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Fristlos verliebt: Roman
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Fristlos verliebt: Roman

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Motiviert bis in die bestöckelschuhten Zehenspitzen will Junganwältin Lulu in einer renommierten Stuttgarter Großkanzlei durchstarten und stürzt sich in die Arbeit. Dumm nur, wenn man einen Kollegen mit unwiderstehlich schokoladenbraunen Haaren hat, der einem von der ersten Sekunde an puddingweiche Knie beschert. Noch dümmer, wenn sich das Objekt der Begierde als verflixt harte Nuss erweist und sämtliche Eroberungsversuche ohne Erfolg bleiben. Erst eine Autofahrt mit Käsefußaroma und Gangster-Musik führt überraschend zum Wendepunkt - oder etwa doch nicht?
Die Geschichte einer liebenswert quirligen Berufsanfängerin, die dem Leser einen authentischen Blick hinter die glänzende Fassade einer großen Rechtsanwaltskanzlei gewährt.
LanguageDeutsch
Release dateJul 24, 2015
ISBN9783842516762
Fristlos verliebt: Roman

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    Fristlos verliebt - Anna Mandell

    Silberburg-Verlag

    1. Kapitel

    Morgen ist es so weit! Morgen beginnt der Abschnitt meines Lebens, auf den ich die letzten Monate – nein, die letzten Jahre – hingearbeitet habe. Morgen werde ich, Luise »Lulu« Schäufele, 29 Jahre jung, mein Dasein als erfolgreiche Rechtsanwältin einer international renommierten Wirtschaftskanzlei in Stuttgart beginnen und unfassbar reich und berühmt werden! Im eleganten nachtblauen Businesskostüm, das dezent meine schlanke Silhouette umschmeichelt und meine von Natur aus goldblonden Haare betont, mit den unverzichtbaren Perlenohrringen und einer dieser total trendigen schwarzen Kunststoffbrillen, die das halbe Gesicht verdecken, aber den Träger unwiderstehlich intellektuell wirken lassen, werde ich vorbei an der marmornen Rezeption in den gläsernen Aufzug schweben, der mich in mein von Chrom und schwarzem Leder dominiertes Büro der Kanzlei Hornisch, Prengles & Partner im dritten Stock befördern wird. Sowohl Kollegen, Sekretärinnen als auch Mandanten werden schon allein wegen meines Outfits von meiner Kompetenz als Rechtsanwältin restlos überzeugt sein.

    Das klingt zu schön, um wahr zu sein? Ist es aber! Okay … ich geb’s zu, ein paar unbedeutende Details habe ich geschönt: Meine Figur ist alles andere als »Jennifer-Aniston-like«, meine Haare waren mal goldblond gefärbt, mittlerweile hat meine undefinierbare Naturfarbe – Friseure nennen sie taktvoll »aschblond« – ungefähr die Hälfte meiner schulterlangen Haare zurückerobert und die »Perlen«-Ohrringe sind statt durch die jahrelange Arbeit einer Muschel durch die sekundenschnelle Arbeit einer Kunststoffpresse entstanden. Aber ich wäre ja keine Rechtsanwältin, wenn ich diese Mankos nicht umgehend zu rechtfertigen wüsste.

    Erstens: Eigentlich bin ich nicht dick, ich habe nur einen großen Hintern und kräftige Schenkel. Dafür kann ich aber nichts! Die Ursache hierfür ist, dass ich die letzten Jahre benannte Körperteile auf den Bibliotheksstühlen der Universität Tübingen plattdrücken musste. Zu wenig Fett am Allerwertesten als Polster hätte zu ernstzunehmenden Sitzbeschwerden auf den harten Holzstuhlflächen führen können. Um dieses natürliche Sitzkissen und den für die Konzentration unerlässlichen Zuckerpegel aufrechtzuerhalten, musste ich mir natürlich regelmäßig Kalorien, vorzugsweise in Form von Rum-Trauben-Nuss-Schokolade zuführen. Sportliche Betätigung, um das Fett des Sitzpolsters in Muskeln umzuwandeln, war bei einem Examensstoffumfang von gut 8000 Karteikarten – auf denen gerade mal das Notwendigste in Stichworten zusammengefasst war und ausformuliert wahrscheinlich die fünffache Menge ergeben hätte – utopisch. Um es kurz zu sagen: Ich hatte schlicht und ergreifend keine Zeit, neben meinem Hirn auch noch meinen Körper in Bestform zu bringen. Ich denke, diese Argumente dürften mich von jeglicher Schuld hinsichtlich der Birnenform meines Körpers befreien.

