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Apokalyptischer Schrecken
Apokalyptischer Schrecken
Apokalyptischer Schrecken
Ebook774 pages10 hours

Apokalyptischer Schrecken

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Ein Box-Set mit Werken mehrerer Autoren! Hunderte von Seiten apokalyptischer Erzählungen!

Wenn die Welt zerfällt, wenn die Zivilisation zusammenbricht, wenn unsere bisherige Existenz zu Ende geht, werden unsere schlimmsten Befürchtungen wahr. Vielleicht ist es ein Atomkrieg, der giftige Strahlung bringt, schreckliche Krankheiten oder chemische Verseuchung, wild gewordene KIs, die Killer-Roboter steuern, oder Zombies, die unsere Freunde und Nachbarn in unmenschliche Monster verwandeln. Was können durchschnittliche Männer und Frauen im Angesicht dieser apokalyptischen Schrecken tun?

LanguageDeutsch
PublisherDavid VanDyke
Release dateJul 26, 2017
ISBN9781386933748
Apokalyptischer Schrecken

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    Apokalyptischer Schrecken - David VanDyke

    Evolution Z

    Prequel

    David Bourne

    Deutsche Erstausgabe März 2016. Copyright © David Bourne. Alle Rechte, einschließlich dem des vollständigen oder teilweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.

    Davidbournebooks@gmail.com

    Facebook: David Bourne

    Bisher erschienene Bücher in der „Evolution Z"- Reihe:

    Evolution Z – Stufe Eins

    Evolution Z – Stufe Zwei

    Evolution Z – Stufe Drei

    Evolution Z – Stufe Vier

    ––––––––

    Für meine Leser

    als Dank für die vielen herzlichen Nachrichten, Kritiken und tollen Rückmeldungen

    Vorrede zu: Evolution Z Prequel

    ––––––––

    Sehr geehrte Leser und auch Leserinnen, um dem Gender-Mainstreaming Genüge zu tun. Ich möchte mich bemühen, mich in dieser Vorrede zwar kurz zu fassen, Ihnen aber dennoch einige meiner Gedanken mit auf den Weg geben, bevor ich Ihnen eine weitere Geschichte aus dem Evolution Z-Universum präsentieren werde. Eigentlich findet man eine Danksagung traditionellerweise am Ende eines Buches. Ich möchte aber nicht als hundertprozentig traditionell gelten und so richte ich schon hier ein sehr ernst gemeintes und von Herzen kommendes Dankeschön an Sie alle. Danke, dass Sie alle mich auf meinem Weg bis hierher begleitet haben. Danke für Ihre warmen Worte in den sozialen Medien, Ihren Eifer beim Probelesen meiner Bücher und alle Ihre Rezensionen. Dabei unterscheide ich nicht zwischen Lob und Tadel, denn beides spornt mich gleichermaßen an, mich stetig verbessern zu wollen, um Ihnen das bestmögliche Lesevergnügen zu bereiten.

    Das Schreiben ist mittlerweile zu einem festen Bestandteil meines Lebens geworden. Daran haben Sie alle einen gehörigen Anteil. Ich überlasse Ihnen natürlich die Einschätzung, ob Sie diesen Umstand als positiv oder negativ bewerten möchten.

    Um mich zu revanchieren, und auch vielleicht um einige neue Leser zu gewinnen, stelle ich Ihnen dieses „Prequel kostenlos zur Verfügung. Ich rate Ihnen, aufmerksam zu Lesen. Alle Mitwirkenden Personen dieser Geschichte tauchen im weiteren Verlauf der Serie auf, wenn auch nicht als Hauptakteure. Sie begegnen unseren Helden aber auf die eine oder andere Art und sind deshalb auf ihre eigene Weise mit dem Evolution Z-Universum verbunden. In jedem Fall hoffe ich, dass das „Prequel neuen Lesern Geschmack auf mehr macht, und Lesern, die die Serie bereits kennen, neue Eindrücke für die Hintergrundgeschichte verschafft.

    Ich wünsche Ihnen viel Vergnügen und bleiben Sie mir als Leser treu. Wie Sie wissen, habe ich einen guten Draht zu diversen Untoten.

    Ihr David Bourne

    ––––––––

    Lesen ist ein großes Wunder.

    ––––––––

    Marie Freifrau von Ebner-Eschenbach

    (1830 - 1916), österreichische Erzählerin, Novellistin und Aphoristikerin

    New York

    ––––––––

    Der Mann mochte diese Stadt nicht. Alles wirkte so gewaltig und gehetzt. Wohin man sah, hatten die Menschen ihre Mobiltelefone in der Hand und blickten nur auf deren Displays, während sie sich durch die Stadt bewegten. Um sich komplett von der Außenwelt abzuschotten, hatten die meisten dazu noch Kopfhörer in den Ohren.

    Wie viele von denen wohl in dieser Haltung aus dem Leben scheiden. Gerammt von einem Bus oder Taxi ... Diese Smombies!

    Der Mann blickte auf die Uhr. Kurz vor halb drei, noch genug Zeit für einen völlig überteuerten Starbucks-Kaffee. Nach einigem Kramen in seinem Rucksack fand er ein in Leder geschlagenes Buch. Auf der Vorderseite prangte in goldener Schrift „Vita Invicta". Dieses Buch war zu seinem treuen Begleiter für die Medikamentenstudie geworden, an der er momentan teilnahm. Der Mann blätterte die Seiten durch und sah Notizen bezüglich Dosierungen und Nebenwirkungen der Präparate, die er verabreicht bekam. Außerdem fanden sich dort Erinnerungen für die regelmäßig stattfindenden Kontrolltermine. Als letzter Eintrag war das Datum von heute vermerkt.

    Er war über eine gute Freundin in die Medikamentenstudie des Pharmazieunternehmens gelangt. Im Gegensatz zu anderen Teilnehmern hatte er sich nicht nur des Geldes wegen angemeldet, auch wenn die Bezahlung wirklich gut war. Es handelte sich um eine Studie zur Verbesserung der kognitiven Leistung, aber die freundliche Laborantin, die ihm immer diese fiesen Spritzen setzte, hatte gesagt, dass das Medikament auch andere körperliche Beschwerden lindern konnte. Das schien sich zu bewahrheiten, denn das Asthma, unter dem er seit Jahren litt, war tatsächlich etwas besser geworden.

    Alle Probanden der Studie sollten Tagebuch über eventuelle Nebenwirkungen führen, eine Aufgabe, die er sehr genau nahm. Hin und wieder hatte er das Gefühl, sein Sichtfeld trübe sich ein wenig, aber das konnte auch Einbildung sein. Unbestreitbar aber war, dass er wesentlich dünnhäutiger geworden war. Heute, kurz bevor er aufgebrochen war, hatte er fürchterlich mit seinem Sohn Henry geschimpft. Eigentlich hatte der Junge nur etwas mit seinem Baseball gespielt, aber er war darüber extrem wütend geworden. So kannte er sich selbst gar nicht. Er nahm sich vor, das Ganze bald wieder gut zu machen und ein paar Bälle mit seinem Sohn zu werfen, wenn er wieder zu Hause war.

    Er schlug die erste Seite des Buches auf, in dem auch sein heutiger Termin notiert war.

    ––––––––

    Max Cooper 06.09.2015 15:00 h

    ––––––––

    Max hielt an einem Starbucks an, bei denen der Kaffee vierzehn verschiedene Beinamen hatte. Er zückte seine Börse und öffnete sie. In seinem Kartenfenster steckte ein älteres Foto, auf dem drei Personen in die Kamera grinsten. Es zeigte ihn, seinen Sohn Henry und eine Frau Ende zwanzig mit vielen Lachfalten im Gesicht. Nancy war etwa vierzehn Tage nachdem das Foto aufgenommen wurde, gestorben. Ein betrunkener Mann hatte ihr nach dem Einkaufen am helllichten Tag die Vorfahrt genommen und ihr Auto seitlich gerammt. Nancy war noch am Unfallort verstorben. Seitdem war er alleinerziehender Vater. Er bemerkte einen Kloß im Hals und klappte das Fach wieder zu. Mit seinem Double Vanilla Macchiato schlängelte er sich weiter durch die Reihen der Passanten, bis er in Downtown Manhattan ankam. Vor ihm lag nun das riesige Gebäude mit der goldenen Aufschrift Vita Invicta.

