Verirren oder Das plötzliche Schweigen des Robert Walser: Roman
By Jürg Amann
3.5/5
()
About this ebook
Read more from Jürg Amann
Kein Weg nach Rom: Ein Reisebuch Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsKAFKA: Essay Rating: 3 out of 5 stars3/5Wind und Weh: Abschied von den Eltern Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsZimmer zum Hof: Erzählungen Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsDie Baumschule: Berichte aus dem Réduit Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsPatagonien: Prosa Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsDie Reise zum Horizont: Novelle Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsAm Ufer des Flusses: Erzählung Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsDie Kunst des wirkungsvollen Abgangs: Erzählungen Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsRondo: und andere Erzählungen Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsMutter töten Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsDer Anfang der Angst: Aus einer glücklichen Kindheit Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsÜber die Jahre: Roman Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsIkarus: Roman Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsLebenslang Vogelzug: Gedichte Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsDer Tod stirbt: Die Stücke Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsIphigenie oder Operation Meereswind: Eine Tragödie Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsSchöne Aussicht: Prosastücke Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsNichtsangst: Fragmente auf Tod und Leben Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsSternendrift: Ein amerikanisches Tagebuch Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsTod Weidigs: Acht Erzählungen Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsUnd über die Liebe wäre wieder zu sprechen: Gedicht Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsWohin denn wir: Roman Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsDie gezählten Tage: Aufzeichnungen Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsZwei oder drei Dinge: Novelle Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsFort: Eine Brieferzählung Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsGolomir: Roman Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsHardenberg: Romantische Erzählungen nach dem Nachlass des Novalis Rating: 0 out of 5 stars0 ratings
Related to Verirren oder Das plötzliche Schweigen des Robert Walser
Related ebooks
TEXT+KRITIK 210: Jan Wagner Rating: 0 out of 5 stars0 ratings"Immer an der Grenze der Verrücktheit": Aufgezeichnet von Haide Tenner Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsAugust Klingemanns Nachtwachen von Bonaventura Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsHering ist gut, Schlagsahne ist gut. Wie gut muss erst Hering mit Schlagsahne sein –!: Gedichte und Glossen Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsVon der Rolle oder: Über die Dramatik des Verzettelns: Saarbrücker Poetikdozentur für Dramatik Rating: 0 out of 5 stars0 ratings"... kehrte ich bei Hempel ein": Auf den Spuren bekannter und unbekannter Autoren in Oranienburg Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsGesammelte Werke: Der Richtsaal. Scheinbare Nähe. Standhalten Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsich bin abenteurer und nicht dichter: Aus Gesprächen mit Kurt Hofmann Rating: 0 out of 5 stars0 ratings"Verzeihung, wenn ich störe …": Spitzen und Pointen aus Kabarett und Theater Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsKraut & Rüben: Kurzgeschichten aus 63 Jahren Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsWer zuerst lacht, lacht am längsten: Neue Sternstunden des österreichischen Humors Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsIch sag's halt: Erinnerungen. Aufgezeichnet von Norbert Mayer Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsTartaglia: Textlicht Band 2 Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsMein Affe macht Theater: 2 Bühnenstücke Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsDoktor Herzfeld Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsDas ist das höchste Glück: Gedichte und Balladen Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsLesebuch: Satiren, Erzählungen und Romanauszüge Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsEin verbummelter Student Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsGedanken eines Katers beim Dösen: und andere Geschichten Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsHans Weigel: "Ich war einmal..." Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsMuseum für Wunder: Die Gedichte Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsKleine Lichter: Zwei Erzählungen und ein Kurzroman Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsÜber die Sprache hinaus: Biographisches Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsBuch der Lieder Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsHermann Bahr / Renaissance: Kritische Schriften in Einzelausgaben Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsAlabasterleib und schwarze Tränen: Eines schrägen Vogels Flugversuch Rating: 0 out of 5 stars0 ratings
Literary Fiction For You
I Love Dick Rating: 4 out of 5 stars4/5Dresden: Roman einer Familie Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsIntimes Geständnis: Erotik-Geschichten ab 18 unzensiert deutsch Hardcore Sex-Geschichten Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsDas Verlorene Paradies (Illustriert) Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsDas achte Leben (Für Brilka) Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsDas gute Buch zu jeder Stunde Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsTabu: Sexgeschichten - Heiss und Obszön: Erotik-Geschichten ab 18 unzensiert deutsch Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsHeiße Sexgeschichten: Ich liebe Sex: Sex und Erotik ab 18 Jahre Rating: 5 out of 5 stars5/5Ehrlich & Söhne (eBook) Rating: 4 out of 5 stars4/5Ausweitung der Kampfzone Rating: 3 out of 5 stars3/5Die Katze und der General Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsBriefe an Milena: Ausgewählte Briefe an Kafkas große Liebe Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsSex-Dates: Erotischer Roman Rating: 4 out of 5 stars4/5Amerika Rating: 4 out of 5 stars4/5Der Duft von Schokolade (eBook) Rating: 4 out of 5 stars4/5Be Dirty! - erotische Sexgeschichten: Erotikroman für Erwachsene ab 18 Jahren | unzensiert | deutsch Rating: 4 out of 5 stars4/5Die Jakobsbücher Rating: 5 out of 5 stars5/5Das Muschelessen Rating: 4 out of 5 stars4/5Ein fliegender Vogel blickt nie zurück: Die Freiheit nach dem Loslassen Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsEin Zimmer für sich allein Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsDas Blütenstaubzimmer Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsRadetzkymarsch Rating: 4 out of 5 stars4/5Ein Lied über der Stadt (eBook) Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsSchöne Welt, böse Leut: Kindheit in Südtirol Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsDie wichtigsten Werke von Dostojewski: 5 Klassiker der russischen Literatur in einem Buch Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsGehen: Oder die Kunst, ein wildes und poetisches Leben zu führen Rating: 4 out of 5 stars4/5Reckless 4. Auf silberner Fährte Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsMutterzunge Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsDreamboy: Roman Rating: 4 out of 5 stars4/5Freuds Schwester Rating: 3 out of 5 stars3/5
Reviews for Verirren oder Das plötzliche Schweigen des Robert Walser
3 ratings0 reviews
Book preview
Verirren oder Das plötzliche Schweigen des Robert Walser - Jürg Amann
Tanner«
I
Wie also heute Sie, Herr Seelig, als sein Freund und Vormund, vor mir stehen, stand eines Tages hier vor mir Herr Walser. Nur daß ich ihn nicht hergerufen hatte.
Hölderlin, sagte er, habe es lange vor ihm für durchaus angezeigt gehalten, und das heiße für taktvoll, im vierzigsten Lebensjahr den gesunden Menschenverstand einzubüßen. Er selbst sei jetzt ungefähr fünfzig, so genau wisse er das nicht, er habe seit einiger Zeit die Jahre nicht mehr gezählt, aber das sei ja ohne weiteres nachprüfbar auf dem Geburtsschein, den er mir hiermit vorlege.
Damit legte mir Herr Walser seinen Geburtsschein vor.
