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Geh nicht nach Dalaba: Afrikanisches Abenteuer BsB_Roman
Geh nicht nach Dalaba: Afrikanisches Abenteuer BsB_Roman
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Geh nicht nach Dalaba: Afrikanisches Abenteuer BsB_Roman

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About this ebook

Drei Deutsche in Afrika. Die lebenshungrige Marion Schäfer, der energische Afrikakenner Mike Bruns und der grüblerische Stephan Sommer, der mit dem Abenteuer Afrika seine Kindheitserlebnisse zu bewältigen versucht. Gemeinsam starten die drei zu einer Safari im Herzen des schwarzen Erdteils. Aber schon bald brechen im Kampf mit der Natur und dem mörderischen Klima menschliche Konflikte aus. Auf dem orgiastischen Fest eines Stammes Eingeborener prophezeit ein alter Medizinmann Stephan Sommer den Tod.
Kann er dem Schicksal entrinnen?
Rudolf Braunburg beschreibt meisterhaft die Unbarmherzigkeit, aber auch den exotischen Zauber Afrikas, indem er ihn zum Schauplatz eines packenden Dramas zwischen drei Menschen macht, die aus dem Alltag ausgebrochen sind, um das große Abenteuer zu suchen.
LanguageDeutsch
Release dateMay 27, 2015
ISBN9783864661327
Geh nicht nach Dalaba: Afrikanisches Abenteuer BsB_Roman

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    Geh nicht nach Dalaba - Rudolf Braunburg

    978-3-86466-132-7

    Der Roman

    Drei Deutsche in Afrika. Die lebenshungrige Marion Schäfer, der energische Afrikakenner Mike Bruns und der grüblerische Stephan Sommer, der mit dem Abenteuer Afrika seine Kindheitserlebnisse zu bewältigen versucht Gemeinsam starten die drei zu einer Safari im Herzen des schwarzen Erdteils. Aber schon bald brechen im Kampf mit der Natur und dem mörderischen Klima menschliche Konflikte aus. Auf dem orgiastischen Fest eines Stammes Eingeborener prophezeit ein alter Medizinmann Stephan Sommer den Tod.

    Kann er dem Schicksal entrinnen?

    Rudolf Braunburg beschreibt meisterhaft die Unbarmherzigkeit, aber auch den exotischen Zauber Afrikas, indem er ihn zum Schauplatz

    eines packenden Dramas zwischen drei Menschen macht, die aus dem Alltag ausgebrochen sind, um das große Abenteuer zu suchen.

    Der Autor

    Mit 16 Jahren schrieb Rudolf Braunburg, Jahrgang 1924, seinen ersten Roman, der bei einem Bombenangriff vernichtet und deshalb nie veröffentlicht wurde. Im Zweiten Weltkrieg war er Jagdflieger. Nach dem Krieg studierte er Pädagogik und Philosophie. Um sein Studium zu finanzieren, arbeitete er als Jazztrompeter und Ghostwriter.

    Mit abgeschlossenem Studium wurde er Lehrer in Hamburg. 1955 ging er zur Deutschen Lufthansa und war bis 1979 Flugkapitän.

    Nach Anfängen als Navigator und Copilot auf der Lockheed Super Constellation und der Douglas DC-3 wurde Braunburg Flugkapitän, zuerst auf der DC-3, dann auf der Convair CV 440 Metropolitan, später wieder auf der Super Constellation und, nach Beginn des Jet-Zeitalters auf der Boeing 727, der Boeing 707 und schließlich auf der McDonnell Douglas DC-10.

    In seiner aktiven Zeit als Flugkapitän war Braunburg auch Vorsitzender der Vereinigung Cockpit.

    Braunburg schrieb über 70 Romane, Sach- und Jugendbücher. Außerdem veröffentlichte er zahlreiche Artikel über Umweltschutz und Jazz. Er war engagiert in Fragen der Luftfahrt und der Flugsicherheit und galt lange Zeit als bekanntester deutscher Experte.

    Rudolf Braunburg lebte zuletzt in Waldbröl.

    »Alles scheitert immer an der letzten Sekunde«, sagte Mike. »Du kannst ein Leben lang verludern und verlottern. Aber in der letzten Sekunde musst du wach und schneller als der Tod sein! Wir waren langsamer, wie?«

    »In einer halben Stunde wird sie es geschafft haben!« erwiderte er.

