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Glanz der rauen Tage: Roman
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Glanz der rauen Tage: Roman

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Glanz der rauen Tage - Lulu Sandmanns Härteprüfung
Wenn Lulu Sandmann im Roman von ihren Monaten in der Maritim-Bau AG an der Nordsee erzählt, so fällt ein Glanz der rauen Tage trotz mehrerer Tiefschläge fast märchenhaft auf das Geschehen.
Denn Lulu ist dreizehn, als das von ihrem Vater Wolfgang Sandmann bestens geführte maritime Großunternehmen an der Ostsee mit katastrophalen Folgen einem beispiellosen Subventionsskandal erliegt.
Sie ist siebenundzwanzig, ein Bachelor und Master, als sie im Spätsommer Vorstandsassistentin der Nachfolgefirma wird und an die nordseenahe Weser geht, um bei den Schuldigen Verantwortlichkeit, zumindest Reue, Bedauern, und für ihren Vater Rehabilitation einzufordern: Dort, wo alles Leid am Tod ihres Vaters und der anhaltende Kahlschlag in Stadt und Region ihren Anfang nahmen.
Schon im Winter darauf hat sie nicht nur viel erlebt, geliebt, erlitten, äußerst viel erreicht und wichtige Menschen gefunden - sie übernimmt an herausragender Stelle selbst Führungsverantwortung.
Aufgezeichnet als ihr Tagebuch liest man es stets aufs Neue im Roman.
So auch über ihre Beziehung zu Stanislaus Grotheken und Mara Vazari, über das Familienleben an der Ostsee während und nach den Umbruchjahren und von ihrem Quartett Café Cherie mit ihren Freundinnen, woran sie als Violinistin maßgeblich beteiligt ist.
Wenn nur nicht Geldgier, Neid und Eifersucht zu Untreue, Mord und Firmenschäden führten, denen Lulu und andere mit viel Mut und Risiko begegnen!
Die wichtigsten Personen neben Viktoria [Lulu] Sandmann, ihren Eltern und ihrem Bruder sind Mara Vazari, Stanislaus [Stan] Grotheken, beide im Vorstand, Hans-Peter Gernrath, Vorsitzender, Krista Vermehr, Chefsekretärin, Prof. Roland Siebel und Stephan Marwich.
LanguageDeutsch
Release dateOct 25, 2017
ISBN9783743130333
Glanz der rauen Tage: Roman
Author

Horst H. Büchle

Mein Werdegang Geboren nahe Konin, aufgewachsen in Niedersachsen. Gelernter Schriftsetzer, danach Abitur, zumeist als Autodidakt. Nach dem Abitur Germanistik-, Politik- und Pädagogikstudium an der J. W. Goethe-Universität Frankfurt am Main mit I. Staatsexamen und Studienreferendar für Gymnasien mit II. Staatsexamen in Wiesbaden. Danach: - Redakteur in einem Düsseldorfer Buchverlag. - Selbstständiger Buchhändler in Springe am Deister. - Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Literaturzeitschrift die horen und nebenberuflicher Redakteur in einem Hannoverschen Buchverlag. - Zusatzqualifikation zum "Bildungsreferent in Wirtschaft und Verwaltung" beim FAS Hannover. - Nebenberufliches Studium "Personalentwicklung im Betrieb" an TU Braunschweig. - Von 1991 bis 2011 Dozent unter anderem an Technischer Akademie für Deutsch, Politik, BWL und VWL, Handelsbetriebslehre, Projektmanagement, Kommunikation und Führungsverhalten. Autor und Herausgeber von Readern und Lernmaterialien für Schüler und Studierende. In all den Jahren nebenberuflich tätig als Schriftsteller, Journalist und Rezensent. Seit 2011 freier Schriftsteller. VS-Mitglied. Homepage: horsthbuechle.de. "Sich selbst ein Freund" ist ein Gesellschaftsroman dreier Generationen und liegt als Buch- und E-Book vor. "Glanz der rauen Tage" ist ein Zeit,- Kriminal- und Liebesroman und liegt als Buch und E-Book vor. Der Roman "Bis die Zeit verzeiht" liegt in Buch- und E-Book-Form. Es ist ein vor langer Zeit begonnenes und mehrfach überarbeitetes Werk über historische und soziokulturelle Gründe sowie mentale Folgen der letzten Kriegs- und Nachkriegszeit. Seit Jahren also schreibe ich - bis 2011 bei aller Berufs- und Familienarbeit nur nebenher - an Romanen sowie auch an Gedichten und Essays. Daraus hervorgegangen sind unter anderem die drei genannten Romane, die sich der Menschen und Ereignisse gerade auch in Grenzsituationen unserer letzten Jahre und Jahrzehnte annehmen. Mehrere andere Arbeiten haben sich teils in größerem Umfang thematisch wie literarisch angesammelt. - Ein neuer vierter Roman ist als nächstes geplant und in Arbeit.