Kennen Sie Nietzsche, fragte er mich, sicherlich kennen Sie Nietzsche, indem er mich ins Auge faßte, Sie sind ja doch wohl ein gebildeter Kopf. Urplötzlich, wissen Sie, und auf der Stelle ist er zusammengebrochen, der Wahnsinn, gegen den er jahrzehntelang angeschrieben und in den er sich gleichzeitig jahrzehntelang hineingeschrieben hatte, urplötzlich aus ihm hervorgebrochen und ein für allemal ausgebrochen und über ihn hereingebrochen, sagte Herr Walser, dem er sein Leben lang Wort für Wort entgegengehalten, Satz für Satz entgegengesetzt, Buch für Buch entgegengetürmt hatte, entgegengebaut, entgegen, ins Gesicht geschleudert hatte, aus diesem Gesicht plötzlich hervorgebrochen und über dieses Gesicht hereingebrochen mit Blitz und mit Donner und hat dieses Gesicht auseinandergerissen, entzweigerissen, auseinandergespalten, ich höre noch, wie er das sagt, verzerrt, ein vollkommen verzerrtes Gesicht, hat er gesagt, das da auf dem Turiner Pflaster eines Tages urplötzlich und hart und ohne Schutz aufgeschlagen ist, hingeschlagen ist, hingestreckt durch den Anblick eines ausgepeitscht werdenden Pferdes. Ein Zufall, nichts als ein perfider Zufall, diese brutale Begegnung. Und sofort auf das Tier zugestürzt, weinend sich dem Tier um den Hals geworfen, unter dem Tier im gleichen Augenblick zusammengebrochen und auf der Stelle urplötzlich verrückt gewesen. Dann, erwachend, auf dem Bett seines Hotelzimmers, stundenlang an die Decke gestarrt, ruhig, als ob nichts gewesen wäre, drei, vier Stunden an die Decke gestarrt, dann aus der Ruhe heraus plötzlich aufgesprungen, auf dem Schreibtisch das Papier zurechtgelegt, gefaltet, liniert, wiederum in aller Ruhe, dann sich hingesetzt und auf dem Papier seine Anordnungen getroffen, seine letzten Erlasse erlassen, den Fürstentag nach Rom einberufen und in die Welt hinaus geschrieben, zuletzt wäre er lieber Basler Professor als Gott, aber er habe es nicht gewagt, seinen Privat-Egoismus so weit zu treiben, um deshalb die Schaffung der Welt zu unterlassen, gezeichnet Der Gekreuzigte, und wieder aufgesprungen, nach dem Wirt geklingelt, dem Wirt einen Stoß Papier aufgenötigt und den Wirt eidesstattlich verpflichtet, seine Korrespondenz zu expedieren, dann ermüdet auf den Klavierstuhl zurückgesunken, in die Musik hinein versunken, sich in die Klaviatur versenkt, in die Klaviatur mit vollen Händen hineingegriffen, stundenlang die Klaviatur hinauf und hinunter, auf dem Klavier unausgesetzt phantasiert oder seine eigenen und fremde Kompositionen gespielt, ohne Unterbruch, ohne Ruhe phantasiert und das Klavier gespielt und das Klavier zuletzt nicht mehr gespielt, sondern mit Händen und Füßen und mit dem Kopf bearbeitet und beim Spielen und Bearbeiten zerstört und mit dem Zerstören des Klaviers auch sich selber immer weiter zerstört, unter den Augen der in der Türe schon stundenlang stehenden Wirtsleute sich vollkommen zerstört und ruiniert und dann nach stundenlangem ununterbrochenem Phantasieren und Spielen und Sich-und-das-Klavier-Ruinieren hat er den Klavierdeckel zugeworfen und ist von Stund und Minute an ruhig gewesen. Ruhig hat er sich abführen lassen, ruhig ist er im Zug von Turin nach Basel zurückgekehrt, ruhig ist er in Basel eingefahren, inkognito, versteht sich, nicht einmal durch das Fenster gegrüßt hat er sein Volk. Und sehen Sie, hat Herr Walser gesagt, sehen Sie, Herr Doktor Hinrichsen, all das wollen wir doch nicht riskieren.
Er kenne das nämlich von seinem Bruder Hermann, sagte er, indem er mir gegenüber Platz nahm, der als Klaviervirtuose sein Leben in der Berner Waldau geendet habe. Auch dieser habe plötzlich nicht mehr aufgehört, nicht mehr aufhören können offenbar, und sei stundenlang und zuletzt auch tage- und nächtelang mit seinen Klavierspielerfingern die Klaviatur hinauf- und heruntergeflogen, bis er geblutet habe aus seinen Musikerfingern heraus und endlich auf den schwarzen Tasten zum endgültigen Stillstand gekommen sei. Das habe Spuren bei ihm hinterlassen, und seine Mutter habe auf diese Weise ein sehr schweres Leben gehabt.
Wollen Sie nicht auch Platz nehmen, Herr Seelig?
