wurde erinnert. Meisner hatte in
nach um jährlich 800 Millionen Euro stei- ten, für welche Interessen sie ihre Befehle be- seiner Soldatenpredigt 1996 seine Absolution
gen. kommen. Der Kardinal vermied es, ein Wort im Voraus erteilt: „In betenden Händen ist die
Diese Effizienzüberlegungen werden darüber zu sagen, dass die Verteidigungsricht- Waffe vor Missbrauch sicher“. Passantinnen
langfristig zur Abschaffung der Wehr- linien der Bundeswehr die weltweite militäri- und Passanten, die mit den Protestierenden
pflicht führen, denn für die geplanten sche Sicherung der Rohstoffe für die deutschen sprachen, erklärten, dass sie den Protest für
Bundeswehrkampfeinsätze werden Be- Großkonzerne verlangen und den Kriegsein- richtig und gut hielten. gba ■

: antifaschistische nachrichten 2-2004 9


A
m ersten Februarwochenende präsentiert werden, sondern um einen cherten Weltmachtstrebens der EU. Die
2004 trifft sich die weltweite Ort tatsächlicher Auseinandersetzung Konflikte, die daraus erwachsen, ob
Kriegselite zu ihrem Jubiläums- und Diskussion. Hier werden die neuen innerhalb des „Transatlantischen Bünd-
gipfel – 40. NATO-„Sicherheitskonfe- strategischen Ziele abgesteckt und welt- nisses“ (NATO) bzw. speziell mit den
renz“ – im Nobelhotel Bayerischer Hof weit koordiniert, die Perspektiven der USA, die über die europäischen militäri-
in München. Sämtliche NATO-Vertei- Militärpolitik, aber auch die Widersprü- schen Ressourcen nach eigener Interes-
digungsminister haben sich angesagt, che der verschiedenen Bündnisse disku- senlage im Rahmen der NATO verfügen
Kanzler Schröder ist eingeladen und tiert. wollen, werden die kommende Konfe-
weitere „Persönlichkeiten“ aus Politik, Unter dem Deckmantel einer europäi- renz maßgeblich bestimmen.
Rüstung und Militär. schen Außen- und Verteidigungspolitik,
bereitet sich die EU darauf vor, als ● 6. Februar 2004: Protestaktionen
Die besondere Bedeutung, die diese „gleichberechtigter Partner der USA“, zu rund um den Bayerischen Hof –
Kriegskonferenz im Laufe der Jahrzehn- einer global agierenden Militärmacht auf- 16.00 Uhr
te erhalten hat, drückt sich jedoch nicht zusteigen. Die Aufstellung der „Schnel- ● 7. Februar 2004: Demonstration
allein durch die Anwesenheit so vieler len Eingreiftruppe“, die unabhängig von gegen die NATO-„Sicherheitskonfe-
Kriegstreiber aus, sondern findet ihren der NATO operieren soll; die angestrebte renz“ – 12.00 Uhr Marienplatz
Ausdruck in den politischen Themen- Einrichtung einer europäischen Rüs- NO PASARAN – Sie kommen nicht
schwerpunkten, die dort abgehandelt tungsagentur; die Verabschiedung einer durch!
werden. Das besondere an der Münchner Europäischen Sicherheitsstrategie
Konferenz ist nämlich, dass es sich nicht (12.12.03) durch den Europäischen Rat, Mehr Informationen unter:
um einen Vorzeigegipfel handelt, auf die ähnlich der „Bush-Doktrin“ den Weg www.no-nato.de
dem im Vorfeld beschlossene und ausge- für Präventivkriege freimacht, dies sind PRESSEGRUPPE – Aktionsbündnis ge-
arbeitete Pläne der Weltöffentlichkeit alles Elemente eines militärisch abgesi- gen die NATO-“Sicherheitskonferenz“ ■

Standort „sekundär“
von Jörg Kronauer

„Sekundär“ sei die Auswahl des Breit war die Thematik ausgelegt, von Kolloquium veranstaltet hat. Das aber
Standortes für das „Europäische „ethnischen Säuberungen“ in Bosnien- hat seine Aufgabe als Diskussionsforum
Zentrum gegen Vertreibungen“; Herzegowina über den Genozid an den und Ideenpool erfüllt und liefert heute
förderlich sei eine „Konzeption dezen- Armenierinnen und Armeniern bis hin noch Material, mit dem der deutsche
traler Strukturen von Gedenkstättenar- zu „Zwangsmigration in Polen 1939- Innenminister die verfahrene Situation
beit“, „ausgehend von einem zentralen, 1950“. Gedankengänge wurden über- im Streit um das „Zentrum gegen Ver-
bündelnden Ort“: Diese weitsichtigen prüft, Argumente gesammelt, schließlich treibungen“ zu lösen sucht.
Bemerkungen sind nachzulesen in dem „Denkanstöße“ zusammengestellt, die Wer eine Vorfeldorganisation der deut-
Band „Vertreibungen europäisch erin- um das „Europäische Zentrum gegen schen Polen-Politik bei ihrer Arbeit be-
nern?“, der kürzlich als „Veröffentli- Vertreibungen“ kreisen und auch kon- obachten und einen Einblick in die inter-
chung des Deutschen Polen-Instituts krete Planungselemente beinhalten. Dar- ne Strukturierung strategischer Debatten
Darmstadt“ im Wiesbadener Harrasso- unter findet sich der Vorschlag, die Wahl erhalten will, findet in dem von Dieter
witz-Verlag erschienen ist. des Standortes für das Zentrum - „ein Bingen, Wlodzimierz Borodziej und Ste-
nicht zu unterschätzendes Politikum“ - fan Troebst herausgegebenen Band inter-
Vorträge und Kurzreferate sind in dem nicht zu hoch zu bewerten und gegebe- essantes Studienmaterial. Der Versuch
Buch abgedruckt, die im Dezember 2002 nenfalls auf eine „Konzeption dezentra- der Berliner Politikerinnen und Politiker,
im Darmstädter „Haus der Deutsch-Bal- ler Strukturen“ mit einem „bündelnden die Umsiedlung der Deutschen „neu“,
ten“ gehalten wurden - auf einem Kollo- Ort“ zurückzugreifen. Während des Kol- nämlich als „Unrecht“ zu bewerten, wird
quium, das Massenfluchtbewegungen, loquiums war in diesem Zusammenhang von den zuständigen Apparaten sorgfäl-
Umsiedlungen und Vertreibungen im Eu- Görlitz genannt worden. tig vorbereitet und umsichtig unterstützt.
ropa des 20. Jahrhunderts thematisierte.
Zielpunkt des Kolloquiums war die De- Wer diese Ideen in den kürzlich be- Dieter Bingen, Wlodzimierz Borod-
batte um das „Zentrum gegen Vertrei- kannt gewordenen Vorschlägen der „Ko- ziej, Stefan Troebst: Vertreibungen
bungen“, die im Frühjahr 2002 eine brei- pernikus-Gruppe“ wiedererkennt (siehe europäisch erinnern? Historische Er-
tere Öffentlichkeit zu erreichen begann. S. 1), geht nicht fehl. Die „Kopernikus- fahrungen - Vergangenheitspolitik -
Die Veranstaltung, initiiert vom Deut- Gruppe“ ist an das Deutsche Polen-Insti- Zukunftskonzeptionen. Veröffentli-
schen Polen-Institut und international be- tut angebunden, eine Vorfeldorganisa- chungen des Deutschen Polen-Insti-
sucht, diente der wissenschaftlichen Fun- tion des Auswärtigen Amts, die auch das tuts Darmstadt Band 18, Otto Harras-
dierung der Debatte. beschriebene sowitz Verlag, Wiesbaden 2003.

