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Gespräch unter zwei Augen: Dialog eines Lebens
Gespräch unter zwei Augen: Dialog eines Lebens
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Ebook264 pages3 hours

Gespräch unter zwei Augen: Dialog eines Lebens

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About this ebook

Soll man einer Depression glauben? Was bleibt von einer Erziehung? Welche Irrwege wollte man einmal gehen? Oder waren es keine? Hat man Freunde? Und wie weiß man, ob es welche sind? Welche künstlerischen Meinungen waren existenzgefährdend? Welche politischen Meinungen sind nicht verhandelbar? Ist man Trinker oder Säufer?

Diese und viele andere Fragen zu beantworten, versucht man am besten im Gespräch. Werner Schneyder führt es. Der Genauigkeit halber mit sich selbst.
Ein ungewöhnliches, spannendes Lesevergnügen.
LanguageDeutsch
Release dateNov 16, 2016
ISBN9783903083400
Gespräch unter zwei Augen: Dialog eines Lebens

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    Gespräch unter zwei Augen - Werner Schneyder

    Gespräch über Depression

    Ich habe eine Depression.

    Weißt du, was das ist?

    Nein. Aber ich habe eine.

    Das äußert sich wie?

    Es war alles scheiße, Talmi, Illusion.

    Du wirst Mühe haben, das durchgehend zu beweisen.

    Ich unterziehe mich der Mühe.

    Bitte. Du hast eine abgeschlossene Schulbildung, in Österreich Matura genannt.

    Das ist ja schon der erste Skandal. Wie kann einer ein Realgymnasium, also kein humanistisches, abschließen, der nicht weiß, nicht gewusst hat, warum am anderen Ende des Telefons eine Stimme herauskommt, was ein Generator ist, der nie begreifen wird, warum Motorräder in der Kurve nicht umfallen, der genau besehen nicht dividieren kann, jedenfalls nicht mehrstellig, oder einen Computer nicht anzutasten wagt, aus Angst, er könnte sich elektrisieren?

    Das war eine Frage. Die Antwort lautet: Du hast geschwindelt, geblufft und auch Sympathie und Mitleid erregt. Das sind Qualitäten.

    Ich finde es unlauter, sich so zu trösten.

    Damit stellst du das gesamte Menschengeschlecht infrage. Aber das ist wahrscheinlich Kern jeder Depression. Du hast neben der Schule schon als Journalist gearbeitet.

    Damals konnten die jeden brauchen, der einen ganzen Satz bilden konnte. Heute würde ich die Zeitung allenfalls austragen.

    Die »Heute würde ich«-Sätze sind Unsinn, das weißt du. So groß kann keine Depression sein, dass man das vergessen kann. Und dann sage ich dir eines: Wenn du heute die Zeitung austragen würdest, dann weil du einen ganzen Satz bilden kannst.

    Billiger Scherz. Um den warst du nie verlegen.

    Du hast studiert, warst mit 22 Jahren Doktor der Philosophie.

    Diese Tatsache hält doch keiner ernsthaften Analyse stand. Das Studium der Publizistik hieß damals noch Zeitungswissenschaft und war eine Farce. Ein Professor Sowieso hat vier Jahre lang die identische Vorlesung über »öffentliche Meinung« gehalten, was niemandem auffallen konnte, da der Mann das Institut nie betreten hat. Ich weiß nicht einmal, wie der ausgesehen hätte, wäre er je erschienen. Seine Vorlesung hat eine Frau Professor gehalten, und die hat über »öffentliche Meinung« kein Wort verloren, sondern nur über kindische Zeitungsgeschichte. Andere Fächer waren mit Gescheiterten aus der dritten Garnitur besetzt.

    Das ist ein Grund für Amüsement, nicht für Depression.

    Na und das »Doktorat«. Da war ein Rigorosum zu bestehen. Die Frau Professor war der Meinung, ich hätte nicht die Qualifikation, mich dafür anzumelden, da sie wusste, ich könnte nicht genau sagen, welcher Mensch die erste in Wien erschienene Tageszeitung in welchem Jahr welchem seiner Söhne übergeben hätte. Jetzt wollte es der Zufall, dass der nie erschienene Institutsvorstand in Pension gegangen oder verschieden war und ein kommissarischer Professor, ein pensionierter Historiker, an seine Stelle trat. Nun konnte die Frau Professor mich nicht selbst prüfen und durchfallen lassen, sie musste vor der Türe bleiben, als ich zur Prüfung antrat.

