"Ich bin kein Mannequin für Krebs" Reden, fühlen, zittern mit Hildegard Knef: Erinnerungen & Gespräche aus den schwierigsten Jahren einer großen Künstlerin im aufreibenden Kampf
By Imre Kusztrich and Knef Hildegard
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"Ich bin kein Mannequin für Krebs" Reden, fühlen, zittern mit Hildegard Knef - Imre Kusztrich
DATEN
VORWORT
Von Mark Twain stammt die Empfehlung: „Wenn du nichts zu sagen hast, sage nichts." Es scheint, als hätte ich mich daran orientiert. Durch all die Jahre blieb ein Umzugskarton, prall gefüllt mit Unterlagen aus einer der spannendsten Phasen meines Berufslebens, unangetastet. Nun versetzt sein Inhalt, ausgebreitet auf einem großen Arbeitstisch, selbst mich in Erstaunen. Eng beschriebene, dicke Spiralblöcke mit meinen Notizen über Gespräche mit Hildegard Knef. Sie wünschte den Verzicht auf Aufnahmegeräte, wann immer es möglich war.
Hunderte auf IBM-Kugelkopf-Schreibmaschine getippte Seiten, korrekte Abschriften unserer Interviews für die Zeitschrift BUNTE. Der ursprüngliche Umfang solcher Materialien füllte nicht selten dreißig und mehr Seiten. Dazu stapelweise lose Blätter mit meinen handschriftlichen Vermerken, Hinweise hinter ihrem Rücken aus ihrem Haushalt oder von ihr selbst bei unseren häufigen Begegnungen. Beispiele: „Perücke, europ. Haar. 2.750 Mark, „ziemlich entsetzt, nicht geschminkt
, „diese arme Frau hat seit sieben Jahren Schmerzen (eine der seltenen Informationen von Ehemann Paul von Schell zu mir im Frühjahr 1980), „... habe ich sie deswegen auf teure Schulen geschickt?
(diese Bemerkung von Hildegard Knef bezog sich auf Christinas Beziehung zu ihrem späteren Ehemann), „American Express nichts mehr abgebucht, „böser Unterton
, „Riesenoberlippe, „ruderte mit dem rechten Arm – vom US-Fernsehen abgeguckt
, „fünf Heiratsanträge (von einem sehr bekannten Berliner, der für die Knef seine Position und seine Familie riskierte), „geweint, was aus Hilde geworden ist, die sich zu einem Clown entwickelt hat
oder „die Knef nach Facelifting wie Klaus Kinski" (Konkurrentinnen wie Evelyn Künneke konnten schon giftig sein).
Ich sammelte diese Details in all den Jahren, um diese Frau besser und besser zu verstehen. Unbestritten war sie eine der größten Künstlerpersönlichkeiten ihrer Zeit. Glücksverwöhnt, schicksalsgeprüft, was am ehesten in den eigenen Worten ihres optimistisch-ironischen Erkenntnislieds „Für mich soll’s rote Rosen regnen" zum Ausdruck kommt (noch mehr als 40 Jahre später, 2009, wird der Literaturkritiker Professor Dr. Hellmuth Karasek bekennen, dass er weinen muss, wenn er die Knef von ihren roten Rosen singen hört). Allmählich erkannte ich die vermutlich allergrößte Leistung dieser von vielen unverstandenen Frau: die immense Anstrengung, die Familie zu ernähren und für ihre Tochter Christina noch lange ansehnlich zu bleiben – während Krebserkrankung, Scheidungskrieg und Facelifting die Schlagzeilen der Boulevardpresse dominierten..
Eine besondere Rolle spielte ein kleines Notizblatt mit dem Aufdruck HYATT HOTELS – dazu später mehr.
Ich muss gestehen: Bei den meist griechisch-lateinischen Bezeichnungen für superstarke Schmerzsubstanzen, Aufputschdrogen, Psychopharmaka und Schlafmittel schlich sich nach der Erwähnung am Telefon in meinen Notierungen der eine oder andere Fehler ein. Heute weiß ich: „Lexatonil, ein Beruhigungsmittel, habe ich damals richtig geschrieben; während das von mir aufgeschriebene „Texamyl
Dextroamphetamine sowie Amylbarbiotone enthielt und folgerichtig in Wahrheit mit einem D beginnen sollte – eine Abmagerungs-Antidepressions-Pille mit Suchtpotenzial.