10 : antifaschistische nachrichten 2-2004


: ausländer- und asylpolitik
Deutsches Studentenwerk
fordert: Weg für Zuwande-
„Wir sind keine Tiere“ rungsgesetz frei machen!
Der Präsident des Deutschen Studenten-
Seit über zehn Jahren kämpfen Flüchtlin- nach Tramm gebracht. Wütend blockier- werks (DSW), Prof. Dr. Hans-Dieter
ge für die Verbesserung ihrer unerträg- ten die Flüchtlinge den Waldweg und for- Rinkens, hat scharfe Kritik am Parteien-
lichen Lebenssituation im Bundesland derten, dass diese Entscheidung zurück- streit zum Zuwanderungsgesetz geäu-
Mecklenburg-Vorpommern, besonders genommen wird. Die Behördenvertreter ßert. Die Parteien müssten sich darüber
im Landkreis Parchim. Es schien, als riefen die Polizei, die ihnen dann den klar werden, dass sehr viele Menschen,
würden einige kleine Verbesserungen er- Weg freimachte. unter anderem die Gruppe der ausländi-
reicht. Im Jahr 2003 verkündete die Lan- Tramm ist das zweite Dschungelheim schen Studierenden, seit langer Zeit mit
desregierung des Bundeslandes Mecklen- im Landkreis Parchim. Es ist eine ehema- der Verabschiedung des Gesetzes rech-
burg-Vorpommern, dass die Isolierung lige NVA Kaserne, die ebenfalls ohne neten, so Rinkens. „Diese jungen Leute
von Flüchtlingen in den sogenannten Nahverkehrsanbindung zehn Kilometer dürfen nicht länger hingehalten werden.
Dschungelheimen ein Ende habe. Die vom nächsten Ort entfernt im Dschungel Der Streit um einzelne Aspekte des Ge-
Unterbringung in baufälligen Baracken von Mecklenburg-Vorpommern liegt. setzes wird jetzt auf ihrem Rücken aus-
oder Kasernen tief im Wald versteckt, Ki- Dort sind ca. 400 Flüchtlinge unterge- getragen, obwohl über die meisten Punk-
lometer weit entfernt von der nächsten bracht. Die drei Wohnblöcke und einige te schon Einigkeit bestand. Viele Le-
Ortschaft, sollte beendet werden. Das dis- halbeingestürzte Schuppen sind von benspläne werden durch diesen unver-
kriminierende System der Wertgutschei- Draht umzäunt, am Eingangstor sitzen ständlichen Streit gefährdet“, kritisierte
ne sollte ebenfalls der Vergangenheit an- zwei Wachmänner, die jeden Besuch Rinkens. Als „äußerst paradox“ bezeich-
gehören. kontrollieren und die Personalien aufneh- nete er es, dass Bund und Länder mit
Was die SPD/PDS Landesregierung men. Viele der Flüchtlinge in Tramm er- milliardenschweren Programmen ver-
vollmundig in der Öffentlichtkeit verbrei- halten auch weiterhin statt Bargeld nur suchten, die deutschen Hochschulen
tete, entpuppt sich als dreiste Lügen. Seit Wertgutscheine, die angeblich in Meck- international attraktiv zu machen, zu-
letztem Sommer warten die ca. 100 lenburg-Vorpommern abgeschafft wur- gleich aber im Parteienpoker den auslän-
Flüchtlinge aus dem berüchtigten den. Hinter den Wohnblöcken liegen dischen Studierenden den Aufenthalt
Dschungelheim Peeschen, das vor allem Bunkeranlagen und Schrott aus den Zei- rechtlich erschwerten. So stünden die
durch die vielen Aktivitäten und Proteste ten, als der Ort noch vom Militär genutzt geltenden Aufenthalts- und Arbeits-
des bekannten Streiters für die Men- wurde. Die Bewohner haben Angst. Sie rechtsbedingungen nach der DSW-Sozi-
schenrechte und Aktivist der Karawane wissen nicht, ob und welche Gefahren- alerhebung auf dem ersten Platz der
für die Rechte der Flüchtlinge und Mi- stoffe, Chemikalien, Munition, Blindgän- größten Schwierigkeiten bei einem
grantInnen, Akubuo A. Chukwudi, be- ger, etc dort noch liegen. Auch herrscht in Im Entwurf für ein neues Zuwande-
kannt wurde, auf die Schließung des ab- trockenen Sommern Angst vor Waldbrän- rungsgesetz dürfen sich ausländische
rissreifen Barackenlagers. den, denn Tramm ist genauso wie Pee- Studierende z.B. bis zu einem Jahr lang
Die Wohn- und Lebenssituation im schen eine Lichtung, umschlossen von in Deutschland zur Arbeitssuche aufhal-
Dschungelheim Peeschen ist dazu ge- dichtem Wald. Kommt es dort zum Wald- ten. Wenn sie in dieser Zeit einen Job fin-
dacht, Menschen nachhaltig psychisch brand, gibt es für die Menschen dort we- den, bekommen sie eine Aufenthaltser-
und physisch krank zu machen. Füchse, nig Chancen. Auch hier ist das Schlimm- laubnis. Eine weitere positive Regelung
Rehe, Wildschweine und anderes Getier ste die totale Isolation. des Entwurfs sei die Verbesserung der
sind die einzigen Nachbarn. Der Regen Bei einem Besuch einer Delegation der Arbeitsbedingungen. Danach dürfen aus-
und die Kälte dringt durch undichte Dä- Karawane für die Rechte der Flüchtlinge ländische Studierende statt wie bislang
cher und Wände in die Baracken. Immer und MigrantInnen versammelten sich die an 90 ganzen auch an 180 halben Tagen
wieder kommt es zu stundenlangen meisten der dort lebenden Frauen, Män- im Jahr arbeiten. Außerdem sieht der
Stromausfällen. Sanitäre Anlagen und nern und Kindern vor den Wohnblocks Entwurf vor, zusätzlich eine studentische
Kochgelegenheiten sind in katastropha- und skandierten: „No more Tramm!“ Ei- Nebentätigkeit in Hochschulen oder an-
len Zustand. Das Leitungswasser ist eine nige hielten Schilder hoch mit Aufschrif- deren wissenschaftlichen Einrichtungen
milchige, zum Trinken und auch zum ten: „Ich hab genug vom Wald, weil ich übernehmen. Rinkens forderte alle Par-
Waschen nicht geeignete, Brühe. Die Ab- kein Tier bin!“, „Scheiß Tramm, wir sind teien auf, beim nächsten Treffen des Ver-
wässer laufen offen hinter den Baracken keine Tiere“ oder „Du darfst nicht mit mittlungsausschusses am 27. Februar zu
in den Wald. Es gibt keine öffentlichen Deutschen wohnen, weil du Ausländer einer Einigung zu kommen.
Verkehrsmittel. Jeder Weg, zum Einkauf, bist!“ Quelle: PM des dsw v. 20.01.2004 ■
zum Arzt oder zur Behörde ist eine Stra- Die Flüchtlinge aus den Dschungelhei-
paze. men in Tramm und in Peeschen haben „Wer lange hier lebt, muss
Die Hoffnung für die Menschen in sich jetzt zusammengeschlossen und er-
Peeschen, dass sich dieser Zustand nach klären, dass sie bis zur Schließung beider bleiben dürfen“
mehr als zehn Jahren ändert, hat sich zer- Lager kämpfen werden. Sie fordern ent- 30.000 haben sich in den vergangenen
schlagen. Im Herbst 2003 hieß es noch, weder eine Gemeinschaftsunterkunft in Wochen dem Aufruf von Pro Asyl mit ih-
sie kämen in einen leerstehenden Platten- einer Stadt oder die Erlaubnis sich Woh- rer Unterschrift angeschlossen. Die
bau mit Verkehrsanbindung, Einkaufs- nungen zu suchen. Sie klagen die Regie- Unterzeichner fordern, dass die langjährig
möglichkeiten und deutschen Nachbarn rung und die Behörden in Mecklenburg- in Deutschland Geduldeten endlich ein
in der Nähe am Rand der Ortschaft Da- Vorpommern und im Landkreis Parchim dauerhaftes Bleiberecht erhalten. Mehr
bel. Doch angeblich verweigerte der Bür- an, ihr Leben und das Leben ihrer Kinder als 150.000 Geduldete leben bereits über
germeister des Dorfes seine Zustimmung. aufs Spiel zu setzten. fünf Jahre in Deutschland. Dennoch müs-
Mitte Januar tauchten Behördenmitar- 100% staatlicher Rassismus versteckt sen sie Tag für Tag damit rechnen, dass sie
beiter im Dschungelheim Peeschen auf und präsentiert sich in den Wäldern der abgeschoben werden. Pro Asyl ruft die
und teilten den Bewohnern mit, innerhalb Mecklenburger Seenplatte. Vertreterinnen und Vertreter aller Parteien
von 4-5 Tagen ihre Sachen zu packen. Sie 25.01.2004, Karawane Nord auf, diesen Aufruf umzusetzen.
würden nächste Woche abgeholt und Kontakt: free2move@nadir.org ■ www.proasyl.de ■

