Verspielt
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Diethelm Schüssler
1963 wurde Diethelm Schüssler in Krefeld geboren. Er ist verheiratet und hat zwei Töchter. Nach seinem Studium arbeitete er selbstständig in Deutschland. Sein erstes Buch "Verspielt" veröffentlichte er 2017. Heute verbringe er sein Leben in seiner Wahlheimat Kapstadt und in Köln.
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Book preview
Verspielt - Diethelm Schüssler
haben.
Kapitel 1 Erwachen
Unter mir klatscht die Dünung schwer gegen die zerklüfteten Lavafelsen. Die Gischt schießt weiß, Fontänen gleich in die Höhe. Ich fliege weiter entlang der schroffen Steilküste. Das dunkle Blau des tiefen Meeres, das nur durch weiße Wellenkämme unterbrochen wird, geht nun hinter der Riffkante in das azurblau der flachen Sandküste über. Der frische Wind im Rücken treibt mich weiter. Die hoch am Himmel stehende Sonne durchdringt das Wasser so tief, dass mir kaum etwas auf dem von Korallen unterbrochenen Meeresgrund verborgen bleibt.
Ich gleite weiter über mein Element, in meinem Element....
Piep.piep.piep.piep.piep
Das elektronische Geräusch stört meinen Flug und holt mich in eine andere Realität.
Es ähnelt dem medizinischer Apparaturen. Und nun meldet sich plötzlich ein stechender Kopfschmerz.
Was ist mit mir geschehen?
Der Schmerz raubt mir jede Konzentration.
Ich drifte wieder weg... Nicht wieder einschlafen... Piep.piep.piep.piep
Langsam öffne ich meine schweren Augenlieder, mein Blick ist zunächst getrübt, ich sehe weiße Wände und weiße Schränke.
Wo bin ich nur?
Es riecht nach Desinfektionsmitteln.
Bin ich im Krankenhaus? Ich bewege meinen Körper Glied für Glied, meine Hände, meine Füße, alles funktioniert, nur mein Schädel scheint lädiert... Eine fremdländische Frau im weißen Kittel beugt sich über mich und schaut mir besorgt in die Augen. Ihr Blick macht mir Angst, muss ich mich sorgen?
Wenig später erscheint sie mit einem gebräunten, sportlichen Mann in weißer Kleidung und quietschenden Sohlen. Er schaut erst auf eine Akte, die sie ihm reicht, dann runzelt er die Stirn und schaut zu mir während er sein Kinn mit Daumen und Zeigefinger reibt.
Er begrüßt mich auf Englisch:
Ich versuche mich zu erinnern, stochere aber nur im Nebel und ärgere mich über meine Vergesslichkeit. Zweimal setzte ich zur Antwort an, bleibe aber in einem sinnlosen <Ähh...> stecken.
Verzweifelt wühle ich im letzten Winkel meines Hirns aber bleibe erfolglos.
Also antworte ich verstört:
Nichts scheint mir gut. Ich merke noch, dass ich Wasser lassen muss, spüre den warmen Fluss über meine Schenkel laufen und versinke wieder in komatösem Schlaf.
Durch ein ungewohntes Gefühl an meinen Beinen wache ich aus dem Tiefschlaf auf. Zunächst meine ich, es sei Teil meines Traumes, dass jemand mich mit einem nassen Lappen abreibt. Dann öffne ich verschämt die Augen gerade soweit, um die Schwester heimlich bei der Arbeit zu beobachten. Mir geht es weit besser. Ich genieße die erfrischende Feuchtigkeit, die sich von meinen Füßen über die Waden an den Oberschenkeln entlang, zu meiner Körpermitte vorarbeitet. Endlich nimmt sie ihn in die Hand, wischt geschickt erst um meine Hoden, indem sie den Penis an der Eichel festhält. Dann reinigt sie ihn, indem sie mit der anderen Hand die Eier festhält. Schließlich zieht sie geübt mit der einen Hand die Vorhaut zurück. Mit der andern Hand, über die sie den Waschlappen gezogen hat, umschließt sie mit Daumen und Zeigefinger zunächst die Eichel, um sie dann mit sanftem Druck durch den Lappen gleiten zu lassen.
Trotz des leichten Kopfschmerzes genieße ich, nun etwas peinlich berührt, das einsetzende wohlige pulsieren.