    Er blickte an der lichtgebleichten Steinwand entlang. Am Ende der Felsgardine zog sich der Buschhang abwärts, und jenseits der Mulde begannen die Hügel mit den dichteren Wäldern. Die Hügel waren grün wie Sommergras, und zwischen ihren Senken wölbten sich die Kuppen der nächsten Hügelwelle, mit einem Stich ins Bläuliche, und zwischen den bläulichen Senken rundeten sich die Kuppen der nächsten Hügelwelle, mit einer deutlichen Tönung von Indigo, und zwischen den indigogetönten Senken sah man die Kuppen der nächsten Hügelwelle, strahlend im reinsten Blau, und die Wälder spannten sich mit den dunklen Flecken ihrer Lichtungen flaumig darüber wie haariges Fell über riesige Urwaldtiere.

    »Du blutest wie ein Schwein!« sagte Mike. »Und die Kleine wird es nicht schaffen. Für dich tut's mir leid. Irgendwie habe ich dich gern gemocht. Bist aber einer von den Stillen gewesen. Von der gefährlichen Sorte sogar. Von denen, die schweigen, weil sie alles besser zu wissen glauben. Warst so ein kleiner Klugscheißer, wie?«

    »Reg dich nicht auf, Mike«, sagte er sanft.

    Er zerrte den Riemen an Mikes Schenkel höher. Und er sah das erlöschende Gesicht und sagte: »Du wirst es schon schaffen, reg dich nicht auf!«

    »Ich, schaffen?« sagte Mike. »Natürlich werd' ich's schaffen. Aber du! Du blutest wie ein gestochenes Schwein.«

    Er schwieg.

    »Sag, dass ich nicht blute wie du und dass ich's schaffen werde!« schrie Mike.

    »Du blutest nicht, und du wirst es schaffen!« sagte er.

    »Kannst du, verdammt noch mal, nicht lauter sprechen?« schrie Mike. »Was stierst du mich so an? Passt dir meine Visage nicht?«

    Er starrte auf die krampfhaft zuckenden Gesichtsmuskeln Mikes. Plötzlich wurde er von der Angst gepackt, nicht fertigzuwerden mit dem, was er sagen wollte. Er wälzte sich dicht an Mike heran und schüttelte ihn an den Schultern.

    »Sag, dass du es gewesen bist!« rief er schweißüberströmt.

    »Was gewesen? Wann?« fragte Mike.

    »Damals«, sagte er. »Sag, dass du es gewesen bist!«

    Erstes Buch

    Bestaubte Spur

    1

    Der Tag begann mit Nebel; einem lockeren, lichtdurchlässigen Gewebe aus Feuchte und Schwerelosigkeit; nach den nackten schonungslosen Helligkeiten der vergangenen Tage ein erquickender Schleier für alle, die das Tropenklima nicht gewohnt waren. Zum Hafen hin hemmten und dämpften träge treibende Schwaden den frühen, lärmend vorwärts- holpernden Verkehr. Im oberen Teil der Stadt, dort, wo man einen Teil der Küste und des Eingeborenen Viertels überblicken konnte, war die Schicht so dünn, dass man klar und nah den mattblauen Himmel hindurchschimmern sah. Über den weißen Kuben der Regierungsgebäude kreiste seit Sonnenaufgang ein Flugzeug. Wenn es nach Süden wendete, sah man die Backbordseite blendend aufblitzen im Sonnenlicht.

    Er saß als einziger Gast in einem der Korbstühle des Cafes >Corniche< und beobachtete die Maschine. Er hieß Stephan Sommer und war seit drei Tagen in Dakar, ein Mann, der selten über die engen Grenzen seines Arbeitsbereiches hinausgelangt war und der sich seine wenigen Reisen hatte zusammensparen müssen. Überall auf seinen Fahrten war er bisher Vertrautem begegnet. Hier aber atmete es herüber von der nahen, hinter den letzten Negerhütten ahnbaren Savanne her: unsagbar fremd, haltlos, bodenlos, ein Etwas, für das kein Bild, kein Vergleich aus seinem Erfahrungsbereich ausreichte; und eine Erregung brodelte rauschhaft in ihm auf, gemischt aus Spannung, Tatendrang und Abenteuerlust und Furcht, einer nicht näher bestimmbaren Furcht.