    Cruising, cruising, cruising

    ––––––––

    Es war ein wunderschöner Sonntagmorgen an dem die Sonne bereits vor Stunden aufgegangen war. Die Coral Pride, ein großes Kreuzfahrtschiff, das bis zu dreitausend Passagiere aufnehmen konnte, pflügte majestätisch durch die Karibik. Mittlerweile war das Schiff schon sieben Tage unterwegs.

    Am Bug des Kreuzfahrtschiffes stand einsam ein junger Mann und blickte auf die offene See. Clem Cheung genoss die wärmenden Strahlen der Morgensonne und betrachtete dabei die Rettungsboote, die auf beiden Seiten der Reling befestigt waren. Er stand in seinen quietschbunten Bermudashorts auf dem Luxusschiff, auf dem er seinen Jahresurlaub verbrachte. Der leichte Fahrtwind fühlte sich gut auf der Haut an. Sein Dad hatte diese Bahamas-Rundreise bei einem Preisausschreiben gewonnen und Clem zu seinem achtunddreißigsten Geburtstag geschenkt. Es war eine Auszeit, die er bitter nötig hatte. Er arbeitete als Feuerwehrmann in New York und hatte in diesem Jahr kaum einen Tag frei gehabt. Seine Ex-Frau hatte ihm genau dies vorgeworfen, als sie ihn damals verließ. Er sei mit seiner Arbeit verheiratet und brauche sie nicht, meinte sie. Er sei doch sowieso lieber auf der Wache als bei ihr. Aber das war nun Vergangenheit. Sie wäre verblüfft, wenn sie ihn jetzt hier sehen könnte.

    Vor Beginn der Reise hatte Clem der Gedanke gestört, einen Urlaub alleine verbringen zu müssen, doch jetzt war genau das Gegenteil der Fall. Am Vorabend hatte er Claire kennen gelernt. Eine bildhübsche Blondine, die, wie er fand, nach Frühling roch. Ihr Parfüm erinnerte ihn an die Narzissen, die seine Mutter immer zu Ostern im ganzen Haus verteilte. Die beiden hatten sich am Vortag zufällig an der Bar nebeneinander gesetzt und waren ins Gespräch gekommen. Offenbar hatten ihm die Location oder die Drinks in die Karten gespielt, denn Claire schien ihn zu mögen, und so hatten sich die zwei heute zum Brunch verabredet. Vielleicht waren ihm auch einfach die Götter wohlgesonnen, denn wenn man es so betrachtete war sein Leben aktuell nahezu perfekt. Urlaub, Sonne, nette Gesellschaft – alles völlig gratis. Besser konnte es seiner Meinung nach kaum sein.

    Clem schloss die Augen und streckte sich genüsslich. Wie er so da stand, fehlte eigentlich nur noch, dass er „Ich bin der König der Welt" schrie, doch diesen Gedanken verwarf er schnell wieder. Trotzdem lachte er leise in sich hinein.

    Jäh wurde der Moment unterbrochen, als sich zwei Hände auf seine nackten Schultern legten.

    „Guten Morgen, Mister DiCaprio. Wo geht’s denn hier zum Frühstück?" fragte eine Frauenstimme neckisch.

    Lächelnd drehte er sich um und erblickte eine leicht zerzauste Claire. Man konnte sehen, dass sie ihr Bestes gegeben hatte, sich herzurichten. Offenbar war sie jedoch ein Morgenmuffel, denn man konnte ihr ansehen, dass sie lieber noch geschlafen hätte.

    „Clem, sei mir nicht böse, aber ich brauche KAFFEEEEE!", jammerte sie.

    Sein Lächeln wurde immer breiter. Er empfand diesen Charakterzug als niedlich. Außerdem ließ es sie menschlicher und ihre Schönheit weniger bedrohlich wirken.

    „Ein richtiger Morgenmensch also, ja? Madame, folgen Sie mir, ich werde Ihr Koffeindilemma lösen, sagte er mit einer übertriebenen Verbeugung. „Wir holen dir erst einmal einen gigantischen Eimer Kaffee.

    Claire lächelte nun ebenfalls und erwiderte seine Geste mit einem ebenso theatralischen Knicks. Sie nahm seine Hand, erhob die Faust und rief in bester Tom Cruise Manier „Führ mich zum Kaffee!". Wir haben definitiv denselben bescheuerten Humor.

    Hand in Hand liefen die beiden zum Speisesaal des Schiffes.

    Vita Invicta

    ––––––––

    Von außen war das Hochhaus bis auf die goldene Schrift schlicht und wenig beeindruckend, aber innen war es hochmodern eingerichtet. Man merkte, dass die Firma sich auf dem aufsteigenden Ast befinden musste. Als er den Eingang passiert hatte, versperrte ein übergewichtiger Mann mittleren Alters Max den Weg. Der Fleischberg schlingerte auf ihn zu und streckte ihm die wulstige Hand entgegen. In seinem Gesicht stand Schweiß, dennoch grinste er wie ein Honigkuchenpferd. Sein talgiges Doppelkinn lag fast auf seiner Brust auf.

    „Max, alter Gauner. Na, biste auch wieder zum Stechen hier?", feixte der fette Mann.

    „Hallo Michael. Ja, bin ich. Und du? Bist du schon durch mit deinem Termin?"

    „In der Tat. Und meine Herz- und Leberwerte haben sich laut dem Doc ziemlich verbessert. Zur Feier des Tages treffe ich mich heute Abend in Augusta mit meinem Jungen. Wir sind zum Essen verabredet."

    „Dein Junge wohnt in Augusta? Wie witzig, das ist meine Heimatstadt, erwiderte Max. „Ich werde den Abend auch mit meinem Sohn verbringen. Wohin geht ihr denn?

    „Keine Ahnung, mein Filius wohnt noch nicht allzu lange dort. Ich lasse mich einfach überraschen", grinste Michael über das ganze Gesicht wie ein Verrückter. Max fragte sich kurz, ob in Michaels heutiger Spritze nur Medikamente gewesen waren.

    „Okay Michael, dann wünsche ich euch einen schönen Abend. Ich muss jetzt rein, sonst verpasse ich meinen Termin mit dem Doktor."

    „Bis zum nächsten Mal, Max. Lass es dir gutgehen." Mit diesen Worten zog Michael Galetti von Dannen. Max winkte ihm noch kurz und grinste. Natürlich ist er zum Essen verabredet, wozu auch sonst.

    Max rückte seine Jacke zurecht und betrat die Lobby des Gebäudes. Hinter dem halbkreisförmigen Holztresen der Rezeption saß eine Frau, die ihn an eine Puppe erinnerte. Mit ihrem Porzellanlächeln hätte sie ohne Probleme bei einer Zahnpastawerbung mitspielen können.

    „Guten Tag, Sir. Wie kann ich Ihnen behilflich sein?"

    „Guten Tag, Miss. Max Cooper, ich habe einen Termin mit Doktor Schaefer um 15 Uhr und danach meinen letzten Termin in ihrer Medikamentenstudie ‚Optimum Hominis‘. Kann ich schon eintreten? Den Weg kenne ich ja mittlerweile."

    „Bitte gedulden Sie sich einen Augenblick, ich werde direkt nachfragen." Mit diesen Worten drückte sie eine Taste an ihrem Telefon und sprach in ihr Headset. Max setzte sich auf einen Stuhl und wartete das Gespräch ab. Einige Augenblicke später nickte die Empfangsdame ihm zu.

    „Der Doktor empfängt Sie nun. Gehen Sie einfach durch."

    „Vielen Dank, Miss."

    Max ging in Richtung der breiten Aufzüge und fuhr ins dritte Untergeschoss, in welchem der Fahrstuhl endete. Als die Türen sich öffneten, blickte er in die unangenehme Neonflurbeleuchtung, von der er Schlieren vor den Augen bekam. Max blieb einige Sekunden stehen, um seine gereizten Augen zu reiben. Als sich sein Sichtfeld klärte, ging er weiter. In dieser Etage waren nur wenige Büros und Labors, aber dennoch herrschte ein geschäftiges Treiben. Einige Weißkittel nickten ihm zu, während er sich seinem Bestimmungsort näherte. Max warf seinen leeren Kaffeebecher in einen Mülleimer und klopfte dann an Doktor Schaefers Bürotür. Eine Stimme auf der anderen Seite der Tür signalisierte ihm, dass er eintreten solle.

