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Ein Jahr in Norwegen: Reise in den Alltag
Ein Jahr in Norwegen: Reise in den Alltag
Ein Jahr in Norwegen: Reise in den Alltag
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Ein Jahr in Norwegen: Reise in den Alltag

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About this ebook

"Endlich sind wir da und das erste, was mir auffällt, als wir aus dem Auto steigen, ist diese absolute Stille. Kein Laut ist zu hören, nicht einmal ein Lüftchen weht durch den spärlichen Baumbewuchs. Das Knirschen des Schnees wirkt durch die Stille tausendfach verstärkt. Das ist nicht gruselig, sondern faszinierend. Wo hat man das schon noch, dass man ganz weit abgeschnitten von der Zivilisation mitten in ursprünglicher Natur ist, und das alles dennoch innerhalb Europas?"
Ein Jahr in Norwegen - in einer fantastischen Landschaft und mit einem Licht, das es nur hier, im Norden geben kann.
LanguageDeutsch
PublisherVerlag Herder
Release dateFeb 19, 2015
ISBN9783451803994
Ein Jahr in Norwegen: Reise in den Alltag

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    Ich bin in Norwegen angekommen und hatte keine Ahnung von den Menschen und dem Land. Und wollte 4 Wochen alleine reisen und Land und Leute kennen lernen. Natürlich kommt man mit Englisch sehr gut durch. Aber die Mentalität und die Seele der Norweger/innen lernt man so nicht kennen. Hier hat mir das Buch gute Dienste geleistet. Ich war sogar kurz davor, einen Sprachkurs zu belegen, denn die Sprache, und das beschreibt auch das Buch, ist der Schlüssel das Land zu verstehen.

Book preview

Ein Jahr in Norwegen - Julia Fellinger

Julia Fellinger

Ein Jahr in Norwegen

Reise in den Alltag

Impressum

Titel der Originalausgabe: Ein Jahr in Norwegen

Reise in den Alltag

© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2015

Alle Rechte vorbehalten

www.herder.de

Umschlaggestaltung: Designbüro Gestaltungssaal

Umschlagmotiv: © pure-life-picture-Fotolia

E-Book-Konvertierung: le-tex publishing services GmbH, Leipzig

ISBN (E-Book): 978-3-451-80399-4

ISBN (Buch): 978-3-451-06750-1

Inhalt

Wenn das Gras anders duftet

April

Mai

Juni

Juli

August

September

Oktober

November

Desember

Januar

Februar

Mars

Epilog

Danksagung

Wenn das Gras anders duftet

WAS BEDEUTET ES EIGENTLICH HEUTZUTAGE, auszuwandern, sein Glück außerhalb Deutschlands zu suchen? Es ist ja nicht so, dass man zu Hause nicht glücklich ist. Auch leidet man in Deutschland keine allzu große Not, etwa weil die Entbehrungen so zahlreich sind und die Arbeitslosigkeit zu drückend ist oder weil es schlichtweg an Perspektiven fehlt. Es muss schon einiges zusammenkommen, bevor man sich entscheidet, von nun an in einem anderen Land leben zu wollen, mit einer anderen Sprache und nicht zuletzt auch anderen Gewohnheiten. Schließlich gibt man zu Hause einiges auf: Familie, Freunde, die gewohnte Umgebung … Dass man jeden Tag mit dem Rauschen des Meeres aufwachen möchte, kann es allein nicht sein. Da hätte es auch Sankt Peter-Ording getan. Zum Auswandern gehört noch etwas anderes dazu, das sich mit harten Fakten nicht greifen lässt. Zunächst sind da eine ungestillte Abenteuerlust und Neugier, die für manche in Sehnsucht umschlagen kann: „Ach hätte ich damals doch nur … oder „Wenn ich könnte, würde ich …. Der Auswanderer redet nicht nur, er zieht einfach los. Und weil der Sprung ins Ausland nicht immer über den großen Teich führen muss, sondern auch ins Nachbarland gehen kann, wird das wichtige Wort zum ‚Auswandern light‘ und der weite Sprung eher zum Sprüngchen. Weil, Globalisierung sei Dank, die Heimat mit ihren Waren und Produkten immer näher rückt und die Medien aus Kilometerstrecken nur wenige Minuten machen. Einziger Knackpunkt: Mamas selbstgemachte Marmelade kann man nicht eben mal schnell zu Hause aus dem Keller holen.