: antifaschistische nachrichten 2-2004 11


17. Januar 2004: setzt – waren jedoch
durchaus aus unter-
schiedlichen Motiven
Demonstrationen gekommen. Viele der
gegen das franzö- meist jüngeren und sehr
jungen Frauen betonten
sische Gesetz ihren Integrationswillen
und ihren Wunsch nach
Über die Landesgrenzen hinaus für Auf- Zugang zu Wissen und
merksamkeit gesorgt hat das französische zur Gesellschaft: „Wir
Vorhaben, per Gesetz muslimischen wollen mit Christen, Juden und Atheisten wenn die Zahl von Kopftüchern in den
SchülerInnen das Tragen von Kopftü- zusammen in die Schule gehen, aber auch Schulen der Trabantenstädte sich – vor
chern in öffentlichen Lehreinrichtungen selbst dabei respektiert werden“, hieß es dem Hintergrund der sozialen Krise –
zu verbieten. Am vergangenen Woche- immer wieder. weiter ausbreite, dann gebe es kein Halten
nende wurde dagegen u.a. in London, in Die Beweggründe dafür sind erwiese- mehr, weil auch sie dann durch ihre Eltern
Kairo, Gaza und Bagdad vor französi- nermaßen vielfältig, wobei der häufig ver- zum Kopftuchtragen gezwungen werden
schen Einrichtungen demonstriert, wobei mutete Zwang von Männern und Brüdern könnte. Auch viele Kabylen, also berber-
allerdings jeweils nur einige hundert Per- nur eine kleine Minderheit von Fällen zu sprachige Algerier, die traditionell antiis-
sonen teilnahmen. Oft kam die Initiative betreffen scheint. (Mehr zu den Hinter- lamistisch eingestellt sind, teilen eine eher
wohl aus dem islamistischen Spektrum. gründen im nebenstehenden Artikel.) abwartend-positive Haltung zum Geset-
In Palästina bspw. hatte der Islamic Jihad Dagegen verfolgen die organisierten Is- zesvorhaben.
dazu aufgerufen, der (gelinde ausge- lamisten, die auch in der Demo zu finden Dessen Text wurde am Donnerstag, 22.
drückt) nicht eben zu den progressiven sind, andere Ziele. Ihnen geht es um eine Januar dieser Woche dem Conseil d’Etat,
und demokratischen Organisationen ge- autoritäre Moralisierung der Gesellschaft, dem obersten Verwaltungsgericht, zur ju-
rechnet werden kann. In London dagegen da sie sich die Schwäche ihrer Herkunfts- ristischen Begutachtung übergeben (wie
hatte die Muslim Association of Britain gesellschaften gegenüber den dominie- es im Gesetzgebungsverfahren oft getan
aufgerufen, die eine kommunitaristische renden Europäern durch ihre „Dekadenz“ wird). Am 29. Januar soll er dann vom
Interessenvertretung eines Teils der Ein- erklären, die es zu überwinden gelte. Kabinett abgesegnet werden. Am 3., 4.
wanderer darstellt und die in der briti- „Schwule dürfen heiraten, aber Frauen und 5. Februar wird er im Parlament dis-
schen Anti-Kriegs-Bewegung eine gewis- sollen kein Kopftuch tragen“ fassen PMF- kutiert, wo er am 10. Februar in erster Le-
se Rolle spielte; es kamen aber nur 700 Sprecher auf der Ladefläche des LKW, sung angenommen werden soll. Die Re-
Leute vor die französische Botschaft. der als fahrende Kundgebungsfläche gierung hat es eilig und verhüllt kaum,
Auch in mehreren französischen Städ- dient, eine angebliche Verschwörung zur dass sie die Annahme der Gesetzesvorla-
ten fanden Demonstrationen statt, deren Unterminierung der moslemischen Ge- ge auch mit den Regionalparlamentswah-
TeilnehmerInnen zum überwiegenden sellschaft zusammen. PMF-Chef Moha- len am 21. und 28. März in Verbindung
Teil aus der moslemischen Community med Latrèche übte sich ferner in Kraft- bringt. Konkret wird das Gesetz – zwi-
stammten. Die größten Demos waren jene sprüchen wie: „Jene, die uns (Moslems) schen den Zeilen aber vernehmbar – auch
von Paris und Lille. In der Hauptstadt ka- beleidigen, politisch zu terrorisieren“, was als Maßnahme im Wettstreit der Konser-
men an die 5.000 TeilnehmerInnen, wo- in den Medien bereite Beachtung hervor- vativen mit der erstarkenden extremen
bei die konservative Presse und zeitweise rief (aber auch überbewertet wurde). Fer- Rechten bezeichnet. Deren neue Galions-
die Polizei die Angaben über die Beteili- ner fragte er rhetorisch, er wolle doch mal figur, die Mittdreißigerin Marine Le Pen –
gung jedoch in die Höhe trieben. Eine Ge- wissen, wo denn „der Unterschied zwi- Tochter des prominenten Parteigründers –
werkschaft der Beschäftigten des Innen- schen Bush, Sharon und Hitler“ sei, den er , bezog das Thema bereits in ihren Wahl-
ministeriums, die linke SUD-Ministère de nicht erkennen möge, was eine weitere kampf ein. Sie argumentierte am Sonntag,
l’intérieur, bezeichnete die ersten polizei- implizite Holocaust-Leugnung darstellt, 18. Januar bei ihrer Tournee über die Wo-
lichen Angaben von über 11.000 Teilneh- wenngleich der PMF auch bereits Schlim- chenmärkte des Pariser Umlands bezüg-
merInnen in einem Pressekommuniqué meres zum Thema abgelassen hat. lich der Demonstrationen vom Vortag:
als aufgeblasen und übertrieben. Das Die Reaktionen auf das Kopftuch-Ver- „Wir haben es vorausgesagt: Wer Ein-
könnte damit zu tun haben, dass ein Teil botsgesetz sind teilweise aus dem Bauch wanderung sät, wird Demonstrationen des
der Medien und der etablierten Kräfte heraus abgegeben, da viele Einwanderer- Hasses gegen uns ernten.“
schon im Vorfeld Furcht erzeugt hatte. kinder sich spontan als solche, in ihrer In einem Leitartikel vom 9. Januar 03
Die Boulevardzeitung Le Parisien titelte „Identität“ angegriffen fühlen, obwohl sie warnte der Chefredakteur von Le Monde,
jedenfalls wörtlich: „Die Demo, die Angst gar nicht an islamischen Werten hängen. Jean-Marie Colombani, davor, die Debat-
macht“ – keine sehr differenzierte Sicht- So ist auch eine Minderheit von nicht ver- te rund um das Kopftuchgesetz werde
weise. hüllten jungen Frauen – etwa 20 Prozent eine „wahrhafte Büchse der Pandora“ öff-
Aufgerufen zu der Pariser Demo hatte der Demo – gekommen. Und Angehörige nen. Er fügt hinzu: „Alle haben gesehen,
eine rechte kommunitaristische Partei, der der Mittelschichten aus der Einwanderer- wie der extremen Rechten (Anm.: 2002)
PMF (Parti musulman de France), der bis- bevölkerung erklären am Rande des Auf- das Ausweiden des Themas <Innere Si-
her eine lediglich in Strasbourg veranker- zugs ihre Furcht, von der Regierung in cherheit> genutzt hat. Sie wird erneut an
te Splittergruppe darstellte. Da der PMF eine Solidarisierung mit Kräften getrieben Legitimität gewinnen, weil jetzt die Frage
durch antisemitische und geschichtsrevio- zu werden, die sie selbst für gefährlich der <Identität> in den Mittelpunkt der
nistische Sprüche Aufmerksamkeit auf halten, „weil man uns attackiert“. innenpolitischen Debatte gerückt wird.“
sich zog, wollten größere moslemische Das ist eine verbreitete Position in der Colombani sieht dahinter ein politisches
Organisationen ebenso wie französische maghrebinischen Einwanderungsbevöl- Kalkül: Bleibe die extreme Rechte als
Linke, die gegen das Verbotsvorhaben kerung, in der es allerdings auch noch einzige starke Alternative übrig, dann
eintreten, sich nicht mit den Veranstaltern völlig andere Stimmen gibt. Denn manche könne das die Konservativen über die
einlassen. Die Teilnehmerinnenschaft, je- Frauen und Männer begrüßen auch das Wahlen retten, wie bereits 2002. „Dieses
denfalls ihr weiblicher Teil –der männli- Gesetz oder stehen ihm zumindest passiv- politische Kalkül wirft eine schwerwie-
che war größenteils aus Anhängern isla- wohlwollend gegenüber. Da sind vor al- gende historische Verantwortung auf.“
mistischer Kleingruppen zusammenge- lem die Mädchen, die der Ansicht sind, BhS, Paris ■

