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Fritz Benscher: Ein Holocaust-Überlebender als Rundfunk- und Fernsehstar in der Bundesrepublik
Fritz Benscher: Ein Holocaust-Überlebender als Rundfunk- und Fernsehstar in der Bundesrepublik
Fritz Benscher: Ein Holocaust-Überlebender als Rundfunk- und Fernsehstar in der Bundesrepublik
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Fritz Benscher: Ein Holocaust-Überlebender als Rundfunk- und Fernsehstar in der Bundesrepublik

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Jude, KZ-Überlebender, Linker, Hamburger in Bayern und trotzdem ein Publikumsliebling: der Schauspieler und Quizmaster Fritz Benscher.

»Leider hatte der »Führer" keine großen Sympathien für mich." So umschrieb Fritz Benscher (1904-1970) die Jahre nach 1933 und seine Haft in Theresienstadt, Auschwitz und Dachau. Während der Weimarer Republik hatte Benscher erste Erfahrungen am Theater und beim jungen Rundfunk gesammelt. Nach der Befreiung wurde er Oberspielleiter bei Radio München, dem späteren Bayerischen Rundfunk. Mit bissigem Witz und Aufklärung über die Verbrechen des Nationalsozialismus verschrieb er sich der Reeducation seiner Landsleute. Später kämpfte er engagiert gegen die Wiederbewaffnung, ungeachtet der Sprechverbote und sonstiger Sanktionen, die über ihn verhängt wurden. Während konservative Politiker, kirchliche Würdenträger und Antisemiten Anstoß an seinen Beiträgen nahmen, liebte ihn die Mehrzahl seiner Hörerinnen und Hörer. In den 1960er Jahren setzte er seine Karriere unvermindert erfolgreich als Moderator, Quizmaster und Schauspieler im Fernsehen fort.
Beate Meyer erzählt die Lebensgeschichte Fritz Benschers und zeigt eine andere Geschichte der jungen Bundesrepublik, die mehr war als nur der biedere Adenauer-Staat.
LanguageDeutsch
Release dateJan 30, 2017
ISBN9783835340800
Fritz Benscher: Ein Holocaust-Überlebender als Rundfunk- und Fernsehstar in der Bundesrepublik

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    Book preview

    Fritz Benscher - Beate Meyer

    habe.

    Hamburg – Berlin – und zurück

    (1904 – 1943)

    Erste Schritte ins Leben und auf die Bühne

    Als Fritz Benscher am 13. November 1904 geboren wurde,[1] hatten seine Eltern Gotthard und Pauline Benscher bereits zwei Söhne: Siegfried (geb. 1899) und Hugo (geb. 1903).

    Gotthard Benscher betrieb im Grindelgebiet eine Ledergroßhandlung, die als »Agentur und Commission« firmierte. Die Firma hatte er 1899 gegründet und am 3.9.1900 ins Handelsregister eintragen lassen.[2] Die Familie bewohnte ein Haus in Blankenese, das zu dieser Zeit noch nicht zu Hamburg gehörte. In der ruhigen Seitenstraße Am Klingenberg 23, unweit des Blankeneser Bahnhofs, hatten wohlhabende, aber nicht reiche Bürger kleine Villen bauen lassen, die von Gärten umgeben waren. Mit der S-Bahn konnten sie schnell ihre Kontore und Geschäfte in Hamburg erreichen. Gotthard Benschers Büro lag am Schlump, später im Grindelgebiet, also im Hauptwohnviertel der Hamburger Juden, bis er ein Grundstück im Cremon im Hafengebiet erwarb. Auch die Söhne fuhren mit der Bahn zur Schule in Hamburg.

