Die Deutung in der Psychoanalyse
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About this ebook
Dieses Buch beschreibt die Geschichte der Deutungskonzepte ausführlich im Kontext der sich wandelnden psychoanalytischen Methoden. Es ordnet die Deutung in die Systematik psychoanalytischer Interventionen (Klarifikation, Konfrontation, Durcharbeiten) ein und erklärt anschaulich den Zusammenhang mit anderen methodischen Konzepten wie der freien Assoziation, der Abstinenz und der gleichschwebenden Aufmerksamkeit.
Jürgen Körner
Prof. Dr. Jürgen Körner, Diplom-Psychologe, Psychoanalytiker (DPG, DGPT, IPA), war von 1987 bis 2009 Professor am Fachbereich Erziehungswissenschaft und Psychologie der FU Berlin, von 1995 bis 2001 Vorsitzender der Deutschen Psychoanalytischen Gesellschaft. Er ist Gründungspräsident der International Psychoanalytic University Berlin und Herausgeber der Zeitschrift »Forum der Psychoanalyse«. Geforscht und veröffentlicht hat er zu diesen Themen: Theorie und Methode der Psychoanalyse, Psychoanalytische Sozialpädagogik, Jugendliche Delinquenz, Mensch-Tier-Beziehung. Er ist Autor des Buches »Bruder Hund und Schwester Katze. Tierliebe – die Sehnsucht des Menschen nach der Natur« (Kiepenheuer und Witsch, Köln, 1996).
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Die Deutung in der Psychoanalyse - Jürgen Körner
1. Vorlesung Systematischer Überblick: Deuten als Erklären, als intentional Beschreiben und als Interpretieren
In den philosophischen und historischen Wissenschaften und in der Theologie heißt Deuten, einen Sinn darzulegen, einer menschlichen Äußerung – zum Beispiel einem Text, einer Handlung oder einem Kunstwerk – eine Bedeutung zuzuschreiben. Eine solche Zuschreibung ist in jedem Falle als ein subjekthafter Entwurf zu verstehen, dessen »Wahrheit« ungewiss bleiben muss, denn eine Deutung richtet sich ja nicht auf objektive Merkmale eines Gegenstandes. Sie kann also nicht »wahr« oder »falsch« in einem empirischen Sinne sein⁵. Das gilt auch für unsere Deutungen im psychoanalytischen Dialog.
Obgleich wir mit unseren Deutungen keine objektiven Merkmale eines Gegenstandes beschreiben, sind wir aber doch überzeugt, dass wir mit ihnen nicht willkürlich handeln, sondern etwas Wahres oder Richtiges, jedenfalls Bedeutungsvolles erfassen. Der Zusammenhang zwischen einer Deutung und ihrem Gegenstand mag uns mehr oder weniger zwingend erscheinen: Im einem Extremfall glauben wir, einen nur verborgenen Sinn gefunden, entdeckt zu haben, wie es die Freud‹sche Archäologie-Metapher nahelegt: ein nur vergrabener, vielleicht unvollständiger Gegenstand braucht nur ausgebuddelt und identifiziert zu werden. Rekonstruktive Deutungen sind zuweilen von dieser schlichten Art: Ein Patient erfährt, dass sein Wutaffekt gegen einen unzufriedenen Prüfer »in Wahrheit« dem Vater seiner Kindheit gilt, der mit seinen Leistungen niemals zufrieden war, so sehr er sich auch anstrengen mochte. Streng genommen, sind derartige Interventionen gar keine Deutungen, sondern Erklärungen über einen quasi-kausalen Zusammenhang. Sie werden unter Analytikern aber wie Deutungen verstanden, und weil sie im psychoanalytischen Prozess häufig vorkommen, will ich ihnen ein eigenen Abschnitt widmen.
Im gegenteiligen Extremfalle wagen wir eine Deutung, die nicht einen verborgenen, aber bestimmbaren Sinn aufdeckt, sondern wir wollen den Patienten anregen, über die Bedeutung etwa eines Traumes oder eines spontanen Einfalls nachzudenken.
