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Gerüchteküche: Österreich Krimi
Gerüchteküche: Österreich Krimi
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Ebook275 pages3 hours

Gerüchteküche: Österreich Krimi

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About this ebook

Auf einem Hunde-Abrichteplatz ist eine Richterin ermordet worden. Als der junge Inspektor Tom Meixner am Tatort eintrifft, lernt er dort die Hundesport-Szene kennen, die ihm bisher völlig fremd war. Im Zuge seiner Ermittlungen erkennt Meixner, dass es bei Hundesportlern, Züchtern und Richtern nicht nur um Tierliebe, sondern um krankhaften Ehrgeiz und jede Menge Geld geht.

LanguageDeutsch
Release dateSep 9, 2014
ISBN9783902784827
Gerüchteküche: Österreich Krimi

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    Gerüchteküche - Michaela Muschitz

    2

    1. Kapitel

    Steine knirschten unter den Reifen, als er in den Feldweg einbog. Endlich hatte er den abgelegenen Platz gefunden – dabei hätte er nur dem Hundegekläffe folgen müssen.

    Wie gerne wäre er jetzt aufs Gaspedal gestiegen und den Feldweg entlang gebrettert – wie damals in Krems, bevor er seinen Führerschein hatte und mit seinen Kumpels in der aufgelassenen Schottergrube seine Fahrkünste übte. Doch die Zeiten waren vorbei. Er warf einen kurzen Blick in den Rückspiegel und strich sich lässig eine dunkle Haarsträhne aus dem Gesicht – gestern hatte er ein erstes graues Haar darin entdeckt, und das gefiel ihm gar nicht. Älterwerden war etwas für Schwächlinge. Mit einem kurzen Schnauben wandte er sich wieder dem Weg zu und begann, seine Umgebung bewusst aufzunehmen. Links neben dem Feldweg war eine Wiese zum Parkplatz umfunktioniert worden – Kombis und Vans reihten sich aneinander – jeweils mit einigem Abstand zueinander. An manchen Autos waren Zeltvordächer montiert, und darunter lagen große Hunde hechelnd im Schatten. Bei anderen Autos waren die Heckklappen offen, und in den vergitterten Kofferräumen saßen, lagen und standen noch mehr Hunde.

    Ausgerechnet ihm musste der Fall zugeteilt werden. Wo er Hunde doch nicht ausstehen konnte. Auf und neben dem Feldweg tummelten sich Menschen und Hunde. Es lagen Hektik und Anspannung in der Luft. Aber er wurde das Gefühl nicht los, dass es wenig damit zu tun hatte, dass hier vor Kurzem eine Leiche gefunden worden war.

    Er lachte kurz auf – vor Kurzem? Er hatte den Anruf vor mehr als zwei Stunden bekommen – mitten im Spiel. Er war gerade im Ballbesitz und hatte einen gegnerischen Verteidiger ausgetrickst und trippelte auf das Tor zu. Als er von hinten gehalten wurde und ihn ein anderer Verteidiger zu Fall gebracht hatte – leider knapp vor dem Strafraum, sonst hätte er vielleicht sogar einen Elfer rausholen können. Als er sich gerade für den Strafstoß aufstellen wollte, sah er, wie seine Frau aufgeregt mit dem Handy in der Hand an der Außenlinie auf und ab sprang und hektisch mit den Armen fuchtelte. Er fragte sich manchmal, was er eigentlich an ihr fand, wenn er sie heute so sah. Sie hatte an Gewicht zugelegt und ihre blond gefärbten Haare gefielen ihm schon lange nicht mehr. Wie er es hasste, wenn sie sich mit seinem Job in Szene setzte. »Tom! Tom!«, hatte sie mit ihrer schrillen Stimme ins Spielfeld gerufen und auf sein Handy in ihrer Hand gedeutet. Warum musste ausgerechnet heute, wenn er Fußball spielte, ein Mord passieren – wenn er Bereitschaft hatte. Widerwillig trabte er vom Spielfeld und nahm Tina das Handy ab.

