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Von der Rolle oder: Über die Dramatik des Verzettelns: Saarbrücker Poetikdozentur für Dramatik
Von der Rolle oder: Über die Dramatik des Verzettelns: Saarbrücker Poetikdozentur für Dramatik
Von der Rolle oder: Über die Dramatik des Verzettelns: Saarbrücker Poetikdozentur für Dramatik
Ebook140 pages1 hour

Von der Rolle oder: Über die Dramatik des Verzettelns: Saarbrücker Poetikdozentur für Dramatik

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About this ebook

Erstmalig erläutert Albert Ostermaier detailliert sein Selbstverständnis als Dramatiker, den Einfluss u. a. von Büchner und Achternbusch, Shakespeare und Brecht, Andrea Breth und Martin Kušej auf sein Verhältnis zum Theater und zum Drama. Am Beispiel seiner aktuellen Nibelungenbearbeitungen Gemetzel und Gold gibt er Einblick in seine Werkstatt und öffnet in einem Gespräch über das Theater weitere Perspektiven auf sein Werk und seinen Begriff vom Theater.

Das Buch basiert auf drei öffentliche Vorträge, die Albert Ostermaier Anfang 2015 als Inhaber der 4. Saarbrücker Poetikdozentur für Dramatik gehalten hat. Mit der 2012 erstmals vergebenen Poetikdozentur für Dramatikerinnen und Dramatiker waren vor ihm bereits Rimini Protokoll, Roland Schimmelpfennig und Kathrin Röggla geehrt worden.

Die Buchreihe im Alexander Verlag Berlin wird im Frühjahr 2017 mit Falk Richter fortgesetzt.

"Er macht sich zum Esel, der Autor. Zum ›wohlbekannten, alten Esel‹, bevor er schließlich zur Schnecke gemacht wird oder auf den Hund kommt, er wiehert: ich will, ich will, will alle Rollen spielen, will der König dieser seltsamen Tiere des Theaters sein. (...) Der Autor, bevor er sich zum Esel macht und machen lässt, ist ein Weber wie Zettel in Shakespeares Sommernachtstraum: Er webt seine Erzählfäden und Stoffe, aus denen seine Träume und Traumata sind." Albert Ostermaier
LanguageDeutsch
Release dateNov 9, 2016
ISBN9783895814389
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    Von der Rolle oder - Albert Ostermaier

    Nachwort

    Erste Vorlesung

    VERZETTELT ODER: DER AUTOR ALS ESEL DER MIMESIS

    I-A, I-A, ich auch, ich auch, I-A, macht der Autor, ich, der Autor, er ist, I-A, ein mimetisches Maultier, er macht sich zum Esel, der Autor. Zum ›wohlbekannten, alten Esel‹, bevor er schließlich zur Schnecke gemacht wird oder auf den Hund kommt, er wiehert: Ich will, ich will, will alle Rollen spielen, will der König dieser seltsamen Tiere des Theaters sein. Aber wenn die Katastrophe kommt? Und mit ihr die sogenannte Notwendigkeit des Opfers? Wen schlachten sie dann? Wer muss zuerst daran glauben? Schon Kleist weiß es, wenn er Über die allmählige Verfertigung der Gedanken beim Reden – und das Gleiche gilt für das Schreiben – nachdenkt: Es ist der Esel, der »blutdürstige« unter den Tieren, der Kräuterkannibale, der sich den Löwen, den Füchsen, den Wölfen als Gottesopfer zum »[Z]erreißen« vorwerfen lassen muss.¹

    Der Autor, bevor er sich zum Esel macht und machen lässt, ist ein Weber wie Zettel in Shakespeares Sommernachtstraum:² Er webt seine Erzählfäden und Stoffe, aus denen seine Träume und Traumata sind. Er ist, bevor er den Zauberwald (heute heißt er wohl OBI) betritt oder den Wald des Grauens, ein Handwerker, der bei seinen Zeilen, Leisten oder Webstühlen bleibt, der mit den Brettern vor seinem Kopf und den Brettern hinter der Stirn die Bühnen baut, die ihm die Welt bedeuten sollen, und dafür Geschichten webt aus gerissenen Fäden, aus verlorenen Fäden, aus Fadenscheinigem und scheinbar Fadem, fade-out, fade-in. Hier steht er, unser Zettel, und steht auf meinem Zettel, von dem ich ablese, statt Flugzeuge daraus zu falten.

    Schon bei seinem ersten Auftritt spricht Zettel von einer Liste.³ Autoren lieben Listen. Die Liste ist die List des Autors, er zählt auf, und er zählt auf den Zuschauer, der ihn durchschaut, wenn er auf die Bühne blickt und nichts mehr blickt, als in einen Spiegel, der der Spiegel des Autors ist. Und wenn Autor und Zuschauer sich den Spiegel vorhalten und nichts vorenthalten, entsteht jene Unendlichkeit, die die besten Szenen macht. Natürlich ist alles List, ist Trug im Spiel, natürlich müssen die Spiegel am Ende zerbrechen, damit wir in den Scherben unserer Seele oder unseres Lebens stehen, natürlich müssen wir uns an ihren Kanten und Splittern verletzen, natürlich schärfen die Scherben mit ihren Spiegelungen unsere Sinne, müssen wir uns aus all den Brechungen, Verletzungen, Spiegelungen ein neues Spiegelbild, einen neuen Blutspiegel zusammensetzen, der die Brüche nicht leugnet, sondern zeigt.