Vor mir liegen aber auch Briefe Hildegard Knefs an mich, Tonbandkassetten, Fernschreiben – die für vertragliche Vereinbarungen unerlässlichen E-Mails der Siebziger und Achtziger Jahre.
Rückblickend betrachtet, war ich Verhandlungspartner, Interviewer, Road Manager, Händchen-Halter und Knef-Flüsterer (dieser Begriff existierte vor 1995 natürlich nicht). Ohne Einschränkung betrachtete ich mich als ihren Dienstleister. Ich tat es begeistert. Ich arbeitete für die Zeitschrift BUNTE. Ich organisierte für die Autorin Knef Interviews und Reisen zu den Berühmtheiten dieser Welt. Ich unterbreitete ihr die Wünsche, Ideen und Aufträge der Redaktion. Ich kämpfte um die Termine. Ich handelte das Honorar mit ihr aus. (Ihr Vertrauen war grenzenlos. Ihre Naivität berührend: „Imre, sage dem Chefredakteur, ich fordere eine Million Mark. Und du darfst mich dann herunterhandeln auf 750.000." Kein für sie so typisches dröhnendes Lachen hinterher.)
Viele, viele Stunden lang war ich aber hauptsächlich ihr Zuhörer. Wiederholt gewährte sie mir Einblicke in ihr Leben, die sie jedem anderen Journalisten verwehrte. Von einigen mit mir dramaturgisch genau abgesprochenen Veröffentlichungen aus meiner positiven Sichtweise versprach sie sich eine längst überfällige Korrektur der vorherrschenden öffentlichen Meinung über sie. Weil sie mir vertraute, blieb kaum eines der Themen, mit denen sie von anderen gequält wurde, tabu. Das Facelifting. Ihre Medikamente. Die Ehe mit Paul von Schell. Die Finanzen. Die Ängste. Die alles überstrahlende Wichtigkeit der Tochter Christina.
Ein einziges Mal – wir sprachen über ihren Kollegen Harald Juhnke – bat sie mit den Worten „Ich erzähl’ dir das jetzt wirklich als Freund" wohl um Diskretion. Ansonsten redete sie frei von der Leber weg. So ergab es sich, dass ich es war, der aus ihrem Munde Aussagen hören durfte wie:
„Ich bin kein Mannequin für Krebs"
„Facelifting ist besser als Valium"
Und ich war es auch, der sie an einem Dezembertag des Jahres 1979 vom 5-Sterne-Hotel „Palace" in Lausanne in die Praxis des Schönheitschirurgen Dr. Rodolphe Mayer fahren durfte. Sie saß neben mir auf dem Beifahrersitz. Auf meinen Vorschlag hin hatte sie mit dem Burda-Verlag einen Vertrag geschlossen. Wir bezahlten die Operation. DM 18.000. Sie versteckte ihr neues Gesicht, bis wir es fotografieren konnten. Und sie erläuterte mit meiner Hilfe ihren irritierten Verehrerinnen und Verehrern ihre wahren Motive.
Ich bekenne gerne: Ich habe sie dazu überredet. BILD hatte ihren Plan verraten. Selten erlebte ich sie derart geschockt. In einem Telefonat mit mir verteidigte sie sich. So überzeugend, dass ich sie bat, ihre Argumente für die Öffentlichkeit zu wiederholen.
Unser Vertrag enthielt die Klausel: „Das Gespräch führt Herr Kusztrich."
Ich habe bis heute geschwiegen. Meine Einblicke in ihr Leben für mich behalten. In fünf Jahren sammelte sich einiges an. Es fing harmlos an. „Hallo, ich würde gerne mit Frau Knef sprechen „Oh, jetzt ist es ganz schlecht, weil ...
Vieles erfuhr ich von Hildegard Knef selbst.