    Du warst annähernd vorbereitet.

    Also ich hatte mich über den Umfang meines Nichtwissens informiert, habe mich also in der Lage gesehen, zu sagen, dass damals irgendetwas gedruckt wurde. Aber es geschah etwas Unerwartetes. Ein freundlicher alter Herr bat mich Platz zu nehmen und fragte, durchaus interessiert: »Was halten Sie von Theaterkritik?«

    Da warst du ja firm.

    Zunächst ein wenig geplättet, weil das war nun eine total unerwartete Frage. Aber meine Reaktionszeit war kurz. Ich begann dem Mann zu erzählen, was ich von der Theaterkritik fordere, wünsche, was ich an ihr nicht mag, ich hatte meinen Jacobsohn, meinen Jhering, meinen Polgar, meinen Weigel gelesen. Ich redete, bis er aufstand, zur Tür ging und der draußen wartenden Frau Professor sagte: »Ich wünsche mir, dass Sie mir öfter solche Kandidaten vorstellen.«

    Ein Triumph.

    Wenn ich an das Gesicht der Dame denke, schon. Aber hier ging es doch um eine akademische Weihe. Ich hatte als Nebenfach Kunstgeschichte. Da sagte der Professor, nachdem meine Ausführungen über die Gotik immer redundanter wurden: »Also hören wir lieber auf, bevor’s noch schlechter wird.«

    Finde ich unglaublich fair.

    Das Ärgste war das Philosophikum. Man wollte ja Dr. phil. werden, da gehörte das dazu. Ich hatte das Institut vorher nie betreten, als ich dort hinging, um mir dicke, wohl von Absolventen angefertigte, gebundene Skripten zu kaufen, die den Stoff des Prüfers, eines, wie man mir sagte, katholischen Philosophen, bündelten. Es handelte sich um vier Bände: Logik, Logistik und drei und vier weiß ich nicht mehr. Das hängt damit zusammen, dass mein Versuch, irgendetwas von den Bänden drei und vier zu verstehen, im Ansatz scheiterte. Ich las mich in die Logik ein, versuchte auch die Logistik, gab aber auf und trat zur Prüfung in dem vollen Bewusstsein an, jede Frage außerhalb der Logik würde zur Katastrophe führen.

    Aber der Professor fragte in das Zentrum deines Wissens: Aristoteles.

    Ja. Ich gab Auskunft. Und dann geschah wieder etwas, was mir die Sache unsäglich machte. Der Mann, der mich vor dieser Prüfung nie gesehen hatte, den ich vor dieser Prüfung nie gesehen hatte, sagte: »Warum haben Sie nicht immer so gearbeitet, Herr Kollege?«

    Er hat dich verwechselt.

    Ich glaube eher, er war senil.

    Beim Psychologen hast du aber was gewusst.

    Beim zweiten Mal. Beim ersten Mal hat er mich mit dem beschämenden Satz »So leicht darf man sich ein Doktorat nicht machen«, hinauskomplimentiert. Danach habe ich sein Buch doch genauer gelesen und festgestellt, dass da viele Dinge drinstanden, die unser Philosophieprofessor am Gymnasium uns schon beigebracht hatte.

    Du musst dich deines Titels nicht schämen, du hast eine sehr gute Dissertation geschrieben.

    Lass sie einen guten Essay sein. Aber der Anspruch an eine Dissertation, wissenschaftlich sein zu müssen, ist doch in keiner Weise erfüllt.

    Das hängt mit dem Studium zusammen, mit dessen Zustand damals, da kannst du nichts dafür.

    Aber die Erinnerung deprimiert. Oder wenn ich an meine Tätigkeiten während des Studiums denke …

    Du meinst dein Kurzgastspiel bei der »Presse«.

    Ja, bei der »Die Presse«. Die hatten ein Volontariat frei. Hätte ich denen gefallen, hätte ich das Studium nicht so rasch erledigt. Aber ich habe kein Bein auf die Erde gebracht. Die Provinzausbildung hat da nicht gereicht.

    Man hat manchmal Glück.

    Die »Wiener Zeitung« hat mich als freien Mitarbeiter gelegentlich für Reportagen eingesetzt.

    Du wurdest doch noch während des Studiums gut bezahlter Werbetexter.

    Das war der Tiefpunkt. Am Institut haben sie mir gesagt, eine bedeutende Auto- und Fahrzeugfirma würde einen Texter brauchen. Ich hatte kein Geld. Weihnachten stand vor der Tür. Ich habe mir gedacht: Mach die drei Probemonate, da kannst du Weihnachtsgeschenke kaufen, und dann haust du wieder ab.