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    Glanz der rauen Tage - Horst H. Büchle

    modern

    FEIERN ZUM ABSCHLUSS 1

    Noch ist mein seltsamer Weg nicht zu Ende, jedoch kenne ich das Ziel, es ist mir seither nur noch klarer geworden. Zwar frage ich mich mitunter: Wo ist die Grenze zur fixen Idee? Führt nicht ins Unheil, was zu stark, zu anhaltend betrieben wird? Dann wiederum weiß ich: Meine Bedenken und Selbstachtung werden mich nicht losgelöst handeln lassen von jenen, die ich schätze und die mir vertrauen.

    Sicher, es ist ein Wagnis, interessant und gefährlich zugleich. Nach so vielen Mühen jetzt aufzugeben, wäre es allerdings auch, weil ich mich dann gegen mich selber aufbrächte und dabei so oder so verlöre.

    23.07. Freitagabend. Von fern sind die Bässe und Trommeln der Five Fire Friends als Erstes zu hören, im offenen Cabrio klingt das fremdartig und überraschend gut. Am Ortsschild einen Gang runtergeschaltet, hat der Motor dazu den passenden Sound. Der heiße Sommerwind zieht mir fast die Bluse aus, prickelnd noch an Wangen und Armen.

    Plötzlich rockt Bryans Wolfston aus Megaboxen durch vertraute Straßen, wie fernes Donnergrollen die der anderen. Ich sehe sie schon vor mir in ihren Lackjeans, bunten Flatterhemden. Der Wagen jauchzt in den Kurven, presst uns vier mächtig in die Sitze, die Dächer und Baumwipfel wischen nur so vorbei. Desiree neben mir, unruhig geworden, hätte sich wohl mit Volker am liebsten in den nahen Schlosspark verloren. Er will sie fassen, kommt aber kaum um den Vordersitz herum. Marco ist geschickter.

    »Ist dir nicht gut? Fast hätte ich den Radler gestreift! Nicht während der Fahrt, und hört bitte auf zu trinken!«

    Jetzt ist Ricky am Keyboard, surft solo auf unglaublichen Klangwogen. An der Kreuzung kommt Caspars Gitarre hinzu, anfangs wie ein Pfauenschrei, dann wendend ins Tremolo, sich steigernd in ein helles Vibrato, verzerrt vom Rauschen des Fanbeifalls, bisher vom Fahrtwind verweht.

    Ein erster Halt: mein Geburtshaus bis zum sechsten Lebensjahr, später unser Feriensitz mit Berliner Verwandten. Ich sehe, atme schon die Reihen der blühenden Linden davor, bin auf einmal knietief zu Hause. »Hört nur, wie sie singen!«, flüstere ich und mache den Motor aus. Volker meint ungerührt: »Das sind die Bienen!« Ich gucke ihn gar nicht erst an, als ich sage: »Wir können nachher hier übernachten, die Dachwohnung haben wir nicht vermietet.«

    An der Bogenlaterne aus altersgrauem Beton wenden und weiter. Bald geht es übers Steinpflaster der Schlossstraße, das wie wild rüttelt, als ritten Desiree und ich auf ihren Schimmeln. Ums Eck in die Schlossfreiheit. »Dort!«, ruft Marco. Hinein in die Parklücke, Jacke und Tasche an mich genommen. Der Wagen hat Pause, nach herrlichen anderthalb Stunden über flimmernd heiße Landstraßen von der Ostsee über Schwerin ins Herz der Griesen Gegend, bis nach Ludwigslust, ein städtebauliches Kleinod Mecklenburgs. Ein Klick!, und das Dach beugt sich über den Wagen, noch ein Klick!, und es ist zu. Die Strecke zum Schlossplatz nehmen wir im Laufen. Wunderbar, jung, bestgelaunt und voller Vorfreude zu sein!

    Ein Ruf: »Ihre Karten!«, nach vorn ist aber kaum durchzukommen, sehr viele drängeln erst noch zu ihren Plätzen, unsere sind in der dritten Reihe. Die Musik kommt in Schussfahrt, das Bummern der Bässe wirkt wie Saugen, Umklammern: bof-bof-bof. »Verflixt ist das gut!«, ruft Desiree zu irgendwem. Volker blickt gereizt, meint denjenigen zu kennen. Marco, plötzlich vor mir, macht mit Brust und Armen eine Art Schneepflug, will es wohl allen mal zeigen, oft genug geht er ja in die Fitnessbude.

    Ludwigslusts heimatliches Schlosspflaster: schöne, rundlich dicke, blassbunte Feldsteine, nur nichts für die erste Reihe, die Ladys der Prominenz in ihren Pumps.

    Niemand will sitzen, alles bleibt stehen, die Arme oben. Es herrscht Enge, zwischen Stuhlreihen erst recht. Zwei Hits später verblüfft aufs Neue der Wechsel von Moll nach Dur, wie ein Erblühen! Dann das Aufreizen des Takts in Synkopen, jetzt diese Scheidestelle, der burleske Bass- und Gesangsdialog, auf den bei dem Topstück viele warten und mitsingen. Die Saiten wirbeln wilder, rühren noch die Letzten an. Ein grandioses Gewitter tobt in vielen von uns.