    Zweitens: Was meine vernachlässigte Frisur angeht, ist das schnell erklärt. Goldblonde Haare gefallen mir besser als aschblonde Haare. Aber Haare gefallen mir auch besser als eine Glatze. Leider stellen mich die im Drogeriemarkt erhältlichen Haarfärbemittel jedoch vor genau diese Wahl: gesunde aschblonde oder ausfallende goldblonde Haare. Vielleicht hätte ich schon bei dem fiesen Gestank der Färbepaste Verdacht schöpfen müssen, dass ich, die ich generell auf alles überempfindlich reagiere, besser die Finger davon lassen sollte. Anscheinend war ich jedoch vom funkelnden Goldblond auf der Färbemittelverpackung geblendet gewesen und konnte erst wieder klar sehen, als meine Kopfhaut wie Feuer brannte und sich meine Haare, beim panischen Auswaschen der Paste, ebenso panisch büschelweise in den Abfluss verabschiedeten. Seitdem habe ich verständlicherweise die Finger von solchen Selbstfärbeexperimenten gelassen und kann meinem derzeitigen unschönen Farbansatz daher nicht im Alleingang ohne professionelle Hilfe den Garaus machen.

    Apropos professionelle Hilfe: Auf die konnte ich in der Vergangenheit leider auch nicht zurückgreifen, da der Gang zu einem Tübinger Haarstylisten für mich psychisch unzumutbar ist und ich sozusagen an einem regelrechten »Tübinger Friseurtrauma« leide. Kurze Erklärung hierzu: Ich bin in dieser schwäbischen Kleinstadt aufgewachsen – so wie auch schon meine Mutter, meine Großmutter, meine Urgroßmutter und so weiter – und kenne daher so ziemlich jeden Einwohner zumindest über zwei Ecken. Es gibt daher Beziehungen, die älter sind als die Tübinger Stiftskirche. Eine solche besteht zum Beispiel zwischen den Schäufeles und Frau Käsbach, die einen Friseursalon betreibt. Frau Käsbach schneidet also schon seit Jahrhunderten der Familie Schäufele die Haare. Es ist über die Jahre hinweg natürlich nicht immer die gleiche Frau Käsbach gewesen, sondern mehrere Generationen von Frau Käsbachs, obwohl ich mir gut vorstellen könnte, dass die jetzige mehrere hundert Jahre alt ist. Eines haben die Käsbach-Friseurfrauen generationenübergreifend jedoch alle gemeinsam: Sie halten die altmodischen Haarschnitte aus der Gründerzeit des Friseursalons nach wie vor für absolut »en vogue« und sind tödlich beleidigt, wenn sich jemand aus der Familie Schäufele erdreistet, mit der Tradition zu brechen und zu einem anderen Friseur zu gehen.

    In einer frühpubertären Trotzphase habe ich diesen unverzeihlichen Treuebruch einmal begangen und habe bitter dafür büßen müssen. Die Mund-zu-Mund-Propaganda funktioniert in einer kleinen Stadt schneller, als bekannte Onlineplattformen einen Pinnwandeintrag hochladen können. Binnen kürzester Zeit wusste die damalige Frau Käsbach Bescheid und es gab einen derartigen Eklat, dass die Tübinger Stadtmauer in ihren Grundfesten erzitterte. Mittlerweile sind 15 Jahre ins Ländle gegangen und ich bin zumindest wieder einigermaßen geduldet. Wenn ich nun den Salon aufsuche, wird meine Tat nur noch gelegentlich mit als Mitleidsbekundungen getarnten Sticheleien gerächt wie: »Ach, du Arme, hast ja wirklich Pech gehabt bei der Verteilung der Gene! Die Haare deiner Eltern und Geschwister – ich habe eine ältere Schwester und zwei jüngere Brüder – sind so schön kräftig und glänzend, nur du hast merkwürdige, dünne Fusseln auf dem Kopf. Na ja, da kann man nichts machen, vielleicht ändert sich die Struktur ja, wenn sie mal grau sind, was bei dir bald der Fall sein dürfte!«

    Ich wäre daher schön blöd, die alten Wunden wieder aufzureißen und bei Frau Käsbach mit selbstgefärbten Haaren aufzulaufen. Bei ihr um die Korrektur des Ansatzes zu bitten, ist also angesichts der Vorgeschichte ebenso undenkbar wie das Aufsuchen eines anderen Tübinger Friseurs. Der Punkt mit den Haaren kann mir demnach nicht zur Last gelegt werden. Außerdem wohne ich nun ja seit einer Woche in der Landeshauptstadt Stuttgart und kann mich, sobald ich mit dem Auspacken der Umzugskartons fertig bin, von Frau Käsbach unbemerkt zu einem Salon begeben und das Haaransatz-Problem beheben lassen.