    Doch zurück zu Zettel und dem Sommer, in dem alle davon träumen, den gleichen Traum zu träumen.

    Es beginnt mit einer Eselei. Anlässlich der Hochzeit, der Vermählung der Amazonenkönigin Hippolyta mit Theseus, dem Herrscher dieses fiktiven Athens, wird ein Preis, eine Rente, für die beste theatralische Darbietung ausgeschrieben. Der Autor muss in Vorleistung gehen: ein Stückauftrag, der keiner ist, sondern nur ein Versprechen auf die Zukunft, ein dramatischer Future, eine Phantasieblase. Es ist ein seltsames Athen, von dem da die Rede ist. Es sieht aus wie ein Idyll, ein aufgeklärter Herrscher, Hochzeitsvorbereitungen, Helligkeit, Lustbarkeiten, junge Welt, Sonnenschein, ein Flirren und Flüstern, frohe Tage, neuer Mond, gespannt wie ein Silberbogen, leuchtender Himmel, Wolken wie Ungeheuer, ein unsichtbarer Sturm, der sich anbahnt hinter allem, ein Wüstenwind, der kommen wird mit rotem Staub. Wie glückliche Menschen wirken alle im ersten Moment, eine Komödie, ein Sommer, ein Traum, aber auch, wenngleich mondbeschienen, die Nacht. Es ist ein Trugbild, ein Bild voller Fehler und Unschärfen, eine nature morte: Wer stehen bleibt, ist tot. Die wahre Natur des Menschen, seine dunkle Seite lauert im lautesten Lachen. Und der Tod, er ist schon da, das Kontrastmittel. »Den Gram verweise hin zu Leichenzügen«, befiehlt Theseus⁴ und beschwört sie dadurch herauf, die Schatten, die bleichen Gäste. Und selbst um seine Geliebte, die Amazone, hat er mit dem Schwert gebuhlt, sprich, er hat sie bezwungen unter der Klinge. Die heitere Stimmung der Hochzeit ist, noch bevor sie ganz ausgelassen ist, in Gefahr: Mit dem Auftritt des Egeus gerät alles ins Wanken, sofort ein falscher Ton, Fehlfarben, Störung, Bedrohung, Shining. Da tritt ein Vater auf, der vor dem König seine Tochter Hermia anklagt, weil sie nicht den Demetrius (dem wiederum Helena verfallen ist) heiraten will, den Ehemann also, den ihr Vater für sie vorgesehen hat, sondern den lüsternen Lysander liebt. Die Tochter, das eigen Fleisch und Blut, das Eigentum, dessen Fleisch man bluten oder dem man den eigenwilligen Kopf kürzen lässt, wenn es nicht gehorcht, und die mehr auf das eigene Herz als auf die Stimme und den Willen des Vaters hört, der kein Ohr für die Tochter und schon gar nicht die Liebe hat, nein, nicht Gehör, Gehorsam ist die Devise und der Gedanke des Vaters, Gehorsam, bis dass der Tod euch scheidet, so oder so. Egeus beharrt auf Vollzug, auf das Gesetz, dass wenn die Tochter dem Vater sich widersetzt, Tod oder Kloster, sprich Entgeschlechtlichung steht, Nonnen statt Wonnen also (wobei wir natürlich wissen, wie es in Klöstern zugeht, damals wie heute).

    Warum schildere ich das alles, wo ich doch über Zettel als den Inbegriff und Personifizierungen des Autors und Dramatikers reden wollte? Nun, der Autor lebt nicht im luftleeren Raum, sonst müsste er ersticken. Der Konflikt ist sein Sauerstoff, das Unsichtbare, was er sehen will, das Unerhörte, auf was er hört, das Unausgesprochene, was er aussprechen muss. Er lebt zwischen den Zeilen und jagt auf sie wie auf Horizonte zu, die sich immer wieder gerade dann entfernen, wenn man sich ihnen so nahe fühlt. Er reiht Buchstaben zu Worten und Worte zu Sätzen, er stellt seine Liste auf eine Zeile, und seine List ist, sie Horizont zu nennen, und der Leser soll ihn lesen und dort auflesen, was der Autor hingeträumt hat.

    Natürlich ist Zettel nicht der Autor in Shakespeares Stück. Es gibt da schon einen Autor, ein Alter-Autor, er heißt Squenz und ist die Konsequenz dessen, was ich über den Autor erzählen will.

