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Vom Regen in die Traufe: Krebs haben Patienten, ich doch nicht
Vom Regen in die Traufe: Krebs haben Patienten, ich doch nicht
Vom Regen in die Traufe: Krebs haben Patienten, ich doch nicht
Ebook312 pages4 hours

Vom Regen in die Traufe: Krebs haben Patienten, ich doch nicht

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About this ebook

Im Jahr 2012 erhält Magde Conrad-Schneider die Diagnose Brustkrebs. Ein Schock! Die lebensfrohe, stets gut gelaunte Magde soll krank sein? Das kann nicht sein!Doch aufgeben kommt für die gestandene Krankenschwester nicht in Frage. Mit der Unterstützung ihrer Familie und guter Freunde nimmt sie den Kampf gegen den Krebs auf und stellt sich jeder neuen Herausforderung mit Kraft und Entschlossenheit. Eine spannende, fast unglaubliche Lebensgeschichte, die Mut macht und Hoffnung gibt und den Leser bis zum Schluss in ihren Bann zieht.
LanguageDeutsch
PublisherMagdes Verlag
Release dateDec 3, 2014
ISBN9783958491298
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    Vom Regen in die Traufe - Magde Conrad-Schneider

    Danke

    Vorwort

    Im Jahr 2012 erlebte ich eine ganz andere Realität vom Leben, ich machte eine völlig neue Erfahrung.

    Um alles besser zu verstehen und zu bewältigen, habe ich angefangen, einfach alles aufzuschreiben. Genau so, wie ich es erlebte, was ich gedacht und empfunden habe, wie es Tag für Tag passierte.

    Diese Phase meines Lebens möchte ich nicht nur für mich festhalten, sondern den Menschen mitteilen, die Ähnliches erleben, vielleicht selbst betroffen sind, welche plötzlich auch Erfahrungen machen, die sie lähmen, die sie zwingen, ganz anders zu denken und zu handeln.

    Haben Sie Lust sich darauf einzulassen?

    Kommen Sie mit, tauchen Sie ein in ein ganz normales Leben einer Frau, die ihre Gedanken mitteilen möchte.

    Januar 2012

    Ende Januar 2012 erhielt ich einen schönen weißen Brief mit dem mir bekannten Emblem als Einladung zum Mammografie-Screening am 13. Februar. Ich arbeite räumlich direkt nebenan, kenne alle Mädels vom dortigen Team und hatte außerdem vor zwei Jahren schon einmal mein erstes Screening mit Mammografie gemacht. Jetzt fand ich das nicht sonderlich spannend und auch nicht unangenehm, wieder einmal hinzugehen. »So ist man wenigstens sicher, dass man keine Erkrankung der Brust hat«, so sind doch die Gedanken, die man dabei so beiläufig hegt. Damit ich nicht vergaß mir einen zeitlich besser passenden Termin geben zu lassen, er war dummerweise für Freitagabend als letzten Spättermin geplant, hatte ich den Brief an unser »schwarzes Brett« in der Praxis gehängt. Meine Kollegin fragte mich gleich ganz belustigt: »Magde, warum hängst du denn deine Mammografie-Einladung an unser Brett?«

    Meine Antwort: »Damit ich nicht vergesse, meinen Termin wahrzunehmen.«

    So bekamen alle in unserem Praxisteam irgendwie mit, dass ich dorthin ging. Da es noch zwei weitere Kolleginnen in meinem Alter gibt, die auch zur Mammografie gehen wollten oder schon dort waren, war die Vorsorgeuntersuchung ohnehin ein aktuelles Thema bei uns im Team.

    Die Dame am Empfang der Mammo, so die Kurzform, war gleich ganz beflissen und bot mir sofort eine Terminänderung an: »Weißt du was, ich sag dir einfach mal spontan Bescheid, wenn gerade etwas frei wird zwischendurch, dann nehmen wir dich kurz rein, du bist ja gleich nebendran.«

    So kam es, dass ich noch im Januar in der Mittagspause schnell einmal nach nebenan ging. Ruckzuck wurde ich durchgeschleust und es wurden die nötigen Aufnahmen gemacht. In Windeseile zog ich mich wieder an und die Arbeit in unserer Praxis konnte nach einigen Minuten wie gewohnt weitergehen.