    Nur wenig ist über das Familienleben der Benschers bekannt: Sie führten ein Leben nach den Regeln der jüdischen Religion, gleichzeitig dokumentierte der Vater seine Liebe zu Deutschland, indem er deutschnational wählte und den Söhnen entsprechende Vornamen gab. Er herrschte als Patriarch über die Seinen: Zwei Kindheitserinnerungen, die Fritz Benscher später kolportierte, mögen die Atmosphäre im Elternhaus beschreiben: Die eine betraf Waldspaziergänge der Jungen mit dem Vater, bei denen sie lautstark zu viert »Oh du schöner deutscher Wald« schmetterten, während die Mutter, die sich dessen schämte, ihnen folgte.[3] Die andere, die Fritz später seiner Frau weitergab, war die an einen Sommerausflug der Söhne mit der Mutter ans Wasser, vermutlich die nahe gelegene Elbe. Sie hatte vom Vater eine Uhrzeit für die Rückkehr mitbekommen. Als sie diese nicht einhielt, verweigerte er allen vieren den Zugang zum Haus. Selbst als die Nacht hereinbrach, öffnete er die Haustür nicht. Fritz Benscher, so seine Ehefrau, sei zeitlebens seinem Vater in »Hassliebe« eng verbunden geblieben, »einesteils hat er ihn bewundert, andernteils total abgelehnt.«[4] Auch der längst erwachsene Fritz suchte weiter die Anerkennung des Vaters, fand sie aber weder mit dem, wie er sein Leben gestaltete, noch mit seinen beruflichen Fähigkeiten oder seinem späteren Ruhm. Von der Mutter blieben ihm offensichtlich nur die Kochkünste in Erinnerung: So erwähnte er später in Sendungen ein Gericht aus Graupen, weißen Bohnen und Kalbfleisch, das sein Großvater »Schwurgericht« genannt habe, »weil es so schwur im Magen liegt«.[5] Diesen »Schalet« oder »Scholet«, wobei er den Namen des jüdischen Gerichts nicht erwähnte, habe die Familie am Heiligabend zu sich genommen …

    Die Bildung seiner Söhne ließ Gotthard Benscher sich etwas kosten: Sie besuchten schulgeldpflichtige Vorschulen, bevor sie an die jüdische Talmud-Tora-Schule wechselten. Während Siegfried an der Rackow-Schule gewesen war, ging Fritz »zur Bertram«: Die Gustav-Bertram-Vorschule, nahe am Dammtor-Bahnhof gelegen und vom Namensgeber selbst geführt, zählte die Söhne wohlhabender christlicher wie jüdischer Familien zu ihren Schülern. Die Namensliste liest sich wie ein Who’s who des großbürgerlichen Hamburgs mit seinen Reedern, Großkaufleuten oder Bankiers. Es gehörten die Amsincks, Sievekings, Mönckebergs, Burchards, de Chapeaurouges oder die Hagenbecks ebenso dazu wie die arrivierten jüdischen Ballins, Bandmanns oder Warburgs.[6] Auf Rechnen legte Gustav Bertram, der jeden Schüler persönlich kannte, besonderen Wert.

    Fritz Benscher (1951):

    »Wenn Sie mich nach der Art unserer Sendung fragen … die stammt von meinem Mathematiklehrer. Der flüsterte mir immer Rechenergebnisse ins Ohr, wenn ich nicht weiterwusste, und dann gab’s eine Ohrfeige.«[7]

    In kleinen Klassen lernten die Jungen lesen und schreiben, zunächst ohne Hausaufgaben. Druck und Stress sollten insbesondere am Schulanfang und wenn der Übergang zu einer höheren Schule nahte, weitgehend vermieden werden. Deshalb erhielten die Schuljungen auch täglich ihre Zensuren, so dass ihnen ihr Leistungsstand stets bekannt war und sie (oder ihre Eltern) bei Problemen sofort Abhilfe schaffen konnten. Vor allem aber drohten keine bösen Überraschungen, wenn die Zeugnisse verteilt wurden. Von April 1910 bis April 1914 führte Fritz’ Weg also zur Vorschule, dann wechselte er zur Talmud-Tora-Realschule am Grindelhof. Der Direktor Joseph Goldschmidt leitete sie mit strenger Hand.

    Der Erste Weltkrieg veränderte das dortige Schulleben von Grund auf: Lehrer wurden eingezogen, bald trafen etliche Todesnachrichten ein.[8] Der Krieg wurde Thema unzähliger Unterrichtsstunden, Landkarten zeigten die Vormärsche der Truppen. Schüler wie Lehrer identifizierten sich mit den Kriegszielen, sie sammelten viel Geld, um sie aktiv zu unterstützen.