    Drittens: Und nun zu den Kunststoffperlen. Als ich damals im zarten Alter von 19 Jahren begann, Jura zu studieren, musste ich schnell lernen, dass das Studium der Rechtswissenschaften nicht nur jahrelanges Bücherwälzen, sondern auch die Anpassung an einen ganz speziellen Modestil und einen noch spezielleren Lebensstil erforderte. Völlig unbedarft betrat ich in Jeans, Sneakers und T-Shirt gekleidet das imposante, schlossähnliche Universitätsgebäude der Juristen, die »Neue Aula«, zu meiner ersten Vorlesung und stellte bald fest, dass ich mit meiner Kleiderwahl beinahe allein dastand. Wohin das Auge blickte, überall galoppierten mir von feinsäuberlich gebügelten Polohemden, Blusen und Pullundern Ralph-Lauren-Pferde entgegen, Lacoste-Krokodile bleckten ihre Zähne und ein wohlbekanntes englisches, beige-schwarz-rot-weißes Karomuster wechselte sich ab mit einem ebenso geläufigen, braun-goldenen Blumendesign in Schal- oder Handtaschenform. Farblich herrschten Rosa – erstaunlicherweise schwerpunktmäßig bei der männlichen Spezies –, Oma-Beige und Altherren-Lodengrün vor. Auch bezüglich der Schuhauswahl schien man sich überraschend einig: braune Lederhalbschuhe im klassischen Bootschuh-Look für jedermann. Insgesamt unterschied sich die Kleidung der Frauen kaum von der der Männer, bis auf die Handtaschen (wobei ein paar ganz exzentrische Exemplare auch davor nicht Halt machten und tatsächlich sogenannte »Manbags« spazieren führten) und – da wäre ich wieder beim Thema – die allgegenwärtigen Perlenohrringe.

    Die Botschaft, die dieses Outfit vermitteln soll, ist eng verknüpft mit dem schon angesprochenen Lebensstil und trotz aller Klischeehaftigkeit erstaunlich oft zutreffend. Seine Träger wählen vorzugsweise CDU, spielen Tennis, gehen reiten, stellen sich inklusive Zweit- und Drittnamen mit »Mein Name ist Christian-Georg Karl von Gleichenstein« vor, sind spießig, konservativ und in der Regel finanziell gut betucht. Letzteres trifft auf mich aber nicht zu und ich kann mir einfach keine echten Perlen leisten. Die Tatsache, dass ich in keine reiche Familie hineingeboren wurde, liegt außerhalb meines Verantwortungsbereichs. Mich trifft daher auch hinsichtlich dieses Mankos keine Schuld.

    Abgesehen davon wird sich das jetzt ohnehin alles ändern: Als neuer Stern am Kanzleihimmel werde ich mir in Zukunft mit meinem ansehnlichen Gehalt schon fast einen persönlichen Perlentaucher für meine dann umfangreiche Schmuckkollektion leisten können.

    Insgesamt lässt sich jedenfalls festhalten, dass ich in allen drei Punkten von jeglicher Schuld freizusprechen bin.

    Nun, da das geklärt wäre, laufe ich nochmal nervös durch meine nicht besonders luxuriöse, aber gemütliche Zweizimmerwohnung im Dachgeschoss eines Altbaus im Stuttgarter Osten und kontrolliere anhand einer meiner geliebten Checklisten, ob für morgen alles vorbereitet ist.

    Zum Glück bin ich die Checkliste nochmal durchgegangen! Nicht auszudenken, dass ich morgen in diesen wichtigen Tag ohne Elga gestartet wäre! Meine geliebte Großmutter Helga – die für ihr stolzes Alter von 89 Jahren zum Glück immer noch ziemlich rüstig ist und in Tübingen in einem Häuschen in der Nähe meiner Eltern wohnt – hat sie mir zur Geburt geschenkt und seitdem sind wir unzertrennlich. Ich wollte sie eigentlich nach meiner Großmutter benennen, hatte als Kind aber Schwierigkeiten mit dem H, so dass der etwas ungewöhnliche Name Elga entstand und sich trotz meiner mittlerweile tadellosen H-Aussprache gehalten hat.