    »Meixner«, knurrte er ins Telefon. Er starrte auf den Boden, während er zuhörte, was ihm die Kollegin von der Einsatzzentrale ins Ohr plapperte. »Ok. Ich mach mich auf den Weg. Ist der Streifenwagen schon unterwegs?« Er wartete die Antwort ab und zischte dann ins Telefon: »Herrgott nochmal, natürlich müssen Sie einen Streifenwagen dorthin schicken – die sollen den Tatort absichern, sonst sind alle Spuren weg. Und die Spurensicherung und der Gerichtsmediziner sollen sich auch auf den Weg machen.«

    Er hob den Blick und sah seiner Frau ins Gesicht, die über beide Ohren strahlte und auf wichtig von rechts nach links sah, ob ja jeder mitbekam, wie wichtig ihr Mann war. Sie sah eindeutig zu viele Krimiserien.

    »Ich melde mich nochmals, wenn ich unterwegs bin – finden Sie in der Zwischenzeit heraus, wo genau das ist, damit ich nicht elendslang suchen muss.« Tom wollte schon auflegen, als die Frau noch eine Bemerkung quakte: »Nein, ich hab kein Navi – und selbst wenn, bräuchte ich genaue Angaben, wo dieser Scheißhundeplatz ist, sonst könnte mich das Navi auch nicht hinlotsen.«

    Zornig drückte Tom die rote Taste. Er konnte Klugscheißer nicht ausstehen – noch dazu, wenn sie neu waren und keine Ahnung hatten, was wirklich lief, wie diese Kollegin. Typisch, dass sie ihr den Wochenenddienst aufs Auge gedrückt hatten.

    Er funkelte seine Frau an, deren breites Grinsen augenblicklich erlosch. »Scheiße«, fluchte Tom und wandte sich dem Trainer zu.

    »Fritz, ich muss los. Musst mich austauschen!«, rief er dem etwas entfernt stehenden Trainer zu, der das inzwischen weiterlaufende Spiel beobachtete. Er wandte sich Tom kurz zu und hob die Hand. »Schon passiert, Tom, schon passiert.« Seine Aufmerksamkeit war beim Spiel, und er brüllte einem Spieler eine Anweisung zu. Tom starrte aufs Spielfeld und blieb unschlüssig stehen – er hätte sie heute vom Platz gefegt. Hätte noch ein oder zwei Tore rausholen können. Wenn sein Knie mitgespielt hätte. Doch seit seiner Verletzung letztes Frühjahr konnte er nicht mehr so, wie er wollte – die immer wiederkehrenden Schmerzen hatten ihn langsamer werden lassen. Er drehte sich wieder zu seiner Frau um, die ihn erwartungsvoll ansah. Er seufzte und schloss kurz die Augen, um sich zu konzentrieren. Was war jetzt zu tun?

    »Tina, einer der Jungs soll dich heimfahren. Ich muss weg. Nach Amstetten. Da ist bei einer Hundeausstellung was passiert«, informierte er sie knapp. Mehr konnte und wollte er ihr nicht sagen. Er wusste eigentlich aber auch nicht mehr.

    »Aber kann ich nicht mitkommen? Ich kann ja im Auto warten?«, fragte sie leise. Er konnte ihre unterwürfige Art nicht leiden – war sie schon immer so gewesen?

    »Nein, kannst du nicht. Das ist dienstlich und kein Ausflug ins Grüne«, herrschte er sie an. »Außerdem habe ich keine Ahnung, wie lange das dauert. Und ich habe keine Lust auf dein Gequengel. Also bitte ...«, er brach ab, um nicht in Rage zu geraten. Er warf seine Trinkflasche und sein Handtuch in die Trainingstasche und schulterte sich diese lässig. »Warte nicht auf mich. Mach dir einen gemütlichen Nachmittag.« Er gab ihr einen flüchtigen Kuss und stapfte ohne weitere Worte in Richtung Garderobe.

    Ein kurzer Schrei ließ ihn zusammenfahren – er hätte beinahe einen Hund, der vor das Auto gelaufen war, überfahren. Er war mit seinen Gedanken noch beim Spiel. Eine gestikulierende Frau funkelte ihn an und schrie, ob er keine Augen im Kopf hätte. Tom verkniff sich eine Antwort und rollte weiter den Weg entlang. Vor sich konnte er schon den Streifenwagen erkennen. Doch von der Spurensicherung war weit und breit noch nichts zu sehen.

