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Psychiatrie als Stundenhotel

oder Das forensische Subjekt als Zeitwaise


Autodafe zur Fragmentierung, Stigmatisierung,
Serialisierung im Maßregelvollzug*

Ulrich Kobbe

Zusammenfassung

Die Arbeit behandelt Fragen der Behandlungszeit und des Behandlungsraums im Maßregel-
vollzug unter theoretischen wie praktischen Gesichtspunkten. Im ersten Teil wird die
Notwendigkeit der Anerkennung von Differenz und reflektierten Ausgestaltung differenzier-
ter Therapieangebote herausgearbeitet. Zugleich läßt sich die Gefahr totalisierender
Konzepte mit ihrer Tendenz zur Zerstörung zyklischen Zeiterlebens durch willkürliche
Zeitstrukturierungen moderner Arbeitsteilung aufzeigen.
Teil 2 fokussiert die unterschiedlichen Zeitperspektiven von Straftat, Strafprozeß, Psycho-
therapie und Unterbringung sowie die diskursiven Verhältnisse von Justiz und forensischer
Psychiatrie im imaginären Feld von Institution, Ideologie und Wissenschaft. Im dritten Teil
stellt der Verfasser die institutionellen Auswirkungen einer bürgerinitiativ erwirkten restrik-
tiven Praxis von Lockerungen bzw. Sicherung dar. Er diskutiert die sich aus Stigmatisierung,
Entsubjektivierung und Individualisierung ergebenden Konsequenzen für Patientenselbstbild,
Behandlungsauftrag, Therapiestandards und Rehabilitationschancen.

Schlüsselwörter

„Differenz" - zyklische versus lineare Zeit - „Sicherheit vor Therapie" - Stigma - forensische
Psychiatrie und Politik

Summary

This contribution deals with the questions of length and scope of treatment within the
Implementation of disciplinary measures under their theoretical and practical aspects. In
part one the necessity of recognition of differentiation and the well thougth out planning of
a differentiated ränge of possibilities of treatment is detailed. At the same time the danger
of total concepts with their tendency towards the destruction of the cyclical experiences of
time by way of arbitrary Separation, which modern working-time structures bring about,
can be indicated.
Part two brings into focus the differing perspectives of the offence, the criminal case,
psychotherapy and accomodation, äs well äs the discursive relationship between the
administration of the law and forensic psychiatry in the imaginary field of Institution -
ideology - science. In part three the author presents a factual account of the effects which
a citizens' initiative group had on an Institution which brought about restrictive practices in