Irgendwann begannen auch Menschen um sie herum, ihr Herz auszuschütten. Manche wollten, manche konnten nicht länger schweigen. Einige überschätzten wohl meinen Einfluss auf diese Frau. Ich traute meinen Ohren nicht. Sie gibt 40 Mark aus für das Aufkleben der für sie typischen Wimpern aus. Sie wird zur Furie, wenn man Christina zurechtweist. Sie lässt zweimal am Tag die Bettwäsche wechseln. Sie spritzt sich Fortal in den Oberschenkel. Das Bett ist voller Jod und Blut.
In meinem Arbeitszimmer hängt ein Farbdruck, gerahmt und unter Glas. 60 mal 85 Zentimeter. Die Wiedergabe eines faszinierenden Gemäldes. Auf dem Rücktitel dieses Buches halte ich es in Händen: Über den Rücken eines Mädchens hinweg blickt der Betrachter in einen Sommergarten. Zwei Farben dominieren. Ein Pastellgrün, wie es die Wiesen am österreichischen Traunsee an einem Augustnachmittag ausstrahlen. Das Knallrot eines Kinderpullovers. Hinreißend! Dass es Christina ist, verrät nur die zarte Kontur des Näschens. Sie war damals fünf Jahre alt. Niemals mehr malte Hildegard Knef ihre Tochter so lebensfroh. Seit der Rückkehr von der Krebsoperation im Landeskrankenhaus Salzburg waren erst wenige Tage vergangen.
Ein hoffnungsvoller Blick nach vorn.
Selbstmitleid und Verbitterung waren ihr zuwider.
Gründe für Enttäuschung oder Hass hätte es genug gegeben. Nicht immer war sie sich derer bewusst. So vertraute hinter ihrem Rücken einer der Ärzte dem deutschen Verleger Dr. Franz Burda an: Die Geschwulst war nicht bösartig. Die Knef hatte einfach panische Angst (ihre Mutter starb an Krebs). Deshalb bestand sie auf der Amputation der Brust.
Nie hätte der Verleger der Zeitschrift BUNTE diesen Geheimnisverrat veröffentlicht. Nie hätte er es für richtig gefunden, damit Geld verdienen zu wollen. Er war einer der Anständigen im Leben der Knef. Andere waren es nicht. Häme, Wichtigtuerei, Geschwätz, Ausbeutung, Intrigen, Schadenfreude - kein großer Künstler ist davor sicher.
Ein Vorwort bietet auch die Gelegenheit zu erklären, was dieses Buch nicht ist: eine Biografie, eine Würdigung. Die einfühlsame Darstellung durch Heike Makatsch zeigte uns vor einigen Jahren die zwanzig Kriegs-Lebensjahre, die ersten beiden Ehen und die Knef der Wirtschaftswunder-Epoche bis 1966. Die Produzentin des Films „Hilde" meint selbst, später sei die Knef eigentlich ein anderer Mensch gewesen. Ich glaube, sie hat Recht.
Mein Buch ist ein unbedeutender, bescheidener Beitrag, die Erinnerungen und die Art und Weise, wie ich sie erleben durfte, mit anderen zu teilen.
Ihre Handschrift habe ich stets vor Augen. Auf das faszinierende Gemälde der Sommerwiese mit Christina schrieb sie rechts unten mit Kugelschreiber sieben Worte. Nur sechs sind lesbar: „Für Imre – in Freundschaft (dann etwas Unentzifferbares) Hilde 1980."
Die rätselhaften Buchstaben lauten vermutlich „deine. Ich lese sie als „immer
.
EINFÜHRUNG
Gegen Ende eines unserer Gespräche wollte ich sie aufmuntern. Ich gab ihr ein Versprechen. Ich sagte: „Aber jetzt hören wir nicht mit etwas Tragischem auf. Hilde, wenn du Virginia Woolf spielst, dann komme ich zur Premiere. Ich verspreche es dir."