    Tom bahnte sich den Weg durch die Menschenmenge, bis er endlich auf einen uniformierten Kollegen traf. Er klopfte diesem von hinten auf die Schulter.

    »Habt ihr den Tatort schon abgesichert?«

    Der junge Mann sah Tom verwirrt an. Na super, noch ein Frischling. Hatten dieses Wochenende nur die Frischgefangenen Dienst? Tom griff in seine Lederjacke und zog seine Dienstmarke aus der Innentasche und hielt sie dem Jungen unter die Nase.

    »Wo ist der Tatort?«, fragte er nochmals.

    Der Junge wurde rot und stammelte aufgeregt: »Hinter diesem Toilettenwagen«, und deutete in eine Richtung. Tom drängte sich zwischen dem Polizisten und den Schaulustigen durch und ging einen Schritt in den entstandenen Halbkreis, der sich rund um den Toilettenwagen gebildet hatte. Er sah sich in der Runde um und in die Gesichter der umstehenden Menschen. Einige standen mit schreckensgeweiteten Augen da und starrten vor sich hin. Andere reckten ihre Hälse und versuchten, über den Vordermann oder die Vorderfrau drüber zu sehen. Einige tuschelten miteinander. Der Kreis um den Tatort war viel zu eng – er brauchte mehr Platz zum Arbeiten. Und sobald das Team von der Spurensicherung da war, brauchten sie erst recht mehr Platz. Wie viele waren wohl schon hier herumgetrampelt?

    Tom wandte sich wieder dem jungen Kollegen zu. »Wer hat mit Ihnen Dienst?«, fragte Tom.

    »... Meier, Herr Inspektor«, stammelte der Junge.

    Beinahe wäre Tom der Satz »Inspektor gibt’s kann« herausgerutscht. Doch diesen polizeiinternen Running Gag wollte er nicht vor so vielen Zivilisten anbringen. »Und wo ist der Kollege?«, fragte Tom stattdessen.

    »Hinter dem Toilettenwagen«, antwortete der Junge rasch.

    Tom hatte das Gefühl, er wollte dabei salutieren. Wo hatte denn der seine Ausbildung gemacht? Einer von den Wahnsinnigen, die sich beim Bundesheer zu wohl gefühlt haben und dann zur Polizei gegangen sind, damit sie für Ordnung sorgen können? Tom seufzte und drehte sich zum Toilettenwagen um. Na, wunderbar – hoffentlich war der Kollege Meier etwas erfahrener als der Jungspund vor ihm und zertrampelte nicht gerade die letzten Beweise.

    »Ok, Sie schaffen hier mehr Platz. Ziehen Sie einen größeren Kreis – mindestens zehn Meter weiter raus. Und sorgen Sie dafür, dass vor der Einfahrt Platz gemacht wird, damit die Kollegen von der Spurensicherung für ihr Auto Platz finden«, gab Tom einige kurze Anweisungen.

    Die Augen des Jungen weiteten sich. »Alleine?«, fragte er erstaunt.

    Tom seufzte erneut auf und schüttelte den Kopf. »Nein, nicht alleine. Der Kollege Meier wird Ihnen helfen. Und sollten Sie das zu zweit nicht schaffen, dann rufen Sie sich eben Verstärkung.« Tom wandte sich ab und ging auf den Toilettenwagen zu.

    Rechts neben dem Wagen stand eine Hendlbraterei, und dazwischen ging ein Weg durch. Wie passend, dachte Tom, dass Fresswagen und Scheisshaus gleich nebeneinander standen. Als er sich zwischen den beiden Wagen hindurch bewegte, machte er sich auf einiges gefasst. Er kam auf einen kleinen Platz, der auf der linken und hinteren Seite von Sträuchern eingezäunt war. Auf der rechten Seite begrenzte eine größere Holzhütte den Platz. Entlang der Hütte stapelten sich leere und volle Bierkisten und jede Menge anderes Zeug. In der Mitte des Platzes lag eine Frau auf dem Rücken, die Beine seltsam verdreht, der rechte Arm lag über ihrem Körper, der linke Arm war weggestreckt.

