Jessica begegnet dem Leben: Die Klinik am See 24 – Arztroman
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About this ebook
Britta Winckler ist eine erfahrene Romanschriftstellerin, die in verschiedenen Genres aktiv ist und über hundert Romane veröffentlichte. Die Serie "Die Klinik am See" ist ihr Meisterwerk. Es gelingt der Autorin, mit dieser großen Arztserie die Idee umzusetzen, die ihr gesamtes Schriftstellerleben begleitete.
Jessica Dahlberg saß in dem Licht, welches nur ein verschwenderisch schöner Frühsommertag zu verschenken hatte. Alles um sie herum wirkte weich und warm und enthielt den Zauber von Leben und Bejahung.
»Ich darf dieses Kind nicht bekommen, Herr Dr. Lindau«, sagte das blonde Mädchen mit dem herben Gesicht und gab dem Licht keine Chance, ihren Zügen das starre Entsetzen zu nehmen, welches das Untersuchungsergebnis in ihrem Innern ausgelöst hatte.
»Welche Schwierigkeiten tun sich auf?«, fragte der erfahrende Gynäkologe und langjährige Chefarzt der Klinik am See ruhig, wissend, dass diese Mitteilung nicht bei jeder Frau Freude hervorrief.
»Mein Vater würde die Schande nicht überleben.« Jessica Dahlberg verkrampfte die Hände im Schoß, während ihre Augen den Arzt hilfesuchend ansahen.
»Schande?« Der Arzt hob erstaunt die Brauen. »Ich glaube, in diesen Begriffen denkt heute auch ein Pastor nicht mehr. Aber bevor wir jetzt über die Schwierigkeiten sprechen, welche Sie ganz offensichtlich vonseiten Ihres Vaters erwarten, sollten wir uns erst einmal über den Vater des Kindes unterhalten.«
Das blonde Mädchen schüttelte den Kopf, und eine ganze Weile sah es aus, als würde kein weiteres Wort über ihre Lippen kommen, dann aber veränderte sich der Ausdruck ihrer Augen. Die Panik wich und machte einem erlebten Traum Platz, der das Wissen von Glück in ihr Herz getragen hatte.
Der Arzt sah das hübsche Gesicht als Spiegel der Seele erblühen, alle Empfindungen preisgeben und ein tiefes Gefühl sichtbar werden. Das Mädchen war neunzehn Jahre alt, hatte vor zwei Monaten die Schule abgeschlossen – und ganz sicherlich war auch ein ebenso junger Mann Vater
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Jessica begegnet dem Leben - Britta Winckler
Die Klinik am See
– 24–
Jessica begegnet dem Leben
Was wie ein Märchen begann ...
Britta Winckler
Jessica Dahlberg saß in dem Licht, welches nur ein verschwenderisch schöner Frühsommertag zu verschenken hatte. Alles um sie herum wirkte weich und warm und enthielt den Zauber von Leben und Bejahung.
»Ich darf dieses Kind nicht bekommen, Herr Dr. Lindau«, sagte das blonde Mädchen mit dem herben Gesicht und gab dem Licht keine Chance, ihren Zügen das starre Entsetzen zu nehmen, welches das Untersuchungsergebnis in ihrem Innern ausgelöst hatte.
»Welche Schwierigkeiten tun sich auf?«, fragte der erfahrende Gynäkologe und langjährige Chefarzt der Klinik am See ruhig, wissend, dass diese Mitteilung nicht bei jeder Frau Freude hervorrief.
»Mein Vater würde die Schande nicht überleben.« Jessica Dahlberg verkrampfte die Hände im Schoß, während ihre Augen den Arzt hilfesuchend ansahen.
»Schande?« Der Arzt hob erstaunt die Brauen. »Ich glaube, in diesen Begriffen denkt heute auch ein Pastor nicht mehr. Aber bevor wir jetzt über die Schwierigkeiten sprechen, welche Sie ganz offensichtlich vonseiten Ihres Vaters erwarten, sollten wir uns erst einmal über den Vater des Kindes unterhalten.«
Das blonde Mädchen schüttelte den Kopf, und eine ganze Weile sah es aus, als würde kein weiteres Wort über ihre Lippen kommen, dann aber veränderte sich der Ausdruck ihrer Augen. Die Panik wich und machte einem erlebten Traum Platz, der das Wissen von Glück in ihr Herz getragen hatte.
