Professional Documents
Culture Documents
Zusammenfassung
Die verschiedenen ethischen Überlegungen zur Präimplantationsdiagnostik
(preimplantation genetic diagnosis – PGD) und zwar die normativ-ethischer Art wie
auch die von den absehbaren und möglichen Folgen her – konvergieren sehr
eindeutig zu einer überzeugenden Argumentation gegen jede Form der rechtlichen
Erlaubnis von PGD. Insbesondere gegen die PGD sprechen die mit ihr notwendig
verbundene Bejahung eindeutig negativer Qualitätsurteile (Lebenswert) mit
nachfolgender Selektion, die Infragestellung dessen, dass frühe Embryonen
teilhaben an der Menschenwürde und entsprechenden Menschenrechten sowie die
mit beiden Argumenten begründete Relativierung des Tötungsverbots. Dies eröffnet
eine schiefe Bahn, durch die der Schutz des Lebens der schwächsten Glieder der
Gesellschaft immer mehr untergraben werden kann. Deshalb kann es kein Recht auf
ein "gesundes Kind" mittels PGD geben. Der Regierung und dem Parlament ist daher
aus christlich-ethischer Sicht nachdrücklich zu raten, Regelungen für die PGD nicht
der Standesorganisation der Ärzte zu überlassen, sondern in dem geplanten
"Fortpflanzungsmedizingesetz" so zu regeln, dass jede Form der PGD verboten
wird.2
1 Diese Stellungnahme ist die stark erweiterte Fassung eines Vortrags, den der Verfasser am 25.05.
2000 auf dem vom "Bundesministerium für Gesundheit" in Berlin veranstalteten Symposion
"Fortpflanzungsmedizin in Deutschland" gehalten hat. Auf ausführliche Bezugnahmen auf die
bereits sehr umfangreiche Literatur zur PGD wird hier verzichtet. In dieser Zeitschrift (ZME
45/1999, S.233-244; Lit.) erschien der Beitrag von C. Woopen: Präimplantationsdiagnostik und
selektiver Schwangerschaftsabbruch. Verwiesen sei auf das "Ergänzungsheft" der Zeitschrift
"Ethik in der Medizin" 11(1999) zur Thematik sowie die umfassende Darstellung auch der
internationalen Diskussion durch R. Kollek (2000): Präimplantationsdiagnostik:
Embryonenselektion, weibliche Autonomie und Recht, Tübingen
2 Die katholische und die evangelischen Kirchen Deutschlands haben sich 1997 gemeinsam ebenso
geäußert, wenn auch nicht mit gleicher Eindeutigkeit. Vgl. Kirchenamt der Ev. Kirche in
Deutschland / Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (1997): Wieviel Wissen tut uns gut?
Chancen und Risiken der voraussagenden Medizin. Gemeinsame Texte 11, Hannover / Bonn,
S.23 ff.
Die Bundesärztekammer (BÄK) hat einen Entwurf zur Präimplantationsdiagnostik3
(preimplantation genetic diagnosis – PGD) zur Diskussion vorgelegt, sicher auch um
dadurch auf die bevorstehende Gesetzgebung zur "Fortpflanzungsmedizin" Einfluss
zu nehmen. Danach soll PGD an Embryonen erlaubt werden, wenn das Risiko der
Geburt schwer behinderter Kinder besteht, deren unheilbare Erbkrankheit durch ein
Gen verursacht wird. Inhaltlich schließt sich der Entwurf weitgehend an
Empfehlungen der "Bioethik-Kommission des Landes Rheinland-Pfalz"4 an. In die
gleiche Richtung gehend wurde bereits in dem "Positionspapier der Gesellschaft für
Humangenetik e.V." 5 votiert. Nicht näher bestimmt wird in dem Entwurf der BÄK,
welche Erbkrankheiten als "schwere" einzustufen sind. Als wesentlichstes Argument
für PGD wird angeführt, dass durch sie Frauen bzw. Paaren die belastende Situation
eines Spätaborts nach vorgeburtlicher Diagnostik (PND) erspart werden kann.
Voraussetzung für PGD ist eine künstliche Erzeugung von Embryonen im
Reagenzglas (IVF). Sofern die PGD an totipotenten Zellen (bis zum Achtzellstadium)
durchgeführt wird, ist sie in Deutschland wahrscheinlich nach dem
"Embryonenschutzgesetz" verboten und wird deshalb wegen der unklaren
Rechtslage in Deutschland noch nicht, wohl aber in einigen europäischen Ländern
bereits durchgeführt. Nach dem "Übereinkommen zum Schutz der Menschenrechte
und der Menschenwürde in Hinblick auf die Anwendung von Biologie und Medizin"
des Europarats ist die PGD – einschließlich der zu ihrer Entwicklung nötigen
verbrauchenden Experimente mit frühen Embryonen – erlaubt. Die Bundesregierung
bereitet derzeit ein neues Gesetz zur "Fortpflanzungsmedizin" vor, in dem unter
anderem entschieden werden muss, ob und – wenn ja – unter welchen Bedingungen
PGD erlaubt sein soll.