WsFPPS.Jg. (1996) H.l


the interest of security. The author discuses the resulting consequences for the self-image lungsraums erörtern. Denn: Wenn innere Realität nur im Spannungsver-
of patients, the task of treatment, Standards of therapy and the de-subjectivation and
individualisation. hältnis zur äußeren Realität konkret wird, Psychotherapie mithin eine
Abgrenzung braucht, ist sie in ihren Grundlagen zugleich „an einem Punkt
Key words and phrases festgemacht, in dem die Gesellschaft der Vernünftigen ihren Grenzpunkt
zieht und damit die gesellschaftliche Ordnung definiert", mit der ausein-
„difference" - cyclical versus linear time „security before therapy" - Stigma - forensic anderzusetzen Psychotherapie genötigt ist (Rogge 1985, 14). Die Arbeit
psychiatry and politics wird sich im dritten Teil daher auf die Auswirkungen einer restriktiven
Ausgangspraxis beziehen, denen zahlreiche Patienten dieser Einrichtung
Resume seit Dezember 1994 ausschließlich deshalb unterworfen sind, weil sie zu
Cette etude s'occupe - sous des aspects theoriques et pratiques - des questions du temps de bestimmten Deliktgruppen gehören.
traitement et de la place qu'il tient dans les institutions de psychiatrie medico-legale. Dans
la premiere partie, il se manifeste la necessite de reconnaitre la differenciation et de develop- Teil l Psychiatrie als Stundenhotel
per d'une maniere reflechie des offres therapeutiques bien differenciees. En meme temps,
il est possible de demontrer le danger emanant des concepts totalisants avec leur tendance
de detruire le vecu du temps cyclique par une structuration arbitraire du temps qui est Zunächst jedoch zu den im Tagungsprogramm benannten Punkten. Einen
symptomatique pour la division du travail moderne. von ihnen markiert der Begriff der „Psychiatrie als Stundenhotel", der hier
La deuxieme partie focalise les differentes perspectives temporelles concernant aussi bien - zugegebenermaßen etwas mißbräuchlich - bei Hardt (1991, 134) entlehnt
le delit, le proces penal, la psychotherapie et l'internement ainsi que les relations discursives wird. Mißbräuchlich, weil der Autor ihn im Zusammenhang einer Dis-
entre la justice et la psychiatrie forenesique dans le domaine imaginaire forme par l'institution,
l'Ideologie et la science. Dans la troisieme partie, l'auteur demontre les effets institutionnels kussion um die Strukturierung und Funktion der Institution, insbesondere
d'une pratique restrictive - obtenue par une association de defence - concernant des ihrer Verwaltung und ihres Trägers, zitierend verwendet. „Es geht hier
assouplissements ou bien l'internement preventif. II s'occupe de la Stigmatisation, de la nicht darum, die Eigenlogik der Ordnungsaufgabe und auch die Eigenlogik
desubjectivation et de l'individualisation tout en discutant les consequences qui en resultent von ökonomischen Gesichtspunkten oder Verwaltungsaufgaben von wirk-
pour l'image de soi du malade, pour le mandat de traitement et les Standards therapeutiques
et enfin pour les possibilites de rehabiliter les malades. lich großen Apparaten in Frage zu stellen. Es ist aber die Frage, ob aus dem
Gegensatz zwischen der Verwaltung einer Institution und der therapeuti-
Mots-cles schen Funktion, die in ihr ausgeübt wird, ein therapeutischer Nutzen zu
ziehen ist. Das können wir, wenn die Institution insgesamt sich als
«difference» - temps cyclique au contraire de temps lineair : - «securite avant therapie» - differenzierter Partner des Patienten versteht" (Hardt 1991, 134).
stigmate - psychiatrie forenesique et la politique
Differenzierung beinhaltet hinsichtlich des Maßregelvollzugs in besonde-
rer Weise, Differenz nicht 'irgendwie' herstellen zu wollen, sondern sie
insbesondere im Alltag zu erkennen, anzuerkennen und reflektiert mit ihr
„Es ist nun einmal so, daß die Wahrheit nicht tolerant sein kann, keine Kompromisse und umzugehen. Denn Differenz zwischen den Individuen ist ursprünglich,
Einschränkungen zuläßt, ..." (Freud 1932, 173)
unhintergehbar und beinhaltet zwangsläufig unterschiedliche Interessen,
Positionen und Möglichkeiten. Gerade Differenz bedingt, daß es äußerst
Einleitung unterschiedliche Diskursebenen gibt und daß es unmöglich ist zu sprechen,
ohne dabei ein Unrecht zu begehen, da die eigenen Diskursregeln von
Tagungen und Vorträge, somit auch diese Arbeit, sind Möglichkeiten, denen der Diskurse, über die man urteilt, abweichen (Lyotard 1983, 9).
inne zu halten und die eigene Praxis zu reflektieren, sie auf den Punkt zu
bringen. Dieser Essay wird allerdings nur in seinen ersten beiden Teilen Damit wird bereits ansatzweise deutlich, was unter 'Differenz' hier zu
die ursprünglich a(n)visierten Fragen der Behandlungszeit und des Behand- verstehen ist: Alltagssprachlich wird sie als - meßbare - Differenz von oder
in etwas aufgefaßt und wird auch hier zum Teil so verwendet. Somit
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definiert sie gewöhnlich zugleich den Nullpunkt der vollkommenen Zeitaspekt der Differenz, zum Vorschein kommt (Descombes 1979, 169).
Übereinstimmung, der genauen Wiederholung. Hier nun kommt sie Damit wird zugleich transparent, daß die Wiederholung sowohl das
zustande, weil beispielsweise der Gegensatz von faktischem Sein und zeitlose Allein-Sein als auch das undifferenzierte All-Eins-Sein des
rechtlichem Sollen zwei gegenwärtige Momente repräsentiert, in denen - Subjekts aufhebt und die in ihr enthaltene „Zeit nicht das Faktum eines
philosophisch betrachtet - „die Gegenwart von sich selbst differiert" isolierten oder einsamen Subjektes, sondern das Verhältnis des Subjektes
(Descombes 1979, 169-171). Sie erhält Bedeutung, weil folglich „die zum anderen" ist (Levinas 1979, 17).
Repräsentation das Präsente nicht mehr vollkommen repräsentiert" und
damit das Wiedererkennen mißlingt, das heißt, weil die Wiederholung Die aus der Differenz heraus erzwungenen institutionellen Differenzierun-
desselben nicht das Selbe ist, sondern nur begrenzte Identität mit ihm gen der Professionalisierung von Berufsgruppen und Qualifizierung von
(Foucault 1973, 39-46). Derrida bringt dieses Prinzip der ursprünglichen Behandlungsmethoden aber laufen Gefahr, ins Gegenteil umzuschlagen.
Verspätung in den Aussagen „Im Anfang war die Wiederholung" (1967, So erlebt man unter Umständen, daß eine verbesserte - weil endlich
168-169) und „Im Anfang war die Repräsentation" (1967, 170) zum Verständnis-, indikations- und interventionsbezogene - Praxis der ver-
Ausdruck, was anhand folgender entwicklungspsychologischer und psych- schiedenen Berufsgruppen zu einer Aufsplitterung des Patientenalltags,
iatrischer Phänomene verdeutlicht werden kann: der Behandlung und mithin wohl auch des Patienten selbst führt. Die
endlich realisierte Ablösung des totalisierenden Stationsalltags, in dem
* Entwicklungspsychologisch lassen sich Differenz als solche und ihr Zusammenhang mit alles irgendwie therapeutisch, dies jedoch kaum expliziert und insofern
Wiederholung und Zeit über die Selbstwahrnehmung im sog. Spiegelstadium begreifen.
Beim Blick in den Spiegel erkennt das Subjekt sich selbst und dennoch ist diese um einen durch jeden mißbrauchbar war, führt unter Umständen zu äußerst
Augen-Blick zeitversetzte Wiederholung im Spiegelbild eine andere Realität des Selben: „Im fragmentierenden Arbeitsorganisationen, die in ihrer konkreten Ausge-
Spiegelstadium erscheint dem, der in den Spiegel blickt, etwas anderes als er, seine staltung keineswegs mehr die für Reintegrations- und Redifferenzierungs-
Differenz, im Bild. Das Bild zeigt seinen eigenen Schritt, der ihn auf der eigenen Spur prozesse des Patienten erforderlichen Übergangssituationen gewährlei-
überholt" (Groenewold 1985, 77). Bei Lacan (1949) wird dies in der Unterscheidung des als
«je» bezeichneten Ich (i.S. des Erkenntnissubjekts des Symbolischen) und des als «mal» stet. Das heißt, es geht um institutionelle Strategien und Diskurse zwischen
bezeichneten Ich (i.S. einer imaginären Instanz des narzißtischen Ich) deutlich (vgl. Kobbe den beiden Polen 'Therapie' und 'Alltag', von denen der eine durch das
1992, 44). Ein-ander erkennen und anerkennen zu sollen, „führt die Form des anderen als Konzept 'Therapie als Alltag' und der andere durch das Konzept 'Alltag
solchen ein, das heißt als eine Reziprozität, denn der eine anerkennt sich nur im anderen und als Therapie' skizziert werden kann (Hildenbrand 1991, 176-178).
entdeckt das ihm eigene Attribut nur in der Äquivalenz der ihnen eigenen Zeit" (Lacan 1966,
115). Das in der Differenz „gemeinsame Maß" werde „durch eine bestimmte Zeit zum
Begreifen" hergestellt: „Dieser Bezug des «ich» auf andere als solche muß in jedem * Wenn Alltag und Wonngruppe pauschal 'Milieu' und damit 'therapeutisch' sind, oder
kritischen Moment verzeitlicht werden, um dialektisch den Moment, die Zeit zum Begreifen * wenn die Psychotherapie als ebenso räumlich-zeitlich getrenntes wie exklusives Nur-
zu schließen, darauf zu reduzieren, nur so lange zu dauern wie der Augen-Blick" (Lacan Angebot funktionalisiert, damit zugleich auf- und abgewertet wird, oder
1966, 119). * wenn die Zusammenarbeit der Behandler primär formalisiert organisiert ist, oder
* wenn sich alle zudem undifferenziert als 'Betreuer' definieren und beschreiben,
* Psychiatrisch-psychologisch werden Paradoxie und Zeitaspekt der Differenz von Original dann wirft dies Fragen auf. Denn: Es ist Illusion zu glauben, man könne im Maßregelvollzug
und Kopie im Erlebnis des «dejä-vu» anschaulich: Die kategoriale Unterscheidung von Jetzt und mit meist frühgestörten Patienten ausschließlich im psychotherapeutischen oder nur im
und Früher fällt fort, da beide im „nunc stans" als Zeitfalte unbeweglicher Gegenwart sozio- und milieutherapeutischen Raum behandeln. Ein solchermaßen entdifferenzierendes
zusammenfallen, es sich um eine erinnernde Wiederholung ohne ursprüngliches Original Konzept spielt zwei komplementäre Therapiebestandteile gegeneinander aus, will Beziehung
und dennoch nicht um eine Erinnerungshalluzination handelt (Frankl 1984, 218-219). nicht leben, sondern nur argumentativ legitimierend beziehungsweise diskriminierend ins
Zugleich findet sich ein alltägliches «dejä-vu», das als - politische/künstlerische/wissen- Spiel bringen und sich die eigenen Größenphantasien bestätigen.
schaftliche - Mode des 'retro' auftritt, insofern paradoxerweise aktuell ist und in der
Wiederholung dazu tendiert, „alle Formen in Ursprungslosigkeit zu verwandeln. ... Gerade Den psychotherapeutischen Raum beispielsweise zu garantieren und zu
die eigene Aktualität bedeutet keine Bezugnahme auf die Gegenwart, sondern eine totale und
schützen, scheint mir ebenso wesentlich, wie zu ermöglichen, daß sich der
unmittelbare Wiederverwertung früherer Formen" (Baudrillard 1976, 134).
Therapeut als phantasmatisches Subjekt anbietet, auf das der Patient seine
Gefühle, Eigenschaften, Phantasien projizieren kann. Sich jedoch nur fern