12 : antifaschistische nachrichten 2-2004


Frankreich: „Neudefinition des Laizismus“ von oben

Neues Gesetz zum Verbot muslimi-


scher Kopftücher an Schulen Teil II
Fortsetzung des in der Ausga- Die zwanzig Ausschussmitglieder hat- gionsgruppe aufzufallen und erkannt zu
be AN 02/2004 begonnenen ten seit Anfang Juli an Vorschlägen zu werden“.
Artikels. dem Thema „Neufassung des laizisti- Im Vorfeld hatten manche Politiker,
Abschlussbericht der „Stasi-Kommis- schen Staatsaufbaus in Frankreich“ gear- etwa der konservative Parlamentspräsi-
sion“ beitet. Konkreter Auslöser dafür, dass dent Jean-Louis Debré oder auch der so-
das Gremium durch Präsident Chirac zialdemokratische Nachwuchspolitiker
Seit Anfang Juli 2003 trat allwöchentlich eingesetzt wurde, war das erneute Auf- Malek Boutih, die Schwierigkeiten mit
eine (durch Präsident Jacques Chirac flammen der „Kopftuchdebatte“. Der all- der Abgrenzung dadurch zu umgehen
eingesetzte) Kommission zusammen, die gemeinere Hintergrund bestand darin, versucht, dass sie vorschlugen, doch
neue Spielregeln für den Laizismus defi- dass verschiedene Beobachter in Politik gleich alle „sichtbaren“ religiösen Sym-
nieren sollte. Das zwanzigköpfige Gre- und Medien ein „Anwachsen des Kom- bole aus öffentlichen Schulen herauszu-
mium aus Juristen, Geisteswissenschaft- munitarismus“ beklagten, also eine zu- halten. Doch eine solche, relativ weit ge-
lern und Politikern wurde unter dem Na- nehmende Selbstbezogenheit verschie- hende Regelung wollten wiederum die
men „Stasi-Kommission“ bekannt. Die dener Bevölkerungsgruppen, die zu ei- christlichen Kirchen nicht hinnehmen,
Bezeichnung hat nichts mit der ehemali- nem Rückgang universeller Wert- und die fürchteten, ihre Ideen würden nun-
gen DDR-Staatssicherheit zu tun, son- Rechtsvorstellungen führe. Festgemacht mehr weitgehend aus der Gesellschaft
dern kommt vom Namen des Ausschuss- wird das vor allem an Entwicklungen verbannt. Auch in einem laizistischen
innerhalb der Einwanderungsbevölke- Staat wie Frankreich aber behalten die
rung, nicht so sehr innerhalb der Mehr- christlichen Kirchen einen gewissen Ein-
heitsgesellschaft (deren Rassismus aber fluss vor allem auf die bürgerlich-kon-
auch einen nicht unwesentlichen Faktor servativen Parteien. Daher blieb es bei
bei dieser Entwicklung bildet). der Kompromissformulierung, die auf
Die Vorschläge der „Stasi-Kommis- „plakative“ Symbole, wie immer sie de-
sion“, und was davon übrig blieb finiert seien, abstellt.
Hingegen kam der Vorschlag einer
Die „Stasi-Kommission“ hatte in ihrem Untersagung „plakativer“ Manifestatio-
Abschlussdokument eine Reihe von Vor- nen einer politischen Gesinnung überra-
schlägen unterbreitet, unter denen vor al- schender. Vor allem in linken oder antifa-
lem zwei hervorstachen. Die erste vorge- schistischen Gruppen Engagierte warn-
schlagene Maßnahme bestand aus einem ten bereits vor einem Gesetz in obrig-
doppelten Vorbot: Sowohl religiöse keitlichem Geiste, das den Ideenkampf
Symbole, die auf „ostensible“ (ungefähr: unter Jugendlichen einschränken und für
plakativ, auffällig) Weise getragen oder verordnete Ruhe sorgen solle. Doch
zur Schau gestellt werden, als auch ent- Chirac hat diese zweite Hälfte des Vor-
sprechend deutlich zur Schau gestellte schlags in seiner Rede vom 17. Dezem-
politische Symbole sollten an öffent- ber 03, die das neue Gesetz ankündigte,
lichen Schulen verboten werden. nicht berücksichtigt. Möglicherweise be-
Bilder von der Demonstration in Paris Die erste Hälfte des Doppelverbots fürchteten Präsident oder Regierung
am 17.1.2004 bot keine Überraschung, denn die Dis- auch eine Mobilisierung an den Schulen
kussion um die Behandlung von Kopf- gegen eine solche Maßnahme, die dann
Vorsitzenden Bernard Stasi: ein früherer tuchträgerinnen (sowie von Kippaträ- erst recht Staub aufgewirbelt hätte. Seit
Chirac-Berater, der jetzt als médiateur de gern, die aber ohnehin meist konfessio- Anfang Januar 04 allerdings meldeten
la République (Ombudsmann, eine Be- nelle Schulen besuchen und daher von sich erneut mehrere konservative Politi-
schwerdeinstanz für die Bürger) amtiert. einem eventuellen Verbot nicht berührt ker zu Wort, die das kommende Verbot
Die Kommission führte jede Woche An- würden) stand sowieso im Mittelpunkt unbedingt auf politische Symbole (wie
hörungen durch, wobei die Palette der der Auseinandersetzung. Allerdings war Anstecker, Buttons und „unter Umstän-
Vorgeladenen von muslimischen Mäd- zwischendurch heftig umstritten, wie- den“ auch Palästinensertücher) ausge-
chen über Vertreter der Lehrer(gewerk- weit dieses Verbot nun reichen sollte – dehnt wissen wollen. Zu ihnen gehören
schaften), sozialistische und bürgerliche denn ab wann ist ein Symbol „plakativ“? der Parlamentspräsident Jean-Louis De-
Politiker bis zum Front National-Gene- Darüber herrscht permanente Uneinig- bré, der Fraktionsvorsitzende der Regie-
ralsekretär Bruno Gollnisch reichte. keit. Chirac versuchte, durch Beispiele rungspartei UMP, Jacques Barrot, sowie
Die meisten Beobachter hatten im zu verdeutlichen, was gemeint ist: Nicht der frühere Premierminister und jetzige
Vorfeld damit gerechnet, dass ein Gesetz untersagt seien etwa Halsketten mit ei- UMP-Chef Alain Juppé.
wie das jetzt angekündigte in Planung nem kleinen Kreuz, einem Davidstern Ebenfalls keine Berücksichtigung
genommen werde. Dass die Kommission oder einer „Hand der Fatima“ (ein Sym- fand der zweite Vorschlag des aus Juris-
mehrheitlich zugunsten der Forderung bol mit fünf Fingern, das als islamisch ten, PhilosophInnen, Soziologen und Po-
nach einem solchen Gesetzestext ent- gilt, tatsächlich aber eher auf die nord- litikerInnen bestehenden Ausschusses.
scheiden würde, hatte sie bereits im Okt- afrikanische vor-islamische Tradition zu- Demnach sollte neben den gesetzlichen
ober 03 durchblicken lassen. Zu dieser rückgeht, derzufolge es „den bösen Blick Feiertagen christlichen Ursprungs (bzw.,
Zeit führte sie noch ihre wöchentlichen abwehren“ soll). An Schulen verboten wie im Falle des Weihnachtsfests, vor-
Anhörungen von Politikern und „Ange- dagegen wären „Zeichen, deren Tragen christlicher germanischer oder gallischer
hörigen der Zivilgesellschaft“ fort. dazu führt, sofort als Mitglied einer Reli- Herkunft, die später mit einer christ-