    Er ließ seinen Blick nicht vom Flugzeug, der letzten Brücke. Es schien jetzt zu einem Landeversuch anschweben zu wollen, Fahrwerk und Landeklappen waren weit ausgefahren; und er sah sich wieder sitzen, wie er vor drei Tagen und wie vor Ewigkeiten angeschnallt der sich rasch vergrößernden afrikanischen Erde entgegengeglitten war: hinter sich den heißen Flug über die orangefarbene Einsamkeit der westlichen Sahara, die mit den Halbinseln Villa Cisneros und Port Etienne wie mit glühenden Zungen an der kühlen Flut des Südatlantiks leckte, vor sich die unfassbare Nähe des unbekannten Erdteils, das windzerfledderte Gefieder überschlanker Ölpalmen, die braunen Wolken kreisender Geier über spitzdachigen Strohhütten, das blattlose, knochenstarre Geäst einzeln auf ragender Baobab-Bäume. Er sah die Europamaschine eintauchen in die dünne Schicht Bodennebel, die sie noch von dem sicheren Beton des Flughafens Dakar-Yoff trennte, wie sie eine breite, klare Bahn in die milchblaue Trübe brach wie ein Pflug in weiches Ackerland und wie sie den Blicken entschwand und auch das Surren der Luftschrauben dem Gehör entschwand, und nun war nichts um ihn als die Fremdheit des Morgens.

    Er blickte auf die Uhr, dreiviertelacht, noch fünfzehn Minuten. Er gab sich willenlos dem Kaleidoskop der Eindrücke hin: dem Farbenwogen der Passanten, Safran, Weinrot, Elfenbeinweiß und bei den Frauen sehr viel Orangenrot und Lila. Dem Geruch nach schweißiger Haut, Urin und nie gegessenen Früchten. Den Kehllauten vokalreicher Dialekte. Schlanke, gutgebaute, in weiße Gewänder gekleidete Neger glitten auf chromblitzenden Fahrrädern vorüber. Auf ihren nackten schwarzen Gliedern spielte die sanft durchbrechende Sonne mit tausend Lichtreflexen. An der nahen Kreuzung stauten sich laut hupend unzählige Autos. Der Wagen mit den schrillsten Signalen, ein verbeulter Renault ohne Stoßstangen, bahnte sich als erster einen Weg durch das Chaos der querstehenden Vehikel. Eine Gruppe junger Negermädchen, mit gewichtigen Kunststofftaschen unter dem Arm, die kurzen Lockenhaare fantasiereich geflochten und geknüpft, eilte laut schwatzend vorüber.

    Er trank den letzten Schaumrest seines Biers. Er fühlte sich schon jetzt durstig und versuchte vergeblich, der Flasche noch ein paar zusätzliche Tropfen zu entlocken. Three Crown Beer stand auf ihrem Etikett, goldumrandet und in kunstvoll geschwungener Antiqua, aber es schmeckte scheußlich. Dann winkte er den Negerboy heran, der auf einem Bein in einer Ecke gelehnt stand und sich mit den Ziehen des anderen den Schorf von der Wade kratzte, und bestellte auf französisch eine weitere Flasche.

    »Nicht von diesem verdammten Gift!« sagte die Stimme hinter ihm. »Bring zwei, aber Bière Alsace!«

    Stephan drehte sich schwerfällig um und wusste sofort, dass dort der Erwartete auf ihn zukam, ein Mann mit einer Haut wie aus altem, rissigem Leder, die sich beim Händeschütteln trotz ihrer Wärme unnatürlich trocken und spröde anfühlte, mit einem Lächeln, das knapp bis zu den Mundwinkeln reichte, als fürchte es, zuviel von dem harten Glanz der Zähne freizugeben, mit einem Kinn, das trotz seiner Glätte unrasiert wirkte, und einem Hauch von dunklem Stoppelschatten, der sich aber bei näherem Hinschauen als nicht vorhanden erwies.