    An einem ziemlich protzigen Schreibtisch saß Doktor Adrian Schaefer, der bereits seine Akte studierte.

    „Hallo Max, mein Lieber, setzen Sie sich doch. Wie ist es Ihnen in den letzten zwei Wochen ergangen?"

    „Guten Tag, Herr Doktor." Max nahm auf einem Stuhl vor dem Schreibtisch Platz und versuchte seine letzten beiden Wochen im Geist Revue passieren zu lassen. Er räusperte sich nach einem kurzen Augenblick und begann zu berichten.

    „Wissen Sie, es ist unglaublich. Ich kann mich plötzlich an Dinge aus meiner Vergangenheit erinnern, so als wären sie gestern erst passiert. Kontonummern, Geburtstage, ich vergesse kaum noch etwas. Ich war ansonsten immer etwas zerstreut und stand auf Kriegsfuß mit meinen Autoschlüsseln. Jetzt passiert mir das kaum noch."

    „Bemerkenswert, Max. Doktor Schaefer lehnte sich in seinen Lederstuhl. „Sonst noch etwas?

    „Ich löse das verdammte New York Times Kreuzworträtsel in einer Stunde. Früher habe ich dazu einen halben Tag gebraucht, wenn es mir denn überhaupt gelungen ist."

    „Nicht schlecht, Max. Damit habe ich immer so meine Probleme. Der Doktor ließ ein leises Lachen ertönen. „Ihre Synapsen arbeiten immer besser zusammen. Ihr Gehirn verfügte bereits vorher über alle notwendigen Informationen, Sie konnten sie bislang nur nie so effektiv abrufen.

    „Interessant. Wird das so weitergehen?" Max kamen plötzlich Möglichkeiten in den Sinn, seine neuerworbenen Fähigkeiten gewinnbringend einzusetzen.

    „Das ist schwer zu sagen. Da wir uns in einem Testlauf befinden, kann ich nur vermuten, wie sich Ihr Gehirn weiter entwickeln wird. Das Medikament steckt noch in den Kinderschuhen, wenn Sie so wollen. Wir sind uns selbst nicht bewusst, wohin wir damit noch kommen können. Wir haben etwas Bestimmtes im Auge, aber es würde zu weit führen, das jetzt hier mit Ihnen zu erörtern." Doktor Schaefer zwinkerte Max zu.

    „Werde ich meine Fortschritte denn wieder verlieren, wenn das Medikament abgesetzt wird?", fragte Max besorgt.

    Doktor Schaefer blickte ihn beruhigend an. „Ich denke, das Gegenteil wird der Fall sein. Sie müssen sich das so vorstellen: Sie sind ein Oktopus, der eine Languste fressen will. Sie kennen die Technik, wie man eine Languste fängt und haben Hunger. Also wenden Sie Ihr Wissen an und haben nach ein paar Versuchen Erfolg."

    Max runzelte die Stirn. „Ich verstehe gerade nicht, worauf Sie hinauswollen."

    „Sie sind jetzt ein Oktopus 2.0. Sie wissen, wie eine Languste denkt und fühlt. Sie wissen, wo sie wohnt und frisst. Sie brauchen sie nicht mehr zu fangen, wenn Sie bereits wissen, wo sie abends schlafen gehen wird."

    „Ich bin jetzt also ein besserer Langustenversteher?", grinste Max.

    Doktor Schaefer lachte laut auf.

    „Jetzt legen Sie doch nicht jedes Wort so auf die Goldwaage, Max. Sie sind intelligenter geworden. Emphatischer wohlmöglich. Ihr Gehirn will sich weiter entwickeln und es erkennt von sich aus die Notwendigkeit dazu. Ich gratuliere Ihnen, Max. Sie befinden sich, mit Ihren Kameraden aus der Studie natürlich, auf einer neuen Ebene Ihrer menschlichen Entwicklung. Deswegen heißt das Ganze auch Optimum Hominis."

    Max blickte den Doktor etwas ungläubig an. Dieser setzte in freundlichem Tonfall seine Ausführungen fort. Er sah aus, als würde er bereits alle Antworten auf die Fragen haben, die Max im Kopf herumschwirrten.

    „Haben Sie sonstige körperliche Veränderungen an sich festgestellt, Max?"

    „Ja, habe ich. Ich bin eigentlich Asthmatiker, aber seit geraumer Zeit habe ich damit keinerlei Probleme mehr. Meinen Inhalator habe ich seit Wochen nicht mehrbenutzt. Ich habe auch etwa drei Kilo abgespeckt, ohne eine besondere Diät zu halten. Allerdings kann ich grelles Licht nicht so besonders gut an den Augen haben."

    Max klopfte auf das Buch, das er nach wie vor in den Händen hielt.

    „Ich habe alles hier drin dokumentiert."

    „Diese Entwicklungen könnten durchaus miteinander zusammenhängen. Sehen Sie, Ihr Gehirn erkennt Ihre Lungenbeschwerden und Ihr latentes Viszeral-Fett als körperliche Unvollkommenheit an. Es ergreift von sich aus Maßnahmen, um diese Unvollkommenheiten zu kurieren. Das bedeutet für das Gehirn allerdings gleichzeitig Arbeit und Stress. Dies könnte sich in der von Ihnen beschriebenen Lichtempfindlichkeit äußern. Ihr Gehirn lernt. Es wird sich noch weiterentwickeln, weil es jetzt mehr Zugriff auf sein Potential entwickelt hat. Dafür ist dieses Medikament teilweise gedacht, jedenfalls in seiner jetzigen Zusammensetzung. Erwarten Sie jedoch keine Wunder. Die Verbesserungen sind begrenzt. Sie werden ein besseres Immunsystem haben und die bisherigen Veränderungen werden Ihnen erhalten bleiben, aber das Gehirn wird sich nicht von sich aus exponentiell weiterentwickeln. Dazu sind wir noch zu weit entfernt von einer finalen Version des Medikaments."

    Max wirkte nicht enttäuscht. „Es hätte mich schlimmer treffen können, denke ich. Ich bin klüger geworden und habe dazu noch Geld verdient. Außerdem weiß ich ja jetzt sogar wie Langusten denken." Er setzte ein schiefes Lächeln auf und der Doktor lachte.

    „Kein Grund sich zu beschweren, oder? Okay, Max. Damit sind wir am Ende angelangt. Sie bekommen heute Ihre letzte Injektion, sowie Ihren letzten Scheck. Danach sind Sie mich und die anderen Laborratten fürs Erste los. Wir kontaktieren Sie, falls wir sonstige Informationen benötigen oder eine weitere Nachuntersuchung durchführen möchten. Wenn Sie mir nur noch Ihr Berichtsheft zur Auswertung übergeben würden, dann können Sie in den Warteraum gehen. Ich wünsche Ihnen alles Gute."

    Max streckte dem Doktor das Lederheftchen mit den goldenen Buchstaben entgegen und die beiden Männer schüttelten sich die Hände. Dann verließ er Dr. Schaefers Büro.

    Max ging wieder zu den Aufzügen und fuhr eine Etage höher. Hier befanden sich allerhand Testlabore. Hin und wieder hörte man Hundegebell, aber Max mochte sich nicht vorstellen, was den armen Vierbeinern hier für Medikamente verabreicht wurden. Ein Mann in einem weißen Kittel schob einen Rollwagen über den Gang. Max rümpfte angewidert die Nase. Das riecht nach Blut und Krankheit. Er schüttelte den Kopf und ging weiter. Das Wartezimmer mit dem Durchgang zu seinem Ziel lag am Ende des Flures. Aus dem Zimmer tönte eine aufgeregte Stimme. Irgendjemand schien mit seiner Behandlung ganz und gar nicht zufrieden zu sein. Max lugte in die Tür und sah einen gewaltigen Hünen mit hochrotem Kopf, der auf eine zierliche Laborantin einredete, die hinter einem Schreibtisch saß. Sie hielt ihr Klemmbrett entspannt in den Händen und sah sich während seiner Tirade ihre manikürten Fingernägel an. Der Mann war etwa Mitte vierzig und musste aus einhundertzwanzig Kilogramm Muskelmasse bestehen. Sein T-Shirt spannte gewaltig an seinen Armen. Max nahm auf einem der Stühle im Wartebereich Platz.