Aber wünscht sich nicht jeder irgendwann einmal, dass er den Ruf des Auslands hört und den Mut aufbringt, ihm zu folgen? Und was dann? Muss dann alles genau so eintreffen, wie wir es uns in unseren Träumen ausmalen? Und werden wir dann enttäuscht sein, wenn wir feststellen, dass das Gras auf der anderen Seite wirklich nicht grüner ist, sondern einfach nur anders duftet?

April

„NOCH EINEN KILOMETER WEITER und das war’s für mich mit Norwegen." Ich stelle das Auto auf dem Parkplatz vor dem Haus ab, schalte den Motor aus und lehne erschöpft den Kopf ans Lenkrad. Die Lust auf Abenteuer ist mir im Augenblick gründlich vergangen. Ich bin einfach nur erledigt. Die plötzlich auftretende Stille legt sich wie eine weiche Decke sanft auf meinen geschundenen Körper. Nach mehr als zwölf Stunden Fahrt habe ich den Überblick über meine Gliedmaßen verloren. Meine rechte Pobacke hat sich seit einer kurzen Rast hinter Bergen in den Dämmerschlaf verabschiedet. Mit der letzten Fährüberfahrt kam noch ein schmerzhaftes Ziehen im Kreuz hinzu, das ich mir bei dem Versuch, Entspannung zu verschaffen, durch Dehnübungen an der Reling zugezogen habe. So fühlt sich also eine Auszeit an. Ich hatte mir das irgendwie entspannter vorgestellt. Hör auf zu jammern, blaffe ich mich an. Du bist selbst schuld. Na ja, ich und der Reisegefährte neben mir, der anscheinend genauso schlecht im Kartenlesen ist wie ich. Noch auf der Fähre von Hanstholm nach Kristiansand haben Hermann und ich uns über die Karte des westlichen Norwegens gebeugt und gemutmaßt, was es wohl bedeuten könnte, wenn eine eingezeichnete Straße plötzlich am Ufer endet, als gestrichelte Linie übers Wasser führt und dann auf der anderen Seite vom Fjord wieder weitergeht. Tunnel, tippte er. Brücke ich. Beides falsch. Als wir am Anleger stehen, zeigt sich, dass einzig und allein eine Fähre die asphaltierte Straße über das Wasser ersetzt. In der Realität bedeutet dies Wartezeiten und ein langsames Vorankommen. Wenn das die einzige Überraschung geblieben wäre, hätte ich mir das noch eingehen lassen. So aber ließen wir uns von der naiven Vorstellung verführen, die etwas längere Strecke möglichst nahe an der Küste sei besonders romantisch und maritim, weil der Atlantik hier nur noch eine Möwenlänge entfernt ist. Aber eigentlich ist Norwegen immer maritim, egal ob man über die Berge fährt oder den Blick aufs Meer hat, weil die Fjorde, diese langen, gewundenen Meeresadern, sich tief in das Landesinnere hineingraben. Wasser haben wir dann auch reichlich gesehen, nicht nur vom Seitenfenster, sondern vielmehr von unten, weil sich bei dem unbeständigen Aprilwetter immer wieder schwere Regenwolken über uns ausschütteten und unsere deutschen Scheibenwischer auf eine harte Belastungsprobe stellten. Was uns automatisch zur dritten Fehleinschätzung führt: Nur selten konnten wir die maximal erlaubten 80 Kilometer pro Stunde wirklich ausreizen. Kurven, Tunnel und Straßenverengungen machen es nahezu unmöglich, es mal ein bisschen laufen zu lassen. So mussten wir unsere Pi-mal-Daumen-Regel aus Deutschland, 100 Kilometer in etwas mehr als einer Stunde, bald verwerfen. Kristiansand-Høyanger, eine Strecke von rund 600 Kilometern, lässt sich niemals unter zehn Stunden schaffen. Wir haben über zwölf gebraucht. Jetzt sind wir auch schlauer.¹