    Du hattest großen Erfolg. Es wurden zweieinhalb Jahre.

    Erfolg? Es gab ja nichts zu tun! Hie und da ein Prospekttext, hie und da ein Inserat, ein Slogan. Wenn ich, über die ganze Zeit aufgeteilt, täglich eine halbe Stunde gearbeitet habe, war es viel. Aber ich war den ganzen Tag da. Beschämend. Ich habe während der Dienstzeit mit einem Kollegen Karten gespielt. Poker. Ich habe Unsummen verloren. Er war Falschspieler. Als ich ihn drauf angesprochen habe, hat er es zugegeben. Ich habe ihn dann ersucht, mir was beizubringen. Er hat sich geweigert. Er hat gesagt, er traut mir nicht zu, die Sachen monatelang vor dem Spiegel zu üben.

    Du hast dir deinen Lebenstraum erfüllt. Du gingst zum Theater. Als Dramaturg und Autor. Nach Salzburg.

    Nicht als Dramaturg. Die Planstelle war schon an eine Frau vergeben. Ich war »Chefdisponent«. Ich habe nur die Dramaturgenarbeit gemacht. Und Autor? Sie hatten ein Theaterstück von mir angenommen und auch uraufgeführt. Der Riesenerfolg hat mich veranlasst, zu glauben, aus mir wird ein großer Stückeschreiber.

    Du wurdest als Chefdramaturg nach Linz geholt.

    Das schlimmste Jahr meines Lebens. Schon die Vorgeschichte. Die Salzburger gingen nach Braunschweig. Und engagierten als Chefdramaturgen einen bekannten deutschen Reisekritiker, der die Theater erpresste, seine Kindermärchen aufzuführen. Die waren also froh, mich loszuwerden. Nach Linz wurde ich geholt von einem aus einem Dreierdirektorium, dem Opernmann. Dem war aufgefallen, dass das Salzburger Theater dauernd in den Zeitungen stand. Pressearbeit, das konnte ich. Der Operndirektor war aber Todfeind des Schauspieldirektors und drückte mich dem aufs Auge. Der aber wollte die ganze Intendanz, und ich war sozusagen der Mann seines Rivalen. Der Zustand war unerträglich. Ich verzichtete auf das zweite Vertragsjahr. Und stand auf der Straße.

    Unsinn. Du hast für Zeitungen geschrieben, für den Funk, du hast Funkregien gemacht, Lieder übersetzt, Musicalsongs. Du hast einen Industriefilm gedreht und …

    … viel gemacht, was mir in bösen Träumen noch unterkommt.

    Es ist dir nie schlecht gegangen.

    Wirtschaftlich? Nein. Aber da war viel dabei, wo man hätte nachher unter die Dusche müssen.

    Du warst nicht wehleidig.

    Aus Trotz.

    Es kam die Zeit, da bist du immer zwei Wochen im Monat nach München und hast in einer Film- und TV-Firma unter der Leitung des ehemaligen österreichischen Fernsehdirektors Gerhard Freund Drehbücher geschrieben, Serien …

    …auch unter Pseudonym, wenn ich mich geschämt habe …

    auch große Geschichten. Das war doch eine tolle Zeit …

    … in der sich mein Freund und Gönner von Aufsichtsratssitzung zu Aufsichtsratssitzung fürchtete, bis es vorbei war. Es war die Hölle. Noch dazu habe ich in München in Untermiete gewohnt. Es war alles sehr traurig.

    Doch dann kam das Kabarett. Alles, was du gelernt hattest, konntest du unterbringen. An der Seite des Großmeisters Dieter Hildebrandt wurdest du über Nacht zum Star, hast dich in den ersten 22 Kabarettjahren dumm und dämlich verdient.

    Mit Misserfolgen. Ich kann doch jetzt, mit 80, nicht herumgehen und dauernd sagen, das habe ich, das haben wir damals schon gesagt, und immer wieder, ich habe damit und damit und damit recht gehabt. Ich habe wirklich gehofft. Und jetzt stehen wir kurz vor einem globalen Crash. Das macht das, was du »Erfolg« nennst, auf das du so stolz bist, so namenlos bitter.

    Jetzt wirst du unerträglich.

    Weil ich eine Depression habe.

    Na, wenn’s sonst nichts ist.