    Squenz hat jenes Werk gemacht, das die Handwerkertruppe sich zusammenschustern soll, denn eine Illusion zu bauen, macht gehörig Arbeit, und man kommt dabei ins Schwitzen und Grübeln, bekommt Schwielen und Brandblasen, nicht nur an den Händen, sondern auch in den Werken.

    Squenz ist nicht der Spiegel des Dramatikers, er ist als Dramatiker der Spiegel eines Dilettanten, eines, der sein Bestes gibt, das aber nie genug sein kann, der etwas von seinem Handwerk versteht, aber nicht vom Schreiben. Er erinnert mich an einen Comic im New Yorker: Zwei Männer auf einer Cocktailparty, sagt der eine zum anderen: »Ach, Sie sind Schriftsteller. Ich wäre auch Schriftsteller, hätte ich die Zeit dazu.« Squenz hat sich die Zeit genommen und sein Stück gezimmert. Zimmermänner reisen in ihren Lehrjahren ja durchs Land oder sogar durch die Welt, sie lernen das Fremde kennen und lernen sich in der Fremde kennen, fremde Stile, fremde Techniken, anderen Sitten und Sittsamkeiten. Sie stehen auf Dächern und blicken ins Weite, sie wissen etwas von Architektonik und Statik, sie langen zu, sie schlagen ab, sie hobeln, sie wissen, wie man mit einer Axt umgeht und einer Säge, sie sind im Gegensatz zu den lyrischen Schreinern eher für das Prosaische, aber wissen, wie man etwas zusammensteckt, sie bauen ein Dach über dem Kopf, wissen, wo der Hammer hängt, und nageln fest, was festzunageln ist. Sie tragen schwarz. Alles gar nicht so falsch und weit hergeholt für einen Dramatiker. Kein Schneider, der sieben auf einen Streich nimmt, kein Kesselflicker, kein Bälgenflicker.

    Der Zimmermann hat den Baum der Erkenntnis gefällt, zersägt und aus den Brettern und Astlöchern eine Bühne im Winkelmaß gebaut, vielleicht sogar ein Theater, denn im Wald gibt es viele Bäume. Aber dann geht’s an die Worte, und die sind aus einem anderen Holz geschnitzt. Ein Meterstab ist noch kein Stabreim, die Worte gehen nicht so leicht auf den Leim, wenn sie kleben, kleben sie einem eine, man bleibt hängen und der Schauspieler hat einen Hänger, er fällt aus der Rolle wie der Zimmerer vom Dach fällt. Der Autor hat sich den Zimmermann ausgesucht, weil er sympathisch ist, weil er für Solidität steht, Bodenhaftung. Weil schon Josef ein Zimmerer war, auch wenn es bei ihm nur für eine Nebenrolle reicht. Mein Vater hat auch Zimmerer gelernt, bevor er Architekt wurde. Ich habe im Sägewerk und in der Zimmerei mein Geld für die erste E-Gitarre verdient und mir manchen schönen Spreißel eingezogen. Ich habe dort viele fehlende Gliedmaßen gesehen und Bierflaschen holen müssen für den Schaum vorm Mund und die Geschichten in den Pausen, wenn die Sonne sticht und die Bäume kein Ende nehmen wollen.

    Hätte ich einen Handwerker aussuchen sollen für den Dramatiker, ich hätte auch den Zimmermann gewählt. Er ist kein Narr, aber zuverlässig, er weiß seinen Mann selbst in den höchsten Höhen und im Vollrausch zu stehen. Jeder begegnet ihm mit Respekt und das war das größte Lob, das es aus dem Mund eines Handwerkers gab. Der Schuster bleibt bei seinen Leisten, aber der Zimmermann Squenz möchte mehr leisten und ist doch ein Minderleister in dramatischen Dingen und ein unfreiwilliger Komiker in der Wahl seiner Worte. Er weiß, welches Holz für was taugt, was hält, was bricht, was sich biegt und was sich biegen lässt, was splittert und was hart ist, was harzt, was den Wurm hat. Für den Dramatiker hat jeder Satz einen Wurm, einen Wurmfortsatz nach dem anderen. Und so disqualifiziert er sich gleich zu Beginn, indem er sein Stück eine »höchst klägliche Komödie« nennt, in dem nicht nur Pyramus und Thisbe einen »höchst grausame[n] Tod« sterben, sondern auch die Literatur.⁶ Ja, wenn es nicht Absicht wäre. Und was für eine Kunst ist es, schlechter zu schreiben, als man selber schon schlecht schreibt.

    Aber wir wollen von Squenz zu unserem wahren Autorspiegelbild zurückfinden, zu Zettel. Warum ist Zettel der V-Mann des Autors? Weil er ein Esel ist. I-A, I-A, I-A. Zettel kann es gar nicht erwarten zu erfahren, was er spielen soll, die Spannung wird bis zum Bersten hinausgezogen mit umständlichen Fragen und Verfahren, wahrscheinlich hat Zettel selbst Angst, er könnte fehlbesetzt werden, sprich, er könnte nicht entsprechend seiner Kunst und seinem Können besetzt werden.

    So wartet er dann, was auf

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