Die Erkenntnis, dass mit Geschwindigkeit und Eile diesem Land nicht beizukommen ist, wich bald darauf einem atemlosen Staunen über die unterschiedlichen Spielformen ungezügelter Natur. Wir zuckelten gemächlich über die Landstraße, die so wichtige Namen trägt wie Riksvei 9 oder Europastraße 39. Wir sahen weite, schneebedeckte Flächen zwischen tiefen, dunklen Tälern, die nur den warmen Sommer zu fürchten hatten, weil die Strahlen der Frühlingssonne kaum eine Chance haben, dorthin vorzudringen. Der Weg führte uns an sanften Hügeln eines Nationalparks entlang, den wir dank Landkarte als Folgefonna Nationalpark ausmachten. Hier war der Schnee schon an vielen Stellen weggeschmolzen, nur die Eisflächen des großen Gletschers leuchteten majestätisch im Hintergrund und zeigten sich uns immer wieder aus einer anderen Perspektive. Die Straßen sahen nach Schwerstarbeit aus: in den Fels gesprengte Wege mit einfachen Befestigungen gegen Steinschlag und Grabenstürze, an manchen Stellen gerade einmal so breit, dass Pferdefuhrwerke ganz bequem, Autos dagegen nur mit gedrosselter Geschwindigkeit aneinander vorbeikamen. Hin und wieder führte unser Weg durch kleine Ortschaften, die manchmal nicht mehr waren als ein oder zwei Bauernhöfe und ohne eigentlichen Ortskern. Die Wirtschaftsgebäude waren in einer unverwechselbaren tiefroten Farbe gestrichen, etwas schmuckvoller sahen die weißgetünchten Wohnhäuser aus, einige von ihnen waren aufwändig verziert mit Schnitzereien, die Ornamente und Drachenmotive an Giebeln und Balustraden zeigten.

Zwischendurch, wenn ich als Beifahrerin mehr der vorbeiziehenden Landschaft als den Straßen meine Aufmerksamkeit schenken konnte, überkam mich wieder diese erwartungsvolle Neugier. Diese große Lust auf etwas Neues und Unbekanntes. Norwegen scheint mir dafür der ideale Ort. Bis vor einem halben Jahr habe ich diese Gegend im Norden von Europa nur als weißen Fleck auf meiner persönlichen Landkarte geführt. Doch so unbekannt dieses Land im Augenblick noch für mich ist, es bedeutet jetzt schon Abwechslung, den Ausstieg aus alten Gewohnheiten, Begegnung mit dem Unbekannten, vielleicht auch neue Chancen. Ich hatte mich nach Studium und diversen Aufträgen als freie Journalistin für Zeitungen und Hörfunk zwischen Anspruch und Wirklichkeit aufgerieben. Die Sehnsucht nach einem Perspektivenwechsel war groß, deshalb entschied ich mich, die Gelegenheit, die sich mir bot, zu ergreifen, wenn auch vorerst nur für ein Jahr. Eigentlich war es Hermann, mein Freund, den es nach Norwegen zog – aus rein beruflichen Gründen. Er sollte in Høyanger, einer kleinen Kommune am Sognefjord, die Stelle eines kommunalen Landarztes antreten. Dafür hatte Høyanger aktiv in Deutschland geworben, um auf diese Weise die ärztliche Grundversorgung für ihre Bewohner zu sichern. Umzug, Unterkunft und Sprachkurs wurden von den Norwegern gestellt, auch für die Partner. Es lag also ein dreimonatiger Intensivsprachkurs in Berlin hinter uns, durch den ich mich nun zwar noch etwas unsicher, aber immerhin so weit sprachlich gefestigt fühle, leichte Konversation auf Norwegisch zu führen. Es kommt allerdings ein bisschen aufs Thema an. Ein wichtiger Bestandteil des Kurswortschatzes lag

nämlich im Patientengespräch. Ich weiß deshalb, dass mein eingeschlafenes Hinterteil rumpa heißt, und wenn ich morgen ausgeruht die ersten Schritte in meine neue Heimat-auf-Zeit mache, werde ich zumindest eine leichte gangsperre spüren, einen Muskelkater.