Hildegard Knef hatte eine andere Idee: „Komm’ in der dritten Vorstellung! Ich bin in der Premiere immer schlecht. Mein ganzes Leben war ich in der Premiere nie wie in der dritten Vorstellung. Bei meiner Premiere war ich immer so nervös, dass bestimmt etwas herunterfiel. Ich habe immer auch gesagt: Wenn ich doch die Premiere ohne Publikum machen könnte!"
So gesehen, hat sie auf Anhieb ihr Leben doch ganz gut hingekriegt.
DANKSAGUNG
Mein besonderer Dank gilt dem genialen Journalisten und Freund Will Tremper. Seine Idee war es, die Arbeit an der Serie „Jenseits von Morgen durch mich weiterführen zu lassen. Er führte mich bei Hildegard Knef ein. Durch diese Empfehlung eines der wenigen Knef-Sympathisanten bis zu ihrem Ende hatte unsere Arbeitsbeziehung den besten Start. In einem Buch finde ich die Widmung „Für meinen Imre von seinem Will
. Ich weiß: Dieser große Journalisten gehörte vielen. Dennoch erlaube ich mir die Worte: Für meinen Will von seinem Imre.
Aus dem Netzwerk, das die Künstlerin um sich spann und in dem sie sich letztlich verfing, flossen mir zahllose Hinweise, Hilferufe zu. Ebenso nicht wenige Geschmacklosigkeiten, Enthüllungen, Nadelstiche. Aber auch Hoffnungen, Erwartungen. Viele überschätzten meinen Einfluss und wünschten doch nur sehnlichst, dass sich durch einen noch so bescheidenen Impuls von mir für Hilde manches zum Besseren wendete.
Ich hoffe, dass möglichst viele Leserinnen und Leser mein mildes Urteil über die Quellen aller Indiskretionen teilen können.
Für den Dank, den ich Hildegard Knef gegenüber abzutragen habe, fehlen mir die Worte.
DIE VEREINBARUNG
Der Besitzer der Bären-Apotheke in der Offenburger Hauptstraße 52 schüttelte den Kopf. Ich konnte ihn verstehen. Ich wollte von ihm fünf verschiedene Präparate. Verschreibungspflichtig. Hoch dosiert. Tabletten. Kapseln. Aber ich hatte kein Rezept.
Ich bin ein diskreter Mensch. Nur so war zu erklären, dass eine von den Medien gnadenlos gejagte und von so vielen Zeitgenossen abgrundtief gehasste Frau wie Hildegard Knef es für eine gute Idee hielt, ausgerechnet einen Journalisten um diesen eigenartigen Liebesdienst zu bitten.
Juli 1982. Ich war damals Geschäftsführender Redakteur der Zeitschrift BUNTE. In drei Tagen hatte ich meine nächste Verabredung mit dieser Frau. In West Hollywood. Ich brachte ihr aus dem Archiv des Burda-Verlags einen Koffer voll von Zeitungsausschnitten über Romy Schneider. Hildegard Knef sollte in einer zehnteiligen Artikelserie den Leserinnen und Lesern das Mysterium und den rätselhaften Tod der Schauspielerin etwas verständlicher machen. Darüber sollte ich mit ihr verhandeln. Und einen Vertrag schließen.
Die Aufgabe war nicht ganz einfach. Ich war dafür. Der Chefredakteur war dagegen. Er wollte, wenn schon nicht Alain Delon, dann wenigstens Michel Piccoli als Autor der Romy-Biografie.
Hildegard Knef hat nie erfahren, dass ich für sie kämpfen musste.
Am Ende setzte ich mich durch. Übrigens auch in der Bären-Apotheke. Ich vertraute mich dem Magister an: für Hildegard Knef. Sie werden ihr regelmäßig verschrieben. Ich nehme die Medikamente am Donnerstag nach Los Angeles mit. Das erfährt keiner, versprach ich. Schon gar nicht die Kollegen im Verlag.
Die Stars in der Redaktion, die Schreiber mit den großen Namen würden mich mobben. Erpressen. Hör mal, würden sie sagen, setz’ sie bei den Honorarverhandlungen ein bisschen unter Druck. Du hast sie doch in der Hand ...
Der Apotheker war ungefähr in ihrem Alter. Sie war damals 56. „Gut",