Ein Beispiel: Ein homosexueller Patient hatte sich nach einer enttäuschenden Erfahrung von seinem Partner getrennt und war sich unschlüssig, ob er einen neuen Beziehungsversuch wagen wollte. Er hatte sich in einen jungen Mann verliebt, befürchtete aber, dass er wieder eine schwere Enttäuschung erleben könnte. Eines Nachts träumte er, dass er von zwei Goldschätzen, die er vor sich liegen sah, einen nehmen durfte. Aber: Einer von beiden war falsch, der andere war echt. Er war sich sicher, den »echten Schatz vom falschen unterscheiden zu können« und griff zu. Seine Assoziationen führten zunächst nicht weiter, und er berichtete von seinen Erlebnissen des gestrigen Tages. Er habe mit seinem neuen Bekannten telefoniert. Sie wollten sich verabreden, hätten sich aber nicht auf einen konkreten Zeitpunkt einigen können. Da habe er ihm gesagt: »Tja, Schatz, dann geht es eben nicht«. Ich sagte spontan: »Da haben wir ja den Schatz!«
In solch einem Falle kann nicht entschieden werden, ob die »gefundene« Bedeutung schon latent bereitlag und nur noch ergriffen werden musste oder ob die Deutung einen möglichen Sinn gestiftet, ihn also überhaupt erst in die Welt gesetzt hat. Das macht aber keinen bedeutenden Unterschied; entscheidend ist, ob der Analysand sich diese Deutung zu eigen macht und sie für das Verständnis seiner Situation verwendet. Im genannten Beispiel reagierte der Patient ganz spontan mit »Das trifft es! Sie brauchen gar nichts mehr zu sagen, es ist alles klar«.
Psychoanalytiker meinen vor allem diesen Typ einer Deutung als erhellende Sinnzuschreibung, wenn sie nicht ohne Stolz die Deutung als ihr wichtigstes und wirksames Werkzeug ansehen.
Gleichsam »zwischen« eine Deutung als »entdecken« eines verborgenen Sinns und der Deutung als »zuschreiben« von Sinn könnte man einen Deutungstyp stellen, der ein unbewusst wirksames Handlungsmotiv nennt. Beispiel: »Ich glaube, es ist nicht zufällig, dass Sie in den letzten Stunden immer ein paar Minuten zu spät gekommen sind. Mir scheint, Sie wollen mir damit etwas sagen …« Die Patientin könnte antworten: »Alles, was ich sagen kann, ist, dass ich in der letzten Zeit nur ungern hierhergekommen bin. Ich finde vor allem, dass Sie mich nicht so unterstützen in meinem Streit mit meinem Mann…« Obgleich der Analytiker davon spricht, die Patientin wollte ihm »etwas sagen«, meint er aber doch die Handlungsabsicht, die das Zuspätkommen motiviert haben könnte⁶. Genau genommen stellt dieser Deutungstyp eine »intentionale Beschreibung« dar, weil er einer Handlung eine – zunächst vielleicht verborgene – Handlungsabsicht zuschreibt. Derartige Deutungen sind recht häufig, sie sind – offen oder verdeckt – als ein Um …-zu…-Zusammenhang formuliert: »Sie sind so besonders freundlich zu mir, um Ihre Enttäuschung über mich zu verbergen.«
Im Folgenden möchte ich die drei Deutungstypen einzeln ausführlicher vorstellen und zu allen dreien folgende drei Fragen beantworten:
a) Wie »finden« oder generieren wir eine Deutungshypothese, wonach suchen wir? Welche Vorannahmen leiten uns dabei?
b) Welche Absichten verfolgen wir mit unseren Deutungen, was möchten wir erreichen?
c) Wie gestalten wir mit unseren Deutungen unsere therapeutische Beziehung?
Obgleich wir diese Fragen je nach Deutungstyp unterschiedlich beantworten müssen, können wir für sie doch einige allgemeine Merkmale identifizieren.
Wie »finden« wir eine Deutung im psychoanalytischen Prozess?