    Gespräch über die Herkunft

    Geboren als Schneyder mit Ypsilon. Hat dich das Ypsilon eher gestört oder hast du es als originelle Bereicherung empfunden?

    Weder noch. Gestört hat mich nur, dass die richtige Schreibweise meines Namens nicht immer leicht durchsetzbar war.

    Du hast Briefe, wo »Schneider« draufstand, immer weggeschmissen.

    Vor allem Autogrammanfragen. Ich war nicht bereit hinzunehmen, dass Menschen ein Autogramm von jemandem haben wollen, dessen Namen sie nicht wirklich kennen.

    Besonders heiß bist du gelaufen, wenn die Schreibweise der Adresse und die des Brieftextes differierten.

    Da habe ich kurz den Intelligenzgrad der Schreibkraft bestimmen wollen.

    Eine Zeit lang mochtest du deinen Vornamen nicht.

    Das gilt angeblich für die meisten jungen Menschen. Aber da auch Herbert im Gespräch war, bin ich nicht unzufrieden. Das Ypsilon war übrigens sechs Generationen zurück nachweisbar. Der Vater hat Ahnenforschung betrieben.

    Ich glaube kein Wort.

    Der Vater hat erzählt, er wäre bis zu einem »Anton Schneyder, k. u. k. Straßenpfleger von Österreich« gekommen. Straßenpfleger, glaube ich, im Sinne von Straßenkehrer.

    Übertreib nicht.

    Das Ypsilon hat irgendein Pfarrer einmal hineingeschrieben, weil er schon zu viele I-Schneiders in der Gemeinde hatte. Oder ein geltungssüchtiger Ahne hat darum ersucht.

    Es kann auch von einem eingedeutschten tschechischen Wort übriggeblieben sein.

    Das ist naheliegend, wenn man das Geburtsjahr 1937 bedenkt.

    Der Vater hat nie davon gesprochen, seinem Führer absichtsvoll einen männlichen Nachkommen gezeugt zu haben.

    Die Absicht hätte sich die Mutter auch nicht bieten lassen.

    Du bezeichnest dich als Klagenfurter.

    Bin ich ja. Ich bin in dieser Stadt aufgewachsen und zur Schule gegangen. Bis zur Matura.

    Du bist in Graz geboren.

    Aber, in einem Anfall von Frühintelligenz, als Zweijähriger gesiedelt.

    Da hört man einen Unterton gegen Graz heraus.

    Dafür gibt’s keinen Grund. Außer, dass ich mich immer geärgert habe, eine Stadt als Geburtsstadt angeben zu müssen, mit der mich nichts verbindet.

    Du weißt doch längst, dass sie wunderschön ist.

    Das wiegt drei Kontaktversuche nicht auf.

    Die Lesung im »Forum Stadtpark«. Damals das Zentrum der österreichischen Literatur.

    Bei der waren sieben Leute. Man hat mich erfahren lassen, dass ich keine Sau interessiere.

    Du hattest eine sehr gute Kritik.

    Von dem Mann, der mich zur Lesung eingeladen, der sie veranlasst hatte. Einmal, ein einziges Mal, war ich länger in Graz.

    Da hast du an der Oper eine Operette inszeniert. Die Presse war kein Grund zum Verzagen.

    Eher im Gegenteil. Gewettet hätte ich, dass man mich wieder holt. Man hat aber nicht.

    Das stimmt nicht. Du hast für die darauffolgende Saison das nächste Angebot gehabt.

    Das war mir zu knapp danach.

    Da wunderst du dich.

    Ich wundere mich nicht. Ich trauere nur der Mittagszeit am Marktplatz nahe der Oper nach, wo man nach der Probe wunderbare Nudeln essen und sich mit südsteirischen Spitzenweinen in den Nachmittagsschlaf saufen konnte.

    Also doch eine starke Beziehung zur Geburtsstadt.

    Ja, aber die wurde ruiniert durch ein Engagement als Frosch in der »Fledermaus«.

    Das du selbst verschuldest hast.

    Was heißt »verschuldet«? Die wollten mich haben.

    Aber nein. Die haben angerufen und gesagt, sie hätten im Vorjahr eine »Fledermaus« produziert und da wäre der Darsteller des Frosch – ein sehr renommierter Schauspieler übrigens – ein bisschen abgestunken, weil der Text so schwach war. Und sie wollten von dir einen neuen Text.

    Ja. Und?

    Und du hast dann gesagt: Wenn ich schon einen Text für den Frosch schreibe, dann möchte ich ihn auch selber spielen.