    Der Historiker Ulrich Herbert hat für die in den Jahren 1900 bis 1912 geborenen (männlichen) Jugendlichen den Begriff der »Kriegsjugendgeneration« geprägt. Er meint die aufgrund ihres Alters noch nicht zum Wehrdienst eingezogenen Jungen, die die »Frontbewährung« verpassten, aber in die schwierigen Jahre der Weimarer Republik hineinwuchsen. Diese Generation war für ideologische Radikalisierungen besonders anfällig, sie stützte und trug später das NS-Regime ideologisch wie emotional, insbesondere als Mitglieder der SS.[9] Die jüdischen Jugendlichen wie Fritz Benscher, anfänglich kriegsbegeistert, wurden jedoch jäh aus der scheinbaren Gemeinschaft aller Generationen und Schichten ausgeschlossen: Fritz Benscher war 12 Jahre, als der Kriegsminister die antisemitisch motivierte »Judenzählung« zur Erfassung angeblicher »jüdischer Drückeberger« anordnete, was zur bitteren Ernüchterung der jüdischen Patrioten aller Altersgruppen führte. Eben noch mit dem kriegsführenden Deutschland identifiziert, wurden sie von der nichtjüdischen Umwelt wegen ihrer Religion und Abstammung nun argwöhnisch beobachtet und ausgegrenzt. Hinzu kam, dass das Ergebnis der Zählung bis nach dem Kriegsende geheim gehalten wurde, was das Misstrauen berechtigt erscheinen ließ. Tatsächlich ergab die Erhebung, dass kein nennenswerter Unterschied in der Kriegsbeteilung von Juden und Nichtjuden bestand.[10] Jedenfalls blieben bei Fritz Benscher keine Reste von Kriegsbegeisterung erhalten.

    Fritz Benscher (1960er Jahre):

    »Wir hatten [als Schüler, B. M.] statt eines Standpunkts etwas anderes, wir hatten Pickel und Gehorsam. Und alle diese Dinge waren sehr ungünstig für eine Entwicklung. Beispielsweise sagte man uns: mach einen schönen Diener, also eine Verbeugung. Das prägte sich dann so in dem Rückgrat aus, dass man vielleicht später dachte, wie kommt es, dass Menschen sich […] so wie jene benahmen, die in der fraglichen Zeit nicht dazu beitrugen, Deutschlands Ansehen zu heben. Sie hatten so viele Diener gemacht, dass das Rückgrat vollkommen krumm und zerschunden war und sie später auf jeden Deppen gehört haben.«[11]

    Zudem gab der weitere Verlauf des Krieges in den nächsten beiden Jahren auch keine Hoffnung mehr auf einen glücklichen Ausgang. Jetzt sammelten die Schüler nicht mehr Geld, sondern Gummiabfälle, Altpapier, Obstkerne und anderes zur Wiederverwertung. In der nahe gelegenen Hartungstraße bereiteten Helferinnen des Israelitischen Humanitären Frauenvereins Schulspeisungen vor, die eine Gruppe Schüler abholte und im Keller der Schule ausgab. Nun stand »Wehrturnen« als Pflichtfach auf dem Stundenplan, dafür exerzierten die Schüler mit einem Lehrer auf dem Schulhof. Der Winter 1916/1917 ging als »Steckrübenwinter« in die Geschichte ein, der Herbst 1918 brachte eine Grippewelle unbekannten Ausmaßes. Wie alle Lehranstalten musste die Talmud-Tora-Schule einige Wochen schließen. Im November 1918 schwappte der Kieler Matrosenaufstand nach Hamburg über, vier Monate regierte ein Arbeiter- und Soldatenrat im ehrwürdigen Rathaus. Wie erlebte der Jugendliche Fritz Benscher diese bewegten Zeiten? Wir wissen es nicht. Er verlor in keinem Interview oder Kommentar ein Wort darüber.

    Einen seiner Mitschüler von der Talmud-Tora-Schule, der dort ein Jahr vor ihm eingeschult worden war, sollte er übrigens später in München wiedertreffen: Philipp Auerbach.[12] Der Sohn eines Großhändlers für Chemikalien, Erze und Metalle besuchte die Schule bis 1922. Auch er überlebte während der NS-Zeit mehrere Konzentrationslager und wurde 1946 in München zum Staatskommissar für rassisch, religiös und politisch Verfolgte ernannt.