Dieser Aspekt der Wiederholung wird für die spätere Betrachtung noch
jeder äußeren Lebenswirklichkeit dieses Patienten aufhalten zu wollen, ist
Bedeutung haben, da in der Wiederholung die Ungleichzeitigkeit, d.h. der
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ebenso blutarm und 'kopfgesteuert' wieder Versuch, den Psychotherapeu- nicht genau. - Lineare Zeit hingegen sei dadurch gekennzeichnet, daß sie
ten komplett aus dem Wohngruppen- oder Stationsalltag zu evakuieren. sowohl kontinuierlich als auch diskontinuierlich sei: Als Kontinuum
Hier also stellt sich die Frage, ob das Inter-esse und die Inter-vention des beginne sie an einem Nullpunkt und wachse sie bis ins Unendliche, zerfalle
Psychotherapeuten als Dazwischentreten und Eindringen in den Alltags- hierbei jedoch in willkürlich gesetzte Zeitstücke und sei damit diskontinu-
raum inszeniert und empfunden werden oder ob er dort erwünscht ist, ja ierlich (Kleinspehn 1975, 84-85).
hineingewünscht wird, sodaß Einbeziehung und Hineinkommen möglich
und therapeutisch werden. Denn es braucht das Begehren des anderen als Bei Lefebvre wird diese zunehmende Zerstörung der zyklischen Zeit als
Antwort auf das eigene Begehren, um eine wirkliche Begegnung möglich Charakteristikum und Grundbedingung von Herrschaft, von entfremden-
und fruchtbar zu machen. den Lebensbedingungen und insbesondere Arbeitsprozessen ausgearbei-
tet: Zeit werde verräumlicht und statisch, der Mensch gerate zur Verkör-
Dieses Begehren aber kann nur durch das Wahrnehmen eines Mangels als perung der Zeit. Dennoch gibt es auch bei ihm eine Interferenz von
Zulassen der Wahrnehmung einer Differenz zwischen den Individuen zyklischer und linearer Zeit. Zwar sei der natürliche Rhythmus von Arbeit
bewußt werden. Hierfür jedoch müssen die egalitär-nivellierenden An- und Muße durch die willkürliche Zeitstruktur der Trennung von Arbeits-
sprüche der 'Betreuer' mitsamt ihrer narzißtisch-ozeanischen Bedürfnisse zeit und Freizeit zerstört, doch enthalte diese Freizeit auch in ihrer
aufgegeben werden, um Differenz, Mangel und Begehren realisieren zu beliebigen Setzung immer noch Elemente zyklischer Zeit (Kleinspehn
können, denn: „Das Selbe ist nur das Selbe, wenn es sich vom Anderen 1975, 85).
affizieren läßt" (Derrida 1967, 142). Aufgegeben werden müssen aller-
dings auch in ihrer - vermeintlichen - Exklusivität abwertende Ausgrenzung Eine solche Kritik des Alltags enthält zugleich und insbesondere einen „Appell an das
und polarisierende Abgrenzung, weil sie Selbstidentität nicht durch die Mögliche", das in ihm enthalten ist. Wie bei Lefebvre geht es also auch für uns darum, „die
dialektische Bewegung zwischen Möglichem und Unmöglichem, zwischen Erworbenem und
bejahende Differenz komplementärer Identitäten zu garantieren sucht, Virtuellem zu erforschen" (Kleinspehn 1975, 92). In dieser Rückbezüglichkeit ist dem
sondern durch den verneinenden Gegensatz von Gegnern herzustellen Konzept der Diskontinuität und Differenz ein Zeitfaktor eigen (Lyotard 1990, 151), der die
trachtet (vgl. Descombes 1979, 197). Die Spannung zwischen dem diskontinuierliche Reihung von kriminellem Vor-Fall an Vor-Fall oder sozialem Un-Fall an
Begehren nach Eins-Sein und dem Begehren nach Differenz findet sich Un-Fall als Zu-Fall beschreibt (vgl. Lyotard 1990, 159 Fn 3). Damit tritt die Wiederholung
als zentrales Moment des Alltags zutage, in dem sich lineare und zyklische Zeit überlagern.
also als Verschmelzungswunsch oder Negierungstendenz wieder und
bedarf der 'Versprachlichung', d.h. des Herstellens einer sprachlichen
Für den Alltag des Maßregelvollzugs wäre also danach zu fragen, wie sehr
Beziehung, in der trennende wie verbindende Differenzierungen mög-
der Alltag und damit auch der Patient selbst in seiner Zeitstruktur
lich sind.
parzelliert, hierdurch eine Wiederholung eingeführt und erzwungen wird,
die - so Lefebvre - „nicht in einen Rhythmus integriert ist und oft auch gar
Was den sozio- und milieutherapeutischen Raum betrifft, der wohl
nicht integriert werden kann" (Kleinspehn 1975, 85). Wenn Ferenczi
weitgehend mit dem reduzierten Lebensraum des Patienten identisch ist,
(1930, 219-220) notiert, jeder Anpassung als „Konsolidierung", jeder
so laufen professionalisicrte Konzepte Gefahr, in Bevormundung und
Integrationsleistung gehe „ein gehemmter Zersplitterungsversuch vor-
Tolalisierung umzuschlagen (Kobbe 1989). Denn gerade mit der drasti-
aus", wäre folglich danach zu fragen, in welcher Weise wir es unseren
schen Begrenzung des Raumes ist eine lineare Zeit, das heißt die
Patienten ermöglichen, Differenz zu erleben, zu ertragen, insbesondere
Abschaffung der zyklischen Zeit, verbunden. Lefebvre (1947, 52ff.)
aber zu integrieren. Das heißt, „das Leben innerhalb der Anstalt muß über
beschreibt, die natürliche, ursprüngliche zyklische Zeit sei durch - wir
eine äußere und innere Einheit verfügen", damit - so Bettelheim (1978,
würden sagen - Merkmale der Differenz geprägt: Als zyklische Zeit fange
226) - „die Spaltungen und Widersprüche im Inneren des Patienten geheilt
sie nirgends an und höre sie nirgends auf, jeder Zyklus gehe aus einem
und die Unstimmigkeiten zwischen ihm und der Welt aufgelöst werden
anderen hervor, sei in gewisser Weise zugleich dessen Wiederholung, die
können". Denn: „Der Alltag betreibt" - so Laermann (1975, 97) - „an
dem Rhythmus des eigenen Körpers untergeordnet sei. Kein Zyklus jedoch
dem, was er ritualisiert oder verdrängt, Mimikry", da die Wiederholung
wiederhole sich daher genau wie der vorhergehende, reproduziere sich
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wesentlich der Sicherung gesellschaftlicher Kontinuität i.S. eines dere das Ende der Psychotherapiestunde dürfe - so Lacan (1953,90) - nicht
Kooperationsdrucks (Abfolge von Tätigkeiten, Arbeitszeiten) bzw. einer zum „rein chronometrischen Anhaltspunkt" geraten, sondern müsse aus
konventionalisierten Form intersubjektiven Zwangs (Termine, Pünktlich- der „üblichen Routine befreit" werden, um ein therapeutisch indiziertes
keit) dient. Eingreifen in die „kausalistische" Linearität der psychotherapeutischen
Diskurse zu ermöglichen. Damit stellen Therapie'stunden', die eben keine
Die Antwort auf derart idealistische Maximalforderungen riskiert, zum Zeit'stunden', sondern zeitstrukturierte Orte der partiellen Regression
Entwurf einer starren Programmatik des „inszenierten" Alltags, zum sind, einen Bruch im Alltagsleben und insofern Grenzsituationen dar: Sie
Alltag als „Umschlagstelle der therapeutischen Inszenierung in routiniert- „eröffnen, indem sie sich vom routinisierten Gerede abheben, Reflexions-
milieuhafte Lebensweisen" zu geraten" (Brücher 1988,76). Zweifelsohne möglichkeiten", bestenfalls auch „Diskurszyklen" (Alheit 1983, 55-56)
kann ein solchermaßen aus therapeutischen Gründen veranstaltetes Milieu als Einsprengsel zyklischer Zeitstruktur. Dieser Widerspruch konstituiert
schon auf Beziehungs- und Inhaltsebenen gerade kein Milieu im eigentli- das therapeutisch wirksame Feld des Alltags im Maßregelvollzug und ist
chen Sinne mehr sein. Aber auch in seinem Timing, seiner vorgeplanten mit Lefebvre (1947, 71) „genau der Ort der dialektischen Bewegung von
Zeitstruktur fragmentiert totale Milieutherapie unter Einschlußbedingungen Entfremdung und Kampf gegen Entfremdung", denn immerhin gehört die
jedes Erleben. Keineswegs erstaunlich und in gewisser Weise beruhigend, Befristung der Zeit - ebenso wie Sequenzierung und Stückelung - zu den
daß sich durch verselbständigende Alltagsroutinen sowie durch Unterlau- direkten Formen alltäglicher, hier: therapeutischer Machtausübung
fen der therapeutischen Praxen 'neben' oder 'unterhalb' dieses künstlichen (Laermann 1975, 98).
Milieus ein anderes Milieu als - wie Goffman (1961, 202-289) es nennt -
„Unterleben der Klinik" etabliert. Eine solche Auseinandersetzung mit der inneren und äußeren Realität
bedarf der Zeit. Aktuell werden gerade die psychagogisch-pädagogischen
Daß sich diese Zeitstruktur durchsetzt, liegt u.a. in der Wiederholung begründet, an der auch und psychotherapeutischen Konzepte auf ihre 'Ökonomie' und 'Rentabi-
Alltag eine seiner Grenzen hat: „Atmen, Essen, Schlafen und andere Körperfunktionen lität' hin befragt, sodaß ihnen der Begriff der 'verlorenen' Zeit nicht mehr
wiederholen sich zwar auch, sind aber nicht eigentlich alltäglich. Denn sie werden nicht
unmittelbar in die lineare Zeit hineingezwungen wie die Arbeitskraft, sondern bleiben einer eigen ist. Gerade die Qualität der therapeutischen Beziehung jedoch werde
zyklischen Zeiterfahrung zugeordnet. Sie sind Grundlage der psychischen Zeit, die von der - so Mannoni (1976, 228) - von einer Beziehungsbereitschaft ausgemacht,
des Alltags abweicht" (Laermann 1975, 97). Brücher (1988, 76) konstatiert hierzu: „Damit die aus gemeinsam 'verlorener' Zeit gewoben sei («cette disponibilite
hat sich ein Milieu restituiert, das von den Strategen der Milieutherapie gerade nicht tissee avec le 'tempsperdu'»). Doch diese verlorene Zeit der Gegenwart
kalkuliert werden kann ... Insofern Milieutherapie also meint, das gesamte Feld des Lebens
in der Institution gestalten zu können, unterliegt sie einem grundsätzlichen Irrtum. Dieser ist erweist sich später als die 'gewonnene' Zeit der Zukunft (Kobbe 1992,54).
bedeutsam, weil das 'echte' Milieu einen entscheidenden Einfluß auf das Therapieergebnis Dieses Postulat bezieht sich auf die von Winnicott konzeptionell ausgear-
haben dürfte und eine therapeutische Institution sich also fragen muß, welche Rahmenbedin- beiteten Spiele mit Übergangsobjekten im Übergangsraum und ist analog
gungen sie abgibt für die Konstitution eines solchen Milieus."
zur folgenden Aussage Neills (1965, 77) zur Kinderzeit zu verstehen:
„Wie verhalten wir Erwachsenen uns eigentlich zu der Tatsache, daß
Wie janusköpfig unsere therapeutischen Interventionen sind, wird damit Kindheit Spielzeit ist? Wir ignorieren sie. Wir verschwenden gar keinen
sowohl für die alltagsbezogenen Reflektionsgespräche von Pfleger und Gedanken daran, weil für uns Spielen Zeitvergeudung bedeutet." Ähnli-
Patient wie die Behandlungsstunden von Psychotherapeut und Patient ches widerfährt der Psychotherapie im Gesundheitswesen und im Maßregel-
deutlich: Beide sind willkürlich gesetzte, bestenfalls vereinbarte Zäsuren vollzug: Die Effizienzerwartung und -Verpflichtung riskiert, daß die
im Alltagshandeln und insofern den ohnehin linearen Zeitcharakter des therapeutische Beziehung zur reaktiv Erfolg erzwingenden Dressur dege-
Anstaltslebens verstärkend. Andererseits eröffnen insbesondere Psycho- neriert, in der die fixe Idee des Zeitverlustes kultiviert wird (Mannoni
therapiesequenzen Diskursmöglichkeiten, in denen das Vertraute in Frage
1976, 229).
gestellt und eine sinnvolle Antwort entwickelt werden kann. Denn jenseits
des inhaltlichen Sprechens gibt erst die zeitliche Skandierung als „glück-
liche Zeichensetzung... dem Diskurs des Subjekts seinen Sinn". Insbeson-