    Ein paar Tage später, am 9. Februar, es war ein Donnerstagabend, kam ich mit Paulo zusammen von einem anstrengenden, langen Arbeitstag nach Hause und da lag in unserem Briefkasten ein Brief vom Screening. »Ach ja, das wird der Bescheid von der Mammografie sein.«, dachte ich und war mir ganz sicher, dass alles okay ist. Ich öffnete den Brief und las, dass »zur abschließenden Beurteilung die Durchführung ergänzender Untersuchungen notwendig seien.« Mir wurde ein Termin genannt, ein Fahrplan nach Ludwigsburg mit genauen Fahrtzeiten war beigelegt und ich wurde um aktuelle Befunde gebeten. »Puh, was soll denn das jetzt???«, fragte ich mich im Stillen.

    Da ich richtigen Hunger hatte, mein Mann übrigens auch, schlug ich ihm vor, erst einmal zu essen und meinte überzeugend: »Krebs habe ich sowieso nicht, wenn ich solch einen Appetit habe«. Es schmeckte mir außerordentlich gut, denn ich fühlte mich zu diesem Zeitpunkt fit und gesund, trainiert und glücklich. Paulo begann die Einladung zu lesen, während ich überlegte, wie ich alles organisieren könnte. Wirklich, es ist nicht so einfach, gleich am Montag einfach bei der Arbeit zu fehlen. »Das kann ich nicht machen«, war mein erster Gedanke und ich sprach mit meinem Mann darüber.

    »Doch, du gehst da hin«, sagte Paulo, »und zwar gleich am Montag«.

    »Nein, du solltest nichts verschieben, es passt sowieso nie optimal mit der Arbeit. Ich finde, du gehst und damit basta!«

    In der Nacht schlief ich wunderbar und auch der nächste Morgen war wie immer. Zuerst sprach ich mit Jule in der Praxis darüber. Ich wusste, dass sie vor Kurzem auch einen solchen Bescheid erhalten hatte, sich zusätzlich durchchecken lassen musste, aber alles im grünen Bereich gewesen war. Sie meinte ganz direkt zu mir: »Mensch, Magde, dass du da so ruhig sein kannst. Und jetzt musst du das ganze Wochenende damit zurechtkommen.«

    »Ach, das ist nicht das Problem für mich, ich habe nur so ein blödes Gefühl, wenn ich da den Montag schwänze und Euch hier allein sitzen lasse. Was meinst du, soll ich erst eine Woche später gehen? Da sind doch die Faschingsferien und die Praxis hat geschlossen.«

    »Nein, du gehst gleich am Montag. Lange genug, das Warten bis dahin«, meinte sie und las sich den Brief ebenfalls genau durch.

    Mittags sprach ich meinen Chef darauf an und holte mir sozusagen grünes Licht für den besagten Montag. Trotzdem fragte ich ihn, ob es wirklich okay wäre. »Ja, Magde, mach das, dann hast du es aus dem Kopf.« Genau das waren seine Worte.

    Damit sollten meine Bedenken eigentlich ausgeräumt sein. Ich hatte jedoch trotzdem Gewissensbisse wegen der Arbeitszeit, die ich fehlen würde und das Gefühl, die anderen für mich arbeiten zu lassen. Die Gedanken an ein schlechtes Resultat oder irgendetwas Negatives hatte ich tatsächlich nicht und musste mich deshalb auch nicht bemühen, sie zu verdrängen. Ich war schon immer ein positiver Mensch und in diesem Moment absolut sicher, dass ich nach dem Montag alles vergessen könnte. »Ich bin ja auch bis 14.00 Uhr zur Nachmittagssprechstunde längst wieder da«, betonte ich nochmals dem Team gegenüber und war ganz zufrieden, dass ich nur den Vormittag ausfallen würde.

    Ich telefonierte mit Ludwigsburg und sie bestellten mich sogar eine Stunde früher, dass ich auch sicher wieder pünktlich um 14.00 Uhr zurück sein konnte. Die Zugfahrt, die etwas mehr als eine Stunde dauern sollte, war mit eingerechnet. »Wir haben den Vormittag für Sie eingeplant, seien Sie unbesorgt. Die Klinik liegt nur drei Gehminuten vom Bahnhof entfernt. Also gute Fahrt und bis Montag 9.00 Uhr.«

    Super, nun war alles geregelt und wir vom Praxisteam verabschiedeten uns alle fröhlich in das Wochenende. Ich verstand mich sehr gut mit meinen Kolleginnen, wir waren ein super Team. Jeder wünschte jedem per Handschlag oder mit einer Umarmung einen erholsamen freien Samstag und Sonntag.

