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Sonderdruck Dezember 1999

Wer zieht die Fäden bei dem Krieg zwischen Russen und Tschetschenen im Kaukausus,
und wem dient dieser Krieg? Mit dieser Frage befaßte sich bereits der Artikel
„Die Brzezinskis und das ,Große Spiel’ im Transkaukasus“ in Neue Solidarität 41/1999.
Die Geschichte der geopolitischen Manipulationen im Kaukasus und Zentralasien ist zwei
Jahrhunderte alt. Das „Große Spiel“ im Kaukasus ist zugleich ein Paradebeispiel für die
Geheimstrategie des britischen Empire, an der sich bis heute wenig geändert hat.

David Urquharts „Heiliger Krieg“


Zur Geschichte des „Großen Spiels“ der Briten im Kaukasus

Im Jahre 1785 sammelte der Tschetschenenführer hängigkeitserklärung der Tscherkessen und ihre
Naqshbandi Sufi Scheich Mansur die Stämme der Flagge entworfen.
Tschetschenen, Inguschen, Osseten, Kabardiner, Auch Daud Bey stammte nicht aus dem Kaukasus.
Tscherkessen und Dagestaner zu einer Revolte Er hieß eigentlich David Urquhart und war 1834
gegen das weitere Vordringen des Russischen Rei- vom britischen Geheimdienst in einer Sondermis-
ches in die Berge des Kaukasus. Vor 1774 waren der sion dorthin geschickt worden. Urquhart war ein
Kaukasus und der Transkaukasus, der heute politischer Zögling Jeremy Benthams, des Begrün-
Armenien, Aserbaidschan und Georgien umfaßt, ders und Chefs des nach der Amerikanischen Revo-
vom Persischen und vom Osmanischen Reich an lution neu organisierten britischen Geheimdien-
langer Leine regiert worden. Nach Rußlands Sieg stes. Als er 1833 in das Osmanische Reich abkom-
über das Osmanische Reich im Krieg von 1768-74 mandiert wurde, war Urquhart direkt Sir Herbert
machte sich das russische Militär über den Kauka- Taylor, dem Privatsekretär König Williams IV.,
sus her. Scheich Mansur hißte die Flagge der „Berg- sowie Außenminister Lord Palmerston unterstellt.
völker“ gegen den Zaren. Obwohl Mansurs 20 000- Anlaß für Urquharts erste Türkeireise war der rus-
Mann-Heer 1791 beim russischen Ansturm zer- sisch-türkische Vertrag von 1833, durch den Ruß-
schlagen wurde, wurde Scheich Mansur zum Hel- land praktisch die Kontrolle über die strategisch
den der Bergvölker, seine Revolte zur Inspiration wichtigen Dardanellen erlangte. Wie Urquhart
für die heutigen Aufstände im Kaukasus. schrieb, war es seine Aufgabe, „sich die notwendi-
Seltsamerweise war Scheich Mansur gar kein gen Informationen zu beschaffen, um interne
Tschetschene. Sein eigentlicher Name war Giovan- Organisationsmaßnahmen vorzuschlagen, falls
ni Battista Boetti, und vor seiner Konversion zum die britische Regierung die Türkei unter ihren
Islam war er Dominikanermönch. Wenn auch Schutz nähme, oder um... im gegenteiligen Fall
direkte Verbindungen Boettis zu Venedig und Lon- dem störenden Einfluß Rußlands entgegenzutre-
don nicht bekannt sind, so diente seine Rebellion ten“.
doch deren geopolitischen Zielen. Urquharts Mentor für die Revolte im Kaukasus war
Jahre später tauchte ein weiterer Held der Bergvöl- Fürst Adam Czartoryski, ein gebürtiger Pole, der
ker auf. 1837 schrieb James Bell, ein Agent des bri- während der Napoleonischen Kriege russischer
tischen Geheimdienstes, der sich im Kaukasus auf- Außenminister gewesen war und später die fehlge-
hielt, in seinen Memoiren, ein Tscherkessen-Fürst schlagene polnische Rebellion gegen Rußland
habe ihm den „heiligen Ort“ gezeigt, „wo Daud 1830 mit anführte.
Bey (genau drei Jahre zuvor) eine Versammlung Nach diesem Unternehmen floh Fürst Czartoryski
mit den Stammesführern dieser Gegend abgehal- nach Britannien, wo er dem britischen Außenmi-
ten und sie erstmals mit der Idee beseelt hatte, sich nisterium mit der Aufgabe zugeteilt wurde, Auf-
mit den anderen Bewohnern der Bergprovinzen stände gegen das russische Reich zu organisieren,
unter einer gemeinsamen Regierung und Ausrich- wodurch er zum Schutzherrn der kaukasischen
tung zusammenzutun.“ Daud Bey hatte die Unab- Stämme und Urquharts wurde.

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Im 19. Jahrhundert entsandte der
britische Premier Lord Palmerston
(links) seine Agenten aus, um
Rebellionen gegen die Rivalen des
Empire anzuzetteln. Einer davon
war David Urquhart (rechts).

Der Siebenjährige Krieg zwischen dem briti-


Der Kaukasus und Zentralasien 1763
schen und französischen Empire endete
1763 mit dem Sieg der Briten. Das war das
Ende Frankreichs als Seemacht. Britannien
konnte seine Präsenz in ganz Asien auswei-
ten. Frankreich mußte sich aus Indien zu-
rückziehen, wo es noch zehn Jahre zuvor die
vorherrschende europäische Macht gewesen
war. Von Bengalen aus begannen die Briten
den gesamten Subkontinent zu überneh-
men. Auch das Ende der französischen Kon-
trolle über das Osmanische Reich rückte
näher, und die Briten standen dort auf dem
Sprung. China war schwach, aber noch
nicht unter britischer Kontrolle.
Die weiten Gebiete zwischen Rußland, Chi-
na und dem späteren Britisch-Indien wurde
von türkischen Nomaden und afghanischen
Stämmen besiedelt, hinzu kamen die drei
Oasen-Khanate Chiva, Buchara und Ko-
kand. Rußland war die einzige große Land-
macht in der Nähe. Weiter westlich schickte
sich Rußland an, die gesamte Kaukasusre-
gion zwischen Schwarzem und Kaspischem
Meer zu übernehmen. Der Kampf um die
Kontrolle über diese Gegend wurde später
als das „Große Spiel“ bezeichnet.

lieferungen und andere Unterstützung in den Kau-


Volle britische Unterstützung kasus.
1834 veröffentlichte Urquhart die Schrift England,
Im Juli und August 1834 bereiste Urquhart als Ge- Rußland und die Türkei, mit der er um Unterstüt-
schäftsmann getarnt die Ostküste des von Rußland zung für seine anwachsende Rebellion warb. Er
kontrollierten Schwarzen Meeres. Bei der Festung argumentierte, für die Sicherheit der Türkei müß-
Anapa traf er sich mit 15 tscherkessischen Beys und ten Britannien und Frankreich das russische
200 Dorfältesten und bot ihnen Salz, Schießpulver, Vorrücken im Kaukasus unterbinden. 1835 grün-
Blei und schließlich die volle britische Unterstüt- dete Urquhart die Zeitschrift Portfolio, die sich mit
zung für die Revolte gegen Rußland an. der „Ostfrage“ auseinandersetzte. In der ersten
Rußlands blutige Unterdrückung der Kaukasus- Ausgabe wurden russische Geheimdepeschen ver-
Völker, vom Ersten Vizekönig Michail Woronzow öffentlicht, die angeblich Rußlands Ambitionen
leidenschaftlich betrieben, machte Urquharts Auf- bestätigten. Eine spätere Ausgabe enthielt seine
gabe um so leichter. Wie Prinz Kochubey zu jener tscherkessische Unabhängigkeitserklärung.
Zeit einem amerikanischen Besucher erklärte, sind 1836 kehrte Urquhart als britischer Botschaftsse-
„die Tscherkessen genau so unbezähmbar und kretär in die Türkei zurück. Gegen Ende Oktober
unzivilisiert wie eure Indianer... und dank ihrer rüstete er privat einen Schoner, die Vixen, aus, um
natürlichen Kraft und ihres Charakters nur durch trotz der russischen Handelsrestriktionen mit den
Ausrottung zur Ruhe zu bringen“. Tscherkessen Handel zu treiben. Anfang 1837
„Daud Bey“ hielt Wort, und ab sofort flossen Hilfs- brachten die Russen das Schiff auf. Der britische

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Der Kaukasus 1763 Rußland dehnte sich im 16. Jahrhundert in den Kaukasus aus, aber die
Unterwerfung der Region war erst Mitte des 19. Jahrhunderts
abgeschlossen. Aufgrund der Schwierigkeiten, die rückständigen Berg-
stämme zu unterwerfen, verlief die Expansion nicht einfach in Nord-
Süd-Richtung. Der Großteil der Region bestand aus sich befehdenden
Emiraten, die entweder zum Osmanischen oder Persischen Reich
gehörten. Nur Georgien hatte eine gewisse Unabhängigkeit. 1763 be-
herrschte Rußland fast die gesamte Nordflanke der kaukasischen Berg-
kette sowie den strategisch wichtigen Daryal Gorge, den Durchgang
nach Georgien und dem gesamten Transkaukasus. Rußland besetzte
1783 fast ganz Georgien und annektierte es 1805-10. In den 80er
Jahren des 18. Jahrhunderts zerschlug Rußland eine Revolte der
Bergvölker im Kaukasus.

Nach dem russisch-osmanischen Krieg 1787-91 übernahm Rußland


die Kontrolle über die Nordostküste des Schwarzen Meers. 1796
beherrschte es fast die gesamte Küste des Kaspischen Meers und
annektierte dieses Gebiet formell im Jahre 1805. Rußland dominierte
die Schwarzmeerküste am Ende der Napoleonischen Kriege, und nach
dem russisch-osmanischen Krieg 1828-29 zwang es die Türken,
sämtliche kaukasischen Gebiete aufzugeben. 1830 nahm Rußland die
gesamte Region in
Besitz.
Der Kaukasus 1830 Der Kaukasus 1864
Nur zwei Enklaven
blieben außerhalb
der russischen
Kontrolle: eine
Enklave der
Tscherkessen an der
Schwarzmeerküste
und eine von
Dagestanern,
Tschetschenen und
Inguschen bewohnte
östliche Bergenklave.
Erst 1864 konnte
Rußland nach 30
Jahren brutalen
Guerillakrieges auch
diese Regionen
unterwerfen.

Botschafter in der Türkei wandte sich an Palmer- Paris scheiterte London mit seinem Vorstoß, einen
ston mit der Bitte, eine Flotte zu schicken, aber Pal- tscherkessischen Pufferstaat zwischen Rußland
merston wollte sich zu jenem Zeitpunkt noch auf und der Türkei zu schaffen.
keine Krise einlassen. Selbst nach dem Krim-Krieg unterstützte London
1840 mündeten die tscherkessischen Guerilla-Ak- weiter die kaukasische Rebellion. Tscherkessische
tionen gegen die russischen Streitkräfte schließlich Führer reisten nach Istanbul, um sich mit dem bri-
in einen allgemeinen Aufstand aller Bergvölker — tischen Botschafter Sir Henry Bulwer zur Planung
Tschetschenen, Inguschen, Dagestaner und Kabar- weiterer Operationen zu treffen. Aber die russische
diner. Anführer des Aufstands war Scheich Shamil Reaktion auf die Rebellion wurde zunehmend bru-
von Dagestan, der wie der ehemalige Dominika- taler. Als die Revolte 1864 schließlich zusammen-
nermönch Scheich Mansur aus dem Sufi-Orden brach, waren über eine Million Tscherkessen getö-
der Naqshbandi kam. Shamil gründete ein Ima- tet oder ins Osmanische Reich vertrieben worden.
mat, das die Region mit eiserner Faust regierte. „Daud Bey“ hatte die Bergregion schon lange vor-
Während des Krim-Kriegs zwischen Rußland und her verlassen. Nach dem Zwischenfall mit der
Britannien 1853-56 wurde in London überlegt, die Vixen schied Urquhart offiziell aus den Diensten
kaukasische Schwarzmeerküste mit Hilfe der der britischen Regierung aus und diente sich dem
Tscherkessen zu erobern, aber man verwarf diese Sultan des Osmanischen Reiches als Berater an.
Möglichkeit. 1856 bei der Friedenskonferenz in Joseph Brewda und Linda de Hoyos

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General Thomson und der Kampf
um Berg-Karabach
Wie der Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan geschürt wurde

Der Erste Weltkrieg bot Britannien die Gelegen- verleibt hatte, wurde Karabach wieder von
heit, erneut im Kaukasus einzugreifen, und zwar Armeniern besiedelt und wurde so zu einer
diesmal ganz unverhüllt. Nachdem in Rußland die armenischen Enklave im ansonsten von Aseris
Menschewiken 1917 die Regierung übernommen bevölkerten zaristischen Distrikt Baku. Die Ober-
hatten, erklärten sich Armenien, Aserbaidschan hoheit über die Enklave wurde zu einem ständigen
und Georgien für unabhängig von der russischen Zankapfel zwischen Aseris und Armeniern, und
Herrschaft. Auch die Tschetschenen, Dagestaner General Thomson verschärfte das Problem
und andere Bergstämme erklärten ihre Unabhän- bewußt.
gigkeit und bildeten eine Republik der Bergvölker. Während er Armenien und Georgien militärische
Aber die Unabhängigkeit war nicht von langer Hilfe zukommen ließ, nicht aber Aserbaidschan,
Dauer. Im November 1918 drang eine 23 000 verfügte Thomson, daß Karabach unter aserischer
Mann starke britische Expeditionsarmee unter Verwaltung blieb und ernannte als Generalgouver-
General William Thomson von Persien her in die neur für Karabach einen Aseri, der für seine Massa-
Kaukasus-Region ein. Sie brachte die Bahnstrecke ker an Armeniern berüchtigt war. Das war das grü-
Batumi-Baku und andere strategisch wichtige ne Licht für die Repression der Karabach-Armenier
Punkte unter ihre Kontrolle und setzte in Batumi, durch die Aseris.
Baku und anderen Gebieten in Georgien, Armeni- Thomson bewaffnete die Armenier, allerdings völ-
en und Aserbaidschan Militärgouverneure ein. Die lig unzureichend. Im August 1919 akzeptierten die
Gebiete blieben bis zur Wiedereroberung durch Karabach-Armenier schließlich die aserische Ober-
Rußland im Jahre 1920 unter direkter militärischer hoheit. Im gleichen Monat begannen die Briten
Besetzung. ihren Rückzug aus dem Transkaukasus und öffne-
1919 wurde in einem Schreiben des britischen ten so dem Chaos Tor und Tür. „Ich bin mir völlig
Außenministeriums die Notwendigkeit einer fle- im klaren, daß der Rückzug der britischen Truppen
xiblen Strategie hervorgehoben: „Wenn Rußland wahrscheinlich zur Anarchie führt,“ schrieb der
sich rasch erholt, wäre es denkbar, daß sie Oberkommandierende der Schwarzmeer-Armee
(Armenien, Aserbaidschan, Georgien und die Berg- General Milne, „aber ich kann keinen großen
stämme) ihm in einer Art föderaler Beziehung wie- Schaden für die Welt darin sehen, wenn die
der angegliedert werden. Dauert die Anarchie in Bewohner dieses Landes sich gegenseitig an die
Rußland jedoch viele Jahre, wird die derzeitige Kehle gehen.“
Trennung von Rußland wahrscheinlich dauerhaft.
Unsere Strategie gegenüber dem Kaukasus sollte Unter Stalins Herrschaft
jede der beiden Möglichkeiten im Auge behalten.“
In Wirklichkeit bedeutete dies, gleichzeitig ver- Die Rückkehr unter russische Oberhoheit in den
schiedene Optionen zu verfolgen, die sich im Jahren 1920-21 brachte keineswegs den Frieden.
Grunde alle gegenseitig ausschlossen (siehe neben- Josef Stalin war der sowjetische Kommissar für
stehende Karte), entsprechend Lord Palmerstons Nationaliätenfragen von der Gründung dieses
Ausspruch, England kenne „keine dauerhaften Amtes 1917 bis zu dessen Auflösung 1924. Der aus
Verbündeten, nur dauerhafte Interessen“. So dem benachbarten Georgien stammende Stalin
drang beispielsweise 1919 die weißrussische war im bolschewistischen Untergrund von Baku
Armee des Generals Denikin, massiv unterstützt tätig, wo er nach den Worten eines aserischen
von den Briten, in die dagestanische Republik der Historikers „Zeuge des Ausbruchs von Gewalt zwi-
Bergvölker ein, die ursprünglich von Lord Curzon schen aserischen Türken und Armeniern wie auch
gefördert worden war. der von zaristischen Agenten und Polizisten ange-
London sorgte dafür, daß der Konflikt zwischen wandten Methoden zur Förderung von Rivalitäten
den von England abhängigen Republiken Armeni- war, die von der tiefen Abneigung gegen die Rus-
en und Aserbaidschan ständig weiterschwelte. sen ablenken konnten“. Ebendiese Methoden
Hauptstreitpunkt war der Status der Enklave Kara- wandte Stalin nun selbst an.
bach. Die Region Karabach war ein altes armeni- Unter seiner Führung gründete das Präsidium von
sches Stammgebiet, wurde aber unter den Mongo- Aserbaidschan eine zentrale Kommission für berg-
len von den Aseris besiedelt. Nachdem zu Beginn karabachische Fragen, welche eine autonome
des 19. Jahrhunderts Rußland sich die Region ein- armenische Enklave in Aserbaidschan — nur einen