    „Hören Sie, Missy. Ich habe ein Team zu coachen und muss meinen Flug erwischen. Das ist hier alles verlorene Zeit für mich. Ich habe einen Termin an der kanadischen Grenze, um mich mit meinem Scout zu beraten und fliege dann noch nach Washington. Irgendwann hätte ich auch gerne einmal Feierabend."

    „Mister Duvall, auch wenn Sie zetern wie ein altes Waschweib, wird das Ganze nicht schneller gehen. Sie wissen doch, es dauert so..."

    „...lange, wie es dauert. Jaja, Kelly. Wenn ich Sie nicht so mögen würde, dann hätte ich diese Kackstudie schon längst abgebrochen. Seien Sie froh, dass Sie kein Football spielen. Wobei, vermutlich wären Sie auch dort meine Chefin."

    Duvall setzte sich resigniert auf einen Stuhl. Sein Schmollen schien allerdings nur aufgesetzt zu sein. Es wirkte, als wäre er es gewohnt, leicht aus der Haut zu fahren. Als Footballtrainer vermutlich kein Wunder.

    Wie aufs Stichwort schwang die Tür zum Behandlungsraum auf und der vorherige Proband verließ das Wartezimmer mit einem Scheck in der Hand. Kelly nickte dem bulligen Coach zu und dieser trottete schnaubend in den Behandlungsraum. Der Laborant rollte mit den Augen, als er Bob Duvall auf sich zukommen sah. Anscheinend war dies nicht die erste Behandlung, die er mit ihm durchführte.

    Max schaute sich im Wartezimmer um und grinste Kelly an, als sich ihre Blicke trafen. Kelly erwiderte sein Lächeln.

    „Ah, Mister Cooper, Sie sind der Letzte für heute. Ein Patient ist noch vor Ihnen, aber es dauert nicht allzu lange. Haben Sie einen Moment Geduld."

    „Kein Problem, jetzt ist es ja nur noch der letzte Termin. Ich finde das Ganze sehr aufregend. Der Doktor hat sich wirklich Zeit genommen, mir die gesamte Studie ausführlich zu erklären. Ein Medikament, das einen cleverer werden lässt – wer würde so etwas nicht haben wollen? Und man bezahlt mich auch noch dafür, es zu testen. Das ist schon eine feine Sache", Max lachte verschmitzt.

    „Also, Sie wirkten vorher schon clever genug auf mich, Max", sagte Kelly und kaute auf ihrem Kugelschreiber. Max blickte sie einen Moment irritiert an, verstand dann aber und zwinkerte ihr zu.

    „Soll ich mich vielleicht nach der Studie mal bei Ihnen melden, Kelly?"

    Die junge Frau schaute ihn mit einer Unschuldsmiene an.

    „Ich habe meine Nummer schon auf den Briefumschlag mit ihrem Scheck geschrieben, Max. Lassen Sie mich nicht zu lange warten."

    Sie stand auf und griff nach einem Ordner im Regal hinter ihr. Dabei stellte sie sich auf die Zehenspitzen, was dazu führte, dass ihr Kittel auf einmal ziemlich kurz wirkte. Max wollte gerade etwas erwidern, als die Tür aufschwang und der Coach aus dem Raum stürmte.

    „Wurde auch verdammt nochmal Zeit", brummte er, während er in Richtung Ausgang marschierte.

    Kelly nickte in Richtung des Behandlungsraumes und drückte Max ein Kuvert in die Hand, welches dieser in seiner Jackentasche verschwinden ließ. Mit einem flüchtigen Blick erkannte Max, dass tatsächlich eine Telefonnummer in Frauenhandschrift darauf notiert war. Der Tage wurde immer besser!

    Max ging hinein und sah einen Arzt an der Liege herumhantieren, auf der er bisher immer seine Injektionen erhalten hatte. Der Arzt hatte nie viel mit den Teilnehmern der Studie geredet, aber Max kannte ihn als Doktor Daniel Abbadon. Warum diese Mediziner immer so einen Wirbel um ihre Titel machten, hatte sich ihm allerdings nie so ganz erschlossen. Der Doktor grüßte ihn nur beiläufig, doch Max kannte diese Unhöflichkeit bereits und machte sich nichts daraus. Er wartete geduldig, bis der Doktor ihn heranwinkte und auf die Liege deutete. Max legte sich hin und knöpfte sein Hemd auf. Er kannte die Prozedur bereits, war allerdings ein wenig überrascht, als der Doktor das Wort an ihn richtete.

    „Willkommen am letzten Tag der Studie, Max. Ich will Ihnen nicht vorenthalten, dass die letzte Injektion des Medikamentes konzentrierter ausfallen wird als die vorherigen."

    „Und was bedeutet das für mich?", fragte Max etwas besorgt.

    „Nun, eigentlich nichts Gravierendes. Es könnte zu einem leichten Schwindel kommen oder zu leichtem bis moderatem Flimmern vor den Augen. Davon haben bisher einige Patienten berichtet."

    Max seufzte erleichtert. „Dann bin ich also nicht der einzige, der über Sehstörungen geklagt hat?"

    „Nein, diese Nebenwirkung scheint weit verbreitet zu sein, aber Doktor Schaefer hat mir versichert, dass das mit der Weiterentwicklung des Gehirnes zusammenhängt. Sehen Sie, ich bin Virologe, Doktor Schaefer ist der Experte für Gehirnforschung und Neurochirurgie."

    „Virologe? Muss ich darüber besorgt sein, Doktor?"

    „Nicht im Geringsten. Das Medikament besteht in seiner Grundstruktur aus einem mutierten Virenstamm, Max. Das tut eine Grippeimpfung allerdings auch. Insofern besteht für Sie kein Grund zur Beunruhigung."

    „Na, dann lassen Sie uns die letzte Spritze setzen. Ich bin froh, wenn ich Heim zu meinem kleinen Jungen kann."

    Doktor Abbadon ging zu einem verschlossenen Panzerschrank und öffnete diesen mittels einer Schlüsselkarte. Er ging mit dem Finger diverse Nachnamen ab und fand nach einigem Suchen den Namen „Cooper".

    „Da haben wir es ja."

    Er legte eine vorbereite Kartusche in einen Injektor und drehte sich zu Max.

    „So, der letzte Pieks, dann haben Sie es überstanden, wie man so schön sagt." Max war kein großer Fan von Spritzen, aber er hatte die Prozedur schon vorher überlebt. Außerdem hatte er nach dem Flirt mit Kelly Schmetterlinge im Bauch. Doktor Abbadon legte die Spritze auf ein Silbertablett, desinfizierte die rechte Armvene und band den Arm sorgfältig ab. Max tapferes Lächeln signalisierte ihm, das er anfangen konnte. Er stach in die Ader und die grünliche Flüssigkeit verschwand nach kurzem Druck darin. Dann war Max erlöst und durfte sich vom Tisch erheben. Sein Arm kribbelte und er merkte, wie sich das Medikament in seinem Blutkreislauf verteilte. Es fühlte sich angenehm warm an.

    „Doc, ich wollte die Gelegenheit noch nutzen, um mich bei Ihnen zu bedanken."

    „Wofür, Max? Eigentlich haben wir zu danken."

    „Na ja, es geschieht nicht alle Tage, dass man die Gelegenheit erhält, klüger zu werden und dafür auch noch Geld zu erhalten." Max streckte ihm seine Hand entgegen und der Doktor ergriff und schüttelte sie.

    „Sie müssen das anders sehen. Wenn dieses Unternehmen in einigen Jahren wissenschaftliche Durchbrüche von noch nicht abschätzbaren Dimensionen erreichen wird, sind Sie einer der Pioniere, die das erst möglich gemacht haben."

    „Das mit der Schmeichelei haben Sie ziemlich gut drauf."

    „Das sagt meine Frau auch ständig. Es erspart einem Unmengen an Schuheinkäufen."

    Max musste lachen und verabschiedete sich. Er öffnete die Tür und ging im Warteraum nochmal an Kelly vorbei. Diese ahmte mit ihrer Rechten einen Telefonhörer nach und hielt ihn sich ans Ohr, während er hinausging. Max verließ das Gebäude und holte den Umschlag heraus. Er betrachtete Kellys Nummer, neben der Aufforderung, sie anzurufen. Er glaubte nicht daran, dass es etwas Festes werden würde, allerdings war sein letztes Date schon Monate her. Außerdem konnte er nicht ewig um Nancy trauern. Einen Versuch war es allemal wert.