    Es war ein eiskaltes Winterwochenende, wir hatten zwei Männer aus Brasilien zu Besuch bei uns. Über Weihnachten waren wir erst in Brasilien gewesen und hatten dort zusammen geschwitzt, da um diese Zeit in Brasilien Hochsommer herrscht. Nun war unser Freund mit seinem Bekannten hier und es war eiskalt. Aber machen solche Gegensätze unser Leben nicht erst so richtig interessant?

    Die Stadt Hall bot am Samstag ein wunderbares Bild. »Hallia Venezia«, eine venezianische Maskenparade, fand bei strahlend blauem Himmel, Sonnenschein und weißem Schnee statt. Es war fast wie in Venedig. Mit schönen bunten Masken und beinahe schon künstlerisch verkleidet, drückten sich die Teilnehmer in den schmalen Gassen an den Hauswänden entlang. Es war ein farbenfrohes Spektakel. Stumm und ganz leise streiften sie unentwegt um die historischen Häuser der engen Gassen in der Altstadt. Wir stiefelten leise und doch fröhlich mit ihnen durch die Straßen, während alle Touristen nahezu pausenlos die würdigen Maskenträger fotografierten.

    Wir wärmten uns kurz in einem Restaurant bei einer wohltuend heißen Tasse Kaffee auf und kamen pünktlich um 15.00 Uhr nach Hause. Schon um 17.00 Uhr sollte der Zug gehen, mit dem unser Besuch zurück fahren wollte. Vorher brauchten die beiden Brasilianer natürlich noch etwas zum Mittagessen. In Südamerika nimmt man es nicht so genau mit pünktlichen Mahlzeiten, dort wird oft erst am Nachmittag serviert. »Das wird nun knapp, Magde, lege den fünften Gang ein und lass es laufen!«, redete ich mir selbst anfeuernd zu. Es hieß für mich: In weniger als zwanzig Minuten ein Essen auf den Tisch zu zaubern, danach mit Sack und Pack ab ins Auto und nichts wie los, um noch rechtzeitig zum Bahnhof zu kommen. Keine Sorge, alles klappte wunderbar.

    Vorher schrieb ich auch noch einen persönlichen Brief an meine Freundin in Brasilien. Diesen Brief würde Rubens, der brasilianische Freund, für seine Frau mitnehmen. Ich schrieb ihr unter anderem von der Botschaft, dass ich am nächsten Morgen eine spezielle Mammografie machen müsste. Dabei beschlich mich zum ersten Mal die Frage: Und was denn, wenn der Befund nicht in Ordnung ist? Ein seltsames Gefühl nahm plötzlich Besitz von mir. Es war aber keine Angst, es war lediglich ein fremdes Denken für mich. Denn eigentlich habe ich keine Angst vor dem Tod oder dem plötzlichen Sterben. Wenn es denn so sein soll, plötzlich tot umzufallen oder bei einem Verkehrsunfall bewusstlos zu werden und nicht mehr aufzuwachen, wäre das für mich persönlich in Ordnung. Ich habe schon viel Schönes erlebt und genossen, war lebenssatt und zufrieden. So sah ich es zumindest bis jetzt.

    Aber das hier war plötzlich etwas ganz anderes. Es ging hier nicht nur um mich, um Schwarz oder Weiß, um tot oder lebendig. Hier ging es darum, Verantwortung zu spüren. Nein, nicht für mich, sondern für die anderen Menschen, die mir wichtig sind. Für die, denen ich nahe stehe, an erster Stelle für meine Kinder und für meinen Mann! Leichthin hatte ich bisher immer gedacht, ich lebe jetzt und irgendwann gibt es einen Knall, dann bin ich weg. Nie habe ich daran gedacht, dass ich ernsthaft krank werden könnte und vielleicht mit Defiziten leben müsste.

    Das hier war vielleicht ein Hinweis auf:

    Krebs

    Leiden

    Chemotherapie

    Hautschäden nach Bestrahlung

    Metastasen

    Hirnmetastasen, nicht mehr wissen, wer man ist, was man tut, warum man lebt ….

    Plötzlich kamen mir derartige Gedanken, die ich aber verdrängen konnte, da wir nach der Fahrt zum Bahnhof direkt zu einem Geburtstagsfest bei Nachbarn eingeladen waren.