    »Mein Name ist Bruns«, sagte er. »Mein deutscher Vorname Michael. Aber Sie können mich Mike nennen, wie alle Touristen. Sie sind Stephan Sommer, okay, das Bier kommt.«

    »Ich ziehe den Namen Michael vor«, sagte Stephan.

    »Sie haben den Zusatz mit den Touristen überhört«, sagte er. »Mike also;«

    »Mike also«, sagte Stephan. »Aber ich bin kein Tourist.«

    »Sie sind eine halbe Stunde zu früh gekommen«, sagte Mike. »Alle Touristen kommen zu früh.«

    »Auch Sie sind vor der verabredeten Zeit hier.«

    »Wer wie ich lebt, hat Zeit. Wer Zeit hat, kann es sich leisten, zu früh zu erscheinen.«

    Er hob sein Glas gegen das Stephans:

    »Aber Sie! Sie können die Zeit nicht ab warten, in dieses verdammte Afrika zu gelangen.«

    »Zum Wohl!« sagte Stephan.

    Mike trank sich tief und innig einen weißen Schaumbart an.

    »Nehmen Sie nie schwedisches Bier, das nach Afrika exportiert wurde«, sagte er dann seufzend. »Es sei denn, Sie wollen sich die Füße waschen. Aber ich fürchte, es gibt wunde Stellen zwischen den Zehen. Nehmen Sie lieber Elsässer. Es ist ebenfalls Schund, aber mit Adel. Sie ahnen gar nicht, was die Große Abendländische Nation alles in den Dunklen Erdteil, der so hell ist, dass Sie ihn ohne Sonnenbrille nicht ertragen können, schickt. Afrika ist die Abfallgrube Europas. Ich hoffe, wir werden uns vertragen für die kommenden Wochen!«

    »Sie sind mir wärmstens empfohlen worden«, sagte Stephan.

    »Sie mir nicht«, sagte Mike. »Aber ich traue Ihnen auch so.«

    »Morgen früh also? Meine Sachen stehen fertig im Hotel de N'Gor«, sagte Stephan.

    »Ich werde gegen acht mit dem Wagen vorbeikommen«, sagte Mike. »Der Wagen ist in Ordnung. Es ist der beste, der im westlichen Senegal aufzutreiben ist, aber ich sage Ihnen von vornherein, dass wir ein paar saftige Pannen erleben werden. Lässt sich in diesem wundervollen Land, in dem die Straßen so selten sind wie in Europa die Jungfrauen, nicht vermeiden. Okay?«

    »Okay«, sagte Stephan. »Ich habe alles so vorbereitet, wie wir es brieflich verabredet haben.«

    »Gut!« sagte Mike. »Unsere Dame werden Sie heute abend in der Bar im de N'Gor treffen.«

    Stephan setzte abrupt sein Glas auf die Blechplatte des Tisches:

    »Welche Dame?«

    »In meinem letzten Brief ... Wann sind Sie abgereist aus Deutschland?«

    »Zwei Tage früher als geplant.«

    »Also doch Tourist. Ich schrieb Ihnen, dass sich im letzten Augenblick noch eine junge Dame für die Tour gemeldet hat. Es stört Sie hoffentlich nicht. Der Vorteil liegt darin, dass sich der Preis für Sie um ein Drittel verringert. Sie werden dann immer noch übers Ohr gehauen.«

    »Das Gefühl habe ich durchaus nicht«, sagte Stephan zögernd. »Im Gegenteil. Aber diese Dame ...«

    Er schwieg, als wisse der andere, was er sagen wolle.

    »Wie meinen Sie?«

    »Ich meine, dass sehr viel Mut für eine junge Dame dazu gehört, mit zwei wildfremden Männern durch die Savanne, zu reisen.«

    »Woher wissen Sie, dass sie jung ist?«

    »Ich setze das voraus bei jemand, der, wie wir, in die abgelegensten Winkel Guineas ziehen möchten.«

    »Sie haben keine Ahnung, mit welchen alten Jungfern ich schon auf Krokodiljagd gezogen bin«, sagte Mike. »Meistens handelte es sich um amerikanische Lehrerinnen, die sich auf einer Weltreise befinden. Aber seien Sie beruhigt: Unsere Dame ist jung.«

    »Damenalter pflegen mich im allgemeinen weder zu beruhigen noch zu beunruhigen«, sagte Stephan.