3 Deutsches Ärzteblatt 97 (2000), A 525-28; als Kommentar dazu vgl. den Aufsatz des für die
Erstellung des Entwurfs federführenden Vorsitzenden der Arbeitsgruppe H. Hepp:
Präimplantationsdiagnostik – medizinische, ethische und rechtliche Aspekte, Deutsches Ärzteblatt
97 (2000), A-1213-1221; von den Mitgliedern der Arbeitsgruppe, die den Entwurf erstellte, hat
sich der katholische Moraltheologie J. Reiter (Bioethik: Selektion noch vor der Schwangerschaft?
in: Herder Korrespondenz 54/2000, S.174 ff.) von dem Entwurf distanziert.
4 P. Caesar (Hrsg.,1999): Präimplantationsdiagnostik. Thesen zu den medizinischen, rechtlichen
und
ethischen Problemstellungen. Ministerium der Justiz Rheinland-Pfalz, Mainz
5 Abgedruckt ZME 42 (1996), S. 326 ff.
geplante Verlagerung des Kinderwunschs ins 4. Lebensjahrzehnt dazu, dass z. B.
zunehmend mehr Frauen auf Grund ganz natürlicher und normaler Gegebenheiten –
wie z. B. unvermeidbarer Eileiterentzündungen – unfruchtbar sind. Derartige
Unfruchtbarkeit kann man nun durch das aufwändige Verfahren der IVF behandeln.
Zugleich bringt die Verlagerung des Kinderwunschs in ein höheres Lebensalter ein
erhöhtes Risiko für Chromosomenanomalien u. a. (z. B. Down Syndrom) und die
dementsprechende Geburt kranker Menschen mit sich, die man nun wiederum durch
PND und eine Spätabtreibung zu verhindern sucht.
Eine Folge dieser neuen Techniken ist, dass die Bereitschaft und Fähigkeit stetig
schwindet, ein unerwünschtes schweres Geschick – wie z. B. Kinderlosigkeit und die
Geburt eines behinderten Kindes – als "Fügung" und Herausforderung an das Leben
anzunehmen und zu tragen. So macht es die PGD möglich, am Wunsch nach einem
"gesunden" Kind festzuhalten, ohne das Risiko der Geburt eines behinderten Kindes
oder die Belastungen eines Spätaborts durchleben und den Anspruch auf gesundes
Kind hinterfragen und aufgeben zu müssen. Die Möglichkeit, ein solches Geschick
medizintechnisch zu verhindern, setzt den psychischen und oft auch den sozialen
und dann allmählich auch den ökonomischen Druck aus sich heraus, sie auch in
Anspruch zu nehmen. Weil aber schicksalhaftes Leiden, Krankheit und Tod immer
unvermeidlich zum Leben gehören werden, ist es für das Gelingen des Lebens
entscheidend, dass Menschen bereit und fähig bleiben, eigenes leidvolles Geschick
auch anzunehmen und zu tragen und das Leid anderer mit zu tragen. Die
Leidensfähigkeit ist, wenn Leben "glücken" soll, ein notwendiger Gegenpol zur
Glücksfähigkeit.
6 Vgl. W. Huber (1996): Gerechtigkeit und Recht. Grundlinien christlicher Rechtsethik, Gütersloh,
Interessen bestimmter gesellschaftlicher Gruppen (z. B. Wissenschaftler) und also
die Individualrechte und die Freiheit der Wissenschaft den Rechten der
Gemeinschaft also nur dann gleichgestellt werden, wenn in ihnen zugleich die Würde
allen Menschenlebens und die grundlegenden Rechte aller Glieder der
Gemeinschaft, insbesondere der schwächsten, geachtet sind.
II. Was ist in ethischer Hinsicht "neu" an der PGD? – Wie ist sie ethisch zu
bewerten ?
1. Einige prinzipielle normativ-ethische Gesichtspunkte
1.1. Was ist primäres Ziel der PGD?
Voraussetzung der PGD ist die "Erzeugung von Embryonen im Reagenzglas" (IVF).
Sie werden ausdrücklich zum Zweck der Diagnose eines möglichen chromosomalen
oder genetischen Defekts erzeugt. Primäres Ziel der PGD ist also die Selektion eines
kranken Embryos. Deshalb macht es ethisch gesehen keinen grundsätzlichen
Unterschied aus, ob die Testung an totipotenten oder nicht mehr totipotenten Zellen
vorgenommen wird, da – wenigstens im Falle eines positiven Befunds – die
Verwerfung (=Tötung durch Unterlassen) kranker Embryonen das Ziel des Tests ist.