Vor dieser Frage liegt noch eine andere: Warum und wie suchen wir überhaupt Deutungen? Auch oder gerade dann, wenn wir die Regel von der gleichschwebenden Aufmerksamkeit sehr ernst nehmen und danach trachten, unvoreingenommen auf »nichts Besonderes« zu achten, werden wir uns immer wieder angestoßen fühlen, nach einer Deutung zu suchen,
• sei es, dass unser Patient ein Verhalten schildert, zu dem er in ähnlichen Situationen immer wieder neigt, und wir suchen vielleicht einen biografischen Zusammenhang für eine quasi-kausale Erklärung,
• sei es, dass uns die Handlungsweisen unseres Patienten auffallen (wie im Beispiel des Patienten, der betont freundlich erschien), oder wir fühlen uns kontrolliert oder gelangweilt oder neutralisiert. Wir versuchen zunächst, unsere Gegenübertragung zu erforschen, denn unser Eindruck muss ja durchaus nicht eine »Antwort« auf die Äußerungen unseres Patienten sein, finden dann aber vielleicht Handlungsmotive des Patienten, die uns unsere eigene Befindlichkeit erklären könnten,
• sei es, dass wir uns angeregt fühlen, über eine bestimmte sprachliche Wendung oder einen bildhaften oder metaphorischen Ausdruck unseres Patienten nachzudenken. Mehr als in den beiden zuvor genannten Fällen folgen wir hier keiner bestimmten Sucheinstellung (im ersten Falle: Wo liegt der quasi-kausale Zusammenhang zwischen biografischer Erfahrung und aktuellem Verhalten?, im zweiten Falle: Welche unbewussten Absichten verfolgt der Patient in seinem Handeln hier und jetzt?), sondern wir versuchen lediglich, der Aufforderung zur »gleichschwebenden Aufmerksamkeit« nachzukommen. Wir suchen zwar, aber wir suchen »nichts Bestimmtes« und achten darauf, an welches Detail im Sprechen oder in der Haltung unseres Patienten sich unsere Aufmerksamkeit heftet.
Ein erstes Zwischenergebnis ist also, dass wir die Frage »Warum suchen und wie finden wir eine Deutung?« auf mindestens drei verschiedene Arten beantworten müssen:
• Im ersten Falle folgen wir einer Sucheinstellung, mit der wir auch im Alltag unsere Erfahrungen ordnen: Wir gliedern den Strom des Erlebten in Episoden (der Streit des Patienten mit einem Vorgesetzten wäre vielleicht eine solche Episode) und erkennen, wenn sich thematisch ähnliche Episoden wiederholen (»immer verstrickt sich der Patient in Streitereien mit Autoritäten«).
Wir nehmen in solch einem Falle nicht an, dass unser Patient zufällig immer an streitsüchtige Autoritäten gerät, sondern vermuten, dass sein Verhalten von Motiven begründet wird, die, weil sie dem Patienten nicht bewusst sind, wie Ursachen in ihm wirken. In dieser Vermutung steckt eine Vorannahme, nämlich das Konzept vom Wiederholungszwang, dem wir alle folgen müssen, solange wir sein Wirken nicht erkennen⁷.
Im dritten Schritt suchen wir dann nach biografischen Vorläufern für diesen Typ des repetitiven Verhaltens. Das kann im Falle des erwähnten Patienten ein autoritärer Vater gewesen sein, gegen den sich das Kind von damals nicht zur Wehr setzen konnte, es kann aber auch durchaus sein, dass dieses Kind einen überaus verständnisvollen Vater erlebt hat, der ihm niemals eine Angriffsfläche bot, so dass es auf seinem Wunsch, sich aggressiv zu behaupten, gleichsam sitzen blieb. Dieses einfache Beispiel soll vor allem illustrieren, dass sich die Suche nach biografischen Vorläufern nicht auf identische Episoden beschränken darf.
• Im zweiten Falle machen wir uns auf die Suche nach einer Deutung, weil uns die Motive des Handelns unseres Patienten innerhalb der analytischen Situation oder außerhalb rätselhaft sind oder wir können die Handlungsgründe, die unser Patient angibt, nicht nachvollziehen. Beispiel: Der Patient, den wir fragten, was er mit seinem häufigen Zuspätkommen »sagen« möchte, könnte zum Beispiel behaupten, das sei Zufall. Oder er gibt an, dass die S-Bahn ganz regelmäßig zu spät käme. Wir aber nehmen an, dass sein Zuspätkommen nicht durch die S-Bahn verursacht, sondern durch Absichten begründet ist, die er aber nicht preisgeben kann oder will.