    Ein uniformierter Polizist beugte sich gerade über die Leiche.

    »... Meier, was machen Sie da?«, rief Tom rüber.

    Erschrocken sprang der Polizist auf und sah Tom an. »Ich ... wollte sehen, ob ...«

    Als Tom näher kam, sah er die große klaffende Wunde am Hals und den blutverschmierten Rand der Jacke der blonden Frau. Das Gras unter ihrem Kopf glänzte dunkel, und Tom konnte nur ahnen, dass es sich auch dabei um Blut handelte.

    »Das ist nicht Ihre Aufgabe, sondern Aufgabe des Gerichtsmediziners. Sie sollten den Tatort sichern und nicht darauf herumstapfen«, schnauzte Tom den Uniformierten an. Tom sah sich um, es führten einige Fußspuren um die Leiche herum.

    »Helfen Sie Ihrem Kollegen da draußen lieber, einen größeren Abstand um den Tatort zu ziehen und Platz für die Spurensicherung zu schaffen.«

    Der Polizist funkelte Tom an, sagte jedoch nichts und ging wortlos an Tom vorbei wieder hinaus auf den Platz.

    »Wie lange sind Sie schon hier?«

    Der Polizist drehte sich zu Tom um, sah kurz auf seine Armbanduhr und antwortete dann: »Eine Stunde«, und wollte schon weitergehen.

    »Genau eine Stunde oder ungefähr eine Stunde?«, hakte Tom nach.

    Der Polizist sah Tom stirnrunzelnd an. »Etwas mehr als eine Stunde«, antwortete er knapp.

    »Wann ist der Fund gemeldet worden?«, fragte Tom weiter.

    »Wir haben den Funkspruch um 13:16 erhalten und sind dann gleich hierher.«

    Tom sah auf seine Uhr. »Aber jetzt ist es 15:30. Dann sind Sie gegen 14:15 hier eingelangt?«

    Der Polizist nickte. »Ja, kommt hin.«

    Tom konnte es nicht fassen. »Sie haben eine Stunde gebraucht, um hierherzukommen?«

    »Ja, wir haben keine genaue Ortsangabe von der Zentrale bekommen. Und daher mussten wir so lange suchen. Außerdem sind wir unterbesetzt. Wir sind aus Krems von einem Verkehrsunfall hergekommen, weil die Kollegen dort auch unterbesetzt sind.«

    Tom schüttelte den Kopf. Der Tatort war über eine Stunde ungesichert gewesen. Doch er konnte dem Kollegen keinen Vorwurf machen. Er merkte, dass es dem Uniformierten selbst unangenehm war, dass sie so lange gebraucht hatten.

    »Ok, dann sorgen Sie jetzt bitte mit Ihrem Kollegen für mehr Platz da draußen. Die Spurensicherung und der Gerichtsmediziner werden ja hoffentlich jede Minute eintreffen.« Tom bemühte sich um einen höflichen Tonfall. Als der Polizist sich erleichtert umdrehte und Tom sich der Leiche zuwandte, fiel ihm noch etwas ein. »Wer hat die Leiche gefunden?«, rief er nochmals dem Polizisten hinterher.

    »Eine junge Frau, die hier in der Kantine aushilft. Sie sitzt gerade in Tränen aufgelöst da drinnen.« Der Polizist deutete auf die Holzhütte. Tom setzte gerade zu einer neuen Frage an, als der Polizist ihm zuvorkam. »Die Sanitäter kümmern sich gerade um sie. Gott sei Dank müssen bei solchen Großveranstaltungen jetzt immer Sanitäter anwesend sein. Die haben wir darum gebeten, daher mussten wir keinen Krankenwagen anrufen.«

    Tom nickte anerkennend, dass der uniformierte Kollege mitgedacht hatte. Schockbekämpfung war in solchen Fällen wichtig. Ein kurzes Lächeln breitete sich auf dem Gesicht des Polizisten aus, als er Toms anerkennendes Nicken sah.

    »Ich geh jetzt mal für Ordnung sorgen«, sagte er rasch und ging durch die beiden Wägen durch.