    Jäh zerbirst Sidneys abfallende Schlagzeugkaskade, dass es einen nur so mitnimmt, als sollten wir auf die Knie, auf den Bauch, bis zur Erde. Tief unten – Enzos Bassgitarre fängt alles wieder auf – dehnt sich krasssüßes Herzweh taktelang. Flammender Nachhall schraubt sich lockend empor, schenkt sein Echo der Stadt, fließt über in satte Akkorde, eine Hymne ans Leben, Ludwigslust, Begehren. Dann, mit einem ausatmenden Paukenschlag: das Ende des Stücks.

    Großartig, nicht zu überbieten!

    Desiree ist rot vor Eifer, ihr Glutblick weit und fern, ähnlich wie die grelle Abendsonne. Überm Schlosspark sinkt sie, explodiert sie, ergießt sich ein letztes Mal. Blutrot glimmen die tanzenden Massen, das wogende Menschenmeer.

    Jäh fließt neues Gleißen über uns hinweg und gegen die barocke Vorderfront des Schlosses, siebzehn Fenster breit. Wie lebendig glühen oben auf der Attika taktgleich die übermannshohen Steinfiguren. Doch dieses Blutrot hat Dauer, wandelt sich ins Gelbe, ins Violette, ins Goldglänzende, verströmt von hinter uns bei den Wasserspielen installierten Lasern. Im Zentrum glänzt golden das Südportal, zerfließt glühend das Schloss, wir am liebsten mit ihm.

    Fast jeder glimmt und glitzert zuletzt mit irgendetwas in den Händen. Hitzezungen schnappen zu beim Atmen, doch die Musik kocht weiter. Marco witzelt, in den Hüften wiegend: A rocking bone gathers no moss! – Na klar, wie denn auch bei der Lautstärke, dem Lebenstempo. Ich schon gar nicht. Eins weiß ich genau, ich gebe mal nie auf, egal, was noch kommt! Und es passiert gewiss noch einiges. Bisher war vieles erst Ouvertüre: Studium, Praktika, Examina, vermutlich auch Marco. Danach will ich noch in den Schlosspark, in hellen Nächten wie dieser ist er am schönsten. Hoffentlich kommen nicht zu viele auf dieselbe Idee.

    Und schon ist wieder in mir jene tief gründende Sehnsucht nach der Stille von Gräser-, Bach- und Blätterrauschen, fern von Massen und ihrem oft unerträglichen Lärm.

    26.07. Freitagabend noch open air in Ludwigslust, Montagmorgen an der Hochschule bereits ins mündliche Masterexamen: das passt! Genauso fallen meine Antworten. Bevor meine Prüfer noch ganz klarkommen mit mir, meinem Auftritt, Agieren, stelle ich bereits Fragen, die ich auch schon mal selbst beantworte, fließend, derweil mich die Herren mit Blicken taxieren. Anmut, Präsenz, Intelligenz – wie eh und je bilden sie eine mächtige Melange, wonach ein jeder verlangt, sie besitzen, naschen oder mitglänzen will.

    Auch deshalb liegt die Prüfung dann zum Gutteil in meinen Händen. Mit den Vornoten aus Modulen und Masterarbeit lautet meine Gesamtnote schließlich: Eins Komma null, mit Auszeichnung bestanden! Nicht zu sagen, wie gut das tut … Auch daraufhin habe ich zuerst in Berlin für den Bachelor in Betriebswirtschaft gelernt, gekämpft, gelitten, danach an der Ostsee für den Master of Arts, mein Ticket in die Ökonomen-Führungsklasse, jahrelang.

    Jetzt hört mich bitte an: Lulu hat nicht vergessen, und sie kennt ihr Ziel! Es ist mir seither nur noch klarer geworden – zu gewissen Zeiten allerdings auch etwas fragwürdig. Schon früh hat es mich ergriffen, geformt, geschliffen, seitdem nicht mehr losgelassen. Raum für Freiheiten war selten, mit vielerlei Nachteilen und wenigen Vorzügen.

    Für meine beiden Praktika während des Grundstudiums im Finanz- und Rechnungswesen habe ich nicht zufällig zwei spezielle Unternehmen in Küstennähe gewählt, um sie geht es mir auch künftig. Und nun? Schon vor dem Master-Examen habe ich mich bei ihnen beworben – und von beiden eine Zusage erhalten. Danke, besten Dank!

    Prima wäre es, wenn Marco mir raten könnte, bei wem starten, das kann er jedoch nicht, kann kaum jemand. Mein Vater, der es könnte, ist vor sechs Jahren gestorben. Vermutlich hätte er mir aber davon abgeraten. Und Mama? Sie hat sich ihm, und in manchem auch uns, meinem ein Jahr jüngeren Bruder Alexander und mir, schon seit längerer Zeit entzogen. Ungewiss, ob wir Frauen uns noch einmal ganz nahe kommen, es dürfte auch schwierig werden.

