Von Freunden, Schweizern und Freiburgern: Erinnerungen an Zeiten, die ich nicht missen möchte
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About this ebook
Die im Jahr 1933 Geborene wächst bei den Großeltern in Freiburg auf. Trotz widriger Umstände ist es eine glückliche Zeit und es entstehen zahlreiche Freundschaften, die ein Leben lang halten. Dann, im November 1944, die Zerstörung der Heimat beim großen Bombenangriff auf die Stadt. Ingrid Metzger-Buddenberg kommt zu Verwandten nach Basel und obwohl sie dort in Sicherheit ist, will sie nur eines: zurück in die Stadt ihrer Kindheit. Als sie im Dezember 1945 endlich wieder in Freiburg ist, bringt die Großmutter sie in einem Internat unter. Wieder ist alles anders, wieder sind neue Menschen um sie herum. Doch auch die schweren Nachkriegsjahre bleiben in guter Erinnerung.
Dann ab 1952 Basel: Ihren zukünftigen Mann hatte Ingrid Metzger-Buddenberg bereits in den Monaten als Kind in der Schweiz kennengelernt. Nach der Hochzeit als 19-Jährige fällt ihr das »Ankommen« im anderen Land aber schwer. Mit Hilfe der Kinder, guter Freunde und ihrer Arbeit als Bibliothekarin und Archivarin gelingt auch das.
In ihren Lebenserinnerungen zeichnet Ingrid Metzger-Buddenberg ein lebendiges Bild der Zeitgeschichte zweier Städte und Länder.
Und sie zeigt, dass es an einem selbst liegt, die Herausforderungen des Lebens zu bewältigen.
Von Freunden, Schweizern und Freiburgern ist ihr zweites autobiografische Buch. "Geschichten für Dich" erschien 2010 im Verlag Deutsche Literaturgesellschaft ISBN 978-3-86215-024-3
Ingrid Metzger-Buddenberg
Ingrid Metzger-Buddenberg, 1933 in Heidelberg geboren. Durch familiäre Unordnung und Kriegseinflüsse bei 21 verschiedenen Familien untergebracht, durchlief sie 16 Schulen an verschiedenen Orten in Deutschland. Seit 1952 verheiratet mit Martin Metzger, drei Kinder, fünf Enkelkinder, drei Urenkel. 1969-2014 als Dipl. Bibliothekarin und Archivarin tätig an der Basler Universoitätsbibliothek, für den schweizerischen Nationalfonds für diverse private Personen, für die Schweizerische Bankiervereinigung und zuletzt älteste Mitarbeiterin der Bank Sarasin, Basel
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Book preview
Von Freunden, Schweizern und Freiburgern - Ingrid Metzger-Buddenberg
Inhalt
Große Freiheit der Kindheit
Besondere Verhältnisse
Beste Freundin und bester Freund
Schreckenszeit
Nach dem Krieg
Glücklich in St. Ursula
Hinaus in die Welt
Verwirrungen der Liebe
Leben in der Schweiz
Umzug in ein neues Leben
In die Welt hinaus
»Vergraben« in Archiven
Ich muss verrückt sein
Ein ganz kurzes Nachwort
GROSSE FREIHEIT DER KINDHEIT
Besondere Verhältnisse
Mein Vater Otto Buddenberg schrieb am 9. März 1946 in einem Brief an mich:
Sehr erfreulich ist auch, dass es in der Schule gut geht. […] Nun hast Du also schon wieder einmal die Schule gewechselt. Es wäre wirklich der Mühe wert, einmal nachzurechnen, wie oft das schon nötig war in dieser verrückten Zeit. Ich komme bei oberflächlicher Schätzung immerhin schon auf mindestens neun Mal. Aber vielleicht langt das noch gar nicht.
Mein Vater hatte Recht, die von ihm geschätzte Zahl Neun, stimmte nicht. Insgesamt besuchte ich in den Jahren 1939 bis 1950 mehr als zehn verschiedene Schulen. Was einerseits tatsächlich an der »verrückten Zeit« lag, andererseits an meiner ungewöhnlichen familiären Situation.
Mein Vater, er studierte in Freiburg Chemie, und meine Mutter, Eva Buddenberg, geborene Bartenstein, hatten sich an seinem Studienort bei einem Stiftungsfest der Burschenschaft Alemannia kennengelernt und am 14. Januar 1928 in der Pauluskirche in Freiburg im Breisgau geheiratet. Nach dem Studium erhielt mein Vater im Alter von 24 Jahren (er hatte in der Schule zweimal eine Klasse übersprungen) als Doktor der Chemie eine Anstellung bei der Badischen Anilin und Soda-Fabrik (BASF) in Ludwigshafen. Er arbeitete dort über 40 Jahre und brachte dem Unternehmen manche Erfindung ein, wurde dafür aber auch fürstlich entlohnt und lebte als »Grand Seigneur«. Meine Mutter war ausgebildete Säuglingsschwester, was in Hinblick auf meine Anwesenheit ab dem 6. Februar 1933 sicher nicht unpraktisch war. Im schönen Heidelberg »produzierte« ich auf der Treppe in der Bachstraße 22 eine Sturzgeburt in der sogenannten Glückshaube, die aber keine war, denn anstatt Luft, atmete ich Fruchtwasser ein. Zwei zu Hilfe geholte Ärzte konnten mich doch noch retten und ich bekam eine Nottaufe. Ich hatte eine ältere Schwester, sie hieß Rosemarie, aber sie war leider bereits im November 1931 an einer Hirnhautentzündung verstorben. Antibiotika gab es noch nicht.
Das Verlobungsfoto meiner Eltern aus dem Jahr 1927.