: antifaschistische nachrichten 2-2004 13


lichen Legitimation überdeckt wurde)
A m 19. Januar 04 hat
Frankreichs (bereits
durch seine zahlreichen
Bildungsminister Luc Ferry nunmehr im Kalender der staatlichen
Schulen auch ein jüdischer und ein mus-
peinlichen Auftritte be- definiert verbotene Symbole limischer Feiertag anerkannt werden.
rühmter) Bildungsminister Konkret sollten das islamische Fest Aïd-
rasieren...!“) Nun tragen tatsächlich radikale
Luc Ferry vor der Gesetzeskommission des el-Kebir (das auf das Opfer Abrahams
Islamisten (oft) Bärte, weil angeblich der Pro-
Parlaments zu beschreiben versucht, welche
phet das Rasieren verboten hat. Aber es gibt
zurückgeführt wird) sowie der jüdische
Symbole künftig unter das Verbotsgesetz fal-
auch Hippie- und Öko- oder andere Bärte. „Tag der Großen Vergebung“, Yom Kip-
len. Ihm war Anfang Januar die Aufgabe zu- pur, in den Ferienkalender der Schülerin-
gefallen, den Gesetzestext für das Verbot Also wird künftig, da war der Minister deut-
lich, auch auf den Kontext abzustellen sein, in nen und Schulen aufgenommen werden.
„auffälliger“ religiöser Symbole in den ihm Das bedeutete nicht, dass auch die lohn-
unterstehenden Schulen zu formulieren. Um dem der Bart getragen wird. Preisfrage: Wie
macht man das, ohne auf die Abstammung abhängig Arbeitenden in den Genuss zu-
nicht einmal mehr in ein oder mehrere Fett-
und Herkunft des Betroffenen abzustellen, sätzlicher freier Tage gekommen wären.
näpfchen zu tappen, hielt Ferry sich bei der
d.h. ohne zwischen dem Bart von François Sie sollten allerdings künftig die Wahl
Abfassung der Gesetzesvorlage streng an
den Redetext von Präsident Chirac vom 17. und dem von Mohammed zu unterscheiden? haben, sich an Yom Kippur bzw. Aïd el-
Dezember. Letzterer wurde größtenteils wört- Angeblich soll der staatliche Laizismus ja ge- Kabir einen Ferientag zu nehmen, was
lich übernommen. rade dazu dienen, dass die Individuen sich allerdings ohnehin in der Praxis längst
Luc Ferry bestätigte indirekt die Vermutung nicht über ihre (religiöse) Herkunft definieren, gemacht wird.
vieler Kritiker, dass es sich vor allem um ein damit die republikanische Gleichheit herr-
Die Diskussion um muslimische und
Gesetz gegen die moslemische (oder als sol- schen kann... jüdische Feiertage
che definierte – es sollen sich ja auch Atheis- Luc Ferry hat jetzt aber noch zwei andere
ten und Agnostiker unter ihr befinden) Bevöl- Symbole gefunden, die ins Visier der Verbots- Dieser letzte Vorstoß der Kommission,
kerungsgruppe handele. So rief er vor der befürworter geraten. Erstens „Riesenkreuze“, der anscheinend als eine Art „Kompen-
wie sie – so belehrte der Minister die Ange-
Gesetzeskommission des Parlaments aus: „Ich sation“ an die religiösen Minderheiten
hörigen der Gesetzeskommission – von orien-
sage zu den Vertretern des Islam: Wollen Sie,
talischen Christen getragen werden, die zur
(als „Ausgleich“ für das Kopftuch- und
dass unsere Kinder sich in den Schulen schla-
Richtung der Syro-Chaldäer gehören. Insge- Kippa-Verbot an öffentlichen Schulen)
gen?“ Diese Vision von Schulkindern, die sich gedacht war, rief allerdings einen Auf-
verprügeln, falls das Gesetz nicht schnell an- samt 50 Träger solcher Kreuze soll es, ver-
streut über die Pariser Trabantenstädte, an schrei der Empörung hervor. „Voll im
genommen wird, resultiert auf der Feststel- Kommunitarismus“ lande man mit dieser
lung, dass es zunehmende „kommunitaristi- Schulen geben. „Man wusste bisher nichts
von der syro-chaldäischen Bedrohung für die Idee, beklagte der christdemokratische
sche Konflikte“ (zwischen Jugendlichen aus Politiker François Bayrou (der skeptisch
unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen) Republik“, kommentierte die Tageszeitung „Li-
bération“ sarkastisch. Zum Zweiten gibt es da gegenüber dem künftigen Verbotsgesetz
gebe. Als Beispiel zieht Ferry die zahlreichen
Gewalttaten gegen französische Juden her- noch die Gruppe der indischen Sikhs, die in ist, allerdings deswegen, weil auch die
an, die seit dem Herbst 2000 – parallel zum Frankreich nicht sehr zahlreich sind. Sie dür- christlichen Kirchen eine Tendenz zur
Aufflammen des israelisch-palästinensischen fen sich aus religiösen Gründen nicht die Zurückdrängung des religiösen Einflus-
Konflikts – von Jugendlichen aus der „mosle- Haare schneiden und tragen deswegen Tur- ses fürchten). Von „versteckter Förde-