    Die hiesige Portbau Aktiengesellschaft an der Ostsee will mich für eine Planstelle im Marketingbereich. Bei der Maritim-Bau AG an der Weser nahe der Nordsee wäre ich nur Assistentin des Vorstands, dazu auf ein Jahr befristet. Ich habe mich trotzdem für die Maritim entschieden: weil dort diese Tragödie ihren Anfang nahm! Zwar wäre ich lieber an der Ostsee in meiner Heimatstadt geblieben, auch bin ich als Assistentin niedriger eingestuft als eine Sachbearbeiterin – beim Weservorstand jedoch um einiges näher vor Ort.

    Ohnehin habe ich großes Glück, manch andere Absolventen gehen erst noch und noch einmal ins Praktikum, nicht selten ins Prekariat, mit allen lausigen Folgen.

    In Ludwigslust vor siebenundzwanzig Jahren geboren, nennen mich fast alle Lulu. Vielleicht war ›Viktoria‹, mein richtiger Name, meiner Mama aber nur zu lang. Kurz bevor ich eingeschult werden sollte, berief man meinen Vater Wolfgang Sandmann als Werksdirektor zum VEB Eiserne Hand, ein volkseigener Betrieb, an die Ostsee, wohin wir dann umzogen. Gleich nach der alle überraschenden Wende der Jahre 1989/90 hat er ein Fernstudium begonnen und sein Diplom in Betriebswirtschaftslehre gemacht. Er wurde Vorstandsvorsitzender der zur Eiserne Hand AG gewandelten Firma und ist es für einige Jahre geblieben. Später ging, nach deren Konkurs, die Portbau AG daraus hervor, als Vater dort aber schon nicht mehr war.

    Jetzt heißt es für mich Zimmer suchen und bald Koffer packen, denn Anfang September geht es an der Weser los. Die anderen wissen noch gar nichts davon.

    28.07. Mittwochabend, als Marco zu meiner Examensfeier kommt, muss ihn seine Mutter Isabel bringen. Auch am Freitag war es ihr Wagen, denn er hat einen Zweisitzer und ohnehin noch vier Wochen amtliches Fahrverbot. Darum bekommt er jetzt auch nichts Alkoholisches von mir.

    Es tut gut, wenn man für seine Leistung mal so richtig gefeiert wird! Die liebe Isabel Michaelis hat sogar ein Geschenk dabei, das neuste Album der Five Fire Friends: Sunset Glow with You, mit den Hits, die wir life gehört haben. Dankeschön! Damit erobern sie gerade die Charts und wohl endgültig die Rock and Roll Hall of Fame.

    Sie selber, meint Marco, fände die Band zwar nicht so angesagt. Das hindert sie aber nicht, ihn weiter zu verwöhnen und auch uns dreien die teuren Karten zu spendieren. Ihr Mann Ralph ist Vertriebschef bei der Portbau, sie selbst führt eine Boutique nahe Marktplatz; beide stammen aus Dortmund, leben seit sieben Jahren hier. Ich lernte Marco im Masterstudium kennen, er im zweiten, ich im ersten Semester, nächstes Frühjahr will er ins Examen.

    Nach Desiree und Volker kommen weitere Freunde und Bekannte, darunter Studenten, ein Buchhändler und Verlagsvertreter, ein Jungunternehmer und Forscher der Wirtschaftsgeschichte sowie ein Professor. Da wird es richtig eng bei mir. Auch mein Bruder Alexander gratuliert mir auf seine stille Weise, Simone und Nancy auf musikalische, indem sie mir im Garten ihr neustes selbstkreiertes Lied vortragen mit dem von Nancy angekündigten Titel Ludwigslust-Serenade. Dabei wird Simones Gesang von Nancy am Keyboard begleitet, was gut passt. Anfang und Ende sind eine Art kauzig-luftiger Marsch, den Nancy prima pointiert. Mittendrin hat Simone zwei eigenwillige, langsame Sätze, frei und leicht gehalten, mit einem hauchfeinen Geschmack nach Pfefferminz und Mandelöl.

    Schon wollen die Gäste mehr von uns vieren hören: Desiree, Nancy, Simone und mir; denn unser Quartett ›Café Chérie‹, mit dem Untertitel ›Cello catches Coconuts‹, hat sich inzwischen über Hochschulkreise hinaus einen Namen gemacht. Nur hatte ich heute schon viel zu erledigen, und auch Desiree ist nach einem anstrengenden Tag nicht wirklich danach. Andererseits liegt mitunter auch im sich Rarmachen ein Teil des Erfolgs als Künstlerin.

    Die dramatisch begabte Nancy, eigentlich heißt sie Beate, Beate Dillen, was sie nicht ausstehen kann, fragt mich mit Chips und Sektglas in Händen, wie es denn bei mir so weiterginge, demnächst. Marco bekommt es zuerst gar nicht mit, bis ihn Volkers Zigarettenschachtel trifft.

    Ich kann Lügen normalerweise noch weniger ausstehen als Drumherumreden, so sage ich etwas überrumpelt, denn ich wollte damit heute noch nicht rauskommen, dass ich höchstwahrscheinlich an die Nordsee gehe.

    »Tu dir das bloß nicht an!«, so Nancy in ihrer etwas kecken und oft auch deshalb sympathischen Art.

