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Ultraleicht Technik

D er Atem kondensiert an diesem No-


vembertag in der Halle am Flug-
platz Rotenburg/Wümme. Ein
Brummen unterbricht von Zeit zu Zeit die
Stille, wenn zwei Aktuatoren – so genann-
platziert. Immer wieder werden verschie-
dene Frequenzen angestoßen. Mal werden
die Ruder fixiert, mal sind sie freischwin-
gend – auch dieser Unterschied beeinflusst
das Flatterverhalten. Und trotzdem: „Ein
te Shaker – die F100 Fascination des tsche- Standschwingversuch ist eigentlich eine
chischen Herstellers UL-JIH für ein paar langweilige Sache“, gibt Weltin zu, der kein
Momente in Schwingungen versetzen. 80 Geheimnis daraus macht, dass er die mehr-
Beschleunigungssensoren sind auf der tägige Arbeit vor Ort gerne seinen Mitarbei-
Oberfläche des Composite-Tiefdeckers an- tern überlässt.
gebracht, der mittels vier Stahlfedern an der Der Test ist unverzichtbar für die Zulas-
Decke aufgehängt ist. Jeder einzelne Sensor sung eines Flugzeugs. Hier wird die Struktur
speist seine Daten in eines der zahllosen Ka- auf Herz und Nieren auf ihre Flattereigen-
bel, die sich zu einem Strang vereinen und schaften überprüft. Vom Ergebnis des Flat-
an der „Kommandozentrale“ enden. Dort terversuchs hängt maßgeblich das künftige
blicken Doktorand Burcak Özkök und Prof. Geschwindigkeitsspektrum ab.
Dr.-Ing. Uwe Weltin auf den Bildschirm, Spannend wird es bei der Auswertung,
prüfen Zahlenkolonnen und überwachen ein komplexer mathematischer Prozess, der
den Versuch. Bei dessen Aufbau gibt es ein zwei Fachkräfte gut zwei Wochen in An-
paar grundlegende Spielregeln zu beachten. spruch nimmt. In Anbetracht des enormen
Die Stahlfedern etwa, an der das Flugzeug Aufwands dürfen die 7500 Euro netto für
hängt, haben keine Eigendämpfung, um ein Flattergutachten beinahe schon als
Störfaktoren bei der Messung auszuschlie- Schnäppchen gelten.
ßen. Der Tank des Flugzeugs ist leer, nicht-
tragende Teile wie Cowling oder Kabinen- Vom Versuchsaufbau
haube wurden entfernt. zum digitalen Modell
Derart unspektakulär geht es zu, wenn
Wissenschaftler einem Phänomen auf der Uwe Weltin ist selbst Pilot und arbeitet
Spur sind, das vielen Piloten das Leben ge- als Professor am Institut für Zuverlässig-
kostet hat. Atemberaubende Szenen sucht keitstechnik an der Technischen Universität
man bei einem Standschwingversuch, auch Hamburg-Harburg. Im Rahmen internatio-
Flattertest genannt, vergebens. naler Zusammenarbeit ist der 53-Jährige un-

Foto: Sandra Beckefeld / Grafik: Uwe Weltin


Beeindruckend sind die Zahlen: „Wir ter anderem in die Untersuchung der Unfall-
sammeln Daten; mehrere Gigabyte kom- serie mit der Zodiac CH 601 XL von Zenair
men bei so einem Versuch zusammen“, sagt eingebunden. Der Ganzmetalltiefdecker ist
Uwe Weltin, einer der renommiertesten Ex- mehrfach verunfallt und steht deshalb im
perten auf dem Gebiet der Aeroelastik in Visier der Behörden in Europa und den USA.
Deutschland. Der Verdacht bei dieser Unfallserie fällt aufs
Technik im Wert eines Einfamilienhauses Flattern. Auf Weltins Urteil vertrauen re-
Standschwingversuche kommt bei solch einem Standschwingver- nommierte Hersteller aus der UL-

Dem Flattern
such zum Einsatz. 20 000 Euro etwa kos- Branche, etwa Flight Design, Pipis-
tet jeder der Shaker. 15 Konfigurati- trel, Alpi Aviation oder Urban Air.
onen werden getestet, 15-mal werden Segelflugzeugbauer gehören eben-
die Aktuatoren dazu neu so zur Stammkundschaft – vor nicht

auf der Spur Theorie und


Praxis: In der Halle
werden die Flattereigen-
schaften eines Flugzeugs
Flattern ist ein fliegerischer Alptraum, der im äußersten Fall geprüft, später erfolgt die
Auswertung am Computer. Das
zum Bruch der Struktur führt. Wir waren dem Phänomen auf Resultat ist unter anderem
ein digitales Modell für
der Spur, haben mit Experten gesprochen und verraten, was Simulationen.

eigentlich bei einem Standschwingversuch passiert.