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Teil 2 Zeitweisen: Wem die Stunde schlägt In die Dynamik dieses Dialogs hinein ragt die Tat als irritierend-störendes
Moment, als zunächst oft ausgeklammerter, meist nur oberflächlich
Was also kann dann die Bedeutung psychotherapeutischer Interventionen abgehandelter Situation, die vom Täter, der jetzt Patient ist, anders erlebt
bei psychisch kranken/persönlichkeitsgestörten Straftätern im Maßregel- wurde und erinnert wird als dies Prozeßakten und Urteil darstellen und
vollzug sein? Für den Bereich des Strafrechts, der mit Strafprozeß und belegen. Ihr Störcharakter ist sowohl in der Scham-Schuld-Dynamik und
Urteil den späteren Behandlungen vorausgeht, fordern Schorsch und den korrespondierenden Abwehranstrengungen des Patienten begründet
Becker (1977,21), Inder Gerichtsverhandlung solle neben der Be'weisauf- als auch in der impliziten wie expliziten Aufgabe des Therapeuten, die Tat
nahme „dem Anspruch genüge getan werden, zu begreifen, über wen müsse aufgearbeitet werden. Hier drohen sich Selbstbestrafungs- und
gerichtet und geurteilt wird. Das beinhaltet ein Bemühen, die Persönlichkeits- Selbstüberforderungstendenzen in unter Umständen fataler Weise mit
entwicklung, die Rolle und Funktion der Straftat in dieser Entwicklung zu Helfer- und delegierten Racheimpulse zu verhaken: Wir kennen alle die
verstehen". Würde sich das Gericht tatsächlich „ernsthaft und nicht nur Verführung des frühgestörten Patienten, relativ zu Anfang der Therapie
äußerlich" auf diesen Versuch einlassen, es würde - so Jakobs (1983, sein Delikt zu thematisieren und zur Bearbeitung anzubieten, und die
22) - in der Komplexität des hereinbrechenden Materials ersticken. Versuchung des Therapeuten, hierauf interessiert und intensiv einzugehen
- eine Beziehungsfalle, aus der nur allzu schnell eine sadomasochistische
Zugleich folgt eine derartige Beschränkung einer diskursiven Logik der Identität des Täters Dynamik entspringt, in der der bemühte Therapeut zum irritierten
von früher mit dem heute vor Gericht stehendem Subjekt, sprich der juristischen Konstitu- Verfolger und der Patient zum defensiv bis panikartig agierenden Verfolg-
ierung eines im Zeitkontinuum selbstidentischen Rechtssubjekts (Ladeur 1978). Einmal gibt
es die Dimension der moralischen 'Monster' und 'Bestien' (Föster 1984), die aus dem ten wird. Denn: „ Wie invasiv-verletzend wirkt unter Umständen schon die
Gesellschaftsvertrag herausfallen, und andererseits die des Rechtssubjekts, das via Bestra- Frage nach dem Einweisungsdelikt? Und als wie psychochirurgisch wird
fung bzw. freiheitsentziehender Maßregel, via Behandlung und Rehabilitation wieder dann erst recht das Diktat der sog. Deliktbearbeitung, der sog. Aufarbei-
eingebürgert wird. Im Maßregelvollzug laufen - autorisiert durch die „wissenschaftlichen tung der Tat empfunden, erinnert es doch an den aufklärerischen Parforce-
Wahrheiten" von Medizin, Psychologie und Kriminologie - diese beiden Dimensionen in der
Person des 'Delinquenten' offensichtlich zusammen, werden 'Monster' und Rechtssubjekt Ritt des Psychotherapeuten als 'agent provocateur'" (Kobbe 1991, 149).
beinahe eins (Foucault 1975, 329). Methodisch und behandlungsstrategisch stellt sich also die Frage nach dem
'richtigen' Zeitpunkt einer solchen Intervention.
Dies hat insbesondere für die Zeitperspektive in der Behandlung Bedeu-
tung. Für das Strafrecht stellt Jakobs (1983, 22) fest, dort habe der Täter Eine weitere Frage betrifft die auf das psychotherapeutische Feld einwirkenden Faktoren.
'Besserung' und 'Sicherung' sind zweifelsohne als tief in die gesellschaftliche Realität
als Subjekt nur eine „kümmerliche zeitliche Dimension; er entsteht mit
verstrickt zu begreifen. Für die Behandlungspraxis sahen wir bereits die Konzentrierung
dem Tatbeginn ... aus dem individuellen und sozialen Nichts und ver- juristischer wie gesellschaftlicher Aufmerksamkeit auf die Tat bzw. die zu behandelnde
schwindet darin nach Ablauf des strafbaren Verhaltens. Für diesen Psyche des Rechtsbrechers: Diese tendenziell ahistorische Verschiebung der Aufmerksam-
Moment, notfalls nur für Sekunden, braucht das Strafrecht einen Täter als keit läßt sich auch als Verschiebung der Vor-Urteilsstruktur in der Gesellschaft selbst
beschreiben. „Um es ganz unverhüllt auszusprechen: die individuelle Psyche erfordert
Subjekt und fragt nach Vorsatz, Fahrlässigkeit und Schuld. Mehr als ein Aufmerksamkeit gerade darum, weil sie sich in einem Prozeß der Zersplitterung und
Schatten auf der Maßfläche der Normen kommt dabei nicht heraus." Verkrustung befindet; die lebendige Substanz - das, was wir Individuum nennen - beginnt
sich zu verhärten" (Jacoby 1975, 16), was nun im letzten Teil dieser Arbeit focussiert werden
Anders im psychotherapeutischen Denken: Diesen Diskursen sind die soll.
Herleitung oder Verknüpfung lebensgeschichtlicher Erfahrungen und
Ereignisse als entsprechend lange zeitliche Dimension des Selben, des Für das Verhältnis von Justiz und Maßregelvollzug ließ sich bereits
zwar gleichen und dennoch im Entwicklungsprozeß nicht mehr ein- erkennen (Kobbe 1994a; b), daß es sich immer gleichzeitig um Ideologie
hundertprozentig identischen Subjekts vertraut. Jede Anamnese, jede und Institution handelt, wobei die Ideologie - so Sartre (1975, 38) - nichts
Psychotherapie enthält auch die Erinnerung von Lebensereignissen als anderes sei, als die Übersetzung der Institution auf eine andere Ebene.
biographische Spurensuche, als aktive Rekonstruktion gelebter Zeit und Folgt man bei der gleichzeitigen Klärung des Verhältnisses von Wissen-
gleichzeitige Umschreibung der eigenen Erinnerung. schaft und Ideologie der Argumentation Althussers (1965), so sind beide