    Marco, verblüfft, erregt sich: »Das ist wohl ein Witz!«

    »Ich finde ganz bestimmt wieder zurück, schon bald!«, erwidere ich. Er zweifelt. So betone ich: »Du kannst dich darauf verlassen!« Marco bleibt die Party vermiest.

    Als Isabel spätabends wiederkommt, wirkt sie bald darauf verstimmt, trotz eines Proseccos ist sie es noch beim Abschied mit Marco. Damit und mit manch anderem muss ich wohl leben. Hat man etwa meinen Vater geschont – oder Mama, Alexander, mich und die vielen anderen von der Eisernen Hand in dieser Stadt und dieser Region?

    HINEIN – INS VERGNÜGEN? 2

    Sollte Einsamkeit der Preis sein, um mein Ziel zu erreichen, so möchte ich am liebsten innehalten oder gleich umkehren. Schrecklich wäre für mich die Erkenntnis, meine Mühen vor allem meiner Ichbezogenheit zu verdanken und nicht voran Beweggründen, die aus Verbundenheit mit anderen hervorgehen. Zum Glück halte ich mein Vorhaben weder für egoistisch noch eitel und schon gar nicht für paranoid, sondern schlicht geboten und nichts anderes als human. So hoffe ich, dass mir Isolation erspart bleibt und ich auch künftig genügend Gelegenheit finde, mit anderen Vertrauen, Sympathie und Wertschätzung zu teilen.

    Denn hierin sehe ich, über das Berufliche hinaus, meine menschliche Erfüllung und mein eigentliches Lebensziel.

    16.08. Als mir am Montag die nordseenahe Weser im ICE immer näher rückt, verkrampft sich mir dennoch der Magen, meine ganze Vorbereitung geht hops. Ich zwinge mich, keine Angst vor der Courage zu haben. Genauestens habe ich mir klargemacht, auf was ich mich einlasse. Fürchten muss sich nur, wer Unrecht tut. Leute jedoch, die andere ins Unglück stürzten, zu stellen, ist kein Verbrechen. Ehrlos aber ist, was damals geschah, mit Nachwirkungen bis heute.

    Daher muss ich herausfinden und persönlich erfahren, wer sich in erster Linie schuldig gemacht hat – aber nicht aus Rache. Was ich einzig will, ist Verantwortlichkeit, zumindest dies: Reue, ein Bedauern. Oder ist es etwa Nostalgie, für einen Verstorbenen Rehabilitation zu fordern – und Genugtuung für viele Lebende, noch und irgendwie Lebende, die nicht wie ich Gelegenheit dazu haben?

    01.09. ›Viktoria Sandmann‹ steht gut lesbar seit heute auf meinem Schreibtisch, ein kleines Namensschild trage ich als Anstecker. Mein Fenster weist hinunter auf den Europahafen und das angrenzende Firmengelände mit Schiffen, Hallen und Kränen. Am Kai entlang die Sprossen der Eisenbahngeleise, dahinter zwei Reihen massiver rolltorbewehrter Schuppen. Etwas entfernt das volle Grün einer Kastanienallee, die sich in die Stadt hinzieht, wie ich von früher weiß. Man hat mir fürs Erste meine Aufgaben erklärt, mich herumgeführt und mit wichtigen Leuten bekannt gemacht. Ein paar kenne ich noch aus der Praktikantinnenzeit, darunter Frau Vermehr, Sekretärin des Vorstandsvorsitzenden Dr. Gernrath, und Frau Uhnson, Sekretärin des Finanzvorstands Herrn Pröller.

    Wir begrüßen uns herzlich. Ich habe mich in Businesslook mit etwas Chic gehüllt, der allgemeine Kleidercode. Dr. Hans-Peter Gernrath, ja, auch ich habe einen Chef, keine Chefin, ist etwa fünfzig, mittelblond, groß, schlank, hochintelligent und sehr sympathisch. Er redet wie er handelt: konzentriert, zugleich kommunikativ entspannt, auf Balance bedacht – ein seltener, bewegender Charakter mit Selbstgefährdungspotenzial, wenn ich nicht irre.

    Krista Vermehr, etwas jünger als er, ist vorausschauend, versiert, kompetent und im Umgang mit mir verständlicherweise noch etwas knapp. Ihr eleganter schiefergrauer Hosenanzug wirkt an ihr ganz natürlich, ihre Stimme ist klangvoll, ihre kupferfarbene Stirnlocke vielleicht zutraulicher als gewollt. Mal sehen!

    02.– 08.09. Meine ersten Arbeiten habe ich nicht anders erwartet, so Angebote, Messeunterlagen und ähnliches ordnen, kopieren oder scannen. Ferner Listen anfertigen, zugleich Excel-Tests, sage ich mir. Später zwei Fachartikel zusammenfassen, einen dritten auf Englisch nach Stichworten schreiben, sicher auch Fremdsprachen- und Word-Tests.

    In Abwesenheit von Frau Vermehr tragen mein stimmlicher Reiz und Geschick beim Telefondienst offenbar erste Früchte, denn mehrfach werde ich unter anderem von Führungskräften angerufen. Es gibt Plaudereien, erste versteckte Flirts, beides jedoch nicht vom Chef.