    Max ging zur nächsten Bank und löste seinen Scheck ein. Normalerweise erhielt er fünfhundert Dollar plus Spesen. Dieser Scheck aber enthielt einen Betrag von eintausend Dollar. Max freute sich über den unerwarteten Geldsegen und schaute auf sein Flugticket. Ihm blieben noch ungefähr neunzig Minuten Aufenthalt und er wusste bereits, was er noch erledigen wollte. Das Sportgeschäft der New York Mets war nur einen Katzensprung entfernt und zu Fuß locker zu erreichen. Max wollte seinem kleinen Sohn ein Geschenk mitbringen. Nicht zu guter Letzt auch um sein eigenes schlechtes Gewissen zu beruhigen. Nach einem kurzen Fußmarsch erreichte er das Geschäft und verließ es mit einem signierten Ball von Tom Seaver. Sein Sohn würde ausflippen vor Freude. Er pfiff nach einem Taxi und machte sich auf den Weg zum Flughafen. Während der Taxifahrt plante er den nächsten Tag. Das Kindermädchen blieb, bis er wieder zuhause war, wahrscheinlich würde Henry dann schon schlafen. Doch morgen früh wollte er auf jeden Fall noch ein paar Bälle mit seinem kleinen Jungen werfen, bevor ihn am Montag wieder die Arbeit rief.

    Feueralarm

    ––––––––

    Schon als die beiden den Speisesaal betreten hatten, waren nicht sonderlich viele Gäste dort gewesen, doch mittlerweile war der Saal bis auf Clem wenige weitere Personen leer. Der Brunch mit Claire war überaus amüsant gewesen, nachdem der Kaffee langsam ihre Lebensgeister geweckt hatte, doch der letzte Abend hatte sie scheinbar mehr mitgenommen, als Clem es für möglich gehalten hatte, und so hatte sie sich schon nach einer zwar netten, jedoch sehr kurzen Zeit entschuldigt. Sie war wieder auf ihre Kabine gegangen, um noch ein wenig Schlaf nachzuholen.

    Clem hingegen fühlte sich fantastisch. Er kaute gerade genüsslich auf einem Stück gebratenen Speck herum, als eine Schiffssirene mit ohrenbetäubender Lautstärke zu heulen begann.

    WEEEEEEEEEEEEHOOOO WWWEEEEEEEEHOOO! Hier spricht der Kapitän. Dies ist keine Übung, begeben Sie sich auf dem schnellsten Weg in Ihre Kabinen und halten Sie die Türen geschlossen, bis sich ein Crew-Mitglied bei Ihnen meldet. Ich wiederhole. Dies ist keine Übung, begeben Sie sich auf dem schnellsten Weg in Ihre Kabinen und halten Sie die Türen bis auf weiteres geschlossen!

    Er runzelte die Stirn. Feueralarm? Das kann eigentlich nicht sein, dann würde man uns eher auf das Hauptdeck schicken. Hm..

    Clem schlang hastig den letzten Bissen Speck hinunter und stand vom Tisch auf. Er war absoluter Kreuzfahrtneuling und hatte keine Ahnung, was das alles zu bedeuten hatte. Er ging auf den Ausgang zu, an dem zwei Crewmitglieder standen und die restlichen Gäste freundlich, aber bestimmt aus dem Saal komplimentierten. Die Sirene dröhnte immer noch.

    Nach einem kurzen Spießrutenlauf an anderen Urlaubsgästen vorbei und durch das Gedränge in den engen Gängen des Schiffes, saß Clem nun in seiner Kajüte im sechsten Untergeschoss. Die Sirene hatte mittlerweile aufgehört zu heulen und es war ein wenig Ruhe eingekehrt. Er hatte seine Tür, wie verlangt, abgeschlossen, konnte sich aber immer noch keinen Reim auf die ganze Geschichte machen. Doch zunächst einmal blieb ihm nichts anderes übrig als abzuwarten.

    Heimflug

    ––––––––

    Als er die Silhouette des Flughafens sah, stand die Sonne bereits tief. Seine Augen reagierten erneut sehr lichtempfindlich und er musste sie abschirmen. Ich hätte mir noch eine Sonnenbrille kaufen sollen. Der Flughafen selbst war brechend voll. Max wusste nicht genau wie viele Menschen täglich quer über den Planeten flogen, aber er hatte mal in einer Quizshow gehört, das etwa einhundertachtundfünfzig Menschen jede Sekunde irgendwo auf der Welt ein Flugzeug bestiegen. Eine schwer zu greifende Zahl. Als er eincheckte, sah er Coach Duvall ein paar Meter vor ihm in der Schlange stehen. An einem anderen Tag und mit einer anderen Person hätte er vielleicht das Gespräch gesucht um sich ein wenig über die Studie auszutauschen, aber er fühlte sich mittlerweile ziemlich kaputt. Außerdem schien der Kerl nicht unbedingt der angenehmste Zeitgenosse zu sein.

    Nach dem Einchecken begab Max sich sofort zu einem Sitzplatz und machte es sich beim Fenster bequem. Kurze Zeit später hob der Flieger rumpelnd ab. Eine hübsche blonde Stewardess mit dem Namensschild „Cathy" fragte ihn, ob er sich einen Tomatensaft wünsche, aber Max lehnte ab. Das Zeug erinnerte ihn immer so sehr an Blut. Er blickte noch schnell aus dem Fenster auf die in der Dämmerung verschwindende New Yorker Skyline. Gewaltig und gehetzt. Gut, dass es wieder nach Hause geht. Dann schlief er ein.

    Etwa drei Stunden später landete der Flieger in Augusta. Max blinzelte. Er hatte anscheinend den gesamten Flug verschlafen. Seine Knochen knackten vernehmlich. Er reckte sich im Sitz und schaute sich um. Anscheinend war das Zeichen zum Lösen der Sicherheitsgurte bereits gegeben worden. Die ersten Passagiere strömten bereits in Richtung der Ausgänge.

    „Man, da war ich aber ordentlich weggetreten...", flüsterte er zu sich selbst. Er hatte leichte Kopfschmerzen. Eine vage Erinnerung an einen Traum kam auf. Kleine arbeitende und fressende Viren, die sich in seinem Körper vermehrten und an seinem Gehirn herumfuhrwerkten. Scheiße, das war gruselig.

    Max verließ den Flieger und begab sich direkt zu den Shuttlebussen. Er wollte nach Hause. Dort würde er sich noch kurz bei der Nanny Lupita erkundigen, ob sich sein Sohn gut benommen hatte, und dann wollte er ins Bett, bevor er seinem Jungen morgen das Geschenk geben würde. Max freute sich bereits jetzt auf Henrys Gesicht, wenn er ihm den Baseball überreichte. Die Freude seines Sohnes würde ihn für den stressigen Tag mehr als entschädigen.

    Er suchte sich im Bus einen Platz relativ weit hinten und blickte auf der Rückfahrt nach draußen. Die Pinienbäume wiegten sich im Wind und überall gab es Bäume und Weiden. Augusta war ein schöner Ort, um alt zu werden. Der Bus brauchte etwa zehn Minuten, bis Max an seiner Haltestelle ausstieg und die letzten Meter zu Fuß ging. Nach einer Weile tauchte das Haus der Coopers am Ende der Straße auf. Die Siedlung war ruhig und es standen hübsche Häuser aus Holz und Stein auf beiden Seiten. Eine typische Vorstadtsiedlung, wie man sie aus diversen Filmen kannte. Nancy hatte einmal gescherzt, dass dies der perfekte Drehort für A Nightmare on Elm Street gewesen wäre. Max hatte erwidert, dass es Freddy vermutlich hier nach einem Tag zu langweilig geworden wäre, oder man ihn gezwungen hätte, den Bibelsängern beizutreten, um es sich nicht in der Nachbarschaft zu verscherzen.

    Das Haus der Coopers hatte eine breite Veranda, die Max‘ ganzer Stolz war, schließlich hatte er das Holz dafür selbst verlegt. Er blickte auf die leeren Blumenbeete. Nancy hatte es geliebt, im Garten zu arbeiten. Nach ihrem Tod hatte er sich redlich bemüht, die Beete genauso zu hegen und zu pflegen, wie sie es getan hatte. Wenn er die Beete betrachtete, erinnerte er sich oft an seine Frau. Er griff sich an die Brusttasche, wo er den Umschlag mit Kellys Telefonnummer aufbewahrte und bekam ein schlechtes Gewissen.