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Steinwurf von Armenien selbst entfernt — verfüg- General Thomson angewandt hatten. Aber wie die
te, eine Entscheidung, die für keine der beiden Sei- Ereignisse der 90er Jahre gezeigt haben: Wenn eine
ten zufriedenstellend war. So führte Stalin in der Region einmal in ein geopolitisches Schachbrett
Region die gleichen geopolitischen Machenschaf- eingebaut ist, kann jeder „mitspielen“.
ten weiter, die vor ihm der Zar und der britische Joseph Brewda und Linda de Hoyos

Das britische Spiel


„Groß... gegen Groß...“

Nach dem Ersten Weltkrieg betrieben die Briten im Nahen zu treiben und einen ständigen kurdisch-türkischen und kur-
Osten, im Kaukasus und Zentralasien mehrere miteinander disch-armenischen Konflikt anzuzetteln.
unvereinbare Gebietspläne gleichzeitig, mit verschiedenen
Volksgruppen oder umstrittenen Grenzverläufen. Die briti- C: Ein moslemischer Pufferstaat Das Projekt, zwischen Ruß-
schen geopolitischen Manipulationen ebneten den Weg für land und dem britischen Indien sowie britischen Nahen Osten
Konflikte, die bis auf den heutigen Tag anhalten. einen großen moslemischen Pufferstaat zu schaffen, war
zuerst in den 70er Jahren des 19. Jahrhunderts vom indischen
Vizekönig Lord Lytton und seinem Onkel Sir Henry Bulwer,
A: „Großarmenien“ Diesen völlig utopischen Plan legte Eng- Botschafter des Empire im Osmanischen Reich, betrieben
land auf der Versailler Friedenskonferenz vor. In großen Tei- worden. Als ideologische Grundlage für einen solchen Puffer-
len des anvisierten Gebietes lebten schon jahrhundertelang staat diente die panislamische Bewegung. Unmittelbar nach
keine Armenier mehr, oder die armenische Bevölkerung war dem Ersten Weltkrieg griff der britische Hochkommissar in
bei dem Blutbad umgekommen, welches das vom britischen Transkaukasien Col. Claude Stokes die Idee mit stillschweigen-
Geheimdienst gesteuerte Istanbuler „Jungtürken“-Regime der Unterstützung von Außenminister Lord Curzon wieder
1915 unter den Armeniern angerichtet hatte. auf. Dieser Staat, so behauptete er, „würde sich an Großbri-
Erstmals ausgeheckt wurde die Idee eines Großarmenien in tannien anlehnen und als Puffer zwischen Rußland und den
den 90er Jahren des 19. Jahrhunderts vom britischen Pre- britischen Asienbesitzungen dienen“.
mierminister William Gladstone und Außenminister Lord Der zusätzliche geopolitische Zweck dieses Plans war es, rus-
Salisbury als Plan zur Auflösung des Osmanischen Reiches. sisch-türkische und innertürkische Konflikte zu schüren.
Während des Ersten Weltkrieges arbeiteten an diesem Projekt
hauptsächlich Sir Mark Sykes, der das Osmanische Reich D: Die Republik der Bergvölker Die Idee eines kaukasischen
zusammen mit Frankreich und Rußland aufteilen wollte, Bergstaates, der Rußland vom Transkaukasus und dem Nahen
sowie Lord Noel Buxton aus der einflußreichen Quäker-Fami- Osten abtrennte, wurde erstmals in den 30er Jahren des 19.
lie, welche die Barclays Bank kontrolliert. Jahrhunderts aufgebracht von David Urquhart, einem Agen-
Der geopolitische Zweck eines Großarmenien war, einen Keil ten des britischen Premiers Lord Palmerston. Nach dem
zwischen das türkische Zentralasien und die Türkei zu treiben Ersten Weltkrieg wurde sie von Lord Curzon politisch wieder-
und einen ständigen armenisch-türkischen und armenisch- belebt. Geopolitischer Zweck war die Anheizung russisch-tür-
kurdischen Konflikt anzuzetteln. kischer Konflikte.

E: Das Russische Reich 1919 schlug Britannien zwei sich wi-


B: „Großkurdistan“ Auch die Schaffung eines solchen terri- dersprechende Pläne für den Erhalt des zusammengebroche-
torialen Gebildes schlug London in Versailles vor. Die Kurden nen Russischen Reiches vor. Der eine bestand darin, eine
waren in den meisten dieser Gebiete nie seßhaft. Die Briten neue, bolschewistische Variante des alten Imperiums zu
schufen den kurdischen Nationalismus ebenfalls Ende des schaffen, die auf der Lehre des von David Urquhart prote-
19. Jahrhunderts. Während des Ersten Weltkrieges war der gierten Karl Marx gründete. Der zweite war die Wiedereinset-
zuständige Mann für das Großkurdistan-Projekt Lord Corn- zung monarchistischer oder antibolschewistischer „weißer“
wallis (ein Nachfahre jenes Generals, der sich George Wa- Kreise unter Führung von General Denikin. Die Rolle des bri-
shington bei Yorktown ergeben mußte). tischen Geheimagenten Alexander Helphand Parvus, der
Der geopolitische Zweck eines Großkurdistan war ebenfalls, zwischen beide Seiten hin und herwechselte, verdeutlicht die
einen Keil zwischen das türkische Zentralasien und die Türkei britischen Operationen auf diesem Schauplatz.

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David Urquharts
osmanische Legionen
Zur Geschichte des „Großen Spiels“ der Briten im Kaukasus

Nachdem David Urquhart die kaukasischen Berg- Emigranten aus Ungarn, der auch auf Lord Palmer-
völker zum Aufstand angestiftet hatte, kehrte er in stons Gehaltsliste stand.
den 30er Jahren des 19. Jahrhunderts in der Vambery reiste in den 60er Jahren als türkischer
Absicht nach England zurück, die Öffentlichkeit Derwisch in ganz Zentralasien herum, um zu
für einen Krieg mit Rußland zu mobilisieren. Seine erkunden, inwieweit man eine pantürkische,
„Foreign Affairs Committees“ und ihr Organ Port- antirussische Identität mit dem Sultan des Osma-
folio sollten die „Ostfrage“ ins öffentliche Bewußt- nischen Reiches als Leitfigur herstellen könnte.
sein rücken. Urquharts wollte das Osmanische Obwohl Zentralasien nie unter osmanischer Herr-
Reich zu einem Protektorat Londons machen und schaft gestanden hatte, gelangte er zu vielverspre-
das Osmanische und das Russische Reich sich ge- chenden Erkenntnissen.
genseitig zerstören lassen. Vambery beschrieb seine osmanische imperiale
Um die Türkei gegen Rußland mobil zu machen, Vision in seinem 1865 erschienenen Buch Reisen in
bedurfte es einer umfassenden Reform der alten Zentralasien: „In seiner Eigenschaft als türkische
osmanischen Staatsbürokratie, einer Modernisie- Dynastie hätte das Haus Osman aus den verschie-
rung der Armee sowie einer neuen imperialen, denartigen Elementen, mit denen es durch das
antirussischen Ideologie. Lord Palmerston leitete Band gemeinsamer Sprache, Religion und
in den 40er Jahren persönlich die osmanische Geschichte verbunden ist, ein Reich von der adria-
Reformbewegung und den Aufbau einer zivilen tischen Küste bis weit nach China hinein gründen
Verwaltungsschicht, die in Paris und London aus- können, mächtiger als das, welches der große
gebildet und indoktriniert wurde. 1864 schuf Giu- Romanow aus den zwiespältigsten, heterogensten
seppe Mazzini, ein Agent Palmerstons, den Rah- Bestandteilen mit Gewalt und List geschaffen hat-
men für die neue Ideologie, indem er in Paris die te. Anatolier, Aserbaidschaner, Turkmenen, Usbe-
„Jung-Osmanen“ ins Leben rief, die weitgehend ken, Kirgisen und Tataren sind die Mitglieder, aus
von seiner Organisation Junges Polen geführt wur- denen ein türkischer Koloß hätte entstehen kön-
den und eine türkisch-osteuropäisch-transkaukasi- nen, der bestimmt geeigneter gewesen wäre, sich
sche Allianz gegen Rußland bilden sollten. mit seinem großen Konkurrenten aus dem Norden
Urquhart, der sich seit den 30er Jahren für die tür- zu messen als die Türkei, wie sie sich uns zum
kisch-polnische Zusammenarbeit gegen Rußland gegenwärtigen Zeitpunkt darstellt.“
stark gemacht hatte, war der hauptsächliche briti- In ihrer extremeren Form war Vamberys Doktrin
sche Drahtzieher hinter der Jung-Osmanen-Bewe- als „Pan-Turanismus“ bekannt, der die Turkvölker
gung. Bis 1876, als es den Jung-Osmanen gelang, auch mit den Ungarn, Finnen und Mongolen zu
ein Jahr lang die Macht in Istanbul an sich zu vereinen suchte.
reißen, war er deren Berater. Unter anderem war er Als Führer der pantürkischen Bewegung setzte sich
der Zahlmeister des Jung-Osmanen-Führers Ali schließlich Urquharts Schützling Ali Suavi durch,
Sauvi, des tonangebenden Mannes der Pariser Exil- der auf Urquharts Veranlassung nach England
zeitung Hürriyet. gekommen war. In Hürriyet und in anderen Veröf-
fentlichungen argumentierte Suavi, die Bewegung
Inszenierung einer Kraftprobe müsse die Osmanen dafür mobilisieren, die zen-
tralasiatischen Khans, die durch das wachsende
Mitte des 19. Jahrhunderts organisierten die Briten Russische Reich militärisch bedroht wurden, zu
zwei ideologische Bewegungen, die Kriege des verteidigen. Suavi gebrauchte als erster statt
Osmanischen Reiches gegen Rußland vom Zaun „Osmanen“ den Ausdruck „Türken“, was früher
brechen sollten, die panislamische und die pantür- eine abschätzige Bezeichnung für ihre rückständi-
kische Bewegung, und in beiden waren die Jung- gen zentralasiatischen Vettern gewesen war. Suavi
Osmanen äußerst einflußreich. kam 1876 bei dem fehlgeschlagenen, vom briti-
Die pantürkische Bewegung, die das Ziel hatte, alle schen Premierminister Benjamin Disraeli veran-
Turkvölker aufgrund ihres gemeinsamen ethni- laßten Versuch, den Sultan abzusetzen, ums Leben.
schen Ursprungs und ihrer Russenfeindlichkeit zu Der pantürkischen Ideologie eng verwandt und
einen, entstand durch die Umtriebe von Urquharts ebenso eine britische Erfindung war der Panisla-
Getreuem Arminius Vambery, einem jüdischen mismus. Er sieht Istanbul als das natürliche Zen-

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trum nicht nur der Turkvölker, sondern der ganzen mit Alexander Helphand Parvus — dem interna-
islamischen Welt. Auch unter dem Panislamismus tionalen Waffenhändler und Getreidespekulanten,
sollte der osmanische Sultan zum Sammelpunkt bolschewistischen Finanzmagnaten und briti-
für den Kampf gegen Rußland werden, diesmal schen Superspion — die Nahrungsmittelversor-
religiös verbrämt. Schriftsteller des panislamischen gung der Türkei kontrolliert.
Mythos waren die Familie des Romanautoren So wie vorher Urquhart der Mentor von Karl Marx’
Edmund Bulwer-Lytton und der Gründer des briti- Kreuzzug gegen Rußland gewesen war, so arbeitete
schen Arabienbüros Wilfred Scawen Blunt. Parvus sein Leben lang daran, die marxistische
Die „Geburtsanzeige“ der panislamischen Bewe- Bewegung, die schließlich das Russische Reich zu
gung erschien 1869 in Hürriyet. Das Osmanische Fall bringen sollte, logistisch zu fördern. Parvus
Reich wurde dort wegen seiner Unentschlossen- finanzierte und leitete die Russische Revolution
heit gegenüber den von den Russen bedrängten von 1905, wobei er die verheerenden Auswirkun-
zentralasiatischen Khanaten angegriffen. Aber gen des Russisch-Japanischen Krieges von 1902
diesmal wurde nicht an die ethnische Solidarität ausnutzte. Sein Agent war dabei Leo Trotzki, dem
appelliert, sondern erklärt, der Sultan sei als Kalif er die Lehre von der „permanenten Revolution“
— Beschützer des Glaubens — dafür verantwort- beigebracht hatte (über die Trotzki dann sein
lich, Zentralasien zu verteidigen. Der wichtigste bekanntes Buch schrieb).
panislamische Aktivist für die Jung-Osmanen war Aus Rußland kam Parvus bald nach der Jungtür-
Tahsin Efendi, der nach seinem Studium in Paris in ken-Revolution von 1908 in die Türkei. Um seine
den 50er Jahren die sufistische, panislamische politischen Vorhaben besser „schmieren“ zu kön-
„Gesellschaft für das Studium der Geographie in nen, tat er sich mit Carasso zusammen und wurde
islamischen Ländern“ gründete. zum größten Getreidespekulanten der Türkei. Er
wurde auch Finanzredakteur der Jungtürken-Zei-
Auferstehung der Jung-Osmanen tung Turk Yurdu.
Später benutzte Parvus einen Teil des Geldes, das er
Ein kurzes Jahr lang, 1876, herrschten die Jung- in der Türkei erworben hatte, und Gold, das der
Osmanen in Istanbul unter ihrem Führer Midhat deutsche Generalstab zur Verfügung stellte, um die
Pascha, der den Großwesir stürzte. 1877 wurden Russische Revolution von 1917 zu finanzieren und
sie wieder entmachtet, in den Untergrund getrie- Lenins triumphale Rückkehr nach Rußland zu
ben und ins Exil geschickt. Doch durch die Hilfe arrangieren.
Londons wurde die Bewegung am Leben erhalten. Ein weiterer ausländischer Mentor des Jungtürken-
1896 erstanden die Jung-Osmanen als „Jungtür- Regimes war der polnische Jude Wladimir Jabo-
ken“ wieder auf und ergriffen 1908 durch einen tinsky, der Herausgeber der Zeitung Jungtürke. Jabo-
von den Briten inszenierten Statsstreich die Macht tinsky gründete später jenen Zweig der zionisti-
im Osmanischen Reich. Ganz offen ernannten sie schen Bewegung, aus dem die israelische Likud-
einen britischen General zum Stabschef der türki- Partei und ihre Ableger hervorgingen, jene Frakti-
schen Armee. on, die heute im Nahen Osten den Friedensprozeß
Die Ideologie der Jungtürken, der Pantürkismus, bekämpft.
brachte die Türkei auf Kollisionskurs zu ihren sla- Das jungtürkische Regime war nicht von Dauer.
wischen Nachbarn. 1912 entfachte sie den ersten Das Blatt wendete sich mit dem Auftreten des tür-
Balkankrieg, der schließlich in den Ersten Welt- kischen Patrioten Mustafa Kemal Atatürk und der
krieg mündete. Gründung der türkischen Republik nach dem
Der Kopf des Jungtürken-Regimes war Emmanuel Ersten Weltkrieg. Die Jungtürken verließen erneut
Carasso, ein italienischer Jude und Großmeister fluchtartig die Türkei, diesmal in Richtung Aser-
der Freimaurerloge von Saloniki „Wiederauferstan- baidschan und Zentralasien. Heute, im Gefolge des
denes Mazedonien“, die den Staatsstreich von Zusammenbruchs der Sowjetunion, werden sie
1908 eingefädelt hatte. Carasso hatte zusammen wieder auf den Plan gerufen. Joseph Brewda