    Tom betrachtete den Platz genauer. Die Leiche wollte er sich erst ansehen, wenn die Jungs von der Spurensicherung da waren. Er blieb einige Meter von der Toten entfernt stehen und sah sich um. Zwischen den Kistenstapeln konnte er eine schmale Tür erkennen, die sichtlich eine Art Hinterausgang der Holzhütte darstellte. Er ging zur Tür und sah auf der obersten Kiste neben der Tür einen Aschenbecher mit einigen Zigarettenstummeln darin stehen. Auf einem waren glänzende Ränder zu sehen. Er sah zur Leiche hinüber und konnte einen schwachen Schimmer auf den Lippen sehen. Wahrscheinlich der Lipgloss des Opfers, oder wie auch immer diese Dinger hießen. Tom ließ seinen Blick weiter über den Platz schweifen. In der Hektik, die vor den Wägen herrschte, schien dies so ziemlich der einzige ruhige Ort zu sein. Durch den schmalen Spalt zwischen den beiden Wägen kaum einsehbar und auch die herumgehende Hecke war so hoch, dass von dem dahinterliegenden Weg keine Einsicht in den Platz möglich war. Er wandte sich dem Opfer zu. Es war eine Frau, die Tom auf zirka achtunddreißig Jahre schätzte und die er unter normalen Umständen als durchaus attraktiv eingestuft hätte. Die blonden Haare waren zu einem Pagenkopf geschnitten, die nun wie ein Heiligenschein um ihren Kopf lagen, teilweise blutverschmiert. Die blaugrauen Augen waren weit aufgerissen und starrten ins Leere. Was so überhaupt nicht zu dem hübschen Gesicht passte, war die unvorteilhafte Kleidung. Ein weites T-Shirt umhüllte den Körper so, dass keine Rückschlüsse auf ihre Körperform möglich waren. Sie trug ein sandfarbenes Gilet mit vielen kleinen Taschen, das auf der einen Seite aufgeklappt war. Die khakifarbene lange Hose erinnerte ihn an eine Militäruniform. Die Hose war schmutzig und mit Pfotenabdrücken übersät. Dazu kamen die derben Stiefel, die ebenfalls schmutzig und mit einer dicken Erdschicht überzogen waren.

    Tom fiel ein, dass er vergessen hatte, den Polizisten zu fragen, wer die Leiche war. Er kannte noch nicht einmal ihren Namen. Er wandte sich ab und ließ seinen Blick weiter über den Platz gleiten. Er konnte die tote Frau nicht weiter ansehen. Irgendwie konnte er sich einfach nicht an den Anblick von Leichen gewöhnen. Vor allem, wenn es Frauen waren. Männer bereiteten ihm weniger Probleme. Aber bei Frauen, dachte er sich immer, wie konnte jemand so in Rage geraten, dass er eine Frau umbrachte? Er war auch nicht gerade ein Lämmchen, konnte ganz schön ruppig zu Tina sein, sie bezeichnete ihn dann immer als Macho. Aber die Hand gegen sie erheben, das brachte er einfach nicht fertig. Wann kamen denn endlich der Gerichtsmediziner und die Spurensicherung? Das durfte doch alles nicht wahr sein. Die konnten doch nicht über zwei Stunden brauchen, um endlich hier aufzutauchen – wie wollten die denn dann noch Spuren sichern? Wir sind hier von CSI und Konsorten noch meilenweit entfernt, dachte Tom sich.

    Ein lautes »Platz da, lassen Sie uns durch« holte Tom aus seinen Gedanken. Ein Trupp Männer in weißen Overalls, jeweils mit einem großen Koffer in der Hand, erschien zwischen den Wägen. Sie sahen aus wie in einem schlechten Film, einer billig produzierten Serie.

    »Wird aber auch Zeit«, rief Tom ihnen entgegen.

    »Sie brauchen was reden, Herr Kollege. Wie wir gehört haben, sind Sie selbst erst seit zehn Minuten da«, konterte einer der Weißgekleideten. »Außerdem sind wir so unterbesetzt, dass wir am Wochenende keine diensthabenden Teams haben, sondern alle nur auf Bereitschaft sind. Und das dauert dann halt.«

    Tom hob entschuldigend die Hand. »Schon gut, Jungs. Macht euch an die Arbeit, damit ich mit meinen Ermittlungen beginnen kann!«

    »Sie ist seit zwei bis drei Stunden tot.« Der Gerichtsmediziner hockte neben der Leiche und hielt das Thermometer in der Hand.