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Diskurse authentische Effekte menschlicher Erkenntnis mit dem einen durch einen ihrer Patienten seit September 1994 unterschiedlichste Inter-
Unterschied, „daß in der «Ideologie» die praktisch-soziale Funktion über ventionen von Seiten der Öffentlichkeit. Nie aber bleiben „von außen
die theoretische Funktion triumphiert" (Schiwy 1969, 76), weil Ideologie induzierte Angst und Druck ... ohne Folgen für das 'innere Klima' und die
lediglich die unbewußte Struktur einer sozialen Totalität reflektiert bzw. 'therapeutische Grundhaltung'. Andererseits wiederum stellen Klima und
repräsentiert. Zur Seite der Institution hin konstatiert Foucault (1978, 20), 'Grundhaltung' Bedingung und Voraussetzung einer therapeutischen Ar-
für den „Machtexzeß" der gesellschaftlichen Institutionen sei in Deutsch- beit im eigentlichen Sinne dar" (Rogge 1985, 8). Als konkretes und daher
land eine historisch bedingte gleichzeitige „Zugehörigkeit der Universitä- direkt erlebtes Resultat dieser An- und Eingriffe wurde der Institution von
ten zur Wissenschaft und zu den administrativen und staatlichen Struktu- außen ein Ausgangskonzept übergestülpt, das für Psychotherapie und
ren" verantwortlich.- Jede Untersuchung der forensischen Psychiatrie und Patienten fatale Folgen hat. Unter dem Motto 'Sicherheit vor Therapie'
Psychologie (Kobbe 1994a; b) muß folglich diese gesellschaftliche Verödung wurde von Bürgern durchgesetzt, daß alle Patienten mit Sexual- und
vornehmen und sich zugleich ernsthaft in die Subjektivität der Individuen Tötungsdelikten - unabhängig vom Stand ihrer Therapie und ihrer Progno-
vertiefen (Dimmek & Kobbe 1995; Kobbe 1995b). se - innerhalb des Ortes Eickelborn keinerlei unbegleiteten Ausgang mehr
haben und begleitete Ausgänge nur in l: l-Begleitung stattfinden. Beglei-
„Diese Ernsthaftigkeit hilft verstehen, in welchem Ausmaß die vorherrschende Subjektivität tete Gruppen- und unbegleitete Einzelausgänge können seit Mitte 1994
verwundet oder verstümmelt ist; ein solches Verständnis bedeutet, sich in die Subjektivität auch nicht einmal mehr in den nahegelegenen Städten Lippstadt oder Soest
zu versenken - nicht, um ihre Tiefen und Abgründe zu verherrlichen, sondern um ihre verwirklicht werden, sondern ausschließlich in der jeweiligen Heimat-
Beschädigung zu ermessen; es bedeutet, die objektiven gesellschaftlichen Konfigurationen
herauszufinden, die das Subjekt unterdrücken oder überwältigen. Nur auf diese Weise kann bzw. Entlassungsregion nach l: l-begleitetem Transfer dorthin.
Subjektivität erfaßt werden; indem man versteht, in welchem Ausmaß sie heute objektiv
verkümmert ist" (Jacoby 1975, 21). „Gibt es nicht genug Vergesellschaftung, im Individuellen das Andere zu
erzwingen?", ist man mit Sigusch (1980, 10) versucht zu fragen. Denn
Folgt man dieser definitorischen Skizze, so finden sich Patient wie Prävention und Kontrolle verhindern keineswegs ein zufälliges, sprich
Therapeut alltäglich in einem Trieder, einem politischen - d.h. imaginären schicksalhaftes Eintreffen einer Straftat: „Die bestehende Ordnung und
- Kraftfeld aus Institution, Ideologie und Wissenschaft gefangen (Kobbe der Zufall sind gewissermaßen dasselbe. Der Zufall ist unausweichlich.
1995c), da die sozialen Konstruktionen „das imaginäre Verhältnis der Krimineller Fall und Zufall entspringen der gleichen Faktorenebene" und
Individuen zu ihren wirklichen Existenzbedingungen" repräsentieren sind prinzipiell nicht vorhersagbar (Heinze 1992, 49).
(Althusser 1970, 147). „Stammt das Soziale mit seinen Institutionen,
seinen universellen Formen, seinen Gesetzen daher, daß man die Folgen CHORFÜHRER Feuergefährlich ist viel,
Aber nicht alles, was feuert, ist Schicksal,
des Krieges zwischen den Menschen limitiert hat oder daß man die
Unabwendbares. **
Unendlichkeit limitiert hat, die sich in der ethischen Beziehung zwischen
Mensch und Mensch eröffnet?", fragt Levinas (1982, 62) hinsichtlich der
Bei dieser Definition einer - potentiell/vermeintlich - permanent gefähr-
Totalität von Erfahrung und Unendlichkeit der Zukunft.
lichen Tätergruppe „handelt es sich um Weisen der Wahrnehmung, der
Beschreibung, der Punktuierungdessen, was sich insgesamt als Beziehungs-
realität bezeichnen läßt" (Stierlin 1992, 111), sodaß die Benennung selbst
bereits eine „Strategie zur Härtung der Realität (bzw. dessen, was uns als
Teil 3 Zeitwaisen: Von allen guten Geistern verlassen?
Realität anmutet)" darstellt. Denn nunmehr wird versucht, den antizipier-
ten Fall durch Subjektivierung und Individualisierung „auf eine einzigar-
Damit kommt diese Arbeit auf einen Aspekt des Themas zu sprechen, der
tige biographische Konstellation" zurückzuführen und als Un-Fall dadurch
bei Entwurf des Vortragsessays zur Fragmentierung des Subjekts (Kobbe kalkulierbarer zu machen, daß er „als etwas aus dem gewöhnlichen Gang
1995a) nicht geplant war. 1 Patienten wie Mitarbeiter erleben seit der
der Dinge Ab-Gesondertes (damit wird er übrigens auch zum Ab-fall des
Vergewaltigung und Tötung eines 7-jährigen Mädchens im Ort Eickelborn