Allenthalben und wohin man sehe, stoße man auf die widerwärtigste Hoffnungslosigkeit. Jeder Mensch, dem man gegenübersteht oder gegenübersitzt oder dem man gegenübergestellt wird, ist ein hoffnungsloser Mensch, hat Herr Walser gesagt, und darum ein widerwärtiger Mensch, ein widerwärtiger und hoffnungsloser Mensch, und habe er dennoch eine Hoffnung, obwohl er ein solcher von Grund auf hoffnungsloser Mensch sei, so sei es eine eingebildete und eine falsche Hoffnung und also in Wahrheit eine doppelte Hoffnungslosigkeit, in welcher sich der Betreffende befinde.
Er selber sei zwar kein Klaviervirtuose wie etwa sein Bruder Hermann, aber die Hoffnungslosigkeit, die immer eine bodenlose sei, stecke natürlich, einfach indem er ein Mensch sei, auch in ihm. Er habe immer und von Kindesbeinen an zu allem Möglichen und also auch zu allen möglichen Berufen Lust gehabt, sagte er, darum ist mir das Wählen auch immer eine schwere und im Grunde unmögliche Sache gewesen. Bis ich mir eines Tages gesagt habe, sagte er, daß es vielleicht unter diesen Umständen, der bodenlosen Hoffnungslosigkeit ohnehin einerseits, der größten, gegen diese Hoffnungslosigkeit gerichteten Neugier und Lebensgier andrerseits, das Beste ist, irgendeinen und das heißt gerade den erstbesten zu ergreifen, ihn auszuprobieren und, wenn ich ihn satt habe, wieder an den berühmten Nagel zu hängen. So sei er Dichter geworden, und so habe er seinen Dichterberuf jetzt an den Nagel gehängt.
Noch bevor er Dichter geworden sei, sagte Herr Walser, habe er allerdings Schauspieler werden wollen. Aber da sei er noch grün hinter den Ohren gewesen.
Stumpen, Herr Seelig?
Nach einer Aufführung der »Räuber« jedenfalls, die er vom dritten Rang herunter oder, wie man auch sage oder zu dieser Zeit zumindest, die es betreffe, gesagt habe, von der sogenannten Flohbühne herunter, sogenannt weil man von da aus auf der Bühne die Menschen nur noch wie Flöhe so klein sehe, also gar nicht eigentlich gesehen habe, sei es bei ihm felsenfest festgestanden, daß er ein Schauspieler werden wolle. Er sei dann doch kein Schauspieler geworden, man wisse ja nun seit geraumer Zeit, wie fest Felsen stünden, obwohl er auf der anderen, unprofessionellen Seite und auf seine ganz undramatische Weise doch immer so etwas wie ein Schauspieler gewesen sei und eigentlich bis auf den heutigen Tag, hat Walser gesagt, so etwas wie ein Schauspieler geblieben sei, auch in seinem andern Beruf, oder wenigstens eine Art Halunke und Versteckspieler, und man müsse sich vor ihm schon in acht nehmen.
Zigarette, Herr Seelig?
Daß er aber kein wirklicher, und das heiße für ihn jetzt kein Berufsschauspieler geworden sei, der seine bitteren Späße auf der Bühne zum besten gebe, wie er es sich von der Flohbühne herunter noch vorgenommen habe, habe er später, als er solche wirklichen Schauspieler aus der Nähe, nämlich aus der Nähe des Parketts, aber nicht nur des Parketts, sondern auch des täglichen Lebens, wie etwa dann in Berlin, wo er oft in solche Gesellschaften hineingeraten sei, gesehen habe, gar nicht mehr so sehr bereut.
Ihm hätten die Bretter nie die Welt bedeutet, sondern auf eine plötzliche und magische Weise die Blätter, die leeren, weißen, unbeschriebenen Blätter, die er auf eine ihm selber tatsächlich unerklärliche Weise nicht habe leer und weiß und unbeschrieben lassen können und die er sofort, wenn sie vor