    Als sich Fritz’ Schulzeit dem Ende näherte, bewegten sich seine Noten meist zwischen Drei und Vier. Lediglich in Erdkunde, Biologie, Turnen und Rechnen – vielleicht eine positive Auswirkung der Vorschule – erhielt er eine Zwei.[13] 1920 attestierten die Lehrer ihm, er sei mäßig begabt, »zerfahren«, zwar »nicht unfleißig«, doch seine Reife schien ihnen zweifelhaft. So gewarnt, verbesserte sich Fritz schnell, erhielt in Rechnen, Religion, Physik und Turnen sogar eine Eins, ebenso im »Betragen« (statt einer Drei) und im »Fleiß«. Allerdings hielten seine Anstrengungen nicht lange vor, und er erwarb die Realschulreife, das »Einjährige«, nachdem er in der Abschlussprüfung beim Abschreiben erwischt und verwarnt worden war, mit mäßig-durchschnittlichen Zensuren.

    Noch trug Fritz auf dem Fragebogen der Schule als Berufswunsch »Kaufmann« ein, wie sein Vater es sich vorstellte: Er sollte später – wie seine älteren Brüder – in die Ledergroßhandlung einsteigen und die handwerklichen Grundlagen dafür erwerben. Fritz selbst wollte, so erzählte er später seiner Frau, vor allem dem Elternhaus entfliehen, dessen Atmosphäre er als bedrückend und einengend empfand. So diente es wohl erst einmal beiden Seiten, als sein Vater ihn als Lehrling nach Nordhausen schickte, damit er das Gerberhandwerk erlernte. In der kleinen thüringischen Stadt gab es nicht weniger als sieben Lederfabriken bzw. -handlungen.[14] Lange hielt es ihn dort wie auch anderswo nicht. 1921 begann ein unstetes Leben, in dem Gelegenheitsarbeiten, befristete Engagements an Theatern und beim Rundfunk für anfangs kleine, später größere Rollen und Untermietverhältnisse in Berlin, Hamburg und anderswo aufeinander folgten.

    Fritz Benscher (1959):

    »Vor etwa 35 Jahren schickte mich mein Vater in die Lehre nach Nordhausen. Um das Gerberhandwerk zu erlernen. Ich sah, wie mir die Felle, die ich in die Lauge warf, davonschwimmen. Ich wollte höher hinaus, ging in einen Keller und schloß mich einer Kabarettgruppe an. Dort hielt es mich nicht lang, weil die Witwe Lange darauf bestand, pünktlich am Ersten die 18 Mark Miete – inkl. Bettzeug und Morgenkaffee – kassieren zu können.«[15]

    Fritz Benscher ging nach Oldenburg, angeblich – so erzählte er später – wollte er dort eine Ausbildung zum Schiffsingenieur antreten.[16] Stattdessen kam er – auf unbekannten Wegen – zum Oldenburger Landestheater, wo Renato Mordo gerade Oberspielleiter (1920), dann Direktor (1921) und schließlich Intendant (1923) geworden war.

    Fritz Benscher, ca. 1925

    im Hamburger Grindelviertel

    Später erzählte Fritz Benscher, sein Drehbanknachbar habe die Idee gehabt, als Statisten zu arbeiten. Sie hätten achtzig Pfennige für ein Schauspiel und 1,50 Mark für eine Operette verdient. Er, Benscher, habe zudem Schlagzeug in einer Kneipen-Kapelle gespielt und dafür gelegentlich eine Flasche Schnaps erhalten. Diese habe er nun regelmäßig dem Chef der Statisten im Theater abgeliefert, der sich revanchierte, indem er ihn nach der zweiten Flasche für begabt und nach der vierten für fähig gehalten habe, Schauspieler zu werden. Er schickte ihn zu Mordo, der Benscher jedoch für zu klein und sein Stimmchen für zu dünn befunden habe. Aber Benschers Hartnäckigkeit habe sich ausgezahlt: Mordo teilte ihm eine Rolle zu, in der er als Soldat auf die Bühne kommen und sagen musste: »Herr Konsul, die Leutnants sind da.«[17]