80 aerokurier 2/2010
Ultraleicht Technik

allzu langer Zeit stand noch die Stemme S6 Flattern in der


in dieser Halle in Rotenburg/Wümme. Simulation:
Für ULs gilt: Die Musterzulassung nach Der Computer be-
den Bauvorschriften LTF-UL gibt es nur, rechnet, wie sich ein
wenn ein Flattergutachten vorliegt. Das gilt Flugzeug im Ernst-
zumindest dann, wenn die VNE – also die ma- fall verhalten würde.
ximal zulässige Geschwindigkeit – des Flug- Das Modell zeigt,
zeugs mehr als 180 km/h betragen soll. „Da- wie extrem sich
bei ist dies eine willkürlich gezogene Grenze. Flügel und Leitwerk
Flattern kann auch bei 140 km/h auftreten“, verwinden. Binnen
bemängelt Weltin die Vorschriften. weniger Sekunden
Mit Hilfe der beim Standschwingversuch kann das Flattern
gesammelten Daten wird ein digitales, drei- so die Struktur
dimensionales Modell des Flugzeugs erstellt, zerstören.
das Aufschluss über dessen Flatterverhalten
gibt. Zuvor wird dazu die Qualität der Mes-
sungen geprüft, die schließlich Grundla- sich Flattern als eine unerwünschte Schwin- Standschwingversuch als Kandidat mit Flat- punkt wird so auf die Drehachse der Ru- untersuchten Flugzeug von 270 auf 410 km/ einem nicht erprobten Flugzeug könnte
ge für alle weiteren Schritte sind: 100 Pro- gung beschreiben, die binnen Sekunden die terneigung heraus, sind konstruktive Gegen- der verlagert, die Eigenfrequenz ändert sich, h anheben. sogar eine einzige Böe – wenn Frequenzen
zent sind Garant für präzise Werte, Ausrei- Struktur überlasten kann. maßnahmen gefragt. und die Neigung zum Flattern wird mini- Sinnvoll ist ein Flattertest indes nur, wenn unglücklich aufeinandertreffen – ein Flat-
ßer mit weniger als 90 Prozent sind ebenfalls Besonders gefürchtet ist in der Fachwelt Spiel in der Steueranlage zum Beispiel miert. Nachteil: Das Flugzeug wird schwerer, der Standard des getesteten Flugzeugs in der tern auslösen, selbst wenn die VNE noch lan-
möglich. Jetzt kommen Formeln und phy- das nichtlineare Flattern. Das Problem: Die- fördert die Flatterneigung. Selbst geringes ein Handicap vor allem bei den Ultraleich- Serienfertigung eingehalten wird. Würde ein ge nicht erreicht ist. Jenseits der VNE liegt
sikalische Fachbegriffe ins Spiel. Die gene- se Art des Flatterns lässt sich – im Gegensatz Spiel kann sich im Laufe eines Flugzeugle- ten. Strebt der Hersteller eine optisch ele- Hersteller Werkstoffe oder Detaillösungen übrigens nur noch die so genannte Design­
ralisierte Masse zum Beispiel ist eine theo- zum linearen Flattern – nicht ohne weiteres bens vergrößern und somit ein Flattern aus- gante Lösung an, sollte er schon bei der eigenmächtig ändern, könnten sämtliche geschwindigkeit VD, danach enden die Re-
retisch angenommene Masse, die bei einer simulieren. Zu viele Faktoren spielen mit lösen. Die Lösung klingt simpel, kann tech- Konstruktion Befestigungspunkte für sol- Berechnungen hinfällig sein. chenmodelle und der Strukturbruch ist
speziellen Anregung bewegt wird. Auch Stei- hinein, zu komplex sind die Vorgänge, um nisch aber sehr aufwändig sein: Eine aus che Gewichte einplanen. Eine große Unbekannte in der Gesamt- unvermeidbar.
figkeit, Dämpfungswerte und die Elastizität auf Anhieb eine klare Prognose zu treffen. Sicht der Flatterexperten optimale Steue- Oft sind es auch vermeintliche Kleinig- betrachtung ist die Alterung von Material. Die harte Wahrheit: Flattert das Flugzeug,
fließen mit in die Berechnungen für das Mo- Nicht selten bringen die Simulationen un- rung ist frei von Spiel und verfügt über line- keiten, die die Flattereigenschaften drama- Welcher Werkstoff verändert sich wann be- bleibt dem Piloten kaum mehr Zeit zu rea-
