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Aus heiterem Himmel
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Aus heiterem Himmel
Ebook122 pages1 hour

Aus heiterem Himmel

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Beim Kauf einer Fahrkarte im Wiener Südbahnhof war er wie vom Blitz getroffen zu Boden gestürzt. Das behaupten zumindest seine Frau, Verwandte und Freunde. Er selbst erlebt es anders: Dass er, bevor er im Spital erwachte, mit Vertrauten in fernen Welten unterwegs gewesen war, mit denen ihn eine Innigkeit verband, die hierorts unmöglich erscheint. − Äußerlich benimmt er sich, wie man es von ihm erwartet, aber insgeheim sucht er nach seinen Geschwistern. Ob er sie ausfi ndig machen wird, und sie ihn erkennen werden − oder haben die Leute recht und es war alles nur Einbildung?
LanguageDeutsch
PublisherWieser Verlag
Release dateSep 1, 2017
ISBN9783990470824
Aus heiterem Himmel

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    Aus heiterem Himmel - Wilhelm Pevny

    978-3-99047-082-4

    Soeben noch woanders gewesen. – Oder bildete ich es mir bloss ein? – … X4YN, oder so ähnlich. Plötzlich wussten wir, es ist aus. Was aus? – Ein unbekannt unangenehmes Gefühl: Als wären wir miteinander verwachsen und jemand versuchte uns mit wuchtigen Hieben zu trennen, G., F., K., L. und mich, vielleicht auch R., S., U., W. oder 4, Beta, Ramses und Kom – Namen, Bezeichnungen, die ich mir später nicht mehr in Erinnerung zu rufen vermag.

    Danach auf etwas Kaltem erwacht. Steinboden, heisst es, Halle, Südbahnhof, Wien – weshalb nicht Wiese, Auckland, oder Feld 1, Quadrat X., Gammagan?

    Ich hätte es wissen müssen, behaupten die Wesen um mich herum. Brigitte, Maria, Kurt, MEINE Freunde im Spital, bestürzt, dass ich mich nicht erinnern kann. Zum Beweis halten sie MEINEN Kamm vor mich hin, MEINEN Rasierapparat, Papiere, Stempel, Dokumente. Am 6. 10. 1953 an einem Ort namens Jennersdorf geboren. 1972 nach Wien übersiedelt. Erinnerst du dich nicht mehr? – meine Mutter. Mutter — was ist das? Etwas, das zu Boden sackt, sobald man es nicht erkennt?

    Die Gemeindewiese, der Bach, die Weinfelder, wir hätten als Kinder so oft miteinander gespielt – Maria, meine Schwester. In der Lange-Gasse, Nummer 7, würde ich wohnen, gemeinsam mit meiner Ehefrau und meinem Sohn. Nein, nicht 1972, man schreibe bereits … – Überall diese seltsamen Wesen, und alle behaupten dasselbe: In der Kassenhalle des Südbahnhofs, wie aus heiterem Himmel niedergestürzt, hätte ich danach verwirrt auf Passanten eingeredet, was immer das ist.

    Das grelle Licht, in das sie mich gelegt haben, diese fremdartigen, weissen Gestalten (sonderbare Scheiben obenauf) – hat er recht, der im weissen Kittel und all die anderen: ich würde schon die längste Zeit in dieser Stadt hier wohnen, und bildete mir bloss ein, kurz bevor ich erwacht sei mit meinen Geschwistern (wie man sie hier wohl nennen würde) auf X4YN unterwegs gewesen zu sein – oder Lichtfeld Kaser, Abschnitt RO7?

    Das sei normal – das Gesicht des Oberarztes zu meiner Mutter gewandt —, in den Sekundenbruchteilen des Schocks entstünden solche Visionen(herrlich, diese unbewegte Scheibe, während der untere Schlitz darin sich ständig öffnet und schliesst!) – abrupt brach es aus mir heraus: sie nennen es Gelächter, ein angenehm quälendes Gefühl.