    Es war nett dort, wir tranken Kaffee und unterhielten uns. Es herrschte eine fröhliche Stimmung, aber in mir kroch langsam ein unbestimmtes Gefühl nach oben, das mich melancholisch und nachdenklich stimmte. Es holte mich leise und hinterlistig weg von meiner fröhlichen, positiven und unbeschwerten Grundstimmung.

    Am Abend saßen Paulo und ich noch kurz vor dem Fernseher. Wir waren hundemüde aber glücklich, auch deshalb, weil der Besuch der beiden Brasilianer so gut gelungen war. Diese riefen uns noch einmal an und sagten uns, wie zufrieden sie über die »Schnäppcheneinkäufe« und die gemeinsamen Stunden waren.

    Am nächsten Morgen war Montag, der 13. Februar. Mein Ticket hatte ich am Samstag zuvor schon am Schalter gekauft und mir bei Paulo deswegen einen Rüffel eingehandelt, weil ich dort beim Bahnbeamten fünf Euro mehr bezahlt hatte als am Automaten. Ich kannte solche finanztechnischen Details nicht, weil ich so selten mit der Bahn fuhr. Aber ich wollte einfach alles gut vorbereitet haben, falls ich zeitlich knapp dran wäre oder vielleicht der Automat nicht funktionierte. Man wird vorsichtiger und plant eventuelle Pannen ein, wenn man nicht oft mit dem Zug fährt. Aber okay, dies war nun doch eher eine Kleinigkeit und ich hatte im Grunde ganz andere Sorgen. Der Zug kam endlich, nach längerem, trostlosen Warten in der Kälte. Glücklicherweise traf ich eine nette Begleitung, eine Frau aus Rot am See. Wir hatten unzählige Gesprächsthemen und ebenso viele gemeinsame Bekannte. Die Fahrt verging wie im Flug und die Frau hätte doch wirklich beinahe ihren Ausstieg verpasst. Über den Hauptbahnhof in Stuttgart landete ich schließlich gut mit der SBahn in Ludwigsburg und fand auch die Radiologische Praxis ohne Mühe. Ich stand vor einem großen Gebäudekomplex, verschiedene Praxen mit zentraler Verwaltung in einem Riesenärztehaus, in der Solitudestraße 24. Ich war guten Mutes und fühlte mich wohl. Ich war ordentlich gekleidet und sah recht schwungvoll und wie ich mir erhoffte, auch ein wenig intellektuell aus. Jedenfalls grüßten mich alle sehr aufmerksam. Ich hatte mir einen flotten Wintermantel von meiner Tochter Tonia ausgeliehen und mich extra ein bisschen zurecht gemacht.

    An der Anmeldung wurde ich freundlich empfangen, es war wohlig warm dort. Auf dem Tisch boten sie den Patientinnen sogar eine kleine Mammografie-Schokolade an, auch ein Glas Wasser konnte man trinken. Ich fühlte mich willkommen und wurde erwartet. Keine fünf Minuten hatte ich mich gesetzt und gerade angefangen in einer Zeitschrift zu blättern, da wurde ich schon aufgerufen und sollte den Oberkörper frei machen. Alles verlief routiniert und sehr schnell. Ich stellte keine Fragen, da ich genau wusste, was auf mich zukam. Die speziellen Aufnahmen waren nicht sonderlich unangenehm. Natürlich drückte es, aber ich hatte mich darauf eingestellt. Es wurden drei Spezialaufnahmen von der rechten Brust gemacht, bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich ja noch gar nicht gewusst, um welche Seite es ging. Aber im Stillen hatte ich das Gefühl gehabt, wenn etwas zu finden sein würde, dann wohl rechts oben. Es war einfach nur so ein Gefühl gewesen. Schmerzen hatte ich gar keine, auch nichts getastet. Die Dame war sehr nett und kommunikativ. Ich lobte ihre kompetente und besonders ihre feinfühlige Art. Auch war mir positiv aufgefallen, wie sicher sie ihr Gerät bediente und das gesamte technische Know-How beherrschte. Das ausführliche Lob tat ihr sichtlich wohl.