Läuft die Türkei in


die neo-osmanische Falle?
Der Zusammenbruch der Sowjetunion 1989-91 gen. Nun bestand die Chance darin, daß der größ-
bedeutete für das NATO-Mitglied Türkei strate- te militärische Gegner nicht mehr existierte, die
gisch eine Gefahr und eine Chance. Im 19. und 20. Gefahr aber lag in der ungewissen Zukunft der kau-
Jahrhundert hatte das Land sechs Kriege gegen kasischen Gebiete der alten Sowjetunion.
Rußland geführt; einer davon war der Erste Welt- Weil die Kaukasusregion größtenteils islamisch ist,
krieg, in dessen Verlauf sowohl das Osmanische eine starke türkische Minderheit besitzt und früher
Reich als auch das Russische Reich zugrunde gin- ganz oder weitgehend von den Osmanen beherr-

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scht war, argumentierten Zbigniew Brzezinski und streitender, sich befehdender und bekämpfender
andere anglo-amerikanische Geopolitiker, die Tür- Sekten, Stämme, Regionen und Parteien.“
kei habe nun die „historische Chance“, durch Pro- Auch der verstorbene Professor Alexander Bennigs-
pagierung panislamischer und pantürkischer Ideo- en von der Pariser Sorbonne war ein Befürworter
logien in der Region erneut ihre Vormachtstellung dieser Strategie, ebenso wie seine Tochter Marie
durchzusetzen. Brzezinski und seine Genossen Bennigsen-Broxup, die die britische Vierteljahres-
vom Zentrum für strategische und internationale schrift Central Asian Survey herausgibt und in Eng-
Studien an der Georgetown-Universität behaup- land die wichtigsten Schriften über Dagestan ver-
ten, die Türkei könne mit den aserischen Ölvor- faßt. In seinem Buch Mystik und Kommissare: der
kommen reich werden und mit ihrem Mittelmeer- Sufismus in der Sowjetunion (1985) behauptet Ben-
hafen Ceyhan als Umschlagplatz von Öl- und Gas- nigsen: „Die fast 50 Jahre dauernden Kaukasuskrie-
pipelines auch ihren politischen Einfluß stabilisie- ge (des 19. Jh.) trugen wesentlich zum materiellen
ren. und moralischen Ruin des Zarenreiches bei und
Andererseits ist offensichtlich, daß die wachsen- beschleunigten den Sturz der Romanow-Monar-
den panislamischen und pantürkischen Bewegun- chie.“
gen im Kaukasus auch negativ auf die Türkei Bennigsen schrieb vom kommenden Zusammen-
zurückwirken und sogar die türkische Republik, die bruch der Sowjetunion und befürwortete islami-
Mustafa Kemal Atatürk in den 20er Jahren nach sche Aufstände als wirksamste Waffe gegen Mos-
der Zerschlagung dieser beiden Bewegungen kau: „Im besonderen Falle des Nordkaukasus
gegründet hatte, zerstören könnten. Wenn sich die gewannen Sufi-Orden die Kontrolle nicht nur über
Türkei dazu verlocken ließe, im Kaukasus wieder fundamentalistische Neigungen, sondern auch
die alten imperialen Methoden ethnischer und über alle nationalen Widerstandsbewegungen vom
religiöser Manipulation anzuwenden, könnte sie späten 18. Jahrhundert bis auf den heutigen Tag.
durchaus selbst das erste Opfer sein. Angesichts der Das tschetschenisch-inguschische Territorium und
von der NATO geschürten Kriege im Kaukasus — Dagestan gehörten zu den letzten Gebieten, zu
Armenien gegen Aserbaidschan, die abchasische denen die Sufi-Bruderschaften Zugang gewannen,
Revolte in Georgien, die Revolten in Tschetscheni- doch sobald er etabliert war, spielte der Sufismus
en und jetzt in Dagestan — muß sich die Türkei dort eine überragende Rolle. Heute ist es wahr-
bald entscheiden. scheinlich das Gebiet, wo die organisierten mysti-
schen Bewegungen am dynamischsten und aktiv-
Bernard Lewis sten in der ganzen islamischen Welt sind.“
Als 1989 die Sowjetunion kollabierte, war Bennigs-
Der wichtigste Förderer der neo-osmanischen ens „Analyse“ gängiger Standard bei den Sponso-
Bewegung in der Region ist Bernard Lewis, ein ren sezessionistischer Bewegungen im Kaukasus.
Experte des britischen Geheimdienstes, der zuerst Typisch sind die Schriften der britischen „Gruppe
an der London School of Oriental and African Stu- für Minderheitenrechte“, deren Vorsitzender der
dies (der ehemaligen School of Colonial Studies) frühere Vizechef des Geheimdiensts MI-5 Sir John
und später an der Princeton-Universität in New Thomson ist. In einem ihrer Berichte steht: „Viele
Jersey tätig war, wo er heute als Emeritus lebt. Bestrebungen der Völker der Region widerspre-
Lewis’ Schriften wie das 1960 veröffentlichte Ent- chen einander, und mehrere Kräfte spielen eine
stehen der modernen Türkei ließen in der Türkei den Gruppe gegen die andere aus ... Der Nordkaukasus
Wunsch wachsen, sich im Konflikt mit Rußland als ist vielleicht die Region in Europa mit dem größten
regionale Supermacht zu gebärden. Der Zusam- Potential für langandauernde Konflikte.“
menbruch des Kommunismus änderte an dieser
Strategie nichts. So behauptete Lewis im Januar Die türkischen Fußtruppen
1996 auf einer Bankierskonferenz in Ankara, es
bestehe ein „Vakuum in der Region, das die Türkei Heute agieren im Kaukasus und in Zentralasien
ausfüllen soll und muß“. mehrere vom Westen gesteuerte pantürkische und
1992 erläuterte Lewis seine Strategie in einem Bei- panislamische Organisationen. Die wichtigsten
trag für Foreign Affairs, die Zeitschrift des New Yor- sind die Grauen Wölfe, panislamische Kreise in der
ker Council on Foreign Relations. Bald würde die Wohlfahrtspartei bzw. Rechtschaffenheitspartei
ehemalige sowjetische Region Kaukasus-Zentral- und der Nursi-Sufi-Orden.
asien im Zuge einer „Libanonisierung“ zerstört Graue Wölfe (Pantürken): Atatürk hatte in den 20er
sein, behauptete er dort. „Wenn die Zentralmacht Jahren die pantürkische, die panislamische und die
genug geschwächt ist“, sagte er vom früheren Sufi-Bewegung zerschlagen, aber während des
sowjetischen Zentralasien, „gibt es keine wirkliche Zweiten Weltkriegs war der deutsche Geheim-
zivile Gesellschaft, die das Gemeinwesen zusam- dienst sehr an ihrem Wiederaufleben als Flanke
menhalten könnte, kein echtes Gefühl gemeinsa- gegen Rußland interessiert. Damals trat der Chef
mer nationaler Identität oder besonderer Neigung der Grauen Wölfe, Hauptmann (später General)
zum Nationalstaat. Dann zerfällt der Staat — wie es Alparslan Türkes, erstmals in Erscheinung: Er wur-
im Libanon geschah — in ein Chaos miteinander de als Provokateur eingesperrt, nachdem er Kund-

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gebungen für den Kriegseintritt der Türkei auf Sei- Während sich der Ingenieur und Wirtschaftswis-
ten Deutschlands angeführt hatte. senschaftler Erbakan auf wirtschaftliche Zusam-
Nach dem Krieg wurde Türkes’ Netzwerk von der menarbeit mit den islamischen Partnern konzen-
NATO übernommen, weil man die Türkei, das ein- trierte, haben andere Fraktionen der Partei andere
zige unmittelbar an die Sowjetunion grenzende Pläne. So etwa Erbakans Rivale und Möchtegern-
NATO-Mitglied, als Ausgangsbasis für Aufstände im Nachfolger Tayyip Erdogan, der ehemalige Bürger-
Süden der Sowjetunion nutzen wollte. Türkes’ Kar- meister von Istanbul, der die Gründung „befreiter
riere nahm einen steilen Aufstieg, und pantürki- islamischer Staaten“ vom Kaukasus bis hin nach
sche „Befreiungsbewegungen“ verbreiteten sich Westchina gefordert hat. 1998 erhob das US-
rasch. Nach dem Militärputsch 1960 (die Putschi- Außenministerium offiziellen Protest, als ein türki-
sten wollten ihn verhaften) floh Türkes aus der Tür- sches Gericht Erdogan wegen der Aussage einsper-
kei, kehrte aber 1963 zurück. Seither ist seine Partei ren ließ: „Die Minarette sind unsere Bajonette, die
der Nationalen Aktion das parlamentarische Vehi- Kuppeln unsere Helme und die Moscheen unsere
kel der Bewegung; sie ist heute Teil der Koalitions- Kasernen.“
regierung von Ministerpräsident Bülent Ecevit. Nursi-Sufi-Orden: Der Nursi-Sufi-Orden mit Sitz in
Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion der Türkei wird von Fethullah Gülen geleitet und
schickte die NATO die Grauen Wölfe nach Tschet- unterhält enge Beziehungen zu Sun Myung Moons
schenien, Aserbaidschan, Usbekisan, Kasachstan Vereinigungskirche (Mun-Sekte) und ihrer Wa-
und Kirgisistan, auch in den Iran und nach Bosni- shingtoner Zeitung Washington Times. Er hat über-
en. Als 1992 in Aserbaidschan Albufaz Elchibey all im Kaukasus und in Zentralasien religiöse Schu-
mit der Aserischen Volksfront an die Macht kam, len aufgebaut, die für subversive Zwecke nutzt.
ernannte er den Führer des aserischen Zweiges der Die Bewegung ist bei den türkischen Eliten nicht
Grauen Wölfe, Iskender Gamidow, zum Innenmi- gerade beliebt. Das zeigt u.a. ein Bericht des türki-
nister. Graue Wölfe kämpften in Aserbaidschan im schen nationalen Sicherheitsrats, der im Juli 1999
Krieg gegen Armenien. Sie wurden auch im frühe- durchsickerte. Die usbekische Regierung beschul-
ren sowjetischen Zentralasien eingesetzt, Eiferer digte Gülen, in den Mordversuch am usbekischen
wollten die pantürkischen Aufstände sogar bis Präsidenten Islam Karimow vom Februar 1999 ver-
nach China ausdehnen. wickelt gewesen zu sein. Es ist zwar nicht sicher, ob
Wohlfahrtspartei: Für die „osmanische Wiederge- der Vorwurf stichhaltig ist, dennoch gab es in den
burt“ kämpfen auch vom Ausland gesteuerte Frak- usbekisch-türkischen Beziehungen eine Krise.
tionen innerhalb der Wohlfahrtspartei (jetzt Gülen war schon 1997 in die USA geflohen, nach-
Rechtschaffenheitspartei) von Prof. Necmettin dem der türkische Sicherheitsrat seine Gruppe
Erbakan, Sohn eines osmanischen Klerikers und beschuldigt hatte, sie habe versucht, die Polizei
Mitglied des Naqshbandi-Sufi-Ordens. Die Partei, und die Armee zwecks Anstiftung zu einer „islami-
die sich panislamisch gibt, gewann bei der Wahl schen Revolution“ zu infiltrieren. In dem durchge-
vom Dezember 1995 den höchsten Stimmenanteil sickerten Bericht heißt es, für die Destabilisierung
und kam 1996 an die Macht. Erbakans Verständnis Usbekistans seien Stellen außerhalb der Türkei ver-
von Panislamismus kam in der während seiner Mi- antwortlich. Wörtlich wird gesagt: Gülen „konnte
nisterpräsidentschaft gegründeten Wirtschaftsalli- diplomatischen Status (der USA) und rote und grü-
anz acht islamischer Entwicklungsländer („D-8“) ne (Diplomaten-) Pässe für die 70 Lehrer erlangen,
zum Ausdruck. Er traf auch wichtige Infrastruktur- die er unter der Ägide der ,US-Freundschafts-
abkommen mit Turkmenistan und dem Iran. Weil brücke’ nach Usbekistan schickte“.
diese Politik unerwünscht war, wurde Erbakan
noch im gleichen Jahr gestürzt. Joseph Brewda

Londons „Afghanzi“ im
19. Jahrhundert
Die Panislamisten als Handlanger im Krieg gegen Rußland
Im Juni 1877, zwei Monate nach Beginn des rus- Kokand annektiert oder in Abhängigkeit gebracht
sisch-türkischen Krieges, schickte der türkische und sich auf Afghanistan und Britisch-Indien
Sultan Adul Hamid eine Gesandtschaft zum Emir zubewegt. 1876 entwarf London seine Gegenstra-
von Afghanistan, um dessen Hilfe gegen Rußland tegie. Premierminister Benjamin Disraeli berief
zu erbitten. Lord Lytton zum Vizekönig von Indien, und damit
Zwischen 1869 und 1876 hatte Rußland beständig begann eine Offensivstrategie zur Einnahme des
in Zentralasien eingegriffen, Buchara, Chiwa und südlichen Afghanistan. Im gleichen Jahr schickte