Als ich die Autotür öffne, schiebt sich der Kopf eines Monsters mit eisklaren Augen und einer buschigen Mähne durch die Öffnung. „Fenris, kom hit, höre ich von hinten, und meine Erstarrung löst sich erst, als eine Hand das Ungeheuer am Halsband packt und nach hinten zieht. „Da er dokker endelig fremme? Det tok vel ei stund. Die Hand gehört zu Elin. Die kleine, drahtige Frau, die ihren Riesenhund für uns zurückhält, ist unsere erste Kontaktperson in der Gemeinde. Sie hat uns das möblierte Reihenhaus besorgt und den notwendigen Papierkram erledigt. Nun sollte sie uns die Schlüssel für das neue Zuhause aushändigen. Vermutlich sitzt mir der Schreck beim Anblick ihres Riesenviehs von Hund noch in den Knochen, ich habe nämlich kein Wort von dem verstanden, was sie gerade gesagt hat. „Unnskyld?, Entschuldigung, frage ich nach und hebe die Augenbraue. Ich weiß nicht, woran es liegt, aber sie wiederholt das Gesagte, diesmal etwas langsamer, doch die Bedeutung will sich mir immer noch nicht erschließen. Als Elin in unsere verständnislosen Gesichter sieht, weicht sie auf Englisch aus, übersetzt: „Da seid ihr endlich. Das hat aber gedauert. Vermutlich fragt sie sich gerade, ob das Geld für den Intensivkurs wirklich gut investiert war. Für heute werde ich dem sprachlichen Mysterium wohl nicht mehr auf den Grund gehen. Das muss bis morgen warten. Vorsichtig tätschele ich den Kopf des Riesenhundes, der sich gefühlt auf Augen-, tatsächlich wohl aber doch nur auf Brusthöhe zu mir befindet. „Stor hund, murmele ich, großer Hund. „Alaskan Malamute, beantwortet Elin meine unausgesprochene Frage, ob so ein großes Tier für den Hausgebrauch überhaupt zulässig ist, oder vielleicht doch eher in das Reich der nordischen Mythologie gehört, aus dem Fenris² für mich entsprungen zu sein scheint.

Wir hatten uns entschieden, kurz vor Ostern anzureisen und die Feiertage zur langsamen Eingewöhnung mit kleinen Erkundungstouren in die nähere Umgebung und dem ein oder anderen Restaurantbesuch zu nutzen. Was wir allerdings nicht wussten, war, dass Ostern in Norwegen zu den höchsten Feiertagen zählt, wobei der Grund dafür weniger religiöser als vielmehr traditioneller Natur ist. Zu dieser Jahreszeit sind die Schneeverhältnisse in den Bergen meist hervorragend. Hinzu kommt, dass die Tage nach den langen Wintermonaten endlich wärmer und auch deutlich länger sind. Um die ausklingende Wintersaison somit noch einmal so richtig genießen zu können, fahren Norweger deshalb nahezu geschlossen schon am Tag vor Gründonnerstag auf ihre Berghütten, weshalb der normale Betrieb (einschließlich Restaurants und Kulturveranstaltungen jeglicher Art) bis nach Ostermontag dadurch weitgehend zum Erliegen kommt. Ostern ist also eine feine Sache, vorausgesetzt, man hat einen vollen Kühlschrank oder zumindest ein gefülltes Bankkonto, mit dem man ihn noch schnell befüllen kann, bevor alles schließt. Wir haben beides nicht.

Anstatt also auf einem Stein am Fjord zu sitzen und den Wellen beim Schwappen zuzusehen, starten wir, auf Elins Anraten hin, den ersten Tag nach unserer Ankunft in fast schon gewohnter deutscher Hektik. Um Hermann aus der Gemeindekasse einen Vorschuss auf sein Gehalt zu geben, verschiebt der Finanzchef der Gemeinde seine Abreise zur Hütte. „God påske, vi sees på tirsdag, ruft er uns hinterher, und während wir zum Supermarkt weiterhetzen, überkommt mich ein Anflug von Erleichterung, weil ich seine Worte ohne Schwierigkeiten mit „Frohe Ostern, wir sehen uns am Dienstag übersetzen kann. Es besteht also noch Hoffnung.