    »So, dann besprechen Sie jetzt gleich alles mit Dr. Blum«, meinte die Dame und schob mich weiter ins nächste dunkle Zimmer. Dort saß ein Arzt, der mich sofort freundlich begrüßte. Dr. Blum zeigte mir die Aufnahmen, sagte, dass er eigentlich nichts Weiteres erkennen könne, vermutlich am ehesten ältere Kalkablagerungen. »Siehste, ist alles okay«, dachte ich. »Da kann ich demnächst gehen und pünktlich wieder um 14.00 Uhr in der Praxis starten.«

    Er war jedoch noch nicht ganz fertig und ergänzte, dass die Kalkablagerungen älter und aus den Voraufnahmen bekannt seien. Es gäbe da aber noch so eine Stelle, die nun, nach den Spezialaufnahmen, besser zu beurteilen sei. Die Strukturen würden sternförmig zusammen laufen, was doch noch genauer abgeklärt werden müsste. »Ich mache mal einen Ultraschall«, meinte er daraufhin. »Dann sind wir auf der sicheren Seite und Sie haben es aus dem Kopf.« Hatte nicht genau die gleichen Worte mein Chef in Schwäbisch Hall am Freitag zu mir gesagt?

    Der Ultraschall dauerte länger, über 30 Minuten. Er überprüfte alles gründlich, auch die Brust auf der linken Seite und sämtliche Lymphknoten, aber immer und immer wieder schallte er an der rechten Brust die Stelle oberhalb der Brustwarze.

    »Also, ich kann es einfach nicht hundertprozentig beurteilen, zur Sicherheit machen wir noch ein MRT, damit wir es abhaken …«

    »… und es aus dem Kopf haben«, echote ich und fiel ihm dabei ins Wort.

    »Können Sie nochmals kommen?«

    Ich fragte, ob ich es auch in Schwäbisch Hall machen lassen könne.

    »Ach, Sie kommen aus Schwäbisch Hall? Da schaue ich mal nach, ob ich Sie vielleicht sofort dazwischen schieben kann.«

    Gesagt, getan. Schon war er aus dem Zimmer. Ich war erst einmal damit beschäftigt mir das Gel aus den Achselhöhlen zu wischen und mir dafür ein paar Tücher zu organisieren. Ich war gerade noch beim Ankleiden, da stürmte er wieder herein und meinte, es hätte geklappt, wir könnten gleich hochkommen. Ruckzuck war ich vollends angezogen und er begleitete mich in die Radiologische Abteilung zum MRT nach oben. Dort wurde ich nach dem Einlesen der Versichertenkarte sofort aufgerufen. Oberkörper frei, Schmuck abgelegt, so saß ich nun in der engen Kabine wie ein kleiner Sünder auf der Bank. Frierend und zitternd wartete ich einige Minuten auf das, was kommen sollte. Alles ging relativ schnell und plötzlich, ich kam kaum dazu, mir weitere Gedanken zu machen. Gerade als ich bewusst über die neue Situation nachdenken wollte, ging die Kabinentüre auf und eine nette Dame forderte mich höflich, aber doch routinemäßig, zum Mitkommen auf. Mir war klar, ich war nur eingeschoben und das Programm musste weiterlaufen, da gab es keine Zeit für individuelle Gespräche oder Nachfragen. »Ach, ist Ihnen kalt?«, bemerkte sie dann aber doch als ich heftig zitterte.

    »Nein, nein. Alles okay, ich finde es super, dass Sie mich gleich drannehmen und einfach so dazwischenschieben. Das finde ich sehr nett, danke«, meinte ich fröhlich.

    »Schon okay, jetzt brauchen Sie einen Venenzugang, und zwar links.«

    »Ah, da habe ich nicht die allerbesten Venen«, meinte ich vorlaut.

    »Ja, ja, das sagen sie alle«, meinte die zweite Kollegin, die sich dann entschloss, mir links die Nadel zu legen. Sie machte es toll und punktierte ganz sicher.

    Jetzt bekam ich die ganzen Instruktionen: Bauchlage, nicht bewegen, Arme nach unten, hier haben Sie eine Glocke, die nehmen Sie in die Hand. Aber bitte nur im Notfall benützen … Ihre Rede hörte noch nicht auf. Etwa zwanzig Minuten würde es dauern, es sei sehr laut, deshalb stecke sie mir einen Ohrstöpsel in das linke Ohr. Mein rechtes Ohr lag auf dem schönen weichen Kissen, der Kopf musste streng seitlich liegen. Letztendlich war es ganz in Ordnung, ich entspannte mich, genoss das flache Liegen und schloss die Augen. Dabei dachte ich über die Wärme in Brasilien nach, wie ich da so am Strand gelegen hatte, in derselben Position. Bei solch angenehmen Erinnerungen war ich ganz entspannt und gelöst und ich genoss, dass niemand etwas von mir brauchte oder wollte. Ich fand es toll, Zeit zu haben, einfach den eigenen Gedanken nachzuhängen. Ich spürte so manche Bewegung am Gerät, laute Geräusche und zwischendurch bemerkte ich auch die Kontrastmittelgabe. Es wurde kalt am Arm, doch ich wusste ja, dass ich nicht reden durfte, mich nicht bewegen, einfach zwanzig Minuten wegtauchen sollte und konnte dies auch sehr gut einhalten.