    „Vielleicht rufe ich sie lieber doch nicht an", sagte er halblaut vor den Blumen, so als ob er sich rechtfertigen wollte. Dann ging er ins Haus. Das Schloss knackte kurz und die Tür schwang nach innen auf. Es rumorte noch in der Küche. Vermutlich bereite Lupita schon das Essen für den morgigen Tag vor. Die stämmige, immer gut gelaunte Puerto-Ricanerin lebte schon seit Jahren in den Staaten und arbeitete seit dem Frühjahr für die Coopers. Sie war außerordentlich zuverlässig und Henry liebte sie, auch wenn sie nicht zimperlich dabei war, ihm gewisse Grenzen zu setzen. Laut eigener Aussage hatte ihre Familie Feuer im Blut, und dem konnte Max nur zustimmen.

    Dass Max sich eine Haushälterin leisten konnte, verdankte er seinem Laden für Elektronik in der Innenstadt, der mittlerweile drei Angestellte beschäftigte. Finanziell hätte er das Geld aus der Invicta-Studie nicht benötigt, aber es war ein schöner Nebenerwerb und so er hatte immer eine tolle Ausrede, einen Tag blau zu machen und sich New York anzusehen. Alles im Namen der Wissenschaft natürlich.

    Max ging auf leisen Sohlen in Richtung Küche und spähte hinein. Lupita würde den Schrecken ihres Lebens bekommen, falls sein Plan aufging. Er pirschte sich langsam an sie heran und wollte ihr gerade auf die Schulter fassen, als Lupita sich schwungvoll umdrehte und ihn mit einem Nudelholz in der Hand bedrohte.

    „Wissen Sie nicht, dass ein Drache alles mitbekommt, was in seiner Höhle vor sich geht?", sagte sie gepresst und mit dem Nudelholz fuchtelnd.

    Max musste sich beherrschen, nicht laut zu lachen. Er vermutete, dass Henry bereits schlief und sie ihn deswegen nicht schalt.

    „Lupita, das mit dem Drachen haben Sie jetzt gesagt. Sie haben mir natürlich gefehlt und ich wollte Sie überraschen."

    „Lügner kommen in die tiefste Hölle, Mister Cooper, schmunzelte sie. „Wie war denn der Flug?

    „Fliegen strengt mich immer an. Ich bin froh zu Hause zu sein", erwiderte Max.

    „Man sieht es, Sie sind ja völlig verschwitzt."

    Max runzelte die Stirn und rieb sich das Gesicht. Tatsächlich spürte er einen dünnen Schweißfilm. Wann war das denn passiert? Er hatte gar nicht mitbekommen, dass er begonnen hatte, so stark zu Schwitzen.

    „Vielleicht eine Nebenwirkung der Medikamentenstudie, oder ich bin einfach nicht richtig in Form. Wird Zeit, das ich wieder anfange zu trainieren."

    „Und was ist das in dem Glas? Mal wieder etwas für den Prinzen?"

    „Sie wissen doch, wieviel er mir bedeutet. Ich war heute Morgen so schroff zu ihm, da bin ich ihm etwas schuldig. Es ist nur eine Kleinigkeit."

    „Also einen signierten Ball von Tom Seaver würde ich jetzt nicht unbedingt eine Kleinigkeit nennen. Immerhin ist Seaver in der Hall of Fame."

    „Lupita, Sie verbringen eindeutig zu viel Zeit mit uns, sagte Max scherzhaft. „Schläft Henry schon?

    „Das will ich schwer hoffen. Er wollte unbedingt warten, bis Sie wieder da sind. Ich musste ihn fast ins Bett zerren, aber schließlich gewann die Müdigkeit die Oberhand. Aber ansonsten war er sehr brav, wie immer."

    „Das ist schön zu hören. Ich gehe hoch zu ihm und lege mich dann hin. Hoffentlich brüte ich nichts aus, ich will morgen ein paar Bälle mit ihm werfen."

    „Tun Sie das Mister Cooper. Ich mache hier noch den Rest fertig und gehe dann Heim. Ich komme morgen gegen Mittag nochmal rum und sehe nach ihnen beiden."

    „Danke Lupita und gute Nacht."

    „Gute Nacht. Bis Morgen." Lupita drehte sich um und widmete sich wieder der Gemüseschnitzerei.

    Max ging die Treppe hoch und schlich am Zimmer seines Sohnes vorbei. Die Tür war einen Spalt geöffnet. Max lugte hinein und sah Henry atmen. Der flachsblonde, schmale Junge sah aus wie ein richtiger Lausbube. Henry spielte schon immer lieber draußen Ball als drinnen vor der Glotze zu hängen.

    „Ich bin wach, Dad. Sagst du mir gute Nacht?"

    „Klar, Champ." Max ging hinein und setzte sich zu seinem Sohn auf die Bettkante. Henry rieb sich die Augen und umarmte seinen Vater. Max wäre fast angefangen zu weinen, weil er am Morgen so grob zu seinem Sohn gewesen war.

    „Schau, was ich dir mitgebracht habe."

    Henrys Augen weiteten sich. Er war auf einmal ganz aus dem Häuschen.

    „Wow, Dad! Von Tom Seaver? Danke! Womit hab ich denn das verdient?"

    „Weil du der beste Junge der Welt bist. Das weißt du doch, oder? Außerdem war ich heute Morgen so böse zu dir. Ich hab’s nicht so gemeint. Es tut mir Leid."

    „Ich war gar nicht sauer auf dich, Dad. Spielen wir morgen Vormittag eine Runde Ball? Wir haben doch das wichtige Spiel nächste Woche."

    „Versprochen. Du wirst super vorbereitet dort hingehen. Ich zeige dir morgen noch ein paar Spezialtricks."

    „Spitze, Dad. Dann schlaf ich jetzt, damit es schnell morgen wird."

    Henry drückte seinem Vater einen Kuss auf die Wange und rollte sich in seine Bettdecke. Max zog dem Kleinen die Decke hoch und packte ihn ein, wie ein wertvolles Geschenk.

    „Träum schön, Champ!"

    Max spürte seine Knochen. Wie sollte das erst werden, wenn er mal wirklich alt war? Er schleppte sich ins Bad und dann in sein Bett. Er streckte die Hand aus und fühlte die leere Seite, auf der seine Frau immer gelegen hatte. Vielleicht rufe ich die kleine Laborantin ja doch an. Dann schlief er ein.

    Dies ist keine Übung

    ––––––––

    Seit der ersten Durchsage war nun knapp eine halbe Stunde vergangen und Clem fing an sich zu langweilen. Er wollte seinen Urlaub nicht auf dem Unterdeck verbringen. Um sich ein wenig die Zeit zu vertreiben, hatte er sich seine Rettungsweste aus dem Schrank geholt und studierte ihre Funktionen. Sicher ist sicher.

    Als der Lautsprecher über seiner Tür knackte und eine hektisch wirkende Stimme erklang, hatte er seine Weste über den Kopf gezogen, die Gurte festgezurrt und gerade seine Rettungspfeife im Mund. Clem konnte hören, dass die Stimme in den anliegenden Zimmern ebenfalls zu hören war.

    Meine Damen und Herren, hier spricht Ihr Kapitän. Ich kann Ihren Unmut verstehen, erst einmal auf den Kajüten bleiben zu müssen, aber es gab einen Vorfall auf der Krankenstation. Einige Fahrgäste haben offenbar die Tollwut oder hohes Fieber und sind von der Krankenstation geflohen. Der Schiffsicherheitsdienst ist bereits informiert und die Situation ist bald wieder unter Kontrolle. Es besteht kein Grund zur Panik. Bleiben sie dennoch zu Ihrer eigenen Sicherheit noch eine Weile in Ihren Kabinen, bis ich Entwarnung gebe. Danke für ihr Verständnis. Ende der Durchsage."

    Ein ungutes Gefühl machte sich in Clems Magengegend breit. Er war hier um Urlaub zu machen, sich zu erholen, sich vielleicht sogar zu verlieben – und nun brach ausgerechnet auf seinem Schiff die Tollwut aus? Vielleicht waren ihm die Götter doch nicht so wohl gesonnen, wie er es noch früher am Tag vermutet hatte. Er fragte sich, wo Claire gerade war und verfluchte sich dafür, nicht nach ihrer Kabinennummer gefragt zu gaben.