128 WsFPPSJg. (1996) H . l WsFPP3.Jg. (1996) H. l


129
Sozialen)" aus interaktioneller und gesellschaftlicher Kausalität herausge- (Goffman 1963,14) zugrunde liegt.2 Begründet ist dies in einer Merkmals-
löst wird (Heinze 1992, 49). überschneidung von 'Gewalttätigkeit' und 'psychischer Krankheit' (Wernz
1993, 122 Fn 33):
Diese Strategien zur 'Härtung' der prinzipiellen 'Weichheit' unserer Beziehungswirklichkeit * Gewalttätigkeit ist unberechenbar und äußerst durchsetzungsfähig;
umfassen
* psychische Krankheit ist unberechenbar und äußerst durchsetzungsfähig;
* eine bewußte wie unbewußte Filterung der Selbst- und Fremdwahrnehmung;
* ein „Ding-fest-machen" durch Konstituierung einer konstanten Persönlichkeit bzw. eines * einer derart „langlebigen Vorstellung" liegt damit ein ,,'projektiver'
zeitüberdauernd selbstidentischen Subjekts, eines im Grunde gleich bleibenden Charak- Syllogismus" zugrunde, bei dem sowohl ein psychisch Kranker als
ters, eines unwandelbaren Selbst usw.; potentiell gewalttätig phantasiert wird wie Gewalttätigkeit insbesondere
* die Legitimierung von Realität, Unvergänglichkeit und Objektivität im Rückgriff auf
Ausdruck von psychischer Krankheit zu sein scheint.
unbezweifelbare Werte und Prinzipien" (Stierlin 1992, 115);
* die Anwendung der binären - aristotelischen - Logik des Entweder-Oder, „um das, was
wir als wahr, real, objektiv festschreiben, noch einmal zu 'härten'" (Stierlin 1992, 112- CHORFÜHRER Klug ist und Herr über manche Gefahr,
113). Wenn er bedenkt, was er sieht, der Mensch,
Aufmerksamen Geistes vernimmt er Zeichen des Unheils
Zeitig genug, wenn er will. **
Diese Strategien sind der Versuch, den Störfaktor 'Zeit' zu eliminieren,
gelebte und ablaufende/verrinnende Zeit aufzuheben und den Zeitstrom
Diese Reduktion des psychisch kranken Straftäters auf (s)ein Unterbring-
einzufrieren. Dies muß - Stierlin (1992,117) zufolge - insbesondere wegen
ungsdelikt stützt sich als prognostisches 'Kriterium' demzufolge keines-
der Vernachlässigung des jeweiligen sprachlichen, kommunikativen und
wegs „auf ein wissenschaftliches Wissen, sondern eher auf ein Nicht-
sozialen Kontextes zur Unterstellung einer unangemessenen Konkretheit
Wissen, auf eine von vornherein auf einen 'Mythos' reduzierte Wissen-
(„fallacy ofmisplaced concreteness") und zu sich daher „im Endeffekt oft
schaft: man kennt die Beispiele des Rassismus, der auf einer Pseudo-
tragisch auswirkenden Kausalitätsvorstellungen und damit einhergehen- Genetik beruht, oder eines politischen Pragmatismus, der sich auf eine
den Schuldzuweisungen" führen.
lamarckistisch deformierte Biologie beruft" (Mouloud 1978, 49). Denn:
„Ob es den Sexualtäter überhaupt gibt, was eigentlich eine Straftat
CHOR Nimmer verdient,
Schicksal ZK heißen, bloß weil er geschehen: kennzeichnet - das und anderes muß dahingestellt bleiben. ... Von der
Der Blödsinn, der nimmerzulöschende eins/!** Tatausführung, der Person des Täters, der des Opfers oder der Zahl der
Opfer her wird 'die Bestie' dekretiert, das 'Tier in Menschengestalt', und
Hier soll nicht weiter darauf eingegangen werden, daß 'Sicherheit' nur allemal haben die Bestie und das Tier in Menschengestalt im sexuellen
durch qualifizierte und sorgfältige Prognosestellungen kalkuliert, nicht Bereich getobt" (Mauz 1979, 211). Ein derartig undifferenziertes Vorge-
jedoch durch eine „forensische Bannmeile" hergestellt werden kann. hen jedoch löst alle Voraussetzungen einer therapeutischen Reintegration
Einzugehen ist aber auf die Auswirkungen in der Institution, denn „die des aus dem Gesellschaftsvertrag herausgefallenen Subjekts auf, da der
Politik muß" - schreibt Levinas (1982, 63) - „in der Tat immer von der hierfür erforderliche „Schutz" (!) der Medizin, der Psychologie und der
Ethik aus kontrollierbar und kritisierbar bleiben." Und weiter: „Innerhalb Kriminologie (Foucault 1975, 329) nicht mehr garantiert ist.
der als Verantwortlichkeit verstandenen Ethik wird der eigentliche Knoten
des Subjektiven geknüpft" (Levinas 1982, 72), wobei Volkes affektive Diese Reduzierung entspricht zugleich einer „Serialisierung" (Sartre)3,
Logik jeden Patienten auf eine Straftat, auf ein Delikt als quasi bei der eine Vielfalt von Eigenschaften und Vielzahl von Personen zur
unveränderbarer Persönlichkeitseigenschaft reduziert, sodaß Diskrepan- Isolierung jedes Einzelnen negiert und von ihm „als seine negative
zen von „aktualer" und „virtualer sozialer Identität" (Goffman) induziert Struktur" erfahren wird: „Ich habe mit dir nichts zu tun" (Laing 1964,
werden. Das Stereotyp des gemeingefährlichen und unberechenbaren 110). Mit dieser Konstituierung eines gemeinsamen Objekts 'Sexual-
psychisch Kranken gerät hier zum griffigen und jederzeit verfügbaren straftäter' entstehen „serielle Verhaltensweisen, serielle Gefühle, serielle
Stigma, dem eine die Gefährdung zwar nur behauptende Ideologie, jedoch Gedanken. Die Serie ist eine Seinsweise von Individuen - eine Seinsweise,
im Rückgriff auf Einzelfälle vermeintlich beweisende „Stigma-Theorie" die die seriellen Individuen in all ihren Strukturen verwandelt" (Laing
130 WsFPP3Jg. (1996) II. l WsFPP3.Jg. (1996) H . l 131
1964,111). Daß es den Triebtäter, den Sexualstraftäter nicht gibt, sondern gefährlich ist: Bei positiver Prognose hakt sie ein zweites Mal nach und
nur Individuen, die auf dem Hintergrund äußerst differenter Lebenserfah- klassifiziert aufs Neue nach gänzlich anderen Gesichtspunkten, um eine
rungen und aufgrund unterschiedlicher Störungs- und Krankheitsprozesse von außen erzwungene Verteilung unbegleiteter Ausgänge vorzunehmen.
ebenso verschiedene (z.B. heterosexuelle, homosexuelle, pädophile) Dies hat - so Goffman (1963, 30) - „den Effekt, dieses Individuum von der
Sexualstraftaten begangen haben, ist allgemein bekannt. Gesellschaft und von sich selbst zu trennen, so daß es dasteht als eine
diskreditierte Person angesichts einer sie nicht akzeptierenden Welt".
Im übrigen folgt die Etikettierung als „Trieb" tater einem äußerst naiven, vorwissenschaftlichen
Hydraulik- und Staudamm-Model! - männlich-genitalfixierter - Sexualität mit Trieb"druck", Immerhin ist innerhalb des Ortes jeder Patient in l: 1-Begleitung entweder ohne weiteres als
Trieb"stau", Trieb"durchbruch" usw., das die Modellvorstellungen der komplexen Bezie- Sexual- oder Tötungsdelinquent demaskiert oder aber er hat noch keine weitergehenden
hungen von Trieb und Sexualität schlicht ignoriert (Morgenthaler 1985). Dies ist wenig
Lockerungen, weil er noch am Anfang der Therapie steht, und wird somit ohne es zu sein,
verwunderlich: Nach wie vor folgen Stereotype den Dichotomien von 'normal' versus
sprich zu Unrecht, als Sexual- oder Tötungsdelinquent stigmatisiert. So oder so ist ihm die
'anormal', stellt sich „die Dummheit einer ganzen Welt ... das Geschlechtsleben als eine
sonst gegebene Möglichkeit genommen, seine soziale und persönliche Identität dadurch zu
Sache der Einteilung oder als geradlinige Resultate ethischer Entschließungen vor" (Kraus managen, daß er bestimmte Teile seiner Biographie offenbart und insofern eine relative
1907, 304) und entspricht „das Reflexionsniveau des Alltagswissens" über Sinnzusammen-
Anonymität möglich wäre.
hänge der Sexualität (Kobbe 1988) „etwa dem der Bauernregeln über das Wetter" (Lautmann
1987, 26).
Wie ersichtlich, heben sich hier erzwungene Differenzierung und Nicht-
Die vorgenommene Reduzierung bedeutet in Anlehnung an Sartre und unterscheidbarkeit auf, was zunächst zu Lasten des Patienten zu gehen
Laing4, daß der Sexualstraftäter, der Mörder, der Brandstifter nicht nur scheint. Zugleichjedoch schlägt die so vermeintlich hergestellte Sicherheit
gedankliche Verkürzungen sind, sondern zu von einer seriellen Gruppe tautologisch in die Autosuggestion virulenter Gefährlichkeit und perma-
(den Bürgern) angenommenen und sie (als e.V.) vereinenden einheitlichen nenter Gefährdung um. Das heißt, die Bürgerforderung, 'Alle Sexual-
Objekten werden. Der Sexualstraftäter ist nicht nur Typus, sondern das straftäter müssen begleitet werden, weil sie gefährlich sind', verkehrt sich
ständige abgespaltene Selbe im Anderen. „Anders ausgedrückt: Die Glie- in die Schlußfolgerung 'Wer begleitet wird, ist gefährlich'... denn: Würde
der einer Serie sind sozusagen Anhängsel ihres gemeinsamen Phantasie- er sonst begleitet werden?
objekts" (Laing 1964, 111). Was sie gemein haben, ist ein gemeinsames
CHOR Viel sieht, wo nichts ist, der Ängstliche,
statisches Objekt: Der Sexualstraftäter als Anti-Selbst, als erstarrte
Den nämlich schreckt schon der eigene Schatten,
Negatividentität, die sie mit ihm gemeinsam haben. Kampfmutig findet ihn jedes Gerücht,
So daß er strauchelt.
BIEDERMANN An meinem Stammtisch zum Beispiel, die sehen schon Sodom und So, schreckhaft, lebt er dahin,
Gomorra, wenn man nur sagt, man glaube an das Gute in den Menschen. Bis es eintritt: In seine Stube. **
EISENRING Ha.**
Nicht nur, daß diese Stigmatisierung unter Sicherheitsaspekten nicht
Das heißt, dieses gemeinsame negative Objekt ist Kennzeichen der sinnvoll ist, weil - wie Süßmuth es formuliert - Sicherheit nicht nach
Vereinigung und ihre Voraussetzung zugleich: Denn das soziale Feld der Metern gemessen werden kann und eine Klassifizierung der ohnehin
Bürgerinitiative als serieller Gruppe ist die quasi zeitlose Einheit des Deklassierten zur Aufrechterhaltung einer Bannmeile des l:l-Ausgangs
Andersseins, inder versucht wird, Entwicklungsprozesse und Veränderungs- unter Sicherheitsgesichtspunkten in keiner Weise erforderlich ist: Unter
möglichkeiten zu negieren, den Prozeßcharakter des Lebens zu ignorie- Behandlungsgesichtspunkten ist sie geradezu widersinnig. Beinhalten
ren. Ein solches Stigma beschädigt die soziale Identität, da der Patient bereits Diagnose und Unterbringung im Maßregelvollzug diskreditierende
damit als ewiger Straftäter gewissermaßen zeitlebens zum Nicht-Bürger Zuschreibungen unerwünschter oder negativer Eigenschaften (Kobbe
außerhalb der bürgerlichen Gesellschaft wird, Schuld nicht mehr durch 1993, 125), so führt diese neue Stigmatisierung zu einem ausgesprochen
Strafhaft getilgt und krankheits- bzw. störungsbedingte Gefährlichkeit therapie- und hoffnungsfeindlichen, zu einem mystifizierenden Klima
ebensowenig durch Behandlung reduziert und beseitigt werden kann. Denn (Simon & Stierlin 1984, 246-247). Denn nunmehr wird den Patienten
die Institution fragt nun nicht mehr nur danach, ob der Patient noch unterschiedslos Gefährlichkeit unterstellt5, was sie als Zuschreibung von
132 WsFPP3.Jg. (1996) H. l WsFPPS.Jg. (1996) H . l 133
1964, 111). Daß es den Triebtäter, den Sexualstraftäter nicht gibt, sondern gefährlich ist: Bei positiver Prognose hakt sie ein zweites Mal nach und
nur Individuen, die auf dem Hintergrund äußerst differenter Lebenserfah- klassifiziert aufs Neue nach gänzlich anderen Gesichtspunkten, um eine
rungen und aufgrund unterschiedlicher Störungs- und Krankheitsprozesse von außen erzwungene Verteilung unbegleiteter Ausgänge vorzunehmen.
ebenso verschiedene (z.B. heterosexuelle, homosexuelle, pädophile) Dies hat - so Goffman (1963, 30) - „den Effekt, dieses Individuum von der
Sexualstraftaten begangen haben, ist allgemein bekannt. Gesellschaft und von sich selbst zu trennen, so daß es dasteht als eine
diskreditierte Person angesichts einer sie nicht akzeptierenden Welt".
Im übrigen folgt die Etikettierung als „Trieb"täter einem äußerst naiven, vorwissenschaftlichen
Hydraulik- und Staudamm-Modell - männlich-genitalfixierter - Sexualität mit Trieb"druck",
Immerhin ist innerhalb des Ortes jeder Patient in l: 1-Begleitung entweder ohne weiteres als
Trieb"stau", Trieb"durchbruch" usw., das die Modellvorstellungen der komplexen Bezie- Sexual- oder Tötungsdelinquent demaskiert oder aber er hat noch keine weitergehenden
hungen von Trieb und Sexualität schlicht ignoriert (Morgenthaler 1985). Dies ist wenig
Lockerungen, weil er noch am Anfang der Therapie steht, und wird somit ohne es zu sein,
verwunderlich: Nach wie vor folgen Stereotype den Dichotomien von 'normal' versus
sprich zu Unrecht, als Sexual- oder Tötungsdelinquent stigmatisiert. So oder so ist ihm die
'anormal', stellt sich „die Dummheit einer ganzen Welt ... das Geschlechtsleben als eine
sonst gegebene Möglichkeit genommen, seine soziale und persönliche Identität dadurch zu
Sache der Einteilung oder als geradlinige Resultate ethischer Entschließungen vor" (Kraus
managen, daß er bestimmte Teile seiner Biographie offenbart und insofern eine relative
1907, 304) und entspricht „das Reflexionsniveau des Alltagswissens" über Sinnzusammen-
Anonymität möglich wäre.
hänge der Sexualität (Kobbe 1988) „etwa dem der Bauernregeln über das Wetter" (Lautmann
1987, 26).
Wie ersichtlich, heben sich hier erzwungene Differenzierung und Nicht-
Die vorgenommene Reduzierung bedeutet in Anlehnung an Sartre und unterscheidbarkeit auf, was zunächst zu Lasten des Patienten zu gehen
Laing4, daß der Sexualstraftäter, der Mörder, der Brandstifter nicht nur scheint. Zugleichjedoch schlägt die so vermeintlich hergestellte Sicherheit
gedankliche Verkürzungen sind, sondern zu von einer seriellen Gruppe tautologisch in die Autosuggestion virulenter Gefährlichkeit und perma-
(den Bürgern) angenommenen und sie (als e.V.) vereinenden einheitlichen nenter Gefährdung um. Das heißt, die Bürgerforderung, 'Alle Sexual-
Objekten werden. Der Sexualstraftäter ist nicht nur Typus, sondern das straftäter müssen begleitet werden, weil sie gefährlich sind', verkehrt sich
ständige abgespaltene Selbe im Anderen. „Anders ausgedrückt: Die Glie- in die Schlußfolgerung 'Wer begleitet wird, ist gefährlich'... denn: Würde
der einer Serie sind sozusagen Anhängsel ihres gemeinsamen Phantasie- er sonst begleitet werden?
objekts" (Laing 1964, 111). Was sie gemein haben, ist ein gemeinsames
CHOR Viel sieht, wo nichts ist, der Ängstliche,
statisches Objekt: Der Sexualstraftäter als Anti-Selbst, als erstarrte
Den nämlich schreckt schon der eigene Schatten,
Negatividentität, die sie mit ihm gemeinsam haben. Kampfmutig findet ihn jedes Gerücht,
So daß er strauchelt,
BIEDERMANN An meinem Stammtisch zum Beispiel, die sehen schon Sodom und So, schreckhaft, lebt er dahin,
Gomorra, wenn man nur sagt, man glaube an das Gute in den Menschen. Bis es eintritt: In seine Stube. **
EISENRING Ha.**
Nicht nur, daß diese Stigmatisierung unter Sicherheitsaspekten nicht
Das heißt, dieses gemeinsame negative Objekt ist Kennzeichen der sinnvoll ist, weil - wie Süßmuth es formuliert - Sicherheit nicht nach
Vereinigung und ihre Voraussetzung zugleich: Denn das soziale Feld der Metern gemessen werden kann und eine Klassifizierung der ohnehin
Bürgerinitiative als serieller Gruppe ist die quasi zeitlose Einheit des Deklassierten zur Aufrechterhaltung einer Bannmeile des l:l-Ausgangs
Andersseins, in der versucht wird, Entwicklungsprozesse und Veränderungs- unter Sicherheitsgesichtspunkten in keiner Weise erforderlich ist: Unter
möglichkeiten zu negieren, den Prozeßcharakter des Lebens zu ignorie- Behandlungsgesichtspunkten ist sie geradezu widersinnig. Beinhalten
ren. Ein solches Stigma beschädigt die soziale Identität, da der Patient bereits Diagnose und Unterbringung im Maßregelvollzug diskreditierende
damit als ewiger Straftäter gewissermaßen zeitlebens zum Nicht-Bürger Zuschreibungen unerwünschter oder negativer Eigenschaften (Kobbe
außerhalb der bürgerlichen Gesellschaft wird, Schuld nicht mehr durch 1993, 125), so führt diese neue Stigmatisierung zu einem ausgesprochen
Strafhaft getilgt und krankheits- bzw. störungsbedingte Gefährlichkeit therapie- und hoffnungsfeindlichen, zu einem mystifizierenden Klima
ebensowenig durch Behandlung reduziert und beseitigt werden kann. Denn (Simon & Stierlin 1984, 246-247). Denn nunmehr wird den Patienten
die Institution fragt nun nicht mehr nur danach, ob der Patient noch unterschiedslos Gefährlichkeit unterstellt5, was sie als Zuschreibung von
132 WsFPP3.Jg. (1996) H . l WsFPP3.Jg. (1996) H.l J33
Bösartigkeit erleben müssen. Da dieser Etikettierung keinerlei referentieller (Albrecht 1986, 65). Diese Praxis zerstört allerdings nicht nur therapeu-
Bezug auf ein verbindlich abgeleitetes Modell des Subjekts zugrunde liegt, tische Ideale, sondern induziert eine fatalistisch-hoffnungslose Dynamik
läßt sich eine eindeutige Klärung nie herstellen: Es entsteht ein sprachli- beim Patienten, weil die 'heimatnah', also andernorts, geforderte Reha-
ches Beliebigkeitsspektrum, in dem „das Wahre und das Falsche durch das bilitation zum Schlagwort für Abschiebung und Ausgrenzung wird.
Mögliche und das Unmögliche ersetzt sind" (Lefebvre 1975, 217).
SCHMITZ Ich meine nur so.- Daß Sie mich nicht einfach am Kragen packen, Herr
Wenn aber mit Hilfe des Begriffs vom 'gefährlichen' Individuum „über die gesamte Biedermann, um unsereinen einfach auf die Straße zu werfen - hinaus in
Biographie ein Kausalitätsnetz" gezogen wird (Foucault 1975, 324), dann wird der den Regen! - sehen Sie, das ist's, Herr Biedermann, was wir brauchen:
Maßregelvollzugspatient zum 'Gefangenen einer kriminellen Vorgeschichte' (vgl. Eucker Menschlichkeit. **
et al. 1995). So aber geraten Therapeuten und Patienten in eine Anklage- und Verteidigungs-
Falle (Schrenk 1976), die die ohnehin diffizilen Ausgangspositionen von Psychotherapie im Unabhängig von räumlichen Distanzen ist zugleich nach inneren Distan-
Maßregelvollzug verschärft. Für die Patienten beinhaltet dies Laing (1961, 135) zufolge eine
Position der Verteidigungsunfähigkeit („ untenableposition "). „Die Aufgabe des Therapeu- zierungen eigener Art zu fragen: Wohin soll und kann Reintegration
ten ist es, einem solchen Menschen dazu zu verhelfen, entmystifiziert zu werden", d.h. ein erfolgen, haben sich Normalbürger als potentielle Identifikationpersonen
„Bemühen um ... die Entwirrung des Knotens, mit dem sie oder er gefesselt ist, oder auch z.T. mit Moralisierungen, Schuldzuschreibungen und strategischen Pseudo-
in der Aufwerfung von Streitfragen, die nie gestellt wurden" (Laing 1965, 303. diskursen in Augen der Patienten doch selbst demontiert und sich
Therapeuten diesen Einflußnahmen gegenüber als hilflos erwiesen. Das
Auf der Systemebene ist ein derartiges Gefährlichkeitskonzept Albrecht heißt, auf Seiten des Patienten untergräbt die bürgerinitiativ erwirkte
(1986, 74) zufolge Teil einer „Ideologiefunktion des Präventions-(Resoziali- Ausgangs(maß)regel der Institution das für eine deliktfreie Zukunft
sierungs-)Gedankens", da es neben der bewirkten Individualisierung unabdingbare Vertrauen in die Rechtsgarantien des Staates.
sozialer Problemlagen zu einer Entpolitisierung ihrer gesellschaftlichen
Bedeutung führe und es in der Ideologik der Präventionskonzepte - wie EISENRING Ich mag euch Akademiker nicht, aber das weißt du, Doktor, das sagte ich
ersichtlich - zu Forderungen von Anpassungsleistungen des delinquenten dir sofort: 's ist keine rechte Freude dabei, euresgleichen ist immer so
Individuums, mithin insgesamt „vordergründig" zu einer Entschärfung ideologisch, immer so ernst, bis es reicht zum Verrat - 's ist keine rechte
bzw. Verschleierung sozialstruktureller Probleme komme. Freude dabei.**