    Von der Idee waren die ganz begeistert.

    Sie wollten nur das Problem gelöst wissen.

    Kann sein. Ich war damals auf Kabarett-Tournee. Ich habe zugesagt und gebeten, mir ein Video der Vorstellung nach Wien zu schicken, damit ich, wenn ich in ein paar Tagen nach Hause komme, meine Texte unter Wahrung der Stellungen und Stichworte für die Partner schreiben kann.

    Die haben das Video geschickt.

    Mit dem Ergebnis, dass meine Frau mich angerufen hat und mir sagte: »Da spielst du nicht mit.«

    Das hast du nicht ernst genommen.

    Natürlich nicht. Ich habe mir erzählen lassen, warum sie die Produktion so schauerlich findet und dann gesagt, ich werde mir das anschauen und selbst urteilen.

    Du hast dir viele blutige Nasen geholt in deinem Leben, weil du Warnungen nicht geglaubt hast.

    Musst du immer so grundsätzlich werden? Zum Kotzen! Ich gebe zu, ich habe dann einen Fehler gemacht.

    Du hast dir das in der Tat armselige Video angesehen und zu deiner Frau gesagt: »Schatzi, das ist eine Probe! Die sind eine Probe mitgefahren! Das ist nicht die Vorstellung!« Du hast ihr auch genau erklärt, woran man das erkennt.

    Es war die Vorstellung. Eine Wiederaufnahme auf einer sehr schönen Freiluftbühne. Eine grottenschlechte Produktion. Bei jedem Gang vom Hotel zum Schlossberg habe ich mich geniert.

    Das reicht nicht. Du hast dir gewünscht, dass die Vorstellung wegen einer Feuer- und anderen Katastrophe abgesagt wird.

    Ja. Das hat mein Verhältnis zu meiner Geburtsstadt nicht intensiviert.

    Man kann sich Geburtsstädte nicht aussuchen.

    Eltern übrigens auch nicht. Eltern im Sinne von Zeugen und Gebären.

    Du meinst, wegen der Gene.

    Natürlich. Wie kommt man dazu, sich ein Leben lang mit Eigenschaften, Anlagen, Defekten herumzuschlagen, die man geerbt hat.

    Ich widerspreche nicht. Es ist von der Schöpfung so vorgesehen, aber unzumutbar.

    Im Moment arbeitet man ja mit großen Erfolgen daran, dass sich die Eltern ihre Kinder in der Retorte zusammenstellen können. Umgekehrt wäre das sinnvoller.

    Aber bis dahin ist noch ein weiter Weg. Wir waren bei Klagenfurt.

    Ich liebe diese Stadt.

    Vielleicht auch deshalb, weil wir nicht direkt in der Stadt gewohnt haben, am Rand, vor waldreichen Hügeln.

    Ja, wir haben auf die Stadt hinuntergeschaut. Nicht so sehr in ihr gewohnt. Die Straßenbahnstation, von der aus der Volksschüler drei Minuten nach Hause hatte, war eine Endstation.

    Endstationen haben etwas Magisches. Man kommt an.

    Wir wohnten leicht erhöht im zweiten Stock einer Villa.

    Die hieltest du damals für schön.

    Heute noch, wenn ich mir ansehe, was sie daraus gemacht haben.

    Die Wohnung hatte fünf Balkone, zwei davon gegen Süden. Mit einem schönen Blick auf die Stadt.

    Und die habe ich von Anfang an geliebt.

    Du hattest keine Vergleichsmöglichkeiten.

    Die vielen Vergleichsmöglichkeiten, die danach kamen, haben meine Grundeinstellung nicht verändert.

    Da war natürlich von Anfang an Trotz dabei, denn die Mutter hielt Klagenfurt, gemessen an Graz, für ein »Nest«, der Vater, gemessen an Wien, für »tiefste Provinz«.

    Mein Widerstand gegen diese Urteile war instinktiv. Ich habe keine Ahnung mehr, ab wann ich mich zu fragen begann, warum sie irgendwo lebten oder leben mussten, wo es ihnen so gar nicht genügte.

    Du hast den hinter dem Haus bald beginnenden Wald genossen, die drei Teiche, die für Fußball geeignete Wiese beim zweiten Teich …

    … und den Garten vor dem Haus. Der war für Wildwestfantasien hinreichend.

    Du warst immer ein Träumer.

    Ich lehnte stundenlang an der Steinmauer des Balkons …

    der »Loggia«,

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