Verflucht in Love
By Nicole Geier
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About this ebook
Nicole Geier
Nicole Geier, geboren 1995, studiert Theater- und Medienwissenschaft sowie Germanistik in Erlangen. In ihrer Freizeit liest und schreibt sie gerne, wobei auch „Verflucht in Love“ entstanden ist. Einige ihrer Kurzgeschichten wurden in diversen Anthologien veröffentlicht.
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Book preview
Verflucht in Love - Nicole Geier
Autorin
Eine lange, schreckliche Reise
Kater Gustel blickte schläfrig auf, blinzelte mit seinen großen grünen Augen verwirrt in das ungewohnt frühe Licht der Stehlampe, von der unsere bepackten Koffer beschienen wurden, und vergrub beleidigt seine schwarz-weiße Schnauze unter der Pfote. Mein Herz zog sich zusammen. Wie immer viel es mir schwer, meinen süßen, kleinen Tiger alleine zurückzulassen.
„Pass auf dich auf, mein Großer!", flüsterte ich ihm zum Abschied in seine spitzen Ohren und fuhr ihm ein letztes Mal mit der Hand sanft über den Rücken. Schon setzte ein monotones, zufriedenes Schnurren ein, das in dem Moment verstummte, als ich die Tür hinter mir zuzog. Unsere Untermieterin würde sich gut um ihn kümmern. Sie vergötterte das kleine Mistvieh, auch wenn er ihr regelmäßig Häufchen in ihr Blumenbeet setzte oder über ein offenes Fenster in ihre Wohnung schlich, um ihr Mäuseinnereien auf dem Küchentisch zu servieren. Aber das war vergessen, wenn er sie mit großen, treuherzigen Augen ansah, um sich ein Schälchen Milch zu erbetteln. Er war also in besten Händen, die sich nicht nur um seine täglichen Bedürfnisse kümmern würden, sondern auch um die Post in unserem quietschgelben Briefkasten.
Schnell warf ich einen letzten prüfenden Blick in meine Handtasche, ob ich auch wirklich alle wichtigen Bücher eingepackt hatte: Mary Poppins, Robinson Crusoe, Die Schatzinsel. Check! Aus dem Erdgeschoss drang die gedämpfte Stimme meiner Mutter zu mir hoch:
„Schätzchen, bist du so weit?" Ich krallte mir meinen orangefarbenen Koffer und schlich auf Zehenspitzen die Treppenstufen hinab – was mit dem ganzen Gepäck gar nicht so einfach war. Es bestand aus mehreren hübschen Sommerkleidern, Badesachen und Ballerinas, die mich für die nächsten zwei Wochen wappnen sollten. Über meine Schulter hing eine weitere kleine Tasche, in die meine Spiegelreflexkamera gebettet war. Ein Geschenk meines Vaters, der mich stets gelehrt hatte, die Augen für die außergewöhnlichen Dinge des Lebens offen zu halten – mögen sie auch noch so klein sein! Diese Zeiten waren jedoch vorbei, geblieben waren mir nur mein Hobby und die Kamera. Über meinen Vater hingegen wollte ich nicht nachdenken. Nicht jetzt. Und vielleicht nie wieder.
Draußen in der Dunkelheit wartete meine Mutter vor ihrem schnuckeligen, roten Auto. Ein Lächeln erfüllte die zarten Züge ihres Gesichtes und ließ mich innerlich triumphieren. Endlich. Ich quetschte meinen Koffer neben ihre Reisetasche, machte mich auf dem Beifahrersitz breit und wartete darauf, dass sie den Motor starten ließ. Ein halbes Jahr noch, dann durfte ich mich selbst hinter das Lenkrad setzen und in den Sonnenaufgang fahren. Das Armaturenbrett zeigte ein paar Minuten nach halb drei an – eine Uhrzeit, die ich sonst nur friedlich schlummernd verbrachte.
Das Scheinwerferlicht strich wie ein flüchtiger Schatten über den Asphalt, der stumm vor sich hindämmerte, vermengte sich mit den Lichtkegeln der Straßenlaternen, zog rastlos weiter. Eine unheimliche Ruhe lag auf dem Städtchen. Mit halb geschlossenen Lidern ließ ich die alltagsbekannte Welt vorbeiziehen und dachte an Italien.
„Setzt du dich nach hinten, wenn Christa einsteigt?"
„Klar, bin schon so gut wie weg!", flötete ich und schwang mein Handgepäck auf die Rückbank.
„Ich bin so froh, dass du mitkommst! Ohne dich würde einfach ein wichtiger Teil fehlen!", meinte meine Mutter, während sie sich mit dem Zeigefinger über den Nasenrücken rieb.
Irgendetwas stimmte nicht. Dieser Tick mit dem Zeigefinger. Das tat sie nur, wenn sie nervös war. Aufmerksam musterte ich sie von der Seite. Sie spürte meinen Blick und rieb sich erneut über den Nasenrücken.
„Was hast du ausgefressen, Mama?"
„Nichts."
„Das hättest du wohl gerne, dass ich dir das glaube."
Sie steuerte auf ein rotes Backsteinhaus zu und hielt an. „Grace, es ist wirklich nichts Schlimmes!", betonte sie jedes einzelne Wort, das aus ihren Mund drang.
„Und wenn es nicht schlimm ist, warum verheimlichst du es mir dann?", bohrte ich weiter. Meine Mutter trommelte auf das Lenkrad, bemüht, meinen Blick nicht zu erwidern, als die Haustür aufgerissen wurde.