    »Hierin unterscheiden wir uns!« sagte Mike. »Junge Dämchen, denen auf dem ersten Nachtmarsch die hohen Absätze zu drücken beginnen, sind für mich genauso unbrauchbar wie ausgereifte Millionärswitwen mit Adernverkalkung und Mutterkomplex.«

    »Trotzdem«, begann Stephan noch einmal, »gehört Mut dazu ...«

    Mike trank sein Bier aus und stellte das Glas hörbar auf die Tischplatte.

    »Jetzt will ich Ihnen einmal etwas sagen! Erste Lektion: Sie müssen noch verdammt viel lernen! Nämlich, zweite Lektion: In diesem gottgesegneten Erdteil ist alles auf Vertrauen aufgebaut. Ohne Vertrauen gehen Sie hier, dritte Lektion, sanft und lautlos vor die Hunde und Hyänen. Bei unserer Wagenfahrt handelt es sich nämlich, Lektion vier, nicht um eine Citybusfahrt mit Klimaanlage und Wer-ist- die-Schönste im schwingungsfrei aufgehängten Fernsehapparat. Wir werden alle auf das Vertrauen der anderen angewiesen sein; ich nicht weniger auf Sie als Sie auf mich. Wir werden in Situationen geraten, die nur durch das Vertrauen aller in alle zu meistern sind. Jemand, der nicht als Frau bereit wäre, mit uns zu fahren, sollte sich auch als Mann fernhalten. Okay?«

    »Okay«, sagte Stephan.

    »Das wär's dann wohl?«

    »Morgen früh vor dem Hotel also?«

    »Sie haben das Wichtigste vergessen. Dank unserer Dame bekommen Sie noch Geld zurück.«

    »Das hat doch Zeit.«

    Mike langte in seine Brieftasche und warf ein abgezähltes Bündel Scheine auf den Tisch.

    »Sie irren sich. Ich liebe Klarheit und Sauberkeit auch in diesen Dingen. Sie haben im voraus bezahlt, da ist es selbstverständlich, dass ich Ihnen im voraus zurückzahle. Sie sind ohnehin entsetzt über die hohen Übernachtungspreise, nicht wahr?«

    »Nun ja«, zögerte Stephan. »Nach deutscher Währung sind es etwa achtzig Mark für eine Nacht.«

    »Warten Sie ab«, sagte Mike. »Sie werden nicht mehr überrascht sein, wenn Sie die erste Nacht hinter sich haben.«

    »Abgesehen davon«, erwiderte Stephan, »muss ich eigentlich dagegen protestieren, dass Sie selber ein Drittel der Kosten tragen. Sie fahren doch nur uns zuliebe.«

    »Sie irren sich wieder! Dieses Mal wäre ich auch ohne Sie gefahren. Ich möchte zum erstenmal einen kontinuierlichen Film der ganzen Fahrt drehen, da ist es selbstverständlich, dass ich die Kosten für den Wagen und das Benzin übernehme. Sie werden mich jetzt entschuldigen, der Konsul hat mir eine eben herausgekommene Generalstabskarte des Naturschutzparks versprochen. Interessanter Mann, müssen Sie mal kennenlernen. Liebt es, nackt am Strand zu baden. Zur Erheiterung der schwarzen und zur Empörung der weißen Frauen. Glaubt, er wäre hier in einem deutschen Nordseebad. Bis morgen also, sechs Uhr dreißig. Und verpassen Sie heute abend an der Hotelbar nicht unsere Reisegefährtin. Sie heißt Marion Schäfer.«

    Mike erhob sich. Stephan wollte den Negerboy zum Bezahlen herbeiwinken, aber Mike hatte ihm bereits ein paar Geldscheine hingeworfen.

    »War in Ihrem Preis inbegriffen!« grinste er, winkte noch einmal über die Schulter mit zwei Fingern zurück und war im Getümmel des Straßenverkehrs verschwunden.