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Disraeli auch Austen Henry Layard nach Istanbul, de sie zur Rache auffordern und an den Stolz ihrer
der den Sultan dazu bewegen sollte, sich mit Eng- türkischen Rasse appellieren, ich werde das Banner
land gegen den russischen Vorstoß zusammenzu- der Einheit des Islam auf meiner Schulter auch in
tun. Layard rechnete sich die Gesandtschaft des diese Gegenden tragen und zu einem Religions-
Sultans nach Kabul als sein Verdienst an. Er berich- krieg aufrufen, und werde wie üblich keinen Trick
tete Disraeli, er habe „den Sultan dazu gebracht, und keine Kriegslist auslassen, ihnen den Samen
einen Gesandten nach Afghanistan zu schicken, glühenden Eifers einpflanzen und dabei immer
um die russische Ameer-Strategie zu durchkreuzen mit dem weisesten Ulema zusammenarbeiten. Ich
und die (Politik) Englands zu fördern... Die türki- zweifle nicht daran, daß alle Moslems voller Begei-
sche Regierung versucht zweifellos, eine Art sterung die Russen angreifen werden.“
mohammedanische Liga oder Staatenbund zur Es ist möglich, daß Al-Afghani dies nach Diktat
Verteidigung des Islam und gegen Rußland zu geschrieben hat. Zu der Zeit, als er diesen Brief
gründen.“ abschickte, lebte er in Ägypten und unterhielt sehr
In einem Folgekommuniqué betonte Layard: „Der enge Beziehungen zum britischen Vizekonsul
Sultan übt in der mohammedanischen Welt noch Raphael Borg, der ihn in Kairo in die Loge Östli-
einen sehr großen Einfluß aus, und es ist von cher Stern, einen Zweig der Vereinigten Großloge
großem Interesse für eine Regierung mit 40 oder 50 von England, einführte. Nur ein Jahr nach seinem
Millionen mohammedanischen Untertanen, sich Angebot an das Osmanische Reich wurde Al-Af-
gut mit ihm zu stellen. Es sollte uns nicht schwer- ghani Großmeister des Östlichen Sterns. 1883 kam
fallen, ihm zu verstehen zu geben, daß wir in Zen- er auf die Gehaltsliste von Wilfred Scawen Blunt,
tralasien gemeinsame Interessen haben und in dem Leiter des „Arabienbüros“, das 1882 gegrün-
ihm einen sehr nützlichen und wertvollen Ver- det wurde, um das Osmanische Reich zu zerschla-
bündeten sehen.“ gen. Blunt war ein Nachfahre des Gründers der
Obwohl die türkische Gesandtschaft keine konkre- Bank von England und ein politischer Busen-
ten Ergebnisse erbrachte, erregte sie doch Besorg- freund des indischen Vizekönigs, des „Offensiv-
nis im russischen Außenministerium. Die russi- strategen“ Lord Lytton.
sche Regierung beschwerte sich beim britischen 1885 schickte Blunt Al-Afghani für sechs Monate
Botschafter in St. Petersburg, Lord Loftus, daß Bri- nach England, damit er, wie der Chef des Arabien-
tannien anscheinend die Absicht habe, einen reli- büros schrieb, „eine islamische revolutionäre Alli-
giösen Kreuzzug der muslimischen Bevölkerung anz mit dem britischen Empire organisierte“. Als
Zentralasiens gegen Rußland zu organisieren. Ein erstes traf er sich mit dem Staatssekretär für Indien,
russischer Stratege brachte seine Besorgnis so zum Randolph Churchill, dem Vater des späteren Pre-
Ausdruck: „Wenn es beispielsweise einem Indivi- mierministers Winston Churchill. Blunt berichtet
duum möglich wäre, sich an die Spitze einer in seinen Tagebüchern, daß Al-Afghani dem älte-
mohammedanischen Konföderation zu stellen, so ren Churchill folgendes vorgeschlagen habe: „Sie
ist ein solches Individuum allein in der Person des brauchen eine Allianz mit dem Islam, mit den Af-
Sultans der Türkei zu sehen, und das bestehende ghanen, den Persern, den Türken, den Ägyptern,
Bündnis und das herzliche Einvernehmen, welche den Arabern; Sie müssen Rußland aus Merw
die Türkei und England unauflöslich verbinden, zurückdrängen bis zum Kaspischen Meer... Sie soll-
machen ein Protektorat dieser Mächte zu einer ten sie (die Russen) nicht von Afghanistan, son-
ernsten Bedrohung für Rußland.“ dern von der anderen Seite (d.h. Persien) her
Fast zeitgleich mit der Gesandtschaft des Sultans angreifen; dann würden die Mullahs einen Dschi-
nach Afghanistan erhielt 1877 ein osmanischer Re- had predigen, um sich mit Ihnen gegen die Russen
gierungsvertreter einen Brief von einem persischen zu verbünden.“
Abenteurer namens Jamal ad-Deen al-Afghani, der Churchill war einverstanden, und Al-Afghani wur-
sich anbot, nach Zentralasien zu gehen, um eine de abkommandiert, Sir Henry Drummond Wolff
Revolte gegen Rußland vom Zaun zu brechen. auf einer Sondermission in die Türkei zu begleiten.
Al-Afghani versprach seinem osmanischen Adres- Dort sollte er, wie Blunt schreibt, „seinen Einfluß
saten: Er werde „Rußlands Ziele deutlich machen auf die panislamische Umgebung (Sultan) Abdul
und redegewandt zum Ausdruck bringen, daß Hamids für eine Vereinbarung geltend machen,
wenn — was Gott verhüten möge — der osmani- welche die Evakuierung Ägyptens und eine engli-
schen Regierung ein Unglück zustößt, weder Mek- sche Allianz gegen Rußland mit der Türkei, Persien
kas Dauer noch Medinas Majestät weiterbestünde, und Afghanistan enthalten sollte“.
ja nicht einmal der Name des Islam oder auch nur
ein Ritus des Glaubens überleben werde... Ich wer- Joseph Brewda

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Chaos in Afghanistan gefährdet
ganz Asien
Der anglo-amerikanische Mudschaheddin-Terrorismus

Nach dem Einmarsch der Roten Armee in Afghani- stans anerkannt werden und ihre Aktivitäten über
stan Ende 1979 begann der Westen unter Zbigniew Afghanistan hinaus ausdehnen.
Brzezinskis Federführung damit, die britischen Der Afghanistankrieg, womit die Sowjets neun
geopolitischen Pläne für den Aufbau eines gewalt- Jahre (1980-88) lang vergeblich versuchten, ihre
tätigen, anti-westlichen „islamischen Fundamen- Herrschaft über Afghanistan zu festigen, erwies
talismus“ umzusetzen. Jetzt ernten wir die faulen sich als Sargnagel der kommunistischen Herr-
Früchte davon. Die kriminellen Elemente, die man schaft. Die westliche Unterstützung für die Taliban
aus den Gefängnissen islamischer Länder freiließ und die weitere Ausbreitung der Afghanzi hat
und nach Afghanistan in den „Dschihad“ gegen jedoch sehr viel umfassendere Ziele: die großen
die Sowjets schickte, sind neu organisiert worden Nationalstaaten der Region — Rußland, Indien
und erhalten täglich Verstärkung. und China — zu schwächen, existierende Streitig-
Anders als die gut betuchten ehemaligen Elitesol- keiten zwischen stabilen islamischen Ländern wie
daten der SAS (britische Sondereinheiten), die im Iran, Türkei, Irak und Saudi-Arabien zu schüren
Dienste britischer Bergbaukonzerne in Afrika und schließlich in Kolonialmanier die zentralasia-
Unheil stiften, sind diese Gruppen ein primitiver tischen Rohstoffe einzukassieren. Mit anderen
Mob. Von Afghanistan aus erweitern sie ihr Terror- Worten, Zentralasien soll unregierbar gemacht
und Drogennetz in alle Richtungen: im Osten werden, um die Integration Eurasiens zu verhin-
nach Pakistan und Kaschmir, im Nordwesten nach dern und die großen Nation der Region schwach
Dagestan und Tschetschenien, im Norden und und verwundbar zu halten.
Westen in die fünf zentralasiatischen Nationen
und im Nordosten in die chinesische Provinz Organisierter Drogenhandel
Xinjiang (Sinkiang). Die Regierungen der betroffe-
nen Länder unternehmen zwar große Anstrengun- Die Geschichtsschreibung wird sicherlich zu dem
gen dagegen, aber ein schneller Erfolg ist keines- Schluß kommen, daß der Afghanistankrieg die
wegs sicher. gleiche Bedeutung für Süd- und Zentralasien wie
In Afghanistan selbst bleibt die Lage düster. Die der Vietnamkrieg für Ost- und Südostasien hat. Die
Gruppen, die das Land instabil halten wollen, wur- Autoren der „Krisenbogenthese“ sahen in dem
den immer stärker, es gibt keine Zauberformel für törichten Abenteuer der Sowjets in Afghanistan
einen baldigen Frieden. Die „Afghanzi“, die afgha- ihre Chance und nutzten sie rasch. Das Startkapi-
nischen Mudschaheddin, die den Taliban ihre tal kam vom anglo-amerikanischen Block. Man
Macht geben, breiten sich mit dem offensichtli- brachte Geld für Waffen auf, um den Kommuni-
chen Auftrag aus, Chaos zu schaffen. Sie behaup- sten den Todesstoß zu versetzen. Es wurden auch
ten, ihre Mission sei die „Ausbreitung des Islam“, schon früh illegale Waffen- und Drogengeschäfte
aber kaum eine islamische Regierung kauft ihnen betrieben, aber bis das große Geld aus dem Hero-
das ab. Mit saudischem Geld predigen die Terrori- inhandel zur Verfügung stand, dauerte es ein paar
sten in weißen Gewändern mit dem Koran in der Jahre.
Hand den orthodoxen Islam der Wahhabiten. Ab Mitte der 80er Jahre sahen die Mudschaheddin-
Die Taliban (Talib bedeutet im Arabischen Führer den Gewinn aus dem Handel mit Heroin
„Schüler“) wurden 1994 gegründet und in Paki- und Haschisch aus Afghanistan und Westpakistan
stan ausgebildet. In den Koranschulen — den als legitime Kriegsbeute an. Er übertraf bei weitem
Madrassahs — in den Grenzgebieten zu Afghani- die Finanzhilfe aus Saudi-Arabien und gewöhnli-
stan wurde den jungen Rekruten von Maulana chere Arten von Beute, und alle ohne Ausnahme
Samiul Haq und Maulana Fazlur Rehman ihr Fana- füllten sich damit die Taschen. Der Westen benutz-
tismus eingeimpft, und der frühere Chef des te das Drogengeld für geheime und nicht so gehei-
Geheimdienstes ISI, Generalleutnant Hamid Gul, me Operationen zur Finanzierung der Mudscha-
lehrte sie den Umgang mit Kalaschnikows, Gra- heddin, und heute sind Einnahmen aus dem Dro-
natwerfern und 125-mm-Kanonen. genhandel die Hauptgeldquelle der Afghanzi welt-
In London entwarf man neue Pläne. Die Taliban — weit. Der pakistanische Geheimdienst ISI häufte
genauer: die Afghanzi unter dem Deckmantel der mit dem Drogenhandel einen riesigen Schmier-
Taliban — sollten als legitime Herrscher Afghani- geldfonds an, der es ihm erlaubt, die Regierung in

11
Islamabad nach Wunsch ein- oder abzusetzen und Kaschmir und Tibet und weiter östlich nach Nepal
neue Konflikte z.B. in Kaschmir, Xinjiang, Tschet- gelangen.
schenien und Dagestan anzuzetteln. Die nach Norden fahrenden Drogenhändler halten
Den Drogenhändlern und Geldwäschern der welt- in Osch, der zweitgrößten Stadt Kirgisistans. Sie ist
weiten „Drogen GmbH“ bieten sich unerschöpfli- inzwischen zu einem zentralen Umschlagplatz für
che Möglichkeiten, denn die im Afghanistankrieg Heroin und Haschisch aus Afghanistan und Tad-
gesponnenen Drogennetze wachsen täglich. Zu schikistan geworden. Im Farghana-Tal, wo Osch
den Guerillagruppen, die sich durch Drogengelder liegt, wird ebenfalls von Jahr zu Jahr mehr Opium
finanzieren, gehören die Islamische Renaissance- angebaut.
Partei in Tadschikistan, Hekmatyars Hezbe Islami
in Afghanistan und etwa ein Dutzend Gruppen in Logistik und Finanzen
Pakistan, darunter Lashka-e-Toiba, Anjuman Sipa-
ha-i-Sahiba, Harkatul Mujahidin, Lashlar-e-Jhagvi Vor einigen Jahren haben wir dokumentiert, daß
und Al Badr. die Britische Afghanistanhilfe (Afghan Aid U.K.,
Von Nepal aus knüpfte der ISI auch enge Verbin- AAUK) und das Londoner Radio Freies Kabul die
dungen zu den großen Separatistengruppen im beiden wichtigsten Koordinationsstellen für die
Nordosten Indiens: dem Nationalen Sozialisti- Unterstützung der afghanischen Mudschaheddin
schen Rat von Nagaland (I-M), der Vereinigten Be- während des Krieges gegen die Sowjetunion waren
freiungsfront von Assam (ULFA) und der Bodo-Be- (siehe „New Terror International Targets South
freiungsfront. Die Operationen in Nordostindien Asia, EIR, 13.10.1995). Hauptförderer der AAUK,
laufen auch von Bangladesch aus, wo das Drogen- die im pakistanischen Lahore saß, war der damali-
netz ebenfalls Fuß gefaßt hat. Die mörderischen ge Präsident des Oberhauses und Lordsiegelbewah-
Befreiungstiger von Tamil Eelam (LTTE) liefern den rer Viscount Cranborne. Gründer von Radio Freies
indischen Separatisten Waffen aus Singapur und Kabul war Lord Nicholas Bethell, der gemeinsam
Südthailand, die sie auf Schnellbooten über den mit Premierministerin Margaret Thatcher amerika-
Golf von Bengalen bringen. Die Separatisten und nische Hilfe für die Mudschaheddin organisierte,
der ISI zahlen mit Geld und Drogen, das die Tami- was angesichts des Einflusses von Zbigniew Brze-
len-Tiger wieder an anderen Orten einsetzen. Dro- zinski nicht allzu schwer war.
gen und Waffen sind voll globalisiert und niemand 1980 wurde in den USA das Afghan Relief Com-
kann mehr feststellen, welche Drogengelder z.B. mittee gegründet, das vom New Yorker Bankier
nach Pundschab, Kaschmir oder Dagestan fließen. John Train gefördert wurde und vor allem Gelder
Indischen Berichten zufolge gelangt der Großteil an den korrupten Gulbuddin Hekmatyar und seine
des Heroins und des schwächeren „Braunen Hezbe Islami vergab. Lord Bethell war in London
Zuckers“ über den Pundschab von Pakistan ins Anlaufstelle für das Komitee für ein freies Afghani-
Land. Viel wird auch durch die Wüste nach Jaisalm stan (CFA), das Hekmatyars Hauptrivalen vor Ort,
und Barm in Radschastan geschmuggelt; weitere den Tadschiken Ahmed Shah Massoud, finanzier-
Wege verlaufen über Kaschmir und angeblich auch te. Große Summen flossen aus den USA sowie aus
durch Samba und R.S. Pura. Saudi-Arabien und anderen arabischen Ländern.
Mitte der 80er Jahre kam schon die Hälfte des
Die zentralasiatischen Drogenrouten Heroins auf Amerikas Straßen aus dem „Goldenen
Halbmond“, der sich vom Iran bis Pakistan und Af-
Solange die Sowjets in Afghanistan waren, gelang- ghanistan erstreckte. Die nordwestliche Grenzpro-
te das meiste afghanische Opium und Heroin vinz Pakistans wurde zum Hauptumschlagplatz für
zuerst nach Pakistan und dann über Schmuggel- Drogen und Waffen. Um 1988 betrugen Pakistans
wege durch Indien und Nepal in den Westen. Einnahmen aus Opium und Heroin Schätzungen
Inzwischen hat sich das geändert. 1995 berichtete zufolge 8-10 Mrd. Dollar jährlich, fast ein Viertel
ein französischer Journalist aus der kasachischen des BIP. Eine von einem Pakistani gegründete neue
Hauptstadt Alma Ata, als Alternative zu den altbe- Geldwäschebank, die Bank of Credit and Commer-
kannten Drogenrouten über Karatschi oder die ce International (BCCI), wurde von der Londoner
Makrana-Küste in Belutschistan gebe es neue City gefördert und ihre Geschäfte von der führen-
Wege, die schmalen, gewundenen Karawanen- den britischen Buchprüfungsfirma Price Water-
und Hirtenpfade über das Pamir-Gebirge nach Tad- house abgesegnet.
schikistan. Seither hat sich die Lage weiter ver- Es blieb nicht beim Kampf gegen die Sowjets und
schlechtert. Der Aga Khan, das Oberhaupt der im für die anglo-amerikanische Kontrolle über Afgha-
Pamirgebiet weitverbreiteten Ismailiten-Sekte, gibt nistan. Nach der Auflösung der Sowjetunion wur-
Gelder für den Bau einer Fernstraße von der tad- de verstärkt Zentralasien mit seinen gewaltigen
schikischen Hauptstadt Duschanbe zur Kara- Energievorräten zur Zielscheibe. Wie schon im 19.
korum-Autobahn. Bis Kharog ist die Straße bereits und frühen 20. Jahrhundert wußte man um die
fertiggestellt. Bald könnten die Drogen mit Last- strategische Bedeutung dieser Region als Schnitt-
wagen und Autos gen Westen nach Kashgar und stelle zwischen Europa und Ostasien, Südasien und
anderen Städten Xinjiangs, aber auch nach den Golfländern. Die westlichen Neokolonialisten

