Glücksfunken: Eine Jahresrunde mit der Diagnose Brustkrebs
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Die kurzen, poetischen Betrachtungen und Erzählungen bezeugen die Lebenskunst und das Lebensgeschenk in einer Ausnahmezeit – und geben dem Leser immer wieder den Impuls, das eigene Leben zu lieben.
Margit Neidhart-Hübner
Margit Neidhart-Hübner war viele Jahre MTA, bevor sie Literaturwissenschaften in Tübingen studierte und danach als Freiberufl erin arbeitete. Heute macht sie Burgführungen, betreut Senioren, ist Clownin im Dienst und Mutter von zwei Kindern. Seit 2005 veröffentlicht sie Gedichte und Kurzgeschichten.
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Glücksfunken - Margit Neidhart-Hübner
NACHWORT
VORWORT
Siebzigtausend Frauen erkranken jährlich in Deutschland an Brustkrebs. Jede einzelne dieser Frauen erlebt auf ihre Weise die Konfrontation mit einer Krankheit, die ihr Leben verändern wird. Alle haben sich unerwartet mit großen Ängsten und Fragen auseinanderzusetzen: Wie ernst ist die Erkrankung? Was sind meine Aussichten? Wie werde ich, wie werden meine Angehörigen damit fertig?
Die Fragen mögen vielfach dieselben sein, die Antworten sind ganz individuell. Jede Frau muss ihren ganz eigenen Weg durch die Krankheit und den oft komplizierten und anstrengenden Ablauf von Diagnose und Therapie finden.
Die Medizin hat inzwischen erkannt, dass die Behandlung von Brustkrebs sich nicht auf die operative, medikamentöse oder Strahlentherapie beschränken darf: Es kommt kommt für die Ärztinnen und Ärzte vielmehr darauf an, jede Patientin in ihrer individuellen Lage ganzheitlich zu verstehen, zu beraten und zu behandeln. Eines kann die Medizin jedoch nicht: Sie kann der Patientin nicht die ureigene Auseinandersetzung mit ihrer bedrohlichen Erkrankung abnehmen.
Ich habe als behandelnder Arzt viele Frauen erlebt, die ihre Erkrankung als Herausforderung, ja als Chance begriffen haben. So wie die Autorin dieses Buchs: Nach der Diagnose und ihren beiden Operationen macht sie sich daran, sich intensiv mit sich selbst, ihrer Trauer und ihren Ängsten auseinanderzusetzen. Und sie arbeitet an ihrer Hoffnung und der Zuversicht, »dass alles gut und richtig ist mit mir …, dass alle Verletzungen, Brüche und Fehlschläge in der Vergangenheit genauso zu meinem Lebensfluss gehören wie die Wechselbäder von eigenem Tun und Lassen in der Zukunft.« Die Offenheit, mit der die Autorin sich diesen Fragen stellt, sind beeindruckend, ebenso die Energie, mit der sie inmitten großer Belastungen und – wie sie schreibt – »extremer Gefühle« gemeinsam mit ihrer Familie ihren Lebenswillen und ihre Balance bewahrt und vielfach neu erringt.
Ich wünsche der Autorin Leserinnen, die sich anregen und ermutigen lassen, ihren ganz eigenen Weg trotz und mit der Krankheit zu finden, sodass sie wie die Autorin von sich selbst sagen können: »Es wird einmal in ferner Zukunft rückblickend schon der richtige Weg gewesen sein, mein persönlicher Weg, ganz bescheiden eigen, nicht so wie ein anderer, es ist ja auch meiner.«
Prof. Dr. Diethelm Wallwiener
Ärztlicher Direktor
Department für Frauengesundheit
Universitäts-Frauenklinik Tübingen
Krebs: Und täglich übe ich mich in Gelassenheit und Heiterkeit. Man könnte auch sagen, es ist eine tägliche Übung in Geduld, im Loslassen und Überlassen und in der Stärkung des Willens: Ich schaff das!