Simon und Stierlin (1984, 247) kommentieren, Folge derartiger Stigmati- Wie sich zeigen läßt, werden die ohnehin schwierigen Verhältnisse von
sierungs- und Selbststigmatisierungseffekte seien „die Verhinderung der Zeit und Raum im Maßregelvollzug durch den Einbruch öffentlicher
Individuation, der Entwicklung von Identität sowie die Verzerrung der Zwangsmoral ins psychotherapeutische Feld zusätzlich behindert (Kobbe
Kommunikation und der kognitiven Schemata". Denn in der Tat bleiben 1995b). Die Vorstellung, eine forensisch-psychiatrische Institution lasse
die Versuche der Behandler, sich nur auf die „harte Realität der Tatsa- sich bei ausreichend gutem Willen, engagierten Mitarbeitern, fachlicher
chen" (Zizek) zu beziehen, dann sinnlos, wenn dieselben Therapeuten dem Qualifikation trotz interagierender Dynamiken von Großinstitution und
Patienten gegenüber Maßnahmen mitzumachen genötigt sind, die sie selbst Frühstörung zu einer Art therapeutischem Partner entwickeln, muß
als anti- oder untherapeutisch ablehnen müssen, sodaß ihre Authentizität ernüchtert werden: Die forensische Psychiatrie des Maßregelvollzugs ist
und Verläßlichkeit in Frage gestellt wird. Anders ausgedrückt: Als strukturell keineswegs so definitiv am Subjekt orientiert wie angenom-
„Subjekte einer solchen 'de-ideologisierten', 'nüchternen', 'objektiven', men, denn im Zweifelsfall werden Patient wie Therapeut zugunsten der
'vorurteilslosen' Betrachtungsweise" des psychisch kranken Straftäters Angstabwehr des gesunden Menschenverstands ins Abseits manövriert:
„Es geht darum, einen Nexus von Macht-Wissen zu charakterisieren, mit
bleiben wir - wie Zizek (1991, 115-116) ausführt-nichts anderes als „das
Bewußtsein unserer ideologischen Träume". Denn die vorgenommene dem sich die Akzeptabilität eines Systems - sei es das System der
Deliktorientierung impliziert Definitionen, in denen der „' Prä-Delinquente' Geisteskrankheit, der Strafjustiz, der Delinquenz, der Sexualität usw. -
oder der über seine potentielle Gefährlichkeit definierte" Patient einem erfassen läßt" (Foucault 1978, 33).
neuen präventiv-gestaltenden Modell sozialer Kontrolle unterworfen wird
134 WsFPPS.Jg. (1996) H . l WsFPP 3.Jg. (1996) H. l 135
Offensichtlich erweist sich die - hier paraphrasierte - Bemerkung Sartres wird, eher Hilfe benötigen." Dies allerdings würde auch voraussetzen, daß
(1975, 40) als richtig, daß die Lockerungspraxis die offene Flanke der sich die Bürger ihrer Projektionen auf die psychisch kranken Straftäter
Behandlungs- und Sicherungsideologie ist. Nicht in einer auf Gesellschaft bzw. projektiven Identifikationen mit ihnen bewußt werden. Denn, so
und Täter bezogenen Humanwissenschaften spiegelt sich die unbewußte weiter Rasch (1984, 16): "An der Art, wie sie mit ihren Außenseitern
Struktur der «etat»b\ierlen6 sozialen Institutionen wider, sondern in einer umgeht, erweist sich der Reifegrad einer Gesellschaft. Vielleicht wächst
ggf. defensiv-repressiven Sicherheitsideologie der - wie Althusser sich die Einsicht, daß es wenig nutzt, nachdem alles geschehen ist, die Opfer
ausdrückt - ideologischen Staatsapparate. Stigma-Theorie und Überwa- zu beklagen und auf die Täter einzuschlagen. Umgekehrt kann es natürlich
chungsimperativ jedoch sind das Gegenstück jeden aufklärerischen Dis- auch nicht darauf ankommen, den Täter zum eigentlichen Opfer zu
kurses und thematisieren Sexualangst als Facette gesellschaftlicher wie stilisieren und zur Jagd auf andere Sündenböcke zu blasen."
verinnerlichter Herrschaft.
CHOR Was nämlich jeder voraussieht
Lange genug,
Das Ängstigende ist - wie Haug (1965, 9) schreibt - ein „Sexuelles nach Dennoch geschieht es am End: Blödsinn,
der Innenseite des Triebes, ein Politisches ... nach der Seite der Gesell- Der nimmerzulöschende jetzt,
schaft hin". Die Verbindung gegenaufklärerischen Denkens mit dem Schicksal genannt. **
Interesse an Machtausübung „läßt sich an zwei komplementären Set-
zungen" ablesen: „ An falschen Ungleichheiten wie an falscher Gleichheit" Eine solche Arbeit enthält immer das Risiko, mißverstanden zu werden.
(Haug 1965, 11). Denn weder besteht die unterstellte Differenz zwischen Denn die an die Angstlust, den „thrill" (Balint 1959) in der Konfrontation
der Triebangst bzw. Trieblust der normalen Bürger und kranken Straftäter mit Sex und Gewalt gebundenen Projektionen führen in den Augen der
noch existiert die von manchen behauptete Übereinstimmung der Thera- Öffentlichkeit zur Unterstellung, Psychotherapeuten seinen in ihrem
peuten bzw. der Institution mit diesen Bürgern hinsichtlich der Sinnhaftigkeit Bemühen um ein Verständnis der Sexualstraftäter oder Mörder potentiell
restriktiver l:l-Ausgänge. deren heimliche, vielleicht gar lustvolle Komplizen (Duncker 1995).