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benutzen die „islamischen Fundamentalisten“, um Kontakt mit London. Indien, Frankreich sowie
Rußland, Indien und China zu schwächen. Da die mehrere konservative moslemische Staaten haben
Briten die besten Kenner Zentralasiens und des England aufgefordert, keine islamischen Terrori-
islamischen Fundamentalismus sind, wird die Pla- sten mehr zu schützen. Der Jemen beschwerte sich,
nung weitgehend London überlassen. weil der Terroristenführer Scheich Abu Hamza im
Der Vormarsch läuft. Nach neueren Berichten wer- Londoner Stadtteil Finsbury Park unbehelligt wir-
den die afghanischen Taliban von regulären paki- ken kann. Abu Hamzas Sohn war einer jener drei
stanischen Soldaten unterstützt. Der ISI rekrutiert britischen Staatsbürger, die in einem Terroristen-
indischen Pressemeldungen zufolge für gutes Geld camp im Zentraljemen verhaftet wurden, weil sie
junge Moslems in Kirgisistan und Kasachstan für Bombenanschläge in Aden planten. Ein anderer
einen Aufstand der Uiguren in Xinjiang. Skandal war, daß der britische Staatsbürger Shafi-
Der britische MI-6 bietet „islamischen Fundamen- qur Rehman aus Lancashire für die Terrorgruppe
talisten“ in London Geld und Unterschlupf. An- Lashkar-e-Toiba, die in Kaschmir gegen die Inder
geblich steht auch der saudische Terrorist und kämpft, Gelder gesammelt hat.
Mudschaheddin-Finanzier Osama bin Laden in Ramtanu Maitra

Eine „ölige“ Familie:


Die Brzezinskis und das „Große
Spiel“ im Transkaukasus
Durch die britische Geopolitik im Transkaukasus und in
Zentralasien, die Brzezinski vertritt, könnte ein
dritter Weltkrieg ausgelöst werden.
Zbigniew Brzezinski, der Sicherheitsberater Präsi- Region verstrickte. Gleichzeitig arbeiten er und sei-
dent Carters in den 70er Jahren und Mentor der ne Familie mit anglo-amerikanischen Ölkonzer-
heutigen US-Außenministerin Madeleine Albright, nen zusammen, die wie einst Cecil Rhodes in Afri-
hat aus der Geographie eine Religion gemacht: die ka die bedeutenden Rohstoffvorkommen der Regi-
„Geopolitik“. Nachzulesen sind Brzezinskis ver- on wie Erdöl, Erdgas und Gold an sich reißen wol-
rückte Ideen in seinen Artikeln in Foreign Affairs len. Ein zentraler Aspekt von Brzezinskis Geopoli-
(der Zeitschrift des New Yorker Council on Foreign tik ist das Ziel, jeglichen Einfluß Rußlands in die-
Relations) und in seinem Buch The Grand Chessbo- sem Teil der früheren Sowjetunion auszuschalten
ard — wörtlich „Das große Schachbrett“ —, das in — ohne Rücksicht auf die militärischen Folgen.
Deutschland unter dem Titel Die einzige Weltmacht In Die einzige Weltmacht findet Brzezinski übrigens
erschien. lobende Worte für die Geopolitik Karl Haushofers,
Brzezinski verficht eine ähnliche geopolitische des Mystikers der anglophilen „Thule-Gesell-
Doktrin wie vor hundert Jahren der Brite Harold schaft“. Haushofer trichterte Adolf Hitler die Idee
Mackinder und der Deutsche Karl Haushofer. Die- vom „Drang nach Osten“ ein. Hitler sollte Deutsch-
se alte Geopolitik war der Vorwand dafür, daß land in den Krieg gegen die Sowjetunion führen.
Großbritannien die beiden Weltkriege inszenierte, Das entsprach dem Ziel der britischen Geopolitik,
um die Integration Eurasiens zu verhindern. Die ein friedliches Miteinander auf dem eurasischen
neue Geopolitik, die Brzezinski in seinen Schriften Kontinent nachhaltig zu verhindern. Mit der glei-
vertritt und in seinen Geschäften praktisch chen geopolitischen Einstellung, die zum Ersten
umsetzt, sieht den Kaukasus und Zentralasien als und Zweiten Weltkrieg führte, behandelt Brzezins-
„Zone der Instabilität“, wo man ethnische Instabi- ki in seinem Buch die Frage, wie sich eine erneute
litäten und Stammeskonflikte (die noch auf die Vorherrschaft Rußlands im Transkaukasus und in
Zeit von Lord Palmerston und dem Oxford-Absol- Zentralasien verhindern ließe.
venten und Begründer der Moslem-Bruderschaft
Al-Afghani zurückgehen) im Hobbesschen Sinne „Der eurasische Balkan“
manipulieren kann. Das könnte nun einen dritten
Weltkrieg auslösen. In Die einzige Weltmacht schreibt Brzezinski:
Brzezinski erneuert das „Große Spiel“, das im 19. „Rußlands Verlust seiner beherrschenden Position
Jahrhundert besonders England, Rußland und das an der Ostsee fand sein Pendant am Schwarzen
untergehende Osmanische Reich in endlose Kriege Meer, zum einen wegen der Unabhängigkeit der
um die Kontrolle der Zentralasien-Transkaukasus- Ukraine, zum anderen, weil die jetzt unabhängi-

13
Für Zbigniew Brzezinski
sind die Nationen der
Welt nur Schachfiguren
in einem großen
Machtspiel. Sein Buch
The Grand Chessboard
erschien auf deutsch
unter dem Titel
Die einzige
Weltmacht.

gen kaukasischen Staaten — Georgien, Armenien seinem äußeren Umfeld durch ein besonderes
und Aserbeidschan — die Möglichkeiten der Tür- Merkmal: er ist ein Machtvakuum. Zwar sind auch
kei verbesserten, ihren verlorengegangenen Ein- die meisten Staaten in der Golfregion und im
fluß in der Region aufs Neue geltend zu machen ... Nahen Osten alles andere als stabil, doch üben im
Mit der Unabhängigkeit der zentralasiatischen Endeffekt die USA dort eine Schiedsrichterfunk-
Staaten hatte sich Rußlands südöstliche Grenze an tion aus. Die instabile Region steht mithin unter
einigen Stellen um mehr als tausend Meilen nach dem Einfluß einer einzigen Macht, die einen mäßi-
Norden verschoben. Die neuen Staaten verfügen genden Einfluß ausübt. Im Gegensatz dazu erin-
über riesige Mineral- und Erdölvorkommen, die nert der eurasische Balkan wirklich an den uns aus
ausländische Interessenten anlocken mußten ... der Geschichte dieses Jahrhunderts vertrauteren
Da sie von der Türkei, dem Iran, Pakistan und Sau- Balkan in Südosteuropa: Die dortigen Staaten sind
di-Arabien unterstützt wurden, waren die zentral- nicht nur hochgradig instabil, ihre Lage und
asiatischen Staaten entgegen russischen Hoffnun- innenpolitische Verfassung fordern die mächtigen
gen nicht geneigt, ihre neue politische Souverä- Nachbarn zum Eingreifen geradezu heraus, und
nität gegen eine selbst gnädige wirtschaftliche jeder widersetzt sich mit Entschlossenheit den
Integration mit Rußland zu tauschen ... Für die Bestrebungen der anderen, die Vorherrschaft in der
Russen mußte das Gespenst eines möglichen Kon- Region zu erlangen. Es ist dieses wohlvertraute
flikts mit den islamischen Staaten entlang der Phänomen des Machtvakuums mit der ihm eige-
gesamten Südflanke Rußlands (die zusammen mit nen Sogwirkung, das die Bezeichnung ,eurasischer
der Türkei, dem Iran und Pakistan mehr als 300 Balkan’ rechtfertigt...
Millionen Menschen aufbieten) Anlaß zu ernster Außerdem kommt ihm [dem „eurasischen Bal-
Besorgnis sein.“ kan“] sicherheitspolitische Bedeutung zu, weil
Brzezinski behauptet, der Transkaukasus und Zen- mindestens drei seiner unmittelbaren und mäch-
tralasien seien für Rußland, was das „Pulverfaß Bal- tigsten Nachbarn von alters her Absichten darauf
kan“ für Westeuropa sei. In dem Kapitel „Der eur- hegen, und auch China ein immer größeres Inter-
asische Balkan“ führt er aus: esse an der Region zu erkennen gibt. Viel wichtiger
„Das Wort Balkan beschwört in Europa Bilder von aber ist der eurasische Balkan, weil er sich zu einem
ethnischen Konflikten und Stellvertreterkriegen ökonomischen Filetstück entwickeln könnte, kon-
der Großmächte herauf. Auch Eurasien hat seinen zentrieren sich in dieser Region doch ungeheure
Balkan, aber der ist viel größer, dichter bevölkert Erdgas- und Erdölvorkommen, von wichtigen
und religiös und ethnisch noch heterogener. Der Mineralien einschließlich Gold ganz zu schwei-
eurasische Balkan liegt innerhalb jenes großen gen.“
Rechtecks, das die angesprochene Kernzone globa-
ler Instabilität einschließt und Teile von Südosteu- Die Jagd nach
ropa, Zentralasien sowie einige Gebiete Südasiens, dem „schwarzen Gold“
die Region um den Persischen Golf und den Nahen
Osten umfaßt. Zu der Zeit, als er Die einzige Supermacht schrieb,
Der eurasische Balkan bildet den inneren Kern die- war Brzezinski Berater des Erdölkonzerns Amoco
ses großen Rechtecks und unterscheidet sich von für Geschäfte am Kaspischen Meer. Diese Funktion

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hatte er mindestens bis zur feindlichen Übernah- Wie die Washington Post weiter schreibt, traf sich
me des Konzerns durch British Petroleum im ver- Berger 1995 zweimal mit Vertretern der AIOC-Fir-
gangenen Jahr inne. Amoco spielte eine wesentli- men und überzeugte den AIOC-Präsidenten Terry
che Rolle bei der Bildung des Erdölkonsortiums Adams von BP von der Notwendigkeit, eine 250
Azerbaijan International Operating Co. (AIOC). Mio. Dollar teure neue Pipeline außerhalb russi-
Die AIOC wurde nach dem Machtantritt von scher Kontrolle von Baku zum georgischen
Hejdar Alijew im Juni 1993 gegründet, nachdem Schwarzmeerhafen Suspa zu bauen. BP hatte ur-
der gewählte Präsident Aserbeidschans Abulfaz sprünglich die billigere Lösung bevorzugt, die rus-
Elchibej durch einen bewaffneten Aufstand sische Pipeline für 50 Mio. Dollar zu modernisie-
gestürzt worden war. Der heute 70jährige Alijew ren. Im September 1995 entschied sich die AIOC
war früher KGB-Chef und gehörte unter Leonid dann für die Doppellösung, die russische Pipeline
Breschnew dem Politbüro der KPdSU an. zu nutzen und auch weiter westlich eine neue
Am 4. Oktober 1998 erschien in der Washington Pipeline zu bauen.
Post der erste von drei Artikeln mit dem Titel „Pipe- Wenig später fragte Clintons Sicherheitsberater
lineträume — Der Kampf um das kaspische Erdöl“. Anthony Lake Brzezinski privat, ob er Alijew einen
Der erste Artikel von Dan Morgan und David Otta- Brief Clintons überbringen könnte. In dem Schrei-
way mit der Überschrift „Aserbeidschans Reichtü- ben hieß es, die USA wollten zwei Pipelines und
mer verändern das Schachbrett“ befaßt sich mit wären bereit, als Gegenleistung bei der Beilegung
den Aktivitäten Brzezinskis und Amocos in Aser- des Konflikts zwischen Aserbeidschan und
beidschan. Dort heißt es, die westlichen Erdölkon- Armenien über Berg-Karabach zu helfen.
zerne hätten nach anfänglicher Skepsis, ob viel- Brzezinski, der kurz darauf Berater für Amoco wur-
leicht Moskau hinter Alijews Putsch stecke, bald de, erklärte später, er habe zugestimmt, weil er über
erkannt, daß Alijew genau der Präsident sei, auf die russischen Absichten im Transkaukasus besorgt
den sie gewartet hätten. Alijew einigte sich bald gewesen sei. Er überbrachte Alijew den Brief und
mit Amoco und machte kurzerhand seinen Sohn führte dann noch mehrere Tage ausführliche
Ilham Alijew zum Vizepräsidenten der staatlichen Gespräche. Er erfuhr, die Russen hätten gefordert,
aserbeidschanischen Erdölgesellschaft. alles Erdöl aus Aserbeidschan solle durch russische
Am 20. September 1994 schloß Alijew mit der Erd- Pipelines laufen, und zudem sollten russische Sol-
ölindustrie das „Jahrhundertgeschäft“, wie er es daten in Aserbeidschan stationiert werden.
nannte. Das AIOC-Konsortium würde 7,4 Mrd. Der Eurasien-Direktor von Amoco, Don Stacy,
Dollar für die Erschließung der drei großen Erdöl- gewann Präsident Clinton für die Zwei-Pipelines-
felder Aseri, Chirag und Guneschwili ausgeben. Bis Politik, und im Oktober 1995 warb Clinton telefo-
2010 sollte die Tagesförderung auf 800 000-1 Mio. nisch bei Alijew für den Plan; eine Woche später
Barrel steigen. stimmte Alijew zu. (Laut Washington Post versprach
Amoco (heute BP) gehörte zusammen mit McDer- Clinton Alijew, die Sanktionen nach „Abschnitt
mott, Unocal und Pennzoil zu den größeren Part- 907“ gegen Aserbaidschan aufzuheben, die der
nern der AIOC. Zusammen hielten sie etwa 40% Kongreß auf Betreiben der armenisch-amerikani-
der Anteile, das war bei weitem der größte Block. schen Lobby wegen des Krieges gegen Armenien
Exxon schloß sich ein Jahr später dem Konsortium verhängt hatte.) Anfang 1996 kamen die Russen zu
an. BP hielt schon vor der Übernahme von Amoco dem Schluß, daß die Kontrolle über eine von zwei
17% an der AIOC, vermutlich dank des Einsatzes Pipelines besser wäre als gar nichts, und lenkten
der früheren britischen Premierministerin Marga- ein.
ret Thatcher. Die restlichen AIOC-Anteile teilten In Die einzige Weltmacht macht Brzezinski kein
sich die Aserische Erdölgesellschaft und verschie- Hehl daraus, warum er Rußland aus der Er-
dene andere Gesellschaften, darunter der private schließung und Förderung des aserbeidschani-
russische Konzern Lukoil. schen Öls heraushalten will:
Anfang 1995 gründeten die in Aserbeidschan „Prompt gerieten im Kaukasus die weniger als vier
engagierten amerikanischen Erdölgesellschaften Millionen Armenier und die über acht Millionen
die Gruppe „Foreign Oil Companies“ mit Sitz in Aserbeidschaner in einen offenen Krieg über den
Washington. Vertreter dieser Gruppe kamen mit Status von Nagornyj-Karabach, einer Enklave mit
der Energieexpertin des Nationalen Sicherheitsra- überwiegend armenischer Bevölkerung innerhalb
tes (NSC) Sheila Heslin und dann mit einem Aus- Aserbeidschans. Der Konflikt gipfelte in großange-
schuß unter Leitung von Sicherheitsberater Sandy legten ethnischen Säuberungen, und Hunderttau-
Berger zusammen. Es ging um die Routen der Pipe- sende von Flüchtlingen und Vertriebenen flohen
lines und Schiffe mit dem Erdöl aus Aserbeidschan in beide Richtungen. Da die Armenier Christen
und dem Kaspischen Meer. Es existierte eine Pipe- und die Aserbeidschaner Moslems sind, trug die
line durch Rußland, die mit relativ geringem Auf- Auseinandersetzung Züge eines Religionskrieges.
wand modernisiert werden könnte. Aber dann hät- Der in ökonomischer Hinsicht verheerende Kon-
te Rußland in den Augen Brzezinskis und einiger flikt erschwerte es beiden Ländern zusätzlich, ihre
Vertreter der Regierung Clinton zu großen Einfluß Unabhängigkeit zu festigen. Armenien war
auf die Geschäfte der AIOC. genötigt, sich stärker auf Rußland zu verlassen, das