Der Arzt sah das hübsche Gesicht als Spiegel der Seele erblühen, alle Empfindungen preisgeben und ein tiefes Gefühl sichtbar werden. Das Mädchen war neunzehn Jahre alt, hatte vor zwei Monaten die Schule abgeschlossen – und ganz sicherlich war auch ein ebenso junger Mann Vater des Kindes, das sie nun erwartete.
»Ihr Freund – ein früherer Mitschüler?«, forschte er in ihre Traumverlorenheit hinein, da er wünschte, dass sie darüber sprach. Als verantwortungsbewusster Arzt durfte er sich nicht allein auf den medizinischen Teil beschränken, wenn deutlich wurde, dass das Umfeld der Patientin Probleme aufwarf. Ein Kind, das erwartet wurde, war ein Mensch, der mit allen Ansprüchen auf seine Daseinssicherung auf die Welt kam, das musste er stets im Auge behalten.
Jessica Dahlberg schreckte auf, und der Traum in ihren Augen zersplitterte augenblicklich wie Glas.
»Nein – ein Mann«, sagte sie leise, »ein Mann, doppelt so alt wie ich – und verheiratet.«
»Ich verstehe.« Dr. Lindau kannte die Realitäten des Alltags, und diese boten selten den leichten Weg. »Möchten Sie, dass ich den Vater des Kindes von Ihrer Schwangerschaft unterrichte?«
»Nein!« Jessica Dahlberg fuhr vom Stuhl hoch und starrte den Arzt entsetzt an.
»Keine Aufregung – setzen Sie sich«, sagte er ruhig.
Sie tat, was er sagte, wirkte aber wie jemand, der auf dem Sprung ist, gewisse Dinge zu verhindern.
»Denken Sie jetzt mal nicht an sich und Ihren Stolz, oder an den Vater des Kindes und die Schwierigkeiten, in die er geraten könnte, denken Sie einzig und allein an das Wesen, das Sie erwarten – mit allen Verpflichtungen, welche das mit sich bringt.« Die Stimme des Arztes klang mahnend. »Und glauben Sie mir, das sind eine ganze Reihe von Verpflichtungen.«
»Ich möchte nicht, dass er davon erfährt, ich ihn damit belaste.«
Ihr Gesicht zeigte den Willen, dieses auf keinen Fall zuzulassen.
Dr. Lindau wurde nun sehr ernst. »Überschätzen Sie in dieser Lage nicht Ihre eigene Kraft, Frau Dahlberg! Ich kann Sie nur warnen.« Seine Stimme klang eindringlich und lebenserfahren.
»Bitte, befreien Sie mich von dieser Schwangerschaft – es würde alle Probleme lösen«, bat sie und richtete ihre Augen groß und flehend auf ihn.
»Ach – einfach so?« Dr. Lindau erhob sich ärgerlich. »Wissen Sie überhaupt, was das für mich heißen würde?« Diese jungen Leute hatten heute eine Moral, die er nicht zu teilen vermochte. Kopflos schlitterten sie in Abenteuer und suchten dann den problemlosesten Weg, um sich von den Folgen zu befreien.
Der große schlanke Arzt ging mit langen Schritten auf und ab, um dann wieder hinter seinem Schreibtisch Platz zu nehmen.
»Wenn Sie es nicht mir zuliebe tun, so denken Sie an meinen Vater«, bat Jessica erneut, und ihre Stimme klang verzweifelt.
»Und Sie glauben, er als Pastor würde diese Tat gutheißen?«, stellte er die eher rhetorische Frage.
Jessica schüttelte den Kopf. »Ihm würde beides nicht gefallen, weder der Abbruch, noch ein außereheliches Kind. Sein Ansehen in der Gemeinde wäre ruiniert und das Vorbild, welches er allen Kirchenmitgliedern stets gewesen ist, bekäme gefährliche Risse.«
Dr. Lindau wiegte zweifelnd den Kopf. »Ich kenne Ihren Vater von seinen Krankenbesuchen hier im Hause, Frau Dahlberg, und er schien mir immer sehr verständnisvoll und mitfühlend. Glauben Sie nicht, dass Ihre Sorgen um seine Reaktion auf Ihre Schwangerschaft etwas überzogen sind?«
»Sie kennen meinen Vater in seiner Funktion als Pastor, Herr Dr. Lindau, als Privatmann ist er eher ängstlich angepasst und streng um sein makelloses Bild bemüht.«
»Das sind kritische Worte, Frau Dahlberg, lassen wir es erst einmal darauf ankommen.« Dr. Lindau erhob sich. »Sie wissen, eine ledige Mutter ist heute keine Seltenheit mehr – und nicht selten bewusst gewünscht.«
»Heißt das, Sie helfen mir nicht?«, fragte Jessica fassungslos und erhob sich ebenfalls.