    Clem horchte auf. Er dachte, er hätte das gedämpfte Kreischen einer Frau gehört. Doch wenn es wirklich ein Schrei war, so war das auf einem anderen Deck gewesen. Clem lauschte erneut. Dann war er sicher, dass im Deck unter ihm vereinzelt Schreie zu hören waren.

    Was zur Hölle geht hier nur vor? Ist das alles irgendein geschmackloser Gag von den Animateuren? Da würde der Kapitän aber doch nie mitspielen.

    Clem rutschte nervös auf seinem Bett hin und her. Er konnte hören, dass sich einige Leute auf dem Gang unterhielten. Neugierig stand er auf und lauschte an der Tür. Er konnte allerdings kaum etwas verstehen, so dass er die Tür vorsichtig aufschloss und den Kopf hinaus steckte. Ein älteres Ehepaar stand auf dem Flur und unterhielt sich mit einem Mitreisenden aus dem Nachbarzimmer. Die Frau, die er auf gut und gerne siebzig Jahre schätzte, versuchte ihren Mann im Zaum zu halten.

    „Francis, jetzt beruhig dich doch. Der Kapitän hat doch gesagt, dass bald alles wieder in Ordnung ist."

    „In Ordnung? In Ordnung, Bertha?! Ich zahle doch nicht zweihundert Dollar pro Tag für eine Kreuzfahrt, um auf dem Unterdeck zu versauern. Ich gehe jetzt an die Poolbar. Komm schon, Hank wir gehen jetzt." Clem konnte sehen, dass es sich bei Hank um einen weiteren älteren Herren handelte. Doch er hatte ein völlig anderes Auftreten und war ein paar Jahre jünger als Francis und Bertha. Hank hatte einen militärischen Bürstenschnitt und trug neben seinen wüstenbraunen Shorts und einem khakifarbenen Hemd noch dicke, feste Lederstiefel. Völliger Wahnsinn bei diesem Wetter, dachte Clem.

    Doch noch bevor er diesen Gedanken vertiefen konnte, wurde am anderen Ende des Flures lautstark die Tür zum Treppenhaus aufgestoßen. Clems Kopf schwang herum. Ein bulliger Typ mit kurzer, dunkler Hose und weißem Oberteil torkelte in den Gang. Der Mann war offensichtlich vom Sicherheitsdienst des Schiffes. Er hielt sich mit der rechten Hand den linken Arm. Blut sickerte durch seine Finger und färbte den Ärmel rot.

    Es folgte ein schriller Schrei von Bertha, der Clem die Ohren klingeln ließ. Der Wachmann keuchte und konnte sich kaum auf den Beinen halten.

    „Die sind alle wahnsinnig. FUCK! Der eine hat mich echt gebissen, ich dachte ich hätte ihn totgeschlagen. Aber... aber er ist einfach wieder aufgestanden. Verschwindet hier! Die drehen völlig durch!"

    Der Mann ging weiter auf Clem und die anderen zu, doch sein Bein knickte ein. Er schwankte zur Seite und schlug hart mit der Schulter gegen die Wand des Ganges. Mit einem metallischen Geräusch ließ er einen Teleskopschlagstock auf den Boden fallen, den er zuvor noch mit der Hand umklammert hatte. Die Situation wirkte absolut surreal, doch der Mann benötigte dringend ärztliche Hilfe. Clem lief zu ihm. Er half ihm wieder auf die Beine und versuchte ihn so gut wie möglich zu stützen.

    „Kommen Sie, Sir. Ich bringe Sie auf die Krankenstation."

    Der Mann von der Bordsicherheit war aschfahl. Er hatte kalten Schweiß auf der Stirn und atmete sehr flach. Er musste sehr viel Blut verloren haben. Ein Wunder, dass er es noch alleine hier runtergeschafft hatte, dachte Clem.

    „Keine Chance, von da komme ich gerade. Wir müssen von Bord und zwar schnell. Der Rest meines Teams wurde von diesen Verrückten in Stücke gerissen. Mein verdammter Arm brennt wie Feu..."

    Bei diesen Worten verdrehte er die Augen und die Beine des Kerls versagten ihm erneut den Dienst. Clem konnte ihn nicht mehr halten, und so schlug der Typ hart mit dem Kopf auf dem Boden auf. Dort blieb er liegen und regte sich nicht mehr.

    „Sir? Sir!" Komm schon, tu mir das nicht an. Ich kann dich Rindvieh nie im Leben alleine tragen. „Machen Sie jetzt nicht schlapp. Wir müssen Sie auf die Krankenstation bringen!"

    Clem drehte den Mann auf den Rücken und legte ihm seinen Arm vor die Brust. Er wollte ihn mit einem Tragegriff schleifen wenn es nötig war, denn den Riesen über die Schulter werfen und tragen fiel als Option eindeutig aus.

    Doch noch bevor Clem den Versuch, den bulligen Mann alleine tragen zu wollen, unternehmen konnte, unterstützen ihn weitere Hände. Hank und Francis waren ebenfalls dazu geeilt und unterstützten Clem tatkräftig. Gemeinsam hievten sie den Wachmann hoch. Wo Francis lediglich mit gutem Willen glänzen konnte, erkannte Clem, dass Hank für sein Alter noch bemerkenswert muskulös war. Clem fiel auch der tätowierte „Semper Fi"- Schriftzug auf der Innenseite des Unterarms auf. Der alte Sack war also mal ein Marine.

    „Komm Junge, wir bringen... Peter ... auf die Krankenstation."

    Hank hatte das Namensschild des Verletzten auf seiner Brust entdeckt und den Namen abgelesen. Clem hob den Oberkörper an und die beiden Rentner trugen die Beine des Mannes. Gemeinsam bewegten sie sich den Flur entlang. Der Mann hatte viel Blut verloren. Clem beschloss, die Warnungen des Kerls ernst zu nehmen und dem Weg zu folgen, den er vor seinem Sturz gegangen war. Der Mann hatte schließlich gesagt, sie sollten abhauen. Sie mussten ein ganzes Stück den Flur entlang, bevor sie die nächste Treppe in Richtung Krankenstation erreichen konnten.

    Bertha, die ihnen missmutig gefolgt war, war mittlerweile von einem Kreischen zu einem Wimmern gewechselt.

    „Der arme Mann!", japste sie.

    Die drei Männer hatten ordentlich zu kämpfen, um den Verletzten durch die Gänge zu schleppen. Mittlerweile hörte es sich so an, als sei auf dem gesamten Unterdeck ein Horror sondergleichen ausgebrochen. Aus vereinzelten, erschreckten Schreien waren zahlreiche, panische Todeslaute geworden. Clem wusste, dass die Krankenstation im Unterdeck war. Nach den jüngsten Entwicklungen wollte er aber nicht rausfinden, was da unten vor sich ging und wer den Security angefallen hatte.

    „Lasst uns zur Brücke, keuchte Hank. „Dort muss laut den Statuten durchgehend ein medizinischer Offizier anwesend sein!

    Die anderen nickten den Vorschlag, nach oben anstatt nach unten zur Krankenstation zu gehen, nur knapp ab. Francis war offenbar schon jetzt am Ende seiner Kräfte und auch bei Clem rannen die ersten Schweißtropfen die Stirn herab.

    Sie stießen die Tür zum Treppenhaus auf.

    Der Lärm von den zahlreichen Schreien erfüllte das gesamte Treppenhaus, welches als Verbindung zwischen allen Decks diente. Sie mussten fünf oder sechs Stockwerke hinauf, bevor sie auf dem Deck ankamen, dann den gesamten Poolbereich überqueren und dann noch einmal drei Stockwerke hinauf, bis zur Brücke. Das würde die reinste Qual werden und Clem bezweifelte jetzt schon, dass die beiden alten Männer, vor allem Francis, dazu in der Lage sein würden.

    „Wir müssen das Oberdeck erreichen. Einmal durchschnaufen, dann geht es die Treppen rauf. Los geht’s Männer, wir stehen das durch. Auf der Brücke sind wir sicher." Clem versuchte, die Gruppe zu ermutigen, auch wenn er selbst ebenfalls vor Anstrengung ächzte. Gleichzeitig hoffte er, dass Claire in Sicherheit war.