Jetzt erst schlage ich die Augen vollends auf und sehe in das freundlich lächelnde Gesicht der asiatischen Schwester, die weiter nun an meinem Oberkörper arbeitet, wohl wissend, dass mein Bewusstsein wiedergekehrt sein muss. Komapatienten bekommen wahrscheinlich sonst keine Erektion durch ihre Reinigungsprozedur. Ihr Namensschild auf dem Sattelpunkt ihrer üppig gewölbten Brust verrät mir ihren Namen: Li Akamu
Langsam beginnt mein Hirn zu kreisen, ich muss mich erinnern. Leider komme ich nicht weiter als zuvor. Was ich von mir weiß ist, dass ich ein männlicher, schlanker Weißer mittleren Alters bin, der nach einem Unfall leicht verletzt in einem hawaiianischen Krankenhaus liegt und sich gerne mit nassen Waschlappen reinigen lässt. Erst jetzt bemerke ich das bohrende Hungergefühl. Es signalisiert mir, dass mein Organismus wieder arbeitet.
Er gibt mir ein paar Sekunden Zeit und schaut mir in die Augen, als ob da meine Fortschritte abzulesen wären.
Ich habe gegen Eddie nichts einzuwenden.
Dann spricht er weiter:
Langsam wird mir seine frischgewaschene Fröhlichkeit unsympathisch.
Noch etwas zittrig stehe ich in meinem Krankenhemd auf und frage die Schwester nach meiner Kleidung. Kichernd gibt mir Schwester Li eine Surfshort mit Orchideenmuster, das einzige, was ich wohl bei meiner Einlieferung trug. Zusätzlich reicht sie mir einen beigen Bademantel. Mit der Kleidung in der Hand gehe ich gespannt ins Bad um mich im Spiegel zu sehen, doch schließe ich erst die Türe hinter mir ohne das Licht anzuknipsen. Ich taste nach dem Lichtschalter und zögere doch noch einen Augenblick aus Angst vor dem Unbekannten.
Schließlich drücke ich den Schalter... und sehe in das skeptisch dreinblickende gebräunte Gesicht eines Mannes um die 40 mit dunkelblondem Dreitagebart, sonnengebleichten Augenbrauen und wasserblauen Augen. Sein Haar ist bis auf wenige Millimeter rasiert. Ich betrachte mich und bin mir so fremd, dass ich erwarte, dass mein Spiegelbild in eine andere Richtung läuft, oder eine unerwartete Bewegung macht.
Seine Gesichtszüge sind markant und wirken vielleicht interessant. Auf jeden Fall sind sie nicht klassisch gutaussehend. Du meinst wohl so den fortgeschrittenen Haarausfall zu kaschieren, denke ich kritisch, als ich den Haaransatz mustere. Außerdem ist die Nase definitiv zu groß und nicht gerade, stelle ich nörgelnd fest. Beim Versuch ein Lächeln zu simulieren zeigen sich unzählige Lachfalten, möglicherweise die Zeichen eines humorvollen Charakters. Sie geben etwas bubenhaftes zum Ausdruck, dass vielleicht charmant wirken kann. Mein Mund ist geschwungen und eigentlich ansprechend, wenn da nicht ein gewisser spöttischer Ausdruck wäre. Meine Zähne fallen mir auf, die Eckzähne sind spitz und die Schneidezähne kräftig und weiß. Das gibt mir etwas raubtierhaftes. Ich habe das Gefühl, dass meine beiden Gesichtshälften asymmetrisch sind. Jetzt sehe ich auch warum. Die Narben rechts und links auf den Augenbraunen haben die Augen leicht deformiert, das Rechte ist größer als das Linke.
Was hab ich denn nur mit meinem Kopf angestellt, frage ich mich besorgt. Du hast offensichtlich wild gelebt und zwar nicht nur am Schreibtisch. Ein bisschen sehe ich aus wie ein Boxer, nur bin ich dazu zu schmal. Ich versuche grimmig dreinzuschauen, was mir auch sofort gelingt.
Neugierig ziehe ich mir das Krankenhaushemd über den Kopf und stehe nun nackt vor dem Spiegel. Als mein Blick über den kräftigen Hals weiter nach unten wandert, stelle ich fest, dass ich zu dünn bin. Etwas mehr Gewicht könnte auf die Rippen. Ich bin zwar groß und die Bräune gibt mir den Eindruck von Vitalität, aber ich bin zu sehnig und die Rippenbögen stehen zu weit vom Brustkorb ab. Auf meinen Armen und Beinen habe ich blonden Flaum und die heraustretenden Venen zeigen einen guten Trainingszustand an.
