Briefe an Emma Bowlcut: Roman
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About this ebook
Bill Callahans literarischer Tonfall ist so verrückt wie die Wirklichkeit und so realistisch wie ein durchgeknalltes Erwachsenenmärchen. Das beste Übel des Menschseins, eben die Liebe, ist schon lange nicht mehr so treffend beschrieben worden, wie in dem Romandebüt des amerikanischen Singer-Songwriters- in deutscher Erstausgabe.
»Die Welt um mich herum war still geworden. Die Stille senkte sich wie schwerer Schnee, langsam und stetig. Seither warte ich auf das Knirschen von Schritten, die sich meinen anschließen.« So beginnt der erste von insgesamt 62 Briefen, die ein gleichermaßen mysteriöser wie solitärer Erzähler an eine Frau richtet, die er bei einer Party trifft. Boxen hat einen großen Stellenwert im Leben des Berichtenden, gefolgt von seiner wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit einem meteorologischen Phänomen - einem geisterhaften Wirbel, dem Vortex, der sein Leben aber längst nicht so durcheinander bringt wie die unbekannte Schöne, der die Schriftstücke gewidmet sind. Poetisch, lakonisch und immer wieder auch sehr witzig fängt der Schreibende seine Umwelt ein, verfertigt kurze Tagesberichte voll kleiner Details und großer Gefühle.
Poetisch, lakonisch und immer wieder auch sehr witzig fängt der Schreibende seine Umwelt ein, verfertigt kurze Tagesberichte voll kleiner Details und großer Gefühle.
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Briefe an Emma Bowlcut - Bill Callahan
62
TEIL EINS
BRIEF 1
Die Welt um mich herum war still geworden. Die Stille senkte sich wie schwerer Schnee, langsam und stetig. Seither warte ich auf das Knirschen von Schritten, die sich meinen anschließen. So bewusst benutze ich meine Sinne. Und halte dabei immer einen silbernen Mikrometer (reimt sich auf Thermometer). Wenn ich genug getrunken habe, stecke ich es in die Tasche. Trinke ich mehr, nehme ich es wieder heraus.
Ich hörte diese Schritte. Ich wandte meinen Kopf – und da warst du. Auf dieser Party. Ich war der mit einem Mikrometer als Date.
Ich gab mich genervt. Dabei hatte ich mir wahrscheinlich genauso viele Gedanken über die Party gemacht wie die Gastgeber.
Ich könnte über dein Haar reden, oder über meine Studien. Sie sind eng miteinander verbunden. Das ist es, was mir an dir sofort auffiel. Meine Arbeit dominiert mich. Als ich sah, wie sie auf deinem Kopf sprießte, musste ich dir schreiben.
Ich konnte nicht mit dir reden, aber ich muss dir schreiben.
BRIEF 2
Deine Antwort erreichte mich wie eine Herzmuschel, die eine hungrige Möwe fallen ließ. Gibt’s überhaupt noch Herzmuscheln? Ich legte den Brief auf meinen Küchentisch und ließ mir ein Bad ein. Wie immer ging es mir dabei nicht wirklich um Sauberkeit. Ich bade, um Zeit zu schinden.
Frisch gebadet setzte ich mich an den Tisch. Mein Nachbar lehnte sich aus seinem Fenster, schnupperte und rief herüber, Backen Sie einen Schokoladenkuchen?
Dein Brief spielte mit seinem Haar. Der erste, den du mir je geschrieben hast.
Nein, rief ich hinüber.
Wir hatten noch nie zuvor miteinander geredet, und nun stand er da, starrte mich an und blähte seine Nüstern. Ich konnte nicht fassen, wie nahe er war. Ich habe vorhin Toast gemacht, sagte ich, weil er nicht vom Fenster verschwand.
Auf seiner Arbeitsplatte lagen Kuchenformen und ein Päckchen Mehl. Ich glaube eher, dass er den Schokoladenkuchen machte. Er richtete sich auf, wischte sich langsam seine Hände an der Schürze ab und ließ mich nicht aus den Augen. Er sah aus, als kämen ihm gleich die Tränen. Heute war wohl sein »Kuchentag«, und den wollte ich ihm nicht vermiesen.