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erhebliche militärische Hilfe zur Verfügung gestellt im Süden schützen. Weiter schreibt er:
hatte, während Aserbeidschans neue Unabhängig- „Kontrollierte Rußland Aserbeidschan, könnte es
keit und innere Stabilität durch den Verlust von das Land im Westen von Zentralasien, besonders
Nagornyj-Karabach gefährdet waren. von der Türkei, abriegeln und so die russische Kon-
Aserbeidschans Verwundbarkeit zeitigt Auswirkun- trolle der erdölreichen zentralasiatischen Staaten
gen auf die gesamte Region, weil seine Lage es zu verstärken. Eine russische Dominanz über Aser-
einem geopolitischen Dreh- und Angelpunkt beidschan sicherte auch die russische Vorherr-
macht. Es ist gewissermaßen der lebenswichtige schaft über andere Kaukasusstaaten, vor allem
Korken, der den Zugang zur Flasche mit den Armenien und Georgien.
Bodenschätzen des Kaspischen Beckens und Zen- Seine Lage macht Aserbeidschan es zu einem le-
tralasiens kontrolliert. Ein unabhängiges, türkisch benswichtigen Verkehrskorridor, der den Zugang
sprechendes Aserbeidschan mit Pipelines, die es zum Kaspischen Becken und nach Zentralasien
mit der ethnisch verwandten und politisch als kontrolliert. Ein starkes und autonomes Aserbeid-
Stütze agierenden Türkei verbinden, verwehrte schan, mit Pipelines, die bis zur Türkei reichen,
Rußland seine Monopolstellung im Zugang zur garantierte dem Westen einen Zugang zur Region
Region und beraubte es damit seines entscheiden- und würde Rußland und dem Iran entscheidende
den politischen Druckmittels auf die Politik der politische Druckmittel gegenüber der Politik der
neuen zentralasiatischen Staaten. Dennoch ist neuen zentralasiatischen Staaten aus der Hand
Aserbeidschan von zwei Seiten starkem Druck aus- nehmen.“
gesetzt: von Rußland im Norden und vom Iran im In einem Gespräch mit dem Verfasser berichtete
Süden. Im nordwestlichen Iran leben zweimal Mark Brzezinski, der republikanische Senator Sam
soviele Aseris — einige Schätzungen sprechen Brownback habe zum sog. Seidenstraßen-Gesetz
sogar von 20 Millionen — wie in Aserbeidschan. einen Zusatz für die Aufhebung der Sanktionen
Da der Iran separatistische Tendenzen unter seinen gegen Aserbeidschan eingebracht, sei damit aber
Aseris befürchtet, betrachtet er die Souveränität gescheitert.
Aserbeidschans mit gemischten Gefühlen, obwohl Auf die Frage, ob er ähnlich wie sein Vater ein
beide Länder dem Islam angehören. Folglich sieht größeres Engagement Chinas im Erdölgeschäft im
sich Aserbeidschan bei seinen Verhandlungen mit Kaspischen Becken als Gegengewicht gegen Ruß-
dem Westen sowohl russischem als auch irani- land befürworte, erklärte er: China sei bereits ein
schem Druck ausgesetzt.“ großer Investor bei Energieträgern in der Region, es
Amoco war zwar (mit Brzezinski als Berater) die habe umfangreiche Förderrechte in Kasachstan
mächtigste ausländische Institution in Aserbeid- erworben. Es gebe Pläne, eine 2600 km lange Pipe-
schan, aber als es von BP übernommen wurde, hat- line nach Ostchina zu bauen. Obwohl das „astro-
ten schon bald die Briten das Sagen. Immerhin war nomische“ Größenordnungen seien, betrieben die
Lady Thatcher schon im September 1992 mit 30 Chinesen das Projekt ernsthaft. Vor kurzen sei der
Mio. Dollar Anzahlung für die Erschließung zweier kasachische Außenminister in China gewesen, und
Ölfelder in der Tasche angereist. Den extrem ang- man habe sich sehr ernsthaft mit diesem Projekt
lophilen Brzezinski stört dieser Wechsel nicht. In beschäftigt. Und im Oktober werde der Präsident
seinem Buch spielt er die geostrategischen Akti- Kasachstans Nursultan Nasarbajew in China erwar-
vitäten des Commonwealth-Imperiums herunter; tet.
England ist für ihn „die wichtigste Stütze der USA, Derzeit stelle Rußland noch den einzigen Zugang
ein sehr loyaler Verbündeter, eine unerläßliche Mi- zur Region dar, aber es habe sich als „wenig verläß-
litärbasis und ein enger Partner bei heiklen Ge- licher Partner“ erwiesen, weil es zentralasiatisches
heimdienstaktivitäten“. Erdöl und Erdgas zwar transportieren, aber keinen
vollen „Marktwert“ dafür zahlen will. „Rußland
Es bleibt in der Familie zeigte sich wenig kooperativ, was den Transport
von Erdöl und Erdgas von Baku nach Noworossisk
Am 18. Mai forderte Brzezinskis Sohn Mark in der anging.“
Washington Post die Aufhebung der Sanktionen Die Vorstellung, China mehr Einfluß in Eurasien
gegen Aserbeidschan. Mark Brzezinski arbeitet für zu lassen, solange es sich an die Vorgaben der ang-
die Anwaltskanzlei Hogan & Hartson, die nach lo-amerikanischen Finanzoligarchie hält, stimmt
eigener Aussage im Erdöl- und Erdgasgeschäft am mit der Sicht seines Vaters überein. Dieser schreibt
Kaspischen Becken engagiert ist. In dem Artikel in Die einzige Weltmacht:
beklagt er, daß die USA den vier Millionen „Ein geostrategisch grundlegendes Problem wirft
Armeniern 600 Mio. Dollar an Hilfen zahlen, aber Chinas Aufstieg zur Großmacht auf. Die beste
den acht Millionen Aseris nur 100 Mio. Dollar, Lösung wäre es, wenn man ein zur Demokratie fin-
obwohl das Erdöl und Erdgas doch in Aserbeid- dendes, marktwirtschaftlich organisiertes China in
schan sei. einen größeren Rahmen regionaler Zusammenar-
Trotz der Sanktionen sei Präsident Alijew proame- beit einbinden könnte ... Das gefährlichste Szena-
rikanisch, weil er darauf baue, daß ihn die USA vor rio wäre möglicherweise eine große Koalition zwi-
dem Druck von Rußland im Norden und dem Iran schen China, Rußland und vielleicht dem Iran, ein

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nicht durch Ideologie, sondern durch die tiefsit- ölindustrie. Er begrüßte die Privatisierung der rus-
zende Unzufriedenheit aller Beteiligten geeintes sischen Erdöl- und Erdgasindustrie sowie den mög-
antihegemoniales Bündnis. Ein solches Bündnis lichen Zusammenschluß der privatisierten Unter-
würde in Größenordnung und Reichweite an die nehmen — u.a. Beresowskijs Firma Sibneft — zu
Herausforderung erinnern, die einst von dem chi- einem der größten Ölkonzerne der Welt, AO Juxi,
nesisch-sowjetischen Block ausging, obgleich dies- mit Reserven, die größer sind als die von Exxon
mal wahrscheinlich China die Führung übernäh- und Royal Dutch Shell zusammengenommen. Er
me und Rußland sich dieser anschlösse. Um diese berichtete auch über Versuche von BP, Shell und
Eventualität, wie fern sie auch sein mag, abzuwen- der französischen Elf Aquitaine, russische Erdöl-
den, müssen die Vereinigten Staaten gleichzeitig und Erdgasunternehmen billig aufzukaufen, und
an der westlichen, östlichen und südlichen Peri- über die Aktivitäten von Lukoil, dem einzigen rus-
pherie geostrategisches Geschick beweisen.“ sischen Mitglied des von BP beherrschten AIOC-
Interessanterweise verfaßte Brzezinskis Neffe Mat- Konsortiums in Aserbeidschan.
thew Brzezinski, der bis vor kurzem Mitarbeiter des Offenbar hat die Familie Brzezinski im Erdöl das
Wall Street Journal war, zahlreiche Lobeshymnen richtige Schmiermittel für ihre geopolitischen
auf russische „neoliberale Reformer“ wie Anatolij Spinnereien gefunden, ganz besonders im Kauka-
Tschubajs und die Entwicklung der russischen Erd- sus und in Zentralasien. Scott Thompson

Eine Londoner Zeitung enthüllte Einzelheiten über die Rekrutierungsarbeit


von Osama bin-Ladens Terrorgruppe IIF in England.

Osamas englische Terroristen


Für den 12. November hat die Internationale Isla- tun die Terroristen nichts. Denn England ist eines
mische Front (IIF) zu einer öffentlichen Versamm- der wenigen Länder auf der Welt, das internatio-
lung in London geladen. Der Gründer und Geldge- nalen Terroristen Unterschlupf und Handlungs-
ber der IIF ist der meistgesuchte Terrorist der Welt, freiheit gewährt. Eine Gesetzesvorlage, mit der die
Osama bin-Laden. Während die Regierung der Ver- Planung von Terrorakten im Ausland in Großbri-
einigten Staaten Millionen Dollar ausgibt, um den tannien unter Strafe gestellt werden sollte, wurde
„Superterroristen“ in die Hand zu bekommen, vor einigen Jahren von George Galloway von der
gestattet die britische Monarchie Osamas Leuten, Labour Party im Unterhaus blockiert.
ganz offen für den Dschihad (den „Heiligen Scheich Omar Bakri Mohammed behauptet auch,
Krieg“) zu werben, ja mehr noch, auf britischem in England selbst fände kein militärisches Training
Territorium militärische Übungen abzuhalten. statt, aber andere Mitglieder der IFF erklären das
Beobachter haben bereits vorgeschlagen, den Gegenteil. Anjem Choudary, ein wichtiger Werber
geborenen Saudi in „Osama bin-London“ umzu- der Gruppe, sagte gegenüber dem Telegraph: „Bevor
taufen. sie ins Ausland gehen, um für Organisationen wie
Neue Einzelheiten über das Wirken des „neuen die IIF zu kämpfen, werden die Freiwilligen in Bri-
internationalen Terrorismus“ unter dem Schutz tannien ausgebildet. Ein Teil der Ausbildung
der Regierung Blair veröffentlichte der Sunday Tele- erfolgt mit Gewehren und scharfer Munition.“
graph am 7. November. Jede Woche machten sich Auch verschiedene Rekruten berichten, sie hätten
Dutzende neuer Dschihad-Kämpfer aus England in Lagern an verschiedenen Orten im Vereinigten
auf den Weg nach Tschetschenien, um am Krieg Königreich einen militärischen Ausbildungskurs
gegen Rußland teilzunehmen, heißt es dort. absolviert.
Der langjährige Mitarbeiter bin-Ladens, Scheich
Omar Bakri Mohammed, der den „politischen Sanktionen gegen England
Arm“ der IIF leitet, äußerte sich unverblümt gegen-
über den Telegraph-Reportern Chris Hastings und Für die Leser der Neuen Solidarität sind diese Ent-
Jessica Berry. „Freiwillige aus England reisen ins hüllungen wenig überraschend. In den letzten
Ausland, um sich Lagern der IIF und anderer Orga- Wochen und Monaten haben wir in zahlreichen
nisationen anzuschließen. Wenn sie dort sind, Artikeln beschrieben, wie England das „Große
erhalten sie eine militärische Ausbildung oder neh- Spiel“ im Kaukasus und in Zentralasien, das es im
men am Dschihad teil. Letzte Woche haben wir 38 19. Jahrhundert gegen rivalisierende Imperien
Personen nach Tschetschenien geschickt.“ Er fuhr betrieb, heute zu erneuern versucht. Vor allem
fort: „Unsere Freiwilligen sind keine Terroristen. Rußland soll jetzt in möglichst viele schwache
Sie tun Zivilisten nichts, und sie tun den Men- Kleinstaaten aufgespalten werden.
schen in England nichts.“ Ein „Erfolg“ für London in dieser Hinsicht war die
Die letzte Behauptung stimmt: In England selbst Invasion von aus Tschetschenien kommenden