    09.09. Seit Donnerstag bereite ich Dokumente für eine Sitzung vor. Basierend auf von mir redigierten Texten zum Bau von Windenergieanlagen erstelle ich Tabellen und Schaubilder. Durch Layout, Farbsystem und Gliederung gebe ich allem eine inhaltlich klare Struktur und ein gefälliges Äußeres. Jetzt zahlt sich aus, dass ich seit der Schule unter anderem Interesse an Grafiken und Gestalten habe, nun versiert darin bin, auch am PC. Für den erfreuten Dr. Gernrath bin ich dann bei der Sitzung mit dabei, lerne fast die gesamte Unternehmensspitze kennen. Prima! Frau Vermehr führt Protokoll, woraufhin ich später im Verteiler stehe und eine Kopie erhalte. Der nächste Erfolg!

    15.09. Am Mittwoch verfasse ich eine abends abzugebende Maßnahmeschrift zur Sicherung des Cashflows: den Finanzmittelüberschuss nach Verrechnung von Einnahmen und Ausgaben, und zwar für ein Investitionsgüter-Unternehmen wie die Maritim. Auf drei Seiten richtig losgelegt, womit ich Herrn Gernrath offenbar voll erreiche. Spät noch guckt er herein, sagt lächelnd: »Weiter so, Frau Sandmann!«, und macht mit Daumen und Zeigefinger das Zeichen für gut gemacht. Freudig rufe ich ihm »Danke, danke!« nach.

    24.09. Freitag, gleichfalls noch über Frau Vermehr, dann der erste substanzielle Auftrag: Gegenüberstellen der Unternehmensentwicklung bei Umsatz und Ertrag im Bereich Hafenanlagenbau der letzten drei Jahre. Und zwar für die Maritim-Bau wie für ihre beiden wichtigsten Wettbewerber in der EU. Damit verbunden ist das Recht, Unterlagen einzusehen, auszuleihen und externe Informationen zu beschaffen, plus Zugangscode für meinen Rechner. Ein Zeitlimit ergeht nicht, nur mehr Allgemeines zur Ausführung.

    Dafür hätte ich mich jetzt zuerst an die jährlichen Geschäftsberichte halten können. Doch sind sie, wie ich weiß, mehr auf Aktionäre, Kunden, Banken und Investoren hin angelegt als an betriebliche Vorgänge und Fakten gebunden. Bis Mitte Oktober setze ich alles daran, vor allem abends und an Wochenenden, tagsüber läuft zu viel dazwischen.

    18.10. Am Montag nach der ›Kleinen Besprechung‹, an der ich teilnehme, dann Abgabe meines Berichts, komprimiert, kommentiert, im Anhang detailliert, ausgedruckt auf Qualitätspapier, gefügt in Geschäftsmappe. Darin sind ferner Folien mit Diagrammen, Grafiken, Schaubildern und Tabellen sowie eine CD mit allen Texten und Materialien.

    19.10. Frau Vermehr und Finanzvorstand Herr Pröller sind am Dienstag schon länger beim Chef, ich werde noch spät hinzugerufen. Offene und teilweise etwas zwiespältige Gesichter begegnen mir wie erwartet. »Ihr gezeigter Einsatz und analytischer Scharfblick, Frau Sandmann«, meint Herr Gernrath wohlwollend, »sind erstaunlich!« Frau Vermehr sieht mich voll an. Nachdenklich setzt er hinzu: »Sind Sie zugleich eigensinnig?« Jetzt blickt sie vor sich hin.

    »Mit einem Optimum an Ergebnissen dienen zu wollen«, antworte ich freundlich, »dürfte nicht Sturheit sein.«

    »Übers Ziel hinausschießen ist manchmal wie nicht ankommen!«, meint Herr Pröller seltsam impulsiv, gleichwohl um einen sachlichen Ton bemüht. Doch tief in ihm rumort es. Er blinzelt, als sich unsere Blicke treffen, dabei wandern seine Finger um den Schaft eines wuchtigen Vierfarbstifts, sein breiter goldener Ehering glänzt.

    Ruhig sage ich: »Beim Sichten der Unterlagen erkannte ich, dass sich hierbei öffentliche Fördergelder und die Unternehmensentwicklung einander wesentlich bedingen. Diesen Zusammenhang mit herauszuarbeiten hielt ich zentral für die Geschäftsentwicklung, um die es ja geht.«

    Dr. Gernrath meint: »Die Maritim leistet, wie Sie noch näher sehen werden, zugleich einen großen Beitrag zu Neuund Ausbau von Häfen und Offshore-Anlagen als Basis weltweiten Handelns und Energieversorgens. Naturgemäß treffen sich darin staatliche und Unternehmensinteressen.«

    »Genau das«, sage ich, »fand ich spannend zu belegen. Zumal beide Mitbewerber zwar ungleich viel Subventionen erhalten, proportional jedoch klar mehr als die Maritim.«