    Aber angenommen, so frage ich mich Wochen später, angenommen, der Oberarzt und all die anderen hätten recht (schliesslich behaupten sie, Beweise zu haben) und ich wäre tatsächlich in der Halle des Südbahnhofs wie vom Blitz getroffen zu Boden gestürzt, kurz nachdem ich – wie der Schalterbeamte angeblich bezeugte – eine Fahrkarte nach St. Veit an der Glan erstanden hätte (ein Ort, dessen Name und Existenz mir völlig unbekannt), so bleibt jetzt im Ehebett unseres blumengemusterten Schlafzimmers dennoch die Frage (falls es wirklich so geschehen ist, wie die Zeugen behaupten, was ich noch immer nicht recht glauben will): WAS sollte mich denn dermassen erschreckt haben, dass ich niedergestürzt und – im Zeitmass dieser Welt gedacht – von einer Sekunde auf die andere offenbar vergessen hatte, wie ich angeblich hiess und wer ich bis zu diesem Zeitpunkt gewesen sei, ich mir stattdessen (glaube ich den Äusserungen der sogenannten Ärzte) bloss einbildete, soeben noch mit Freunden in einer anderen – bis dahin wohlbekannten – Welt unterwegs gewesen zu sein, ohne Körper aus Fleisch und Blut, frei von solch seltsamen Begriffen wie Zeit und Ort, zwar – so ich mich richtig erinnere – Raum, aber sicherlich keine Bezeichnungen wie St. Veit an der Glan oder Wiener Südbahnhof …?

    Ich weiss, und beschwichtige mich sogleich – hinter dem Fenster die Baumkronen des sogenannten Schönbornparks —, ich darf solchen Gedanken nicht weiter nachhängen, darf mich nicht zurücksehnen nach G., K., M. und F. (oder Recta, Star, Omega, oder wie immer meine Geschwister— in hiesiger Sprache unnennbar – hiessen): verrückte Einbildungen!, von den Ärzten gebrandmarkt, Erinnerungen, die hierorts offenbar verboten sind, vor allem mein Gelächter; dennoch drängen sich diese Einbildungen gerade in den letzten Tagen mir wieder auf, Erinnerungen an eine Welt, die mir näher ist und echter scheint als diese hier mit ihren Ehebetten und Bäumen vor dem Fenster, Geburtsurkunden, Kämmen und Rasierapparaten, von der sie behaupten, dass sie die einzig wirkliche ist. – Licht, murmle ich, Felder, alles Gefühl … – mühsam versuche ich die Welt, aus der ich zu stammen glaube, meiner Ehefrau zu beschreiben.

    Brigittes besorgtes Gesicht. – Ist ja gut, Brigitte, versprochen, ich werde darüber nicht mehr reden: Gut, lalle ich und hebe meine Hände, gut— mehr als ein paar Worte kriege ich nicht heraus (jedoch seltsamerweise denken kann ich in dieser mir noch immer fremden Sprache) – Gut, Brigitte, ich werde darüber nicht mehr reden – nicht reden; dass es mir gut gehe – gut geht —, besser als gestern – gestern, nicht gut —, und dass es seit ein paar Tagen offenbar kühler sei als vorige Woche, und wie sehr ich mich freue, dass Eva und Ernst uns heute abend besuchen – Eva, Ernst, froh …

    Nein, meine Einbildungen nicht mehr erwähnen, aber denken, im Geheimen – was für eine Freude, als ich es herausgefunden hatte: am Denken können sie mich nicht hindern! – Vor sich hinträumen, für sich allein. Zumindest die Träume bleiben einem, aber leider allein, und eben im Geheimen, nicht mit den geliebten Geschwistern beisammen, nicht gemeinsam lachen, nein; hier in der Fremde nur im Verborgenen in Gedanken fliegen, und so tun, als würde ich liegen oder gehen, reden – aber dabei anderes denken, bloss niemandem verraten, dass ich mich stärker denn je an meine Welt erinnere: körper- und grenzenlos schwappen wir ineinander … zu wissen, wie es X. ergeht, ohne ihn danach zu fragen.