mischen“ bzw. arabischen Einwanderungsbe- bane. Jetzt muss Schluss damit sein, befindet rung des islamischen Kommunita-
völkerung begangen wurden. Die Tendenz Luc Ferry. Dem schlauen Minister zufolge rismus“ sprach der rechtskatholische
zum Rückzug auf ihre (vermeintlichen) Partiku- stellt die Chose vor allem ein Problem an den EU-Gegner Philippe de Villiers, während
larinteressen ist tatsächlich bei vielen Bevölke- Oberschulen dar, da dort ja die nicht ge- der Chef des rechtsextremen Front Na-
rungsgruppen real – vor dem Hintergrund schnittenen Haare länger seien als an der tional - Jean-Marie Le Pen - erwartungs-
Grundschule, wie er herausgefunden haben
der sozialen Krise. Luc Ferry meint, durch das gemäß gegen eine angebliche Bevorzu-
will. Die Haare brauchen die Sikh-Sprösslinge
neue Verbotsgesetz könne Abhilfe geschaf- gung des Islam auf Kosten der christ-
zwar nicht abzuschnibbeln, aber dafür sollen
fen werden. Bedeutet das nicht: Das Thermo-
sie an öffentlichen Schulen keine Turbane
lichen Tradition wetterte.
meter zerbrechen, um das Fieber zu senken?
mehr tragen, sondern nur noch ein „unsicht- Aber auch sehr viele Abgeordnete der
Theoretisch soll es gegen „plakativ getra- konservativen Regierungspartei UMP
gene religiöse Symbole“ generell gehen. bares Haarnetz“ so will es der Minister.
Sprecher der (kleinen) Sikh-Community droh- äußerten sich argwöhnisch über die Neu-
Doch bisher wurde kein Fall eines Schulaus- erung. Teilweise mit ähnlichen Argu-
schlusses wegen eines Kreuzes oder einer ten bereits damit, Frankreich zu verlassen,
falls dieses Vorhaben durchkomme. menten wie den zitierten, teilweise aber
Kippa bekannt, zumal deren Träger ohnehin
Unter den Politikern und Parlamentariern auch einfach mit dem wahlpolitischen
meist konfessionelle Privatschulen besuchen
scheint Luc Ferry allerdings eher Verwirrung Motiv, dass die extreme Rechte unter Le
die katholischen Privatschulen bilden den Eli-
tezweig des gesamten Schulsystems. Aus fi- gestiftet, denn Klarheit geschaffen zu haben. Pen bei den Regionalparlamentswahlen
nanziellen Gründen dagegen kommen für die Andere konservative Politiker widersprachen im März 04 neue Erfolge verzeichnen
meisten moslemischen Einwanderer keine Pri- ihm hinsichtlich der Bärte. Ein schönes Chaos! werde, wenn „das durchkommt“. Ein
vatschulen in Betracht. Daher waren von den Nachdem ihr Fraktionsvorsitzender Jacques häufig bemühtes Argument bestand dar-
Schulverweisen, die seit 1989 wegen religiö- Barrot angekündigt hat, die Abgeordneten in, die – im November 03 durch die Raf-
ser Symbole ausgesprochen wurden, stets der konservativen Regierungspartei UMP farin-Regierung beschlossene – Abschaf-
Mädchen mit moslemischem Hintergrund be- bräuchten sich bei der Abstimmung über das fung des Pfingstmontags als arbeitsfreier
troffen. Kopftuch-Verbotsgesetz nicht an die Fraktions- Tag in direkten Bezug zur „nunmehr er-
Als problematisch galt bisher auch vielen, disziplin zu halten, darf man sich bereits auf folgter Anerkennung muslimischer und
das Durcheinander freuen. Einige (Wirt-
dass nur die Mädchen ausgeschlossen wer- islamischer Feiertage“ zu setzen. Ein Zu-
schafts-)Liberale in den Reihen der UMP, wie
den, obwohl sie ja gerade als Opfer von sammenhang, der freilich nur schwerlich
Alain Madelin, haben bereits erklärt, dass sie
Unterdrückung durch die moslemischen Män-
gar nichts von dem Gesetz halten. herzustellen ist, denn die abhängig Be-
ner dargestellt werden. Diesem Widerspruch schäftigten wären ja (anders als Schüler
versuchte Ferry jetzt beizukommen: „Auffäl- Das Gesetz regele „nicht alles“, räumte
Ferry vor der Kommission gleich ein, da es und Lehrer) in der Regel nicht direkt von
lig“ getragene Bärte, wenn sie ein religiöses den neuen Feiertagen betroffen gewesen.
Symbol darstellten, sollen ebenfalls einen „in der Natur des Menschen liegt, sich neue
Symbole zu erfinden“. Also viel Aufhebens, Das Hauptmotiv der Regierung bei der
eventuellen Ausschlussgrund an öffentlichen Streichung des Pfingstmontags war aber
Schulen darstellen. („Mohammed, geh Dich damit am Ende gar nichts rauskommt?
BhS, Paris ■ eine Verlängerung der Arbeitszeiten ge-
wesen, die angeblich nötig sei, um den

14 : antifaschistische nachrichten 2-2004


: ostritt
Pflegebedarf für ältere Mitbürger finan- hinterlässt wohl doch bei Vielen einen
zieren zu können. Insofern kann man von bitteren Beigeschmack.
der Mobilisierung eines blanken Neidef- Denn nun wird zwar das Verbot „auf-