    »Das festgemacht zu haben«, meint der Chef schmunzelnd, »wird auch Ihr Verdienst bleiben. Ja, wir schneiden im Vergleich der Fördergelder schlechter ab! Darum sollten wir bei Gelegenheit unseren öffentlichen Stellen diesen Teil Ihrer Arbeit zukommen lassen.«

    »Danke!«, sage ich erfreut, sehe ihn verbindlich an und bin bereit zu gehen. Frau Vermehr hebt leicht die Hand und meint: »Spannend fanden Sie also auch, eine Dreijahres-Prognose ungebeten anzufertigen!«

    Ich atme erst einmal tief, bevor ich gelockert, fast schon vertraulich entgegne: »Ja, Frau Vermehr, aber nicht aus Eigensinn. Prognosewerkzeuge und -techniken faszinieren mich bereits seit dem Studium. Alles Tun hat doch nur Substanz, wenn wir die Zukunft einbeziehen.«

    Der Chef: »Akzeptiert!, und was schließen Sie daraus?«

    »Wie ich ferner belege«, antworte ich, »sind beide Unternehmen wachstumsstärker und auch profitabler als wir. [Ich gebrauche erstmals dieses Wir.] Die Maritim hingegen ist von Verlusten bedroht. Darin spiegelt sich deutlich dieser Befund wider: Beide Wettbewerber erhalten höhere öffentliche Mittel. Das müssten wir auszugleichen suchen.«

    »Und wie bitte?«, fragt der verblüffte Herr Pröller etwas gedehnt. »Vielleicht durch konsequente und erfolgreiche Lobbyarbeit?«, gebe ich fast schon vergnügt zurück.

    »War auch sie einer Ihrer Studienschwerpunkte?«, hakt Frau Vermehr nach. »Nicht direkt«, antworte ich, »doch interessieren mich natürlich nicht nur als Staatsbürgerin ökonomisch-politische Allianzen.«

    »Ich denke«, sagt Dr. Gernrath, »wir sollten Ihnen für Ihre Fleißarbeit und das Gespräch danken.« »Auch ich danke Ihnen allen sehr«, sage ich zum Abschied lächelnd.

    Prima, ein Achtungserfolg, besser als gedacht!, schärfe ich mir auf dem Heimweg ein. Mein Herangehen und Spürsinn haben etwas. Subventionen und ihre Verwendung liegen ohnehin auch künftig auf meiner Fährte.

    Leider habe ich bislang noch nichts in meiner Richtung herausgefunden, denn bei den Maritim-Recherchen kam ich nicht weiter zurück als zehn Jahre. Ältere Unterlagen sind in einem Archiv, für das ich keinen Zugang habe und wohl auch kaum erhalten werde. Trotzdem müsste ich noch vier weitere Jahre zurückgehen. Ich war doch gerade erst dreizehn, als alles geschah, als unser Unglück aus der Maritim heraus seinen verheerenden Lauf nahm.

    Zwar haben viele Medien, darunter große Nachrichten-Magazine, teilweise jahrelang und engagiert über Aufstieg und Fall der Maritim wie der Eisernen Hand berichtet. Allerdings wurde mir das erst deutlicher bewusst, als meine Suche längst sehr persönlich geworden war.

    Heißt es aber nicht ohnehin, Glück habe auf Dauer nur der Tüchtige?, und das meint gewiss auch: der Redliche. Das fragte ich mich schon früher, als meiner Courage wieder einmal die Flamme auszugehen drohte. Kann ich dem aber zustimmen, wenn ich mich nur umsehe?

    Etwa zu Marco: So wenig kraftvoll er zurzeit noch agiert, andere, eventuell auch mich, wird er künftig wohl überflügeln. Sein Vater Ralph Michaelis ist Vertriebsleiter, also im Vorstand der Portbau AG an der Ostsee, und in Wirtschafts- und Politikkreisen so angesehen wie gut vernetzt. Er ist kooperativ, agil, planvoll, an beiden Kindern interessiert und ein guter Triathlet. Bestimmt hilft ihm Isabel auch weiterhin voran; oftmals coacht sie ihn regelrecht, was er verhalten annimmt. Bei Marco, der gefügiger ist und seine Mutter verehrt, wird sie eher noch mehr Erfolg haben.

    Oder zu Desiree Franow: Ihr Vater Sebastian ist Direktor eines Landesamts in Schwerin. Für Außenstehende wirkt sie mitunter wie durch den Wolf. Das täuscht, so ist sie höchstens privat, beim Austoben. Im entscheidenden Moment kennt sie ihre Rolle und Interessen, hat sie jede Menge Verstand, Stil und Charme, entsprechend handelt sie. Mit achtundzwanzig, gut ein Jahr älter als ich, ist sie stellvertretende Leiterin einer großen Spedition.

    Oder zu Volker Wanden, Architekt, neunundzwanzig: Sein Vater Joachim ist ein bodenständiger Bauunternehmer, Alleininhaber und mehrfacher Immobilienbesitzer. Eines Tages wird Volker, das Einzelkind, ihn beerben. Was immer er also vermag, sein materielles Glück scheint schon jetzt gemacht. Desiree ist auch hierbei nicht untätig. Für sie gab Volker seine Ehefrau auf und lebt mit ihr zusammen. Sie wollen bald heiraten, Kinder haben.