    Rücklings auf dem Bett in der Erinnerung schwelgen: solche Erlebnisse können sie mir nicht nehmen. Aber, wie gesagt, bloss nicht darüber reden, über die Verzweiflung, jeden Morgen – vielleicht bis in alle Ewigkeit? – immer wieder, Tag für Tag, in dieser seltsamen Wirklichkeitswelt zu erwachen, deren Bewohner einen ungemeinen Eifer entwickeln, sich und vor allem mir einzureden, dass diese Welt wirklich und keine Täuschung sei. – … Leuchtende Felder, schwappen wir ineinander, jedwede Vorstellung, die man hegt, ist sogleich real und wird einem fremd, sobald sie sich wieder entfernt; der andere wird zu einem selbst, und man selbst zum anderen … – War es etwa die Sehnsucht von uns Endlosen nach dem Endenden, frage ich mich, von vier Wänden umgeben, die Zimmerdecke über mir. Als hätte es unter uns – in uns – zwischendurch die Sehnsucht nach dem Endenden gegeben. Ist diese Welt hier das Produkt einer solchen Sehnsucht? – … Und bin ich schon so sehr hier gelandet, dass ich mich bereits ob solcher Gedanken schäme?

    Brigitte, ihr Entsetzen – nicht über die Bilder, die wir soeben im Fernsehen gesehen hatten, nein, über mich! Offenbar sei es noch zu früh, offenbar würde ich das, was ist, noch nicht verkraften … Was wiederum mich entsetzte. Wie konnte sie angesichts der Geschehnisse, die wir soeben verfolgt hatten, ruhig an ihrem Kaffee schlürfen, als hätten wir bloss die Wiese betrachtet, und nicht die aufgeschlitzten Zivilisten, Soldaten, die darauf lagen. Ich schrie auf und deutete verwirrt auf den Bilderkasten. – Nicht hier! Es geschieht nicht hier, sondern im Fernsehapparat!, versuchte sie mich zu beruhigen. – Schlechte Strahlen!, stiess ich besorgt hervor, und »Wie nennt man«: Ich deutete, leblos sein. —Tot, antwortete sie und stellte sich demonstrativ schlaff; und als klein Ferdinand mir an den Hals griff und dabei seinen Lappen aus dem Mund hängen liess, sagte sie Mord und schob sanft die Hände des Kleinen zur Seite. – Mord?, fragte ich verständnislos, deutete auf den strahlenden Kasten und starrte klein Ferdinand an, der sich selbst an den Hals griff und zur Seite kippte, als wäre er leblos. – … Nicht wahr!, versuchte mich meine Schwester zu beruhigen und legte ihre Hand auf meine. – Film?, fragte ich – diesen Begriff hatte sie mir tags zuvor erklärt. – Sie schüttelte den Kopf: Nein, nicht Film, Nachrichten. – Nachrichten? Nachrichten nicht wahr? – Doch wahr, aber nicht hier. —

    Ich schwieg, musste dann aber doch damit heraus: Wieso Tod sehen, wieso nicht Lichtblitze, energetische Felder. Wieso nicht Wesen, die ineinanderschwappen? Schlechte Strahlen, rief ich erneut aus. Ich verstand und verstehe noch immer nicht, wie man sich dem aussetzen kann. – Schlecht!, rief ich tags darauf, als wir die Mutter besuchten und der Fernsehapparat im Wohnzimmer eingeschaltet war. – Gift! Strahlen! Mord! Tod! – Das entsetzte Gesicht der Mutter, sie schlug die Hände über dem Kopf zusammen. – Oh Gott, wo er doch immer so gern Fussball geschaut hat! Seid ruhig. Jetzt kommen die Nachrichten, keuchte der Grossvater und reichte eine Schüssel herum. – So sassen wir da, tranken Kaffee und assen Salzgebäck und vor uns lagen, so wie tags zuvor, reglos Soldaten, Zivilisten, diesmal allerdings auf einer anderen Wiese.

    Der Bazillus nistet sich ein, hatte mir der Oberarzt nach der Kontrolluntersuchung tags darauf erklärt – das grosse Fenster, das helle Gebäude gegenüber … – Einmal in die Blutbahn geraten, beginnen diese Partikelchen Zellen und Organe zu zerstören, als Folge unweigerlich der Tod, würden nicht die weissen Blutkörperchen in Aktion treten, die Eindringlinge umkreisen, sie ausschalten.

    Also doch! Die Erklärung des Arztes, welche Erleichterung! – diese Welt war also doch der meinen ähnlich. – Die Stiege hinauf, noch in Mantel und Hut sogleich ins Wohnzimmer, im medizinischen Lexikon blättern – Brigitte hatte es vor einigen Tagen zur Hand genommen, als sich klein Ferdinand verletzte und

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