Im Entwurf der BÄK zur PGD wird davon ausgegangen, dass das primäre Ziel der
PGD – wie bei der Behandlung einer Sterilität durch IVF – die Ermöglichung einer
Schwangerschaft sei und dass die PGD sowie die Verwerfung eines kranken
Embryos – gemäß der Lehre von der Doppelwirkung einer Handlung – nur die dem
angestrebten Hauptziel (= "Schwangerschaft") untergeordneten und letztlich und um
seinetwillen in Kauf zu nehmenden ungewollten Nebenfolgen seien.7 Da die
erwünschte Schwangerschaft ein sittlich hoch stehendes Gut sei, das zudem noch
Ausdruck einer "autonomen" und daher auch von anderen zu achtenden
Lebensplanung sei, rechtfertige dieses gute Ziel die Inkaufnahme des in sich
moralisch problematischen Mittels der PGD. Selbst wenn man diesen, die Sittlichkeit
einer Handlung primär von den Folgen her beurteilenden ethischen Ansatz teilt, muss
man klar feststellen, dass das Ziel der Handlung nicht die Schwangerschaft (dazu
braucht man keine IVF), sondern ein "gesundes" Kind ist. Um dieses Ziel zu
erreichen, wird zunächst eine gesonderte und eigenständige Handlung, die PGD,
angestrebt und durchgeführt, deren primäres Ziel die Selektion kranker Embryonen
ist. Für den Fall, dass alle Embryonen krank sind, wird dann auch kein Embryo
transferiert und keine Schwangerschaft hergestellt. Die PGD ist also keinesfalls nur
ein ethisch problematisches Mittel zur Herstellung eines guten Zwecks, sondern eine
eigenständige und deshalb ethisch gesondert zu beurteilende medizinische
Behandlung. Es ist berechtigt zu behaupten, dass die IVF als notwendige
Voraussetzung der PGD ein unersetzbares Mittel zum Zweck der PGD ist, aber nicht
umgekehrt, dass die PGD ein notwendiges Mittel zur Herbeiführung einer
Schwangerschaft ist. Es ist also ganz und gar unberechtigt, die PGD als
unvermeidbare Nebenwirkung einer sittlich guten Endhandlung oder eines
angestrebten guten sittlichen Guts so zu behandeln, wie eine Schmerzlinderung bei
todkranken Menschen, die möglicherweise unbeabsichtigt auch die Lebenszeit
verkürzen kann.
S.252ff.
7 So im Namen des "Wissenschaftlichen Beirats der Bundesärztekammer" der Jurist H.-L.
Schreiber:
Von richtigen rechtlichen Voraussetzungen ausgehen. Zur rechtlichen Bewertung der
Präimplantationsdiagnostik, in: Deutsches Ärzteblatt 97(2000), A- 1135 f.
1.2. PGD und vorgeburtliche Diagnostik (PND) – Urteile über den Lebenswert
Die PGD verschärft die durch die PND aufgeworfenen ethischen Probleme. Ethisch
gesehen neu ist an der PND im Vergleich zu anderen medizinischen Methoden, (1)
dass weitgehend Diagnose ohne Therapiemöglichkeit für den diagnostizierten
Menschen selbst betrieben wird, (2) dass die Diagnose dazu herausfordert, ein Urteil
über den Embryo bzw. Fetus zu fällen, von dem dessen Leben oder Tod abhängt.
Die Tötung des Fetus kann moralisch und rechtlich nur dann nicht ausnahmslos
verboten sein, wenn die Fortsetzung der Schwangerschaft oder das Leben mit dem
geborenen Kind eine ernsthafte Bedrohung des Lebens der Mutter darstellt. Damit
wird die Mutter bzw. die Familie und nicht der diagnostizierte Fetus zum
therapeutischen Objekt, was wiederum ein ethisches Novum in der Medizin darstellt.
Da das Kind in der Regel grundsätzlich gewollt ist, sein Leben aber auf Grund seiner
Behinderung für die Mutter bzw. die Familie (und die Gesellschaft) nicht zumutbar
erscheint, bleibt auch bei der PND das Faktum der diagnostizierten Behinderung
ausschlaggebender Grund dafür, den bestehenden Konflikt zwischen dem Leben des
Fetus und den Lebensinteressen der Frau bzw. der Familie durch einen Abbruch der
Schwangerschaft zu beenden. Aber erst bei der PGD wird daraus ein eindeutiges
Urteil über den "Wert" des Lebens eines Kindes.
Ist dieses Urteil bei der PND noch eingebettet in einen bereits auf Grund eines
"natürlichen" Zeugungsgeschehens entstandenen Konflikt zwischen Leben des Fetus
und Lebensinteressen der Frau, so ist dieser Konflikt im Falle von PGD nicht
natürlicherweise und schicksalhaft schon gegeben, sondern er und damit die
Notwendigkeit, ein Lebenswerturteil zu fällen, werden erst durch das bewusste
Handeln von Medizinern in einer extra dafür ausgeführten Handlung herbeigeführt.
Sie sind dafür verantwortlich, auch dann, wenn sie sich nur als "Vollzugsgehilfen" der
Wünsche von Patienten verstehen. Wenn man PGD als eine ethisch und rechtlich
legitime Methode bejaht, muss man zugleich anerkennen, dass damit Urteile über
den Unwert des Lebens und eine Bestreitung des Lebensrechts behinderten Lebens
ethisch und rechtlich gebilligt werden. Aus christlicher Sicht und auch nach dem
Grundgesetz steht keinem Menschen ein derart tödliches Urteil über das Leben
anderer Menschen zu.