»Nicht so, wie Sie denken, Frau Dahlberg. Sie sind jung und gesund und leben in wirtschaftlich gesicherten Verhältnissen, sodass für mich als Arzt kein Grund besteht, Ihre Schwangerschaft zu unterbrechen.« Dr. Lindau kam um den Tisch herum und blieb vor dem blonden Mädchen stehen. »Was aber die angebotenen Gespräche betrifft, welche ich sowohl mit dem Vater des Kindes als auch mit Ihrem Herrn Papa führen möchte, so stehe ich dazu.« Er reichte ihr die Hand. »Lassen Sie es mich wissen.«
Jessica Dahlberg stand sehr gerade und fragte sich, ob sie wirklich erwartet hatte, dass er sie von ihrer Schwangerschaft befreien würde. Ein Arzt war schließlich dazu da, Leben zu erhalten, wo immer es ging und in seiner Macht lag. Außerdem musste er sie für eine leichtsinnige Person halten, welche ungeschützt diesen Zustand selbst verschuldet hatte. Etwas, was heute keiner Frau mehr passieren musste.
»Entschuldigen Sie mein Ansinnen«, sagte sie leise und wandte sich der Tür zu, voller Ratlosigkeit darüber, was nun werden sollte. »Frau Dahlberg!«
»Ja?« Sie wandte sich zu dem Arzt zurück.
»Sehen Sie es positiv, und nehmen Sie die Schwangerschaft an. Denn wenn Sie das Kind wollen, so wird auch Ihre Umgebung es akzeptieren – Sie werden sehen.« Seine Worte klangen eindringlich und sollten Mut machen.
»Ja – sicher.« Jessica Dahlberg zwang sich zu einem Lächeln und verließ dann das Sprechzimmer.
Dr. Lindau sah nachdenklich auf die Tür, welche sich hinter dem Mädchen geschlossen hatte. Musste er sich Sorgen um sie machen? Nachdenklich bewegte er den Kopf. Nein, sie war nicht der Typ, der unüberlegt reagierte. Trotzdem würde er sie im Auge behalten müssen. Gerne hätte er den Mann gesprochen, der sie in diese Lage gebracht hatte, unerfahren wie sie war. Verantwortungsloses Verhalten war eine Art Leichtsinn, den er verabscheute.
*
Jessica war nach dem Besuch bei Dr. Lindau eine Weile ziellos auf dem Rad durch die sanfte, schöne Landschaft gefahren, völlig zerrissen von dem, was sie erfahren hatte.
Sie erwartete ein Kind! Die Untersuchung durch Dr. Lindau hatte ihre Vermutung bestätigt, und der Scherbenhaufen, der sich nun vor ihr auftat, schien unüberwindbar. Sie hatte die Liebe erfahren, und der Zustand, in dem sie sich jetzt befand, war der Preis.
Schließlich ließ sie sich ins Gras sinken und blickte über den weiten See, der glänzend unter dem Himmel lag. Der Glanz blendete die Augen, und während sie diese schloss, lehnte sie sich zurück gegen den weichen Grasboden. Das Licht kam jetzt gefiltert durch die unbewegten Lider, und die Wärme hüllte wohltuend den Körper ein.
Eine ganze Weile war sie mit ihren Gedanken noch in Auefelden am See, doch dann trug die Erinnerung sie fort, und sie tauchte ein in die lichtdurchflutete Landschaft Griechenlands. Sie vermeinte wieder den weißen Glanz zu spüren, der über Land und Meer lag, und atmete zittrig und doch tief, während das Erlebnis sie wieder einfing.
Zwei Monate war das alles her – so unwiederbringlich! Jessica schluchzte trocken auf und drückte das heiße Gesicht seitlich ins Gras. Wie unerfahren und neugierig war sie aufgebrochen in dieses einzigartige Land der Antike. Aber was war die Akropolis gegen das Gefühl, das ihr bald darauf wie eine Urgewalt begegnet war, gänzlich unvorbereitet und machtlos ihm ausgeliefert, als hätte der eigene Wille ihren Körper verlassen gehabt.
Dabei hatte alles so harmlos