    Unglaublich schnell waren die 23 Minuten vorbei und ich konnte mich wieder anziehen. Ganz nebenbei wurde noch die Infusionsnadel entfernt und ich sollte mich draußen im Wartezimmer hinsetzen. Dort führte ich ein bisschen Small Talk mit zwei Patienten, hörte mir so manche Klagen über Hüftprobleme, Arthrose und Kreuzschmerzen an, vor allem aber die gesamten Altersbeschwerden. Darüber kam ich dann ins Grübeln. Lohnt es sich denn überhaupt älter zu werden? Es ist doch gar kein erstrebenswertes Ziel, nur noch jammern zu müssen und Schmerzen hier und da zu fühlen. Solche Gedanken kamen mir plötzlich. Durch meinen Beruf sehe ich viel Leid und Gebrechlichkeit im Alter, viele Probleme mit dem schwächer werden. Immer dieses Abhängigkeitsproblem, das Gefühl Hilfe zu brauchen, die eigenen Kinder zu stören, weil es alleine nicht mehr geht. Diese Realität stand plötzlich übermächtig vor mir. Vielleicht habe ich einen Tumor, vielleicht lebe ich gar nicht so lange, vielleicht ist das ja auch gut so, da bleibt einem vieles erspart …

    Mitten in meinen Gedanken rief mich eine freundliche Stimme und riss mich aus der negativen Stimmung zurück. Sie stellte sich als Frau Dr. Nagel vor und erklärte mir, dass in der linken Brust ein Fokus wäre, der engmaschig und regelmäßig überwacht werden sollte. Das sei soweit in Ordnung. Rechts jedoch zeigte sie mir zwei erbsengroße Rundherde, vor allem der eine sei nicht ganz unauffällig, erläuterte sie. Hätte sie bei sich selbst oder ihrer Freundin solch einen Befund, würde sie eine Biopsie durchführen lassen. »Okay«, meinte ich spontan und ohne zu zögern. »Die Biopsie lasse ich machen, gerne auch gleich, denn jetzt bin ich schon einmal da.«

    Sie wusste nicht, ob es zu organisieren sei, fand es aber ganz toll, dass ich so unkompliziert und spontan darauf einging. Nach einem Telefonat mit Dr. Blum schickte sie mich wieder ein Stockwerk tiefer. Es wurde demnach alles für eine Biopsie vorbereitet. Tatsächlich war es so, dass ich sofort biopsiert werden konnte. Es würde nur wenige Minuten dauern, hieß es, bis alles vorbereitet war. Nun saß ich unten vor dem Eingriffsraum und nützte die Zeit, um nachzudenken. Ich dachte, es wäre gut, wenn ich kurz meinen Ehemann Paulo anrufen könnte. Ich hatte plötzlich das Gefühl, es wäre besser, wenn er Bescheid wüsste. Aber im Operationssaal, seinem Arbeitsplatz in Schwäbisch Hall, war dauerbelegt. So rief ich kurz meinen Chef in der Praxis an und warnte ihn schon einmal vor, dass es bei mir etwas später werden könnte, vielleicht sogar erst 16.00 Uhr. Ich sagte ihm, dass der Befund weiterhin unklar sei und nun eine Biopsie gemacht würde. Er war erschrocken und wünschte mir noch schnell alles Gute, als auch schon Dr. Blum vor mir stand und mich persönlich für die Stanze abholen wollte. Ich legte schnellsten auf und kam wieder in eine Kabine. Erneut machte ich den Oberkörper frei und musste diesmal gar nicht auf das »Bänkle« sitzen, sondern wurde gleich ganz liebevoll empfangen. »Aha«, dachte ich. »Dieser Eingriff ist etwas risikoreicher«, denn ich wurde nochmals offiziell aufgeklärt. Ich musste schriftlich bestätigen, dass ich keine Blutverdünnung hatte, weder Marcumar noch ASS schluckte. Ich machte meine Kreuzchen auf dem Aufklärungsbogen wie damals in der Schule bei den Klassenarbeiten, setzte meine Unterschrift darunter und dann ging es los.