dell ein. erwartete Ergebnisse hervor: So ist es mög- are Kräfte. Ebenso wichtig sind die Ruderan- tisch verbessern oder verschlechtern kön- züglich seiner Festigkeit und Flattereigen- gieren. Ein, zwei Sekunden können genügen,
„Die Kräfte, die auf das Flugzeug einwir- lich, dass ein Flugzeug in einem bestimm- schläge, insbesondere die der Klappen. nen. Allein durch die Verwendung von schaften? „Darüber gibt es bisher noch kei- um die Struktur zu zerstören. Weltins Rat:
ken, verändern sich in der Luft mit zuneh- ten, vergleichsweise niedrigen Geschwindig- Ein bewährtes Rezept gegen flatternde Ru- CFK-Steuerstangen ließe sich aus Sicht der ne Studien“, sagt Weltin. „Beim kleinsten Anzeichen von Flattern soll-
mender Geschwindigkeit. Am Computer keitsbereich besonders flatteranfällig ist, bei der sind Ausgleichsgewichte. Der Schwer- Flatterexperten die VNE bei einem kürzlich Wie kommt es nun in der Praxis zum te der Pilot eines motorisierten Flugzeugs
können wir diese Vorgänge simulieren“, höheren Geschwindigkeiten die Gefahr hin- Flattern? Denkbar ist aus Pilotensicht zum sofort die Leistung reduzieren und keines-
sagt Uwe Weltin. An seinem Bildschirm be- gegen überwunden ist. Beispiel das Überschreiten der zulässigen falls am Höhenruder ziehen.“ Dieses Anzei-
wegen sich die Flügel und das Leitwerk eines Vor allem in der UL-Branche beobachten Aktuatoren – so genannte Shaker Höchstgeschwindigkeit. In großer Höhe chen kann sich zum Beispiel in einem Brum-
solchen Modells, verformen sich bis an die Uwe Weltin und seine Mitarbeiter immer – versetzen das Flugzeug in Schwingung. ist mit abnehmender Luftdichte die ange- men äußern.
Grenzen ihrer Festigkeit. Schon das digitale wieder handwerkliche Fehler. „Die meisten Um die Messfehler auszuschließen, ist zeigte Geschwindigkeit (IAS) stets kleiner Am Ende eines Flattertests geht Uwe Wel-
Abbild des realen Flatterns flößt einem als Hersteller kommen erst dann zu uns, wenn das Flugzeug an Stahlfedern ohne Eigen- als die tatsächliche Geschwindigkeit (TAS). tins Team übrigens regelmäßig selbst in die
Pilot Respekt ein. sie mit der Musterzulassung fast fertig sind. dämpfung aufgehängt (links). Reitet der Segelflieger also in 5000 Metern Luft, um die Ergebnisse in der Praxis zu ve-
Flattern entsteht übrigens immer dann, Dabei könnten wir schon im Entwicklungs- Höhe über den Alpen auf der Welle, ist die rifizieren. Auch das gehört zu seinem Ge-
wenn sich mehrere Frequenzen treffen und stadium eines Flugzeugs Hilfestellung be- VNE schnell geknackt, obwohl der Fahrt- samtpaket, um das Fliegen ein bisschen si-
ungünstig überlagern. Daran sind immer züglich der zu erwartenden Flatterneigung messer noch Reserven suggeriert. Das Re- cherer zu machen. „Fliegen ist sicher. Aber
mehrere Parameter beteiligt: zum einen die leisten.“ sultat: Das Flatterrisiko steigt dramatisch. die Grenze zur Unsicherheit ist manchmal
Eigenfrequenzen der Materialien, zum an- Ist das Kind in den Brunnen gefallen, stellt Dieselben physikalischen Gesetze gelten schmal.“ ae
deren Kräfte aus der Luft. Im Ergebnis lässt sich also ein fast serienreifes Flugzeug beim natürlich auch für Motorflugzeuge. Bei Patrick Holland-Moritz

Experten bei
der Arbeit:
Burcak Özkök und
Prof. Dr.-Ing. Uwe
Fotos: Sandra Beckefeld / Grafiken: Uwe Weltin

Weltin (hinten)
analysieren das
Flatterverhalten der
F100 Fascination.
Mehrere Tage
dauert die Arbeit
in der Halle.

Burcak Özkök kontrolliert akribisch 80 Beschleunigungssensoren


den Versuchsaufbau. Nur eine möglichst sind auf der Oberfläche des Flugzeugs
fehlerfreie Arbeit ist Garant für exakte angebracht. Jeder einzelne von ihnen gibt
Messergebnisse. sein Signal an einen Computer weiter.

82 aerokurier 2/2010 www.aerokurier.de www.aerokurier.de aerokurier 2/2010 83

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