Das einzige Foto meiner 1931 verstorbenen Schwester Rosemarie. Meine Großmutter erzählte mir, dass Rosemarie unbedingt wegen des Pflasters am Knie fotografiert werden wollte.
Aus Heidelberg stammen meine ersten Erinnerungen: Es war dunkel, wir waren auf einer abfallenden Straße unterwegs und ich sehe noch – ich muss etwa drei Jahre alt gewesen sein –, eine Straße vor mir, die voller roter Lichter war. Diese stammten von den Brems- oder Schlusslichtern der Autos. Das fand ich schön.
Wir zogen dann nach Oppau, einen Stadtteil von Ludwigshafen. Dort gab es eine Frau, die im Hof die Wäsche wusch und aufhängte, und ich erinnere mich daran, dass ich für meinen Vater Bier in einem offenen Krug aus der nächsten Wirtschaft holte. Dann war da noch das sechs Jahre ältere Mädchen von nebenan, Liesel Schneider, das immer auf mich aufpasste und das zusammen mit mir nach Freiburg zu meinen Großeltern kam.
Eines Nachts brachte mein Vater meine Mutter in die psychiatrische Klinik in Heidelberg. Ich muss zwischen drei und vier Jahre alt gewesen sein. Meine Mutter sollte nie eine »normale« Mutter für mich sein, sie war manischdepressiv, wie ich später erfuhr. Mein Vater versuchte in den Folgejahren immer wieder, meine Mutter für unheilbar krank erklären zu lassen. Er hatte eine andere Frau kennengelernt und wollte diese heiraten. Diese Bestätigung wollten die Ärzte nie ausstellen. (Wie es mein Vater trotzdem schaffte, sich 1948 scheiden zu lassen, hat sich mir nie erschlossen.) Meine Mutter hatte Phasen, in denen ich sie als gesund erlebte und in denen sie auch nicht in der Klinik, sondern bei meinen Großeltern lebte. Dann kam der nächste Anfall und man wies sie wieder ein. Einmal stieß sie während eines Anfalls ihre Faust durch das Küchenfenster im Haus meiner Großeltern. Alles war voller Blut. Ein schreckliches Bild, das sich tief in mein Gedächtnis einbrannte.
Ich selbst im Jahr 1933.
Ein schönes Foto von meinem Vater und mir aus dem Jahr 1935, als alles noch gut war.
Was aber sollte mein Vater mit einem kleinen Kind anfangen? Alleinerziehende Väter waren zu dieser Zeit undenkbar. Er brachte mich zu meinen Großeltern, die in Freiburg in der Gartenstraße wohnten. Dort gefiel es mir von Anfang an sehr gut.
Das Haus in der Gartenstraße trug die Hausnummer 18 – und zufälligerweise hatte es auch 18 Zimmer. Das Anwesen ging laut Adressverzeichnis der Stadt Freiburg¹ im Jahr 1906 in den Besitz meiner Großeltern Friedrich Wilhelm und Mathilde Bartenstein, geborene Kirch, über. Der Vater meiner Großmutter besaß elf Häuser in Freiburg und sie durfte sich eines davon aussuchen, wie sie mir erzählte. Im Verlauf des Jahres 1907 zog die Familie Bartenstein dort ein. Zur Familie gehörte meine Großmutter Mathilde, Tochter Eva Hildegard (also meine Mutter), die 1901 auf die Welt gekommen war, und der 1904 geborene Sohn Klaus. Friedrich Wilhelm Bartenstein war Arzt und hatte seine allgemeinärztliche Praxis bereits 1898 an der Ecke Grünwälder-/Kaiserstraße eröffnet. Jetzt zog er damit in die Gartenstraße um. Ab 1908 verfügte die Praxis auch über einen Telefonanschluss. Für seine Patienten war mein Großvater unter der Nummer 830 erreichbar, besonders viele Telefonanschlüsse gab es in Freiburg, in der rund 83 000 Menschen lebten, also offenkundig noch nicht. Später hatten wir die Telefonnummer 4830. Das weiß ich deshalb so genau, weil man sich bei einem Anruf nicht mit dem Namen, sondern mit dem Hinweis: »Hier 4830« meldete.
Dieses Foto, um 1915 aufgenommen, zeigt einen Teil des Wohnzimmers in der Gartenstraße. An den Wänden muss man sich eine dunkelrote Seidentapete vorstellen. Außerdem ist auf dem Sofa ein weißes Kissen zu erkennen. Diese gestickten, schönen Kissenüberzüge stammten aus China. Der Bruder meines Großvaters, Max Bartenstein, war Major und während des Boxeraufstandes 1900/1901 dort im Einsatz. Zu sehen sind meine Mutter Eva (von links), meine Großmutter Mathilde sowie mein Onkel Klaus.
Das Haus meiner Großeltern war ein sehr herrschaftliches Anwesen, ein richtiges Kleinod und ich fand es einfach wunderschön. Das Esszimmer etwa war im holländischen Stil eingerichtet. Dazu gehörte grünes Leinen, das an den Wänden und zwischen den Balken an der Decke aufgespannt war, eine Uhr sowie Stühle aus Holland und ein Kamin mit grünen Kacheln, vor dem ein paar Sessel standen. Vom Esszimmer gelangte man durch einen Bogengang, der von zwei im ionischen Stil gemauerten Säulen eingefasst war, in das Wohnzimmer. Der Durchgang konnte mit einem dicken Vorhang verhängt werden. Über diesen Vorhang ärgerte ich mich jedes Jahr an Heiligabend, denn er verbarg mir den Blick auf den geschmückten Weihnachtsbaum sowie auf die darunter liegenden