Güte grenzt an Dummheit: Geschichten und Erzählungen
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Sollte Güte tatsächlich ihre Grenzen haben? Ist es überhaupt immer sinnvoll, gütig zu sein? Wie weit ist es her mit einer Tugend, die derart mustergültig für unser zwischenmenschliches Verhalten postuliert wird? Ein Mutmacher für Beruf, Ehe, Familie, Freundschaft und alle Lebenssituationen, die ein intelligentes soziales Verhalten fordern. Eine unbeschwerte Lektüre, die hilft, Güte in ihrem wahren Wesen besser erkennen und begreifen zu lernen – und sie vor allem weiterhin als gültigen Wert rechtfertigt.
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Book preview
Güte grenzt an Dummheit - Klara Maria Weiss
Literatur
Einleitung
Was soll denn Güte bitteschön mit Dummheit gemein haben? So eine Behauptung legt die Stirn in skeptische Falten und geht nur pelzig über die Zunge. Sämtliche gesellschaftlichen, religiösen und moralischen Verhaltensanweisungen sowie die anerzogene Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft in uns begehren auf. Wir Menschen sind doch dann gut, wenn wir freigiebig und hilfsbereit sind – eben gütig. Und was gut ist, kann doch nicht dumm sein. Folgt doch gerade dem Geben häufig ein größerer Gewinn als dem Nehmen: Güte erntet Dank, Ansehen, und wiederum Güte oder Hilfe.
Bei genauerer Überlegung fällt einem vielleicht ein, dass auch schon eine Arbeit an einem kleben blieb, die man einmal getan hatte, obwohl sie nicht in der eigenen Verantwortung lag. Sie wieder abzugeben, erforderte Durchsetzungskraft und Unnachgiebigkeit. Jeder findet wohl in seinem Erfahrungsschatz die Güte, die ausgenutzt wurde. Denn wie schnell sind wir doch bereit, den Gefühlen anderer Menschen mehr Bedeutung beizumessen als unseren eigenen. Oft stellen wir unsere Bedürfnisse hinter diejenigen der anderen. Für eine Mutter, die ihr Kind aufziehen will, eine wichtige Eigenschaft, die dessen Überleben sichert. Für einen Boxer unter Umständen tödlich, wenn er seinen Widersacher ungedeckt auf seinen eigenen Kopf eindreschen lässt, damit dieser den Wettkampf gewinnen kann. Das erste Verhalten dient allerdings der Arterhaltung, während der geschilderte Wettbewerb heutzutage eher einen Luxus der sportlichen Unterhaltung darstellt. Die Biologie der Arterhaltung kennt selbstloses wie auch selbstschützendes Verhalten, die Fürsorge für andere wie die Bemühungen um Eigennutz. Wir haben als einzige Spezies sogar die Wahl, ob wir uns wie Heuschrecken verhalten wollen oder den Bienen gleich: parasitär in oder symbiotisch mit unserer Umgebung leben. Die biologische Forschung (Lipton, 2006) hat mittlerweilen bedeutsame Hinweise gefunden, dass sich unsere Spezies vor allem dank Kooperation derart ausbreiten und vermehren konnte.
Fragen wir doch neben der Biologie auch bei ein paar Weisen aus unterschiedlichen Kulturkreisen nach, was sie zu berichten haben und uns über Güte lehren können.
Der Inder Balsekar (2008) erachtet alles Tun, das durch einen menschlichen Körper-Geist-Organismus geschieht, als dem göttlichen Bewusstsein entspringend. Der Ursprung bringt alle Erscheinungen hervor. Demzufolge wirkt auch der Geist des Ursprungs in jedem Körper-Geist-Organismus, weshalb es keine persönliche Täterschaft gibt. Für den Menschen, der „Dein Wille geschehe" vorbehaltlos und ohne jedes Gefühl von persönlichem Tun einfach sagen kann und tut, was seiner Programmierung oder Bestimmung entspricht, stellt sich die Frage, ob sein Tun sündig oder gut ist, gar nicht. Doch auch wenn nichts je geschehen kann, das nicht der Wille Gottes ist, muss man sich nicht davon abhalten lassen, das zu tun, was man jeweils für tunlich hält. Wenn einem danach ist, mit Freundlichkeit und Güte zu handeln, warum sollte man es nicht tun? Der wirkende Mensch tut einfach, was seinen Möglichkeiten und seiner fortwährenden Prägung entspricht, und akzeptiert die Folgen, ohne zu urteilen.
Die Vorstellung, dass der Mensch vom Schicksal oder von den Göttern gelenkt ist, meint man, hätten die Griechen um 500 v. Chr. zu überwinden gesucht und fertiggebracht (Snell, 2009). Bei Sokrates und anderen keimte damals die Ansicht, dass der Mensch durch eigenes Überlegen und Forschen herausfinden soll, was denn das Gute ist, und dem folgend verantwortungsvoll handeln kann.
Doch der Mythos blitzt auch heute wieder hinter dem allgegenwärtigen Verstandesgebaren hervor und drängt nach einer Synthese von freiem Willen und der Haltung des Belassens. Wer Tatsachen wahrnimmt, ihre Anwesenheit anerkennt und sie belässt, befindet sich in der Haltung des Belassens und bekräftigt damit, dass er bereits in der Einheit lebt. Sein Bewusstsein ist Ausdruck des göttlichen Bewusstseins und gehorcht den universellen Prinzipien wie Polarität, Rhythmus, Schwingung, Entsprechung und weiteren (Gaston St. Pierre, 2004). Die Tatsache, dass wir am Leben sind, reicht völlig aus. Wer einen Teller Suppe isst, muss sich auch nicht darum kümmern, wie die Nährstoffe zu den Zellen kommen. Nein, der intelligente Stoffwechsel transformiert die Suppe in Energie. Übertragen auf unser Tun, übernimmt unser psychischer Stoffwechsel mit seinen Funktionen Wahrnehmen, Erinnern, Bewerten, Fühlen, Entscheiden, Handeln und weiteren die Umwandlung der Begegnung mit einer Situation in eine Reaktion. Man könnte also sagen, ob wir gütig handeln oder nicht, hängt vom Inhalt und Ablauf unseres psychischen Stoffwechsels ab. Dieser ist im Gegensatz zum Körperstoffwechsel viel stärker und schneller prägbar durch die ständige Auseinandersetzung mit unserer Umwelt. Die Frage, ob wir nun dieser Prägung gemäß handeln müssen oder frei von Mal zu Mal entscheiden können, ist wohl nicht schlüssig zu beantworten. Darum lassen wir uns wenigsten die Suppe freier Wahl schmecken, wenn wir schon nicht um den Hunger herumkommen. Oder auf die Güte bezogen: Dann zeigen wir doch dem Fremden den Weg, wenn er uns schon freundlich danach fragt, und wir den Weg bestens kennen.
Vielleicht finden wir ja doch noch eine verbindlichere Anleitung, ob und wie wir gütig sein können. Was wird uns denn im Buch der Bücher (Die Bibel, 1980) über Güte erzählt? Man findet Zu- und Widerspruch für den Titel: Wenn einer einem das Hemd wegnehmen will, solle man auch den Mantel geben. Wer bittet, dem solle man geben, und wer sich etwas borgen will, den solle man nicht abweisen, wird in Matthäus 5, 38 – 42 geraten. In Markus 12, 41 – 44 beobachtet