    Stephan gab sich noch einen Schluck lang der Fülle der Gerüche und Geräusche hin, die vom nahen Eingeborenenmarkt herüberwehten. Die Sonne war durchgebrochen, und die letzten Nebelschwaden lösten sich von ihrer Erdenschwere und trieben wie Rauchfahnen über den weißen Villenkuben, schlankgliedrigen Straßenpalmen und orientalisch ornamentierten Markthallen davon. Aus den für kühl gehaltenen Haus- und Straßenecken trat die Hitze wie auf ein geheimes Zauberwort hervor, Asphalt und Zement begannen zu brennen wie in einer unsichtbaren Flamme, und über den wogenden Gewändern der Passanten tauchten die ersten Tropenhelme auf. Der Markt vibrierte in einem Karneval der Farben, mangogelb, orangenrot, erdnussbraun, fischblau. Auf der Kreuzung davor regelte ein schwarzer Polizist, der ohne bösartige Übertreibung aussah wie ein in Schnürstiefel gesteckter Gorilla, mit gewichtigen Gebärden den vorbeischwirrenden Verkehr. Ein etwa zwölfjähriger Negerknabe mit einer dunkelblauen Baskenmütze humpelte auf einer rohgeschnitzten Krücke einbeinig durch die Reihen der Caféstühle und bettelte mit rührend einfältigen Gebärden um Geld.

    »Krieg...«,murmelte er. »War. Guerre...«

    Zwei schlanke, harmonisch gewachsene Senegalneger in weißen Gewändern und Helmen drängten sich an die Tische und boten hölzerne Trommeln und mannshohe Bögen und Pfeilköcher an.

    »Three thousand«, sagten sie zu einem khakifarben gekleideten Engländer, auf die kleinste der Tam-Tams weisend.

    »One thousand!« sagte der, mit dem Gefühl weltmännischer Überlegenheit.

    »I want to give you a good price!« sagte einer der beiden Neger. »One thousand two hundred.«

    Der Engländer wandte sich ab.

    »Okay!« sagte der Neger. »I want to go home. One thousand one hundred.«

    »One thousand!« sagte der Engländer unerschütterlich.

    Mit einer schmerzlichen Gebärde überließ der Neger die kleinste der Trommeln dem Engländer.

    »For a good friend!« sagte er, die beiden Fünfhundert-Franc-Scheine mit einer schmerzlichen Gebärde einsteckend. Und so trennten sie sich: der Engländer in dem berauschenden Gefühl, einem abgefeimten Händler widerstanden, der Neger in der Gewissheit, einen Touristen um fünfhundert Franc übers Ohr gehauen zu haben.

    Vor der Hotelveranda glühten die purpurnen Blüten einer Hibiskushecke wie winzige Laternen in der kurzen, fahlen Dämmerung. Hinter der Hecke dehnte sich blassgelb der Strand mit dem sparsamen Bunt zusammengefalteter Sonnenschirme und Liegestühle. Der kupfern überhauchte Südatlantik atmete Feuchte und Leben aus.

    Stephan saß vor einem Sherry und beobachtete, wie das dunstgedämpfte Licht der versinkenden Sonne im Gefieder einer Palme in tausendfältigen Strahlen auseinanderbrach. Eigentlich hatte er Kaffee und Gebäck verlangt, aber der Negerboy verzog zu dieser Bestellung sein Gesicht zu einem Grinsen, so dass er seinen Wunsch unsicher geändert hatte. Das Tageslicht erlosch, die Dunkelheit kam, hinter dem verwehenden Tag zog sie herauf, die letzten Farben aus Gesträuch und Buschwerk pflückend, mit Schemen und Schatten spielend, mit dem vielfältigen Gefunkel fremdartiger Gestirne, während am Horizont der letzte schmale orangenrote Streif des Tages im Dunst zerschmolz und sich aus dem Schweigen der Finsternis das fantastische, unwirkliche Stimmengewirr von Insekt und Nachtvogel erhob.

    Dann stand Marion Schäfer neben ihm, und ein Hauch dezenten Parfüms und sonnengebräunter Haut löste die tropische Abendkühle des Meerwindes ab.

    »Telefonisch kennen wir uns bereits«, sagte sie, ihre mandelbraune Hand über den Tisch streckend, »aber vergessen Sie nach dem Gespräch nicht, den aufgelegten Hörer hörbar einrasten zu lassen. Sonst wird die Vermittlung wahnsinnig!« Sie reichte ihm ihre leicht abgewinkelte Hand wie zu einem Handkuss.