1 DER RÜBENGEIST – EIN HEITERER ZUGANG ZUM EIGENTLICHEN
10. 3. 2015 – Ich habe Brustkrebs! Und mit mir noch 70000 weitere Frauen jährlich in Deutschland. Seit Jahresbeginn bin ich mit meinem Brustkrebs konfrontiert – und jetzt weiß ich auch wozu: Damit ich schreibe! Klingt absurd, aber die unvermeidliche menscheneigene Suche nach einem Sinn – wozu und wofür – hat meinem Lebenstraum Raum und Aussicht geschaffen. Ich schreibe, so wie sich manch andere Frauen (und auch Männer) mit dieser niederschmetternden Diagnose im Laufe ihrer Erkrankung neue Wege erschließen: Die einen gehen mehr nach innen oder nach außen, andere fangen von vorne an, beruflich oder privat, oder beginnen sich künstlerisch oder sozial zu verwirklichen – und ich schreibe!
Endlich, endlich erlaube ich mir, mich hinzusetzen und meine Worte zuzulassen. Das, was innerlich drängt, nun heraus und Gestalt annehmen zu lassen. Das hat etwas mit Wertschätzung zu tun: Meine Worte gleichzusetzen mit anderen geschriebenen Zeichen. Ihnen eine Chance geben, ohne sie von vorneherein zu beurteilen oder gar zu verurteilen, sondern meine eigenen Gedanken als persönlichen Ausdruck anzuerkennen. Warum sollte das, was in mir brennt, weniger Energie haben als das, was ein anderer Mensch aufs Papier bringt? Für mein persönliches Lebensglück wird es bahnbrechend sein und in seiner Authentizität vielleicht auch andere Menschen berühren. Mit Heiterkeit und Tiefgang, mit Ehrlichkeit und Hoffnung.
Eine frühere Bekannte betonte einmal, dass sie keine Literatur – außer die Tageszeitung – lese, weil sie das, was jemand in seinem kranken Hirn fantasiert, nicht wissen möchte! Nun habe ich zwar kein krankes Hirn, aber eine kranke Brust. Fast könnte man Mitleid bekommen: Da ist etwas gewachsen, was primär nicht dort hingehört. Wie auf einem Acker – so stelle ich mir das vor – wo inmitten guter Kartoffeln ein dicker Rübengeist Platz nimmt, sich aufplustert, aber auch seine unförmigen Lachgesichtszähne zeigt und leuchtet, wenn man eine Kerze in den ausgehöhlten Leib stellt. Und das ist im Prinzip auch geschehen: Eine Ärztin hat meinen Rübengeist herausgeschnitten, eine Pathologin hat ihn ausgehöhlt und begutachtet und in einer Tumorkonferenz haben sie ihn von allen Seiten und auf allen Ebenen ausgeleuchtet – Deckel auf, Kerze rein, Deckel zu – und ihn mir dringend ans Herz gelegt: Für Sie, machen Sie was draus, nehmen Sie ihn ernst; wir gehen davon aus, dass er der Einzige bei Ihnen ist, das haben die Ganzkörperuntersuchungen gezeigt: Der Ultraschall der inneren Organe (Hörst du mich?), das Röntgenbild der Lunge (Siehst du mich?) und das Szintigramm der Knochen (Trägst du mich?). Hallo? Aber hallo – ein bisschen Leichtigkeit darf doch sein bei all der Tragik!
Manchmal wird mir erst bewusst, dass ich (potenziell betrachtet) sterbenskrank bin, wenn ich die Zuwendung von lauter lieben Menschen um mich herum entgegennehme, die vielen Segenswünsche und Energiebündel, die sie mir schicken und überreichen mit dem Zuspruch: »Du schaffst das! Wir denken an dich! Ich schließe dich in mein Gebet ein!« Ein Satz, den ich vorher selten im Zusammenhang mit mir gehört habe. Meine Freundin Karin hat extra wieder angefangen zu beten, hat sie gesagt, wegen mir! Vielleicht habe ich deshalb diesen Brustkrebs: Damit ich erfahre, von wie vielen Engeln ich eigentlich umgeben bin, ja wirklich!