D
fekts, ohne reale Grundlage, sprechen. fälliger religiöser Symbole“ im Namen er Deutsche Ostdienst berichtet in
Laut jüngsten Umfragen waren je rund des Universalismus, der dem französi- der aktuellen Ausgabe über das
die Hälfte der sozialdemokratischen und schen Laizismus zugrunde liegt (das ge- „VDA-Forum 2003“ in Dresden.
konservativen Wähler, doch 87 Prozent sellschaftliche Leben des Individuums Seit langem haben wir von diesem Ver-
soll nicht durch seine Herkunft vorab de- ein nichts mehr gehört. Bis 1999 hieß er
terminiert werden) gerechtfertigt. Dieser „Verein für das Deutschtum im Aus-
Universalismus wurzelt in den Ideen der land“. Erinnert sei, dass der damalige
Revolution von 1789, aber bezüglich der VDA über den Verbleib von ca. 20
konkreten Frage der Trennung von Schu- Millionen DM öffentlicher Fördermittel
le und Religion vor allem im Gesetz von für Projekte in den GUS-Staaten keinen
1905, das zu den Folgewirkungen der Nachweis erbringen konnte. Nach 1998
Dreyfus-Affäre um die Jahrhundertwen- sind die Fördermittel an den VDA von
de gehört. Gleichzeitig aber wird eifrig ca. 1,4 Mio. Euro eingestellt worden.
unter den Tisch gekehrt, dass auch sei- „Negativ aufgefallen war der VDA im-
tens der Mehrheitsgesellschaft eine Form mer wieder wegen seiner Verbindungen
von kulturellem Partikularismus vor- zu Militärdiktaturen und zu rechtsextre-
herrscht, der sich in der impliziten Aner- men und neofaschistischen Kreisen“
kennung allein von Festtagen christlicher schreibt das Lexikon Rechtsextre-
Herkunft (die allerdings für viele Bürger mismus zu dem Verein.
der Wähler der extremen Rechten unter ihre frühere Bedeutung verloren haben 1999 änderte der VDA dann seinen
Jean-Marie Le Pen gegen die Anerken- mögen) ausdrückt. Vor 200 Jahren hatten Namen und heißt seitdem: „Verein für
nung von Aïd el-Kebir und Yom Kippour das die französischen Revolutionäre be- deutsche Kulturbeziehungen im Aus-
eingestellt. reits problematisiert. Deswegen hatte ein land“. Begründet wurde das u.a. damit,
In seiner Rede äußerte Chirac sich zu Gesetz vom 24. November 1793 sogar dass junge Menschen mit dem Begriff
dieser Frage mit den Worten: „Ich glaube den Wochenrhythmus verändern wollen: „Deutschtum“ wenig anfangen könnten.
nicht, dass man dem schulischen Kalen- Statt des Sonntags, der auf die Erforder- Diese Vergangenheit verschleiern die
der neue Feiertage hinzu fügen sollte, nisse der christlichen Sonntagsmesse zu- Macher des Deutschen Ostdienst (DOD),
denn er zählt ihrer bereits viele.“ Dage- rückgeht, sollte ein anderer wöchent- wenn sie einen Artikel vom Vorsitzenden
gen solle die individuelle Abwesenheit licher Ruhetag eingeführt werden: der des Landesverbandes Sachsen, Peter
von SchülerInnen an den fraglichen Ta- décadi. Bien abdrucken, der sich dann selber zi-
gen seitens der Lehrkräfte als entschul- Dieser Versuch blieb allerdings in tiert: „Peter Bien sagte, der VDA habe
digt gelten, und es sollten keine Prüfun- nachhaltig schlechter Erinnerung. Denn eine wechselvolle Geschichte durchlebt,
gen auf diese Tage gelegt werden. Das für die aufstrebende Bourgeoisie hatte seine Aufgabe sei jedoch stets die Glei-
wird in der Praxis von Schulen und Uni- die neue Einteilung in décades (statt Wo- che geblieben: die Förderung und Pflege
versitäten ohnehin seit längerem so ge- chen) nebenbei einen unerhörten prakti- der deutschen Sprache und Kultur sowie
handhabt, in der Regel jedenfalls. Was schen Vorteil: Statt alle sieben Tage soll- die Unterstützung deutscher Gemein-
ausbleibt, ist das Symbol, das in der Ver- te der arbeitenden Bevölkerung nur noch schaften in aller Welt.“
änderung des Feiertags-Rhythmus gele- alle zehn Tage ein Ruhetag gegönnt wer- Auf dem besagten Forum befassten
gen hätte. den. sich dann mehrere Referenten mit der
Nun kann man sicherlich darüber dis- Unabhängig davon beweist der kon- Politik des VDA in Polen, Namibia und
kutieren, ob sie nicht tatsächlich zum krete Verlauf der zurückliegenden De- Kanada in den letzten Jahrzehnten. Auch
Anwachsen der Bedeutung von Reli- batte, dass es mit den universalistischen hier wird nichts Kritikwürdiges ange-
gionsgruppe geführt hätte (was man be- Motiven, die angeblich hinter der staatli- merkt. Gerade Namibia – der 100. Jah-
zweifeln mag) und ob das wünschens- che Neudefinition des Laizismus stehen, restag des Hereroaufstandes steht bevor
wert, hinnehmbar usw. ist oder nicht. nicht weit her ist. – wäre ein gutes Thema gewesen, die
Doch der konkrete Verlauf der Debatte Bernhard Schmid, Paris ■ Politik des VDA kritisch zu hinterfragen.
Stattdessen kann man lesen: „Wie er
(Prof. Dr. Uwe Jäschke, der Referent, d.
Der Herausgabekreis und die Redaktion sind zu erreichen über: Red.) sagte, leben die 30 000 Deutschen
GNN-Verlag, Zülpicher Str. 7, 50674 Köln Tel. 0221 / 21 16 58, Fax 0221 / 21 53 73.
email: antifanachrichten@netcologne.de, Internet: http://www.antifaschistische-nachrichten.de
in Namibia, dem früheren Deutsch-Süd-
westafrika, bereits in der fünften Genera-
Erscheint bei GNN, Verlagsges. m.b.H., Zülpicher Str. 7, 50674 Köln. V.i.S.d.P.: U. Bach tion in diesem Land. Sie sind eine sehr
Redaktion: Für Schleswig-Holstein, Hamburg: W. Siede, erreichbar über GNN-Verlag, Neuer Kamp 25, eigenständige Volksgruppe und bezeich-
20359 Hamburg, Tel. 040 / 43 18 88 20. Für NRW, Hessen, Rheinland Pfalz, Saarland: U. Bach, nen sich gern als der ,siebte Stamm
GNN-Verlag Köln. Baden-Württemberg und Bayern über GNN-Süd, Stubaier Str. 2, 70327 Stuttgart, Deutschlands‘.“
Tel. 0711 / 62 47 01. Für „Aus der faschistischen Presse“: J. Detjen c/o GNN Köln.
Erscheinungsweise: 14-täglich. Bezugspreis: Einzelheft 1,30 Euro. Die Vorsitzende des Bundesverbandes
Bestellungen sind zu richten an: GNN-Verlag, Zülpicher Str. 7, 50674 Köln. Sonderbestellungen sind der Vertriebenen, Erika Steinbach, die im
möglich, Wiederverkäufer erhalten 30 % Rabatt. DOD immer wieder das Editorial
Die antifaschistischen Nachrichten beruhen vor allen Dingen auf Mitteilungen von Initiativen. Soweit ein- schreibt, sollte sich lieber andere Bünd-
zelne Artikel ausdrücklich in ihrer Herkunft gekennzeichnet sind, geben sie nicht unbedingt die Meinung nispartner suchen als den VDA. Stattdes-
der Redaktion wieder, die nicht alle bei ihr eingehenden Meldungen überprüfen kann. sen beschwert sie sich, „dass es immer
Herausgabekreis der Antifaschistischen Nachrichten: Anarchistische Gruppe/Rätekommunisten (AGR); Annelie noch Kräfte gibt, die schon bei der Voka-
Buntenbach (Bündnis 90/Die Grünen); Rolf Burgard (VVN-BdA); Jörg Detjen (Forum kommunistischer Arbeitsgemein-
schaften); Martin Dietzsch; Regina Girod (VVN - Bund der Antifaschisten); Dr. Christel Hartinger (Friedenszentrum e.V., bel ,Vertreibung‘ in ihre alten Schützen-
Leipzig); Hartmut-Meyer-Archiv bei der VVN - Bund der Antifaschisten NRW; Ulla Jelpke; Jochen Koeniger (Arbeitsgrup- gräben krauchen.“
pe gegen Militarismus und Repression); Marion Bentin, Edith Bergmann, Hannes Nuijen (Mitglieder des Vorstandes der Schützengräben werden vom DOD
Arbeitsgemeinschaft gegen Reaktion, Faschismus und Krieg–Förderverein Antifaschistische Nachrichten); Kreisvereini-
gung Aachen VVN-BdA; AG Antifaschismus/ Antirassismus in der PDS NRW; Angelo Lucifero (Landesleiter hbv in ver.di immer wieder ausgehoben, seit Jahr-
Thüringen); Kai Metzner (minuskel screen partner); Bernhard Strasdeit; Volkmar Wölk. zehnten. DOD, 1-2004 - jöd ■