Auch in diesem Falle folgen wir also einer Sucheinstellung, die aus einer Vorannahme resultiert, welche wir im Alltag regelmäßig anwenden: Wir sind uns sicher, dass menschliches Handeln immer⁸ absichtsvoll ist, das heißt, es folgt Handlungsgründen, die freilich bewusst oder auch unbewusst sein können.
• Die Sucheinstellung im dritten Falle erschien uns »unbestimmt«, aber auch in ihr steckt eine Vorannahme, nämlich die, dass menschliches Sprechen niemals nur der Informationsvermittlung dient. Seine Semantik erlaubt vielfache Ausdeutungen – man denke nur an das metaphorische Sprechen, das immer auch auf »etwas anderes« hindeutet. Diese Voreinstellung des Psychoanalytikers ist vielleicht die eines Kunstbetrachters, zum Beispiel dem Leser eines Gedichtes oder einer Novelle vergleichbar. Von vornherein nimmt er an, dass »mehr gesagt« werden soll, als der Informationsgehalt des Textes »hergibt«. Oder wie es einer meiner Supervisoren⁹ einmal zum Ausdruck brachte: Er nehme das Geschehen in der psychoanalytischen Situation wie einen Traum und versuche, in all dem, was geschieht, die latenten Bedeutungen zu erfassen.
Allerdings blickt auch die »unbestimmte« Sucheinstellung nicht ins Beliebige, auch nicht in der Variante, die mein Supervisor bevorzugte. Vielmehr lenkt die psychoanalytische Theorie zum Beispiel über die Dynamik von Abwehrvorgängen¹⁰ mit der Folge von »Sprachzerstörung« und »Desymbolisierung«¹¹ unsere Aufmerksamkeit auf verräterische Formen der sprachlichen Ausdrucksweisen, die auf eine latente Bedeutung »hinweisen« – im banalen Falle sind es die Fehlleistungen, wie Freuds hübsches Beispiel von »den Tatsachen, die dann aber zum Vorschwein gekommen sind«¹² demonstriert.
Weiter: Mit der Pragmatik des Sprechens bezeichnen wir die »Wirkabsicht« der Worte, die darauf zielen, im Hörer ein »antwortendes« Gefühl wie zum Beispiel Mitleid oder eine Handlungstendenz nahezulegen. In der psychoanalytischen Situation schließlich achten wir ferner auf die »Indexikalität« des Sprechens. Damit ist gemeint, dass ein Dialogpartner in seinem Sprechen immer auch eine Definition über den Rahmen der Situation hier und jetzt andeutet. Indem zum Beispiel ein Patient eine Stunde damit beginnt, dass er wenig zu sagen habe, denn es ginge ihm gut, deutet er vielleicht an, dass er die analytische Situation so auffasst, dass vor allem seine Probleme zur Sprache kommen sollten.
Die Vorannahme in diesem dritten Falle lautet also: Menschliches Sprechen ist vieldeutig, es bedarf immer der Auslegung, und man kann nie sicher sein, die »richtige« Bedeutung gefunden zu haben.
Ich habe die erste der drei Fragen, nämlich: Warum und wie suchen wir eine Deutung und wie finden wir sie? auf drei unterschiedliche Weisen beantwortet. Was aber ist das Gemeinsame bei aller Verschiedenheit unserer Antworten? Vorausgesetzt ist allen drei Strategien des Suchens und Findens eine Variante von weitreichenden, aber sehr unterschiedlichen Vorannahmen: Die Vorannahme, dass (1) unbewusste Motive sich wie Ursachen auswirken und dem Verhalten einen repetitiven Charakter verleihen, dass (2) Menschen niemals absichtslos handeln, auch dann, wenn ihnen ihre eigenen Absichten nicht bewusst sind, dass (3) menschliches Sprechen immer vieldeutig ist, dass es nicht nur der Informationsvermittlung dient, sondern auch eine »Wirkabsicht« verfolgt und immer auch den Rahmen der gegenwärtigen Situation kommentiert.