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„Separatisten“ in Dagestan im Frühjahr. Die Küste gen Söldnerführer auf, und rund um die Welt war-
Dagestans macht 70% des russischen Zugangs zum ten Zehntausende „Veteranen“ nur auf ihren Ein-
Kaspischen Meer aus, dessen reiche ungenutzte Öl- satz in einem neuen „Heiligen Krieg“.
und Erdgasreserven die britischen Ölkonzerne an Während das FBI bin-Laden hinterherjagt und die
sich reißen möchten. Taliban-Führung in Kabul drängt, ihn aus seinem
Natürlich wurde zur Unterstützung dieser „Separa- High-Tech-Versteck in Afghanistan zu holen und
tisten“, der Wahabiten, nicht gleich die britische auszuliefern, wird der Dschihad täglich unter den
Marine losgeschickt. London würde aber sehr ger- Augen der Krone und der Regierung Blair in Lon-
ne wieder die im Afghanistankrieg (1979-89) ver- don organisiert. Wenn die Regierung Clinton Ruß-
folgte Strategie wiederholen, als vom Westen land wirklich im Kampf gegen den separatistischen
gestützte sog. Mudschaheddin oder Afghanzi gegen Terror im Nordkaukasus beistehen möchte, sollte
die Rote Armee kämpften. In diesem Krieg stieg sie internationale Sanktionen gegen Großbritanni-
Osama bin-Laden mit britischer Hilfe zum mächti- en fordern. Jeff Steinberg

Krieg im Kaukasus:
Die Vorgeschichte
Die Hintergründe des heutigen Tschetschenien-Konflikts, der zum
Zünder eines neuen Weltkriegs zu werden droht.
Unmittelbar nach der Selbstauflösung der Sowjet- UNPO ein Expertenteam, um die „Wahlen“ in
union hatte der ehemalige Sowjetgeneral Jochar Tschetschenien zu überwachen. Der Bericht der
Dudajew 1991 die Unabhängigkeit Tschetscheni- Gruppe wurde in Broxups Central Asian Survey in
ens ausgerufen. Ende 1994 wurden russische voller Länge abgedruckt.
Militäreinheiten nach Tschetschenien geschickt, Unterstützt und ermutigt wurde Dudajew von der
um das Land wieder unter die Zentralregierung zu früheren britischen Premierministerin Margaret
zwingen. Der sich daraus ergebende bewaffnete Thatcher, deren Freund Lord McAlpine, der das
Konflikt forderte mehr als 80 000 Opfer. Er endete Projekt für einen „Kaukasischen Gemeinsamen
im Sommer 1996 mit einem Waffenstillstand, der Markt“ entwarf, sowie von der Gruppe für Minder-
damals von General Alexander Lebed ausgehan- heiten-Rechte unter Sir John Thompson, dem ehe-
delt wurde. Die endgültige Festlegung des politi- maligen britischen Botschafter in Indien und
schen Status Tschetscheniens innerhalb der Russi- damals bei den Vereinten Nationen. Die gleiche
schen Föderation wurde um fünf Jahre, auf 2001, Unterstützung erfuhr Dudajews Nachfolger Gene-
verschoben. ral Aslan Maschadow, nachdem Dudajew im April
Von Anfang an war klar, daß Dudajew eine Figur 1996 durch eine ferngesteuerte Rakete getötet wor-
auf dem geopolitischen Schachbrett des britischen den war. Im derzeitigen Konflikt sagt jedoch
Foreign Office war, wobei es um die gleichen Maschadow selbst, der Aufruhr im Nordkaukasus
Gebiete ging, die Gegenstand der jahrzehntelan- werde von fremden Mächten gesteuert, die an der
gen nordkaukasischen Agitation gegen das Russi- Destabilisierung Rußlands interessiert seien.
sche Reich im 19. Jahrhundert waren. Seit Jahren Der aktive Kern ist ein radikaler Flügel der tschet-
hatten Analytiker und andere aus dem Umkreis des schenischen Unabhängigkeitsbewegung unter
britischen Geheimdienstes eine Revolte im Kauka- Führung von Schamil Bassajew und dem jordani-
sus vorausgesagt, welche die Sowjetunion zer- schen Commander Khattab (Hottab), die beide aus
stören würde. Am lautstarksten äußerte sich hierzu dem britisch geleiteten internationalen „Afghan-
Prof. Alexandre Bennigsen von der Pariser Sorbon- zi“-Terrorismus stammen. Sie operieren von Gebie-
ne, ein Kollege des Orientologen und Sufi-Mysti- ten in Tschetschenien aus, die selbst Maschadow
kers Louis Massignon. Bennigsens Tochter Marie nicht unter Kontrolle hat, sondern im Machtbe-
Bennigsen Broxup trat in seine Fußstapfen und ist reich der „Wahhabiten“-Bewegung liegen. 1998
heute Herausgeberin der britischen Vierteljahres- war ihr Hauptangriffsziel Dagestan, die Kernregion
schrift Central Asian Survey. des russischen Nordkaukasus. Dagestan ist nicht
Im August 1991 wurde die „Tschetschenische nur wegen seiner Größe, der Lage am Kaspischen
Republik“ als Vollmitglied in die Organisation Meer und als potentielle Pipeline-Route strategisch
Nichtrepräsentierter Völker (UNPO) aufgenom- wichtig. Vor allem aber droht die geographische
men, der wichtigsten Nichtregierungsorganisation Verteilung von 23 ethnischen Gruppen in
für britisch gelenkte Aufstände zur Zerschlagung Dagestan jeden lokalen Konflikt zu einem interna-
großer Staaten. Im Oktober 1991 entsandte die tionalen werden zu lassen. Beispielsweise leben die

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Lesgier in Süddagestan zum Teil auch jenseits der Trotz eines Waffenstillstands im Juni 1995 und der
Grenze zu Nordaserbaidschan. Einsetzung einer neuen Regierung durch die Rus-
sen im Dezember dauerte der Krieg in Tschet-
Dudajews Aufstieg zur Macht schenien bis zum Sommer 1996 an, wobei die rus-
sische Luftwaffe immer wieder tschetschenische
Der Aufstieg Dudajews strafte alles Demokratie- Dörfer als Vergeltung für Guerilla-Anschläge auf
Gerede seiner ausländischen Hintermänner Lügen. die russischen Besatzungstruppen bombardierte.
Im November 1990 entstand der Tschetschenische
Volkskongreß, dessen Mitglieder mehrheitlich für Lord McAlpines Geschäfte
Autonomie innerhalb Rußlands eintraten. Im Juni
1991 wurde Dudajew zu dessen Vorsitzendem Der erste russische Tschetschenienkrieg endete
gewählt. Der Kongreß forderte nun die vollständi- 1996 offiziell mit der Einnahme und Verwüstung
ge Unabhängigkeit von Rußland, und diejenigen der Hauptstadt Grosnyj. Der Krieg und die Tatsa-
Nationalisten, welche für weniger drastische che, daß nicht sofort mit dem wirtschaftlichen
Schritte waren, wurden ausgeschlossen. Am 1. Sep- Neuaufbau begonnen wurde, führten zu einer
tember 1991 erklärte Dudajew den Obersten Situation, in der sich der Terrorismus in der Region
Sowjet Tschetscheniens für ungesetzlich und sich ausbreitete und Einflußagenten der Britisch-ameri-
selbst zum Präsidenten. An jenem Tag stürmten kanischen Commonwealth-Machtgruppe (BAC)
seine Anhänger das Parlamentsgebäude und über- die Dienste von — meist tschetschenischen —
nahmen noch in der gleichen Woche die Kontrol- Guerilla-Führern kaufen konnten.
le über den tschetschenischen Sowjet. London hatte bereits wichtige Kräfte an Ort und
Als der russische Vizepräsident Alexander Ruzkoj Stelle, darunter die Ableger der Firma Sir Robert
am 9. Oktober 1991 die Entwaffnung der Milizen McAlpine & Söhne sowie einen Vizepräsidenten
Dudajews forderte, ordnete Dudajew die Mobilisie- der Europäischen Liga für wirtschaftliche Zusam-
rung aller Tschetschenen gegen Rußland an, und menarbeit. Lord McAlpine, der normalerweise in
seine Demokratische Wajnach-Partei rief zum „hei- Venedig lebt, hatte maßgeblichen Anteil am Auf-
ligen Krieg“ auf. Eine „allgemeine Wahl“ vom 27. stieg des grün-roten Labour-Darlings Tony Blair.
Oktober 1991 brachte Dudajew einen Stimmenan- Als enger Freund von Lady Thatcher und während
teil von 90%, und das ihm willfährige Parlament fünfzehn Jahren führender Geldbeschaffer für die
übertrug ihm sofort weitreichende Vollmachten. Tory-Partei lief McAlpine 1996 zur Reform-Partei
Gleichzeitig erklärte Dudajew die völlige Unab- des verstorbenen Finanziers Jimmy Goldsmith
hängigkeit Tschetscheniens. Kein Staat erkannte über.
formal die Selbständigkeit an, aber verschiedene McAlpines Geschäftspartner Hoshahmed Nucha-
Länder schlossen Verträge mit Dudajew — die Tür- jew, Vorsitzender des als geschlossene Aktiengesell-
kei, Deutschland, Japan, die Baltenstaaten, die schaft geführten „Kaukasischen Gemeinsamen
Ukraine und Kasachstan. Marktes“, bemühte sich 1997 um die Konzession
Ansprüche seitens verschiedener tschetscheni- für den tschetschenischen Teil der Ölleitung Baku-
scher Clans und Parteien setzten Dudajew aller- Noworossijsk. Nuchajew und McAlpine gründeten
dings zu. Im April 1993 löste er mit einem Schlag den Kaukasus-Investitionsfonds und das Projekt
das Parlament und das Verfassungsgericht auf. Kaukasischer Gemeinsamer Markt zusammen mit
Rebellierende tschetschenische Einheiten zogen dem milliardenschweren saudischen Waffenhänd-
sich nach dem Nordwesten zurück, wo sie ler Adnan Kashoggi; McAlpine war auch Teilhaber
zunächst Hilfe und Nachschub von Moskau erhiel- am Ölleitungsgeschäft. 1997 berichtete die
ten. Es kam zum Bürgerkrieg. Im Juni 1994 ver- Nesawissimaja Gaseta, diese Geschäfte hätte ein
suchte die tschetschenische Opposition erfolglos gewisser „Mansur“ Jachimczyk eingefädelt, Vize-
Grosnyj einzunehmen, und dieser Fehlschlag führ- präsident der kaukasisch-amerikanischen interna-
te zur direkten militärischen Intervention Ruß- tionalen Handelskammer, ein undurchsichtiger
lands. Geschäftemacher aus Polen, der sich in der Rolle
Anfang Dezember 1994 begann die russische Luft- eines antirussischen kaukasischen Guerilla-Führers
waffe, Flugplätze und Militärlager in Tschetscheni- aus dem 19. Jahrhundert gefalle (der wiederum ein
en zu bombardieren. Am 11. Dezember drangen italienischer Geheimdienstmann war). Im Vorgriff
die Russen mit etwa 40 000 Mann in Tschetscheni- auf seine zukünftige Karriere im Nordkaukasus war
en ein, wurden aber im Januar schwer geschlagen, Jachimczyk als Student in London zum Sufismus
als sie die Hauptstadt einzunehmen versuchten. übergetreten.
Daraufhin begann die russische Luftwaffe, Grosnyj 1996, als der Waffenstillstand in Tschetschenien
mit Bombenteppichen zu belegen, In der Stadt zustande kam, unternahm Marie Broxup eine
kam es zu schwersten Zerstörungen, und nahezu Erkundungsreise in den Nordkaukasus. Ihre Bot-
25 000 Zivilisten wurden getötet. Schließlich nah- schaft lautete: Als nächstes kommt Dagestan dran.
men die Russen die zerstörte Stadt nebst drei wei- Seitdem wurde das Dagestan-Projekt in britischen
teren ein, und der Kriegsschauplatz verlagerte sich geopolitischen Kreisen am Kochen gehalten.
ins Gebirge. Typisch dafür ist ein Aufsatz vom 18. Juli 1998 im

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Londoner Economist unter der Überschrift „Ruß- dow nach London. Er behauptete, die Baronin
land und Dagestan: Außer Kontrolle?“ Dem Leser Thatcher werde Tschetschenien besuchen, sobald
wird nahegelegt: „Man setze Dagestan auf die Liste zwei von einer tschetschenischen Bande festgehal-
der unregierbaren kleinen Staaten, die Rußlands tene britische Bürger frei wären. Aber Frau That-
Südrand aufzureißen drohen.“ chers Büro dementierte die Besuchspläne ebenso
Als Mittel zur Zerstörung Dagestans dient die isla- wie Maschadows Behauptung, sie werde eine
mische Wahhabiten-Sekte, die in diesem Vielvöl- Experten-Kommission zur Prüfung der Beziehun-
kergebiet so gut wie keine Basis hat, denn in gen zwischen Rußland und Tschetschenien leiten.
Dagestan ist der Sufismus die traditionelle Religi- Es war offensichtlich, daß nun andere Figuren als
on, nicht der Wahhabismus, dessen Anhänger nur General Maschadow umworben wurden, und es ist
eine winzige Minderheit ausmachen. hilfreich, die Entwicklung von 1987-88 im Lichte
Schamil Bassajew ist der tschetschenische Guerilla- eines russischen Hintergrundberichts von Scham-
Führer, der am aktivsten die Spannungen in suddin Mamjew und Piotr Iwanow zu betrachten,
Tschetschenien aufrecht erhält und die wahhabiti- der am 10. Februar 1998 in Kommersant Wlast
schen Machenschaften nach Dagestan trägt. Seine erschien. Man kann keine Gewähr für die Genau-
engsten Verbündeten sind Commander Khattab igkeit der darin enthaltenen Einzelheiten überneh-
und der mysteriöse Terrorist Salman Radujew, der men, aber aus dem Bericht wird deutlich, daß in
bisweilen in Anspielung auf den mutmaßlichen Moskau London als Brandstifter im Nordkaukasus
Tod des wirklichen Salman Radujew bei einem erkannt wurde.
Bombenangriff vor einigen Jahren als „Salman Im Wlast-Bericht heißt es, eine britische Delegati-
Radujew“ apostrophiert wird. Bassajew erschien on, die am 13. Oktober 1997 nach Grosnyj kam,
im Juni 1995 plötzlich auf der Bildfläche, als er mit repräsentiere die Finanzgruppe von Jimmy Golds-
hundert seiner Leute in Budjonnowsk/Dagestan mith, dessen Schwiegersohn, „den pakistanischen
ein Krankenhaus besetzte und Geiseln nahm. Playboy Imran Khan“ und Lord Alistair McAlpine,
Überall in Rußland wurde dieser gewaltsame Über- „Goldsmiths langjährigen politischen Verbünde-
griff als harter psychologischer Schlag empfunden, ten“. Die Verhandlungen mit den Tschetschenen
denn man sah darin eine Ausweitung des Tschet- drehten sich um die Pachtrechte für den tschet-
schenien-Krieges auf das übrige Rußland. schenischen Teil der Ölleitung Baku-Noworossijsk,
Schamil Bassajew läßt seine Rolle als „britische wofür im Gegenzug Investitionen in den Wieder-
Schachfigur“ deutlich erkennen. Er trainierte für aufbau der tschetschenischen Wirtschaft fließen
seinen Dschihad in den Lagern der Afghanzi-Kämp- würden.
fer, wie er selbst im Juli 1995 sagte: „Ich habe mich „Zwei Wochen später, einen Tag, bevor das erste
schon lange vor dem Beginn des Angriffs auf aserische Rohöl in Tschetschenien ankam, wurde
Tschetschenien auf den Krieg mit Rußland vorbe- Choschamed Jarichanow aus der Leitung der Sou-
reitet. Zusammen mit Kämpfern aus meinem thern Oil Company (YUNKO) entfernt und die
abchasischen Bataillon (georgische Separatisten) Gesellschaft als solche aufgelöst, womit dem Öl-
habe ich dreimal die Lager der afghanischen Mud- Abkommen zwischen Moskau und Grosnyj die
schaheddin besucht, wo ich die Taktiken des Gue- Grundlage entzogen war. Die Mächtigen in Tschet-
rilla-Krieges erlernte.“ schenien zogen das Finanzgenie des toten Sir
Im Juli 1998 schloß sich Bassajew als amtierender Goldsmith der Reise-Diplomatie des [russischen
Ministerpräsident Tschetscheniens der geopoli- Automobil- und Ölmagnaten] Boris Beresowskij
tischen Offensive der BAC-Machtgruppe gegen vor. Bald danach, am 5. November, wurde Bereso-
China an. In einem offenen Brief an den chinesi- wskij seines Postens als stellvertretender General-
schen Ministerpräsidenten Zhu Rongji stellte er der sekretär des russischen Sicherheitsrats enthoben.
chinesischen Führung nach Darstellung der Zei- An jenem Tag veröffentlichte die Nesawissimaja
tung Moskowskij Komsomolez ein Ultimatum: Wenn Gaseta den Text des britisch-tschetschenischen
China noch einmal von Tschetschenien als einem Vertrages, welcher der Zeitung von Maczej ,Man-
Teil Rußlands rede, werde Tschetschenien die sepa- sur’ Jachimczyk zugespielt worden war.“
ratistischen Bestrebungen der Uiguren in Sinkiang Wlast beleuchtete weiter die Geschichte des Kau-
im Nordwesten Chinas aktiv unterstützen. kasischen Gemeinsamen Marktes und der Kauka-
sischen Investitionsbank und meinte, diese ge-
Britischer Guerilla-Krieg schäftlichen Tätigkeiten paßten sich nahtlos in die
britische irreguläre Kriegführung in der Region ein:
Ende 1997, gerade als die Übersetzung von Brze- „Ende November wurde der von den Briten ver-
zinskis Leitfaden zur Zerschlagung Rußlands, sein sprochene Investitionsfonds in London vorge-
Buch Die einzige Weltmacht, erschienen war und in stellt. Am Vorabend dieses Ereignisses hatte der
Moskau innerhalb und außerhalb der Regierung Goldsmith-Erbe Lord McAlpine Nuchajew bei Mar-
wütende Reaktionen hervorrief, verschärfte sich die garet Thatcher eingeführt ... Die Gruppe um
von London ausgehende kombinierte politisch- Goldsmith wollte ihre Aktivitäten nicht auf
geschäftliche Offensive im Nordkaukasus. Im März Tschetschenien zu beschränken. Das Spiel breitete
1998 reiste der tschetschenische Führer Mascha- sich nach Dagestan aus, wo eine neue politische