: antifaschistische nachrichten 2-2004 15


: aus der faschistischen presse
Schönhuber sieht die Gefahren des
Opportunismus und der Abweichung von
der reinen arischen Lehre aber nicht nur
in Italien: „Ich schildere die Vorgänge
Antisemitismus als brauner bester Gesellschaft. Eine Seite weiter um Fini... deshalb so ausführlich, weil
Faden lässt sich Ulf Köster über „Philosemiti- sie den östereichischen Freiheitlichen
sche Dummheiten“ aus und auch Franz und auch dem Vlaams Block zur War-
Nation & Europa, Januar 2004 Schönhuber nimmt sich des Themas an. nung dienen können. Genau wie Fini
Den Beginn des Jahres 2004 begeht die Der alte Herr ist allerdings immer für glaubte Haider auf dem Höhepunkt sei-
Redaktion von „Nation & Europa“ mit eine Überraschung gut. Er benutzt Israel, ner Erfolge, auf jene national- und tradi-
einem ihrer Lieblingsthemen als Schwer- um mit seinem früheren Bruder im fa- tionsbewußten Anhänger verzichten zu
punkt: Antisemitismus. Auf dem grau in schistischen Geist, Gianfranco Fini ab- können, die ihm zur Macht verholfen
grau gehaltenen Titelbild der Januaraus- zurechnen, den er als den „windigsten hatten. Sie störten ihn bei seinen Wer-
gabe steht der bayerische Ministerpräsi- Opportunisten unserer Zeit“ beschimpft: bungen um politische Kräfte an der ame-
dent Edmund Stoiber, eine Kipa tragend, „...FPÖ und AN (die italienische Allean- rikanischen Ostküste. Deshalb zauberte
neben Paul Spiegel, dem Vorsitzenden za Nationale, deren Chef Fini ist – tri) er ein politisches Kaninchen aus dem
des Zentralrats der Juden in Deutschland. sind auf dem Weg hin zur Mitte, zur Hut, den jüdischen und offen deutsch-
Unterschrift der Redaktion: „Allmählich Preisgabe anfänglicher Grundüberzeu- feindlichen Schriftsteller Peter Sichrovs-
reicht es“. Um eventuellen juritischen gungen. Dabei kommt es zu würdelosen ky.... Auch bei den Führungskräften des
Sanktionen zu entgehen, wurde über das Kniefällen vor Israel“. bisher so erfolgreichen Vlaams Blok
Bild ein Zitat des Sozialwissenschaftlers Und das ist für den früheren Waffen- sollten Alarmsignale aufleuchten. Filip
Professor Wilhelm Heitmeyer gesetzt: SS-Mann natürlich die ideologische Tod- Dewinter buhlt in Antwerpen um die
„Fast 70 Prozent der Deutschen sind dar- sünde. „Ich war zur Zeit des Israel-Besu- Gunst der jüdischen Gemeinde und kün-
über verärgert, daß ihnen auch heute ches von Fini in Italien und kam ange- digte einen gemeinsamen Kampf gegen
noch die NS-Verbrechen an den Juden sichts der Fernsehberichte aus dem Stau- den Islam an. Zur Belohnung durfte er
vorgehalten werden.“. Der Justiz gegen- nen über die politischen Verrenkungen schon einmal nach Jerusalem fliegen“.
über, bezieht sich die Bildunnterschrift meines ehemaligen Kollegen im Europa- Fini ist ein Verräter, wie ja in den Au-
natürlich auf das Heitmeyer-Zitat – die parlament nicht heraus. In Jerusalem hat gen aller alten und neuen Nazis die Ita-
Leser(innen) wissen schon was wirklich er sozusagen alles verraten, was bisher liener seit 1943 ohnehin zum Verrat nei-
gemeint ist. zum Programm der Postfaschisten zähl- gen, der Belgier Dewinter verkauft sich
Dieses, neben der Ausländerfeindlich- te, inklusive der führenden Personen der an „die Juden“ und auch die notorisch
keit, Lieblingsthema des Blattes zieht Gründerzeit. unzuverlässigen Österreicher werben um
sich dann auch wie ein brauner Faden Er hat seinen Förderer und Gönner Al- die Sympathien der „amerikanischen
durch die Ausgabe: „Aber seit sechs mirante verraten, der ihm die Karriere Ostküste“, in faschistischen Kreisen das
Jahrzehnten nahezu jeden Tag die glei- bis hin zur Parteispitze ermöglichte. Er Codewort für die amerikanischen Juden.
chen Gedenkreden hören zu müssen, hat die Republik von Salò verraten, de- Schönhuber gefällt sich offensichtlich in
vorwärts und rückwärts buchstabiert, das ren Führung die späteren Parteigründer der Rolle des Großinquisitors.
läßt sogar Stocktaube nach Ohrenstöp- Almirante und Rauti angehörten. Und als Hilmar Gerber bestätigt, was Linke
seln greifen. Zumal jeder weiß, daß es ,Krönung‘ seines Besuches in Jerusalem schon lange wussten und gesagt haben:
nicht um das Andenken der Opfer geht, warf er auch noch Mussolini in den Or- CDU und CSU sind die politische Hei-
sondern um handfeste politische und ma- kus, den er noch vor ein paar Jahren als mat nicht weniger Menschen mit deut-
terielle Gegenwartsinteressen“ (Harald den größten Staatsmann des vorigen lich rechtem Hintergrund. „So mancher
Neubauer im Editorial). Werner Bau- Jahrhunderts gerühmt hatte. Damit stell- hat das CDU-Parteibuch erworben, um
mann erklärt die im ZDF zum zweit- und te er auch den Namen seiner bisherigen einen Restbestand persönlicher Überzeu-
drittbesten Deutschen gekürten Martin Mitstreiterin Alessandra Mussolini an gung in einem geschützten politischen
Luther und Karl Marx zu Antisemiten den Pranger, die darauf in verständlicher Raum wenigstens hinter vorgehaltener
und den Sieger der Abstimmung, Konrad Konsequenz aus der Partei austrat. Und Hand ,pflegen‘ zu können“. Schöner hät-
Adenauer, zumindest zum halben. N&E mit ihr nicht wenige der Alleanza-Mit- te man es nicht sagen können.
befindet sich nach dieser Logik also in glieder aus der Gründerzeit“. tri ■

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16 : antifaschistische nachrichten 2-2004

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