Tief in deinem Briefumschlag lagen Bröckchen, die wie Teile der Zimmerdecke aussahen. Meine begann sich im letzten Winter aufzulösen. Wurde nass, dann silbern, dann bronzen und fiel in weichen klebrigen Klümpchen herunter. Und ich habe noch immer nichts deswegen unternommen.
Um 4 Uhr morgens konnte ich von meinem Bett aus hören, wie das Tropfen losging. Ich hatte unter einem halben Meter Schnee gelebt, der seit wer weiß wie lange schon vor sich hinschmolz.
Ich nehme mir vor, keine Fragen zu stellen. Denn das würde bedeuten, dass all dies schon einmal passiert ist und ich dich bloß bitte, mir zu sagen, wie die Dinge gelaufen sind. Was nicht heißen soll, dass ich nicht ans Schicksal glaube.
Du aber hast jedes Recht, mich zu fragen, was ich mache. Ich glaube nur nicht, dass es einen Namen dafür gibt. Ich studiere den Vortex. Dafür verwende ich meistens Mikrometer. Diese Arbeit hat mich bereits von vielem entfernt, und trotzdem nehme ich sie auf mich – und denke dabei das genaue Gegenteil. Ich hoffe, du bist das Bindeglied. Dein Brief passt wie ein Schlüssel in meinem Tag.
Dreh ihn um.
BRIEF 3
Ich kaute darauf herum, bis ich herausfand, dass ich am Zügel zerrte. Raus aus dem Haus, um die Endlosschleife in mir zu stoppen. Das Bild ist verworren und der Ton abgewürgt. Dass dir das nichts gibt, wird mir ab und zu bewusst. Ich kann alles vergessen.
Aber etwas gibt mir Anweisungen. Bist du das, aus einem anderen Mund? Einem, von dem ich nicht sicher bin, dass du ihn hörst? Komm näher in diesem betäubenden Schnee. Darunter liegen die heißen Felsen der Wüste.
Ich lief um den Block, als würde ich eine Blockade umgehen, und setzte mich dann in mein Auto, um Zeitung zu lesen. Ich bin geladen. Voller Energie. Die Nachbarn nerven mich. Bin gereizt. Rechter Unterarm kribbelt. Meine Mikrometerhand zittert wie der Verschluss einer Kamera ohne Film.
Die letzte Nacht verbrachte ich damit, einem einschläfernd langweiligen Boxkampf über zehn Runden zuzusehen. Der eine spezialisierte sich auf die Distanz, der andere auf den Infight. Keiner brachte einen echten Schlag an. Sogar der nachsichtige Ringrichter wollte, dass es aufhört. Man kann nicht immer seinen Kampf kämpfen. Aber mein Gott, die Kinnhaken sollten sitzen.
Am spitzen Absatz des Tages brauche ich mein Glas Wein. Christbaumkerzen fürs Gehirn. In der Windstille taxieren wir das Können der Möwe. Ich will eigentlich nichts kaputt machen. Aber ich will wissen, was ich kaputt machen kann. Ich bin besessen von der Überzeugung, dass ich dich brauche, so wie Blut eine Vene braucht, um von da nach dort zu kommen.
BRIEF 4
Ich glaube, du meinst Siegellack. Ich glaube nicht, dass es so etwas wie Ziegellack gibt.
Ich erinnere mich an alles, was auf der Party geschah. Du wirktest getrieben. Hast alle deine Freunde zur Begrüßung und zur Verabschiedung geküsst, obwohl du nur fünfzehn Minuten da warst. Mir fiel auf, dass dein Haar nicht leuchtete, sondern Licht absorbierte wie der Vortex. Dann blitzten deine Zähne auf, und ich wollte sie küssen. Oder einen oder zwei davon wie Mints essen.
Ich konnte sehen, dass du dein Outfit wie eine Uniform getragen hast. Männerschuhe ohne Socken. Später