    Ich weiß nicht, ob es etwas mit dieser frühkindlichen Stofftierbegegnung zu tun hatte, aber Schildkröten, genauer gesagt Riesenschildkröten, sind meine absoluten Lieblingstiere. In dem Alter, in dem andere Mädchen anfingen, für Pferde zu schwärmen und ihr Zimmer mit Black-Beauty-Postern aus der Wendy-Zeitschrift zupflasterten, entwickelte ich ein Faible für diese wundervoll runzeligen, majestätischen Lebewesen. Ich besorgte mir sämtliche Bücher aus der städtischen Bibliothek hierzu – wobei das Literaturangebot zu Riesenschildkröten in der Tübinger Bücherei zu meinem Leidwesen relativ überschaubar war – und konnte gar nicht verstehen, weswegen meine Freundinnen meine Begeisterung darüber, dass Riesenschildkröten bis zu 400 Kilogramm schwer und 176 Jahre alt werden können, nicht wirklich teilten, sondern lieber mit leuchtenden Augen von ihrer letzten Reitstunde berichteten.

    Ein Bildband über Riesenschildkröten auf den Galapagosinseln faszinierte mich sogar so sehr, dass ich ihn insgesamt sieben Mal auslieh. Die Inselgruppe, die diesen Tieren sogar ihren Namen verdankt – »Galápago« ist das spanische Wort für Schildkröte –, sind das Riesenschildkröten-Mekka schlechthin. Mehrfach versuchte ich meine Eltern zu überreden, unseren nächsten Familienurlaub dort zu verbringen. Mein Argument, dass es unfair sei, dass die »Pferdemädchen« beim Urlaub auf dem Ponyhof ihren Lieblingen nahe sein durften, ich meinen Riesenschildkröten aber nicht, stieß auf taube Ohren und endete regelmäßig in einem großen Streit. Als ich damals schniefend und Elga fest im Arm haltend auf meinem Kinderstockbett saß, schwor ich mir, sobald ich erwachsen wäre, selber auf die Galapagosinseln zu reisen. Meine Oma Helga bekräftigte mich immer in diesem Vorsatz und sagte mir in ihrem Urschwäbisch: »Mädle, du darfsch nie aufhöre, an deine Träum zu glaube, au wenn se ned immer so oifach zu erreicha sen. Da musch di grad mit Fleiß neihänge!« Mittlerweile bin ich zumindest laut Gesetz seit zwölf Jahren erwachsen – auch wenn ich mich ehrlich gesagt selten so fühle –, bei den Riesenschildkröten war ich leider immer noch nicht. Wahrscheinlich hab ich mich nicht genug »neighängt«, aber es hat auch einfach nie richtig gepasst: erst Zeit, aber kein Geld, dann kein Geld und keine Zeit, zukünftig wohl Geld, aber keine Zeit. Es ist wie verhext! Apropos keine Zeit: Ich sollte mich jetzt besser mal daranmachen, Elga zu finden! Ich hab sie seit dem Umzug schon ein paar Mal vermisst, bin aber nie zum Suchen gekommen.

    Ich durchwühle sämtliche Umzugskartons: Nichts! Ich durchwühle nochmal alle Umzugskartons: Wieder nichts! Das gibt’s doch nicht! Frustriert setze ich mich auf eine der Kisten und versuche mich zu erinnern, wo ich was eingepackt habe. Und siehe da, manchmal funktioniert mein Hirn doch besser als gedacht! Ich öffne die Aktentasche und schaue in Elgas gutmütiges Schildkrötengesicht. Das hätte mir auch gleich einfallen können. So organisiert wie ich bin, habe ich beim Packen schon daran gedacht, dass Elga am ersten Tag auf jeden Fall mit in die Kanzlei muss, und sie vorsorglich in die Tasche gepackt. Na wunderbar, alles wieder gut, jetzt kann ich in meiner Checkliste ein Minus durch einen weiteren Haken ersetzen.