Ich stelle fest, dass ich zu viel UV-Bestrahlung in meinem Leben bekam. Mein fast bronzefarbener Teint sieht zwar ganz gut aus, passt nicht zu meinem nordeuropäischen Hauttyp, ich habe dementsprechend zu viele Leberflecken und Runzeln. Ich werde früh aussehen wie eine Mumie. Um die Augen herum sehe ich jetzt schon so aus.
Ein zweites Mal schaue ich mir in die Augen, die ich zunächst vernachlässigte. Diese Augen passen nicht zum Rest des Gesichtes, zumindest nicht bei genauerer Betrachtung. Zunächst strahlen sie blau auf dunkler Haut und geben meinem Gesicht trotz der Schlupflieder den Hauch von Liebenswürdigkeit. Auf den zweiten Blick sehen sie abgekämpft aus, vielleicht sogar etwas verzweifelt. Das kann auch mit meiner momentanen Lage zusammen hängen, rechtfertige ich mich vor mir selber.
Dann hole ich tief Luft, hebe meine Schultern und stelle mich aufrecht mir gegenüber, als ob ich mir imponieren müsste. Ich versuche es mit einem geringschätzenden Blick, auch der gelingt mir bestens.
Abschließend gehe ich noch mal einen Schritt zurück und resümiere meine erste oberflächliche Inspektion, nackt mit baumelndem Gemächt: Alles in allem bist du nicht begeisternd, aber es hätte mich auch deutlich schlechter treffen können. Du wirkst nicht unbedingt vertrauenserweckend, aber dafür schubst dich auch keiner in der Kneipe. Und langweilig wirkst du auch nicht.
Dann entscheide ich mich zu duschen, ich habe das Gefühl mich zum ersten Mal zu berühren. Ich seife mich gründlich ein und ertaste meinen glitschigen Körper, wobei ich keinen Winkel auslasse. Beim Abtrocknen habe ich mich schon fast mit mir angefreundet.
Das folgende Frühstück im Bett gibt mir wieder Energie und bessert meine Laune. Die Unsicherheit über die Dinge, die mich erwarten, weicht langsam der Neugierde.
Ich fühle mich wie eine frisch geschlüpfte Raupe, die nun ihre Umgebung erkundet. Vor meinem Fenster sehe ich den Krankenhausgarten, dort wuchert üppige tropische Vegetation und ich genieße die Pracht. Ich lasse meinen Blick schweifen entlang der leuchtend roten Bougainvillaehecke, die mich fast blendet, über verschiedenfarbige Blüten von Oleanderbüschen und die fetten grünen Wedel von Bananenstauden, bei denen sich das Auge nach dem vorherigen Farbenrausch etwas ausruhen kann.
Dabei unterbricht mich Schwester Li, um mich zu weiteren Untersuchungen abzuholen. Ich laufe folgsam barfuß hinter ihr her über den glänzenden Linoleumboden des Krankenhauses, von einem Raum zum anderen.
Zum Schluss, im letzten Zimmer, treffe ich den Arzt wieder. Erst testet er noch meine Reflexe, indem er mit einem Hämmerchen auf meine Knie klopft. Danach läßt er sich auf seinen Drehsessel mir gegenüber fallen, schaut mir auf die Stirn, holt tief Luft und setzt zu der lang erwarteten Diagnose an. Ich würde ihn am liebsten schütteln um schneller zu erfahren, was mit mir los ist.
Dann stirnrunzelnd, fährt er fort:
Das alleine reicht mir allerdings nicht aus, um mich in einen Freudentaumel zu stürzen. Lauter Fragen schießen mir durch den Kopf. Ich schaue wahrscheinlich etwas verstört aus meinem Bademantel, in Erwartung mehr zu erfahren.
Wieder holt er Luft und setzt zu einem erneuten Vortrag an. Während er doziert hält er nun zunächst die Hände gefaltet auf der Brust und schaut mir fortwährend bohrend auf die Stirn. Dann beginnt er mit seinen Händen kreisende Bewegungen, die in etwa die Rundungen eines Kopfes umfassen. Dabei schaut er dann auf den imaginären Kopf.
Nach einer kurzen Pause, bei der er die Augen zunächst bedeutsam schließt, kommt er zum Ende seines Vortrages.
Mit diesem Schlusssatz schaut er mich nun freudestrahlend an wie ein Motivationstrainer.
Ob ich es merken würde, wenn mein Hirn nicht normal arbeitet? In der Psychiatrie halten sich die Patienten auch für normal und suchen die Ursache ihrer Probleme in ihrer Umgebung. Aber auch bei