„Versprich mir einfach, dass du diesem Urlaub eine faire Chance gibst!", bat sie zaghaft.
Ich starrte hinaus. Ich durchwühlte meine Gedanken und Erinnerungen. Was, was konnte sie mir verschwiegen haben? War irgendetwas mit Dad? Nein, das konnte es nicht sein. Dann würde sie ganz anders mit der Sache umgehen.
Auf dem Gehweg näherten sich uns zwei Gestalten. Zwei?
„Springst du nach hinten?", riss Mama mich aus den Gedanken, worauf ich gehorsam folgte. Sie selbst stieg aus und half beim Beladen. Konnte es etwas mit Christa zu tun haben? Die pummelige, kleine Frau drückte gerade kichernd ihre viel zu große Reisetasche in den Kofferraum, wodurch sich das Polster in meinen Rücken bohrte. Ich war mir immer noch nicht sicher, was ich von ihr halten sollte. Stets war sie ein wenig überdreht, ein wenig zu tollpatschig und zu übermotiviert. Dazu kam, dass sie gerne von ihrem Sohn sprach. Stundenlang. Ihr Henrik war quasi ein Gott auf Erden. Bestleistungen in der Schule, übervorbildliches Engagement für Kinder, Wissen im Überfluss … blablabla … und das Beste kam noch: Er wollte Medizin studieren und dann Arzt werden. War das nicht der Traum jeder zukünftigen Schwiegermutter? Vergiss es, ich wusste es besser! Ich verdrehte innerlich die Augen, als plötzlich die Seitentür zur Rückbank geöffnet wurde. Verdammt. Nein, das durfte nicht sein! Ein schmerzhafter Stich in meinem tiefsten Inneren. Meine Mutter, die inzwischen zusammen mit Christa wieder eingestiegen war, schenkte mir ein schiefes Lächeln über den Rückspiegel. Wie konnte sie mir das antun? Nach allem, was ich für sie getan hatte?
Willkommen und Ankunft
Nach elf endlosen Stunden auf der Autobahn versuchte ich, das passende Wort zu finden, was meinem Leiden wohl am besten Ausdruck verleihen könnte. Vielleicht Arschweh. Oder Gesäßschmerz. Egal, ich glaube, jeder, der einmal über mehrere Stunden hinweg mit Gurt auf eine Rückbank gefesselt worden war, versteht, was ich meine. Die Zeit hatte sich wie bei einem Schneckenrennen im Vorgarten hingezogen, wobei Kekseknabbern, Musik in Gedanken mitsingen und ein wenig Lesen – wie das typische Sprichwort so sagt – ein Tropfen auf den heißen Stein waren. Währenddessen hatte Mama zusammen mit Christa alle ABBA-Songs hoch und runter gehört, wobei das laute, schiefe Mitsingen natürlich nicht fehlen durfte. Die Zwei verhielten sich sowieso wie zwei nervige Teenies auf dem Weg ins Schullandheim. Ständig wurde gekichert, über die anderen Autofahrer gelästert, und sie klebten wie Kaugummi aneinander, als sie an den Raststätten zu den Toiletten gingen. Eigentlich hätte das an gesammelten Peinlichkeiten für einen Tag vollkommen ausgereicht, doch zur Krönung nahm mich meine Mutter bei einem unserer Zwischenstopps scheinheilig in den Arm und tat so, als wäre alles in bester Ordnung. Pustekuchen! Ich war so sauer auf sie. Würde sie nicht Autofahren, könnte man ohnehin meinen, sie sei betrunken. Dies alles wäre ja noch einigermaßen erträglich gewesen – hätte nicht das größte Problem wenige Zentimeter neben mir mit auf der Rückbank gesessen. Wir hatten keine Silbe der Begrüßung gewechselt und stur starrten wir beide in unterschiedliche Richtungen, bemüht, den anderen nicht zu beachten.
Stattdessen las Henrik ohne Pause auf seinem Kindle und blickte nur einmal dumm in meine Richtung, als ich mit einer Klatschzeitschrift von der Tankstelle zurückkam.
Unauffällig musterte ich ihn zwischen den weniger interessanten Artikeln über die neusten Fauxpas irgendwelcher B-Promis, trendige Nagellackfarben und moderne Wohnaccessoires, als ich mich sicher glaubte, einen kurzen Blick riskieren zu können. Sein Kleidungsstil hatte sich seit unserem letzten Treffen kaum verändert. Er trug wie eh und je die gleichen Karohemden in Kombination mit kurzen Jeanshosen, deren gigantische Taschen mit wirklich allem gefüllt sein konnten. Ein bisschen zu praktisch für meinen Geschmack. Seine braunen Haare hatten im morgendlichen Schein der Sonne an manchen Stellen einen leichten Kupferton. Plötzlich sah er auf.
„Was?", fragte er genervt, worauf ich zurückzischte:
„Selber was!" Rasch verbarg ich mich wieder hinter meiner Zeitschrift, ohne ein weiteres Wort zu lesen. Als unsere Mütter nun schon zum vierten Mal Mamma Mia im Autocockpit anstimmten, passierten wir endlich die letzte italienische Mautstelle und verließen die Autobahn. Es konnte folglich nicht mehr lange dauern. Oder etwa doch? Leider hatte ich mich getäuscht. Mama fuhr die Serpentinen entlang, als hätte sie ihre erste Fahrstunde. So unfähig hatte ja nicht mal ich mich