    Mit meinem Ergebnis, 6 ½ ✓ zu 2 ½ –, einigermaßen zufrieden und etwas erschöpft von der Suchaktion, lasse ich mich auf mein kuscheliges Sofa unter der Dachschräge fallen, wickele mich in eine flauschige Decke und lausche dem Regen, der stetig gegen das Dachfenster trommelt. Für mich gibt es kein beruhigenderes Geräusch auf der Welt. Es erinnert mich an die Zeit, als ich noch klein war und bei meinen Eltern, deren Ehebett ebenfalls im Dachgeschoss stand, im »Gräbele« schlafen durfte. Für Nichtschwaben: Das Gräbele ist der kleine Graben zwischen zwei Matratzen in einem Doppelbett. Ich hatte damals furchtbare Angst vor Einbrechern, aber war mit kindlicher Logik vollkommen davon überzeugt, dass diese nur bei gutem Wetter ihr Unwesen trieben. Wer würde schon freiwillig bei Kälte und Nässe nachts draußen herumturnen? Nein, für einen Einbruch kam definitiv nur ein lauer, trockener Sommerabend in Betracht. Der Regen war daher damals meine Sicherheitsgarantie und verfehlt – trotz des mittlerweile erlangten Wissens, dass Einbrüche wegen der geringeren Entdeckungsgefahr sogar vorzugsweise bei schlechtem Wetter verübt werden – seine Wirkung auch heute nicht. Ich spüre, wie meine Aufregung angesichts des kommenden Tages langsam nachlässt, und schließe mal eben ganz kurz die Augen.

    Das hätte ich lieber bleiben lassen! Aus dem »kurz die Augen schließen« wird ein ausgeprägter Mittagsschlaf, in dessen Verlauf ich mich in eine Hütte aus Bananenblättern im Urwald träume. Es ist Regenzeit und ich habe dort zusammen mit meinem einheimischen Begleiter, dessen Oberkörper dem von Tarzan in nichts nachsteht, Unterschlupf gesucht. Nach unserer Tropenexpedition sehe ich unglaublich sexy aus in meinem weißen, vor Regennässe beinahe durchsichtigen Sommerkleid, der wilden, zerzausten Haarmähne und neckischen Schlammspritzern, die sich schon beinahe dekorativ auf mein Dekolleté und Gesicht platziert haben. Gerade als dies auch meinem heißen Dschungelkönig auffällt und er dazu ansetzt, mich leidenschaftlich zu küssen, überfällt uns hinterrücks eine gemeine, tropische Monsterkröte: »Quuaak, Quaaak, Quaaaauuaaak!!!« Ich wehre mich mit Händen und Füßen, aber das dumme Tier hört nicht auf zu quaken.

    Mit einem Ruck fahre ich hoch und stelle fest, dass ich statt im Regenwald im Schwabenländle bin und dass das Quakgeräusch von meinem Handy herrührt. Oh je, diesen albernen Klingelton muss ich unbedingt mal ändern, der stammt noch aus Zeiten, als ich mit Ralf – meinem Exfreund – zusammen war und dieser es lustig fand, an meinen Handy-Einstellungen herumzuspielen. Leider ist es nicht meine Eroberung aus dem Urwald, die gerade anruft, sondern ausgerechnet dieser Ralf, der oberkörpertechnisch nicht annähernd mithalten kann.

    Das ist allerdings nicht der Grund, weshalb ich mich vor drei Monaten von ihm getrennt habe. Auch der Name »Ralf«, den ich als grenzwertig erachte und der mich mehrfach dazu bewogen hat ihm vorzuschlagen, ernsthaft über eine Namensänderung nachzudenken, war nicht ausschlaggebend. Nein, es war schlicht und ergreifend Ralfs Art.

    Wir lernten uns vor zwei Jahren beim Tübinger Stocherkahnrennen kennen, als ich freudig überrascht darüber war, trotz des enormen Besucherandrangs den letzten freien Sitzplatz am Neckarufer zu ergattern. Von dort aus würde ich einen ungehinderten Ausblick auf die rund fünfzig Kähne haben, die von verkleideten und mit langen Holzstäben ausgestatteten Studenten stochernd dem Ziel entgegengetrieben werden würden. Dabei kommt es auf dem überfüllten Neckar alljährlich zu spektakulären Zusammenstößen zwischen den Kähnen, zu unzähligen unfreiwilligen Tauchgängen, und wenn bei der Siegerehrung die Verlierer einen halben Liter Lebertran trinken müssen, auch häufig zu grünen Gesichtern.

    Noch leicht belämmert von dem täglichen Lernmarathon für das nahende Zweite Staatsexamen, machte ich es mir auf der Wiese gemütlich und versuchte dabei nicht zu sehr hin- und herzurutschen, damit meine neue weiße Hose keine Grasflecken abbekam. Fünf Sekunden später wäre ich für einen Grasfleck, im Vergleich zu dem, was sich tatsächlich auf der gesamten Rückseite meiner Hose verteilt hatte, dankbar gewesen. Es hatte einen guten Grund gehabt, dass dieser

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