    »Wohl eher drei Stunden, denn vor mehr als zwei Stunden wurde ich informiert«, gab Tom rasch zurück. Das hieß, als sie gefunden wurde, war sie noch nicht lange tot. War sie schon tot, als sie gefunden wurde? Oder hatte jemand es unterlassen, Hilfe zu leisten? Er musste mit der Frau sprechen, die die Leiche gefunden hatte. »Bist du mit der Todeszeit ganz sicher?«, fragte Tom nochmals nach. Er kannte den Kollegen, er nahm es oft nicht so genau.

    »Können es auch mehr als drei Stunden sein?« Der Gerichtsmediziner sah ihn an, blickte nochmals auf das Thermometer. »Na ja, angesichts der Tatsache, wie warm es ist und dass die Leiche in der Sonne liegt, könnte es schon sein, dass sie länger als drei Stunden tot ist«, überlegte dieser.

    Tom hatte es gewusst – so hätte sich das nicht ausgehen können. Also war die Tatzeit zwischen 12:00 und 13:00 gewesen. Damit konnte er arbeiten. Tom wartete weiter ab, bis die Kollegen von der Spurensicherung die Tatortfotos gemacht hatten. »Ich will mir die Leiche nochmals genauer ansehen, bevor ihr sie abtransportiert«, rief er zu den Kollegen rüber. »Und nehmt diese Zigarettenstummel mit ins Labor.« Er deutete auf den Aschenbecher, der neben der Tür stand. »Ich will wissen, ob die vom Opfer oder von jemand anderem sind.«

    Tom ging hinüber zur Leiche und hockte sich neben den Gerichtsmediziner. Er sah sich die Wunde am Hals genauer an.

    »Was meinst du, war die Tatwaffe?«, wollte er die Meinung des Mediziners hören.

    »Schwer zu sagen. Es war auf jeden Fall kein Messer, die Ränder der Wunde sind nicht glatt, sondern ausgefranst.« Der Mediziner zeigte auf die Wundränder. »Und die Waffe war nicht sauber. Siehst du hier«, er deutete auf einen kleinen braunen Krümel in der Wunde, »sieht aus wie Erde.«

    Tom nickte und ließ nur ein »Mmmmh« hören.

    »Aber Genaueres kann ich dir erst sagen, wenn ich sie bei mir auf dem Tisch liegen habe.« Der Mediziner rappelte sich schwerfällig auf und begann, seine Tasche zu packen.

    »Und nach welcher Tatwaffe sollen wir jetzt suchen?«, fragte Tom etwas ratlos.

    »Das, mein Lieber, ist dein Job«, grinste ihn der übergewichtige Gerichtsmediziner an.

    »Und bis wann wirst du deinen Job erledigt haben?«, gab Tom zurück.

    »Morgen früh solltest du den Bericht auf dem Tisch haben«, antwortete der Mediziner ruhig und ging ohne einen weiteren Gruß auf den Durchgang zwischen den Wägen zu, schob sich durch und verschwand.

    Auch das Team der Spurensicherung hatte alles fotografiert, die Zigarettenstummel eingesammelt und begann, sein Equipment einzupacken.

    »Können wir sie mitnehmen, Chef?« Zwei Männer mit einem großen grauen Sarg standen zum Abtransport der Leiche bereit.

    Tom ging noch einmal um das Opfer herum und versuchte, sich das Bild einzuprägen. Er wollte sich nicht nur auf die Tatortfotos verlassen. So, wie sie dalag, gab es kaum Anzeichen für einen Kampf. Was war hier passiert? Wer hatte Interesse daran, sie umzubringen? Und warum?

    »Ja, nehmt sie mit.« Tom sah den Männern zu, wie sie den schwarzen Sack neben die Leiche legten, die Arme der Frau über ihren Bauch falteten und sie dann in den Sack hoben, den Reißverschluss zuzogen, bis nichts mehr von ihr zu sehen war.

    So enden wir – in einem Sack, dachte Tom bei sich. Die Männer hievten die

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