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Kraft, die Wahhabiten, am Werk war. dagestanischen Volkes“, an dem teilzunehmen
Am 10. Dezember wurden in Moskau Angebote zur sich Magomadow weigerte. Der Kongreß erklärte
Entwicklung der russischen (einschließlich sich als „permanent“, und Schamil Bassajew wurde
dagestanischen) Ölvorkommen ausgeschrieben. zu seinem Vorsitzenden gewählt.
Zwölf Tage später griffen die Wahhabiten, die von
einem Jordanier zusammen mit Tschetschenen Attentate und Entführungen
ausgebildet worden waren, die russische Garnison
in Buinaksk an ... Um sicher zu gehen, daß die Ver- Fast unmittelbar danach eskalierten Entführun-
treter der Ölgesellschaften verstanden, wer hinter gen, Überfälle und Attentatsversuche in Tschet-
diesem bewaffneten Übergriff stand, ließ die schenien und immer öfter auch in Dagestan. Sie
Goldsmith-Gruppe verschiedene Hinweise fallen. richteten sich gegen hohe russische Beamte und
Am 14. November erklärte Lord McAlpine seine Militärs, Ausländer und dagestanische politische
Absicht, eine ehemalige britische Kommandoein- und religiöse Führer, die gegen die separatistische
heit nach Tschetschenien zu schicken unter dem Verschwörung waren.
Vorwand, zwei britische Staatsangehörige (Gei- Im Mai 1998 wurde der Unterhändler des russi-
seln) zu befreien, aber auch mit dem Plan, ,die schen Präsidenten Walentin Wlasow in der Nähe
(tschetschenischen) Regierungstruppen auzubil- des Dorfes Assinowskja in Inguschetien, nahe der
den’. Nuchajew versprach, 400 000 Dollar für die- tschetschenischen Grenze, entführt.
sen Zweck bereitzustellen. Im Dezember unter- Schon 1997 hatte es in Tschetschenien und seiner
nahm Imran Khan eine Reise nach Tschetscheni- Umgebung 200 Entführungen gegeben, teils zur
en. Mitte Januar traf auf Veranlassung von Erpressung von Lösegeld, teils politisch begründet.
Jachimczyk und Nuchajew eine Gruppe polnischer Es wurden tschetschenische Polizeikräfte entführt,
Kämpfer in Tschetschenien ein.“ die versuchten, die Guerilla-Aktivitäten zu unter-
binden. Der dagestanische Sicherheitsbeamte
Tschetschenien und Dagestan Magomed Tolbojew sprach im Mai 1998 von
„Dagestanern, die, als Tschetschenen getarnt, zwi-
Im April 1998 kam es in Grosnyj zu einem Gipfel- schen beiden Republiken operieren. Es wurden
treffen der Führer der nordkaukasischen Republi- internationale Gruppen gebildet. Ein ganzes Netz
ken der Russischen Föderation sowie der angren- von ,Spionen’, Entführern, Mittelsmännern,
zenden Territorien Stawropol und Krasnodar. Die Unterhändlern usw. ist dort tätig.“
Initiative dazu ging von dem russischen stellv. Mi- Am 21. Dezember 1998 wurde der frühere tschet-
nisterpräsidenten Ramasan Abdulatipow aus, der schenische Ministerpräsident Salambek Chadschi-
selbst aus Dagestan stammt. Zur Zeit dieses Tref- jew, der im Oktober 1995 zurückgetreten war, ent-
fens war jedoch die ganze Regierung Tschernomyr- führt.
din von Präsident Jelzin bereits entlassen worden, Boris Beresowskij, Erzfeind Jewgenij Primakows,
wodurch die Autorität Abdulatipows stark gemin- dessen Absetzung er vor einigen Monaten erwirk-
dert war. Während er sich für einen Wirtschafts- te, und Berater der Familie Jelzin, machte nun Ver-
aufbau und andere Maßnahmen zur Verhütung handlungen zur Befreiung von russischen Entfüh-
einer weiteren Zersplitterung der Region und ihrer rungsopfern zu einem Geschäft, das er oft heim-
Abtrennung von Moskau aussprach, meldete sich lich und gegen den Beschluß der Moskauer Zen-
Nuchajew vom britisch gelenkten Kaukasischen tralregierung, kein Lösegeld zu zahlen, betrieb. Auf
Gemeinsamen Markt zu Wort und hielt eine Rede, diese Weise finanzierte er die radikalen Rivalen des
die zum Programm der ganzen Konferenz wurde. Präsidenten Maschadow, den seine britischen
Unmittelbar nach dem Gipfel gab Maschadow eine Gönner offenbar fallen gelassen hatten.
Erklärung ab, womit er in Nuchajews Horn stieß: (Nach Bassajews Übergriffen auf Dagestan im
Tschetschenien habe sich praktisch schon von Herbst 1999, beschuldigte Maschadow Beresowskij
Rußland abgelöst und könne seine Wirtschaft in einem Interview mit Le Monde, Bassajew zu
ohne die Hilfe Rußlands wieder aufbauen. „Alle unterstützen und zu finanzieren. Am 28. Septem-
Nachbarn sind sich darüber im klaren“, sagte er, ber berichtete Le Monde, Beresowskij habe Bassajew
und „die Zukunft des Kaukasus liegt in einer Kon- vor dem Einfall in Dagestan 30 Mio. Dollar zukom-
föderation“. men lassen und sich zwei Wochen vor Beginn der
Aus dem Bericht der Moskowskije Nowosti über das Kampfhandlungen in Dagestan mit einem Mittels-
Treffen vom April 1998 geht hervor, daß Magome- mann Bassajews in Biarritz getroffen.)
dali Magomadow, der Vorsitzende des dagestani- Im Januar 1998 entschärften dagestanische Sicher-
schen Staatsrats, keineswegs Maschadows Mei- heitskräfte mehrere Bomben, die in einem vor dem
nung teilte, sondern offen erklärte: „Dagestan war, Parlamentsgebäude der Hauptstadt Machaschkala
ist und bleibt Teil der Russischen Föderation.“ abegstellten Auto versteckt waren.
Am 26. April veranstaltete der tschetschenische Am 28. April 1998 flog in Machaschkala ein mit
stellv. Ministerpräsident Mowladi Udogow, der Sprengstoff beladenes Auto gerade in dem Augen-
Führer der Islamischen Nationalpartei, in Grosnyj blick in die Luft, als der Wagen des stellv. dagesta-
einen „Kongreß des tschetschenischen und des nischen Ministerpräsidenten Iljas Umachanow

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vorbeikommen sollte. Es gab in jenem Jahr mehre- hin Bassajew neue Terrorakte gegen Rußland
re Attentatsversuche auf den antiseparatistischen androhte, „wie die Welt sie noch nicht gesehen
Bürgermeister von Machaschkala, Sayid Amirow. hat“.
Der Mufti Sayid-Magomed Abubakarow von Am 9. und 13. September töteten zwei Bomben in
Dagestan, ein lautstarker Gegner der Wahhabiten, Moskauer Wohnhäusern mindestens 215 Russen.
wurde nach mehreren erfolglosen Versuchen Am 16. September exlodierte eine Autobombe vor
schließlich im August 1998 ermordet. einem Wohnhaus in der südrussischen Stadt Wol-
Akmal Sayidow, stellv. Geschäftsträger Rußlands in godonsk, wobei elf Menschen ums Leben kamen.
Tschetschenien, wurde am 29. September 1998 Der Startschuß für Rußlands Tschetschenienkrieg
entführt und ermordet. Schagid Bargischew, Leiter war gefallen.
des tschetschenischen Amtes für die Verhütung Die „einzige Weltmacht“ signalisierte Moskau
von Entführungen, wurde am 25. Oktober 1998 in dafür „grünes Licht“: Der zum NATO-Generalse-
Grosnyj ermordet. Am gleichen Tag wurden bei kretär aufgestiegene britische Verteidigungsmini-
einem Überfall auf den tschetschenischen Mufti ster George Robertson erklärte offiziell, der Tschet-
Ahmadhadji Kadyrow drei Häuser zerstört. schenien-Konflikt sei eine innerrussische Angele-
genheit.
Eskalation zum Krieg Am 30.9. bezeichnete der frühere russische Mini-
sterpräsident Viktor Tschernomyrdin in einer Rede
Im Dezember 1998 versuchte das Scharia-Gericht in Washington den saudischen Finanzier bin-
in Tschetschenien, das Parlament aufzulösen und Laden als „führenden Kopf des Terrorismus in
die ganze Macht an sich zu reißen. Maschadow Tschetschenien“ und forderte eine russisch-ameri-
schlug den Angriff zurück, aber seine Autorität kanische Zusammenarbeit gegen den „islamischen
sank, während die Bassajews zunahm. Gleichzeitig Terrorismus“.
eskalierten die Angriffe auf das russische Militär, Am 14.10. brachten die USA und Rußland gemein-
bis regelrechte Kriegshandlungen ausbrachen. sam eine Resolution im UN-Sicherheitsrat ein, die
Zu den schwersten Kämpfen seit 1996 kam es, ohne Gegenstimmen angenommen wurde und die
nachdem wahhabitische Kämpfer aus Tschetsche- Sanktionen gegen die afghanische Taliban-Bewe-
nien Dörfer in Dagestan besetzt hatten. Mascha- gung verhängt, bis diese bin-Laden ausgeliefert
dow selbst behauptete, die Wahhabiten seien vom habe.
Ausland finanziert, um den Nordkaukasus wie auch In einer Rede vor dem Royal United Services Insti-
ganz Rußland auseinanderzudividieren. Der Präsi- tute in London bezeichnete der stellv. russische
dent Inguschetiens, General Ruslan Auschew, stell- Generalstabschef Gen. Walerij Manilow am 18.
te sich hinter ihn. Laut Moskowskije Nowosti vom Oktober 1999 den Kampf gegen die tschetscheni-
24. August sagte er: „Es ist kein Geheimnis, daß die schen Rebellen als „Kampf gegen den Terroris-
Banditen (in Dagestan) von rivalisierenden Kräften mus“. Manilow traf sich mit zahlreichen britischen
finanziert werden, die versuchen, den Verlauf der Regierungsvertretern und nahm vom 15.-17.10. an
kaspischen Ölleitung zu ändern.“ einer Konferenz in Wilton Park teil, die vom briti-
Zwischen 1. Januar und Juni 1999 wurden mehr als schen Außenministerium finanziert wurde.
100 Menschen, meistenteils Soldaten und Grenz- Nach mehrwöchigem Bombenkrieg gegen Tschet-
posten der Polizei, bei Guerilla-Übergriffen aus schenien dreht sich der Wind wieder — gegen Ruß-
Tschetschenien getötet. Es gab Überfälle auf Trup- land. Zbigniew Brzezinski veröffentlichte am 10.
pen des Innenministeriums und auf reguläre russi- November 1999 im Wall Street Journal und der
sche Streitkräfte. Die Absetzung des russischen Mi- Frankfurter Allgemeinen Zeitung eine Stellungnahme
nisterpräsidenten Jewgenij Primakow, der diplo- gegen die „russischen Neoimperialisten“, welche
matische Schritte zum wirtschaftlichen Wiederauf- man daran hindern müsse, die gesamte Kaukau-
bau Tschetscheniens begonnen hatte, um die susregion einschließlich Georgiens zu erobern
Beziehungen zwischen Moskau und Maschadow (bzw. den georgischen Präsidenten Schewardnad-
zu stabilisieren, bedeutete grünes Licht für eine se, welcher der NATO beitreten will, zu ermorden.
weitere Eskalation des Konflikts seit März 1999. Tschetschenien vergleicht Brzezinski dabei mit
Die Zahl der Getöteten nahm wieder zu und die Osttimor, das Vorgehen der russischen Regierung
Entführungen trafen immer hochrangigere Opfer. in Tschetschenien mit Stalins Völkermord. Ziel
Im März wurde Generalmajor Gennadij Schipgun einer westlichen Intervention müsse ein UN-Pro-
vom Innenministerium in Grosnyj entführt. tektorat über den Nordkaukasus sein. „Eine derar-
Während sich die Aufmerksamkeit der Welt auf tige Initiative könnte das Problem der Souveränität
den Kosovo richtete, fing Rußland an, Truppen an an den Rand drängen.“
der tschetschenischen Grenze zusammenzuzie-
hen. Herausgeber: Dr. Böttiger Verlags-GmbH
Geschäftsführer: Dr. Helmut Böttiger, Bahnstraße 9a, 65205 Wiesbaden
Im August begannen wahhabitische Guerilla-Trup- Anschrift von Redaktion und Verlag: Bahnstr. 9a, 65205 Wiesbaden,
pen von Tschetschenien aus in Dagestan einzufal- Telefon: 0611/7786100 Fax: 0611/7786118
Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit ausdrücklicher Genehmigung der Redaktion
len. Durch kombinierte Luft-Boden-Operationen gestattet.
der Russen wurden sie wieder vertrieben, worauf- http://www.solidaritaet.com/neuesol e-mail: redaktion@solidaritaet.com

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