    Sie hatten bereits drei Stockwerke überwunden, als einige Decks unter ihnen eine Tür krachend gegen eine Wand aufschwang. Es folgte ein markerschütternder Schrei, gefolgt von einem Grunzen und einer Art Gurgeln.

    Hank packte die Beine des Verletzten fester und warf einen Blick durch das Auge der Treppe. Er hatte während der letzten Tage in Vietnam und im ersten Golf-Krieg gesehen, zu welchen Gräueln Menschen in der Lage waren. Würde man Hank fragen, würde er sich selbst vermutlich als „verrohten Veteranen" bezeichnen. Doch in diesem kurzen Augenblick, in dem er sah was dort unten passierte, weiteten sich seine Augen vor Entsetzen.

    Er konnte sehen, wie mehrere Stockwerke unter ihnen zwei Teenager auf einer jungen Frau knieten und ihr immer wieder Fleischbrocken aus dem Hals rissen. Das frische Blut hatte den gesamten Treppenabsatz hellrot gefärbt. Er wusste, dass solche Lachen auf dem Boden immer größer wirkten, als sie tatsächlich waren, aber hier schwamm alles geradezu in Blut.

    „Schneller, wir müssen schneller machen. Los, LOS!", rief Hank.

    Clem und Hank trugen den Verletzten an Armen und Beinen die Treppen hinauf. Hank, den die Bilder vom Massaker unter ihnen immer noch nicht losließen, verlor kurzzeitig das Gleichgewicht und wankte von links nach rechts. Clem wurde von diesem plötzlichen Rhythmuswechsel überrascht und stolperte rückwärts die Treppe hinauf. Er stürzte mit seinem Rücken voran auf eine der Stufen. Das Gewicht des Mannes, den er trug, trieb ihm die Luft aus der Lunge. Stöhnend und keuchend versuchte er wieder auf die Beine zu kommen.

    Panisch blickte Hank erneut in die Treppen hinab. Dort unten waren nun noch mehr von diesen durchgedrehten Kannibalen und es schien, als hätten sie die vier Personen über ihnen bemerkt, denn einige von ihnen kamen bereits gurgelnd die Stufen hinauf.

    „Verdammt, steh auf. Sie haben uns bemerkt, los, wir müssen uns beeilen!" Hanks Stimme klang panisch.

    Bertha wollte sehen, was unter ihnen passierte. Beim Anblick des Decks unter Ihnen, das mittlerweile einem Schlachthaus glich, entfuhr ihr der nächste schrille Schrei. Hank seufzte. Nun würde das gesamte Schiff wissen, wo sie sich befanden. Clem hatte sich mittlerweile wieder aufgerappelt und hievte erneut den Oberkörper des Verletzten hoch.

    „Okay, weiter", stöhnte er.

    Es waren noch zwei Stockwerke bis zum Oberdeck. Das wilde Trampeln auf den Stufen unter ihnen sorgte dafür, dass die Männer die letzten Kraftreserven mobilisierten. Es war fast geschafft und Bertha hatte gerade die Tür zum Oberdeck geöffnet, als plötzlich einer dieser offensichtlich Durchgedrehten die Treppe hinauf kam. Clem stockte der Atem.

    Er blickte in die blutunterlaufenen Augen eines höchstens fünfzehn Jahre alten Teenagers. Schwarze Äderchen traten unter seiner Haut hervor. Der Junge hatte zahlreiche blutende Kratzer am Körper und ein Hautfetzen hing so von seiner Wange, dass man das Fleisch darunter sehen konnte. In seinem Blick lag der pure Wahnsinn. Eine Kombination aus Zorn, Angst, Hunger und Wut. Clem konnte in dieser Situation keinen klaren Gedanken fassen. Er wusste nur, dass sie irgendwie die Brücke erreichen mussten, wenn sie diese Scheiße überleben wollten.

    Obwohl sich auch Francis, Hank und Bertha darüber im Klaren waren, dass sie auf keinen Fall hier bleiben durften, konnte sich keiner von ihnen bewegen, als der Teenager Augen und Mund weit aufriss und ein widerliches Krächzen ausstieß. Eine Mischung aus Blut und Geifer spritzte dabei aus seinem Mund. Der Erste, der wieder die Kontrolle über seinen Körper erlangte, war Hank. Der alte Mann ließ umgehend die Beine des verletzten Peter los und wirbelte herum. Er spürte, wie sein Verstand alles Nebensächliche ausblendete, während er den verrückten Teenager fixierte. Davon war dieser Peter also angefallen worden und das musste auch der Grund für die kryptische Durchsage des Captains gewesen sein. Hank hatte in seinem Leben schon genug Scheiße gesehen, um zu wissen, dass das hier ganz sicher keine vermaledeite Tollwut war.

    Er traf in Sekundenbruchteilen eine Entscheidung. Wenn die anderen drei mit dem Verletzten entkommen wollten, dann müsste sich jemand den Angreifern entgegenstellen, um ihnen Zeit zu erkaufen.

    „Semper fi, flüsterte er. „Verschwindet hier. Hank küsste die Tätowierung auf seinem Unterarm und ließ den Teleskopschlagstock des Wachmannes klangvoll ausfahren. Clem hatte gar nicht mitbekommen, dass Hank den Stock mitgenommen hatte. Er hatte gerade das Gefühl, drei Meter über sich zu schweben, nachdem er einen Joint mit ganz schlechtem Gras geraucht hatte. Hank funkelte ihn, Francis und Bertha kurz an und formte mit seinem Mund eine klare Anweisung. Verpisst euch!

    „Dann komm her, du kleiner Bastard", spie Hank dem Teen entgegen.

    Als hätte dieser ihn verstanden, stürzte er Hank entgegen. Andere, von Blut besudelte Passagiere, waren ebenfalls schon zu sehen, als Clem rückwärts durch die Tür ins Freie trat. Mehrere hundert Menschen liefen panisch über das Oberdeck. Er konnte seine Augen dennoch nicht von Hank abwenden, der es im Treppenhaus mit seinem Angreifer aufnahm.

    Ein neuer Anstrich

    ––––––––

    Max wachte ziemlich gerädert auf. Er wollte seinen Kopf anheben, doch der fühlte sich an, als sei er aus Blei. Bestimmt brütete er etwas aus. Die verdammte Flugzeugklimaanlage musste daran schuld sein. Dazu noch seine Paranoia, wenn die Maschine abhebt. Das konnte das beste Immunsystem in Mitleidenschaft ziehen. Am liebsten wäre er liegen geblieben, aber er hatte Henry versprochen, gleich mit ihm ein paar Bälle zu werfen. Außerdem roch er Kaffee. Lupita war eine sehr organisierte Frau, die dem Männerhaushalt gut tat. Es roch, als habe sie den Timer der Kaffeemaschine programmiert und herrlich duftender Kaffee sei gerade frisch aufgebrüht worden. Bestimmt hatte sie sogar Brote gemacht.

    Er wischte sich mit einer Hand durchs Gesicht und erhob sich dann so schwungvoll, wie es sein ächzender Körper zuließ. Unten angekommen, schenkte er sich einen großen, dampfenden Pott Kaffee ein und nahm sich eines von Lupitas belegten Broten. Die Frau ist ein Engel. Er blickte aus dem Küchenfenster und hörte eine Stimme von draußen. Es klang so, als sein Sohn bereits auf den Beinen.

    „Cooper wartet den zweiten Pitch ab. Ein gemeiner Curveball landet im Handschuh. Strike zwei. Das Publikum ist in heller Aufregung, doch Cooper klopft sich lässig den Dreck von den Schuhen. Er erwartet den dritten Pitch. Noch ein Strike und er wäre aus. Aber, NEIN, ein gewaltiger Hit von Cooper. Der Ball fliegt und landet auf der Tribüne. Die Zuschauer kennen kein Halten mehr und stürmen den Platz. Henry Cooper ist der Held des Tages. Der Beifall ist ohrenbetäubend!"

    Max lachte in sich hinein. Er konnte sich noch gut daran erinnern, in seiner Kindheit ebenfalls oft davon geträumt zu haben, mal in der Major League zu spielen. Verrückt, wie das Leben manchmal spielte. Als er Nancy kennengelernt hatte, waren diese Träume dem Alltag einer Beziehung und später einer

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