    Eine andere Version:

    Fritz Benscher (1951):

    »An allem ist eigentlich ein Theaterdirektor schuld, der zu mir sagte, ich sei klein und hässlich und hätte eine brüchige Stimme. Da dachte ich an Demosthenes – zu was hat man denn eine Schulbildung –, ging in finstere Wälder und deklamierte laut schallend jeden erdenklichen Text, der mir unter die Finger kam.«[18]

    Unterlagen über Komparsen und Nebendarsteller am Oldenburger Theater jener Zeit existieren nicht mehr.[19] Vielleicht gab Renato Mordo dem zehn Jahre jüngeren Fritz Benscher eine erste Chance, weil er selbst – ebenfalls aus einer jüdischen Familie stammend – unter dem Druck gestanden hatte, sein berufliches Heil als Kaufmann zu suchen, aber um jeden Preis ans Theater wollte.

    Fritz Benscher (1957):

    »Mein Vater hatte etwas gegen das Theater, und darum ging ich hin. Ich wollte mal etwas Wallung in unser ruhiges Familienleben bringen.«[20]

    Renato Mordo leitete das Landestheater Oldenburg (zusammen mit dem Dirigenten Julius Kopsch) von 1920 bis 1924. Benscher erlebte ihn wahrscheinlich 1923 dort. Stark von Max Reinhardt inspiriert, reformierte Mordo das verstaubte Theater, und das Publikum lohnte es ihm mit wachsendem Interesse.[21] Spielopern, Singspiele, auch ein wenig »große Oper« im Verbund mit Unterhaltung, Theaterstücken von Goethe, Schiller, Büchner, Ibsen und Tolstoi füllten das Haus. Mordos Konzept der »geschlossenen Vorstellungen« führte gezielt eher theaterferne Schichten an dieses heran, beispielsweise organisierte er Aufführungen für Gewerkschaftsangehörige. Das Oldenburger Landestheater war groß genug, die programmatischen Debatten in Berlin und anderswo zu rezipieren, aber letztlich doch zu provinziell, sich über die Stimmen der Honoratioren im zuständigen Kulturausschuss hinwegzusetzen. Als diese Mordo verbieten wollten, Wedekinds Schauspiel »Frühlingserwachen« auf den Spielplan zu setzen, löste er seinen Vertrag auf und ging nach Wien. Nun trennten sich die Wege der beiden, doch Fritz Benscher, der nach Hamburg zurückging, verdankte Mordo die Bekanntschaft mit einem Theater, das sich nicht als Veranstaltung für das Bildungsbürgertum verstand, sondern sich um Zuschauer aus allen sozialen Schichten bemühte.

    Von der NORAG in die weite Welt

    In der Hansestadt waren Fritz’ Brüder Siegfried und Hugo bereits in das elterliche Unternehmen eingestiegen, und auch die Mutter Pauline hatte inzwischen Prokura erhalten.[22] Fritz hingegen suchte sich ein Zimmer zur Untermiete und fing bei der im Mai 1924 gegründeten Nordischen Rundfunk AG (NORAG) an. Dieses Unternehmen verzeichnete anfangs gerade mal 896 gebührenzahlende Teilnehmer. Eine neunköpfige Belegschaft sendete täglich sieben Stunden unter dem Intendanten Hans Bodenstedt. In schneller Folge wurden »Nebensender« für Bremen, Hannover usw. gegründet. Der junge Rundfunk war noch ein städtisches Phänomen und sprach vor allem jüngere Menschen an.[23] Hörten anfangs nur wenige, oft als Schwarzhörer an selbstgebastelten Empfängern, so wuchs die Hörerschaft rasch auf ca. 30.000 (Ende 1924) und stieg weiter auf ca. 467.000 im Jahre 1929 und 1931 auf 621.000 im erweiterten Sendegebiet an.[24] Alles war neu, musste erarbeitet und erprobt werden, niemand brachte Erfahrungen mit: eine gute Ausgangsposition für Fritz Benscher, der sich zeitweise auch Fritz Bernd(t) und – angeblich mit Rücksicht auf seine Familie, aber in deutlicher Anspielung auf seinen Vater – Fritz von Gotthard

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