CHOR Nimmer geziemt es dem Chor, „Es ist absurd," schreibt Moser (1971, 432), der Psychologie/Psychiatrie/Psychoanalyse
Richter zu sein über Bürger, die handeln. „zu unterstellen, sie sehe nur noch das Wohl des Täters und vergesse die Opfer. Sie ist als
CHORFÜHRER Der nämlich zusieh! von außen, der Chor, Wissenschaft und Behandlungsmethode von gestörtem Verhalten und gestörten seelischen
Leichter begreift er, was droht. Strukturen für die Arten von seelischer Abnormität zuständig, die zu kriminellem Verhalten
CHOR Fragend nur, höflich führen. Sie erkennt die Vorgeschichte des bösen Handelns als eine Leidensgeschichte, die
Noch in Gefahr, die uns schreckt, sie, mindestens partiell, rückgängig zu machen oder zu kompensieren sucht. Ihr Ziel ist es,
Warnend nur, ach kalten Schweißes gefaßt den Täter so zu behandeln, daß er keine neuen Opfer braucht und diejenigen, die seine Opfer
Naht sich bekanntlich der Chor, waren, so weit wie möglich entschädigen kann."
Ohnmächtig wachsam, mitbürgerlich,
Bis es zum Löschen zu spät ist, Daher ist eine solche Parteinahme unausweichlich, ist doch Psychothera-
Feuerwehrgleich. **
pie - wie eingangs mit Rogge (1985, 14) postuliert - „in ihren Grundlagen
an einem Punkt festgemacht, in dem die Gesellschaft der Vernünftigen
Rasch (1984,16-17) schrieb im' Nachruf auf eine Bestie': „ Die Zyklen der
ihren Grenzpunkt zieht und damit die gesellschaftliche Ordnung defi-
Kriminalpolitik schieben einmal mehr den Strafgedanken, ein anderes mal
niert", und insofern genötigt, „sich zugleich mit dieser Ordnung selbst
stärker den Behandlungsgedanken in den Vordergrund. Wenn man hinter
auseinander" zu setzen. Wer also, wenn nicht der Therapeut, kann und soll
die Dinge schaut, könnte man, abgelöst von momentanen Mode-
sonst den psychotherapeutischen Raum gegen den Einbruch öffentlicher
schwankungen, sich darum bemühen, das Angemessene geschehen zu
Zwangsmoral verteidigen und insofern kritischer Anwalt7 - keineswegs
lassen. Auch in einer Zeit, da öffentliche Mittel knapp sind, sollte nicht
unkritischer Komplize - des Patienten8 werden?
vergessen werden, daß viele, deren Fehlverhalten mit Strafen bedacht

136 WsFPP3.Jg. (1996.) H. l


WsFPPS.Jg. (1996) H. l 137
Fußnoten
** Die Versprosa ist Frischs Parabel „ohne Lehre" (1958) entnommen, in der Reihenfolge
der Zitate den Seiten 8, 9, 43, 57, 32, 19, 59, 46 und 85. Das Lehrstück illustriert anhand
1 Diese und die folgenden Argumentationsfiguren gehen auf Diskussionen mit verschiedenen des anstiftenden Biedermanns, des biederen Brandstifters wie des co-mentierenden -
Kolleginnen zurück. An das Eingangszitat von Freud anknüpfend, muß (selbst)kritisch
insofern involvierten - Chors der Bürger beispielhaft die unauflösbare gesellschaftliche
nachgefragt werden: „Ist es Wahrheit, wenn man die Dinge so beschreibt, wie sie sind,
Verflechtung von unbescholtenen Bürgern, psychisch kranken Straftätern und staatlichen
und sich nicht darum kümmert, wie der Hörer das Gesagte auffassen wird? Oder ist dies
Institutionen; nämlich: Auch die allgemeine wie individuelle Verantwortung für eine
nur jesuitische Wahrheit, und besteht die echte Wahrhaftigkeit nicht vielmehr darin, auf
Reintegration schuldlos schuldig Gewordener in die soziale Gemeinschaft und gesell-
den Zuhörer Rücksicht zu nehmen, und im ein getreues Abbild seines eigenen Wissens
schaftliche Normalität. Und eine allgemeine wie individuelle Verantwortung für die zwar
zu vermitteln?" (Freud 1905, 127). Angesichts der affektiven Besetzung des Themas
unerwünschte, jedoch unabdingbare und undankbare Arbeit der forensisch-psychiatrisch
wird diese Diskussion jedoch nur „im Schutz der Gänsefüßchen" vorgetragen, denn: Tätigen, die sich für die Bürger ihrer ausgegrenzten Mitbürger annehmen, deren
„Wer aber den Menschen das Licht der Aufklärung bringt, der muß gefaßt sein auf Nach- destruktiv-aggressiver, perverser, sadomasochistischer Dynamik aussetzen, sich quasi
stellungen" (Enzensberger 1975, 32).
stellvertretend emotional (auOopfern und verantworten.- Die Verhältnisse erweisen sich
2 „Gegenüber dieser fremden Gewalt fühlt sich nämlich jeder, ebenso wie gegenüber der
insgesamt weder als einmalig noch als eindeutig, sondern als strukturelle Wiederholung
Geschichte, als anderes Objekt, ... daß heifitjedesmal, wenn die Zeugen zwischen einer
desselben Abwehrvorgangs und als zu komplex, als zu imaginär und symbolisch
positiven und einer negativen Erklärung, zwischen Wechselseitigkeit und Alterität,
determiniert, um rein rational in binären Denk-, Argumentations- und Handlungs-
zwischen dem Menschen und dem Gegen-Menschen wählen können, wählen sie den
kategorien des schlichten 'Entweder-Oder' angemessen erfaßt oder gelöst zu werden.
Anderen, das Nein, das Antimenschliche. ... Die Wahrheit wird für jeden evident,
insofern sie negativ ist und den Anderen betrifft, ... das heißt die unendliche Serie von
Ohnmächten" fortsetzt. „Der Informant pflanzt eine materielle Welt fort, er informiert
nicht wirklich. Sein Bericht ist eine Panik. Mit einem Wort, als andere wird die Wahrheit
wie ein Zustand durch Ansteckung vermittelt; ... in einem Prozeß wie der «Grande Literatur
Peur»... Die Ansteckungstatsache kann außerhalb des Kollektivs und der Rückläufigkeit
keinerlei Intelligibilität haben" (Sartre 1960, 317-319). ALBRECHT, P.-A. 1986: Prävention als problematische Zielbestimmung im Kriminaljustiz-
3 Laing (1964, 109) beschreibt, diese kollektive Struktur werde insofern durch ihr Sein system. In: KritV (1986) H. 1/2, S. 55-82
definiert, als ihre Praxis zu „Hexis" (Sartre), d.h. in eine zeitüberdauernde Beschaffen- ALHEIT, P. 1983: Alltagsleben. Zur Bedeutung eines gesellschaftlichen »Restphänomens«.
heit, einen permanenten Zustand transformiert sei. Campus, Frankfurt a.M./New York 1983
4 Bei Laing (1964, 110-112) dienen „der Jude, der Kleinbürger" als Beispiele, bei lonesco ALTHUSSER, L. 1973 (1970): Marxismus und Ideologie. VSA, Berlin 1973
(1975) der Nazi. Wesentlich ist hier die strukturelle Isomorphie - keine inhaltliche BALINT, M. 1988 (1959): Angstlust und Regression. Klett-Cotta, Stuttgart 1988
Identität - der Stigmatisierung aufgrund pseudowissenschaftlicher 'Kriterien' und der BAUDRILLARD, J. 1982 (1976): Der symbolische Tausch und der Tod. Batterien 14.
Gruppendynamik von Serialisierungsprozessen, denn „es ist unzulässig," so lonesco Matthes & Seitz, München 1982
(1975, 57), aufgrund von Geschmacksfragen und „nur weil sie anderen Klassen oder BETTELHEIM, B. 1978 (1974): Der Weg aus dem Labyrinth. Leben lernen als Therapie.
anderen ethnischen Gruppen angehören ... zwischen Menschen irgendeine Hierarchie Ullstein, Frankfurt a.M. 1978
aufzustellen". BRÜCHER, K. 1988: Wohnheimstrukturen als Mittel der Therapie. In: Psychiat. Prax.,
5 „Mystifizierung ist eine Form der auf den Anderen gerichteten Handlung, die der IS.Jg. (1988) H.l, S. 71-77
Verteidigung, der Sicherheit der eigenen Person dient" (Laing 1965, 282). DERRIDA, J. 1979 (1967): Die Stimme und das Phänomen, o.Verl., Frankfurt a.M. 1979
6 Die Schreibweise folgt Tosquelles, der versucht, den in den etablierten Institutionen als [zitiert nach Descombes, V. (1979) a.a.O., S. 174 u. 226]
maßgeblichen Faktor enthaltenen Staat («etat») kenntlich zu machen. DESCOMBES, V. 1979: Das Selbe und das Andere. Philosophie in Frankreich 1933-1978.
7 als gutes Objekt und i.S. der Kapitelüberschrift „guter Geist" Suhrkamp, Frankfurt a.M. 1981
8 als zeitgeistabhängiger „Waise" i.S. des Titels DIMMEK, B. & KOBBE, U. 1995: Zur Instrumentalisierung von Psychiatrie und Psycho-
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Anschrift des Verfassers

Dipl.-Psych. Ulrich Kobbe


Westf. Zentrum für Forensische Psychiatrie Lippstadt
Postfach 6100
59541 Lippstadt
142 WsFPP3.Jg. (1996) H. l

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