Genau genommen sind solche Engel ganz unscheinbar, verborgen, nicht unbedingt explizit religiös. Aber wenn der Engel in uns gerufen wird, wenn er angerührt wird durch den ständig wiederkehrenden Gedanken an einen bestimmten Menschen, dann richtet er sich auf und agiert. Diese stumm rumorenden Gedenktiraden bündeln sich zu einem Kraftfeld, das ich nun in meiner Erkrankung spüren kann, weil es sich wärmend um mich breitet und mich durch die Stunden trägt, wo meine Sterblichkeit anklopft und wie ein Krimitrailer mit Bildern aufwartet, die mich vor Entsetzen fast lähmen. Sie sind alle da – mehr als ich erwarten durfte, Freunde von früher, von gestern, von heute.
Was für ein Geschenk des Himmels! Da wird mir doch ganz leicht ums Herz, wenn mich der Rübengeist herausfordernd anlächelt. Was die geistige Welt – ich glaube daran – nicht alles aufbietet, um mir zu helfen! Wie unendlich wunderbar und zauberhaft – DANKE!
Liebe Gedanken sind heilende Wärmeströme.
Ein lieber Gedanke ist heilende Wärme.
Ein lieber Gedanke ist Wärme.
Ein lieber Gedanke heilt.
Gedanken als Wärme.
Liebe heilt.
Danke.
2 VOM KNOTEN ZUM KARZINOM
11. 3. 2015 – Als ich am dritten Januar diesen Jahres einen himbeerförmigen Knoten in der Nähe des Brustbeins tastete, war ich nicht etwa schockiert, eher überrascht, und ich dachte an nichts Schlimmes: Der Knoten ließ sich bewegen, also konnte er wahrscheinlich nur gutartig sein, nach allem was ich laienhaft zuvor gehört hatte. Außerdem war das Signal meiner inneren Stimme eindeutig: alles gut, alles gut! Auch mein Mann Ralf schob den Gedanken an etwas Ernsthaftes auf die Seite. Dass vielleicht eine Operation anstünde, war mir aber sofort klar, vielleicht weil ich mir auch wünschte, diesen Bobbel so schnell wie möglich wieder loszuwerden. Beängstigend war nur, dass diese Beere sich innerhalb der nächsten vier Tage bis zum ersten Praxis-Öffnungstag meines Gynäkologen nach Dreikönig weiter vergrößerte und im ersten Ultraschallbild bereits beachtliche 1,7 cm ausmaß. Bei der Mammografie am dreizehnten Januar war der Knoten schon auf 2,7 cm gewachsen, fühlbar schnell und auch schmerzhaft, weil gewebeverdrängend. Da lag die Biopsie des Brust- und angrenzenden Lymphgewebes schon drei Tage hinter mir. Am selben Tag wurde uns dieser Knoten in einem sensiblen Arztgespräch als bösartiger Tumor vermittelt – als Karzinom.
Bis dahin war ich zehn Tage lang wie in einen schützenden Kokon gewickelt durchs Leben gelaufen. Das war eine besondere Zeit – etwas Außerordentliches war geschehen! Ich werde nie vergessen, wann und wo ich den Knoten erspürt habe: Beim Abrubbeln nach dem Duschen. Er war plötzlich da, einfach so. Hier bin ich und lasse mich auch nicht wegreiben! Es war von der ersten Sekunde an unglaublich, was der Tastsinn meinem Verstand vermittelte: hoppla, na sowas! Dass dieser Tastbefund Krebs sein könnte, war nur eine diffuse Ahnung, eigentlich ausgeschlossen. Ich wollte mich nicht so schnell ins Bockshorn jagen lassen, hatte keine Angst, auch keine Panik. Alle Familienmitglieder wurden erstmal beruhigt: Das wird schon nichts Schlimmes sein! In ruhigen Minuten richtete ich den Blick nach innen, um meine seelische Befindlichkeit zu erspüren und da war nur dieses verheißungsvolle Vakuum, das mit jedem Anfang einhergeht: Es kam etwas Neues auf mich zu mit diesem Knoten, was auch immer es war und letztendlich bedeutete. In diesen ersten zehn Tagen in meinem Leben mit Krebs