    Wohin mich mein Weg führt, weiß ich noch nicht. Ausschließlich auf Karriere zu setzen empfinde ich aber als einigermaßen fad. Ähnlich, wie zu viel auf mein Äußeres zu geben, so wirkungsvoll es oftmals auch ist.

    23.10. Marco kommt am Sonnabend überraschend früh. Er will über Nacht bleiben und mich möglichst alle vier Wochen besuchen, verkündet er. Ich stecke voll in Arbeit, vor mir ein Berg Bücher, Zeitschriften, Unterlagen. Er aber gibt sich, als wollte er hier ausspannen, und ich dachte schon, er wollte mal wieder richtig Party machen. Als ich uns etwas zu essen bereite, überfliegt er einige Blätter und fragt, als wir uns gegenüber sitzen, ob ich etwa an einer städtischen Baugeschichte schriebe.

    »Gar nicht viel daneben!«, antworte ich. »Auch diese Hansestadt ist einst gerade durch ihre Häfen reich und bedeutend geworden, seither ihre stete Pflicht und Mühe.«

    »Was geht dich das an?«, fragt er.

    »Du bist gut!«, entgegne ich, »bin ich denn nicht bei der Maritim? Sie ist nicht zuletzt in Hafenbau und Hafenausrüstung engagiert, hier wie international.«

    »Ich denke«, sagt er, »sie projektiert und baut vor allem Offshore-Windparks!«

    »Auch Straßen und Bahnanlagen«, erwidere ich, »nur ist das aufgrund vieler Hürden mühsam. Häfen instandzuhalten, zu modernisieren und gelegentlich neue zu bauen oder auszurüsten ist wohl weniger aufwändig und riskant. Es ist zugleich eine interessante und wichtige Aufgabe, denn Häfen verbinden, sie lassen Völker teilhaben an Kultur und Wohlstand anderer. Sie bauen Schranken ab, verbreiten Toleranz und Weltoffenheit. Man könnte meinen, schon allein darum seien Flüsse, Seen und Meere geschaffen worden.«

    Er guckt verwundert drein. Bald erzählt er von seinem Studium, das ihm, wie ich heraushöre, zunehmend hart wird. »Mit dir Lulu, ist alles viel besser gelaufen«, meint er.

    »Du hast doch nur noch ein paar Monate«, sage ich. Er wendet sich ab, guckt in die Ferne, zum ›Turm der Lüfte‹ hin beim städtischen ›Universum‹. Mir wird etwas ungemütlich. Ich frage nach Desiree, Simone und den anderen und spüre aus seinen Worten, dass sich unsere Gruppe seit meinem Weggang etwas aus den Augen verliert.

    Das darf unserem Quartett aber nicht passieren! Ohnehin müsste ich zum Proben nach Hause, denn an Weihnachten, Silvester und Neujahr geben wir Konzerte. Daher müssen wir uns noch besser abstimmen und bis dahin eine jede ihren Part bis zur Perfektion allein üben.

    Mit meinem Wechsel an die Weser hat Marco noch immer ein Problem, denn seine Entwicklung, oder was er danimmt, hat er offenbar bereits stark mit mir verbunden. Am liebsten wäre ihm, ich betrachtete mich als seine Frau. Gern sähe er mich daher zurück an der Ostsee.

    Bevor er nun weiter in diese Richtung drängt oder in trübe Stimmung fällt, schlage ich vor, was jetzt gerade nicht auf meiner Agenda steht: »Komm, ich zeige dir die Stadt, dabei lerne ich sie selber besser kennen. Nancy und die anderen werden dich fragen, dann kannst du sagen: Drei mal super: Job, Stadt und Apartment.«

    »Damit diese hellwache, verdammt kritische und schlagfertige Nancy mir glaubt, müsste ich schon etwas Reelles anschleppen, wie etwa eure Stadtmusikanten«, meint er.

    »Sie und anderes gibt es hier überall«, sage ich lachend.

    Bis zum Nachmittag besuchen wir daraufhin den Entdeckerpark und, inmitten der Weser, das Museum für moderne Kunst. Möwen und eine leichte Meeresbrise lassen uns auf dem Weg durch die Altstadt die nahe Nordsee ahnen. Wir sind fasziniert von der Waldbühne im Bürgerpark, ein Juwel von Pavillon, darin wir etwas verweilen und uns ein Kutschersteak mit Bauernsalat gönnen.

    Was ich unter anderem an Marco mag, ist dennoch seine Unfertigkeit und relative Unverdorbenheit. Zwar hat er wohl via Internet so gut wie alles durch, wie ich ahne. Man hält ja auch sonst den Ball gern flach, die Pornographie hingegen hoch, und was bietet sich da nicht alles, Jungen bis Greisen! Persönlich scheint er noch etwas unerfahren, kindlichen Gemüts, auch ist er recht arglos, suchend und ehrlich in seinen Ansichten und Handlungen.

    Daher nähert er sich mir am Abend auch eher wie ein noch

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