    »Tut mir leid!« sagte er auf stehend.

    »Was?« fragte sie, sich setzend. »Mich kennenzulernen? Habe ich Ihnen durch den Draht besser gefallen? Nicht wahr, so ein akustisches Kennenlernen besitzt noch den Reiz der Spannung. Aber ich glaube, wir werden uns vertragen. Was trinken Sie denn da für Zeugs?«

    »Eigentlich wollte ich Kaffee und Gebäck. Hatte direkt einen Heißhunger darauf; in der Savanne wachsen diese Sachen höchst selten.«

    »Seltsame Gelüste«, sagte sie. »Sind Sie schwanger? Hier trinkt man Gin Tonic.«

    Sie winkte den Negerboy herbei.

    »Sie sollen Ihren süßen Spaß haben«, versprach sie.

    »Ich hatte den Eindruck, dass es um diese Tageszeit kein Gebäck gibt.«

    »Gibt's nicht gibt es nicht«, antwortete sie.

    Sie verhandelte auf französisch, mit dem Ergebnis, dass kurze Zeit darauf zwei Kaffeegedecke gebracht wurden.

    »Aus purer Sympathie zu Ihnen«, sagte sie. »Hinterher trinken wir an der Bar was Vernünftiges.«

    Stephan nahm von der Torte und verzog das Gesicht.

    Sie lächelte.

    »Für die Buttercreme hat man Zebumilch verwendet«, erläuterte sie.

    »Man wird sich daran gewöhnen«, meinte Stephan. »Wie sind Sie zu dieser Reise gekommen?«

    »Ich röstete bereits seit acht Urlaubstagen an diesem viel zu wenig gepriesenen Strand, als uns die Mär von Ihrem Kommen erreichte. Na, staunen Sie nicht, so etwas spricht sich schnell herum in Afrika. Ich sagte mir: Eigentlich wolltest du den Ferienrest in Beirut verbringen, aber warum nicht einmal auf eine Safari gegangen? Rauchen Sie? Nein? Daher Ihre anomale Geschmacksrichtung! Ich rauche, Sie dürfen trotzdem weiteressen. Also ich hatte diesen Mike ein paarmal an der Bar hocken sehen; scheint ein furchtbar netter Kerl zu sein. Ich besaß noch ein halbes Dutzend leerer Filme; warum also nicht einmal auf Safari filmen? Irgendwie muss das Zeug voll werden. Lassen Sie doch den Rest stehen, es schmeckt Ihnen nicht. Mein Chef zahlt das; ich besorge ihm dafür gelegentlich eine Gratis-Flugkarte nach Übersee, man hat Verbindungen. Okay?«

    »Wo sind Sie beschäftigt?«

    »Bei einer Reederei in Hamburg. Kennen Sie Hamburg? Nebel, Nieselregen, Größenwahn. Na ja.«

    Der tropisch schwarze Himmel war voller naher Sterne. Ein paar Mücken surrten. Das Leuchtfeuer von Cap Vert zuckte in regelmäßigen Intervallen durch die Finsternis der baumlosen Ebene. Auf See glitten die Lichter eines Schiffes vorbei. »Halt man Ihnen auch auf der Schulbank weisgemacht, Cap Vert sei der westlichste Vorsprung Afrikas? Unsinn, der westlichste Punkt befindet sich hinter dem Fischerdorf N'Gor; es wimmelt dort von Klippen und Schiffswracks, gestern habe ich sieben gezählt. Man kann dort sogar baden.«

    »So«, sagte Stephan zaghaft. Er fühlte sich wie ein Ertrinkender unter einem Wasserfall. »Sie kennen Herrn Bruns nicht näher?«

    »Gott und die derzeitige Kolonialregierung bewahre«, sagte sie. »Aber Sie kennen sicher jene arithmetische Unlogik, die besagt, dass zwei Männer nur halb so gefährlich seien wie einer. Oder? Kommen Sie endlich an die Bar? Werfen Sie Ihr Kaffeegedeck den Hyänen zum Fraß vor. Sie wissen natürlich, weshalb man die Hyänen Hyänen nennt?«

    »Ja«, sagte er, froh, eine geistreiche Antwort zu wissen, »weil

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