    Ich sollte mich bequem auf die Liege legen. Der Arzt wirkte sehr vertrauenswürdig und sicher, alles lief in Ruhe, routiniert und mit fachlicher Kompetenz ab. Und doch bemerkte und spürte ich die ganz persönliche Zuwendung in kleinen Gesten. Die Assistentin streichelte mich an der linken Schulter, die zweite Assistenz bediente das Ultraschallgerät und war dafür zuständig, das gewonnene Material zu versorgen. Es ist ja enorm wichtig, dass in diesem Zusammenhang keine Verwechslungen passieren. Man stelle sich nur vor, mein Präparat wandert in ein Glas mit einem anderen Namen. Und plötzlich habe ich Krebs, obwohl ich gar keinen habe und würde fälschlicherweise operiert werden. Irren ist menschlich und Verwechslungen und Fehler passieren doch laufend. Solche Gedankenblitze schossen mir in dem Moment durch den Kopf. Aber ich konnte beruhigt sein, das Team arbeitete sicher und kompetent. Es war interessant für mich als Krankenschwester die Stanzbiopsie direkt bei mir selbst mitzuerleben. Ich konnte sogar am Ultraschallgerät mit zuschauen. Die lokale Anästhesie, wir sagen auch lokale Betäubung dazu, saß gut, ich spürte überhaupt nichts und sah nur, wie ein kleiner Schussapparat mit einer spitzen Nadel an meine Brust angelegt wurde. Im Ultraschallbild war genau zu sehen, wie die Nadel heraus flitzte und blitzschnell zurückschnappte. Man konnte den Schuss richtig hören, aber es war nichts Gefährliches dabei. So haben wir fünf »Schüsse« gemacht, vier Proben waren verwertbare Gewebezylinder, die ins Formalin-Gläschen gegeben wurden. Alle waren zufrieden, weil es sehr gut geklappt hatte. Die Punktionsnadel wurde entfernt und der Arzt musste nun von Hand, auf die Einstichstelle drücken, um eine Nachblutung zu verhindern. Mir war es zwar nicht unangenehm, dass er selbst nun eine Viertelstunde drücken musste, aber es tat mir leid, dass er meinetwegen so lange festgehalten wurde.

    Wir nützten die Zeit zu einem netten Dialog, unter anderem über fachliche Themen, hatte ich doch einen verwandten Arbeitsplatz im Herzkatheterlabor. Auch er habe früher Stents gelegt und in der Kardiologie gearbeitet, erzählte er. Er berichtete mir einiges über seinen medizinischen Werdegang und ich spürte, dass es nicht nur das übliche pflichterfüllende Geplänkel war, sondern er sich gerne mit mir unterhielt. Er selbst stellte auch gezielte Fragen an mich und interessierte sich für vieles. Offensichtlich war er nicht über die außerordentlich gesprächige Patientin genervt, sondern eher froh, sich über manche frühere Erfahrung seines Berufslebens auszutauschen. Schlussendlich bekam ich einen wunderschönen Druckverband mit blühend weißen Binden und fühlte mich richtig gut eingepackt. Bei diesem kräftigen Druck war ich mir sicher, dass es nicht nachbluten würde. Inzwischen war es schon 13.30 Uhr und ich sollte mir noch eine Krankmeldung organisieren. Im ersten Moment widersprach ich, denn es war so gedacht, dass ich heute um 14.00 Uhr wieder in der Praxis stehen sollte. Ja, nun war die Situation plötzlich anders geworden.

    »Nein, Frau Conrad-Schneider, Sie arbeiten heute gewiss nicht mehr. Wegen der Nachblutungsgefahr sollten Sie sich auch nicht mehr groß bewegen. Vor allem nicht pressen und keine Anstrengungen haben«

    »Oh, oh«, dachte ich nur. »Das ist ja schlecht für die Praxis.«

    Aber ich konnte jetzt auch nichts an meiner Situation ändern, vielleicht bin ich auch viel zu pflichtbewusst. Natürlich ging es auch ohne die Magde, die anderen schafften das auch alleine, jeder Mensch ist ersetzbar. Das musste ich nun eben auch

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