Das Angebot im Coop Mega ist überschaubar. Zwar sind mir viele Marken und Produkte unbekannt, doch zielsicher bahne ich mir den Weg zur Fischtheke. Dass es sich hierbei im eigentlichen Sinn eher um eine Kühltheke mit abgepackten Waren handelt, trübt meine Vorfreude auf Fisch nicht im Geringsten. Der Lachs, ob geräuchert oder roh in Folie abgepackt, sieht mit seiner kräftigen rosa Farbe appetitlich und gesund aus, und im Augenblick interessiert es mich nicht die Bohne, ob oder inwieweit er in Fischkulturen gezüchtet und mit Antibiotika versetzt worden ist. Norwegen ist das Land des Fischs, und ich bin seit heute an der Quelle. Mein kulinarisches Herz schlägt beim Anblick einer kleinen Kühltruhe, die randvoll mit tiefgefrorenen Garnelen ist, weitere Purzelbäume. Nur der ausgeschriebene Preis verhindert, dass ich mir die Garnelen kiloweise in die dort ausliegenden Papiertüten stopfe. Statt Lammbraten und gefärbten Ostereiern gibt es in diesem Jahr gedünsteten Lachs und Garnelen zum selbst Pulen. Langsam fühle ich mich angekommen.

Allerdings sollte es noch eine weitere Abweichung unserer deutschen Ostertradition geben: Anders als sonst würden wir Ostern diesmal auf dem Trockenen, also ohne ein Gläschen Wein am Abend oder ein Glas Sekt zum Osterbrunch genießen müssen. Eigentlich wusste ich Bescheid, hatte ich mich doch in Deutschland ein bisschen eingelesen. Richtig glauben kann ich es aber erst, als ich es dann tatsächlich mit eigenen Augen sehe, beziehungsweise ja dann auch wieder nicht sehe: Abgesehen von Bier (das ich persönlich eigentlich nur an wirklich heißen Tagen trinke) gibt es im Coop Mega keinerlei Alkohol zu kaufen, weder Wein, Sekt noch Spirituosen. Einzig und allein dem staatlich geführten Vinmonopol ist der Verkauf von alkoholischen Getränken erlaubt, das bestätigt auch der Reiseführer, den wir zur Sicherheit noch einmal konsultieren. Schön und gut. Für unseren Fall bedeutet das, dass sich das nächstgelegene Vinmonopol in Førde befindet, etwa eine Stunde mit dem Auto entfernt. Um zehn vor zwölf sinkt damit unsere Chance gegen null, dieses Ostern die Korken knallen zu lassen. Für dieses Mal muss dann eben kulturmelk herhalten, die sich zu Hause entgegen unserer Annahme nicht als normale Milch, sondern als Buttermilch herausstellt.

Erst nach den Osterfeiertagen beginnt endlich der offizielle Teil meines Lebens in Norwegen. Im Gegensatz zu Hermann, auf den man sehnsüchtig gewartet hat und der dafür aufwändig aus dem Ausland „eingekauft wurde", wartet auf mich niemand, und ich muss mich selbst um meine Papiere bemühen. So führt mich mein erster Weg in Høyanger gleich zum lensmannskontor, zur örtlichen Polizeistation, wo ich meine Aufenthaltsgenehmigung beantragen will. Am Eingang steht ein kleiner Abreißautomat, der mich mit trekk kølapp auffordert, eine Wartenummer zu ziehen. Ich bin die einzige Person im Warteraum und überlege kurz, ob es sich dafür wirklich lohnt, eine Nummer zu ziehen. In dem Moment, als ich auf den Knopf drücke und ein Zettel mit einer zweistelligen Zahl im Schlitz erscheint, ertönt ein „Pling an der Rezeption, und aus dem hinteren Raum kommt eine junge Polizistin in Uniform. Ich lege ihr meine Unterlagen vor, und sie arbeitet schweigend an den Papieren. „Okay, da har jeg alt. Det vil da ta circa seks uker før tillatelsen er bearbeidet. Was? Ich soll sechs Wochen warten, bis die Aufenthaltsgenehmigung bearbeitet ist? Und meine Personennummer? Ich weiß, dass ich ohne diese Nummer nichts in diesem Land machen kann, kein Bankkonto eröffnen, geschweige denn einen Job annehmen. Ich kann doch nicht so lange nichts tun. Ich brauche diese Nummer unbedingt, erkläre ich ihr umständlich. „Ja men, det er ikke noe problem, sagt sie, „vent et øyeblikk. Kein Problem, ich solle einen Augenblick warten. Sie berät sich kurz mit ihrem Kollegen, der hinter einer großen Glasfront am Schreibtisch sitzt, und fünf Minuten später halte ich eine vorläufige Aufenthaltsgenehmigung und meine elfstellige Personennummer in Händen, die sich mit den ersten sechs Ziffern aus meinem Geburtsdatum zusammensetzt. Erst jetzt kann ich in Norwegen

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