Diese Vorannahmen gründen nicht in psychoanalytischen Theorien. Auch die zuerst genannte, die immerhin den Begriff des Unbewussten bemüht, stützt sich auf Erkenntnisse, die Philosophen schon in der Zeit der Aufklärung gesammelt haben. Dass innere Ursachen uns zwingen, während uns Gründe nur geneigt machen zu handeln, wusste schon Kant. Wichtiger aber als die Herkunft dieser Vorannahmen ist, dass wir mit ihnen Deutungsvoraussetzungen festlegen, die darüber bestimmen, wonach wir suchen sollen. Auch ein Analytiker, der für sich in Anspruch nimmt, im Zustand der »reverie« oder, Bion folgend, »without memory and desire« ganz offen zu sein für das Unbewusste des Patienten, hört nicht ohne Deutungsvoraussetzungen zu¹³; dergleichen kann nur ein Tonbandgerät oder eine Abhöranlage – und selbst diese verwendet zur Auswertung der abgehörten Texte ihre Deutungsvorannahmen.
Bevor wir im psychoanalytischen Prozess unsere Deutungsvoraussetzungen anwenden, müssen wir uns vergewissern, ob auch unser Patient diese Vorannahmen teilt. Vielleicht möchte er unserer Annahme widersprechen, dass seine frühen Erfahrungen oder, noch komplizierter, die Art und Weise, wie er sie damals erlebt hat, sein späteres Verhalten gleichsam hinter seinem Rücken determinieren. Oder er findet, dass er häufig genug absichtslos handelt, und ärgert sich über die Zumutung, mit der wir ihm immer wieder unbewusste Handlungsmotive unterstellen. Schließlich kann er der Behauptung widersprechen, dass er zwar etwas gesagt, zugleich aber etwas anderes gemeint habe. Man mag wohl in solchen Fällen vermuten, dass es sich um Widerstände handelt, wenn der Patient sich weigert, den Doppelsinn seiner Ausdrucksweise anzuerkennen oder ein vorbewusstes Motiv, für das er sich schämt, einzuräumen. Zahlreichen Patienten mit einem niedrigen Strukturniveau fällt es tatsächlich schwer, sprachliche Äußerungen als mehrdeutig und damit auslegungsbedürftig nehmen zu sollen. In jedem Falle aber setzt ein Dialog über Deutungen voraus, dass beide Beteiligten sich über die anzuwendenden Deutungsvoraussetzungen einig sind. Wo diese Einigkeit fehlt, muss die psychoanalytische Arbeit erst einmal eine hinreichende Übereinstimmung über die Deutungsvoraussetzungen zum Ziele nehmen. Man kann nicht analysieren, wenn Patienten dauerhaft darauf bestehen, dass sie keine unbewussten Absichten hegen oder immer genau das meinen, was sie sagen.
Welche Absichten verfolgen wir mit unseren Deutungen?
Was wollen wir mit ihnen erreichen? Wir werden für die drei unterschiedlichen Deutungstypen (Deutung als quasi-kausale Erklärung, Deutung als Vervollständigung einer intentionale Beschreibung und Deutung als Interpretation eines sprachlichen Ausdrucks) wieder unterschiedliche Antworten finden, aber am Ende dieses Abschnittes doch wieder etwas Gemeinsames erkennen.
a) Im ersten Falle, der Deutung als quasi-kausale Erklärung, als Beispiel dient ein Patient, der sich immer wieder mit Autoritäten in Auseinandersetzungen verstrickte, verfolgen wir mit unseren Deutungen zwei Ziele: Zunächst soll der Patient verstehen, dass seine jüngst erzählte Episode (»Gestern hatte ich wieder mal so einen Streit mit meinem Chef …«) nicht einen Einzelfall darstellt, sondern sich einreihen lässt in eine größere Zahl analoger Erfahrungen. So unterschiedlich die beteiligten Personen und die Anlässe auch gewesen sein mögen, thematisch sind es immer gleiche