Vom Dadaismus zum Surrealismus: Zwei Essays von Ré Soupault
By Ré Soupault
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Ré Soupaults Essay Tristan Tzara, Begründer des DADA wurde am 25.12.1968 als Feature im Abendstudio des Hessischen Rundfunks gesendet, ihr Essay Wir haben uns geirrt: Die wahre Welt ist nicht, was wir geglaubt haben - Die Entstehung des Surrealismus, am 11.6.1974. Der 8. Februar 1916 gilt als das Gründungsdatum von DADA in Zürich. Hans Arp, Hugo Ball, Viking Eggeling, Richard Hülsenbeck, Marcel Janco, Hans Richter, Tristan Tzara und viele andere gründeten mitten im Ersten Weltkrieg eine Bewegung, die bis heute an Einfluß in Gesellschaft, Kunst, Film und Literatur nicht verloren hat. Im Frühjahr 1919, einige Monate nach Ende des Ersten Weltkriegs, schrieben Philippe Soupault und André Breton im Hotel Grands Hommes in Paris den ersten surrealistischen Text der Literaturgeschichte Les champs magnétiques (Die magnetischen Felder). Zusammen mit Louis Aragon – der Dichter Guillaume Apollinaire hatte die drei jungen Männer miteinander bekannt gemacht – begründeten sie die Surrealismus-Bewegung. Sie wurden die "drei Musketiere" genannt. Auch der Surrealismus hat an Aktualität nicht verloren.
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Vom Dadaismus zum Surrealismus - Ré Soupault
(2018).
Tristan Tzara, Begründer des Dada
Wer den Namen Tristan Tzara hört, denkt sofort an Dada. Und umgekehrt: die Dada-Bewegung ist ohne den Namen Tristan Tzara gar nicht denkbar. Sie war sein Werk.
»Dada verdankt seine Existenz Tzaras Gabe, Reaktionen zu provozieren und die schöpferische Flamme anzufachen. Hugo Ball war der Direktor des Cabaret (Voltaire), Tzara sein Stratege und später sein Propagandist… Hinter der Brille funkelten seine schalkhaften Augen… Um seine Bekannten irrezuführen, bediente er sich eine Zeitlang eines Monokels. Nie hat ein Dichter den Klang seiner Stimme besser auszunutzen verstanden…«
So Marcel Janco über Tzara; Janco, der neben Hugo Ball und Tzara, Hans Arp und Richard Huelsenbeck zu den fünf Gründern des Dadaismus gehörte. – Aber Tzara war der Initiator. Das überschattet seine Persönlichkeit, so daß bis heute, außer in Frankreich, wenige wissen, daß der Dada-Tzara, der gegen Kunst und Literatur, gegen Dichtkunst und alle vermeintlichen Kulturwerte während des Ersten Weltkrieges zu Felde zog, dies tat, gerade weil er Dichter war. Als er am 5. Februar 1916 bei Hugo Ball im Cabaret Voltaire erschien – es war erst wenige Tage zuvor eröffnet worden – war er schon ein Dichter. Wer das nicht weiß, glaubt gern dem Zeugen, der behauptete: »Tristan Tzara wurde am 8. Februar 1916 um sechs Uhr abends im Café Terrasse in Zürich geboren, da er einen Brieföffner auf gut Glück in die Seiten eines Larousse schob und das Wort DADA fand« … dieses Wort, das ein Begriff wurde.
An diesem 8. Februar 1916 erblickte DADA das Licht der Welt, aber sein Schöpfer war bereits ein Dichter und fast zwanzig Jahre alt. Und noch weniger ist bekannt, daß er sich nach Dadas Ende – 1922 – wenn auch zögernd dem Surrealismus anschloß und bis zu seinem Tode – 1963 – ein Dichter blieb. Ja, nach dem Zweiten Weltkrieg, 1947, schrieb er seine »Dialektik der Dichtkunst«. Sein dichterisches Werk umfaßt unzählige Bände. Da er eine Sammlernatur war und jeden Brief, jede Notiz, jedes gedruckte Wort aufhob, und dieser ganze Nachlaß den Zweiten Weltkrieg überlebt hat, ist die Aufgabe seiner Biographen verhältnismäßig leicht. Claude Sernet:
»Tristan Tzara wurde am 4. April 1896 in einem kleinen rumänischen Städtchen am Fuße der Karpathen geboren… Ein Westeuropäer, der nicht über Prag oder Wien hinausgekommen ist, macht sich schwer eine Vorstellung von der Verlassenheit, der Hoffnungslosigkeit jener verlorenen Gegenden, die gewiß auf das sensible Kind, das ein Dichter werden sollte, gewirkt haben. Er hatte das Glück, daß sein Vater wohlhabend genug war, um ihn nach Bukarest in eine Privatschule zu schicken, wo in französischer Sprache unterrichtet wurde. Er gehörte zu den begabtesten Schülern, las alles, was ihm in die Hände fiel, kannte Laforgue, Corbière, Rimbaud, als seine Mitschüler kaum wußten, was die »Parnassiens« waren oder die »Symbolisten«. Er war musikalisch, liebte vor allem Bach… vielleicht weil er ein hervorragender Mathematiker war. Er machte sein Abitur und studierte in Bukarest 1914-1915 Mathematik und Philosophie. In diese Zeit fallen seine ersten Gedichte, in rumänischer Sprache geschrieben, die 1965, nach seinem Tode, in französischer Übertragung erschienen…«
Ruf
Du trugst eine Kette um den Hals als ich dich sah
Gepuderte Arme, Armspangen
Und Schlangen wanden sich auf deinen kurzen Röcken
An den Fingern
Falsche Ringe, die blitzten wie die Augen der Nachteulen
Und deine Mutter war seit drei oder vier Wochen tot.
Die Schlangen wanden sich hinauf und hinunter wie ein
Wasserspiel
Und ringelten sich länglich, um mit unschuldiger Zunge
etwas Verbotenes oder ihren eigenen Leib, wo er endet,
zu lecken.
In deiner Seele Stille, aber deine Augen weinten einen
wahren Schmerz
Ich fühlte, daß deine bezahlte Stimme
– Du sangest Trunkenheit und sie war erzwungen –
Deine leere Seele erfüllen wollte
Mit der Melodie später Stunden
Und dein Tanz in verdächtiger Absicht
Wurde kühn und gewagt – herrlich (die Jünglinge fragten: wieviel?)
Reif und schwer deine Brüste
Und wild unsere Blicke
Sängerin, Tänzerin von Talent
Laß die verkäufliche Liebe, Fluch der verdorrten Blüte
Werde wie zuvor: brav
So denkt deine Mutter mit der Einfalt des Schnees.
Du hast es gewollt, Marie, dir einen Strick um den Hals gelegt
Weil deine Mutter dich liebte
Er kam im Sonntagsdress
Und Blumen auf deinem Antlitz haben die Tränen weggewischt.
Der Mond ist rot, Marie, wie sollte die Nacht grau sein
Komm mit mir auf das Land
Dort kannst du weinen deinen ganzen Schmerz in aller Ruhe
In einer alten düstren Kammer, in einer ruhigen, sauberen Kammer
Wo du ganz nackt sein kannst
Und deinem Leid die Stärkung geben die es braucht
Vielleicht möchtest du Bücher mit Bildern um zu vergessen
Oder eine Puppe in ihrer Wiege und Krankenpflege
Im Schlitten fahren wir spazieren über das weißverschneite Feld
Und ich spiele mit deinem